Warum nutzen wir die Medien so, wie wir sie nutzen?

Benjamin Krämer Warum nutzen wir die Medien so, wie wir sie nutzen? Warum nutzen wir die Medien so, wie wir sie nutzen? Das war die Hauptfrage meines...
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Benjamin Krämer

Warum nutzen wir die Medien so, wie wir sie nutzen? Warum nutzen wir die Medien so, wie wir sie nutzen? Das war die Hauptfrage meines Forschungsprojektes. Ich möchte erläutern, wie ich versucht habe, diese Frage zu beantworten. Natürlich bin ich nicht der Erste und Einzige, der sich dieser Frage widmet, aber ich erspare den Leserinnen und Lesern im Folgenden detaillierte Nachweise meiner Quellen und stelle den Gedankengang meiner Untersuchung so dar, dass er möglichst auch für wissenschaftliche Laien verständlich sein soll. Es wird sich jedoch nicht vermeiden lassen, einige Fachbegriffe einzuführen, von denen man sich bitte nicht abschrecken lasse. Auch wenn der eine oder die andere von manchen meiner Erläuterungen abgeschreckt sein sollte, weil sie ihm oder ihr zu simpel oder zu kompliziert erscheinen, dann bitte ich um Nachsicht, denn für den Wissenschaftler ist es nicht einfach, seine Forschung für jedes Publikum angemessen darzustellen – schließlich ist es ja (leider) so, dass das überwiegende Publikum des Wissenschaftlers andere Wissenschaftler sind. Noch eine letzte Erläuterung: Als Sozialwissenschaftler, also als Forscher, der sich mit gesellschaftlichen Sachverhalten befasst, hat man es natürlich mit Dingen zu tun, die sehr unterschiedlich bewertet werden können. Jeder hat seine Vorstellungen, was in der Gesellschaft richtig und falsch läuft. Als Wissenschaftler kommt es mir aber zunächst darauf an, festzustellen, was überhaupt in der Gesellschaft vor sich geht. Wenn ich also im Folgenden Ausdrücke verwende, die wertend klingen, die eine Kritik oder eine Wertschätzung auszudrücken scheinen, dann lässt sich das nicht vermeiden – es kommt mir aber immer auf die Darstellung von Sachverhalten an, nicht auf ihre Bewertung. Wenn ich also z.B. von „sozialer Ungleichheit“ spreche, dann kann man das sicher als „soziale Ungerechtigkeit“ auffassen, aber mir kommt es zunächst nur darauf, ganz sachlich festzustellen, dass Personen in der Gesellschaft eine unterschiedliche Stellung einnehmen, unterschiedlich viel besitzen, unterschiedliche Schulabschlüsse haben usw. In diesem Sinne sind Personen rein sachlich betrachtet ungleich und haben objektive Vor- und Nachteile aufgrund ihrer Stellung. Die Beurteilung dieser Ungleichheit ist hier nicht mein Thema, obwohl ich natürlich dazu anregen möchte, über die Bewertung gesellschaftlicher Sachverhalte nachzudenken. Auch das Wort „sozial“ heißt hier zunächst nur so viel wie „gesellschaftlich“ oder „zwischenmenschlich“, und nicht so sehr „gerecht“, „anderen auf positive Weise zugewandt“ usw. (also zunächst nicht wie in dem Ausdruck „das ist unsozial“, „sein Verhalten ist sozial“). Ich will also niemanden für seine Mediennutzung oder für andere Dinge loben oder verurteilen, auch wenn man sicher die eigene Mediennutzung oder die anderer in Frage stellen kann.

Meine Fragestellung Meine Frage lautete also, warum wir die Medien nutzen, so wie wir es tun. „Wir“ ist in diesem Falle die heute in Deutschland lebende Bevölkerung – nur zu dieser habe ich meine Untersuchung durchgeführt, auch wenn es natürlich reizvoll wäre, Vergleiche mit anderen Ländern und Kulturen oder mit vergangenen Zeiten zu ziehen. „Die Medien“, das sind die gedruckten Medien, also Zeitungen und Zeitschriften, außerdem der Rundfunk, also Radio und Fernsehen. Ferner schließt das die Angebote im Internet ein, welche so ähnlich sind wie die genannten Medien, wo also geschriebene Texte, gesprochene Worte, Musik oder bewegte Bilder veröffentlicht werden. „Die Medien nutzen“, das heißt ganz einfach, sich diese Angebote in den klassischen gedruckten Medien, dem Rundfunk und dem Internet anzusehen, durchzulesen, anzuhören. Das „Warum“ in meiner Frage richtet sich auf die gesellschaftlichen Ursachen, die sozialen Einflüsse, denen wir in unserem Lebensverlauf ausgesetzt sind, und die bewirken, dass wir eben die Medien auf genau diese Weise nutzen. Natürlich gibt es auch andere Einflüsse als nur die gesellschaftlichen. Man kann darüber diskutieren, inwieweit ererbte, angeborene Eigenschaften unsere Mediennutzung beeinflussen. Das gehört aber nicht zum Gegenstand meiner Untersuchung und fällt nicht in mein Sachgebiet als 1

Sozialwissenschaftler.

Ein wenig Theorie Bevor man eine Untersuchung wie meine in Angriff nimmt, überlegt man sich natürlich näher, was man genau herausfinden möchte, in welchen gedanklichen Zusammenhang man seine Erkenntnisse bringen will, wie man sie ordnet und deutet. Kurz, man entwirft eine Theorie, und zwar, indem man fremde Aussagen heranzieht und eigene Überlegungen anstellt. Theorie ist nicht das Gegenteil von Praxis, auch nicht die reine Spekulation („nur“ Theorie), sondern das sind Aussagen, die man anschließend überprüfen möchte – „empirisch“, wie wir Forscher das nennen, also mittels nachvollziehbarer Erfahrungen, welche die Theorie bestätigen oder widerlegen können. Darauf komme ich jedoch später. Zwei wichtige Begriffe sind für meine Theorie zur Erklärung der Mediennutzung wichtig: „Sozialisation“ und „Kapital“. Zum ersten: Sozialisation bedeutet „Vergesellschaftung“, „Gesellschaftlich-Werden“. Der Mensch ist ein soziales (gesellschaftliches!) Wesen. Anders aber als Tiere, die ebenfalls so etwas wie Gesellschaften bilden, kommen wir nicht mit einer fertigen Vorstellung von der Gesellschaft auf die Welt. Das wäre auch gar nicht möglich, denn die menschlichen Gesellschaften verändern sich ständig. Also erwerben oder erlernen wir erst das, was uns gesellschaftlich macht. Wir lernen die für unsere gesellschaftliche Umgebung wichtigen Normen und Werte, wir machen uns nach und nach ein Bild von der Gesellschaft (z.B. von „oben“ und „unten“), wir lernen die Sprache und mit ihr die Einteilungen der Dinge, wie sie in den Worten ausgedrückt sind, usw. Wie lernen das teils durch gezielte Erziehung: Die Eltern und Lehrer erklären uns die Welt, zu der auch die Gesellschaft gehört, sie korrigieren unsere Sprache, sie versuchen uns beizubringen, was moralisch und wichtig im Leben ist – ob ihnen das nun gelingt oder nicht. Vieles lernen wir aber auch nebenbei: Wir beobachten von klein an, wie sich die Menschen verhalten, was sie gut und was sie schlecht finden, wie sie mit den Dingen umgehen, wovor sie sich fürchten und worüber sie sich freuen. So werden aus kleinen Fremdlingen Mitglieder einer Gesellschaft – der Soziologe Talcott Parsons sprach von den Neugeborenen als der „barbarischen Invasion“ der Gesellschaft: Kleine Kinder sind mit unserer Gesellschaft noch überhaupt nicht vertraut, sie finden sich alleine noch nicht darin zurecht. Aus ihnen werden jedoch Mitglieder der Gesellschaft – und das ist man so oder so: Ob als Krimineller oder als Heiliger, als einfacher Mitarbeiter in einem großen Unternehmen oder als Chef von irgendwas. Jeder muss sich irgendwie zur Gesellschaft verhalten – und das kann höchst verschieden ausfallen. Die Sozialisation, das Gesellschaftlich-Werden, kann also sehr unterschiedliche Ergebnisse haben, etwa je nachdem, in welchem Elternhaus, in welchen Freundeskreisen man aufwächst, wo man zu Schule geht, wo man arbeitet usw. Das alles prägt unsere Persönlichkeit als gesellschaftliche Wesen, ohne dass wir gleichförmige Produkte einer übermächtigen Gesellschaft würden. Allerdings lassen sich durchaus Zusammenhänge finden, so meine These: Unser bisheriges Leben, die sozialen Einflüsse, prägen uns auf verschiedene, aber durchaus typische Weise, bestimmen unseren gesellschaftlichen Charakter. Die Medien sind natürlich auch ein gesellschaftlicher Sachverhalt: Sie sind von Menschen gemacht und werden von Menschen genutzt. Auch wenn wir alleine die Zeitung überfliegen oder vor dem Fernseher sitzen, ist das ein gesellschaftlicher Vorgang, schon alleine deshalb, weil die Medien uns ein Bild über die Gesellschaft vermitteln. Sie berichten uns über soziale Welten, zu denen wir unmittelbar keinen Zugang haben, und sie stellen uns soziale Welten dar, die zwar erfunden sind, aber trotzdem auf verschiedene Weise mit der bestehenden Gesellschaft zu tun haben: Viele gesellschaftliche Sachverhalte finden sich darin wieder, ob man die Darstellung nun gut getroffen oder verfälschend findet. Wir tauchen manchmal regelrecht in eine andere Welt ein, sei es beim Lesen, Hören oder Fernsehen, und das ist eine der Arten, wie wir die Medien nutzen, im Sinne meiner Fragestellung. Wenn wir also lernen, mit den Medien auf bestimmte Weise umzugehen, ist das Sozialisation, der Erwerb bestimmter Haltungen in Bezug auf gesellschaftliche Sachverhalte. 2

Das kleine Kind mag eine Zeitung zerreißen oder in den Mund stecken, Zeitunglesen kann es deshalb noch nicht. Es mag nach den Figuren auf dem Fernseher greifen (schon das zeigt seine Unkenntnis), es weiß aber nicht, was ein Krimi ist oder dass man der Werbung nicht unbedingt trauen kann. Erst nach und nach lernen wir, die Angebote der Medien einzuteilen (in Krimis, Actionfilme, Liebeskomödien, Nachrichten, Werbung usw.). Wir lernen sie zu beurteilen und finden heraus, was uns Spaß macht – bzw., wir übernehmen sicher zum Teil auch die Bewertungen anderer, selbst wenn wir uns das nicht unbedingt eingestehen. Wir erlernen, wie Medienangebote in der Gesellschaft in der Regel beurteilt werden: In gewissen Kreisen kann man sich mehr Respekt verschaffen, indem man erzählt, man habe gestern ein klassisches Konzert im Fernsehen gesehen – andere Sendungen sind da weniger geachtet, ob zurecht oder nicht, das soll hier wie erwähnt nicht die Frage sein. Jedenfalls lernen wir, was gut bewertet wird und was schlecht: die Normen und Werte der Gesellschaft, oder von Teilen der Gesellschaft, in Bezug auf die Medien. Wir lernen auch, uns auf bestimmte Weise in die Medien zu vertiefen, und uns wieder von ihnen zu lösen. Wir sind manchmal ganz in einer dargestellten Welt versunken, aber manchmal müssen wir uns auch selbst zureden: Das ist alles nur ein Film! Du brauchst keine Angst zu haben! Wir lernen, wie wir schnell und einfach das finden, wovon wir uns einen Nutzen versprechen: Wir lernen zappen, das Überfliegen der Zeitung, das Surfen im Internet – worauf müssen wir achten, was können wir übergehen? usw. Das alles ist „Mediensozialisation“, Sozialisation in Bezug auf Medien, der Erwerb von Haltungen (Wissen, Bewertungen usw.) in Bezug auf den gesellschaftlichen Sachverhalt Medien. Zweiter Begriff: das Kapital. Das klingt nach dem alten Karl Marx, nach verstaubten oder rebellischen Theorien einer Klassengesellschaft. Wenden wir uns aber diesem Begriff einmal ganz nüchtern zu. Dabei kommt uns entgegen, dass ein wichtiger französischer Soziologe, Pierre Bourdieu, den Begriff des Kapitals sozusagen „renoviert“ hat, aus der Mottenkiste geholt, für die heutige Gesellschaft angepasst hat. Menschen unterscheiden sich in der Gesellschaft nach ihrer ökonomischen Stellung: Sie verfügen über mehr oder weniger Vermögen und Einkommen, privaten Besitz, manche über Besitz an Firmenanteilen usw. Niemand würde bestreiten, dass das ein wesentlicher Aspekt der sozialen Ungleichheit ist. Geld macht bekanntlich nicht glücklich, aber es schafft gewisse Freiräume, aber es prägt uns auch. Nicht jeder wird mit wachsendem Vermögen zum erbarmungslosen Kapitalisten, aber wer Geld ansammelt, hat in der Regel gewisse Interessen und Werte, wer Vermögen erbt, „erbt“ auch häufiger einer bestimmte Haltung gegenüber der Gesellschaft. Eine grobe Vereinfachung, natürlich. Nehmen wir aber einfach mal an, dass es so etwas wie ökonomisches Kapital gibt, und dass es eine Person prägt (das Gute an dieser These ist ja, dass man sie dann empirisch, also mittels systematischer Erfahrung, prüfen kann). Bis dahin ist die „Theorie“ vom Kapital nicht sonderlich interessant und neu. Pierre Bourdieu hat nun aber angemerkt, dass ökonomische Unterschiede nicht die einzigen wichtigen in der Gesellschaft sind. Ein Professor zum Beispiel, ein Museumsdirekter oder ein bekannter Autor mögen nicht so viel verdienen wie ein Manager. Ein Lehrer vielleicht auch nicht so viel wie ein mittlerer Angestellter (Die weiblichen Formen der Berufsbezeichnungen sind natürlich immer mitgemeint. In meiner Studie gehe ich auch auf Geschlechterunterschiede ein, wie sie gesellschaftlich bedingt sind. Aus Gründen der Kürze konzentriere ich mich hier in der Theorie auf andere Unterschiede). Die besondere Stellung von Professoren und Lehrern, von Künstlern, Journalisten usw. gegenüber Unternehmern, Managern, Angestellten usw. beruht also nicht so sehr auf der Verfügung über ökonomische Güter. Vielmehr, so drückt es Bourdieu aus, haben sie vor allem „kulturelles Kapital“, und zwar in unterschiedlichem Ausmaß. Sie verfügen über gesellschaftlich anerkannte „Kultur“: Sie haben höhere Bildungsabschlüsse, Expertise in künstlerischen oder wissenschaftlichen Fragen, besitzen privat vielleicht Kunstwerke, recht viele Bücher usw. Das heißt nicht, dass Unternehmer und Angestellte in der Wirtschaft dies nicht hätten. Das „kulturelle Kapital“ zeichnet jedoch ihre Stellung nicht im gleichen Maße aus wie bei den anderen beschriebenen Gruppen, die dafür wiederum weniger über ökonomisches Kapital verfügen, jedoch natürlich nicht völlig besitzlos in diesem Bereich sind. Lediglich im Durchschnitt kann man 3

sagen, dass die Position der einen eher auf kulturellem, die der anderen eher auf ökonomischem Kapital beruht. Auch die Menge des kulturellen Kapitals, so die These, prägt einen Menschen: Man mag bei einer großen Menge dieses Kapitals als „kultiviert“ gelten, aber auch als abgehoben. Man mag immer danach streben, in kulturellen Dingen auf dem Laufenden sein, und man steckt, im Positiven wie im Negativen, im Kulturbetrieb, Wissenschaftsbetrieb, Schulbetrieb usw. drin. Ein solcher Einfluss der zwei Kapitalarten auf die Persönlichkeit und Lebensweise einer Person steht auch bereits im Mittelpunkt verschiedener Werke des bereits genannten Pierre Bourdieu, etwa in seinem Hauptwerk, das auf deutsch unter dem Titel „Die feinen Unterschiede“ erschienen ist.

Was hat das mit der Mediennutzung zu tun? Die gesellschaftliche Position, die Stellung in der sozialen Ungleichheit, die eine Person einnimmt, lässt sich also grob mittels zweier Größen beschreiben: wie viel kulturelles und wie viel ökonomisches Kapital diese Person hat. Darauf reduziert sich die soziale Ungleichheit natürlich nicht, aber wir erlauben uns einmal diese Vereinfachung. Auch das Elternhaus einer Person lässt sich so einordnen, nämlich nach der Menge der beiden Kapitalarten, über die die Eltern verfügen. Das beeinflusst dann die Art, wie man in die Gesellschaft hineinwächst – und dieses Hineinwachsen ist ein lebenslanger Vorgang. Mit jeder neuen Erfahrung am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen, im Privatleben usw. kann es sein, dass sich unsere Haltungen gegenüber gesellschaftlichen Sachverhalten ändern. Diese Haltungen sind dann unter anderem dadurch geprägt, welche Position wir einnehmen, also ob wir z.B. in einer kulturell oder ökonomisch herausgehobenen Stellung sind oder ob unsere Eltern das waren. Wenn gesellschaftliche Einflüsse einen Einfluss auf unsere Haltungen gegenüber der (sozialen) Welt haben, und wenn wir dies als Sozialisation bezeichnen, wenn dann wieder die Medien ein Teil der sozialen Welt sind, dann ist das Erlernen von Haltungen gegenüber den Medien Sozialisation. Und wenn die Sozialisation unter anderem dadurch beeinflusst ist, über welches ökonomische und kulturelle Kapital wir und unsere Eltern verfügen, dann müsste das Einfluss darauf haben, wie wir die Medien nutzen. Natürlich kenne ich Professoren, die gerne solche Sendungen im Fernsehen schauen, die gesellschaftlich als nicht besonders niveauvoll abgestempelt werden. Aber die Professoren, die ich kenne, erforschen ja auch die Medien und sehen sich deshalb alles Mögliche an (und haben nicht selten Spaß an den seltsamsten Dingen). Das wird aber eher nicht typisch sein für Personen mit ihrem „kulturellen Kapital“. Oder wenn wir uns überlegen, welche Personen wohl vorwiegend klassische Musik im Radio hören. Natürlich haben solche Sender ein gemischtes Publikum. Aber abgesehen davon, dass es eher älter ist als das Publikum der Pop-Sender, würden wir vielleicht annehmen, dass es über ein höheres kulturelles Kapital verfügt: höhere Bildungsabschlüsse, vielleicht auch schon bei den Eltern, ein Interesse an dem, was man so als „Kultur“ bezeichnet, gewisse Kenntnisse in diesem Gebiet; vielleicht besuchen sie häufiger entsprechende Einrichtungen wie die Oper oder Museen, arbeiten womöglich häufiger in Berufen, die im weitesten Sinne mit „Kultur“ zu tun haben, usw. Andere haben vielleicht einen sehr anstrengenden Berufsalltag (oder Alltag als Hausfrau oder -mann), der emotional belastend ist. Manche denken bei Stress an eine „Managerkrankheit“, aber vielfach sind es die untergeordneten Tätigkeiten, die besonders belastend sind – mit den theoretischen Begriffen von oben gesprochen: die Berufe der Leute, die über ein geringes ökonomisches und kulturelles Kapital verfügen, keine ökonomische Führungsposition, keine gehobene Stellung im kulturellen oder im Bildungsbereich innehaben. Manche entspannen sich bei klassischer Musik, gewiss, aber typischer ist womöglich das „Abschalten“ bei einem eingängigen Film, ein wenig Comedy usw. (Und dabei ist es nicht manchmal eine Ironie des Schicksals oder der Gesellschaft, dass uns beim Abschalten, beim Abhängen vor der Glotze, manchmal das schlechte Gewissen quält: Sollte man sich nicht mit was „Wertvollerem“ beschäftigen? So zumindest haben es viele von uns gelernt...). Wissenschaft ist nicht nur kompliziert, sie ist auch Vereinfachung – Pauschalisierung, wenn man so will. Das ist im Falle der Sozialwissenschaft, der Erforschung der Gesellschaft natürlich immer 4

heikel. Wenn man allerdings das Typische in der Gesellschaft, die sozialen Zusammenhänge mit gewissen Vereinfachungen auf den Punkt gebracht hat, dann kann man erst darüber nachdenken, sie womöglich kritisieren, und überlegen, ob man diese Zusammenhänge gut findet oder ob man etwas dagegen unternehmen möchte. Man kann sich oder den anderen bei der Nase fassen und fragen: Wie nutzen wir eigentlich die Medien? Warum könnte das so sein? Wie könnte es anders sein? Da ich hier ohnehin beim Vereinfachen bin, soll hier die simple These stehen: Ökonomisches und kulturelles Kapital einer Person beeinflussen ihre Mediennutzung (in meiner Studie habe ich natürlich noch viele weitere Einflüsse untersucht, von denen ich einige noch erwähnen werde). Das gute an der Wissenschaft ist, dass man nicht einfach solche Thesen in den Raum stellen kann, sondern sie belegen muss – das heißt einerseits: mit Fußnoten und Quellen, was ich hier eingespart habe, und andererseits empirisch, d.h. durch eine Untersuchung der Realität.

Die Untersuchung Wie untersucht man die soziale Realität? Indem man beobachtet, und indem man die Leute befragt, die ja Teil dieser Realität sind. Ich habe den zweiten Weg gewählt, und bei dem gibt es wieder zwei Möglichkeiten, vor allem wenn man nur über begrenzte Mittel verfügt. Entweder man unterhält sich mit einer kleineren Anzahl von Leuten sehr ausgiebig und versucht, sich so detailliert wie möglich in ihre Welt hinein zu versetzen. Oder man befragt eine große Anzahl von Personen und überprüft dann mittels statistischer Verfahren, ob bestimmte Zusammenhänge bestehen. Dabei muss man natürlich Abstriche bei der Tiefe der Auseinandersetzung mit dem Einzelnen machen, und in der Regel greift man dabei auf einen vorgegebenen Fragebogen zurück, der dann jedem Befragten vorgelegt wird. Ich habe mich für diese Vorgehensweise entschieden, wobei die beiden Möglichkeiten sich ideal ergänzen und andere Forscher im gleichen Gebiet sich bereits mittels der intensiveren Methode den Menschen und der Gesellschaft genähert haben. Mir kam es darauf an, möglichst einen breiten Querschnitt durch die Gesellschaft zu erzielen und recht viele Personen zu befragen – je größer die Zahl der Teilnehmer, desto eher ist sichergestellt, dass die gefundenen Zusammenhänge auch für den Rest der Gesellschaft gelten. Bedingung ist dabei aber immer, dass man die Zusammensetzung der Gesellschaft mit ihren verschiedenen Gruppierungen einigermaßen abbildet. Ideal wäre es hier, wenn man aus der gesamten Bevölkerung zufällig Leute auswählen könnte, so dass die gebildete Stichprobe der Menschen ungefähr gleichmäßig aus allen Teilen der Gesellschaft stammt. Man kann sich diesem Ideal annähern, wenn man Leute zufällig telefonisch kontaktiert und zur Teilnahme an der Befragung einlädt. Dabei nimmt man nicht einfach Telefonbücher zur Hand, da hier nicht alle Anschlüsse eingetragen sind, sondern man nutzt eingetragene Telefonnummern, streicht jedoch die letzten Ziffern weg und lässt einen Computer zufällig neue Ziffern ausgeben, die man dann wieder an die abgeschnittenen Telefonnummern anhängt. So erhält man auch solche Nummern, die nicht im Telefonbuch stehen, und man greift nicht auf irgendwelche Adressdatenbanken zurück, in denen persönliche Daten wie Namen oder Adressen gespeichert sind: Man erreicht zufällig Haushalte in ganz Deutschland, und man weiß nicht (und es ist ohne Belang), wie die Leute heißen und wo sie wohnen. Damit wird also ein besseres Niveau des Datenschutzes erreicht. Leider (natürlich aber manchmal aus verständlichen Gründen) wollen sich nicht alle Angerufenen an einer Befragung beteiligen. Diese Bereitschaft verteilt sich auch nicht gleichmäßig über die verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft, sondern hängt z.B. von der Bildung, dem Geschlecht und anderen Faktoren ab. Somit kombiniert das Verfahren den Vorteil, dass zufällig Leute ausgewählt werden und jeder die Chance hat, ausgewählt zu werden, mit dem Nachteil, dass durch die Verweigerung der Teilnahme die Gesellschaft nicht mehr gut abgebildet wird. Um das auszugleichen, habe ich dieses Verfahren mit einem anderen kombiniert. Ich entnahm Statistiken über die Bevölkerung in Deutschland, wie häufig bestimmte Kombinationen von Merkmalen sind, also z.B. welcher Anteil der weiblichen Bevölkerung in einer bestimmten Altersgruppe einen bestimmten Bildungsabschluss hat. So entstand eine Tabelle, die genau aufzeigt, wie häufig Kombinationen von Bildung, Altersgruppe und Geschlecht in der Bevölkerung sind. Mit dieser 5

Tabelle schickte ich dann (bezahlte) studentische Hilfskräfte los, damit sie Personen finden, auf die diese Kombinationen zutreffen, und zwar für jede Kombination genau so viele, wie es einem verkleinerten Abbild der Gesellschaft entspricht. Die Studierenden sollten also Personen zur Teilnahme an der Befragung bewegen, und zwar nach einer Quote, die mit der Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung übereinstimmt. So stellt man zwar im Gegensatz zur Telefonstichprobe sicher, dass die Stichprobe der Bevölkerung entspricht, aber sie ist dann nicht mehr zufällig ausgewählt. In der Kombination der beiden Verfahren kommt jedoch eine ganz gute Stichprobe heraus. Insgesamt beantworteten so 783 Personen meinen Fragebogen, der ein Online-Fragebogen war. Auch das schränkt natürlich die Übertragbarkeit auf die Gesamtbevölkerung ein, denn nicht jeder konnte ja ohne Weiteres an der Befragung teilnehmen. Da sich die Internetnutzung zunehmend in der gesamten Gesellschaft verbreitet und da ein Online-Fragebogen bei begrenzten Mitteln die günstigste Möglichkeit ist, viele Personen zu befragen, erschien mir das als eine befriedigende Lösung. Die Befragung wurde im Jahr 2009 durchgeführt.

Die Ergebnisse Mittels statistischer Verfahren, deren Details ich dem Leser erspare, konnte ich nun einige Zusammenhänge erschließen zwischen, einerseits, der sozialen Position einer Person und ihrer Eltern (etwa hinsichtlich der Menge an Kapital), den bisherigen Lebenserfahrungen und gesellschaftlichen Einflüssen (eben der Sozialisation), und auf der anderen Seite der Mediennutzung einer Person. Ich mache das an drei beispielhaften Bereichen fest: dem Zeitunglesen, der Fernsehnutzung und der Nutzung von Musik. So zeigt sich etwa, dass Personen mit einem höheren kulturellen und ökonomischen Kapital häufiger Zeitung lesen als solche mit einem geringen Kapital. Wer also beruflich in einer einflussreichen Position und privat recht gut mit Geld und Kulturgütern ausgestattet ist, der greift häufiger zur Tageszeitung. Außerdem wird die Zeitungsnutzung gleichsam „vererbt“: Wenn bereits im elterlichen Haushalt eine Tageszeitung abonniert wurde, dann nutzen auch die Befragten, die aus solchen Elternhäusern stammen, häufiger die Zeitung. Schließlich geht die Zeitungslektüre über die Generationen zurück: Jüngere Leute lesen seltener als ältere. Bei allen zufälligen Abweichungen von diesem Zusammenhang (und davon bleiben eine Menge) ist also das Zeitunglesen eine Frage der Sozialisation: Als eine grundlegend gesellschaftliche Tätigkeit wird es im Elternhaus erlernt, von den Eltern übernommen, und hängt es von der sozialen Stellung einer Person ab. Es ließen sich bestimmt noch genauere Einflüsse angeben, welche Zeitung genau gelesen wird, aber das habe ich nicht analysiert. Die Fernsehnutzung habe ich auf drei verschiedene Arten untersucht. Zunächst kann man einfach die Zeit betrachten, die eine Person täglich vor dem Fernseher verbringt. Je geringer dabei das ökonomische und kulturelle Kapital einer Person ist, also je einfacher ihre Stellung in der Gesellschaft, desto länger sieht sie im Durchschnitt fern. Dieser Einfluss der sozialen Position äußert sich auch so, dass Personen, die in sozialen, betreuenden oder lehrenden Berufen arbeiten, im Mittel 106 Minuten am Tag fernsehen, Personen in einfachen Dienstleistungsberufen dagegen durchschnittlich 175 Minuten, also mehr als eine Stunde länger. Ferner kann man natürlich danach fragen, welche Arten von Sendungen die Leute bevorzugt im Fernsehen anschauen. Dafür habe ich zunächst herausgefunden, welche typischen Muster es hinsichtlich dieser Vorlieben gibt. Es zeigt sich z.B., dass wer gerne Nachmittags-Talkshows sieht, auch gerne die ebenfalls nachmittäglichen Gerichtssendungen ansieht, und außerdem Seifenopern („daily soaps“) und Telenovelas sowie die verschiedenen Formate des so genannte Dokus-Soaps (z.B. die damals sehr aktuellen Sendungen wie „Einsatz in vier Wänden“ oder „Die Super Nanny“). Wer Nachrichtensendungen verfolgt, sieht auch häufiger politische Talkshows und Dokumentationen. Beide Varianten des Geschmacks beim Fernsehen schließen sich übrigens nicht aus, d.h. es gibt durchaus Personen, die beide Gruppen von Sendungen anschauen, natürlich aber 6

auch solche mit einer Vorliebe für nur eine oder keine der Gruppen. Sendungen der ersten Gruppe, also solche des Nachmittagsprogramms und aus dem Bereich des Reality-TV, werden statistisch eher von Personen mit geringerem kulturellem Kapital gesehen, von Personen mit einfacheren Bildungsabschlüssen und von Frauen. Bei den politischen und dokumentarischen Sendungen ist es umgekehrt: Hier schauen in der Tendenz eher Personen mit hohem kulturellem Kapital zu, und außerdem eher Männer (es sei daran erinnert, dass man bei Geschlechterunterschieden ebenfalls von Sozialisation sprechen müsste, nicht einfach nur von biologischen Unterschieden). Schließlich kann man sich der Fernsehnutzung noch auf eine dritte Weise nähern (zahlreiche weitere Fragestellungen sind natürlich denkbar): Wie sehen wir denn eigentlich fern? Damit sind solche Unterschiede gemeint, ob wir meist eher vertieft zusehen oder den Fernseher nebenbei als Hintergrundgeräusch laufen lassen. Ob wir mit viel Gefühl bei der Sache sind oder das Gesehene uns emotional eher kalt lässt. Ob wir den Fernseher nutzen, um von einem anstrengenden Alltag abzuschalten, oder z.B. interessiert die Machart von Sendungen unter die Lupe nehmen. Ob wir beim Fernsehen eigentlich so urteilen wie immer, ob wir uns erlauben, bei Filmbösewichten besonders schadenfroh zu sein, oder ob wir uns beim Fernsehen auch einmal an gesetzeswidrigen Taten ganz gut erfreuen können. Um es vorwegzunehmen: Bei diesen moralischen Fragen gibt es zwar erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Befragten, mit den von mir untersuchten Merkmalen wie der sozialen Herkunft, dem Kapital, dem Geschlecht usw. hängt das aber nicht zusammen. Lediglich jüngere Personen „erlauben“ sich hier etwas mehr – also eine Frage der Sozialisation je nach Generation. Ansonsten finden sich jedoch zwei grundsätzliche „Stile“ des Fernsehens (so wie jemand einen Schreibstil, einen Laufstil, einen Kleidungsstil hat, so gibt es auch „Stile“ des Fernsehens!)– ich habe zumindest zwei gefunden; es gibt sicher noch mehr, aber in einer einzelnen Studie kann man ja immer nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl an möglichen Arten des Fernsehens untersuchen, sonst nähme der ohnehin lange Fragebogen nie ein Ende. Der erste Stil besteht jedenfalls darin, sich selbst und das Gesehene emotional zu erkunden. Man vertieft sich in die Gefühle, die in einer Geschichte aufkommen, sieht sich auch einmal gerne einen traurigen Film an (man „erkundet“ also auch diese Seite an sich). Man verarbeitet beim Fernsehen auch Gefühle, die im Alltag bei einem aufkommen. Dieser Stil ist eher bei Personen mit höherem kulturellem Kapital verbreitet, ein wenig stärker auch bei Frauen (man sollte das aber nicht überbewerten: Der Zusammenhang ist recht schwach, und keinesfalls sind alle Frauen einfach immer emotional und die Männer praktisch nie. Manche Frauen sind es nur im Durchschnitt ein wenig häufiger). Außerdem fand ich, dass die Leute, die auf diese Weise fernsehen, häufiger aus Elternhäusern kommen, wo bereits eine warme und verständnisvolle Atmosphäre herrschte, wo viel miteinander geredet und diskutiert wurde und man sich besonders dafür interessierte, wie es dem anderen geht. Eine solche Erziehungsweise könnte also dazu führen, dass man später eher bereit ist, sich und seine Gefühle zu erkunden. Das heißt nicht, dass andere Personen emotional kalt und inkompetent wären, nur gehen sie eben nicht auf die eine, die gerade beschriebene Weise mit ihren Gefühlen um (und das betrifft ja auch nur das Fernsehen, nicht das restliche Leben!). Es gibt noch einen zweiten Stil beim Fernsehen, und der erste und der zweite schließen sich wiederum keineswegs aus, sondern es gibt durchaus Personen, die beide kombinieren und sozusagen zwischen ihnen „umschalten“. Dieser zweite Stil besteht vor allem darin, sich jenseits des anstrengenden Alltags ein wenig Freude und Spaß beim Fernsehen zu verschaffen. Man will sich einmal gehen lassen, sucht Humor, Spannung oder Action. Man hat aber auch, wie ich herausfand, ein wenig schlechtes Gewissen, da man nicht diejenigen Sendungen sieht, von denen man einmal gelernt hat, dass sie die Gesellschaft irgendwie für wertvoller hält. Schließlich hat man bei diesem Stil auch nichts dagegen, den Fernseher im Hintergrund laufen zu lassen. Wie lässt sich nun dieser Stil mit der Sozialisation, also den gesellschaftlichen Einflüssen im bisherigen Leben einer Person erklären? Ich fand bei der Auswertung der Daten meiner Befragten, dass er eher von Personen mit einem geringeren kulturellen Kapital verfolgt wird, und solchen, die aus weniger wohlhabenden Elternhäusern stammen. Man muss sich die beiden Stile aber auch so vorstellen, dass manche Leute genau das Gegenteil 7

davon tun. Die Stile funktionieren sozusagen in zwei Richtungen. Ich werde allerdings aus Gründen der Kürze nicht auf die gegenteiligen Stile eingehen, sondern belasse es bei den beiden Beispielen. Der dritte Aspekt der Mediennutzung, den ich untersucht habe, betrifft die Musik, die noch einmal einen ganz eigenen Bereich der Medienangebote darstellt, jenseits von geschriebenem Text und bewegten Bildern. Musikgeschmack gilt als etwas sehr Persönliches, Emotionales; darin scheint für viele Personen ihr wahres Wesen enthalten zu sein: Man identifiziert sich oft sehr mit seinem Musikgeschmack. Es ist aber nicht so sehr ein unveränderlicher Kern von uns selbst, der über die musikalischen Vorlieben entscheidet, sondern es sind gesellschaftliche Einflüsse, die zumindest mitbestimmen, welche Musikrichtungen wir mögen (Das schließt ja nicht aus, dass wir oft eine tiefe emotionale Beziehung zu einer bestimmten Musik haben. Das kommt gerade erst dadurch zustande, dass wir in unserem Leben, und besonders mit anderen Menschen zusammen, prägende Erlebnisse mit Musik hatten und deshalb oft tiefe Gefühle damit verbinden). Nehmen wir das Beispiel der klassischen Musik. Viele werden das Bild haben, dass sie eher von älteren Personen geschätzt wird. Das trifft in der Tendenz auch zu (Ausnahmen gibt es hier, wie überall bei meinen Befunden, natürlich reichlich, aber es geht hier immer um durchschnittliche, typische Zusammenhänge, die sich statistisch nachweisen und auf die Gesamtbevölkerung übertragen lassen). Außerdem mögen Frauen klassische Musik im Durchschnitt etwas eher. Vor allem hängt diese Vorliebe aber auch vom kulturellen Kapital einer Person ab: Je mehr, desto eher mag man klassische Musik. Das mag wenig überraschen, ist doch Klassik vielleicht der Inbegriff dessen, was man so „Kultur“ nennt. Aber nehmen Sie einmal folgenden Vergleich, um sich die Dimension des Unterschieds zu verdeutlichen. Ich hatte die Befragten gebeten, auf einer fünfstufigen Skala anzugeben, wie sehr sie klassische Musik mögen: 1 heißt, man mag überhaupt keine Klassik, 5 heißt, man mag sie sehr. Wir betrachten einmal nur die beiden höchsten Werte, 4 und 5, also die Leute, die Klassik wirklich mögen. Unter den Personen, die eine leitende oder hohe Funktion im kulturellen Bereich, im Bildungsbereich, der Verwaltung oder in der Forschung innehaben, sind 53% Klassikliebhaber, die also 4 oder 5 angekreuzt haben. Bei den einfachen Arbeitern sind es dagegen 21%. Vergleichen wir das mit den Altersunterschieden: Bei den Personen unter 30 Jahren sind 22% Klassikliebhaber, bei den Personen über 50 Jahren sind es 46%. Der Unterschied zwischen den Berufsgruppen ist also noch ein wenig stärker als zwischen den Altersgruppen. Ich kann hier nicht für alle musikalischen Stilrichtungen darstellen, welche Zusammenhänge es zur sozialen Stellung und zu Sozialisation gibt. Stattdessen berichte ich noch über eine andere Art, wie ich Musikgeschmack untersucht habe. Es gibt nämlich nicht nur die Vorlieben für bestimmte Musikgenres, sondern auch verschiedene Einstellungen zur Musik – Auffassungen darüber, wie Musik sein sollte, was gute Musik ist – unabhängig von der Stilrichtung. Ich habe den Teilnehmern meiner Untersuchung im Fragebogen 14 Aussagen vorgelegt, zu denen sie ihre Meinung sagen sollten, indem sie auf einer Skala von 1 bis 5 ihre Zustimmung oder Ablehnung ausdrückten. Ich fand nun, dass sich die Zustimmung zu diesen 14 Aussagen im Wesentlichen auf drei Grundüberzeugungen zur Musik bringen lässt (es gibt also drei Gruppen unter den 14 Aussagen, und zwar so, dass wenn man einer Aussage aus der Gruppe zustimmt, dann auch eher den weiteren derselben Gruppe, und wenn man eine ablehnt, dann mit einer größeren Wahrscheinlichkeit auch die anderen). Eine erste Grundüberzeugung liegt vor, wenn man Aussagen zustimmt, die alle etwas mit Spaß zu tun haben (man muss bei Musik mitsingen können oder gut darauf tanzen können), aber auch damit, dass man Musik auf recht konventionelle, alterhergebrachte Weise auffasst: Man lässt nicht alle heutigen Musikstile gelten, sondern ist der Meinung, dass manche neuere Musik einen unguten Einfluss auf die Hörer ausübt. Diese Grundüberzeugung, wie ich sie deute, besteht also in einer „spaßorientierten Konventionalität“. Weiter gibt es eine Gruppe von Aussagen, die dahin gehen, dass man eigenständige (oder „authentische“) Künstler mag, die ihre Musik selbst schreiben, ausgefeilte Texte und Musiker, die eine gewisse Rebellion gegen die Gesellschaft ausdrücken. Dagegen lehnt man die Musik, die üblicherweise im Radio gespielt wird, als zu einförmig ab. Ich habe die Überzeugung „rebellische Authentizität“ genannt. Die dritte Gruppe von Aussagen, die man zu einer Grundüberzeugung zusammenfassen kann, betreffen die Klassik, an die 8

die Personen mit dieser Überzeugung „glauben“: Sie stelle den Höhepunkt der Musikentwicklung dar, und man solle Kinder früh mit Musik in Kontakt bringen, sie sollten viel singen und ein Instrument erlernen (das heißt, wer der ersten Aussage zustimmte, neigte häufig auch der zweiten zu; sie bilden zusammen eine Grundüberzeugung). Man kann nun untersuchen, welche sozialen Bedingungen häufiger zur Herausbildung dieser drei Überzeugungen führen. Die „spaßorientierte Konventionalität“ wird von Personen vertreten, die ein eher geringeres kulturelles Kapital und einen einfacheren Bildungsabschluss haben und aus weniger gebildeten Elternhäusern stammen. Ihre Eltern verfolgten häufiger eine Erziehung, die auf Ruhe und Ordnung ausgerichtet war. Im Elternhaus wurde einerseits Wert auf Harmonie gelegt, aber auch auf Unterordnung unter die Eltern. Eine solche Erziehungsweise könnte also die Neigung bestärken, sich in den verschiedenen Fragen eher den alterhergebrachten Auffassungen anzuschließen und stilistischen Neuerung skeptisch gegenüber zu stehen. Ich habe die Teilnehmer auch noch nach ihren Einstellungen zu anderen gesellschaftlichen Sachverhalten gefragt, und ich fand, dass wer zu Politik, Familie und Gemeinwesen eher traditionelle, an Autoritäten ausgerichtete Überzeugungen hat, auch hinsichtlich der Musik eher zu jenen konventionellen Überzeugungen neigt. Diese Überzeugung hat aber eben auch die andere Seite, dass man hier auf ungekünstelte Freude an der Musik setzt, auf eingängige Melodien und tanzbare Rhythmen. Für die rebellische Authentizität stellte sich heraus, dass Personen mit höherem kulturellem Kapital zwar ein wenig eher dieser Überzeugung zuneigen, und ebenso Jüngere, dass aber diese Haltung kein Privileg irgendeiner Gruppe ist, sondern eher wenig mit den verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen zusammenhängt, die ich untersucht habe. So wie die Neigung zur Klassik sich als eine Vorliebe erwies, die mit dem kulturellen Kapital zusammenhängt, so findet sich dies auch für die Grundüberzeugung, dass die Klassik wertvoll und Musik förderlich für Kinder sei. Hier zeigt sich allerdings kein Zusammenhang mit dem Alter, was man so deuten kann, dass zwar jüngere Leute nicht mehr so häufig Klassikfans sind, aber trotzdem die gesellschaftlich verbreitete Vorstellung erworben haben, dass Klassik einen besonderen Wert habe. Ein wesentlicher Einfluss könnte hier z.B. von der Schule ausgehen: Die Lehrpläne im Fach Musik sind vielfach immer noch durch die Klassik geprägt, und irgendwie könnte es der Schule gelingen, das wir einen gewissen, manchmal recht unbestimmten „Glauben“ an die Klassik mitnehmen, die Schule es vielfach aber nicht schafft, uns auch die „Liebe“ zur Klassik mitzugeben (Hier gilt schon bei allem bisher Gesagten: Wie man das bewertet, ist eine andere Sache. Man mag den Rückgang der Vorliebe für die Klassik bedauern und daran festhalten wollen, dass die Schule möglichst viel davon vermittelt. Oder man kann finden, dass sie sich neuen Formen der Musik zuwenden sollte und uns nicht belehren, dass man eine längst vergangene Epoche der Musikgeschichte bewundern müsse). Insgesamt habe ich also festgestellt, dass Personen mit hohem Kapital (vor allem kulturellem) diejenigen Medienangebote nutzen, denen gesellschaftlich ein höherer „kultureller Wert“ zugeschrieben wird (Dabei gilt wiederum: Ob man diese Wertschätzung uneingeschränkt teilen mag, ist eine andere Frage). Personen, die in kulturellen Arbeitsgebieten wie Bildung und Forschung eine gehobenere Position einnehmen oder in Unternehmen in gehobener Stellung tätig sind, lesen häufiger Zeitung, sehen weniger fern und schauen öfter politische Sendungen. Manche können sich auch mal eine gewisse rebellische Haltung „leisten“, vor allem wenn sie jünger sind. Außerdem nutzen Personen mit einem höheren kulturellen Kapital und solche, die eine offene Erziehungsweise erlebt haben, das Fernsehen dazu, sich selbst und das Dargestellte emotional zu erkunden. Die Personen mit geringem kulturellem und ökonomischem Kapital, die einfachen Arbeiter und Personen in den einfachen Dienstleistungsberufen dagegen schätzen das Bodenständige, Eingängige, die gute Unterhaltung – wenn man hier auch eine Tendenz feststellen kann, an konventionellen, althergebrachten Vorstellungen und Formen festzuhalten. Man ist hier auch stärker darauf verwiesen, Ausgleich für Belastungen und Anstrengungen zu finden. Man neigt zu Angeboten, die Spaß oder Entspannung bieten und eine kleine lustvolle Flucht aus dem Alltag in eine aufregende oder harmonische Gegenwelt ermöglichen. Diese schematische Gegenüberstellung zweier Gruppen von Mediennutzern soll dabei natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es 9

zahlreiche individuelle Vorlieben und Nutzungsweisen gibt und dass zahlreiche weitere Einflüsse unsere Mediennutzung mitbestimmen. Jedoch konnte meine Untersuchung einen kleinen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, warum wir die Medien so nutzen, wie wir es tun.

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