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SWR2 Wissen Sinnsuche statt Konsumrausch Die Wiederkehr der Religion in China Von Sebastian Hesse Sendung: Freitag, 17. März 2017, 8.30 Uhr Redaktion: Udo Zindel Produktion: MDR 2016

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MANUSKRIPT Autor: Einem „lebenden Buddha“ begegnet man nicht alle Tage. Ich verdanke diese Ehre der chinesischen Regierung. Auf einer geführten Journalistenreise durch die tibetischen Gebiete in der Provinz Sichuan lerne ich, im Dazha-Tempel, einem 350 Jahre alten tibetischen Kloster, den dortigen Abt kennen. Das Oberhaupt des Klosters ist ein ‚lebender Buddha‘. Und ein durchaus politischer Mensch. Übersetzung: „Im Buddhismus geht es um Liebe und Mitleid. Mithilfe von Liebe und Mitleid kämpft der Buddhismus gegen die Probleme der Welt: Die Umweltzerstörung, Ungleichheit, bewaffnete Konflikte. Alle Probleme können durch Liebe und Mitleid gelöst werden. Der Buddhismus setzt auf Güte und Weisheit.” Titelansage Autor: Als ‚Lebende Buddhas‘ werden im tibetischen Buddhismus bedeutende Mönche bezeichnet, die als Wiedergeburten verstorbener Lamas, also buddhistischer Lehrer, verehrt werden. Der Abt des Klosters Dazha trägt diesen Ehrentitel. Er dürfte Ende dreißig sein. Im Gespräch überrascht er mit offenen Worten: Übersetzung Abt: „Der Dalai Lama ist, wie der Panchen Lama und viele andere lebende Buddhas hier in Tibet, ein hochangesehener religiöser Lehrer. Wir respektieren sie alle gleichermaßen!“ Autor: Respekt für den Dalai Lama - den kann man in China nur öffentlich bekunden, wenn man sich ansonsten mit der Staatsmacht arrangiert hat. „Religiöser Glaube und Sozialismus gehen Hand in Hand“ – so war es bereits bei der Herfahrt auf einem Banner zu lesen; - am Rand der Straße, die zum Dazha Tempel führt. Dazhasi liegt auf knapp 4.000 Metern Höhe in der Präfektur Aba, die zur chinesischen Provinz Sichuan gehört. Der malerische Dazha-Tempel ist mehr als nur ein Kloster: Dazha ist Museum, Akademie, öffentliche Bibliothek, Bildungsstätte, Sehenswürdigkeit. Auch die politische Führung der Region ist stolz auf die Kunstschätze und die beeindruckende Architektur des Klosterbaus. Im Gegenzug stellt die Klosterführung die politischen Verhältnisse nicht in Frage. Tibetische Religiosität und chinesischer Sozialismus gehen hier tatsächlich Hand in Hand. Offiziell herrscht in China Religionsfreiheit. Es gibt fünf staatlich anerkannte Glaubensgemeinschaften: Den Taoismus, den Buddhismus, den Katholizismus, den Protestantismus und den Islam. Auch wenn es keine Statistiken gibt: China erlebt eine spürbare Renaissance der Religion. Je materiell wohlhabender das Wirtschaftswunderland wird, desto mehr wächst das Bedürfnis nach spiritueller Orientierung. Das glaubt auch der katholische Geistliche Michael Bauer. Er ist 2

Seelsorger der deutschen katholischen Gemeinde in Shanghai. Pfarrer Bauer lebt seit vielen Jahren in China. Michael Bauer: „Bei allem Gewaltigen, was China in den letzten Jahren erreicht hat; - hunderte Millionen Menschen geht es besser -; spürt man doch so etwas wie eine innere Leere bei einer ganzen Reihe von Menschen. Und da ist im Moment ein Vakuum, wo sicher auch Religion für viele eine Antwort sein kann.“ Autor: Chinas buddhistische Tempel haben Zulauf: Jeden Tag sieht man dort Gläubige Weihrauch räuchern, beten, sich in alle vier Himmelsrichtungen verneigen. Ein Trend, der auch den Abenteurer, Vortragsreisenden und Tibet-Kenner Bruno Baumann beschäftigt. Bruno Baumann: „Ich setze Hoffnungen in die jungen Chinesen. Viele junge Chinesen, denen man den blanken Materialismus als einzige Lebensorientierung gegeben hat. Dort schlägt das Pendel langsam zurück. Die jungen Chinesen suchen nach Antworten auf essenzielle Lebensfragen. Sie suchen nach spiritueller Orientierung. Und der Buddhismus hat in China bei den jungen Chinesen einen enormen… fast muss man schon sagen: Eine Modeerscheinung.“ Autor. Baumann ist überzeugt davon, dass diese Modeerscheinung nicht vorübergehend ist, sondern die Gesellschaft nachhaltig verändert. Und dass der Buddhismus einen Lösungsweg für die Spannungen mit den tibetischen Regionen aufweist: Bruno Baumann: „Also er hat ein enormes positives Image und viele junge Chinesen wenden sich dem Buddhismus hin. Und da würde sich die Wertschätzung den Tibetern gegenüber sofort ändern. Die Wahrnehmung, das sind nicht die Barbaren, die Rückständigen, die Separatisten, wenn man so will, wie die offizielle Diktion. Sondern das sind unsere Lehrer. Also wenn der Buddhismus in China, bei den Chinesen wieder die geistige Orientierung wird, dann könnte sich auch für die Tibeter wesentlich etwas ändern.“ Autor: Um herauszukriegen, wie man sich im chinesischen Buddhismus geistig orientiert, mache ich einen Selbstversuch: Ich gehe selber ins Kloster, für ein Meditationswochenende. Es ist kurz nach fünf Uhr morgens. Ich stehe noch etwas schlaftrunken im großen Meditationssaal des Jade Tempels in Shanghai. 80 Mönche rezitieren in monotonem Sprechgesang die Sutren. Ich bin Teil einer 30-köpfigen Seminargruppe, die zwei Tage lang mit den Mönchen lebt, mit ihnen meditiert, betet. Der Tagesablauf ist streng strukturiert. Alles gruppiert sich um das Herzstück des Retreats: Die Innere 3

Versenkung, der Rückzug in sich selbst während der Meditationsstunden. Bevor ich selber Teil der Mönchsroutine wurde, hatte mir der Abt des Klosters, Jue Xing, den Alltag im Jade-Tempel beschrieben: Übersetzer Jue Xing: „Das Leben eines Mönches ist nur für Außenstehende geheimnisvoll. Wir folgen jeden Tag einer strengen Routine. Wir stehen um 5 Uhr auf, beginnen um halb sechs mit unseren Exerzitien. Um halb sieben gibt es Frühstück, danach eine Ruhepause. Ab acht ist der Tempel geöffnet und wir arbeiten dann bis fünf Uhr nachmittags. Viele von uns kümmern sich um die Besucher: Führen sie durch den Tempel, erklären ihnen den Buddhismus, helfen ihnen dabei zu konvertieren.“ Autor: Meine längst konvertierten Mit-Meditierenden sind mir jedenfalls einiges voraus: Sie sitzen scheinbar mühelos im Lotossitz, den ich mit meinen ungelenken Knochen gar nicht erst hinkriege. Ihre Bewegungen, - das Niederknien, die Verneigungen, das Meditieren im Gehen -, wirken so viel geschmeidiger als bei mir. Und endgültig im Abseits stehe ich, als es an die Kalligrafie geht: Unbeholfen tunke ich meinen Pinsel in die schwarze Tinte und male grobschlächtig die chinesischen Schriftzeichen nach. Und frage mich, ob überhaupt jemand die buddhistischen Lehrsätze lesen kann, die ich da mit wenig elegantem Schwung zu Papier gebracht habe. Der Jade Tempel ist eines der wenigen aktiven Klöster in Shanghai. Die Anlage ist vergleichsweise jung. Sie wurde zwischen 1918 und 1928 erbaut. Ihr Herzstück ist die namensgebende, knapp zwei Meter große Buddha-Statue aus blassgrüner Jade. Während die Gebetsräume mit den Kunstschätzen des Tempels die weltentrückte Ruhe chinesischer Tempelanlagen ausstrahlen, besteht der Rest des Klosters aus eher nüchtern-funktionalen Seminarräumlichkeiten. Auch der Fuhrpark mit eher höher-preisigen Limousinen wirkt befremdlich. Offenbar ist ein spirituelles Zentrum im modernen, materialistischen China nur als wirtschaftlich funktionierender Betrieb überlebensfähig. Die Nachfrage jedenfalls steigt, versichert mir der Abt. Übersetzer Jue Xing: „Während der Kulturrevolution wurde in China alles auf den Kopf gestellt. Das gilt auch für den Buddhismus. Die traditionellen Werte wurden abgelehnt. Nach dem Ende der Kulturrevolution musste alles wieder neu aufgebaut werden. Der Buddhismus wurde wiederbelebt. So, wie sich die Gesellschaft erholte, kam auch der Buddhismus wieder. Wie ein verdorrter Baum, dem wieder junge Triebe wachsen.“ Autor: Da während meines Meditationswochenendes ein strenges Schweigegebot herrscht, ist es nicht möglich, meine Mit-Meditierenden nach ihren Motiven zu befragen. Um mit chinesischen Buddhisten ins Gespräch zu kommen, fahre ich zu einem der wichtigsten buddhistischen Heiligtümer: Auf die Buddha-Insel Putuoshan. Die Überfahrt nach Putuoshan dauert gerade einmal 20 Minuten. Von Shanghai aus fährt man etwa vier Stunden die Küste hinab. Dann hat man den Fährableger, der alljährlich zehntausende von Pilgern auf die Buddha-Insel bringt, erreicht. Putuoshan 4

ist von betörender Schönheit: Klöster und Tempelanlagen verteilen sich in der waldigen Gebirgslandschaft. Man kann sie abwandern; --- und sich dann an einem der Sandstrände vom Pilgern erholen. Die Wallfahrtsinsel ist ein beliebtes Ausflugsziel und hat mit Qui Wenhai sogar einen eigenen Tourismusmanager: Übersetzung Qui Wenhai: „Die meisten Leute kommen für einen Tagestrip nach Putuoshan. Manche bleiben aber auch über Nacht. Das sind die, die an den religiösen Zeremonien teilnehmen oder die einsame Natur auf der Insel suchen.“ Autor: Wer aber sind die Gläubigen? Und was erwarten sie sich von ihrer Wallfahrt nach Putuoshan? Im höchstgelegenen Tempel auf der Insel, dem Huiji Tempel auf dem Foding Berg in Putuoshans Mitte, treffe ich diesen Pilger. Einen Geschäftsmann, 46 Jahre alt. Übersetzung Geschäftsmann: „Ich hatte das Gefühl, dass es mit meiner Familie nicht mehr so richtig läuft. Also kam ich hierher, um Weihrauch zu räuchern. Danach wurde Alles besser! Aber ich hatte beruflich jede Menge Stress. Jetzt komme ich einmal im Jahr hierher und das verleiht mir innere Ruhe.“ Autor: Abstand gewinnen, seine eigene Mitte wiederfinden, zur Ruhe kommen; --- viele suchen ein Wellness – Angebot mit spirituellem Überbau. Das sich dann durchaus gewinnbringend nutzen lässt: Übersetzung Geschäftsmann: „Eine Menge Geschäftsleute haben den Buddhismus für sich entdeckt. Sie wollen bessere Geschäfte machen und dass ihre Familie gesund bleibt!“ Autor: Und, wie macht man das? Was muss man auf sich nehmen? Übersetzung Geschäftsmann: „Ich zünde acht Räucherstäbchen für meine Geschäfte an. Und sechs Räucherstäbchen für meine Familie. Die sechs sollen dafür sorgen, dass meine Familie gesund bleibt.“ Autor: Die äußeren Abläufe auf den Pilgeretappen folgen einem gleichbleibenden Ritus: Das Räuchern, die Verneigungen in alle Himmelsrichtungen, das Niederknien vor den Buddha-Statuen. Ein eher schlichtes Ritual, das sich bereits mit wenig Übung wie in Trance absolvieren lässt. Den ernsthaften Pilgern, wie dieser 35-jährigen Dame, geht es ohnehin um das Innere, das Geistige. 5

Übersetzung Pilgerin: „Ich bin zum zweiten Mal hier. Ich räuchere Weihrauch und verneige mich vor den Buddhas. Ich bleibe für zwei Nächte, um mich spirituell zu reinigen.“ Autor: Wobei sie die Gefahr sieht, dass die Wallfahrt reine Folklore bleibt. Ein hohles Ritual, ohne tiefere Bedeutung. Übersetzung Pilgerin: „Viele junge Leute behaupten, sie seien Buddhisten. Aber im Alltag handeln sie nicht nach ihrem Glauben. Es ist wichtig, den Buddha stets im Herzen zu tragen. Man sollte immer darauf achten, Gutes zu tun, ein guter Mensch zu sein. Es geht nicht darum, teure Räucherstäbchen und teure Kerzen zu kaufen!“ Autor: Doch auch Putuoshan ist ein Gewerbebetrieb, der mit dem Pilgertourismus sein Geld verdient. In Harmonie mit dem klösterlichen Leben auf der Mönchsinsel. Meister Jingmin ist Mönch, Gelehrter und Funktionär der Buddhistischen Gesellschaft auf Putuoshan. Er nimmt den kommerziellen Aspekt des Pilgertourismus gerne in Kauf und sieht darin einen Weg, möglichst vielen eine Auszeit zwischen Klöstern und Natur zu gönnen. Übersetzung Meister Jingmin: „An den Buddha zu glauben spendet den Menschen Trost, verleiht ihnen Hoffnung. Gläubige Menschen sind in der Regel glücklicher. In den letzten drei Jahrzehnten habe ich eine Menge Veränderungen miterlebt. Heute kommen nicht mehr nur alte Frauen vom Lande nach Putuoshan. Nicht nur, dass ältere Städterinnen kommen. Nein, die alten Damen sind jetzt in der Minderheit. Bei allen unseren Zeremonien überwiegen die Jungen und die mittleren Alters. Autor: Auch Meister Jingmin sieht einen Zusammenhang mit den Begleiterscheinungen des chinesischen Wirtschaftsbooms. Übersetzung Meister Jingmin: „Der Konkurrenzkampf, der Stress, die Unsicherheit haben so sehr zugenommen in unserer modernen Welt. In solchen Zeiten wird die Religion wieder essenziell.“ Autor: Doch viele sinnsuchende Chinesen müssen Religion erst wieder erlernen. Auch wenn sich die kommunistische Staatsmacht tolerant gibt in Bezug auf Glauben, so ist ihre Ideologie doch unverändert eine atheistische und hat das Land über Jahrzehnte geprägt. Und während Maos Kulturrevolution, zwischen 1966 und dem Tod des Große Vorsitzenden zehn Jahre später, wurden nicht nur Gotteshäuser und Tempel geschliffen. Religiosität galt als konterrevolutionär und sollte ausgemerzt werden. 6

Erst jetzt erlebt China eine allmähliche Erholung von der Gleichschaltung dieses verheerenden Jahrzehnts. Entwicklungen, die in Hong Kong wissenschaftlich erforscht werden, an der Buddhistischen Universität der ehemaligen britischen Kronkolonie. Deren Leiter ist der buddhistische Mönch Sik Hin Hung: Übersetzung Sik Hin Hung: „Während der Kulturrevolution hat Mao alle spirituellen Bedürfnisse bedient: Er war der Gott der Chinesen. Jetzt, wo Mao Geschichte ist, weitet sich der Horizont wieder: Die Chinesen probieren neue Wege aus. Zugang zum Buddhismus ist leicht.“ Autor: Was auch an einem schier unüberschaubaren Angebot liegt. In ganz China wurden die Tempel aufwendig saniert. Meditationszentren, buddhistische Retreats, Wallfahrtsorte springen wie Pilze aus dem Boden. Sich hier zu orientieren, - das spirituell Seriöse vom rein Kommerziellen zu unterscheiden -, fällt schwer. Das ist der Preis für den materiellen Wohlstandsschub seit Chinas Öffnung und Reform. Übersetzung Sik Hin Hung: „Es lässt sich nicht verhindern, dass auch falscher Buddhismus oder falsches Christentum angeboten werden. Man muss da vorsichtig sein! Die Kommerzialisierung der Religionen ist in China auf dem Vormarsch. In Japan, wo alles noch teurer ist, sogar noch mehr. Heute sind die Leute reich, sie kaufen gerne teure Dinge. Marktwirtschaften produzieren marktwirtschaftliche Religionen.“ Autor. Sik Hin Hung findet das nicht schlimm: Der mündige Konsument könne seine eigene Wahl treffen. Dabei dürfe man aber nicht nur dem Verstand, sondern auch dem Herzen, dem Instinkt folgen. Das ausdifferenzierte Angebot auf dem spirituellen Markt der Möglichkeiten sieht der buddhistische Mönch durchaus als Errungenschaft. Übersetzung Sik Hin Hung: „Der Buddhismus hat, anders als das Christentum, keinen Papst. Der Papst ist ein Diktator!!! Er schreibt den Priestern und den Kirchen alles vor. Und alle gehorchen ihm. Das kennt der Buddhismus nicht. Man kann seinen eigenen Stil entwickeln, Anhänger um sich scharen und ein eigenes Kloster eröffnen.“ Autor: Und dennoch: Gerade die Beliebigkeit vieler spiritueller Lehren im heutigen China, ihre Unverbindlichkeit, Kommerzialität und mangelnde Tiefe irritieren so manchen Sinnsuchenden. Und so erklärt sich, dass in China eine Religion boomt, die aus einem ganz anderen Kulturkreis stammt: Das Christentum! Eine regelmäßige Gottesdienstbesucherin ist Esther. Die 32-jährige ist bekennende Christin. Esther ist der biblische Name, den sich die junge Frau nach ihrer Taufe zugelegt hat. Ich treffe sie in ihrer Wohnung in einem Vorort von Shanghai. Hier betet sie das Vater unser --- auf Mandarin ---, was für westliche Ohren so befremdlich klingt, dass man das Glaubensbekenntnis nicht als solches erkennt. 7

Die gertenschlanke, fast ein wenig zerbrechlich wirkende Frau hat mich in ihre Wohnung im siebten Stock eingeladen, direkt unterm Dach. Esther hat nach ihrem Literaturstudium für das japanische Fernsehen gearbeitet. In ihrer Wohnung erinnern einige Einrichtungsgegenstände aus Japan daran. Und die zahlreichen Musikinstrumente verraten den Beruf von Esther’s Mann: Er ist Musiklehrer. Das Christentum hat die junge Chinesin nach längerer Suche entdeckt: Übersetzung Esther: „Ich habe studiert, eine Menge Bücher gelesen, viel gearbeitet. Aber ich habe darin keine Zukunft für mich gesehen. Nichts, wofür es sich zu leben lohnte. Buddhismus und Taoismus haben mir nicht weiter geholfen: Das sind reine Philosophien. Und dann kam ich in Kontakt mit einer christlichen Gruppe. Ich fing an, die Bibel zu lesen. Je mehr ich darin las, desto mehr Wahrheit habe ich darin gefunden. Und dann habe ich mich taufen lassen.“ Autor: Die Taufe war für Esther auch eine Art Rebellion, eine Auflehnung gegen ihr Elternhaus, das Weltbild und Lebensverständnis ihrer Familie, die an der Grenze zu Myanmar lebt. Übersetzung Esther: „Meine Eltern wissen nicht einmal, wofür sie eigentlich beten. Die machen nichts, als Weihrauch zu räuchern und sich vor Buddha-Statuen zu verneigen. Die haben noch nie ein buddhistisches Buch gelesen, - um zu verstehen, welchem Glauben sie da anhängen. Die wollen nur ein bisschen Zugehörigkeit, Trost und Segenswünsche.“ Autor: Darin sieht Esther generell das Problem mit den anderen spirituellen Angeboten auf dem chinesischen Markt: Oberflächlich seien die, leicht zu konsumieren und am Ende reine Geschäftemacherei, sagt sie, nicht ohne Zorn. Das Christentum zu praktizieren sei anstrengend, gehe aber viel weiter in die Tiefe und verleihe ihr einen moralischen Kompass. Was schwer nachvollziehbar ist für ihre Familie. Übersetzung Esther: „Meine Eltern haben kein Verständnis dafür, dass ich mit dem Buddhismus aufgewachsen und gut zurechtgekommen bin. Mich dann aber einer ausländischen Religion zugewandt habe, einer westlichen Religion. Das liegt wohl daran, dass sie das Christentum nicht verstehen. Sie waren ihr ganzes Leben Teil der hiesigen Leitkultur: Neues, Veränderungen verunsichern sie!“ Autor: Wandel gehört zu den zentralen Erfahrungen im modernen China. Das gilt auch für die Religion: Es könnten bald 100 Millionen Chinesen sein, die sich zum Christentum bekennen: 80 Millionen Protestanten und 13 Millionen Katholiken gibt es nach aktuellen Schätzungen. Und damit mehr Christen, als die Kommunistische Partei 8

Mitglieder hat. Und das Christentum ist keine Kirche im Verborgenen, sondern ausgesprochen sichtbar in China. Die Wallfahrtskirche von Sheshan liegt eine Autostunde südlich von Shanghai auf einem Berg. Das neugotische Gotteshaus ist schon von weitem sichtbar. Ein Kreuzweg führt vom Fuß der Berges hinauf zu der Kirche. Jedes Jahr zu Pfingsten strömen tausende von Pilgern nach Sheshan, schreiten betend die Stationen des Kreuzweges ab, knien auf ihren Gebetskissen im Schatten der alten Bäume an den Hängen des Sheshan-Berges. Bei der Sheshan-Wallfahrt treffe ich eine Pilgergruppe aus Wenzhou. Wenzhou ist eine wohlhabende Hafenstadt, etwa eine Flugstunde südlich von Shanghai, in der besonders viele Christen leben. Die Stadt trägt den Beinamen ‚das Jerusalem Chinas‘. Unter den Pilgern aus Wenzhou ist auch der 30-jährige Gao: Übersetzung Gao: „Ich weiß, dass China traditionell ein atheistisches Land ist. Aber für mich war Religion immer wichtig. Sie hat meine Moralvorstellungen und mein Verhalten geprägt. Sie lehrt mich, mit anderen Menschen umzugehen. Vieles lässt sich nicht über das Gesetzbuch regeln. Aber der Glaube verleiht einem einen moralischen Kompass! Ich denke, wir Gläubigen kommen im Leben besser zurecht als die Atheisten.“ Autor: Und das gilt auch für das Geschäftsleben. Gao ist wie seine Mitpilger Katholik; --bekennt sich aber, wie diese 28-jährige Geschäftsfrau aus Wenzhou, zu einer eher protestantischen Ethik. Übersetzung Geschäftsfrau: „Weil wir stark im Glauben sind, würden wir niemals gefälschte Waren verkaufen. Wenn wir Ärger haben mit unseren Geschäftspartnern, dann geben wir meistens nach. Ich denke, mein Glauben hilft mir dabei, bessere Geschäfte zu machen.“ In diesem Glauben mit durchaus handfester Ausrichtung angeleitet werden die Pilger aus Wenzhou von Priester Wang. Der 40 Jahre alte Geistliche wehrt sich dagegen, in chinesischen Christen etwas Exotisches zu sehen. Übersetzung Wang: „Glaube ist eigentlich eine natürliche Sache. In Wenzhou gibt es gar nicht so außergewöhnlich viele Gläubige. Das kommt einem nur so vor, weil Geschichte und Politik die Religion im Rest des Landes so unterdrückt haben. Mit der Religion ist es wie mit der Wirtschaft. Solange sich der Staat heraushält, wächst und gedeiht sie.“ Autor: Doch der chinesische Staat hält sich nur so lange aus kirchlichen Angelegenheiten heraus, wie seine eigene Vormachtstellung unangetastet bleibt. Und reagiert mit aller 9

Härte, wenn er religiöse Gemeinschaften als Bedrohung empfindet. So geschehen etwa in Wenzhou, Chinas Jerusalem, dem Herkunftsort der Pilger von Sheshan. Im Sommer 2014 hat die Staatsmacht dort ein Exempel statuiert und als Demonstration ihrer Macht bei mehreren Kirchen die Kreuze abgehängt. Der damalige ARD-Korrespondent im Studio Shanghai fuhr hin, machte sich selber ein Bild vor Ort und interviewte unter anderem einen Aktivisten namens Daoming. Übersetzung Daoming: „Am 28. Juni kamen Sicherheitsleute und Arbeiter hierher, um das Kreuz abzubauen. Wir fragten sie nach einer offiziellen Anordnung, nach irgendeinem rechtlichen Dokument. Doch sie konnten uns nichts zeigen. Sie drängten herein und nahmen das Kreuz ab. Unser Kreuz hatte fast 30 Jahre lang auf dem Dach gestanden – und das legal. Am nächsten Tag haben wir es wieder aufgestellt.“ Autor: Zwei Jahre später fahre ich selber nach Wenzhou gefahren, um zu sehen, was aus dem Kulturkampf um die Kreuze geworden ist. Die Reise endet im Desaster: Besagten Daoming, mit dem ich für ein Interview verabredet bin, hat man bereits verhaftet, bevor ich in Wenzhou ankomme. Einen Tag Sicherheitsgewahrsam, bis der ausländische Journalist abgereist ist. Der Fahrer, den mein Assistent und ich angeheuert haben und der uns am Flughafen abholt, entpuppt sich als gekauft oder getarnter Polizist. Jedenfalls behindert und verzögert er nach Kräften unseren Trip. Andere Gesprächspartner, mit denen wir verabredet sind, werden so eingeschüchtert, dass sie das Interview absagen. Schließlich werden wir selber von Regierungsoffiziellen abgefangen und so massiv von der Arbeit abgehalten, dass wir am Ende des Tages unverrichteter Dinge wieder abreisen müssen. Je größer der Zulauf zu Kirchen und Tempeln, so scheint es, desto nervöser wird Chinas Führung. ****

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