Workshop „Von der Selbstachtung zum Widerstand gegen die Ökonomisierung im Sozial- und Gesundheitswesen“ (Fred Müller, Horst Börner)

Wie wir denken, so sprechen wir – wie wir sprechen, so denken wir Mechthild Seithe schätzt die Situation in der Sozialen Arbeit in ihrem Vortrag „Das kann ich nicht mehr verantworten!“, den Sie im vergangenen Jahr (10.10.2013) in Bielefeld gehalten hat, wie folgt ein: Ökonomisierung hat nichts zu tun mit der Frage, dass auch Soziale Arbeit Geld kostet und es erforderlich ist, dass sie mit diesem Geld verantwortlich umgeht. Ökonomisierung bedeutet aber etwas anderes, nämlich die bedingungslose Unterwerfung der Ziele, Methoden, Orientierungen der Sozialen Arbeit unter das Gebot der wirtschaftlichen Effizienz. Die Soziale Arbeit wird im Rahmen der Ökonomisierung quasi durch die Betriebswirtschaft gleichsam kolonialisiert. Die Sozialarbeitenden sind gezwungen, sich in einer für sie fremden Sprache auszudrücken und sich Denkstrukturen anzupassen, die für uns professionsfeindlich sind. Zwei Grundpositionen der neoliberalen Politik sind für sie dabei Richtung weisend: 1. Ökonomisierung: Soziale Arbeit wird dadurch gezwungen, sich immer mehr von ihrer Fachlichkeit wie ihrer Ethik zu verabschieden und zwar mit folgenden Konsequenzen: • • • • •

Soziale Arbeit hat sich zu rechnen. Soziale Arbeit verliert ihre professionelle Autonomie. Soziale Arbeit kann verhandelt und organisiert werden wie eine Warenproduktion. Soziale Arbeit kann so geführt werden, dass sie Profit abwirft. Soziale Arbeit wird nur da finanziert, wo sie effizient ist, also nicht bei Problembereichen und/oder Menschen, die selber nicht als effizient gelten.

2. Aktivierender Staat (neoliberale und neokonservative Ideologie): Durch Hartz IV wurde diese Ideologie quasi zur gesetzlichen Richtschnur des Sozialen in diesem Staat und steuert damit das Soziale und natürlich auch die Soziale Arbeit. Sie begründet sich nicht vordergründig ökonomisch. Aber sie zielt auf eine Entwertung der Menschen ab, die ökonomisch uninteressant und nutzlos scheinen. Das führt in der Sozialen Arbeit zu folgenden Konsequenzen: • •

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Das Interesse an Menschen engt sich auf ihre Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit (Employability) ein - mit dem Ziel, dass für sie nicht weiterhin öffentliche Gelder ausgegeben werden müssen. Abhängig machen der Unterstützungsleistungen von der – vorgegebenen – Gegenleistung. Damit gibt es keine sozialen Rechte mehr. Der Sozialstaat wird abgelöst durch einen Suppenküchenstaat, in dem Unterstützung von Willkür und Demütigung – und wenn man Glück hat - von Barmherzigkeit begleitet wird. Es entsteht in der Gesellschaft die Ideologie, Menschen hätten unterschiedlichen Wert. Die Schuld wird grundsätzlich dem Betreffenden angelastet und der Staat spricht sich frei von Schuld und Verantwortung. Die Probleme der Menschen sind nicht mehr Konflikte zwischen gesellschaftlichen Interessensunterschieden, sondern nur noch die Probleme der Einzelnen selber.

Mechthild Seithes Fazit: Ökonomisierung und Einbindung in den aktivierenden Staat haben auf die Soziale Arbeit eine verheerende Wirkung. • • •

Sozialarbeitende selber werden - ob sie wollen oder nicht – zu Handlangern dieser neosozialen Politik. Ihre Profession, ihre Ethik und ihre Fachlichkeit sind in akuter Gefahr. Dennoch müssen Sozialarbeitende versuchen, doch irgendwie über Wasser zu bleiben. Dieser Anpassungsprozess führt Schritt für Schritt zu Veränderungen auch in ihren Köpfen.

Viktor Klemperer, ein jüdischer Sprachwissenschaftler, der im Dritten Reich seiner wissenschaftlichen Tätigkeit enthoben wurde, hat sich u.a. mit der Veränderung der Sprache im Alltagsgebrauch befasst und ihre Wirkung mit folgendem Bild charakterisiert: „... Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse... Worte können sein wie Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ (Victor Klemperer, LTI Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reiches, 1946)

Im ersten Teil des Workshops setzen wir uns genau mit dem sich verändernden Sprachgebrauch in unseren sozialen Arbeitsfeldern auseinander. Wir sind davon überzeugt, dass sich im Sozialen Feld ein Wertewandel in den letzten zwanzig Jahren vollzogen hat, der uns in Haltung und Denken prägt. Ziel ist es, sich dieser subtilen Prozesse bewusst zu werden und gemeinsam zu überlegen, ob und was wir auf dieser Ebene an Widerstandsmöglichkeiten entwickeln können. Zuerst verwirren sich die Worte, dann verwirren sich die Begriffe, und schließlich verwirren sich die Sachen. (Chinesische Weisheit) Welche Bedeutung heute die Medien in diesem Prozess der Beeinflussung durch Sprachgebrauch einnehmen, schlussfolgert Gunter Hoffmann wie folgt: Von den Medien ging “fast unisono, einschließlich der liberalen Blätter (mit Ausnahme kleiner Randphänomene wie dem Freitag, gelegentlich auch noch der taz) der Zwang aus, einen neoliberalen Kurs einzuschlagen: Die ´soziale Frage´ galt nicht nur als vernachlässigbar, sie wurde vielmehr regelrecht als Traditionsballast diffamiert, den man abschütteln müsse, um in der zunehmenden Weltmarktkonkurrenz nicht abgehängt zu werden.” (Gunter Hofmann, „Das soziale und der Zeitgeist, eine Einlassung auf das letzte Jahrzehnt“ aus Deutsche Zustände Folge 10, Hg. Wilhelm Heidmeyer, 2011)

Es bedarf einer aufmerksamen Beobachtung und auch kritischer Selbstbeobachtung, um die Wirkung der aktuellen Sprache auf unser Denken und Planen zu erkennen. Zur Einstimmung auf das, worauf es hier ankommt, sei eine kurze Passage aus der Dresdner Rede Unsere schönen neuen Kleider (26.02.2012) von Ingo Schulze zitiert.

Ingo Schulze ist Publizist und Schriftsteller, der in der DDR sozialisiert wurde, und dadurch einen besonderen Blick auf unsere viel gelobte soziale Marktwirtschaft hat. Er analysiert unseren heutigen Sprachumgang in der westlich geprägten Marktwirtschaft wie folgt: Die Ideologie besteht darin, die Fakten und Tatsachen so aussehen zu lassen, als handele es sich um etwas Gegebenes, naturgesetzlich Vorgefundenes, womit wir uns abzufinden, womit wir uns zu arrangieren haben. Dieser Sprachgebrauch lockt von den politischen, sozialen, ökonomischen und historischen Zusammenhängen und Fragen weg, und führt in Gefilde, in denen es keine Infragestellung des Status quo gibt, in denen alle Zwänge Sachzwänge sind und gegensätzliche Interessen nur an der Oberfläche existieren. Eine Sprache, die aus Geschichte Natur macht, eine Natur, die zu ändern nicht in unserer Macht steht, mit der wir uns zu arrangieren, an die wir uns zu gewöhnen haben. Die neuen gültigen Spielregeln wurden als die einzigen anstrebenswerten vorausgesetzt und verabsolutiert, wer sie nicht akzeptiert, stellt sich außerhalb des Diskurses. Am Diskurs teilnehmen dürfen jene, die Profit „Shareholder value“ nennen, die zu demjenigen, der seine Arbeitskraft verkauft, „Arbeitnehmer“ sagen und zu demjenigen, der die Arbeit kauft, „Arbeitgeber“. Steuersenkung für Unternehmen und Unternehmer werden „Entlastung der Investoren“ genannt, aus der Senkung der social security wird „Leistungskürzung für Arbeitsunwillige“, die Belastung für Arme heißt „Eigenverantwortung“, die Kürzung der Arbeitslosenhilfe wird zum „Anreiz für Wachstum“, die Senkung der geringsten Einkommen wird als „globale Konkurrenzfähigkeit“ oder „marktgerechte Beschäftigungspolitik“ bezeichnet, Gewerkschaften, die für Flächentarifverträge eintreten, werden zu „Tarifkartellen“ und „Bremsern“ und so weiter. Diese Beispiele mögen erst einmal genügen, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie Sprache uns besänftigt, wo wir eigentlich aufbegehren müssten, wie sie uns hinters Licht führt, wo wir eigentlich klar sehen müssten. Die Sprache taugt ebenso gut zum Finden wie zum Verstecken der Wahrheit (dt. Aphoristiker, Satiriker, Fachjournalist, 1959 – 2006)

Der oben bereits zitierte Sprachwissenschaftler Viktor Klemperer hat sich ein Wörterbuch angelegt, in dem er die sich verändernde Alltagssprache mit ihrem Bedeutungsgehalt dokumentiert hat. Es wird sich lohnen, ein Wörterbuch mit den Begriffen zu eröffnen, die unsere Soziale Arbeit mittlerweile durchziehen und dabei festzuhalten, welchen Bedeutungsgehalt sie vermitteln. Das schärft die eigene Wahrnehmung für das, was durch die Sprache transportiert wird. Wenn uns bewusst wird, welche Auswirkung dieses Phänomen auf unser Denken hat, gilt es zu überlegen, welche Konsequenzen dies für unseren eigenen Sprachgebrauch haben kann. Dann fallen uns hoffentlich auch Strategien ein, wie wir diesen subtilen Einflüssen begegnen können bis hin zu möglichen Widerstandsformen. Schauen wir einmal, was mit verschiedenen Begriffen transportiert wird:



Wie sprechen Sie über die Menschen, auf die sich Ihre Arbeit bezieht. Sind es Kunden, Klienten, Betreute, Hilfeempfänger, Nutzer ...? Stimmen die von Ihnen genutzten Begrifflichkeiten noch mit der Zielsetzung Ihrer Tätigkeit und sozialen Aufgabe überein?



Was heißt es eigentlich, wenn wir in der sozialen Arbeit von Dienstleistung sprechen?



Was bedeutet in Ihrem Arbeitsbereich z.B. Qualitätsmanagement konkret?



Tauchen in Ihren Leitbildern Begriffe wie Effizienz, Management, Wettbewerb, Marktorientierung, Konkurrenz oder Ähnliches auf? Wie übersetzen Sie z.B. die Forderung nach effizienter Arbeitsweise im sozialen Arbeitsfeld?



Wurden Ihnen in den letzten Jahren schon einmal Entscheidungen verkündet? Gibt es diese überhaupt?



Sind Sie in letzter Zeit über Worte mit „guter Vorbedeutung“ (Euphemismen) gestolpert? Beispiele: Aus Müll wird Wertstoff, aus Mitarbeiterentlassung wird Mitarbeiterfreisetzung oder Gespräche werden immer wieder gerne auf Augenhöhe geführt.

alternativlose

Nach dem Impulsreferat stellen wir einige Begriffe zur Diskussion und überprüfen ihre Bedeutung für die Arbeit im Sozial- und Gesundheitswesen. Wie sprechen wir über die Menschen, denen unser beruflicher Auftrag gilt? Es kommt folgende Sammlung von Begriffen zustande: Klient, Kunde, die Jugendlichen, AdressatIn, BewohnerIn, TeilnehmerIn, ProbantIn, „meine“ Frau ... oder einfach der Name der oder des betreffenden Menschen, um den es gerade geht. In einigen Einrichtungen und Arbeitszusammenhängen wird z.B. der Kundenbegriff vorgeschrieben (Beisp. Job-Center). Der Kundenbegriff oder Probant aber auch Klient erzeugen z.T. falsche Assoziationen. Sie implizieren Freiwilligkeit und Autonomie des Menschen, die in vielen Zusammenhängen der sozialen Arbeit nicht gegeben sind. Außerdem suggerieren sie eine gleichberechtigte Geschäftsbedingung, die meistens nicht gegeben ist. Damit beschönigen und kaschieren sie Realitäten von Abhängigkeit und Unfreiwilligkeit. Wir kommen zu dem Schluss, dass wir uns im Alltagsgebrauch einer Sprache bedienen sollten, die dem tatsächlichen Sachverhalt und der realen Situation entspricht. Schon damit könnten wir Widerstand entwickeln und zu bewusstem Umgang mit Begriffen herausfordern. Es würden an manchen Arbeitsstellen dadurch Diskussionen angeregt, die insgesamt dazu beitragen können, wieder zu einer angemessenen Sprache zurück zu kommen. Qualität und Qualitätsmanagement im Sozialen Arbeitsfeld Qualität angewandt im Sinne einer Industrienorm erscheint für soziale Arbeit gänzlich ungeeignet. Erfolg von sozialen Interventionen in Messzahlen auszuweisen und zu

beurteilen, kann den Inhalt dieser Arbeit in keiner Weise wiedergeben. Wir stellen fest, dass die Übernahme von Qualitätsmanagement in den Sozialen Bereich dem Kern der Arbeit nicht gerecht wird, sobald sie in bloßen Zahlen und Häufigkeiten aufgeschlüsselt wird. Ein solches Verfahren, das sich mit manchen Zertifizierungsverfahren in die soziale Arbeit eingeschlichen hat, ist für eine Erfolgsmessung völlig ungeeignet. Beziehungen lassen sich nicht sinnvoll in Zeitund Aufwendungseinheiten ausdrücken. Qualitätsmanagement als Verfahren verstanden, systematisch die Arbeit zu reflektieren und Entwicklungen bewusst zu machen, hat dagegen durchaus eine Berechtigung wie Beispiele aus der Praxis belegen. Es ergibt sich also die Forderung, Qualität für die soziale Arbeit neu zu definieren und von der Logik von DIN- Normen deutlich abzugrenzen. Wenn man also über Qualität in der sozialen Arbeit spricht, sollte man sich einigen, was damit gemeint ist. Derartige Diskussionen können den Kern sozialer Arbeit herausarbeiten und verhindern ein Abgleiten in betriebswirtschaftliche Kategorien. Was heißt Effizient in der Sozialen Arbeit? Effizienz im Sinne von betriebswirtschaftlicher und industrieller Denkweise erscheint für die Soziale Arbeit ebenfalls ein völlig ungeeigneter Begriff zu sein. Er stellt mittlerweile in sozialen Zusammenhängen ein Synonym für Kürzungen dar. Ist man zu effizientem Arbeiten angehalten, so sollte immer darum gebeten werden, dies präzise zu definieren. Effizienz bedeutet im Sprachgebrauch immer, das gleiche Ergebnis mit geringerem Aufwand zu erzielen. Es wird aber schnell klar, dass bei dem Umgang mit Menschen sowohl schwer zu vergleichen ist, was ein gleiches Ergebnis ist und nicht selten ist auch der Aufwand in der Beziehungsarbeit schwer zu messen, geschweige denn zu vergleichen. Außerdem ist den Praktikern in der Sozialen Arbeit selbstverständlich, dass ein lineares zielgerichtetes Handeln oft nicht möglich ist, sondern dass man nicht selten Umwege gehen muss, um in einem Hilfeprozess ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Kommt der Begriff Effizienz im sozialen Bereich zur Anwendung, dann ist immer nachzufragen, was konkret darunter verstanden wird. Eine Nachfrage wird offen legen, dass in der Regel Wirtschaftlichkeit und nicht der Mensch im Vordergrund steht. Anhand einiger Begriffe, wie oben beschrieben, wird insgesamt deutlich, dass eine Sensibilisierung für die Sprache, mit der wir umgehen, zum Nachdenken anhalten wird und spannende Diskussionen in Arbeitszusammenhängen auslösen wird. Hier konsequent auf Klärung zu insistieren, wäre eine sehr feine Form von Widerstand, die auf lange Sicht Wirkung zeigen kann. Was hindert und was unterstützt den Widerstand an nicht mehr zu verantwortenden Arbeitsbedingungen bzw. Arbeitsaufträgen? Im zweiten Teil des Workshops befassen wir uns damit, was im Falle von kritikwürdigen Arbeitsbedingungen und –anforderungen zu berücksichtigen ist, wenn man sich dagegen zur Wehr setzen will. -

Wenn man Kritik üben will empfiehlt es sich, dies mit gleich gesinnten KollegInnen vorher vorzubereiten. Es ist gut zu wissen, von wem Unterstützung zu erwarten ist. Manchmal sind die Menschen, denen unser berufliches Engagement gilt, wichtiger Rückhalt in Konfliktsituationen.

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Empörung ist ein Wegweiser, dass etwas nicht mehr stimmt und angesprochen werden muss. Gelassenheit in der konkreten Auseinandersetzung ist trotz aller Empörung eine wichtige und hilfreiche Voraussetzung. Es ist stärkend zu erfahren, dass man mit seiner Wahrnehmung nicht alleine ist, erst recht, wenn man am eigenen Arbeitsplatz wenig Rückhalt erfährt. Deshalb ist es wichtig, sich sozialpolitisch zu informieren. Für eine sichere Position in Konfliktsituationen ist eine gute Fachlichkeit Voraussetzung. Sie liefert Stoff für die Argumentation und sorgt für Sachlichkeit. Um sich zu unhaltbaren Zuständen zu äußern, ist es hilfreich, mit einer eher Experimentier-Haltung in Konfliktsituationen zu gehen. Das beugt Misserfolgserlebnissen vor und hält den Blick offen für neue Versuche. Wo kein Gespräch intern mehr möglich ist, sollte man an die Öffentlichkeit gehen, möglichst über geeignete Organisationen. Grundüberzeugung für die Entscheidung zum Widerstand: Man ist kein Sklave der Bedingungen. Alternativlosigkeit ist eine Behauptung der vermeintlich Mächtigen. Neoliberale Strukturen und Denkmuster spiegeln kein Naturgesetz wider, sondern sie sind politisch erzeugt und können auch verändert werden.

(Horst Börner)