Tiefe Beinvenenthrombose: Pathogenese, Diagnostik und Therapie Was ist gesichert? Welche Fragen bleiben offen?

5 © 2005 Schattauer GmbH Tiefe Beinvenenthrombose: Pathogenese, Diagnostik und Therapie Was ist gesichert? Welche Fragen bleiben offen? H. K. Breddi...
Author: Clara Wagner
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Tiefe Beinvenenthrombose: Pathogenese, Diagnostik und Therapie Was ist gesichert? Welche Fragen bleiben offen? H. K. Breddin Schlüsselwörter

Keywords

Mots clés

Tiefe Beinvenenthrombose

Deep vein thrombosis

Thrombose veineuse profonde des jambes

Zusammenfassung

Summary

Résumé

Ausgehend von der Virchow-Trias werden die prädisponierenden Faktoren zur Thromboseentstehung sowie angeborene und erworbene Hämostasedefekte diskutiert, die thrombosefördernd wirken können. Voraussetzung für die Entstehung einer Thrombose sind wohl immer lokale Endothelschäden, die zur Plättchenhaftung und -aggregation an der veränderten Gefäßwand führen. Neben der direkten Endothelschädigung nach Traumen oder bei Operationen entstehen auch multiple Endotheldefekte nach operativen Eingriffen als Folge einer Dilatation großer Venen. Bei experimentellen Thrombosen sollte der Blutfluss nicht völlig unterbrochen werden. Entscheidend für die Brauchbarkeit der Thrombosemodelle sind außerdem ein definierter Gefäßwandschaden und eine gut definierte Methode zur Messung der Thrombusbildung. Thrombosediagnostik: Die meist verwendete Nachweismethode ist die Duplexsonographie (Kompressionssonographie). Die Phlebographie ist in manchen Situationen erforderlich, eignet sich aber nicht für kurzfristige Kontrollen. Bei Verdacht auf eine tiefe Venenthrombose schließt ein negativer D-Dimer-Test diese praktisch aus. Die Standardbehandlung der akuten tiefen Venenthrombose besteht in einem Kompressionsverband und der Gabe eines niedermolekularen Heparins (NMH) und anschließender Behandlung mit einem Vitamin-K-Antagonisten. Die Patienten sollten früh mobilisiert werden. Oft, besonders bei Malignomen, ist eine langfristige Gabe eines NMH in therapeutischer oder subtherapeutischer Dosierung notwendig. Endpunkte in klinischen Studien: Bisher wird in erster Linie die Phlebographie verwendet. Die Änderung im Marder-Score eignet sich zur Beurteilung von Thrombusregression oder -progression. In Zukunft sollten hierfür sonographische Endpunkte verwendet werden. Entsprechende Scores sind in der Entwicklung. Zukünftige Entwicklungen: Besonders zur Verhütung des postthrombotischen Syndroms ist bei einigen Patienten aber eine intensivere oder andere Behandlung für eine ausreichende Thrombusregression in den ersten Wochen nach tiefer Venenthrombose nötig. Bessere Kontrollen und weitere Studien werden dringend benötigt. Phlebologie 2005; 34: 5–14 Eingegangen: 5. November 2004

If factors which promote thrombus formation are discussed, Virchow’s triad is usually mentioned. In this review predisposing factors and inborn and acquired haemostatic defects which promote thrombosis are described. Local endothelial defects which lead to platelet adhesion and aggregation at the damaged vessel wall are always a prerequisite of thrombus formation. Besides, the direct endothelial damage after traumatic lesions or during operations multiple endothelial defects in large veins occur after major operations caused by venous dilatation. The mechanism responsible for the venodilatation has not yet been defined. In experimental thrombosis blood flow should not be interrupted. Decisive for the usefulness of a thrombosis model are a defined vascular damage and a well defined method to measure thrombus formation. Diagnosis of deep vein thrombosis (DVT): Actually most frequently duplex-sonography (compression-sonography) is used. Phlebography is still necessary, but not useful for short term controls. A negative D-dimer test practically excludes a DVT. The standard treatment of acute DVT is a compression bandage and the use of a low molecular weight heparin (LMWH) followed by a vitamin K antagonist. Patients should be mobilized early. Often, especially in patients with malignoma, a longer treatment with an LMWH in therapeutic or subtherapeutic dosage is necessary. Endpoints in clinical trials: Up to now mainly phlebographic endpoints have been used. Changes of the Marder score are suitable to evaluate thrombus regression or progression. In future sonographic endpoints should be used for this purpose. Sonographic scores are being developed. Future developments: For the prevention of postthrombotic syndrome some patients need a more intensive or alternate treatment for sufficient thrombus regression during the first weeks after an acute DVT. Better methods to define thrombus regression and further studies in this area are needed urgently.

Deep vein thrombosis: pathogenesis, diagnosis and therapy. What’s proven? What’s uncertain?

Sur la base du trias de Virchow, les facteurs prédisposant à la formation de thromboses ainsi que les défauts hémostatiques congénitaux et acquis, susceptibles de favoriser la formation de thromboses, ont fait l’objet d’une discussion. Les conditions pour la formation d’une thrombose sont probablement toujours des lésions endothéliales locales, qui entraînent une adhésion et une agrégation des plaquettes sur la paroi vasculaire modifiée. Outre les lésions endothéliales directes apparues après des traumas ou lors d’interventions chirurgicales, des défauts endothéliaux multiples sont survenus après des interventions chirurgicales suite à la dilatation de grandes veines. Lors de thromboses expérimentales, le flux sanguin ne devait pas être interrompu totalement. Les facteurs décisifs de l’utilité des modèles de thrombose sont en outre une lésion définie de la paroi vasculaire et une méthode bien définie pour mesurer la formation du thrombus. Diagnostic de la thrombose: La méthode de détermination la plus utilisée est l’échographie duplex (échographie de compression). Le traitement standard de la thrombose veineuse profonde aiguë comprend le port d’un bandage compressif et l’administration d’une héparine de bas poids moléculaire (HBPM), le tout suivi d’un traitement avec un antagoniste de la vitamine K. Les patients devraient être mobilisés rapidement. Souvent, surtout lors de malignomes, l’administration prolongée d’une HBPM à la dose thérapeutique ou sous-thérapeutique est nécessaire. Critères d’évaluation lors d’études cliniques: Jusqu’ ici, c’est surtout la phlébographie qui a été utilisée. La variation du score de Marder permet d’évaluer la régression ou la progression du thrombus. Pour cela on prévoit d’utiliser à l’avenir des critères d’évaluation échographiques. Développements futurs: En particulier pour prévenir le syndrome post-thrombotique, un traitement plus intense ou un autre traitement s’impose chez certains patients, afin d’obtenir une régression suffisante du thrombus durant les premières semaines après une thrombose veineuse profonde. De meilleurs contrôles et des études complémentaires sont absolument nécessaires. Thrombose veineuse profonde des jambes: Pathogenèse, diagnostic et traitement. Qu’est-ce qui est sûr? Quelles sont les questions ouvertes?

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6 Breddin

Thrombogenese Die in der Welt meist verbreitete Erklärung der Thrombogenese ist die Virchow-Trias (Tab. 1). Diese besagt, dass Gefäßwandschäden, Änderungen der Blutzusammensetzung (gesteigerte Gerinnbarkeit) und eine Stase oder verminderter Blutfluss zur Thromboseentstehung führen. Virchow hat in seinen Arbeiten alle diese Aspekte angesprochen, aber die Virchow-Trias stammt nicht von ihm (7,20). Seine Schüler proklamierten sie nach seinem Tod. Die VirchowTrias wird häufig als Faktum oder Dogma verkündet. Sie ist aber noch immer nur eine, allerdings sehr attraktive Forschungshypothese, wobei das Hauptaugenmerk im Laufe der Jahre auf jeweils andere Bestandteile der Trias gerichtet war. Schon 1888 diskutierten Ebert und Schimmelbusch (15), ob Stase ein Kausalfaktor für die Thrombogenese sein könne. Sie zeigten, dass dies unwahrscheinlich ist, weil ein völliger Verschluss von Venensegmenten bei Tieren nicht zur Thrombose führt. Im Gegensatz dazu wurde in jüngeren Übersichten über die Thrombogenese (29,49) die mögliche Rolle der Stase bei der Auslösung von Venenthrombosen wieder hervorgehoben.

Prädisponierende Faktoren Venöse Thrombosen treten bei Frauen etwas häufiger auf als bei Männern. Das Risiko einer venösen Thrombose steigt mit dem Alter. Immobilisierung ist ein gesicherter prädisponierender Faktor und die Kombination von Alter und Bettruhe steigert das Risiko. Vorausgegangene Thromboembolien sind wichtige Risikofaktoren für spätere neue Thrombosen. Herzinsuffizienz und maligne Tumoren bedingen ein deutlich erhöhtes Risiko einer tiefen VeTab. 1 Virchow-Trias Stase

Gefäßwandschaden

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lokal oder allgemein gesteigerte Gerinnung

nenthrombose. Frische Thrombosen bei älteren Patienten ohne äußeren Anlass sind nicht selten das erste Zeichen eines Malignoms (35,39). Operationen und Traumen, besonders längere und ausgedehnte Eingriffe, steigern das Thromboserisiko. Dies gilt für den Hüft- und Kniegelenkersatz. Nach Schlaganfällen sind Thrombosen in dem betroffenen gelähmten Bein häufig. Auch die Einnahme hormonaler Kontrazeptiva führt zu einem gesteigerten Thromboserisiko (21).

Hämostasedefekte und Thromboserisiko Angeborener oder erworbener Mangel an Antithrombin, Protein C oder Protein S und anderen Faktoren sind prädisponierende Faktoren für eine Thrombose. Bei Patienten mit homozygoten Defekten ist das Risiko sehr viel größer als bei den heterozygoten Trägern. Patienten mit heterozygoten Defekten leben lange ohne thrombotische Erkrankung. Bei einigen Patienten führt ein Trauma, eine Operation oder eine verlängerte Immobilisation zur Thrombusbildung. Mit dem Alter steigt das Thromboserisiko erheblich. Der relativ seltene Antithrombinmangel (60 kg 6300 IU Vitamin-K-Antagonist ab Tag 1

Reviparin einmal täglich subkutan für vier Wochen Dosierung nach Körpergewicht in drei Kategorien: 35-45 kg: 3500 IU 46-60 kg 4200 IU >60 kg 6300 IU Vitamin-K-Antagonist ab Tag 21

b) Gewichtskategorien Reviparin

niedrig 35-45 kg

mittel 46-60 kg

hoch > 60 kg

gesamt

zweimal täglich n (%) einmal täglich n (%)

4 (1,1) 4 (1,1)

30 (7,7) 30 (8,0)

354 (91,2) 340 (90,9)

388 (100) 374 (100)

c) Responder, unverändert (± 30%) und Thrombuszunahme laut Marder-Score Responder n (%) unverändert n (%) Zunahme n (%)

129 (40,2) 167 (52,0) 25 (7,8)

175 (53,4) 140 (42,6) 13 (4,0)

167 (53,5) 128 (41,0) 17 (5,5)

p = 0,0003 (Reviparin zweimal/Tag versus unfraktioniertes Heparin) p = 0,0014 (Reviparin einmal/Tag versus unfraktioniertes Heparin)

Seit vielen Jahren haben wir uns bemüht, Endpunkte für klinische Studien zu entwickeln, die auf der Reduktion der Thrombusmasse basieren. So haben wir z. B. als phlebographische Endpunkte auf der Basis des Marder-Scores den Begriff Responder und Non-Responder eingeführt (Tab. 4). Als Responder ist ein Patient definiert, bei dem der phlebographische Marder-Score beispielsweise zwischen Tag 0 (Diagnosestellung) und Tag 21 um 30% oder mehr abnimmt. Als NonResponder bezeichnen wir Patienten, bei denen der Marder-Score zwischen -29 und +29% im Vergleich zu Tag 0 verbleibt. Bei einigen Patienten nimmt der Marder-Score um mehr als 30% zu (d. h. Verschlechterung). Ähnlich dem Marder-Score lassen sich natürlich auch für die Kompressionssonographie solche Maßstäbe entwickeln. Sonographische Scores werden zurzeit in klinischen Studien (z. T. im Vergleich mit der Phlebographie) auf ihre Validität geprüft. In einer großen klinischen Studie (5) haben wir anhand phlebographischer EndPhlebologie 1/2005

punkte die Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung mit Reviparin (zweimal täglich eine Woche lang) im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin bei Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose untersucht. In einer dritten Behandlungsgruppe wurde die Gabe von Reviparin (einmal täglich) vier Wochen lang geprüft (Tab. 5). Die Patienten, die zweimal täglich Reviparin oder unfraktioniertes Heparin erhielten, wurden ab dem dritten Behandlungstag mit einem oralen Antikoagulans (Vitamin-K-Antagonisten) behandelt. Die Patienten unter Langzeitgabe von Reviparin erhielten den Vitamin-K-Antagonisten erst ab Tag 21. In der CORTES-Studie wurde somit nicht nur Reviparin mit unfraktioniertes Heparin Tab. 6 Symptomatische Rezidive (tiefe Venenthrombose und Lungenembolie) und Response Response

ja

nein

Rezidive ja n (%)

5 (1,1)

466 (98,9)

Rezidive nein n (%)

34 (6,9)

456 (93,1)

p