Was ist Gesundheit? Teil 1b: Theorien von Gesundheit und Krankheit

VO SS 2009, 31.3.2009 Univ.Doz. Mag. Dr. Wolfgang Dür

W. Dür, VO SS 2009 Gesundheit

Erkenntnisse der „biopsychosozialen“ Gesundheitsforschung Morbidität und Mortalität (das Risiko zu erkranken oder zu sterben) hängen ab von:      

Erbanlagen des Individuums der ökologischen Umwelt einer Person (Hygiene, Umweltgifte, Lärm ...) der Bildung und den Verhaltensweisen des Individuums dem Sozialkapital einer Person (Isolation, Ausgrenzung, sozialer Zusammenhalt, Unterstützung, Lebenschancen, Selbstverwirklichung) dem sozioökonomischen Status einer Person (Armut, relative Armut, soziale Ungleichheit) den gesellschaftlichen Verhältnissen (soziale Gerechtigkeit, Frieden, Sinnsysteme ...)

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Beiträge der Medizin und der sozialen Faktoren zur Minderung der gesellschaftlichen Krankheitslast  In der Bekämpfung der Infektionskrankheiten liegt ein Haupterfolg der Medizin als Wissenschaft und Praxis.  Dennoch ist der größte Teil dieses Erfolgs den veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen im Zuge der Modernisierungsprozesse des 19. Und 20. Jahrhunderts zu verdanken.     

Kunstdünger verbessert die Ernährungslage Bautechnik verbessert die Wohnverhältnisse (feuchte Mauern) Kanalisationssysteme in Städten verbessern die Hygiene Wassersysteme (Wiener Hochquellwasser) verbessern die Versorgung mit sauberem Trinkwasser U.a.

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Gesundheit und materielle Lebensbedingungen Quelle: McKeown, 1982, S. 136

Mittlere Todesraten an Tuberkulose für England und Wales standardisiert auf die Bevölkerung von 1901 4000

Identifikation des Tuberkulosebazillus

Todesrate (pro Million)

3500 3000

Chemotherapie

2500

BCGImpfung

2000 1500 1000 500 0 1838

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1860

1880

1900

1920

1940

1960 4

Tuberkulose

Zum Verhältnis von medizinischem Fortschritt und gesellschaftlicher Entwicklung

Masern

Keuchhusten

Scharlach

Aus: McKeown & Lowe 1974 Vgl.: Naidoo, Jennie, Wills, Jane (2003): Lehrbuch der Gesundheitsförderung, Köln

Pocken

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Diphterie

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Gesundheit und ökonomische Faktoren 

Schicht  



sozioökonomischer Status   





relative Armut (OECD: 50% des Medianeinkommens einer Gesellschaft) Einkommensunterschiede, Einkommensgradient

Sozialstatus  



Armut Einkommen, Lebensstandards Bruttosozialprodukt (GDP) per capita

soziale Ungleichheit 



Einkommen Klassenzugehörigkeit (altes Konzept; vgl. soziale Mobilität)

Berufsposition symbolisches und soziales Kapital

Bildungsstatus  

Wissen symbolisches Kapital

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Krankheit und Schicht 

Hohe Morbidität bei niedrigem SES ist nachgewiesen für: (vgl. Claussen et al, 2003; Sachverständigenrat, 2005)            

Allgemeiner Gesundheitszustand bei Kindern und Jugendlichen Allgemeiner Gesundheitszustand bei Erwachsenen Herz-Kreislauferkrankungen Diabetes mellitus Magen-, Darm-, Lungen-, Nieren-, Blasenkrebs Leukämie,maligne Lymphome Zahngesundheit Bronchitis Bandscheibenschäden, Rheumatische Erkrankungen Unfälle bei Kindern und Jugendlichen Psychische Erkrankungen Multimorbidität

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Krankheit, soziale Probleme und soziale Ungleichheit

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8

Sterblichkeit und Schichtzugehörigkeit Drever & Whitehead 1997

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Entwicklung der Säuglingssterblichkeit nach der sozialen Schichtzugehörigkeit des Vaters Vgl.: Naidoo, Jennie, Wills, Jane (2003): Lehrbuch der Gesundheitsförderung, Köln

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Anteile der Personen aus armen und nicht-armen Bevölkerungsschichten mit schlechtem Gesundheitszustand Quelle: STATISTIK AUSTRIA

60 50 31 - 45 46 - 60 61 - 75 75 + gesamt

40 30 20 10 0 arme Bevölkerung W. Dür, VO SS 2009 Gesundheit

nicht-arme Bevölkerung 11

Soziale Ungleichheit und Säuglingssterblichkeit

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Ungleichheit und Lebenserwartung

Wilkensen & Pickett 2008. Dysfunctional Societies. Why inequality matters. Presentation at the FGÖ Conference, Vienna

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Soziale Ungleichheit und Glückserfahrung

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Sterberaten pro 1000 Einwohner nach Berufsposition und Geschlecht Quelle: Waller

10 9 8 7 6 5 4 4 3 22 1 0 I (Profe.)

1985:48

10

8

Männer Frauen

6

6

6

5 4 3

3

II (höhere Angest) III ( Ang.)

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3

IV IV (FArb.)

V V (angel. Arb.) VI VI (ohne A.) 16

Gesundheit und soziale Faktoren     

Sozialkapital Vertrauen Kohäsion, Zusammengehörigkeit Autonomie, Eigenständigkeit, Kontrolle Unterstützung

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Soziale Integration und Mortalität Gestorbene auf 1.000 E./Altersgruppe

35 30

I II III IV

25 20 15 10 5 0 30-49 Jahre 50-59 Jahre 60-69 Jahre I

II

III

IV

allein Lebende ohne soziales Netzwerk

Personen mit Familie/Partner/in und sozialem Netzwerk Quelle: Berkman & Syme, 1979 – „Alameda County Study“ W. Dür, VO SS 2009 Gesundheit

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Gesundheit und Vertrauen, Kohäsion

1,4 fach erhöhtes Risiko für schlechte subjektive Gesundheit in Staaten mit geringem interpersonalem Vertrauen (kontrolliert für Alter, Geschlecht, Rasse, Haushaltseinkommen, Raucherstatus, Fettleibigkeit, Krankenversicherung, Gesundenuntersuchung, Single-Haushalt)

(General Social Survey-USA)

Quelle: Kawachi et al., 1997 & 1999 W. Dür, VO SS 2009 Gesundheit

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soziale Ungleichheit, Schule, Familie, Selbstwirksamkeit und Gesundheit Quelle: WHO-HBSC-Survey 2006; Dür/Griebler 2007 15-Jährige 11-Jährige

Schicht

(.73 - .73) (.69 - .72) Klassenklima

,533 ,56 ,69

,613 Schule/ Empowerment

Lehrerunterstützung

,69 ,79

Selbstwirksamkeit

4 Items

CMIN/DF GFI AGFI CFI RMSEA PCLOSE

1,944 1,593 ,964 ,972 ,956 969 ,965 ,980 ,028 ,020 1,000 1,000

(< 2) (< 2) (> ,950) (> ,950) (> ,950) (> ,950) (> ,950) (> ,950) (< ,050) (< ,050) (> ,950) (>, 950)

Vater Bonding

,78 ,72

Mutter Bonding

,427 ,412

(.67 - .71) (.50 - .63)

Lebenszufriedenheit ,204 ,108

(.51 - .64) (.65 - .73)

,71 ,74 Familie/ Bonding

,214 ,147

,413 ,427

(.57 - .78) (.53 - .72)

(.71 - .78) (.64 - .70)

,283 ,240

? ,398 ,346

,243 ,164

,202 ,222 Gesundheit

,75 ,73

,77 ,60

Subjektive Gesundheit

psychosomatische Beschwerden

(.53 - .60) (.50 - .63)

r2 = 42% r2 = 31%

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Angst in modernen Gesellschaften

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