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SWR2 Wissen Schmutzige Raumfahrt Von Dirk Asendorpf Sendung: Montag, 1. Juni 2015, 8.30 Uhr Wiederholung vom 23. September 2013 Redaktion: Detlef Clas Regie: Dirk Asendorpf Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030

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MANUSKRIPT Cut 1: Atmo Countdown, Start einer Ariane-Rakete in Kourou, darüber: Sprecher: Countdown auf europäisch: An der Startrampe für Europas Ariane-Rakete wird Französisch gesprochen. Kourou, Europas Weltraumbahnhof, liegt geographisch zwar in Südamerika, doch rechtlich gehört sein Standort in der französischen Überseeprovinz Guayana zur EU. Cut 1 kurz hoch, darüber: Sprecher: Die Zündung der Triebwerke lässt den tropischen Abendhimmel aufleuchten, es folgt der Startlärm und dann weht die Abgasfahne der beiden Feststoffbooster über den Hügel, auf dem Techniker und geladene Gäste das ohrenbetäubende Spektakel aus sicherem Abstand beobachten. Cut 1 kurz hoch, darüber: Ansage: Schmutzige Raumfahrt – Erst langsam entsteht ein Umweltbewusstsein fürs All Eine Sendung von Dirk Asendorpf Cut 1 ausblenden. Über die Blende: Sprecher: Nach zwei Minuten verlöscht das Höllenfeuer der Hilfstriebwerke, 500 Tonnen Treibstoff sind dann verbrannt. Doch das ist noch das geringste Umweltproblem der Raumfahrtindustrie. Knapp 5.000 Raketen hat die Menschheit bisher gestartet – und dabei im Erdorbit Tausende Tonnen Weltraumschrott erzeugt. Das als Treibstoff für Raketen-Oberstufen und Satelliten verwendete Hydrazin ist hochgiftig. Viele interplanetare Missionen haben sogar Plutonium für kleine Kernreaktoren an Bord. Ein Fehlstart hätte fatale Umweltfolgen. Cut 25: Space-Oddity, Coverversion von Chris Hadfield („Ground Control to Major Tom…”), darüber: Sprecher: Und auch den als Helden der Raumfahrt besungenen Astronauten drohen schwere Nebenwirkungen. Im Orbit sind sie bei schlechter Luft und noch schlechterem Essen auf engstem Raum eingesperrt. Die Strahlenbelastung ist enorm, Stoffwechsel und Immunabwehr leiden, Hautpilze sprießen. Dabei gibt es Alternativen zur schmutzigen Raumfahrt. Doch erst jetzt, über ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Raketenstart, wird über nachhaltige Konzepte, umweltfreundliche Treibstoffe, Wartung defekter und Entsorgung kaputter Satelliten nachgedacht. Cut 2: Atmo Karneval in Cayenne, darüber: 2

Sprecher: Einmal im Jahr flippt Französisch Guayana aus. Sonne, Palmen, Sambarhythmus – über die Straßen der Hauptstadt Cayenne tobt der Karneval. Doch in Kourou, dem gerade mal 60 Kilometer nördlich gelegenen Raumfahrtzentrum, ist davon nichts mehr zu spüren. Hier herrschen strengste Vorschriften. Jean-Charles Vincent ist für ihre Einhaltung zuständig. Er ist der lokale Chef des Raumfahrtunternehmens Arianespace. Cut 3 (Jean-Charles Vincent): We apply strictly all the rules that are applied in Europe, taken into account the French regulation plus the European regulation. We are very strict of this subject because it’s really an essential for the safety of the people working here. We evacuate by example the facility during some phases when the levels or coefficients are above certain value. Which is a very European rule which guarantees that there would be nobody in case of… And this is a very important thing. Plus the security regulation that we handle for all our workers. They are coming here in all security which is a major point for a lot of them. Übersetzer: Alle französischen und alle EU-Vorschriften müssen strikt eingehalten werden. Wir nehmen das hier sehr genau, denn für die Gesundheit aller Menschen, die hier arbeiten, ist der Arbeitsschutz ganz wesentlich. Wird in bestimmten Phasen der Montage ein bestimmtes Gefahrenpotential überschritten, evakuieren wir die Hallen. Auch das ist eine sehr europäische Regel. Sie garantiert, dass niemand zu Schaden kommen kann. Das gleiche gilt für Sicherheitsfragen, auch darum kümmern wir uns intensiv. Sicherheit ist ein wesentliches Anliegen aller Mitarbeiter. Sprecher: Das Gelände des Weltraumbahnhofs von der Größe des Bundeslandes Berlin ist rundum mit einem Elektrozaun gesichert. Schwer bewaffnete Fremdenlegionäre in kurzen Lederhosen laufen Patrouille. Und Mitarbeiter, die eine der klinisch sauberen und klimatisierten Montagehallen betreten wollen, müssen zunächst eine Sicherheitsschleuse passieren. Cut 4: Atmo Schleuse beim Betreten des Reinraums, französisch-englisches Sprachgewirr: Sprecher: Raumfahrtingenieure aus allen Mitgliedsländern der europäischen Weltraumagentur ESA arbeiten hier eng zusammen. Umgangssprache ist Französisch oder Englisch, die Sicherheitsbestimmungen werden im Zweifel aber auch noch einmal auf Deutsch erklärt. Cut 5 Atmo: Schleuse zum Reinraum Das ist hier ne Gasmaske. Aber momentan ist der Satellit in ruhendem Zustand, ist also keine Gefahr. Nur die Sicherheitsingenieure haben Prozeduren, die Prozedur heißt: sobald man in einen Raum reinkommt, wo ein Satellit gefüllt ist mit Treibstoff, muss man das dabei haben im Falle eines Falles. Das heißt aber auch dass falls irgendne Sirene geht und ich sage: rausgehen, dann gehen wir alle langsam raus. 3

Sprecher: Um unnötige Verzögerungen auf der Flucht zu vermeiden, müssen alle Autos vor den Montagehallen rückwärts eingeparkt werden. Im Fall der Fälle können sie so schneller wegfahren. Tatsächlich wird auch diese Vorschrift peinlichst befolgt. Mit den hochexplosiven und toxischen Treibstoffen der Raumfahrt ist nicht zu spaßen. Zum Beispiel mit Hydrazin. Die Stickstoffverbindung wird vor allem für den Antrieb von Raketenoberstufen und die Lagesteuerung von Satelliten verwendet. Beim Betanken müssen auch kleinste Leckagen verhindert werden. Der Raumfahrtingenieur Egbert Jan van der Veen beschäftigt sich am Deutschen Institut für Luft und Raumfahrt (DLR) mit der Bewertung derartiger Risiken. Cut 6 (Egbert Jan van der Veen): Hydrazin ist für die Umwelt gefährlich und für die Menschen, die damit arbeiten. Du hast natürlich die Chance, dass die ganze Rakete explodiert und dann natürlich die ganze Umwelt des Launchbereichs verschmutzt ist. Also das ist auf jeden Fall ein großes Problem. Sprecher: Ein Fehlstart ist auch die größte Gefahr bei Raumfahrzeugen, die einen Kernreaktor oder eine Radionuklidbatterie zur Energieversorgung an Bord haben. Tatsächlich ist es bereits mehrmals zu derartigen Unfällen gekommen. 1978 gingen beim unkontrollierten Absturz eines russischen Satelliten größere Mengen radioaktiven Materials über Nordkanada nieder. 1964 war beim Fehlstart einer us-amerikanischen Rakete auf einen Schlag mehr Plutonium in die Erdatmosphäre gelangt als bei allen oberirdischen Atombombentests zusammen. Inzwischen wird radioaktives Material in Raumfahrzeugen erheblich besser gegen das Verglühen bei einem unkontrollierten Wiedereintritt in die Atmosphäre geschützt, trotzdem lässt sich ein Unfall nie völlig ausschließen. Oliver Romberg vom Institut für Raumfahrtsysteme des DLR: Cut 7 (Oliver Romberg): Wir haben große Diskussionen gehabt mal in einem Projekt wo es darum ging, diese RTGs, diese radioaktiven Heizelemente zu benutzen und dass man die eigentlich nicht verwenden soll, weil irgendwann die Gefahr dabei ist, dass man plötzlich nicht starten darf. Weil es eben auch einfach ne Gefahr ist, dass wenn beim Start was passiert, dann vielleicht das ganze Gebiet da verseucht ist, was man sehr gut nachvollziehen kann. Sprecher: Bisher gibt es keine verbindlichen internationalen Regeln für den Umgang mit gefährlichen Stoffen bei Raketenstarts. Doch die Raumfahrtindustrie ahnt bereits, dass das nicht mehr lange so bleiben wird. Cut 8 (Egbert Jan van der Veen): In Schweden sind sie jetzt schon weit dran, so green propellants zu machen. Sie testen verschiedene Stoffe. Das Problem ist nur: das dauert alles Zeit. Hydrazin wird in der Zukunft, bis es nicht mehr erlaubt ist, auch noch benutzt, weil die Technologie einfach noch nicht fertig ist, um eine Alternative dazu zu benutzen.

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Sprecher: Derweil bekommt die Branche auch Druck ihrer privaten Kundschaft, das sind vor allem große Telekommunikationsunternehmen. Sie befürchten einen Imageschaden, wenn beim Start ihrer Satelliten das Raketensystem – auf Englisch der Launcher – eine Umweltkatastrophe auslöst. Cut 9 (Heiner Klinkrad): Inzwischen ist es so, dass auf dem freien Launcher-Markt die Kunden auch schauen, wie grün ist mein Launcher. Und wenn sie hören, dass die Oberstufen von diesen Startsystemen in der Vergangenheit häufiger explodiert sind, dann sind sie auch geneigt, ein zweites Mal nachzufragen, ob sich daran etwas geändert hat. Also es besteht schon ein gewisser Druck bei den Bereitstellern solcher Startsysteme. Sprecher: Der Ingenieur Heiner Klinkrad weiß wovon er spricht. Er ist bei der ESA für das zweite große Umweltproblem der Raumfahrt zuständig: den Weltraumschrott. Cut 10: Atmo ESOC-Kontrollraum Darmstadt, Kontakt mit Bodenstation in Norwegen, darüber: Sprecher: Das ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt hat täglich damit zu tun. Es ist für die Steuerung der europäischen Satelliten zuständig und muss sich rechtzeitig um Ausweichmanöver kümmern wenn der Zusammenstoß mit einem Überbleibsel aus sechs Jahrzehnten Raumfahrt droht. Cut 10 kurz hoch, dann darüber: Cut 11 (Frank-Jürgen Diekmann): Man versucht ne Mission so gut wie möglich und so sicher wie möglich und mit so viel Einsatz wie möglich zu fahren und dann kann trotzdem jederzeit etwas passieren, mit dem man nicht rechnet. Sprecher: Frank-Jürgen Diekmann ist einer der Flugleiter. Vor sich hat er Computerbildschirme, darauf sind die Umlaufbahnen der Satelliten farbig dargestellt. Im Hintergrund werden sie permanent mit einer Liste der Nasa abgeglichen, auf der die Flugbahnen von 16.000 größeren Brocken Weltraumschrott verzeichnet sind. Stillgelegte Satelliten, ausgebrannte Raketenoberstufen, abgesprengte Halterungsbolzen und 30 ausgediente sowjetische Kleinst-Kernreaktoren gehören ebenso dazu wie ein Golfball und eine Werkzeugtasche, die beim Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation davon schwebte. Cut 10 kurz hoch, darüber: Sprecher: Doch all das macht nur einen Bruchteil der Gesamtmenge aus, die bereits auf Hunderte Millionen Teilchen angewachsen ist. Selbst wenn ab morgen keine einzige Rakete mehr starten dürfte, würde sich der Schrott noch über Jahrzehnte vermehren. Der Grund: Die Überreste ehemaliger Raketen und Satelliten rasen mit bis zu 40.000 5

Stundenkilometern um die Erde, kommt es zu einem Zusammenstoß, zerplatzen sie zu einer Vielzahl neuer Teile – und die Wahrscheinlichkeit weiterer Kollisionen nimmt zu. Um glatte 25 Prozent hat sich die Zahl der Bruchstücke bei einer einzigen Vorfall im Januar 2007 vermehrt. Das chinesische Militär hatte seine Fähigkeiten im Krieg der Sterne mit dem Abschuss eines Satelliten in gut 800 Kilometern Höhe unter Beweis gestellt. Am gefährlichsten ist Weltraumschrott, der zu klein ist, um von der Erde aus beobachtet werden zu können, aber groß genug, um den Totalausfall eines Satelliten auszulösen. Rund 750.000 derartige Objekte umkreisen die Erde. Schon Bröckchen von der Größe einer 2-Euro-Münze können beim Aufprall die Sprengkraft einer Handgranate entwickeln. Cut 12 (Frank-Jürgen Diekmann): Weil wir sie nicht sehen, ist es tatsächlich ein Blindflug. Wir können nur hoffen, können aber nichts dagegen machen. Das sind einfach Objekte, die zu klein sind, um sie vom Boden in 800 km Höhe zu vermessen. Das ist wie beim Würfeln: Die Wahrscheinlichkeit, dass man ne sechs würfelt, ist immer gleich. Aber je öfter man würfelt, irgendwann wird sie kommen. Das ist das Ganze, was schon frustrierend ist. Wir haben bei unserem ERS-Satelliten mal einen Abfall in der Stromversorgung im Solarsegel bekommen, das könnte so ein kleiner Einschlag gewesen sein, der einen Teil dieser Solarantenne vom Stromnetz getrennt hat und deshalb diesen Stromabfall produziert hat. Das kostet richtig Geld. Sprecher: Doch nicht nur der Mini-Müll ist gefährlich. Das im wahrsten Sinn des Wortes dickste Problem in diesem Zusammenhang wiegt acht Tonnen und hat die Ausmaße eines Berliner Doppeldeckerbusses. Cut 13: Piepsende Datenleitung, darüber: Sprecher: Envisat heißt der 2002 gestartete europäische Umweltsatellit. Er ist das größte Objekt, das Europa je ins All gebracht hat. Der wissenschaftliche Nutzen seiner in zehn Jahren gesammelten Daten ist enorm. Doch über die Zeit nach dem Ende seiner Lebensdauer hatte vor dem Start niemand ernsthaft nachgedacht. Für einen kontrollierten Absturz fehlte Envisat von Anfang an der nötige Treibstoff. Und 2012 riss dann auch noch ohne Vorwarnung die Datenverbindung ab. Was der Grund für den Totalausfall war, ist bisher ungeklärt, sagt Juan Piñeiro im Esa-Kontrollraum. Cut 14 (Juan Piñeiro): One can make many hypothesis, but it is almost impossible to find out because the satellite is not talking to you. We know, it is in a single piece because this has been observed with radar images. It is not breaking and spitting around the orbit. Übersetzer: Über die Ursache kann man viel spekulieren, aber den wirklichen Grund herauszufinden, ist praktisch unmöglich, denn der Satellit spricht ja nicht mehr mit uns. Wir wissen, dass er äußerlich weitgehend unversehrt ist, das können wir auf Radarbildern sehen. Er zerfällt nicht in herumspukende Teile.

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Sprecher: Doch das kann jetzt jederzeit passieren, Piñeiro und seine Kollegen könnten einer Kollision nur tatenlos zusehen. Der Weltraumschrott würde dann ausgerechnet dort sprunghaft zunehmen, wo er schon heute am dichtesten ist: auf 700 bis 900 Kilometern Höhe. Dort ziehen Forschungs-, Erdbeobachtungs- und Spionagesatelliten ihre Bahnen. Ein in diesen Orbit gestarteter Satellit wird mit einer Wahrscheinlichkeit von drei bis vier Prozent vor dem Ende seiner regulären Lebenszeit von Weltraumschrott getroffen und zerstört. In den nächsten 50 Jahren wird sich dieses Risiko mindestens verdoppeln – wenn das All keine Müllabfuhr bekommt. Mindestens fünf größere Objekte müssten jedes Jahr eingefangen und kontrolliert zum Absturz gebracht werden, um die Menge des Weltraumschrotts auf Dauer stabil zu halten. Bei der Esa ist Luisa Innocenti dafür verantwortlich, dass es tatsächlich dazu kommt. Cut 15 (Luisa Innocenti): If you want people to clean space, it has to be as cheap as possible. So we will look at the cost of technologies – the clamping, the robotic arm. The net and the harpoon seem to be quite cheap concepts. The technology has to be reusable. Envisat from our Esa point of view, it will be our final target possibly in a step-by-step approach. Übersetzer: Wenn wir Leute dazu bringen wollen, im Weltraum aufzuräumen, dann muss das so billig wie möglich passieren. Also betrachten wir die Kosten verschiedener Technologien: Klammern oder Roboterarme. Netze und Harpunen scheinen recht günstige Konzepte zu sein. Wichtig ist auch, dass die Technik für das Einfangen unterschiedlicher Objekte verwendet werden kann. Envisat ist aus unserer Sicht nur das Endziel eines schrittweisen Vorgehens. Sprecher: 60 Millionen Euro hat die Esa für die Planung einer ersten Rückholaktion zur Verfügung gestellt. Doch über das richtige Vorgehen gibt es keine Einigkeit. Vor allem Deutschland und Frankreich haben unterschiedliche Vorstellungen. Die französische Raumfahrtagentur CNES will mit einer großen Greifzange eine der 290 im All herumfliegenden ausgebrannten Oberstufen russischer Kosmos-Raketen einfangen und zum Absturz bringen. Das Deutsche DLR will dagegen lieber klein anfangen, Manuel Metz ist dafür zuständig. Cut 16 (Manuel Metz): Wir haben eine Mission geplant, die nennt sich Deos, deutsche orbitale Servicing Mission. In der Mission geht es zunächst einmal darum, Technologien im Orbit zu verifizieren, um Satelliten anzufliegen und warten zu können, Reparaturen durchführen oder wiederbetanken zu können. Es wird auch mit dieser Mission gezeigt werden, dass zum Schluss ein kontrollierter Wiedereintritt erfolgreich durchgeführt werden kann. Sprecher: Damit das auch wirklich klappt, soll allerdings kein echtes Stück Weltraumschrott, sondern ein eigens zu diesem Zweck ins All gebrachtes Testobjekt beseitigt werden. Die Esa rechnet frühestens für das Jahr 2022 mit dem Start einer Pilotmission für die Müllabfuhr im All, bis zu 500 Millionen Euro soll sie kosten. Wer welchen Anteil an 7

den Milliardenkosten übernimmt, die das Großreinemachen im All auf Dauer verschlingen wird, ist unterdessen völlig offen. Cut 17 (Manuel Metz): Es wird keine Nation alleine das machen können. Es wird auch keine internationale Organisation wie die Esa alleine solche Rückholmaßnahmen durchführen können. Hier bedarf es wirklich internationaler Kooperation, gemeinschaftlicher Anstrengungen, um wirklich die wichtigsten Orbits frei zu halten. Sprecher: Luisa Innocenti erkennt darin eine deutliche Parallele zu einem ganz anderen globalen Umweltproblem. Cut 18 (Luisa Innocenti): We cannot say that we Europeans were better, it is simply: we launched less. Since we launched less we also created less debris. As Esa we own only six percent of all the total space debris. Kyoto is the same story. Some countries have polluted more than the others. It doesn't mean that they are the ones who are complying to the protocol. The topic is too complex. That the polluter pays, everybody in theory accepts it as long as they are not the polluters. Übersetzer: Wir Europäer sind ja nicht besser als andere. Wir haben bisher nur weniger Raketen gestartet, also haben wir auch weniger Müll produziert. Nur sechs Prozent des gesamten Weltraumschrotts gehört der Esa. Es ist wie bei den Klimaverhandlungen seit Kyoto. Einige Länder haben mehr Müll produziert als andere. Aber das heißt nicht, dass sie die größte Verantwortung übernehmen. Der Verursacher soll zahlen – in der Theorie sind alle damit einverstanden – es sei denn, sie sind selber die Verursacher. Cut 19: Atmo Müllabfuhr, darüber: Sprecher: Reduce, Reuse, Recycle – Abfallvermeidung, Weiterverwendung, Recycling – auf der Erde sind die drei Grundprinzipien eines umweltschonenden Stoffkreislaufs längst im Alltag angekommen. Doch nicht so im All. Cut 20 (Bernd Sommer): Man hat bisher immer einzelne Systeme gebaut mit einer gewissen Lebensdauer und hat im Grunde genommen die Ressource Raum als unendlich angenommen. Sprecher: Bernd Sommer leitet die Technikabteilung für Raumfahrtsysteme und Robotik am DLR in Bonn. Cut 21 (Bernd Sommer): Die Satelliten, die es heute gibt, sind für ne Lebensdauer von 10 bis 15 Jahren gebaut und dann überlässt man sie im Wesentlichen sich selbst. Es gibt zwar internationale Regelungen, dass die Systeme entfernt werden sollen von ihren Einsatzgebieten, im Allgemeinen oder vielfältig findet das halt nicht statt. 8

Sprecher: Denn im All gelten – wie auf dem offenen Ozean – nationale Gesetze zur Müllvermeidung nicht. Und verbindliche internationale Regeln fehlen. Immerhin ist es seit einigen Jahren üblich, geostationäre Satelliten am Ende ihrer Lebensdauer auf den sogenannten Friedhofsorbit anzuheben. Damit machen sie ihren Platz auf der begehrtesten Umlaufbahn wieder frei, auf der sich Fernseh- und andere Satelliten in genau 24 Stunden einmal um die Erde drehen und deshalb immer über der gleichen Stelle des Äquators stehen. Auch Erdbeobachtungs- und Forschungssatelliten werden am Ende ihrer Lebenszeit inzwischen manchmal abgebremst, damit sie schneller in die Atmosphäre zurückkehren und verglühen. Doch noch immer sparen sich viele zivile und vor allem militärische Satellitenbetreiber den Treibstoff – und damit die Kosten – für dieses letzte Manöver. Und selbst wenn es zur Regel würde, bliebe die Raumfahrt trotzdem ein ineffizientes Wegwerfsystem, wie es sich heutzutage auf der Erde niemand mehr leisten würde. Cut 22 (Bernd Sommer): Ein Unternehmer, der LKWs betreibt, wenn der jedes mal seinen LKW aufgibt wenn der Tank leer ist, ist das schlecht. Mit Nachhaltigkeit meine ich, dass wir in Zukunft Satellitensysteme modular aufbauen, die man dann quasi einer Wartung zuführen kann. Sprecher: Doch das klingt einfacher als es ist. Denn im All gibt es bisher weder Tankstellen noch Ersatzteile, ganz zu schweigen von den Handwerkern, die eine Reparatur durchführen könnten. Bernd Sommer denkt denn auch schon weiter. Cut 23 (Bernd Sommer): Das geht natürlich nicht, wenn man jeden einzelnen Satelliten wieder anfliegen und reparieren oder auftanken oder sonstwas wollte. Man müsste dazu hinkommen, dass man quasi eine komplette Service-Infrastruktur langfristig etabliert. Da man ja dann viele Nutzer hat, die diese Infrastruktur teilen, dass sich die Kosten auch irgendwo rechnen. Man hat einen Transporter, man hat ne Lagerhaltung im Orbit, man hat manipulative Systeme, die dann zu den eigentlichen operationellen Satelliten hinfliegen und dort eine Wartungsaufgabe, eine Wiederbetankungsaufgabe oder so etwas umsetzen können. Sprecher: Sehr viel Technik müsste dafür entwickelt werden, Astronauten wären dagegen nicht gefragt. Cut 24 (Bernd Sommer): Wenn man das bemannt machen wollte, wär's wahrscheinlich nicht zu bezahlen (lacht). Und das sind dann ja auch Routineaufgaben, da muss man nicht den Menschen einer Gefahr aussetzen, die mit Sicherheit nicht zu vernachlässigen ist. (lacht) Cut 25: Space-Oddity, Coverversion von Chris Hadfield („Ground Control to Major Tom…”), darüber:

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Sprecher: Astronaut ist ein anstrengender, gefährlicher und vor allem wegen der Strahlenbelastung auch äußerst gesundheitsschädlicher Job. Doch für viele, die es durch den langjährigen Auswahl- und Trainingsprozess schaffen, ist die Reise in den Orbit die Erfüllung ihres Kindheitstraums. So auch für Chris Hadfield, den kanadischen Astronauten, der seine Gitarre zur Internationalen Raumstation mitnahm und es mit der von ihm umgetexteten Coverversion des David-Bowie-Songs „Space Oddity” zu einiger Berühmtheit brachte. Cut 25 kurz hoch, dann darüber: Sprecher: Menschen ins All zu befördern ist nicht nur mit permanenten Verstößen gegen Arbeits- und Gesundheitsschutz verbunden, es ist auch extrem aufwändig – und teuer. Aufgrund der sehr viel höheren Sicherheitsanforderungen kostet ein bemannter Raumflug ungefähr das Zehnfache eines unbemannten Raketenstarts. Entsprechend hoch sind auch der Energieverbrauch und die damit verbundenen Klimafolgen einer bemannten Raumfahrtmission. Dabei gibt es längst Alternativen. Cut 26: Atmo Roboter am DFKI Bremen, darüber: Sprecher: Am Bremer Standort des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz steht ein Nachbau des europäischen Columbus-Labors, das seit über fünf Jahren als Teil der Internationalen Raumstation um die Erde kreist. Statt eines Astronauten arbeitet im Bremer Duplikat eine Roboterdame namens Aila. Ihre Bewegungen werden von Matthias Jordan gesteuert. Der Elektrotechniker steht in einem Raum am anderen Ende des Instituts vor zwei Bildschirmen, über seinen Oberkörper, Arme und Hände hat er ein sogenanntes Exoskelett gestülpt. Per Funk überträgt es seine Bewegungen direkt auf den Roboter. Cut 27 (Matthias Jordan): Die Illusion ist natürlich sehr stark. Durch seine Gestalt, das ist natürlich alles sehr ähnlich, durch das humanoide Aussehen von Aila natürlich. Und es ist tatsächlich so, dass man schon das Gefühl hat, man selber würde diesen Arm direkt steuern. Und es ist ja auch so. Meine Bewegungen werden ja direkt übertragen auf das Robotersystem. Dieses Gefühl würde noch mehr verstärkt werden, wenn man ein Stereobild hätte von der Szenerie. Derzeit ist es so, dass ich eine Szeneriekamera habe und eine, die aus dem Blickwinkel des Roboters ist, das Gefühl hab, nahe dem Geschehen zu sein, aber immer noch eine außenstehende Person zu diesem Geschehen. Sprecher: Jordans Kollegin, die Neurobiologin Elsa Kirchner, ist sehr zufrieden mit dem reibungslosen Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Cut 28 (Elsa Kirchner): Das Schöne an dieser Interaktion ist, dass sie sehr intuitiv abläuft, d.h. so wie sich der Operator bewegt, so bewegt sich auch der Roboter. Und man muss nicht über Joysticks oder ähnlich komplizierte Eingabegeräte so ein komplexes System steuern, 10

also ne Zweiarmsteuerung vornehmen. Zusätzlich können wir nicht nur die Arme steuern, sondern auch den Oberkörper, d.h. wir können uns vorneigen und zurückneigen. Und was außerdem möglich ist, ist die Hände zu steuern. Wir haben also ein Handeingabegerät am Exoskelett, was uns ermöglicht, verschiedene Handbewegungen – jetzt ist der Finger ausgestreckt – und den Finger kann einer benutzen, um verschiedene Hebel und Schalter zu betätigen. Cut 29: Atmo: Russische Wochenschau mit Juri Gagarin, darüber: Sprecher: Menschen werden vor allem zu Propagandazwecken ins All geschickt. Das war schon so zu Zeiten des Kalten Krieges als sich Juri Gagarin 1961 als Versuchskaninchen in die Wostok-1-Kapsel quetschte, und es wiederholt sich jetzt mit dem Bau einer chinesischen Raumstation. Für die Bedienung und Wartung von Satelliten und wissenschaftlichen Experimenten im lebensfeindlichen Umfeld außerhalb der Erdatmosphäre sind Roboter besser geeignet. Allerdings gibt es in Deutschland nur wenige Experten, die bereit sind, sich klar und öffentlich zu diesem Thema zu äußern. Zu verlockend sind die milliardenschweren Raumfahrtbudgets. Cut 30 (Joachim Trümper): Der Nutzen für die Wissenschaft und für die Technologie ist sehr begrenzt und steht in überhaupt keinem Verhältnis zu den enormen Kosten. Sprecher: Joachim Trümper ist der prominenteste Kritiker der Forschung im Orbit. Der 80jährige Astrophysiker gehörte schon 1990 zu den Unterzeichnern einer Entschließung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die sich eindeutig gegen die Milliardenausgaben für bemannte Raumfahrtprojekte aussprach. Diese Haltung hat ihm viel Ärger eingebracht, doch er steht bis heute dazu. Cut 31 (Joachim Trümper): Auf den Webseiten der DLR ist von exzellenten wissenschaftlichen und technologischen Möglichkeiten der Raumstation die Rede, und das ist sehr mit Vorsicht zu genießen, denn wenn man die Experimente auf der Raumstation durchgeht, dann stellt man fest, dass man einen großen Teil davon einfach mit Robotern oder in irgend einer Weise auch in irdischen Labors machen kann. Die Astronauten, die leisten natürlich einen enormen Job im technischen Sinne, aber ihre wissenschaftliche Wirkungsweise ist außerordentlich beschränkt, weil sie meist keine Spezialisten sind auf den Gebieten der Experimente, die sie nun gerade bedienen. Natürlich hat es auch interessante wissenschaftliche Ergebnisse gegeben. Allerdings sind die meisten Ergebnisse medizinischer Art, Raumfahrtmedizin. Und das ist ja dann sozusagen Selbstzweck: Forschung für die bemannte Raumfahrt. Sprecher: Auch mit irdischen Anwendungen der teuren Raumfahrttechnik, den sogenannten Spin-Offs, ist es nicht weit her. Die Teflonpfanne zum Beispiel, die gerne als nützliches Abfallprodukt der Raumfahrt genannt wird, gab es schon lange vor dem ersten Raketenstart. Nur 13 Prozent des ESA-Budgets fließen nach Angaben des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums in Projekte mit einem nachweisbaren 11

Nutzen für die Umwelt. Im nationalen Raumfahrtbudget seien es immerhin 26 Prozent. Tobias Lindner kennt diese Zahlen, er sitzt als Abgeordneter der Grünen im zuständigen Bundestags-Ausschuss. Cut 32 (Tobias Lindner): Ich finde: das kann man noch steigern. Luft- und Raumfahrt ist gerne was, womit man sich brüstet, was so nach außen hin ein faszinierendes Thema ist, wenn's aber dann um die Folgen geht oder die Frage von Umweltschutz bei der Raumfahrt, das ist nicht sehr hoch momentan auf der politischen Agenda. Ich gehe aber davon aus, dass auch die Frage gestellt wird: Leute auf was wollen wir uns konzentrieren und was sind denn vielleicht die grüneren Technologien darunter. Da haben Erdbeobachtung, Klimaforschung, intelligente Verkehrssteuerung für mich einen sehr hohen Stellenwert und in dem Bereich würde ich dann Mittel konzentrieren und an anderen Stellen eher Mittel absenken. Cut 33: Atmo Soundtrack Raumpatrouille Orion mit Countdown, darüber: Sprecher: Schon seit die Raumpatrouille Orion Mitte der 60er Jahre über die Fernseher in Deutschlands Wohnzimmern düste, ist das öffentliche Image der Raumfahrt unverwüstlich positiv. Die unerfreulichen Folgen und Nebenwirkungen spielten lange keine Rolle. Cut 34 (Joachim Trümper): Ich glaube, das liegt daran, dass die Öffentlichkeit, der Mann auf der Straße sehr weit weg ist von diesen Dingen. Das ist kein Thema, was sich z.B. in einem Wahlkampf eignet. Also das wäre ein völliger Flop, wenn eine Partei das zu einem ihrer Wahlkampfthemen machen würde. Sprecher: Ohne politische Vorgaben ist Umweltschutz undenkbar. Das hat sich auf der Erde gezeigt und es gilt auch im Orbit. Doch während Abwasserreinigung und Abgasfilter auf nationaler Ebene vorgeschrieben werden konnten, lassen sich Umweltstandards im All nur in Kooperation aller Raumfahrtnationen durchsetzen – ein klarer Fall für die UNO. Doch auf sie zu warten, kann sehr lange dauern. Besser ist es, mit den eigenen Missionen zu beginnen. Zumindest auf dem Papier hat sich Deutschland dazu bekannt. Die „Gewährleistung einer nachhaltigen Raumfahrt“ hat es in die Prioritätenliste der jüngsten Raumfahrtstrategie der Bundesregierung geschafft – auf Platz zehn. Cut 33 kurz hoch bis zum Schlussakkord. *****

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