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SWR2 Wissen Rettet die Moore Schutz für einen ausgebeuteten Lebensraum Von Anna Florenske Sendung: Mittwoch, 6. November 2013, 08.30 Uhr Wiederholung: Mittwoch, 19. August 2015, 08.30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2013

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MANUSKRIPT Atmo 1: Baumarkt Autorin: In einem großen Baumarkt in Köln stapeln sich die Säcke mit Blumenerde. Es gibt Rosenerde, Erde für Gräber, für Gemüse und Kräuter, für Azaleen - 40 verschiedene Sorten von Blumenerden sind es insgesamt. Ein älterer Herr lädt gerade einen großen Sack mit der Aufschrift „Universalerde“ auf seinen Einkaufswagen. Weiß er, was da drin steckt? O-Ton 1 - Kunde: Nicht so richtig, hundertprozentig. Nein. Ich gehe davon aus, dass da viele kompostierte Sachen drin sind. Aber so ganz genau weiß das glaube ich keiner. Autorin: Ein Verkäufer findet auf der Rückseite einen kleingedruckten Hinweis: Zu einem großen Teil stammt die Blumenerde aus einem stark bedrohten Ökosystem - dem Moor. O-Ton 2 - Verkäufer: Kultursubstrat auf Basis von Torf unter Verwendung von Hochmoortorf und einen Düngevorrat von bis zu acht Wochen bei dieser Erde. Autorin: „Rettet die Moore - Schutz für einen ausgebeuteten Lebensraum“. Eine Sendung von Anna Florenske. O-Ton 3 - Nicola Uhde: Normalerweise steht es auch nicht vorne so groß drauf. Sondern man muss dann schon hinten sehr genau suchen unter dem Kleingedruckten. Und manchmal steht es auch gar nicht drauf. Obwohl eben wirklich häufig über 80 Prozent der Erde - der sogenannten Erde - tatsächlich nur aus Torf besteht. Autorin: Nicola Uhde vom Bund für Umwelt- und Naturschutz, kurz BUND. Eine Untersuchung ihres Verbands belegt, dass viele Verbraucher nicht wissen, dass der Hauptbestandteil von Blumenerde Torf ist. Und so werden die Umweltschützer nicht müde, immer wieder auf ein Problem aufmerksam zu machen, das den Wenigsten bewusst ist: O-Ton 4 - Nicola Uhde: Der BUND setzt sich ein für torffreies Gärtnern, weil Torf nicht irgendein Stoff ist. Sondern Torf ist eben der Stoff, aus dem die Moore sind. Atmo 2: Schritte im Moor… Autorin: Niedersachsen. Nördliches Wietingsmoor. Peter Germer und Reinhard Löhmer haben ihre Gummistiefel angezogen und die Kragen hoch geschlagen, der Wind hier 2

draußen weht kalt. Während sich ihre Kollegin Nicola Uhde beim Bundesverband des BUND um die Kampagnen kümmert, sind die beiden für den konkreten Moorschutz beim BUND Niedersachsen zuständig. Reinhard Löhmer ist schon lange dabei und auch im Vorstand des Verbands aktiv. Seine Kollegen nennen den promovierten Biologen insgeheim den „Moorpapst“. O-Ton 5 - Reinhard Löhmer: Bei mir ging das Anfang der 70er Jahre los. Es war eine Initiative, die kam aus der Verwaltung. Nach dem europäischen Naturschutzjahr 1970 hatte man erkannt, wie prekär das um die Moore steht und man wollte etwas tun, Schutzgebiete ausweisen. Und da wurde festgestellt, dass man zu den meisten Mooren überhaupt keine vegetationskundlichen Daten hatte. Und da wurden dann Personen gesucht und die haben sich zusammengeschlossen 1972 zu einer faunistischen Arbeitsgemeinschaft Moore, deren Sprecher ich bin. Autorin: Hier im Wietingsmoor können die beiden aber derzeit nichts tun. Der Landschaftsplaner Peter Germer blickt über eine weite, dunkelbraune Ebene in der Größe von zehn Profi-Fußballfeldern. Dann entdeckt er eine Maschine, die sich langsam über die Fläche schiebt. Atmo 3: Torfabbau - Maschine O-Ton 6 - Peter Germer: Da sieht man so einen Torfstecher, wie er da am Arbeiten ist. Das grau-blaue Ungetüm. Dieser rote Arm, der immer rauf und runter geht und dann diese Torf60cm-Scheiben dort absticht. Autorin: Hier wird Torf abgebaut, mit Spezialmaschinen, die an Pistenraupen in Skigebieten erinnern - um den weichen und feuchten Boden nicht zu sehr zu verdichten. Denn: Auch wenn auf dieser aufgeräumten Erdfläche nichts mehr daran erinnert, existierte hier früher ein Moor. Ein Lebensraum, der ständig nass ist. Karin Ullrich vom Bundesamt für Naturschutz verwendet den Fachbegriff „permanente Wassersättigung“ dafür. O-Ton 7 - Karin Ullrich: Moore sind Standorte mit einer permanenten Wassersättigung des Bodens. Und diese Wassersättigung des Bodens führt dazu, dass absterbendes, organisches Material - also Pflanzenmaterial oder auch abgestorbene Tiere - nicht zersetzt werden. Weil kein Sauerstoff in den Boden herein kommt. Und damit sammelt sich diese organische Masse an und wird - mit der Zeit unter immer mehr Druck, wenn es immer tiefer gerät - in Torf umgewandelt. Autorin: Der ständige Wasserüberschuss entsteht, wenn im Boden eine Wasserundurchlässige Schicht vorhanden ist. Darüber bildet sich der Torf, der meterdick sein kann. Um an ihn heran zu kommen, müssen die Torffirmen zunächst das Wasser ableiten - über ein System von Gräben hin zu Flüssen und dann hinaus ins Meer. Ist schließlich der Oberboden abgehoben, können die Maschinen loslegen: 3

Schicht für Schicht stechen oder fräsen sie den Torf von dem feuchten Untergrund ab. Atmo 3: Torfstechmaschine Autorin: Moorland Niedersachsen: Ein gutes Drittel aller deutschen Moore liegt im Nordwesten Deutschlands. Die Nutzung des Torfes hat hier eine Jahrhunderte alte Tradition - zunächst als Brenntorf zum Heizen, heute vor allem als Hauptbestandteil von Blumenerden und Substraten. Johannes Welsch vertritt als Geschäftsführer des Industrieverbands Garten die Interessen der meisten Erdenhersteller in Deutschland. Er weiß, dass Torf ein begehrter Rohstoff ist! O-Ton 8 - Johannes Welsch: In normalen Jahren beträgt der Anteil der in Deutschland gewonnen wird 70, 75 Prozent. Und der Rest, also 25, 30 Prozent kommen aus den baltischen Staaten. Autorin: Der Absatz von Torf floriert: Die deutsche Torfwirtschaft produziert jährlich knapp zehn Millionen Kubikmeter Torf. Sie versorgt damit Deutschlands Hobby- und Profigärtner und stillt auch noch einen großen Teil der Nachfrage aus dem EU-Raum. Doch während sich viele Endverbraucher wahrscheinlich beim Einkauf nicht bewusst für Erden mit Torf entscheiden, ist Torf für die meisten Erwerbsgärtner seit Jahrzehnten das Non plus Ultra. Kein Wunder, lächelt Johannes Welsch: Er lässt sich gut mischen, ist leicht, luftdurchlässig und recht stabil in seiner Struktur - und das ist es nicht allein... O-Ton 9 - Johannes Welsch: Er ist nährstoffarm, man kann ihn gezielt aufdüngen, wie die Pflanzen es brauchen Starkzehrer, Schwachzehrer. Man kann ihn gezielt aufkalken. Moorbeetpflanzen, kalkliebende Pflanzen. Er ist sehr homogen. Das bedeutet, man kann große Chargen damit fertigen und damit gleichmäßige Qualität permanent liefern. Das ist für den Erwerbsgartenbau unheimlich wichtig. Autorin: Torf vereint eine Menge guter Eigenschaften, betonen viele Profigärtner. Da können andere Zusatzstoffe wie Kompost, Rindenhumus oder Holzfasern nicht mithalten und zudem seien sie knapp. Ersatzstoffe wie Holz oder Rinde würden inzwischen oft zur Energiegewinnung in Kraftwerken landen - statt z. B. im Kompost zu verrotten. Obwohl Umweltschützerin Nicola Uhde diese Argumente kennt, bleibt sie beharrlich: Es muss auch ohne Torf gehen! O-Ton 10 - Nicola Uhde: Torf ist der Stoff, aus dem die Moore sind und Moore sind sehr seltene und bedrohte Lebensräume, von denen es weltweit nur sehr wenige gibt. Und besonders in Deutschland sind kaum noch intakte Moore vorhanden.

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Autorin: Nämlich nur ein Prozent der ursprünglichen Moore. Grund genug, um auf den Torfabbau zu verzichten, fordern Umweltverbände. Der Lobbyvertreter der Erdenhersteller kann es nicht mehr hören. O-Ton 11 - Johannes Welsch: Warum werden Moore so häufig mit lebenden Mooren - oder Torf mit lebenden Mooren assoziiert? Das sind aber keine lebenden Moore, sondern wir nennen das dann halt Torflagerstätten. Autorin: Die Torfindustrie trage keine Schuld am Niedergang der Moore, findet Johannes Welsch! Die wenigen intakten Moore liegen inzwischen in Naturschutzgebieten - und sind damit ohnehin unantastbar für die Torfverwerter. Abbaugenehmigungen für Torf erteilen die Umweltbehörden nur noch für solche Moorflächen, die zuvor durch die Landwirtschaft genutzt wurden. Und diese Flächen sind bereits trocken gelegt und längst nicht mehr natürlich. O-Ton 12 - Johannes Welsch: Diese Moore sind die einzigen, die wir in Deutschland zur Torfgewinnung nutzen dürfen - und anschießend renaturieren, Autorin: Wie die Torfindustrie die genutzten Flächen zu hinterlassen hat, ist ausführlich in den jeweiligen Abtorfungsgenehmigungen festgeschrieben. Damit dies nach dem Torfabbau auch umgesetzt wird, verlangen die Behörden vorher Geld oder Bürgschaften von den Firmen, zur Sicherheit. Renaturierung ist also Pflicht. Bei Johannes Welsch klingt das schöner: O-Ton 13 - Johannes Welsch: Ich bin da auch auf die Industrie sehr stolz. Mit welcher Vehemenz hier Flächen renaturiert wurden. Daraus werden meistens Naturschutzgebiete. Naherholungsgebiete. Wir haben auch eine Dokumentation. Das soll nicht alles schön klingen, das ist dokumentiert über 900 Seiten, wiegt ein paar Kilo. Das sind 47 Moorkomplexe, die wir renaturiert haben. Autorin: Torf abbauen und anschließend renaturieren und alles ist wie vorher - ganz so einfach ist die Sache nicht, Moore sollten möglichst gar nicht angerührt werden, darauf weisen Klimaschützer seit einigen Jahren hin. Karin Ullrich vom Bundesamt für Naturschutz erläutert, warum: O-Ton 14 - Karin Ullrich: Moore haben für den Klimaschutz eine sehr große Bedeutung. Und was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass auf der gesamten Erde Moore zwar etwa nur drei Prozent der Erdoberfläche einnehmen. Gleichzeitig aber etwa ein Drittel des gesamten Kohlenstoffs in Mooren, eben in diesen Torfkörpern gespeichert ist. Und wenn Moore entwässert werden, dann dringt Sauerstoff in den Torf ein. Und dieser wird zersetzt. Und es wird Kohlendioxid freigesetzt. Ein Treibhausgas. 5

Autorin: Die Prozesse, die in intakten Mooren ablaufen, sind komplex und werden zuweilen falsch dargestellt. Für Experten wie die promovierte Biologin Karin Ullrich ist aber klar: Die Pflanzen des Moores nehmen das Kohlendioxid - auch genannt CO² - aus der Luft auf und bauen es als Kohlenstoffverbindungen in ihre Biomasse ein. Wenn sie später im Laufe des natürlichen Lebenszyklusses absterben, lagert sich dieser Kohlenstoff durch den Luftabschluss in der Torfschicht ab. Da der Prozess seit Jahrtausenden von statten geht, ist in den Mooren unendlich viel Kohlenstoff gespeichert. Fälschlicherweise sprechen manche Umweltschützer von Kohlendioxidspeichern. Greift jedoch der Mensch ein und legt das Moor trocken, dann dringt Sauerstoff ein, verbindet sich mit dem Kohlenstoff und das klimaschädliche Kohlendioxid entweicht in die Atmosphäre. Der Klimaeffekt ist immens: Die entwässerten Moore der Welt emittieren jährlich zwei Gigatonnen CO² - das ist dreimal so viel wie durch den weltweiten Flugverkehr verursacht wird. Auch deshalb will Karin Ullrich, dass die Politiker den Moorschutz ernst nehmen: O-Ton 15 - Karin Ullrich: Da sind primär eben die Länder in der Verantwortung, weil sie für die Umsetzung des Naturschutzes zuständig sind. Und insbesondere die moorreichen Bundesländer haben alle Moorschutzprogramme, die in unterschiedlicher Weise Moorschutz und Wiedervernässungsprojekte fördern. Autorin: Das Land Baden-Württemberg entwickelt z. B. erstmals das Programm „Klimaschutz und Moore“. Es soll auch die kleineren Moore im Schwarzwald, der Oberrheinebene oder in Oberschwaben mit einbeziehen. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg finanzieren unter dem Namen „MoorFutures“ konkrete Moorschutzprojekte, indem sie Kohlenstoffzertifikate verkaufen. Unternehmen - aber auch Privatmenschen - können durch diese Zertifikate ihre Klimabilanz verbessern, indem sie so ihre TreibhausgasEmissionen ausgleichen. Im Umweltbundesamt gibt es Überlegungen, den Verkauf von solch freiwilligen Kohlenstoff-Zertifikaten zu Gunsten der Moore auf ganz Deutschland auszuweiten. Atmo 4: Nördliches Wietingsmoor Autorin: Zurück im nördlichen Wietingsmoor. Peter Germer und sein Kollege Reinhard Löhmer haben das Torfabbaugebiet ein paar Kilometer umrundet. Jetzt inspizieren die beiden Moorexperten einen Landstrich, den die Torfabbauer vor ein paar Wochen in die Hände der Naturschützer übergeben haben. Der Torfabbau ist hier beendet zurück bleibt eine ebene und braune Fläche. O-Ton 16 - Peter Germer: Wenn die Flächen technisch soweit hergerichtet sind: Es gibt Ebenen, es gibt Verwallungen, die Entwässerungseinrichtungen sind zurück gebaut - dann muss man warten. Dann muss man drauf hoffen, dass möglichst schnell möglichst viel Regen fällt und auch möglichst regelmäßig. 6

Autorin: Wasser ist das wichtigste, um ein Moor wieder zu beleben, erklärt Peter Germer. Doch dabei gibt es häufig Probleme - wie hier, wo zu viel Wasser in kleinen Seen auf der Oberfläche liegen bleibt. Der Klimawandel macht den Moorschützern zu schaffen. O-Ton 17 - Peter Germer: Ganz einfach deswegen, weil wir durch die mittlerweile sich etwas veränderte Niederschlagscharakteristik über das Jahr gesehen im Winter sehr viele Niederschläge haben, die dann zum Frühjahr und Sommer hin wenig werden brauchen wir also im Winter die Niederschläge, die müssen wir hoch anstauen. Damit im Sommer auch noch nass ist. Autorin: Reinhard Löhmer steht still dabei, als sein Kollege spricht. Seine Augen wandern ruhig über die Fläche - auf der Suche nach ersten typischen Moorpflänzchen - z. B. Torfmoos und das scheidige Wollgras. Es dauert sehr lange, bis die Vegetation auf renaturierten Flächen ansatzweise so ist wie in einem intakten Moor, bedauert der 69-jährige Biologe. O-Ton 18 - Reinhard Löhmer: Mit Blick auf die vergangenen 40 Jahre und das, was ich an Flächen kenne, bin ich bei dieser Fläche sicher, dass ich das ganz sicher nicht mehr erleben werde. Das heißt der Blick auf die nächsten Jahrzehnte ist hier erforderlich, bis sich das wieder ansiedelt - das dauert sehr lange. Autorin: Der Torfabbau ist es nicht allein, der den Mooren zu schaffen macht. Neben kleineren Bereichen mit Forstwirtschaft ist es die Landwirtschaft, die traditionell auf Moorböden betrieben wird. Wer in Niedersachsen über das Land fährt, sieht ringsherum friedlich grasende Kühe auf saftigem Grünland. Ursprünglich waren viele Flächen davon sumpfiges, karges Moorland - und mit dem hatten die Landwirte zu kämpfen, um ihre Existenz zu sichern, erklärt Heinz Korte, vom niedersächsischen Bauernverband. O-Ton 19 - Heinz Korte: Hintergrund ist der, dass es die Landwirte waren, die vor 250 Jahren diese Hochmoorgebiete kultiviert haben, quasi der Natur abgerungen haben. Um dort Lebensmittel zu erzeugen und ihre eigenen Höfe aufzubauen. Autorin: Die Landwirtschaft auf Moorböden ist nicht nur für die Bauern mühsam, weil sie permanent das Wasser aus den Feldern und Weiden in Gräben ableiten müssen. Auch die Moore leiden: durch die ständige Entwässerung und weil der Boden meist ziemlich stark gedüngt wird. Da Moore stets Teil eines komplexen Systems aus natürlichen Wasserströmen sind, wirken Torfabbau und Landwirtschaft nicht nur 7

unmittelbar, sondern viel weiter in die gesamte Region. Im Bundesamt für Naturschutz ist längst klar, wie umfangreich das Problem ist: O-Ton 20 - Karin Ullrich: Das ist die ganz große Gefährdung von den noch verbliebenen intakten Mooren, dass es eben nicht reicht, diese Moore selbst nur kleinräumig zu schützen, sondern man auch in der Umgebung für eine entsprechende Sicherung, dass dies nicht passiert, sorgen muss. Autorin: Wird in der Umgebung entwässert oder gelangen Nährstoffe aus der Landwirtschaft über das Regenwasser in ein Moor, dann wandelt sich dort die Pflanzenwelt: Immer mehr Gehölze siedeln sich an - und die moortypische, offene Struktur mit niedrigen Pflanzen wie Torfmoos, Sonnentau und Wollgras verschwindet. Und mit ihr einige Tierarten. Das Birkhuhn zum Beispiel, ist im Westen Niedersachsens bereits ausgestorben. Deshalb engagieren sich die Moorschützer um Peter Germer seit 30 Jahren für die Diepholzer Moorniederung. 16 Moore in einem Gebiet südlich von Oldenburg wollen sie vor menschlichen Eingriffen und den Folgen bewahren: Wenn Gehölze sich ansiedeln, kneifen sie sie mit der Astschere ab. Kleine Helfer sind die Moorschnucken. Die anspruchslosen kleinen Schafe tun dem Moor gute Dienste. Sie fressen runter, was nicht ins Moor gehört. O-Ton 21 - Peter Germer: Die Schafe gehen tagsüber hier in diese Flächen und fressen sich satt. Und gehen abends wieder raus. Sie übernachten nicht im Moor, das ist ganz ganz wichtig. Sie nehmen quasi das, was sie fressen mit raus. Und wir haben daneben, dass die Schafe auch die Gehölze verbeißen. Und die Schafe leisten einen ganz wichtigen Beitrag auch wieder was von diesen Nährstoffen rauszuholen an Biomasse. Atmo 5: Neustädter Moor, Schritte Autorin: Das Neustädter Moor gehört zur Diepholzer Moorniederung und ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Renaturierung. Ein leises Lächeln huscht über das Gesicht von Reinhard Löhmer - seine Gummistiefel stecken im Matsch, seine grauen Haare wirbeln im Wind und sein Blick kann sich nicht satt sehen an der weiten, sumpfigen Ebene. O-Ton 22 - Reinhard Löhmer: Wie Sie jetzt gerade auch mitbekommen - ist diese Fläche voll dem Wetter ausgesetzt. Wind, Sonne, wir haben starke Temperaturschwankungen im Tagesgang. Da kann es ein Unterschied von 40 Grad sein, dass es sich bei Sonne stark aufwärmt und nachts stark abkühlt. … und das sind alles Rahmenbedingungen, die nur für eine gewisse Zahl an Pflanzen und Tieren nutzbar sind. Es sind Spezialisten, häufig auch glaziale Relikte, also Reste der Eiszeit, die hier noch existieren. Man findet sie sonst erst wieder im skandinavischen Raum. Es ist also wirklich etwas Besonderes, was Spezielles, was die einzelnen Arten anbelangt. 8

Autorin: Voller Eifer stapft der Biologe zu einer sehr sumpfigen Stelle. Er greift ins Nasse und zieht etwas Moosgrünes heraus, das den Namen verdient: Es ist ein Stück Torfmoos… O-Ton 23 - Reinhard Löhmer: Hier in der Hand habe ich, was eigentlich für die Hochmoorbildung dann typisch ist: Es ist ja mal so entstanden über offenen flachen Gewässern. Dann wächst von den Seiten her so ein Schwingrasen rein. Das sind dann hier diese Torfmoose, die dort wachsen. Torfmoose sind dadurch charakterisiert: Sie haben keine Wurzeln, sie wachsen nach oben immer weiter. Und der hintere, untere Teil stirbt dann ab, vertorft. Wir haben, wenn das richtig wächst, einen Torfzuwachs von einem Millimeter pro Jahr letztendlich. Und wir haben ja Torfmächtigkeiten bis zu fünf, sechs Meter. Dann weiß man, dass dahinter 5000-6000 Jahre Wachstum stehen. Autorin: Es dauert Jahrtausende, bis Torf entsteht. Und viele kleine Stellschräubchen im Ökosystem, die das Moor zu einem unersetzlichen Lebensraum machen. Das begeistert auch Karin Ullrich vom Bundesamt für Naturschutz: O-Ton 24 - Karin Ullrich: Dann ist es so, dass jeder Lebensraum und jede Art im Ökosystem bestimmte Funktionen hat. Und diese Funktionen können nicht beliebig von anderen Arten oder Lebensgemeinschaften übernommen werden. Also Moore haben nicht nur eine Bedeutung für den Schutz der biologischen Vielfalt, sondern auch für den Klimaschutz. Sie wirken als Filter - dass sie Nährstoffe speichern und abfangen, die dann nicht in die Umgebung, ins Grundwasser oder angrenzende Gewässer gelangen. Sie werden also dort herausgefiltert. Sie regulieren den Landschaftswasserhaushalt, weil sie eine hohe Wasserspeicherfähigkeit haben. Und all das ist verknüpft mit den spezifischen Arten. Autorin: Das Moor - ein Lebensraum, der viele Funktionen erfüllt: Es birgt einzigartige Pflanzen- und Tierarten, es gleicht Wassermangel und Hochwasser aus. Es wirkt wie eine natürliche Kläranlage und speichert Unmengen von Kohlenstoff. Werden Moore trockengelegt, geht der vielseitige Puffer für das Ökosystem verloren. Zudem reagiert der Kohlenstoff mit der Luft und das klimaschädliche Kohlendioxid entweicht. Spätestens seit dieser Erkenntnis kommen auch Politiker nicht mehr an dem Thema vorbei. Im Moorland Niedersachsen will die Rot-Grüne Landesregierung den Moorschutz zur Chefsache machen und plant keine neuen Gebiete mehr für den Torfabbau freizugeben. Langfristig soll in Niedersachsen überhaupt kein Torf mehr abgebaut werden. Das große Ziel ist ein zusammenhängendes, norddeutsches Moorschutzsystem. Außerdem will man aktiven Klimaschutz betreiben, indem man ehemalige Moore wieder vernässt. Der grüne Landwirtschaftsminister Christian Meyer sprach im Sommer 2013 im niedersächsischen Kabinett von einem „echten Paradigmenwechsel“. 9

Eine aussichtsreiche politische Entwicklung, findet auch Karin Ullrich. Beim Moorschutz gehen Klimaschützer und Naturschützer Hand in Hand. O-Ton 25 - Karin Ullrich: Sehr wichtig und sehr dringend, dass der weitere Abbau von Torf, die Zersetzung von Torf in trockenen Mooren, dass das gestoppt wird. Damit nicht noch mehr CO² freigesetzt wird. Autorin: Johannes Welsch vom Industrieverband Garten, der viele Erdenhersteller vertritt, bleibt trotzdem gelassen. Sein Verband schwört weiterhin auf Torf: Der Abbau auf bereits genehmigten Flächen darf in Niedersachsen ja noch weitergehen - diese Torfvorkommen reichen bis zum Jahr 2050. Und außerdem haben viele Erdenhersteller bereits anderswo einen Fuß in der Tür… O-Ton 26 - Johannes Welsch: Wir haben zahlreiche Firmen, die sich mittlerweile auch im Baltikum engagieren. Dort werden Teile der Fertigung hingehen. D. h. man wird dort Torf gewinnen. Torf verarbeiten. Blumenerden herstellen. Und die Fertigprodukte dann nach Deutschland verschicken. Da sind noch Torfressourcen für viele, viele Jahre. Autorin: So verschiebt sich das Problem in Richtung Osten. Bei den Landwirten hingegen, die in Niedersachsen zwei Drittel der Moorflächen bewirtschaften, macht sich Angst breit, berichtet Heinz Korte. Der Milchbauer ist Sprecher des niedersächsischen Bauernverbands. O-Ton 27 - Heinz Korte: Es ist ja geplant, dass es zu einer großflächigen Wiedervernässung von Grünland kommt. Und die Nutzung solcher Grünlandflächen als Viehfutter wird damit nahezu unmöglich sein. Das geht nur von Flächen, die gerade in Sachen Entwässerung in Schuss gehalten werden. Und die auch regelmäßig gepflegt, nachgesät und wieder neu angelegt werden müssen. Und all dieses, befürchten unsere Moorbauern, wird in Zukunft eventuell nicht mehr möglich sein. Autorin: Aus Klimaschutzsicht hat diese intensive Landwirtschaft auf Moorböden tatsächlich keine Zukunft mehr. Forscher arbeiten deshalb an einer Alternative, mit der sich Klimaschutz und Landwirtschaft auf nicht mehr intakten Moorböden vereinbaren lassen: Experten nennen sie Paludikultur, abgeleitet aus dem Lateinischen, von Palus, der Sumpf - nasse Landwirtschaft. Und so trägt Doktor Matthias Krebs vom Institut für Landschaftsökologie der Uni in Greifswald stets hohe Gummistiefel, wenn er seine Versuchskulturen inspiziert: Atmo 6: Paludikultur / Stapfen im Torfmoos O-Ton 28 - Matthias Krebs: Letztendlich sehen wir jetzt hier eine Fläche mit Torfmoosen. Sie sehen natürlich die Gräben hier, um das Wasser in die Fläche zu bekommen. Und es sieht grün aus. Und das freut uns. Das Grün ist eine Erfolgsgeschichte gerade. 10

Autorin: Östlich von Rastede, einem niedersächsischen Kurort. Ursprünglich ein Hochmoor, seit Generationen bewirtschaften Bauern das Land. 400 mal 400 Meter davon sind seit dem Jahr 2004 Versuchsfläche: Hier kultiviert das Forscherteam um Matthias Krebs Torfmoose, die naturgemäß in Mooren vorkommen und dort den Torf bilden. Und die mögen es nass: O-Ton 29 - Matthias Krebs: Wir müssen hier, um die Torfmoose nass zu halten, Wasser zuführen. Deswegen ja auch die automatische Bewässerung, dass auch unabhängig von uns einfach regelmäßig Wasser rein gepumpt wird, um die Moose dauerhaft nass zu halten. Autorin: Wenn die Moose so gut weiterwachsen wie bis jetzt, dann können die Wissenschaftler bald ernten. Sie wollen nicht nur Landwirten, sondern auch Gartenbauern und Erdenherstellern eine neue Möglichkeit eröffnen… O-Ton 30 - Matthias Krebs: …um einen Substratrohstoff, einen alternativen Substratrohstoff zu produzieren, um Torf zu ersetzen. Wir wollen einen nachwachsenden Rohstoff schaffen. Und gehen auf die schon zerstörten Moore, die durch Landwirtschaft oder Torfabbau zerstört wurden, um hier dann den nachwachsenden Rohstoff Torfmoose anzubauen. Autorin: Silke Kumar vom Torfwerk Moorkultur Ramsloh, einem großen Erdenhersteller aus der Region, unterstützt die Uni Greifswald bei dem Versuchsprojekt mit den Torfmoosen. O-Ton 31 - Silke Kumar: Wir versprechen uns davon, dass wir einen Torfersatzstoff finden, mit dem wir als Firma auch hier in der Region bleiben können. Weil im Moment sieht es so aus, als ob wir auch ins Baltikum umziehen müssten - früher oder später… D. h. mit diesen Torfmoosen würden wir gern ein Substrat machen: Hier in der Region. Mit regionalen Stoffen, mit regionalem Kompost für eben die Gärtner hier vor Ort. Autorin: Die Substrate aus getrockneten und zerhäckselten Torfmooskulturen sind gut, hat die Gartenbau-Ingenieurin Silke Kumar getestet. Schließlich ist sie Geschäftsfrau - und setzt nur auf aussichtsreiche Projekte. O-Ton 32 - Silke Kumar: Es fühlt sich an wie eine normale Erde. Von den Eigenschaften her ist es so: Torfmoose haben eine sehr hohe Luftkapazität: Sie liegen vom pH-Wert da, wo Hochmoortorf liegt, nämlich um die 3. Sie haben einen ganz geringen Salzgehalt. Und wiegen sehr wenig. Und deswegen kann ich Torfmoose im Grunde wie Torf verwenden. Haben wir auch verwendet. Die bei Weihnachtssternen in der Gärtnerei hervorragend funktioniert hat.

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Autorin: Eine abgedrehte Idee oder Zukunftsmusik? Genug Flächen für den Anbau von Torfmoosen gibt es zumindest, hat Landschaftsökologe Matthias Krebs ausgerechnet: O-Ton 33 - Matthias Krebs: Die deutsche Nachfrage nach hochwertigem Weißtorf könnten wir klimaschonend mit einer Fläche von 40.000 Hektar Torfmooskultur befriedigen. Und das ist nicht so viel, wenn man sich überlegt, dass man 120, 130.000 Hektar Hochmoorgrünland hat. Autorin: Viele Fragen der Paludikultur sind noch offen - zum Beispiel: Woher kommt das Saatgut? Wer stellt die Flächen zur Verfügung? Wie würde eine solche landwirtschaftliche Kultur in Zukunft gefördert? „Moorpapst“ Reinhard Löhmer vom BUND lässt sich davon nicht abschrecken. O-Ton 34 - Reinhard Löhmer: Man muss daran arbeiten, man muss daran weiter forschen. Und eigentlich bin ich da sehr zuversichtlich. Denn wenn so eine Paludikultur mit dem Torfmoosrasen funktioniert, dann haben wir in dem Moment auch wieder eine Fläche, die sehr viel CO² speichert. Das muss man immer wissen, das ist ja mit diesen Kulturen auch verbunden. Und das dient alles dem Klimaschutz. Autorin: …erklärt er, als er am Ende des Tages neben seinem Kollegen Peter Germer aus seinen Gummistiefeln steigt. Der hängt nachdenklich seine Windjacke zur Seite… O-Ton 35 - Peter Germer: Es gibt einen volkswirtschaftlichen Schaden dadurch, dass wir ein Klimaproblem haben, was durch vermehrte CO²-Freisetzung mit befeuert wird. Die jetzige Intensivstlandwirtschaft auf Moorböden und auch der Torfabbau verursacht Kosten, die in der betriebswirtschaftlichen Rechnung jedes einzelnen Betriebes nicht auftauchen. Die muss die Allgemeinheit - vielleicht auch Generationen später - erst schlucken. Und das ist ein Punkt, von dem ich glaube, dass wir uns den nicht mehr lange leisten können. Da läuft uns die Zeit weg. Autorin: Eine CO²-Steuer auf Torf wäre eine Möglichkeit, um Umweltschäden mit einzurechnen. Das könnte auch die Suche nach Ersatzstoffen beflügeln. Denn Torf ist erstaunlich billig: er kostet ein Drittel weniger als Kompost, Rindenhumus oder Holzfasern - obwohl er tausende von Jahren braucht, um neu zu wachsen.

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