Dr. med. Claudia Bender mit einer Patientin (Bild: Heiner Heine 2010)

Spital Manyemen in Kamerun Ausgewählte Texte aus sechs Jahrzehnten Zusammenarbeit 15.Juni 1953 bis 22.Juni 2013

Einführung Partnerschaft und gelebte Solidarität zwischen mission 21 und der Presbyterian Church in Cameroon (PCC) lassen sich ganz besonders eindrücklich anhand der Zusammenarbeit in der Gesundheitsarbeit aufzeigen. Zentral war und ist der Gedanke, dass auch Menschen in ländlichen Gebieten und mit weniger Einkommen, Zugang zu einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung haben. Die nachfolgenden Textpassagen wurden aus der Sammlung der Rundbriefe von Missionaren und Missionarinnen - später „Fraternal Workers“ und jetzt ökumenische Mitarbeitende genannt - ausgewählt und zusammengestellt. Sie geben einen kleinen Einblick in das Wirken vor Ort Vorab ein Auszug aus einem Rundbrief von Stefan und Ursula Grunder geschrieben am 22.7.1994, welcher sowohl für die AUSWAHL, als auch für den INHALT ALLER Texte gilt: „Wenn wir Euch teilhaben lassen an unserem Erleben, dann öffnen wir uns natürlich der Kritik anderer; einige verstehen unsere Haltung nicht, andere finden sie völlig obsolet. Es ist risikoreich, solches zu schreiben: wir geben ein Stück von uns Preis und können Ablehnung erfahren; Missverständnisse sind leicht möglich, da unsere Leser ja nicht hier leben und wir uns recht kurz fassen müssen. Manches empfindet man zu Beginn anders als vielleicht später. Eines jedoch dürfte bleiben: wenn man in einer anderen Kultur lebt, sehen die Dinge weniger romantisch aus, als sie uns zuhause vermittelt werden....“ Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Bemühungen von Kirche und mission 21 um eine Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum der Südwestregion Kameruns für die Menschen, welche als Patienten ins Spital Manyemen kommen, wertvoll und lebenswichtig ist. Wichtiger als allfällige finanzielle Unterstützungen sind dabei die Mitarbeitenden, welche zum einen von der Basler Mission/mission 21 ausgesandt wurden – zum anderen von der Kirche angestellt sind. Ohne Ihr engagiertes Wirken wäre Manyemen nicht, was es ist…. Verena Ramseier im Juni 2013 3

Beschreibung von Manyemen Matthias Furrer, Mai 1989 Manyemen, das ist ein kleiner Flecken mitten im Regenwaldgebiet Südwest Kameruns. Der Stamm der Balongs kommt von hier, von Banye-Mä, das heisst: füttere die Ziegen, denn ursprünglich war dies gerade nur ein Urwaldfleck, wo bekannterweise gute Büsche für die Ziegen, die vorbeigetrieben wurden, wuchsen. Die Balongs zogen aus verschiedensten Gründen, besonders wegen interner Zwistigkeiten wegen, vor langer Zeit weg nach Muyuka. Nur die „Upper-Balongs“ blieben hier. Kameruns Südwest Provinz besteht vor allem aus Waldland. Schwer zugängliche Hügelgebiete rahmen das Gebiet ein. Flüsse durchfahren von den Hügeln her kommend das Tiefland und strömen entweder Nigeria zu, oder gelangen von den Bakossi-Bergen oder den Rumpi-Bergen her via Mungo in der Nähe von Douala in das Meer. Wie ihr ja wisst, entstanden die grossen afrikanischen Kultern und Reiche eher im heutigen Sahel Gebiet und im Hügelgebiet nördlich von Manyemen, wo das Klima menschenfreundlicher ist als im feuchtheissen Gürtel. Erst der Bevölkerungsdruck und die zunehmende Trockenheit in den genannten Gebieten drängten die Bantu Stämme in die durch Krankheiten und eher unfruchtbaren Böden weniger attraktiven Waldgebiete. Die Ureinwohner verschwanden. Die Neuzuzüger zügelten vor allen in die fruchtbaren vulkanischen Hügelgebiete und entwickelten da die uns bekannte Waldlandstruktur.

13.Mai 1970 Dr. Vogt schreibt Es mag im Jahr 1905 gewesen sein, als die ersten Missionare aus Basel dem Dörflein einen Besuch abstatteten. 1919 entstand eine Christengemeinde, und die erste Kirche wurde gebaut, zu einer Zeit als sämtliche Missionsleute das Land verlassen hatten. Bis zum 2.Weltkrieg – Westkamerun hatte von der deutschen zur englischen Kolonialherrschaft herüber gewechselt – blieb Manyemen ein unbekanntes Nest mitten im Urwald, von beiden Seiten her nur nach tagelangen Fussmärschen erreichbar.

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1945 wurde eine durchgehend befahrbare Strasse von Kumba bis Mamfe angelegt, und damit begann langsam der Pulsschlag der grossen Welt in unserem abgelegenen Winkel spürbar zu werden In den frühen 50er Jahren wurde der dringende Wunsch nach einer Leprasiedlung im Kameruner Waldland an die Basler Mission gerichtet. Das Gebiet, halb so gross wie die Schweiz, zählt eine halbe Million Einwohner, und davon leiden etwa 2% an der einen oder anderen Form des Aussatzes. Der damalige Häuptling von Manyemen, Chief Mpock, stellte für die Siedlung mehr als 10km2 Land zur Verfügung. Fritz Raaflaub beschreibt im Februar 1957 rückblickend Mitten im dichten Urwald an der Hauptstrasse, die sich als einzige Verkehrsader durch das Waldland von Kamerun zieht, liegt die Aussätzigensiedlung von Manyemen. Bis zu den Bezirkshauptorten Kumba und Mamfe sind es je an die hundert Kilometer. Dort befinden sich auch die nächsten Spitäler. Im benachbarten Nigerien bestanden schon seit vielen Jahren solche Siedlungen, wo sich die Aussätzigen zu Hunderten, ja an einem Ort zu Tausenden zusammenfanden. Nach vier, sechs oder acht Jahren konnten ihrer viele als symptomfrei entlassen werden und zu den Ihren zurückkehren. Der „weisse Tod“ wie ein nicht weit von Kamerun wohnender Stamm diese Krankheit nannte, verlor langsam seine Schrecken. Der Plan auch in Kamerun eine solche Siedlung zu gründen, nahm bald konkrete Gestalt an. Die Regierung setzte sich zum Ziel, durch eine systematische Erfassung und Behandlung aller Aussätzigen die Krankheit nach und nach zu überwinden. Sie war dankbar für die Bereitschaft der Mission, die Verantwortung für die Errichtung und Führung einer solchen Siedlung im Waldland von Kamerun zu übernehmen und stellte für den Bau derselben das Geld in Aussicht. Manyemen wurde als Ort für dieses Aussätzigenspital auserwählt. Man fällte Bäume und säuberte das Gelände vom Unterholz, und am 15.Juni 1953 fand die Grundsteinlegung statt. Wo vorher dichter Urwald stand, durchsetzt von Farmen der Dorfbewohner, wurde emsig gebaut. Es entstanden die nötigen Häuser für die europäischen Mitarbeiter und die Spitalanlage. Herr Dr. Hans Vouté, der langjährige Leiter des Militärsanatoriums in Montana hatte sich für den Dienst an den Aussätzigen zur Verfügung gestellt. Er reiste im Januar 1954 aus und sah sich zunächst in 5

einer Siedlung gleicher Art in Nigerien um. Im Mai desselben Jahres zogen er, seine Frau und Schwester in Manyemen auf. Der Verwalter Alfred Ryter, traf mit seiner Familie erst ein Jahr später ein, um den Arzt von vielen praktischen Arbeiten zu entlasten und auch die Entwicklung der Siedlungsfarm zu überwachen. Die ersten Patienten liessen nicht lange auf sich warten. Es sprach sich bald herum, der langersehnte Arzt sei da, und so machten sich viele auf den Weg nach Manyemen.

Herr Dr. Hans Vouté, im Juni 1954 Nun stehen wir mitten in unserer eigentlichen Arbeit drin, im Aufbau der Siedlung und Betreuung der Aussätzigen. Schon im Mai begannen die Kranken einzeln oder in Gruppen zu kommen, weil sie gehört hatten der Arzt sei da. Damit stellte sich das Problem der Unterkunft. Wir mussten die Lehmhütten, in denen bisher die Arbeiter wohnten, räumen und für Patienten freimachen. Aber der Platz reicht bei weitem nicht aus für die 81 Aussätzigen, die wir bereits aufgenommen haben. Ich bewundere die Geduld und Bereitschaft unserer schwarzen Patienten, zu acht oder neunt in einem Häuschen zu wohnen, das für vier berechnet ist. Ein anderes, fast noch schwereres Problem ist die Frage der Verpflegung unserer Patienten und Arbeiter. Nahrung für hundertdreissig Personen zu beschaffen ist nicht so einfach wie zu Hause, wo man seinen Lieferanten anläuten und Bestellungen machen kann. In unserer näheren Umgebung ist sozusagen nichts zu finden. Wir müssen mit unserem Lastwagen sechzig Kilometer weit fahren. Gehen wir Weisse selbst, dann werden uns Preise diktiert, die die Kranken nicht bezahlen können. Schicken wir die Eingeborenen, kommt es aufs Gleiche heraus, nur weiss man dann nicht, wer am meisten profitiert. Allmählich kommen die Leute selbst hierher und bieten ihre Produkte an. Die Patienten können dann selbst kaufen und bezahlen, was sie für gut finden. Im September 1954 Das erst Siedlungsdörfchen mit sechsundzwanzig Häuschen ist beinahe fertig, und wir haben schon 135 Patienten in Behandlung. Die Vorbereitungen für das zweite, grössere Dörfchen sind im Gange. Wege und Brücken werden gebaut, der Busch wird geschlagen für die Hütten und für die Farmen. Das schwerste Problem ist augenblicklich die Verpflegung. Die Strassen sind gegenwärtig so schlecht, 6

dass die meisten Lastwagen hoffnungslos im Dreck der Strasse versinken. Einzig Wagen mit Vierradantrieb können noch durchkommen. Wir bitten Gott täglich und immer wieder, dass er uns in dieser Not durchhelfen möge. Januar 1956 Mitte Dezember feierten wir ein Fest besonderer Art: die Taufe von 54 Patienten und anschliessend die Entlassung der ersten 13 Geheilten. Diesem Ereignis kommt nicht nur für unsere Siedlung, sondern für ganz Kamerun historische Bedeutung zu. Zum ersten Mal durften Patienten geheilt nach Haus entlassen werden. Wie dankbar sind wir, dass Gott den Wissenschaftlern in der Sulfonbehandlung den Weg zur Heilung des Aussatzes gezeigt hat. Es ist eine grosse Freude, diese Leute nach zwei Jahren Siedlungsaufenthalt und Behandlung ihren Familien zurückgeben zu können. Ich denke da besonders an zwei junge Mädchen, bei denen keine Spur des Aussatzes zurückblieb. Nicht alle Fälle verlaufen so günstig wie bei ihnen. Bei vielen bleiben gewisse Flecken und Narben auf der Haut zurück und verschwinden nie mehr. Verstümmelte Gliedmassen wachsen natürlich nicht nach, aber auch die Glieder – meistens sind es die Füsse – die im Verlauf der Krankheit gefühllos geworden sind, bleiben so, weil der Nerv vom Bazillus zerstört worden ist. Dies verursacht den Leuten die meisten Beschwerden. Sie verletzen sich, ohne etwas davon zu spüren, und dadurch können Geschwüre entstehen, die oft jahrelang nicht heilen wollen. Ich erwähne dies in allen Einzelheiten, um zu zeigen, wie wichtig es ist, dass die Aussätzigen so frühzeitig als möglich in die Siedlung kommen sollten. Oktober 1956 Seitdem einige Patienten die Siedlung symptomfrei verlassen durften, hat sich die Haltung der Bevölkerung weitgehend geändert. Verbarg man bisher den Aussatz so lange es ging, kommt man heute zu uns, sobald man einen verdächtigen Flecken entdeckt.

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Margrit Honegger am 15.Oktober 1958 Der Plan für die Erweiterung des Spitals wurde bereits ausgearbeitet. Der Frauensaal soll vergrössert werden, und für Frauen und Männer brauchen wir kleine Isolierzimmer. Ferner sind ein grösseres Untersuchungszimmer, ein Verbandraum und ein Laboratorium vorgesehen. Mit den Vorarbeiten wurde schon begonnen. Kübelweise wird die lehmige Erde auf dem Kopf weggetragen. Es ist eine mühsame Arbeit, aber die Männer sind glücklich dadurch etwas verdienen zu können. Allerdings erscheinen sie dann nachmittags in der Poliklinik und möchten Medizin gegen den Muskelkater haben „I don die“ – ich bin gestorben, heisst es dann etwa. Aber am folgenden Tag sieht man sie wieder vergnügt an der Arbeit.

Elisabeth Petitpierre, 23.Januar 1959 Gross ist auch der Zustrom der nichtleprösen Kranken, die uns um Hilfe bitten. Sie kommen aus den verschiedensten Urwalddörfern der näheren und weiteren Umgebung. Sie scheuen sich nicht, zwei oder drei Tage unterwegs zu sein, um in unsere Poliklinik zu gelangen. Die Untersuchung und Behandlung dieser vielen Kranken, deren Zahl ständig wächst, beschäftigt eine Schwester am Vormittag ganz. Der Arzt nimmt sich nur der schweren Fälle an. Man hat es mit einer unglaublichen Vielfalt von Krankheitserscheinungen zu tun. Zu den üblichen, wie man sie auch in Europa kennt, kommen die mancherlei Tropenkrankheiten. Das Penicillin tut Wunder bei manchen Tropengeschwüren und Hautkrankheiten, was dazu beitragen mag, dass wir so rasch einen guten Ruf bekommen haben. Der Aussatz ist eine chronische Krankheit, die von Patienten und Pflegenden viel Geduld verlangt. Ohne die Mithilfe des Kranken selbst geht es nicht vorwärts. Diese Menschen, aus ihren Dörfern und Familien ausgestossen, fanden hier die christliche Liebe, und für viele von ihnen wurde das zum sanften Ruhekissen. Bei der Behandlung der Lepra gibt es jedoch nichts Schlimmeres als Untätigkeit. Patienten, die das Gefühl in Händen und Füssen verloren haben, sollten vor Gefahren des Feuers und anderer Verletzungsmöglichkeiten geschützt werden. Wir müssten auch die Ratten ausschalten können. Diese elenden Parasiten nagen nachts an den Zehen der Patienten, die erst am Morgen etwas davon merken.

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Zu Dr. Emilia Odé Dr. Emilia Odé war von 1960 bis 1975 ununterbrochen in Manyemen tätig. Dr. Odé baute das Zentrum aus und konzentrierte sich vorerst auf die bis 500 Patienten zählende Siedlung. In Anerkennung der grossen Verdienste von Dr. Emilia Odé bedachte sie Staatspräsident Ahidjo mit dem kamerunischen Verdienstorden. Emilia Odé schreibt: Die Kranken strömten nach Manyemen. Mancher wartete wegen Platzmangel im Spital oder in den Patientendörfern. Wegen der vielen wartenden Leprapatienten begehrte die Dorfgemeinschaft von Manyemen auf. Die Furcht vor der Lepra war noch sehr gross. Der Häuptling hatte es nicht immer leicht. Es gab Leute, die ihm Vorwürfe machten, dass er den Aufbau der Siedlung in der Nähe des Dorfes überhaupt erlaubt hatte. Das Lepraspital brachte Manyemen aber auch Vorteile. Jetzt hatte das Dorf einen richtigen Arzt in seiner Mitte. Bis dahin war der nächste Arzt 100km entfernt und in der Regenzeit wegen der unbefahrbaren Strasse überhaupt nicht erreichbar gewesen. Nun konnten die Dorfbewohner im Lepraspital den Arzt aufsuchen. Fast jeden Morgen wartete eine grosse Anzahl von Nichtleprapatienten aus der ganzen Umgebung auf ihn. Er mochte sie nicht abweisen, da sie ja kaum eine Möglichkeit hatten sich anderswo behandeln zu lassen, aber auf Dauer wurde es schon etwas viel. Immer weniger Zeit blieb dem Arzt übrig für die Leprakranken. Auch gab es mehr und mehr Notfälle. Schliesslich waren mehrere Spitalräume sowie die Korridore mit Nicht-Leprakranken belegt. Als die Situation unhaltbar wurde, berief man zunächst einen zweiten Arzt nach Manyemen, zur Behandlung der Nicht-Leprapatienten. Dann wurde neben dem Lepraspital mit Mitteln von Brot für Brüder auch ein allgemeines Spital gebaut, dessen offizielle Eröffnung im Mai 1966 stattfand. Im Laufe der Zeit wurde am Spitalkomplex der Siedlung mehrmals angebaut, ausgebessert und geändert, um den sich ständig erneuernden Auffassungen über die Leprabehandlung Rechnung zu tragen. Emilia Odé beschreibt eine Lepra-Patientin Anna ist seit vielen Jahren in der Siedlung. Als sie zu uns kam, hatte die Lepra ihren Körper schon übel zugerichtet. Statt Händen hatte sie nur noch Stumpen, und die beiden Füsse waren verkrüppelt. 9

Sie wurde behandelt und instruiert, wie sie weiteren Schäden vorzubeugen hätte. Anna fand sich mit ihrer Behinderung sehr gut zurecht. Es war erstaunlich, was sie mit ihren Händen leisten konnte. Sie strickte, stickte und nähte mit ihren Stumpen. Trotzdem sie wegen ihres linken Fusses, der verkrümmt war und öfters Geschwüre aufwies, manchmal das Bett zu hüten hatte, war sie immer beschäftigt und fröhlich dabei. Sie wusste sich stets zu helfen. War sie wieder zurück in ihrem Häuschen, sah man sie oft auf einem Schemel im Garten sitzend, das Unkraut entfernen. Hin und wieder konnte sie auch recht gut schimpfen, wenn ihr etwas nicht gefiel, aber das brauchte sie um abreagieren zu können. Ist es jemandem, der immer nur mit Krücken herumhumpeln kann und abhängig ist von andern, die einem das Wasser bringen müssen, zu verübeln, dass ihm vielleicht einmal die Geduld ausgeht? Leider verschlimmerte sich der linke Fuss immer mehr. Schliesslich blieb uns nichts anderes übrige als eine Amputation vorzuschlagen. Es war keine leichte Entscheidung für Anna, aber als wir ihr eine Prothese versprachen, willigte sie ein. So wurde ihr eines Tages der entsprechende Unterschenkel amputiert. Alles ging gut und Anna bekam eine Prothese aus Europa geschenkt. Leider krachte das Kunstbein wegen eines Materialfehlers schon am ersten Tag zusammen und wir mussten es nach Europa zurückschicken. Es kam zurück und nun geht Anna damit. Eigentlich ist eine solche Prothese aus Europa ein Unding. Sie ist sehr kostspielig und ausserdem den afrikanischen Geländeverhältnissen nicht angepasst. Dazu fehlt uns die notwendige Apparatur zur Durchführung von Reparaturen. Schon lange war es unser Wunsch, einen Mitarbeiter ausbilden zu lassen für die Anfertigung einfacher Beinprothesen, die dem Gelände und den vorhandenen Materialien besser Rechnung tragen, als die Importprodukte. Mit Hilfe eines Stipendiums war es möglich, im Jahre 1975 unseren Schuhmachermeister, Benson Ayuk, auch einen ehemaligen Patienten, für einen Kurs nach Nigeria zu schicken. Benson war ursprünglich Automechaniker gewesen, konnte aber mit seinen geschwächten Händen die Schwerarbeit in der Garage nicht mehr leisten und wurde in die Schuhmacherwerkstatt versetzt, wo er mit drei anderen Ehemaligen die Arbeit besorgt. Nun hat er auch eine Prothesenwerkstatt eingerichtet. Die Patienten sind begeistert und auch Anna wollte sofort eine in Manyemen fabrizierte Prothese. Sie wird sie bekommen, aber vorläufig bereitet die regelmässige

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Zufuhr der nötigen Materialien Schwierigkeiten, und die Produktion ist noch beschränkt. Die Möglichkeit Prothesen zu fabrizieren bedeutet für die Siedlung viel. Wir haben öfters Patienten, die man wegen hoffnungslosen Geschwüren an den Füssen monatelang im Bett pflegt. Der Patient kann sich nicht entschliessen, einer Amputation zuzustimmen. Kann man ihm eine Prothese versprechen, fällt der Entscheid zur Amputation leichter. Auf diese Weise ist es möglich die teuren Pflegekosten herabzusetzen.

Dr. Vogt am 13.Mai 1970. Die nächsten Regierungsspitäler befinden sich in Kumba und in Mamfe und sind je 100km weit entfernt. Wen verwundert’s dass der Arzt der Leprasiedlung auch für nichtlepröse Patienten immer wieder in Anspruch genommen wurde? So ertönte der Ruf nach einem allgemeinen Spital immer lauter. 1963 konnte mit dem Bau begonnen werden und 1966 wurde es eingeweiht. Die 60 Betten sind fast ständig voll belegt, und jeden Tag kommen etwa 200 Patienten ambulant zur Sprechstunde. Ein Berg von Elend! Vier weisse Schwestern und eine Laborantin, zusammen mit mehr als 50 afrikanischen Helfern, versuchen ihn abzutragen. So wurde die „Geissenweid“ in kurzer Zeit aus einem vergessenen Nest zu einem Begriff in vieler Munde. Darf ich ein Bild der Zukunft vor mir aufsteigen lassen? Statt des Urwalds, der immer noch bis hart ans Dorf heranreicht, sehe ich soweit das Auge reicht, Pflanzungen von Reis, Bananen, Palmen und Citrusfrüchten. Im Dorf hat jeder Arbeit und genug zu essen. Aus gesunden Familien baut sich eine gesunde Dorfgemeinschaft auf, die ihre Angelegenheiten selber ordnet und die Entwicklung zum Wohle aller vorantreibt. Kirche, Schule und Spital sind getragen von Verständnis einer hilfsbereiten Bevölkerung, die drei Zentren des gemeinsamen Lebens, von denen aufbauende und heilende Kräfte weit ins Land hinaus strömen. Jawohl, ich träume! Und doch: wie vieles ist in diesem Manyemen schon geschehen, von dem die Sachverständigen gesagt haben, dass es völlig ausgeschlossen sei! Der Geist Gottes macht lebendig, und der Glaube hilft uns, über Mauern zu springen!

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Hanni Egli am 29.Oktober 1971 Frl. Dr. Odé erkannte sofort die Notwendigkeit der Intensivierung des Kampfes gegen die Lepra, bessere, vielseitigere Behandlungsmethoden mussten angewandt werden. Die so sehr wichtige physikalische Therapie wurde eingeführt, wofür später das Physiotherapiegebäude errichtet werden konnte. In Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeindevertretern konnten im ganzen Waldland mehr und mehr Dorfbehandlungszentren eingerichtet werden. Junge Männer erhielten in Manyemen oder in Nigeria eine spezielle Ausbildung zur Betreuung dieser ambulanten Patienten. Dazu gehörte eine Umschulung im Denken über die Krankheit als solche: Lepra ist nicht mehr eine besondere Krankheit, der allerhand Aberglauben anhaftet, sie ist eine Krankheit wie jede andere, verursacht durch einen Bazillus, sie kann geheilt werden, und dazu braucht es geschultes Pflegepersonal. In allen Zweigen der Siedlung arbeiteten von Anfang an Leprapatienten mit, so auch im Spital, in der Physiotherapie und in der orthopädischen Schuhwerkstatt. Dazu erhielten sie von Arzt und Schwestern einfachen Unterricht in Hygiene, Anatomie und Krankenpflege. Sie wurden zugleich zum lebendigen Zeichen des „barmherzigen Samariters“, der nicht nur dem Stammesbruder, sondern allen die Füsse verbindet. 1968 wurden die letzten Zweige der Basler Mission in die presbyterianische Kirche von Westkamerun integriert; d.h. auch die Spitäler mit allem Zubehör, jedem Tische und jedem Bett, gingen an die Kirche über. Seither existiert die Basler Mission als solche eigentlich nicht mehr in West-Kamerun. Wir heissen jetzt „Brüderliche Mitarbeiter“ und werden mehr und mehr in unseren Aufgaben durch qualifizierte Afrikaner ersetzt. Die Jahre bis 1970 möchte ich eigentlich die Zeitspanne des Aufbaus nennen: Bessere Unterkünfte für Patienten, viele neue Häuser für Mitarbeiter konnten erstellt werden, Elektrizität und gute Wasserversorgung wurden eingerichtet. Man konnte Behandlungsmethoden verbessern durch das Angebot an verschiedenen Antilepramedikamenten; nervengeschädigte Hände und Füsse konnten durch Sehnetransplantationen wieder funktionstüchtig gemacht werden! Leprapatienten 12

wurden aufgenommen und viele konnten als symptomfrei wieder entlassen werden. Eine christliche Gemeinde wuchs. Mehr und mehr wurden junge Afrikaner zu qualifizierten Mitarbeitern ausgebildet und zu selbständigem Entscheiden aufgefordert. Im Lande auf und ab gewannen die kirchlichen Institutionen an Zahl und Ansehen: Mittelschulen, Lehrerseminare, Landbauschulen, christliche Frauenarbeit, kirchliche Zentren und medizinische Hilfe. Und nun erleben wir etwas eigenartiges. Die „Blütezeit“ der Kirche scheint sich zu neigen. Ist es ein Zerbrechen? Oder ist es vielleicht ein heilsamer Vorgang, von Gott verordnet, um die Kirche Jesu Christi auf das Eigentliche, Wesentliche zurückzuführen? Schulen sind z.T. an die Regierung übergegangen, die Zukunft der Seminare und Colleges ist ungewiss, wie lange die Kirche die Spitäler halten kann, weiss man nicht... Auch die Leprasiedlung in Manyemen macht folgenschwere Wandlungen durch, teils aus finanziellen, teils aus medizinischen Erkenntnissen heraus. Die Afrikanisierung des Mitarbeiterstabes in der Siedlung schreitet so voran, dass im Jahre 1973 voraussichtlich neben dem leitenden Arzt nur noch eine weisse Schwester für soziale Arbeit und ev. ein Verwalter da sein werden, alle anderen Mitarbeiter werden Afrikaner sein. Das ist richtig, das war auch von jeher das Ziel der Basler Mission. Wegen der sehr prekären Finanzlage der Kirche jedoch müssen wir darauf achten, so wenig „Staffleute“ (Personal) als möglich anzustellen. (Das Paradoxe an der Sache ist, dass in Kamerun Tausende von intelligenten jungen Menschen keine Arbeit finden). Das ist einer der Gründe, warum Frl. Odé angefangen hat, Leprapatienten aufzufordern, in die ambulante Behandlung, in die Buschdörfer zurückzukehren. Der andere Grund ist medizinisch. Nach neuesten Erkenntnissen müssen viele Patienten 10-20 Jahre oder besser Lebenslang Antilepramittel schlucken. Nun ist es verständlicherweise praktisch unmöglich, diese Leute dauernd in der Siedlung zu behalten. So werden nun mehr und mehr solche Patienten nach Hause zur ambulanten Behandlung oder zur Selbstbehandlung transferiert.

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Momentan weilen noch ca 370 Kranke in unserer Siedlung, darunter 40 Kinder. Ende des Jahres werden einige entlassen und mehrere transferiert werden. Wir planen die Siedlung samt Spital für ca 100 Patienten mehr als Durchgangsstation offen zu halten. Wir werden also nur noch Schwerkranke haben mit allerlei Komplikationen, solche für spezielle Medikamente, dann auch zur physikalischen Therapie und für Operationen. Natürlich werden auch immer Patienten kommen zur Behandlung ihrer ulzerierten Füsse und für orthopädische Schuhe. Der Spitalbetrieb wird in Zukunft somit eher noch intensiver werden, der Chronischkrankencharakter der Siedlung jedoch wird zu einem Minimum reduziert sein.

Etwa zur gleichen Zeit (Januar 1971) Schwester Marga Weinreich befindet sich in Ballin-Bagundu in der Akwaya Region. Sie hatte schon von 1961 bis 1970 in den Spitälern Manyemen und Acha Tugi in Kamerun gearbeitet. Auf Reisen in abgelegene Gebiete war sie immer wieder erschüttert von der grossen Krankheitsnot. Die fernab von der Strasse lebenden Menschen hatten keine Möglichkeit einen Arzt aufzusuchen oder sich in einer Poliklinik behandeln zu lassen. Wohl kannten die Medizinmänner zahlreiche Heilmittel, aber Unwissenheit und Tabus waren Ursache vieler Krankheiten und Todesfälle. Dem Wunsch der Schwester, ganz unter den Menschen im unzugänglichen Gebiet jenseits des Mamfe zu leben, stellten sich vorerst manche Hindernisse in den Weg. Aber im Jahr 1970 war es soweit: Schwester Marga konnte zusammen mit afrikanischen Helfern im abgelegenen Ballin eine einfache Poliklinik eröffnen. Sie schreibt: Gerne lade ich Sie wieder ein, an unserem Auszug teilzunehmen. Die Messaga wohnen im Akwaya-Distrikt, in Mamfe-Overside, dem Gebiet jenseits des Mamfe Flusses, im Westen von Kamerun und ganz nahe an der nigerianischen Grenze. Die drei Gruppen des Stammes Ballin, Bagundu und Bainjaw, haben ihre eigenen Häuptlinge und scheinen sich nur in gemeinsamen Notzeiten einig zu sein. Man gelangt zu ihnen entweder in einem acht Tage andauernden Fussmarsch direkt von Mamfe aus oder vom Grasland über Bafut nach Benakuma und dann durch das Esimbi Gebiet. Im November wählten wir den letzteren Weg. Nach Benakuma kommt man noch mit einem Geländewagen, dann hört die Strasse 14

auf. Auf dem Marktplatz von Benakuma werden alle als Traglasten vorbereiteten Säcke und Kisten abgeladen und in den nächsten zwei bis drei Tagen auf dem Kopf weitertransportiert. Bereits sieht man die Träger schwatzend und singend die steilen Ufer zum Mentchoum Fluss hinuntersteigen. Die meisten werfen ihre Lasten ab und springen erst einmal in die erfrischenden Fluten. Das ist keine Zeitverschwendung, denn da der Fluss um diese Jahreszeit viel Wasser führt, müssen sie alle über die Hängebrücke, die schon sehr brüchig ist und nur von je einer Person betreten werden darf. Sie spannt sich etwa 60 Meter lang über den grossen, reissenden Fluss. Man geht wie in einem kunstvoll gearbeiteten Spinnennetz aus Lianen auf einem schmalen Mittelsteg und atmet auf, wenn man die schwankende Brücke hinter sich hat. Alle 65 Träger sind nach manchen Stunden und viel fröhlichem Lärm auf der anderen Seite gelandet. Einsam nur bleibt vor der Brücke der Eisschrank zurück. Die vielen guten Ratschläge von Seiten der Einheimischen und Träger enden alle damit, doch das Ding am besten dazulassen; man habe noch nie eine so grosse Kiste durch den Busch getragen. Die Einheimischen betrachten das Schauspiel und flüstern den Trägern zu, da sei gewiss ein Toter drin. Andere wissen, dass man einen bösen Husten bekommt, wenn man solch ein Ding auch nur anrührt. Aber wir brauchen ihn. Ist nicht beim letzten Besuch ein junger, starker Mann am Biss einer Viper gestorben? Sterben nicht viele Kinder in der Messaga an Wundstarrkrampf? Wie sollte man Schutzimpfungen durchführen können? Ohne Eisschrank wären die Medikamente schon unbrauchbar, bevor sie dort ankommen. Also versucht man nach stundenlangem Palaver unendlich mühsam, die riesige Last auf dem Rücken einiger Träger über die gefährliche Hängebrücke zu bringen. Die Vor- und Nachhut bemüht sich, die Netze auseinanderzuhalten. Zentimeterweise gelangt man nach einer vollen Stunde endlich in die Mitte, da reissen zum Entsetzen der vielen Zuschauer am Ufer die wichtigsten Stützlianen, und die Brücke beginnt ganz gefährlich hin und her zu schwanken. Jetzt kann das ganze Lianennetz jederzeit im Fluss verschwinden. Man arbeitet tapfer weiter und erreicht unter grossem Volkslärm das andere Ufer. Nur die Phantasie und praktische Begabung dieser Männer bringt es zustande, den Eisschrank durch Flüsse und Schluchten, über Berge und Brücken, die nur aus einem Baumstamm bestehen, zu transportieren und nach Tagen in Ballin abzuladen. 15

Dr. Werner und Maria Petzold – im Januar 1971 Zur Zeit kommen hier in Westkamerun auf einen Arzt noch 37'000 Menschen. Da ist es ja ganz natürlich, dass immer Hochbetrieb herrscht, und der Arzt und die Schwestern von morgens bis abends fast über ihre Kräfte gefordert sind. Ganz besonders auffallend ist hier die grosse Anzahl an Patienten mit viel zu niedrigem HB (unter 20%). Viele Bluttransfusionen sind notwendig, dabei ist es hier nicht so leicht, Blut zu bekommen, wie zu Hause. Man hat oft Mühe, die Verwandten oder Bekannten von Patienten zum Blutspenden zu überreden, denn alles, was mit Blut zu tun hat, ist im Denken vieler Afrikaner doch noch mit Magie verbunden. So wird auch der Weg ins Labor („bloodhouse“) sehr ernst genommen, und mancher ist enttäuscht, wenn er seine Medizin bekommt, ohne im Labor gewesen zu sein. Viele schwere Fälle werden während einer Arbeitswoche aufgenommen. Schwerwiegende Entscheidungen müssen vom Arzt gefällt werden. Da fehlen einem Arzt hier schon manchmal die Kollegen, mit denen er beraten und die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden kann. Schön ist noch, dass durch das zweite Krankenhaus hier am Platz, das Leprosyhospital, noch ein weiterer Arzt hier ist. Beide sind zwar vor ihren Wagen gespannt, aber manchmal kann man doch zusammensitzen und das und jenes miteinander besprechen. Umbruchzeiten sind schwierige Zeiten. Die auf dem Papier festgelegte Unabhängigkeit der Kirche soll nun mehr und mehr verwirklicht werden. Die Kirche soll ihr Bestes tun, um die Institutionen, die sie von der Basler Mission übernommen hat, auch finanziell zu tragen. So kommt es, dass vor allem die Hospitäler sich mehr und mehr bemühen müssen, mit den Einnahmen die Ausgaben zu decken, das bedeutet: höhere Einnahmen, niedrigere Ausgaben. Es muss viel umorganisiert und alles gut durchdacht werden. Wir haben uns schon gewundert, wie anstandslos die zum grossen Teil schon erhöhten Behandlungs- und vor allem auch Operationskosten, von den Patienten bezahlt werden. Es gibt natürlich auch viele Fälle, wo einfach kein Geld da ist, nicht einmal jemand, der für den Patienten sorgt, ihm das Essen bringt während der stationären Behandlung. In solchen Fällen kann aus der Kasse „für Arme und Kranke“ geholfen werden. Es ist aber sooo schwer zu entscheiden, wer Geld hat und wer nicht. Immer wieder wird versucht, das Mit16

leid der Schwestern mit viel Jammern und traurigem Gesicht zu erregen, und nachher stellt sich doch heraus, dass Geld da ist für andere Sachen. Diese verbreitete Geldknappheit „money no de“, ja Armut hier im Lande, bedingt durch die Arbeitslosigkeit, bedrückt uns als Europäer ganz besonders. Nur einem kleinen Prozentsatz von jungen Leuten steht die Tür zu einem erfüllten und befriedigenden Berufsleben mit ausreichendem Verdienst offen. Ich glaube, nur mit ziemlich viel Energie und Fleiss kann sich ein junger Bursche durch den Anbau von Kakao oder Kaffee, der Einrichtung einer Hühnerfarm oä einen Verdienst schaffen, der zum Leben ausreicht. Die Hauptfarmarbeit für den täglichen Bedarf wird jetzt immer noch von den Frauen bewältigt.

Gertraud Aigner, 5.Juli 1988 In den letzten Wochen hat sich die Wirtschaftskrise hier in Kamerun noch verschärft. Viele Dinge sind teuerer geworden, so z.B das Benzin, was auch die Preise der öffentlichen Verkehrsmittel verteuert hat. Da hier jedoch jeder darauf angewiesen ist, trifft es die Leute sehr hart. Auch für unsere Patienten bedeutet dies in Zukunft vielleicht, dass sie sich die Fahrt zum Spital nicht mehr leisten können, bzw später die Kosten für die Behandlung und die Medikamente nicht mehr bezahlen können. Auch im Ernährungszentrum haben wir jetzt mehr Kinder mit Mangel- und Unterernährung, als ich je zuvor gesehen habe, seit ich hier bin. Die Leute scheinen schweren Zeiten entgegenzugehen. 18.Februar 1989 Wie vorausgesehen haben wir die Verschärfung der Wirtschaftskrise auch im Spital zu spüren gekriegt. Die Zahl der ambulanten Patienten ist in den Monaten August bis November um zwei Drittel gesunken im Vergleich zu den vorhergehenden Monaten. Die Stationen sind zwar immer völlig überbelegt, aber viele Patienten haben ihre Rechnung nicht oder nur teilweise bezahlt. Für manche Kakaobauern ist es heuer schon die zweite Saison, in der sie für den Kakao den sie an die Kooperativen liefern, nichts bezahlt kriegen. An vielen Orten ist der Kako vom Vorjahr in den Lagern verschimmelt. Aber ohne diese Einnahmen gibt es für viele kein Bargeld. Das was sonst angepflanzt wird ist für den täglichen Nahrungsbedarf bestimmt. 17

Jedem fällt es daher schwer ständig hinter den Patienten her zu sein mit der Drohung: ohne Bezahlung keine Behandlung. Auch die Strassen waren heuer im Sommer und Herbst so schlecht, dass wir zwischen Kumba und Manyemen manchmal das reinste Verkehrschaos und die tollsten Schlammschlachten erlebt haben. Oft konnten tagelang keine Autos passieren und das heisst natürlich auch, dass viele Patienten das Spital nicht erreichen konnten. Es ist daher gut, dass wir jetzt in Kumba ein Health Centre (eine kleine Klinik) haben. Zu arbeiten angefangen hat sie schon im November 1987, aber offiziell eröffnet wurde sie Ende Juni 1988. Seitdem konsultieren dort täglich 60-70 Patienten, manchmal sind es aber auch über 100. Auch deswegen sind die ambulanten Patienten in Manyemen zurückgegangen. Dafür nehmen wir immer mehr schwer Kranke auf und die Pflege wird immer aufwendiger und intensiver. Darum haben wir zwei Zimmer zu einer Intensivstation umfunktioniert und das hat sich als sehr gut erwiesen. Auch für unsere Hilfskräfte, die ja einen grossen Teil der Pflege bewältigen ist es nun offensichtlich, dass sie diesen Patienten mehr Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Eine Schwierigkeit ist auch, dass fast alle wichtigen Medikamente ausgehen oder schon ausgegangen sind. Die letzte grosse Bestellung ist vor mehr als einem halben Jahr gemacht worden und seit mehr als zwei Monaten ist die Sendung im Hafen von Douala. Aber aus irgendeinem Grund kommt sie nicht heraus. Das ist ein sehr grosser Verlust für das Spital, weil ich ständig Bestellungen bei den Medikamentenfirmen in Douala machen muss, um ein vielfaches teuerer verkaufen, als die Organisationen, bei denen wir in Europa einkaufen und die die Medikamente für Spitäler in der Dritten Welt zu Preisen ohne Profit abgeben. Ausserdem ist es auch zeitraubend, dauernd diese kleinen Bestellungen zu schreiben, ohne zu wissen, ob es reichen wird, bis die grosse Sendung kommt, oder ob man lieber gleich mehr bestellen soll.

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Jürgen und Brunhilde Clauss, 18.Mai 1989 Als technischer Berater bin ich, Jürgen, für die technische Betreuung der kircheneigenen Institutionen verantwortlich. Meine Aufgabe besteht darin die Mitarbeiter bei ihren Aufgaben zu beraten und begleiten. Ein Mitarbeiter sollte hier Mechaniker, Elektriker, Medizinigerätetechniker, Schlosser, Schreiner, Mauerer, Automechaniker und Flaschner auf einmal sein, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Da dies nicht sein kann und da viele Mitarbeiter keine Möglichkeit für eine gute Berufsausbildung hatten, versuche ich nun in Form von Kursen während der praktischen Arbeit ein breites, technisches Grundlagenwissen zu vermitteln. Da wird dann zB während der Generalüberholung eines Dieselmotors die Funktion der einzelnen Bauteile erklärt oder auch bei der Reparatur eines Sterilisators die Wirkungsweise und auch die Notwendigkeit regelmässiger Sicherheitsüberprüfungen erläutert. Zur Zeit bauen wir ein kirchenweites technisches Servicenetz auf, um den vielfältigen Wartungsaufgaben überhaupt erst gerecht zu werden und um einen wirtschaftlichen Einsatz von Ersatzteilen und Werkzeugen zu erreichen. Durch die Aufteilung von Verantwortlichkeiten unter den Mitarbeitern versuchen wir, Verbesserungen in der Zuverlässigkeit einiger Anliegen zu erreichen. Einen Mitarbeiter wollen wir zu einer 3-jährigen Fachausbildung für medizintechnische Geräte nach Kenya schicken. Meine Erfahrung ist, dass nur die langfristige, praktische Ausbildungsarbeit die Grundlage für einen sinnvollen Betrieb der technischen Geräte und Anlagen bildet.

Matthias Furrer, Mai 1989 Vor über 10 Jahren begann Helvetas ein Wasserprojekt in Manyemen, beruhend auf Wasserfassung, Reservoir und Verteilungsnetz im Dorf, ohne Hilfe von Pumpen usw. Die Bevölkerung sollte mitarbeiten. Das dänische Projekt „Scanwater“ brachte später ein System für Wasserprojekte nach Kamerun, das auf Dieselpumpen basierte. Dies wird aber auf Dauer Diesel, Unterhalt, Reparaturen benötigen. „Scanwater“ soll beim Bau keine Dorfbeteiligung verlangen. Später beim Betrieb braucht es die Beteiligung schon, was aber kaum jemand weiss.

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Die Regierung platzierte dieses neue System in Manyemen, wo schon das Schweizer Entwicklungsprojekt im Gang war. Als Reaktion zog sich Helvetas zurück. „Scanwater“ kam dann auch nicht. Durch das Drängeln des Spitals wurde das Helvetas Projekt wieder aktiviert. Helvetas Mitarbeiter sagten zu, aber unter der Bedingung, das „Scanwater“ nicht wieder auftauchen würde. Doch nun wurde wieder ein Scanwater-Techniker nach Manyemen geschickt. Scanwater hätte von der Regierung schon 80Mio CFA bekommen, um ihr Projekt zu erfüllen. Mit diesem Geld hätte das Helvetas Projekt ohne spätere Unterhaltskosten mehr als zweimal gebaut werden können. Die Leute im Dorf begannen sofort wieder ihre Beteiligung am Helvetas Projekt zurückzunehmen, da ja Scanwater nichts fordern würde. Als Reaktion sagte sich Helvetas definitiv vom Dorf Manyemen los. Von Scanwater haben wir seither nichts mehr gehört. Entwicklungsprojekte werden so gegenseitig ausgespielt, aus Unwissenheit, aus politischen Querelen verschiedener Büros, aus Gewinnsucht einzelner, aus verschiedensten Gründen, zum Schaden jedenfalls der betroffenen Bevölkerung. Uns führt dies immer wieder vor Augen, wie wichtig doch eine sinnvolle Zusammenarbeit verschiedenster Organisationen wäre, wie schädlich unsere Kurzsicht, unsere Überheblichkeit für die Bevölkerung ist.

Basis Gesundheitsdienst Für mich schwierig zu verstehen ist die politische Kurzsichtigkeit vieler Entscheid. Da wurde für Manyemen aus ein Basis Gesundheitsdienst aufgebaut, der die Selbständigkeit der Dörfer stärkte. Die Dörfer waren auch finanziell vollständig verantwortlich dafür. GTZ, die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, kam als Partner der Regierung mit viel Geld und wollte den BasisGesundheitsdienst in den Dörfern aufbauen. Nun wurde Geld in die Dörfer abgegeben, Hilfen für Transport, Unterkunft, Häuser etc. Wer sollte da noch versuchen, für sich zu sorgen? Schnell lernten die Leute mehr zu fordern, weniger selbst beizutragen. Ohne die lokale Not, ohne ein Bedürfnis, wurden Unselbständigkeit, Abhängigkeit gefördert. Das schon bestehende System wurde nicht beachtet. Erst heute, nachdem die entstandenen Kosten zu hoch wurden und finanzielle Probleme auftraten, weil GTZ etwas beiseite treten wollte, erinnert man sich an das früher Dagewesene. Doch es ist zu spät, denn solche Entwicklungen sind kaum rückgängig zu machen. 20

Dr. Johanna Oberlechner – 21.Mai 1990 Das Lepraspital und das allgemeine Spital in Manyemen sind nun zu einer Institution zusammengeschlossen. Das bedeutet eine Erleichterung in der Administration und in der Koordination der medizinischen Arbeit. So werden zB. die Dienste der Physiotherapie oder die der orthopädischen Schuhwerkstatt, wie sie im Lepraspital existieren auch von Nicht-Leprapatienten in Anspruch genommen. Das Lepraspital arbeitet im Basisgesundheitsdienst des Allgemeinen Spitals mit. Angestellte können ausgetauscht werden. Veränderungen, grössere Anschaffungen, die Fortbildung von Mitarbeitern etc, dies alles wird nun gemeinsam geplant. Ich selber bin recht stark an der medizinischen Arbeit im Allgemeinspital mitbeteiligt. Trotzdem war es mir möglich im letzten Monat an einer Leprauntersuchungs-Tour im Urwald teilzunehmen. Und davon möchte ich Euch ein wenig berichten. Die Aussenarbeit des Lepraspitals besteht im Besuch von Leprakliniken und in der Durchführung von Reihenuntersuchungen in Dörfern und Schulen. Vom 8.-22. April war ich mit einem Team auf „bushtour“. Wir waren im ganzen 6 Leute: zwei Leprainspektoren der Regierung, der Leprainspektor aus unserem Spital, zwei Träger und ich. Weil es in dem Gebiet, welches wir bereisten, noch keine Strassen gibt, mussten wir viel zu Fuss gehen. Im Ganzen besuchten wir 9 Dörfer, von denen 5 eine Volksschule hatten. Überall gaben wir Aufklärungsunterricht über Lepra und Tuberkulose und untersuchten dann alle Erwachsenen und Kinder. Wir entdeckten einige neue Leprafälle, darunter 3 Kinder. Alle bekamen Therapie. Sie können in ihren Dörfern wohnen bleiben und werden vom zuständigen Leprainspektor betreut. Wir hatten auf unserer Reise Medikamente und Verbandszeug mit, um Krankheiten an Ort und Stelle zu behandeln. In einigen Dörfern trafen wir einen Dorfgesundheitsposten an, wie er vom Basisgesundheitsdienst der Regierung (auf Englisch Primary Health Care) eingerichtet worden war. Das Spital Manyemen macht in diesem Programm aktiv mit, teils bei der Ausbildung der Dorfgesundheitshelfer, alles Laien, zum anderen durch die Errichtung und Betreuung einiger Posten. Wir ermutigen die Dorfbewohner, ihre Gesundheits21

posten in gut funktionierendem Zustand zu erhalten, besonders in dieser Zeit der „Wirtschaftskrise“. Die ist leider überall hingedrungen und hat dort und da die Initiative der Leute lahmgelegt.

Familie Jolanda und Jürg Skalsky-Stauffacher, 16.9.1190 Ein guter Monat ist verstrichen, seitdem wir die sommerlich warme Schweiz verlassen und das mindestens so warme aber wesentlich feuchtere Cameroon betreten haben. „Welcome to Cameroon“ Es ist Regenzeit hier und was das bedeutet sollten wir gleich in unseren ersten Tagen hier erfahren: Die Fahrt mit dem spitaleigenen „Vierrad Pick up“ von Douala nach Manyemen glich eher einer Amphibienexpedition durch Schlammlöcher und Flussbetten als Strassen in unserem Begriff. Wir waren uns von unserem früheren Afrikaaufenthalt schon einiges gewöhnt und zudem diesbezüglich von „Basel“ gewarnt, aber man muss es wirklich erst mit eigenen Augen und vor allem dem eigenen Hintern erfahren, was es heisst von Kumba nach Manyemen zu gelangen. Es ist eine Strecke von ca 80km, welche angeblich seit Jahren von verschiedenen Strassenbaukompanien verbessert werden soll. Für diese Strecke benötigt man in der Regenzeit zwischen drei und acht Stunden – je nachdem, wie viele „Bierlastwagen“ und überfüllte „Buschtaxis“ vor einem im Schlamm stecken bleiben. „Economic crisis“ – im Dorf allerdings geht das Leben weiter. Es spielt sich nachts entweder auf der Strass oder in kleinen Bierkneipen am Strassenrand ab, wo zusammengesessen und unter anderem über die schlechten Lebensverhältnisse diskutiert wird. Das Land ist hoch verschuldet. Der Staat offenbar kaum in der Lage den Bauern ihre Landwirtschaftsprodukte wie Kaffee oder Kakao hier im Südwesten abzukaufen. Die Rohstoffpreise auf den Weltmärkten werden von den Reichen diktiert und liegen entsprechend tief. „Money no de“, die häufigsten Worte in „pidgin“, der hiesigen Sprache, die ich in diesen ersten Tagen zu hören bekomme. – „Kein Geld“; wir können die Medikamente und Behandlung nicht bezahlen. Als Arzt ist man in einer schwierigen Lage, zumal das „money palaver“ leider auch zur ärztlichen Tätigkeit hier gehört.

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Will man in Zukunft die medizinischen Institutionen von ausländischen Geldgebern unabhängig machen, so ist das Spital auf Einnahmen zum Selbstunterhalt angewiesen, zumal der Staat praktisch keine Unterstützung liefern kann (oder will?). Für uns sind es lästige, zeitraubende Gespräche, für die Kameruner ist es ein wesentliches Stück Lebensalltag. – „Life is a struggle“, ein Kampf ums Überleben. Leiden gehört zum Alltag wie Lachen, Scherze machen, oder „Money palaver“. Leiden gehört zum Alltag wie Lachen oder Scherze machen oder „Money palaver“. Leiden auf den schlechten Strassen, Leiden an Krankheit, leiden an der schier hoffnungslosen wirtschaftlichen Lage des Landes. – Es ist der Teufelskreis der Armut. Und dennoch geht es weiter. – Das Leben, die Zeit, welche eine andere ist als bei uns, denn man hat hier immer genug davon, und.... ein neuer Tag beginnt, der vielleicht die Wende im Schicksal bringt. – Die einheimische Kirche hat hier eine schwere und herausfordernde Aufgabe!10.8.1991 – ein Beispiel dafür wie schwierig das Leben für viele Leute geworden ist: Mr. Ebai, ein abgemagerter, kleinlicher 40jähriger Primarlehrer einer presbyterianischen Schule in einem Nachbardorf betritt das Sprechzimmer. Er hat Lungentuberkulose. Seit 2 Monaten bekommt er Injektionen und Medikamente. Die Rechnung hat er bis jetzt noch nicht beglichen. – Er hat seit über 10 Monaten kein Gehalt mehr bekommen, wie die meisten presbyterianischen, baptistischen oder katholischen Lehrer. Wie soll er denn da bezahlen? – Herr Ebai bekommt weiterhin seine Medikamente, weil er sonst sterben würde. Das Defizit trägt das Spital.Andere aber müssen „gescholten“ werden um das „letzte“ Geld eben doch noch locker zu machen, weil sonst die Zukunft des Spitals und damit die Gesundheitsversorgung der hiesigen Bevölkerung auf dem Spiel steht.

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Ulrich und Dorothea Frank aus Acha Tugi, November 1989 Leben teilen: Zeuge davon werden wir in einer beindruckenden Weise im Krankenhaus. Würde Ulrich einen Gang mit Euch durch das Spital unternehmen, so würdet ihr leicht Krankenzimmer, Toiletten, Operationstrakt und Schwesternzimmer ausfindig machen. Die Wirtschaftsgebäude aber würdet ihr vermissen. Es gibt keine Grossküche, die die Kranken versorgt. Die Patienten kommen mit einem oder mehreren Angehörigen, die Essen kochen und bei der Pflege helfen. Nachts schlafen die Angehörigen unter oder neben dem Bett des Patienten auf dem Boden. Besonders bei Langzeitpatienten durften wir Zeuge liebevollen Teilens werden. Da pflegt ein junger Mann seine alte Mutter; über Wochen und Monate wäscht er sie, füttert sie, schläft neben ihr, macht regelmässig mit ihr die krankengymnastischen Übungen, die Ulrich ihr zeigte. Die Familie muss ohne Vater auskommen, die berufliche Aufgabe muss warten. Lebenszeit gebe, Kraft und Geld. Tief scheint das Wissen um die Notwendigkeit des Teilens verwurzelt zu sein. Den Kindern will ich zusammen mit Euch Beachtung schenken in diesem Brief. Wir begegnen Kinder auf der Strasse. Kinder, die tragen. Einen Korb, eine Hacke, einen kleinen Kanister mit Wasser, ein Geschwisterchen auf dem Rücken. Meist gehen sie in Plastikslippers, wenige barfuss, manche mit Schuhen und Söckchen. Auf dem Markt verkaufen sie Erdnüsse und Bananen oder auch Essen, dass die Mutter in aller Frühe zubereitet hat. Wir sehen sie auf der Strasse spielen mit Büchsen mit einem Ball aus Stoff, sie treiben Räder mit Stecken. Und kaum eins geht alleine, ohne Gefährten. Wir sehen Kinder auf dem Weg zur Schule. Sie tragen eine blaue Schuluniform. Viele haben über eine Stunde zu gehen. Für manche gibt es jedoch keine blauen Schulkleider, keine Hefte, Bücher und kein Unterricht. Die Familie kann das Schuldgeld nicht aufbringen. Ob das wirklich Armut ist oder Trägheit und schlechtes Wirtschaften oder...- wer traut sich den Einblick zu, der nötig ist zu antworten, und wer will urteilen. Ganz sicher aber tut es weh zu sehen, dass diesen Kindern die grundlegenden Schritte zur persönlichen Selbständigkeit und Entfaltung verwehrt werden. Wer nicht lesen, schreiben und rechnen kann, dem ist der Weg auch zur einfachsten Berufsausbildung ver24

sperrt, ja selbst auf dem Markt oder auf einer Behörde wird er belächelt und ist der Willkür seiner Mitmenschen ausgesetzt. Kindern begegnen wir auch im Krankenhaus. Wir treffen die, welche selbst nicht krank sind. Wir finden sie auf der Grünfläche unseres Krankenhauses, auf den Gängen und in den Krankenzimmern. Die Kleinen sind dabei, weil sie noch gestillt werden oder weil die Mutter sie nicht mit anderen Geschwistern zurücklassen konnte. Die grösseren gehen den pflegenden Familienangehörigen zur Hand beim Einkaufen, Wäschewaschen oder als Babysitter. Es kommt auch vor, dass ein Kind von 10 oder 12 die Pflege eines Kranken übernehmen muss, weil sonst niemand von der Familie mitkommen konnte. Und dann sehen wir auch die Kinder, die als Patienten ins Spital gebracht werden. Malaria, Lungenentzündung, Austrocknung infolge von Durchfall steht häufig auf den Krankenblättern. Die Kinderabteilung hat 40 Betten. Manchmal kann schnell geholfen werden – ein paar Tage und sie dürfen wieder heim. Es gibt aber auch Kinder, die mit der Krankheit leben und lange Zeit im Krankenhaus aushalten müssen. Tumore, schlimme Verbrennungen, Wundstarrkrampf, Hirnhautentzündung. Von Verbrennungen sind besonders epilepsiekranke Kinder betroffen. Sie stürzen während eines Anfalls und fallen dabei ins offene Feuer. Wir schauen in ihre entstellten Gesichter und auf verbrannte Haut. Monatelang bisweilen müssen diese Kinder und ihre Angehörigen im Spital sein. Und wenn ich die Kranken besuche, ist es besonders in diesen Zimmern, dass wir singen und um Geduld bitten für die Zeit der Krankheit; nicht nur für die Kranken, sondern auch für die begleitenden Familienangehörigen, und wir denken auch an die zuhause zurückgelassenen Kinder und Geschwister. Und wir stehen an den Betten von Kindern, für die es keine Hilfe gibt im Krankenhaus. Wenn die Angehörigen den Tod kommen spüren, ist es oft ihr Wunsch, das Kind nach Hause zu nehmen, damit es dort stirbt. Dieser Wunsch mag damit zu tun haben, dass für einen noch Lebenden der Transport nicht so teuer ist wie für einen Toten. Viel tiefer aber ist wohl die Vorstellung an dem Wunsch beteiligt, dass Sterben zu Hause in der Familie der bessere, der gute Tod ist; dort wo die Väter und Mütter der Familie gelebt haben und begraben sind.

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Ruth Hug schreibt im Juli 1993 aus Acha Tugi Die Menschen weinen nur selten hier. Dies war eine grosse Umstellung für mich va in der Geburtshilfe, wo in den sogenannten entwickelten Ländern ja so viele Emotionen rund um die Geburt bestehen. Wenn eine Frau beim Gebären schreit, wird dies hier als grosse Schwäche empfunden. Einige Stämme sind auch der Überzeugung, dass diese Schreie einen sehr schlechten Einfluss auf das zu gebärende Kind hätte. Es würde dann zum Schwächling. Hingegen staune ich andrerseits, wie die Leute Urschreie von sich geben können, wie sich ihre Körper im Schmerze eines Todesfalles winden können...

Sr.Ursula Bauer, 28.Mai 1992 aus Nyasoso Seit Juli 1991 wurde bei einigen Patienten Aids festgestellt. Eine Patientin starb im vergangenen Jahr im Alter von 42 Jahren bei uns im Spital. Sie war schon seit 5 Jahren krank gewesen. Seit einigen Monaten können wir keine Aids Tests mehr machen, denn es ist ein Problem das Untersuchungsmaterial zu bekommen. Ein grosses Problem ist es auch mit den Einmalkanülen. Wir benützen sie öfters. Die Kanülen werden durch 20minutenlanges Auskochen sterilisiert. Schon etliche Male wollten wir in der Apotheke Ad Lucem in Douala Kanülen kaufen und konnten sie nicht bekommen. So geht es mit manchen anderen Medikamenten. Dies ist etwas frustrierend. Es werden sicher noch einige Wochen vergehen, bis die grosse Medikamentenlieferung aus Europa eintreffen wird.

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Stefan und Ursula Grunder schreiben im 1994 Von den Schwierigkeiten der Konsultationen in einem dem Europäer fremden Kontext: „Doktor, wenn ich den Berg hinauflaufe, spüre ich mein Herz schneller schlagen!“ „Ihr Herz muss mehr leisten, also schlägt es schneller.“ – „Hm. Dann habe ich auch Schmerzen hier“ (zeigt auf die Magengegend) – „Welche Art von Schmerzen haben Sei: ist es wie ein Feuer oder wie wenn sich etwas zusammenzieht oder wie ein Druck?“ „Ja, ich habe Schmerzen hier, Doktor. Hier tut es weh“ – „Wann treten denn die Schmerzen auf, sind sie schon am Morgen vor dem Frühstück da?“ „Ich habe schon lange Schmerzen“ – „Wie lange haben Sie Schmerzen?“ „Ja, Doktor!“ „Ich frage Sie, wie lange Sie schon Schmerzen haben, eine Woche, ein Monat oder ein Jahr?“ „Ja, Doktor“ „Na was jetzt?“ „Ja, Doktor.“

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Einer unserer hospitalisierten AIDS-Patienten kommt mit seinen Eltern ins Sprechzimmer hinunter. Sie drängen auf Entlassung, die ich am Morgen bei der Visite verweigert hatte, nachdem ich feststellen musste, dass ihm das Wesen und die Folgen seiner Krankheit noch nicht klar waren. Er ist erst 21-jährig, unverheiratet und kam mit persistierendem, hohem Fieber zu uns, das auf die gängigen Medikamente nicht angesprochen hatte, so dass wir uns schliesslich zu einem AIDS-Test entschlossen. Jetzt sitzt er mit den Eltern im Sprechzimmer und verneint erst mal, dass er über die Krankheit aufgeklärt worden sei. Mit Übersetzung versuche ich alles zu erklären. AIDS ist, dass es nicht heilbar ist, dass keine Sexualkontakte mehr stattfinden sollten wegen der weiteren Übertragung, dass man auftretende Erkrankungen behandeln könne, ... Man hört mir zu, man scheint zu begreifen. Aber erst als ich nach einem Geistesblitz dem Vater über die konkreten Auswirkungen selbst spreche, wird wirklich wahrgenommen, um was es geht. Erst als ich ihm sage, dass das bedeutet, dass er seinen Sohn nicht verheiraten darf, dass er ihn auch nicht irgendeine Frau schwängern lassen darf, dass selbst wenn er es tut, das Kind nicht lange leben wird und der Sohn nicht für ihn werde im Alter sorgen können – erst dann ist er erschrocken über die Krankheit seines Sohnes. Es hat der konkreten Darstellung der Konsequenzen bedurft, um so etwas wie AIDS fassbar werden zu lassen. Auch die Grunders schreiben zu der Wirtschaftskrise: Die schwere Wirtschaftskrise hier im Lande sowie die äusserst schlechten Strassenverhältnisse machen es für die Leute immer schwieriger, notwendige Behandlungen im Spital aufzusuchen. Der Rückgang der Patientenzahlen hat sodann zur Folge, dass den Angestellten die Löhne gekürzt werden mussten. Nicht zuletzt deshalb wehren sich viele von ihnen irgendwelche Operationen auszuführen zu helfen, bevor nicht die Gebühr dafür im Voraus bezahlt wurde. Diese Haltung macht Mühe – umso mehr, wenn es sich um eine lebensrettende Notfallmassnahme handelt. Aber es ist die Verpflichtung einer kirchlichen Institution, Menschen in Not zu helfen, auch wenn die Kostendeckung zu einem gewissen Grad unsicher ist. So wird jeweils das Notwendigste ausgeführt – aber es lastet schon... Belastend sind auch die Krankenvisiten, wenn in einem Zimmer so viele Schicksale beieinander liegen, die oft hätten vermieden werden können. 28

Beispiel einer morgendlichen Visite auf Zimmer E der allgemeinen Abteilung: Im Bett 1 liegt eine 30-jährige Frau mit Verbrennungen des ganzen linken Armes, von Brust und Rücken sowie linker Gesichtshälfte. Sie war mit einem Eimer voll heissem Öl umgefallen. Jetzt ist sie trotz der vielen Schmerzen dankbar für die Behandlung bei uns, wird aber Wochen bei uns sein und eine über die Verhältnisse herausgehende Rechnung haben. Im Bett 2 liegt eine 17-jährige Studentin, welche 2 Tage zuvor eine Schwangerschaft hat abtreiben lassen – mittels eines Eisenstabes, in den Uterus eingeführt – vom Vater des Kindes. Sie hat eine Infektion der Bauchhöhle und des Uterus. Daneben liegt eine 22-jährige Frau mit Fieber, Durchfall und Gewichtsverlust: sie sieht sehr schlecht aus und ist völlig abgemagert. Ihre Diagnose: AIDS. Im Bett 4 liegt eine 16-jährige Frau, welche zur Kontrolle nach Abtreibung mittels Naturmitteln – „Country medicine“ – bei uns liegt. Daneben wiederum eine AIDS-Patientin, welche seit 2 Monaten Fieber hat und unter Atemnot leidet. Im Bett 7 liegt eine 68-jährige Malariapatientin. Ihre Nachbarin ist 5 Jahre jünger und hat den Bauch voller Wasser, die Untersuchung weist auf eine Leberzirrhose hin, sie hat ihr Leben lang viel des hier weitverbreiteten Palmweines getrunken. Im neunten Bett schliesslich wiederum eine AIDS-Patientin mit längerem Fieber, Durchfall und Malariaerkrankung. Vor wenigen Monaten hat sie ihren Mann (wohl auch an AIDS) verloren. Man muss sich schon fragen, ob wir mit unserer Behandlung im Spital überhaupt Wirksames tun... Der Mensch (und ich sage bewusst nicht der Afrikaner!) will einfach nichts über die Konsequenzen seines Handelns wissen, bis er sie unwiderruflich spürt. Wo Gott nicht die Erfüllung unserer Bedürfnisse sein darf, werden Ersatzbefriedigungen konsumiert mit ihren sichtbaren aber nicht geglaubten Folgen. Das ist hier nicht anders als in Europa – nur oft mit Unwissenheit vermischt oder durch animistische Vorstellungen überblendet.

Ewald und Elisabeth Huber schreiben im August 1994 Eine Vielzahl von Patienten, die zur Behandlung ins Spital kommen, haben an verschiedenen Körperteilen (zB an den Handgelenken 29

oder am Rist) zahlreiche kleine Narben. Wie kommen sie dazu und was hat es damit auf sich? In diesen Fällen hat ein „Traditional Healer“ versucht, den betreffenden Menschen vor witchcraft, also Hexerei zu schützen. Die traditionelle Medizin umfasst ein weites Feld an Möglichkeiten und Behandlungsmethoden. Dies spiegelt sich auch in den Berufsbezeichnungen, man findet „Herbalists“ – reine Kräuterheiler, ebenso „Guerisseur-Sorcier“, bei denen der spirituelle Aspekt bei der Heilung einen bedeutenden Platz einnimmt. Manche sind Spezialisten nur für einzelne Fachgebiete wie zB Knochenbrüche, andere sind „Allrounder“ die sich an jedem körperlichen und seelischen Leiden versuchen. In der traditionellen Medizin wird oft soziales Fehlverhalten oder Hexerei als Ursache für Krankheit angesehen. Dieser Vorstellung wird im Heilungsprozess Rechnung getragen. Erkrankt ein Familienmitglied unter bestimmten Vorzeichen, wird eine „Saraka“ – eine Wiederversöhnung aller Beteiligter zur Heilung veranstaltet. Es wird zusammen gegessen, getrunken, Reden werden gehalten, auch Trankopfer dargebracht. Manchmal wird auch ein grösseres Tier geschlachtet und auf alle Anwesenden verteilt. So sollen zwischenmenschliche Spannungen beendet und als Krankheitsursache aus der Welt geschafft werden. In anderen Fällen befrägt man die Verstorbenen zur Krankheitsursache, bringt ihnen Speiseopfer und notfalls Geschenke zur Besänftigung dar.

Im April 1996 schreiben sie Unser Einsatz fiel in eine Zeit der fortschreitenden wirtschaftlichen Rezession und dementsprechend weiteren Verarmung der Bevölkerung. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation schlug sich auch in einem leichten Rückgang der Zahl der ambulanten Patienten in unserem Spital nieder. Die Arbeitsbelastung im Krankenhaus war seit November 1994 dennoch fast durchwegs sehr hoch. Über viele Monate waren wir 3 Ärzte – für 3 Monate nur zwei Kollegen. Diese Situation machte es für mich schwer, Freiräume für andere Aktivitäten zu haben. Immerhin konnte ich doch an einigen Touren in zum Teil sehr entlegene Urwalddörfer teilnehmen. Ich bemühte mich, soweit es in der gegebenen Zeit möglich war, mit den Leuten in den Dörfern in Kontakt zu kommen, mit ihnen sie betreffende Probleme zu diskutieren und einige Worte „countrytalk“ zu lernen. 30

Die Menschen leben für unsere Begriffe unter teilweise extremen Bedingungen. Ein Dorf von 400 Einwohnern hat nur ein bis zwei Latrinen. Das staatliche Gesundheitssystem ist in den ländlichen Gebieten der Südwest-Provinz praktisch zusammengebrochen, es werden weder Impfaktionen durchgeführt, noch sind in den Dörfern Medikamente erhältlich, wenn man einmal von den meist aus Nigeria importierten Tablettensammel-surien absieht, die von irgendwelchen Händlern feilgeboten werden. In dieser Situation versucht nun Manyemen vermehrt wieder „Health Posts“ (die kleinsten Einheiten des Gesundheitssystems) zu übernehmen und „Village Health Worker“ (das dafür nötige Personal) auszubilden. Es werden auch Impfaktionen durchgeführt und Medikamente zur Bekämpfung der Flussblindheit verteilt. Eines der Probleme möchte ich noch erwähnen, dass seine Schatten auf dieses Land werfen: Es handelt sich um die rasche Ausbreitung von AIDS, dem nur äusserst schwer durch Erziehungs- und Informationsmassnahmen Halt geboten werden kann. Schon heute sind ein grosser Anteil der Patienten auf der internen Abteilung manifest AIDS-Kranke. Wir sahen bereits genug traurige Schicksale und es ist zu erwarten, dass die Zahl der direkt und indirekt Betroffenen, wohl auch unter unseren Bekannten, weiter ansteigt.

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Sabine und Maurilio Bruni schreiben im März 1998 Im Spital herrscht seit Monaten Höchstbetrieb mit einem Patientenzustrom wie man ihn seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Überall liegen die Kranken: auf den Matten auf der Veranda, zwischen den Betten am Boden, sogar im Freien unter den Bäumen und auf dem Vorplatz des Spitals. Zum Glück ist immer noch Trockenzeit. Der Grund dieses Massenandranges ist nicht ganz klar. Sicher spielt die Tatsache, dass die Kakaobauern dieses Jahr für die Ernte Spitzenpreise erzielt haben, eine grosse Rolle. Wer Geld hat, kann sich eine medizinische Behandlung leisten und darum kommen zur Zeit auch wieder vermehrt Chronischkranke ins Spital. Was das Gesundheitwesen anbelangt ist übrigens eine Neuregelung im Gange: Für Medikamentenimporte hat die kamerunische Regierung nämlich neue Bestimmungen geschaffen. Pro importiertes Produkt soll eine Lizenzgebühr von umgerechnet 12'500.- Schweizer Franken erhoben werden. Für ein Spital, welches rund fünfzig bis hundert Produkte führt, belaufen sich diese Zusatzkosten ins Astronomische. Im Land selber gibt es keine Pharmaindustrie und die Regelung betrifft Missions- und Regierungsspitäler gleichermassen. Natürlich gibt es Opposition und so hat die Regierung alle Medikamentenimporte kurzerhand auf unbestimmte Zeit gestoppt. Bereits gibt es Engpässe in Manyemen und in absehbarer Zeit werden – falls nicht doch noch ein Ausweg gefunden wird – zB Antiepileptika, Antibiotika, Tuberkulosestatika und andere wichtige Medikamente schlichtweg ausgehen. Beim Gedanken daran kann einem nur die kalte Wut packen.

Christian Strehlke schreibt im August 1998 Etwas bewegt mich sehr und wird mich wohl noch lange beschäftigen. Es ist die Anzahl der AIDS-Patienten. Alleine in der ersten Woche waren 8 von 10 Aids-Tests auf der Inneren Abteilung positiv. Dabei werden längst nicht alle Patienten getestet, sondern nur die Patienten mit manifesten Erscheinungen wie chronischem Durchfall, starkem Gewichtsverlust, massivem Herpes oder Pilzinfektionen, die sich zudem mit einem Test einverstanden erklären müssen. Es sind junge Menschen zwischen 20-30 Jahren, mehr Frauen als Männer, oft mit Kindern und Familie.

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Jeder vierte, so haben die ersten Ergebnisse einer laufenden Studie gezeigt, trägt die Krankheit bereits in sich! Am liebsten möchte ich mich auf die Strasse stellen und laut brüllen. Die Krankheits- und Todesfälle werden kaum zur Aufklärung genutzt, das Tabu der „schmutzigen“ Krankheit, die man sich durch einen sexuell freizügigen Lebenswandel holt, ist noch nicht gebrochen. Solange die Krankheit „weggeredet“ wird, weil sie stigmatisiert ist, kann die Zahl der Neuinfektionen nicht gesenkt werden! Man ist eher geneigt „Witchcraft“ – Zauberei – im Spiel zu erwähnen als Aids als Todesursache eines jungen Menschen zu akzeptieren. Die aufsteigende Wut über die AIDS-Blindheit der meisten Kameruner, die ich in den ersten Wochen hier kennenlernen durfte, ist gepaart mit einem gewissen Verständnis gegenüber eben dieser Blindheit. Ist die Erkenntnis das ¼ der jungen Menschen in diesem Land in wenigen Jahren sterben müssen nicht so ungeheuerlich grausam, so unfassbar, dass man sich einfach weigert, sie zu akzeptieren? Zu dem ist jede Art Pessimismus dem afrikanischen Lebensgefühl zuwider, dass Vertrauen dieser Menschen, dass sich doch alles irgendwie zum Besseren entwickeln wird, ist erstaunlich. Als Beispiel sei hier nur an den abenteuerlichen Zustand der Buschtaxis erinnert, an deren Ankunft am Zielort zweifelt höchstens ein Europäer. Im November 1998 schreibt Christian Strehlke: Traurig aber wohl ein notwendiger Schutzmechanismus des Menschen ist es, eine Gewöhnung gegenüber auch fast unerträglichen Lebensumständen zu entwickeln. Der Kanalarbeiter übersieht irgendwann die Ratten neben seinen Füssen, der Totengräber nimmt den Leichengeruch nicht mehr wahr und ich habe mich an 10-15 AIDS-Neuerkrankungen pro Woche gewöhnt. Einerseits hilft es mir, nicht mehr so sehr die tägliche Last dieser Krankheit bei der Arbeit zu spüren, andererseits fühle ich, dass ich ein Problem von mir wegschiebe, das nach einer Lösung schreit. Allerdings kenne ich die Lösung selber auch nicht und ich zweifle manchmal daran, ob es sie überhaupt gibt.

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Christa und Rolf Soler schreiben im Juni 2000 A propos Schlafen: Gestern ist mir doch tatsächlich bei einem Kaiserschnitt die Operationsschwester eingeschlafen. Das gab mir schon einen leichten Stich, denn so langsam bin ich nun auch wieder nicht. Ich habe sie dann erst geweckt, als ich neue Fäden brauchte. Beim operieren geht es inzwischen schon recht gut, auch wenn man manchmal wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt wird, wie letzthin, als ich beim Verschliessen eines Leistenbruches die grosse Beinschlagader angestochen habe. Zum Glück war unser Chefarzt und Chirurg da. Also ein richtiger Chirurg bin ich noch nicht, aber es reicht für einiges und vor allem für Notfälle. Im Spital gibt es sonst nicht viel Neues, ausser dass wir letzte Woche gleichzeitig keinen Strom und kein fliessendes Wasser hatten. Bei unserem noch fast neuen Generator lief die Dieselmaschine nicht mehr rund und es kamen hinten die abenteuerlichsten Spannungen raus. Schliesslich mussten Mechaniker der Lieferfirma hierherkommen. Sie haben den Treibstofffilter ausgewechselt und schon ging’s wieder.... Zwar hatte unser Mechaniker den Filter weggenommen und geputzt, aber nicht ausgewechselt, weil gerade kein Ersatzfilter da war, weil gerade kein Geld da war etc. Bei der Wasserversorgung war die Zuleitung aus dem Wald schon lange undicht, sodass nur noch ein Bruchteil in unsere Tanks floss, deshalb haben wir Tag und Nacht mit der Diesel-Wasserpumpe unsere Tanks aus dem nahen Fluss gefüllt, bis der Keilriemen der Pumpe gerissen ist, und schon war’s fertig mit fliessendem Wasser, weil gerade kein Ersatzkeilriemen da war, weil kein Geld da war etc. Solche Dinge sind schon eher mühsam, gerade weil es meistens nur an so kleinen läppischen Mängeln liegt... die mit lächerlich wenig Geld zu beheben wären. Ein anderes Problem ist der Medikamentennachschub. Wir hatten Schwierigkeiten und haben noch. Dem Spital fehlt einfach Geld an allen Ecken und Enden, und obwohl wir etwa 300% Marge auf den (immer noch sehr billigen) Medikamenten haben, ist das Geld dann aufgebraucht, wenn wir wieder neu einkaufen müssten.: es wurde gebraucht für Lohnzahlungen, Diesel für den Generator, Autounterhalt, Geräte und so weiter.

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Auch ist es oft sehr mühsam das Geld bei den Patienten einzutreiben und manche hauen sogar ab mit noch offenen Rechnungen (auch mit Gips oder Fäden in der Operationswunde). Zum einen ist die Bevölkerung eben wirklich sehr arm, zum anderen fehlts dem Spital aber auch an geeigneten Finanz- und Managementsystemen. Von den einzelnen Abteilungen wissen wir gar nicht, ob sie defizitär oder profitabel sind. Das ist eines der grössten Probleme in diesem Land überhaupt: Es gibt nur sehr wenig Leute hier, die von Management und Finanzplanung wirklich etwas verstehen. Kurz vor Weihnachten 2000 schreib Rolf Soler: Zur Zeit bin ich gerade „Acting Medical Officer in Charge“, d.h. Chefarzt, da mein Kollege Mark Mvungi für zwei Monate in die Ferien gefahren ist. Das ist natürlich etwas stressig, da ich plötzlich niemanden fragen kann und selber entscheiden muss in letzter Konsequenz. Es ist manchmal unglaublich, was man hier als Chief alles bestimmen sollte.... Typische Anfragen zB: wo sollen wir 100 Säcke Zement einlagern, die die Palmölverwertungsfirma in 3 Tagen bei uns deponieren möchte, möglichst so dass sie nicht gestohlen werden (Antwort: im Schulzimmer). Darf die Oberschwester ihren Urlaub jetzt beziehen (sie darf). Darf die Verwaltung 500kg Frischgummi von den Spitalgummibäumen im Auto für die Doctor’s visit im Spitalbus mitgeben (auf keinen Fall! Ich fahre nämlich mit und frischer Gummi stinkt entsetzlich). Wie machen wir zwei alten Leprapatienten klar, dass sie nicht jeden Abend in „town“ Bier trinken und sich nachher im Lepraspital verprügeln sollen? Was schenken wir den Angestellten zu Weihnachten (einen Warmhaltetopf fürs Essen). Wieviele Feuerlöscher füllen wir wieder auf (alle, kostet aber 1000 Franken). Wie amputiere ich ein Bein (ist nicht so schwierige) und so weiter....

Ulrike Kohlmeyer schreibt im September 2004 In ihrem ersten Rundbrief: So licht uns unsere Kirche vorkommt, so düster, schmutzig und in gewisser Weise vernachlässigt erscheint uns unsere neue Wirkungsstätte, das General Hospital und mehr noch das HRC. Einmal abgesehen vom OP und mit Abstrichen das Labor, funktioniert eigentlich nicht viel, am allerwenigsten die Wasserversorgung. 35

In diesen ersten Wochen nach unserer Ankunft bestand die einzige Möglichkeit, das Spital mit Wasser zu versorgen darin, dass alles abkömmliche Personal mit Eimern und Kanistern zum Fluss hinunter zog, dem Moko Ndiba (was übrigens sinnigerweise soviel wie „einziges Wasser“ heisst) und das Wasser heraufschleppte – sei es nun zum Kochen, Trinken oder Waschen unserer Hände vor dem OP. Ich weiss gar nicht, wie oft ich in dieser Zeit an eine ehemalige Patientin in einem meiner Krankenhäuser in Deutschland habe denken müssen, die sich einmal empört bei mir darüber beschwerte, dass das Krankenhaus nur zwei verschiedene Sorten Mineralwasser anböte.... Für alle Manyemen-Kenner, denen ob dieser Zeilen ein Stossseufzer entfahren sein mag – Manyemen und das ewige Wasser-Palaver! – gibt es schlussendlich aber auch gute Nachrichten: Nicht nur dass die Wasserleitung repariert wurde, die das Dorf Manyemen mit Wasser versorgt und über die im Notfall etwas Wasser über den Bypass in die Hosptialtanks geleitet werden kann, nein, auch die ausgediente alte Pumpe im Moko Ndiba konnte durch eine neue ersetzt werden und mittlerweile ist auch die langerwartete Turbine hier eingetroffen. Allerdings standen wir zuerst einmal wie „der Ochs vor dem Berg“ bzw wie der Arzt vor der Turbine, denn die hiesigen Pläne wie, was, wo, wann waren verschütt gegangen und weit und breit kein Techniker, der sich ausgekannt hätte. Dank Roland Bartl – einem PEP in Buea – sind wir nun auf der Höhe – jedenfalls theoretisch – und zumindest optimistisch, dass die Installationsarbeiten in der kommenden Trockenzeit in Angriff genommen und hoffentlich auch beendet werden können. „Water na Life“ – Wasser ist Leben – das kann man wohl sagen... Im Juli 2005 Da sich meine Kollegen entschlossen haben ihre Arbeit hier nicht fortzuführen, wurde ich von heute auf Morgen Chefärztin der altehrwürdigen Medical Institutions Manyemen; so funktioniert das also mit der Karriere... Und als Chefärztin bin ich nun erst einmal für so ziemlich alles zuständig – ob es sich nun um den Empfang einer unvermutet auftauchenden Delegation des Gesundheitsministeriums handelt, die eine Medikamentenspende der Regierung für unsere Leprapatienten überbringt, um die verlorengegangene Taschenlampe des Nacht36

wächters oder darum die Beschaffung eines Generatorenersatzteiles aus Nigeria zu organisieren. „Doctor we get plenty palaver!“ – Doktor wir haben da ein grosses Problem… Es ist schon erstaunlich mit welcher Geduld mir da die Tücken der Technik unserer Stromgeneratoren, Ölmühle, Wasserpumpe und Autos auseinandergesetzt werden und welches Strahlen es auf den Gesichtern der Mechaniker auslöst, wenn die Chefärztin scheinbar ein bisschen davon begriffen hat. So bin ich nun zB völlig im Bilde darüber, was ein „Turbocharger“ ist und was er in einem Generator zu suchen hat. Am 31. Dezember gingen nämlich um 8 Uhr abends unerwartet die Lichter aus – eine Stunde zu früh. Ich hatte kaum meine Buschlampe angezündet, als auch schon der Nachtwächter vor der Türe stand: "Doctor, we de get plenty palaver!" Der Turbocharger wäre kaputt und deshalb würde nun das Technical Department brennen! Also im Vorbeirennen den Feuerlöscher geschnappt und im Laufschritt auf zum Technical Department. Das stand nun zum Glück doch nicht in Flammen, denn der Generator war gerade noch ausgeschaltet worden, als sein Turbocharger zu glühen anfing. Da standen nun Jude – der Mechaniker -, Albert – der Elektriker-, Matthias – der Zimmermann – und Sam – der Klempner – um den kranken Generator herum und zerbrachen sich lautstark die Köpfe, was nun zu tun sei. Nach und nach trudelten die Leute aus dem Compound ein, um festzustellen, was los sei und natürlich um jede Menge guter Ratschläge beizusteuern. Schließlich wurde beschlossen, den Generator wieder anzustellen – schließlich war Silvester – und eine Feuerwache abzustellen, die ihn sofort ausschalten sollte, sobald der Turbocharger wieder zu glühen anfangen würde. Tja, und so saßen wir dann in gemütlicher Runde fachsimpelnd über Generatoren im allgemeinen und Turbocharger im besonderen mit Bier am Silvesterabend vor unserem Generator. Um 10 Uhr war schließlich Zapfenstreich, der müde Generator wurde ausgeschaltet, und die Feuerwächter trollten sich nach Hause. Und so ging das Jahr 2004 dunkel und unbemerkt zu Ende.

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Claudia und Daniel Bender im Dezember 2011 Es klopft an der Tür, 3.00 Uhr nachts, ich bin SEHR müde: „Mrs Doctor is needed in maternity“. Ich seufze und schiebe unsere kleine Tochter zur Seite und hoffe, dass sie in meiner Abwesenheit nicht aus dem Bett fällt. Rein in die Klamotten, die Nacht ist klar. Ich habe noch nie so viele Sterne gesehen wie auf meinen nächtlichen Gängen in den Kreissaal (es hat also auch Vorteile mit fehlender Strassenbeleuchtung). Im Krankenhaus ist alles dunkel bis auf zwei Buschlampen im Schwesternzimmer, ich höre leises Wimmern aus dem Kreissaal und danach ein heftiges Platschen. Als ich den Kreissaal betrete giesst die Hebamme gerade Wasser aus der Regentonne mit einem grossen Putzeimer über eine offensichtlich erschöpfte Patientin, die von oben bis unten mit Schlamm bedeckt ist. Ich wundere mich über die unkonventionelle Behandlung. Der Hintergrund der Szene ist folgender: Mrs L. hat schon 3 Kinder ohne Komplikationen und ohne jegliche Schwangerschaftsvorsorge zuhause in ihrem Dorf geboren. Nun erwartet sie das vierte Kind. Sie bekommt heftige Wehen und stellt sich auf die nahende Geburt ein. Aber das Kind lässt auf sich warten, stattdessen kommt die Hand des Kindes zum Vorschein. Einige der älteren Frauen, die bei der Geburt dabei sind, erkennen die gefährliche Situation. Leider ist das Dorf abgelegen und die Wege schlecht. Es ist Regenzeit und es giesst aus Kübeln, zudem ist es gerade dunkel geworden. Es findet sich trotz allem ein Motorrad mit Fahrer. Die Patientin wird in die Mitte zwischen Fahrer und Begleiter gepackt, sodass sie nicht herunterfallen kann, nach 4 Stunden erreichen sie Manyemen. Beim Anblick der Patientin denke ich kurz an meine eigenen Geburten, die auch ohne nächtliche Motorradfahrten anstrengend genug waren. Jedenfalls ist die Diagnose schnell gestellt, das Kind liegt quer, die Mutter hat hohes Fieber und ist am Ende ihrer Kraft. Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen sind die kindlichen Herztöne immer noch zu hören. Das Operationsteam wird zusammengetrommelt und kurze Zeit später wird das Kind mit Kaiserschnitt geboren. Aufgrund der schweren Infektion bei Mutter und Kind dauert es einige Tage, bis beide sich stabilisiert haben, aber nach 2 Wochen verlässt Mrs L. mit ihrer kleinen Tochter die Klinik. Leider geht es nicht immer so glimpflich ab und wir sind immer wieder mit Müttertodesfällen konfrontiert. Ich habe gerade die Schwangeren/Entbindungsstatistik vom letzten Jahr erstellt. Von 38

den Patienten, die bei der Schwangerenvorsorge registriert waren (und das sind bei weitem nicht alle Schwangeren) wissen wir von 10 Todesfällen in der Schwangerschaft/Geburt/6 Monate nach der Entbindung und die Dunkelziffer ist höher (eine zuverlässige öffentliche Statistik ist nicht verfügbar). Das sind mehr als in ganz Schweden im selben Zeitraum (ca. 5-6 Müttertodesfälle pro Jahr). Die Gründe für diese Fälle sind vielfältig, einige der Frauen sind zu Hause oder auf dem Weg an Geburtskomplikationen verstorben, einige kamen zu spät mit schwersten Infektionen, andere mit Schwangerschaftsgestosen oder Blutungen, einige mit HIV im Endstadium. Der Tod einer Mutter ist eine menschliche und soziale Katastrophe und betrifft besonders die anderen kleineren Kinder, die im Haushalt leben. Ihre Chance, den 5. Geburtstag zu feiern sinkt deutlich. Bei genauerer Analyse wären mindestens 8 der bekannten 10 Todesfälle mit adäquater basaler Versorgung während der Geburt/Schwangerschaft vermeidbar gewesen. Ein wesentlicher Risikofaktor ist meines Erachtens die Tatsache, dass nur 35% der registrierten Schwangeren zur Geburt ins Krankenhaus kommen. Die meisten entbinden in ihren Dörfern ohne ausgebildeten Geburtshelfer und ohne ein erreichbares Krankenhaus in der Nähe. Andere gehen zu kleinen Gesundheitsstationen, in denen in der Regel keine Hebamme stationiert ist, sondern oft nur eine Hilfsschwester. Ein weiterer Faktor ist, dass einige der betroffenen Frauen die Schwangerenvorsorge nur einmal besuchen. Um einen vorbeugenden Effekt zu erzielen sind mindestens 2-3 Besuche, davon einer kurz vor der Geburt, notwendig. Wo sind die Ursachen und Hintergründe zu suchen? Die Mentalität? Der kulturelle Hintergrund? Die Krankenhauskosten? Fatalismus? Schlechte Infrastruktur? Fehlende ökonomische und sexuelle Selbstbestimmung von Frauen? Fehlende Familien- und Lebensplanung? .... die Liste lässt sich fortsetzen und es wird deutlich, dass es mehr als nur ein rein medizinisches Problem ist. Eine Konsequenz für unsere Planung für das kommende Jahr ist, dass wir einen Schwerpunkt auf die Gesundheitsarbeit in den abgelegen Dörfern, die zum Einzugsgebiet des Krankenhauses gehören, legen werden. Dabei spielen Informationsveranstaltungen („Educative Talk“) über Familienplanung, Schwangerenvorsorge, Sensibilisierung für Krankenhausgeburten (besonders für Risikoschwangere) eine wesentliche Rolle. Die gleichen Themen werden auch bei der 39

wöchentlichen Schwangerenvorsorge im Krankenhaus („Antenatal Clinics“) immer wieder thematisiert. Erste Früchte sind dabei durchaus auch schon sichtbar, kommen doch mittlerweile immer mehr Frauen schon vor dem Geburtstermin, um in Krankenhausnähe auf den Wehenbeginn zu warten.

Entwicklungen im Krankenhaus Kamerun hat einen zweifelhaften Ruhm als einer der Spitzenreiter in der „Korruptions-weltrangliste“ (nach „Transperancy International“). Dies ist nicht nur eine abstrakte Zahl, sondern wird bei jeder Bewegung im Alltag fühlbar. Die gesamte Gesellschaft ist davon durchdrungen und die Entwicklung des Landes wird auf vielen Gebieten stark behindert. Eine Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem existiert kaum. Auch bei der täglichen Arbeit im Krankenhaus gibt es immer wieder Probleme mit fehlender Transparenz. Viele dieser Probleme gehören zur gesellschaftlichen Normalität und werden teilweise allenfalls als Kavaliersdelikte wahrgenommen. Tatsächlich tragen sie aber zu einem gesellschaftlichen Klima bei, dass von gegenseitigem Misstrauen und Beäugen geprägt ist und dass in der Arbeitswelt viele Arbeitsabläufe verkompliziert und verlangsamt, da enorme Kontrollmassnahmen notwendig werden. Davon ist auch die Kirche nicht verschont. Inzwischen gibt es aber immer mehr, vor allem jüngere Leute, die dieses System leid sind und sich mehr Transparenz und Abschaffung der gegenseitigen Begünstigungen und Verpflichtungen wünschen. Auch in der PCC (Presbyterian Church of Cameroon), der Partnerkirche von mission 21, gibt es mit der neuen Kirchenleitung starke Bestrebungen nach mehr Transparenz und „good governance“. So ist seit Juli 2011 ein neuer „Health Services Secretary“ im Amt, der diese Linie konsequent verfolgt. Mit starker Unterstützung seitens der Kirchenleitung haben wir nun auch in Manyemen ein neues Leitungsteam, dass diese Reformansätze in der Kirche und in der Gesundheitsarbeit auf lokaler Ebene umsetzen möchte. So gibt es zur Zeit jede Menge Arbeit, Abläufe umzustrukturieren und ein besseres Controllingsystem zu etablieren. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen und eine Änderung der Mentalität in den Köpfen vieler Leute wird noch einige Zeit dauern. Aber viele Mitarbeiter unterstützen die Entwicklung und sind froh, dass endlich etwas passiert. Wir erleben aber auch Widerstand, besonders wenn 40

Leute ihre Vorteile aus früheren Seilschaften verlieren. Alles in allem ist es ein schwieriger Prozess, der viel Geduld erfordert und bei dem wir auch immer wieder das richtige Fingerspitzengefühl brauchen, um nicht kontraproduktiv zu agieren. Als äusserlich sichtbares Zeichen von Veränderung haben wir vor einigen Wochen mit einfachen Renovierungsarbeiten auf den Stationen angefangen. Der Operationstrakt und der Labortrakt wurden ja vor ca 5 Jahren in einem Kooperationsprogramm zwischen der kamerunischen Regierung und der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Deutschland) vollständig erneuert und sind in vergleichsweise gutem Zustand. Dagegen ist der Bettentrakt und die zugehörigen Sanitäranlagen sehr heruntergekommen und benötigen einen neuen Anstrich, die Toiletten müssen komplett erneuert werden. Leider geht es etwas langsamer voran als geplant, nicht zuletzt, da Baustoffe hauptsächlich in Kumba besorgt werden müssen und das Ende der Regenfälle immer noch auf sich warten lässt. Im November 2012 schreiben sie: Bei den Renovierungsarbeiten konnten wir einige Fortschritte verzeichnen. Die chirurgische Abteilung wurde neu gestrichen, und wir kauften neue Matratzen für die Betten. Alle Zimmer wurden mit neuen Moskitonetzen und Mückengittern ausgestattet und auf der Kinderabteilung Duschen und Toiletten neu gebaut. Das sind Hoffungszeichen und es verbreitet eine Aufbruchstimmung, da die Leute sehen, dass etwas passiert. Auch für den geschäftlichen Teil ist es vorteilhaft, da ein schönes Krankenhaus mehr Patienten anzieht, die wiederum mehr Einkommen für den Unterhalt des Krankenhauses bringen. Strom und Wasser sind mittlerweile zuverlässiger. Der Generator funktioniert ohne Probleme und Wasser ist ausser sonntags fast immer den ganzen Tag da. Das ist ein deutlicher Fortschritt. Wir sind jetzt unabhängig von der Gemeinde, die uns vorher sehr unregelmässig und mit viel Ärger mit Wasser beliefert hat. Nun arbeiten wir daran, das Krankenhausgelände zu verkleinern, um die Unterhalts-kosten zu senken. Das Gelände ist sehr gross, da es früher eines der grössten Krankenhäuser im Land war und Patienten von nah und fern kamen. Heute gibt es in allen Städten Krankenhäuser und Spezialisten, so dass es für viele keinen Grund mehr gibt, nach Manyemen zu fahren. Damit ist das Gelände für die heu-

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tigen Bedürfnisse überdimensioniert. Es gibt viele Gebäude, die nicht mehr gebraucht und auch nicht unterhalten werden können. Das vermittelt zum einen ein trauriges äusseres Bild, zum anderen ist es teuer, wenn zum Beispiel Rohrbrüche und Lecks zu immensem Wasserverbrauch führen. Wir arbeiten deshalb daran, die Gebäude und Strukturen, die wir wirklich benötigen, in einen guten Zustand zu bringen und anderes abzustossen, zu verkaufen oder abzureissen. Das ist kein einfacher Prozess, aber er ist notwendig, um die Kosten und Ausgaben auf ein Niveau zu bringen, damit das Krankenhaus selbsttragend sein kann. Dieser Prozess wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen und mit Sicherheit auch nächstes Jahr noch nicht abgeschlossen sein. Da unsere Zeit in Manyemen nächstes Jahr zu Ende gehen wird, hoffen wir sehr, dass schon bald ein/e Nachfolger/in gefunden werden kann, um einen guten Übergang zu gewährleisten und die angefangene Arbeit fortzuführen. Herzlichen Dank für alle Unterstützung und Anteilnahme, sei es im Gebet oder sei es materiell und ganz herzliche Grüsse aus Manyemen/Kamerun.

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Schlussgedanken Matthias Furrer, Mai 1989 Das Umfeld ist wohl schwierig, es scheint vorerst sogar für eine gute Entwicklung völlig untauglich. Dies ist aber überhaupt nicht so, denn weit über alle den Unzulänglichkeiten steht das allgemein verbreitete positive Denken, der feste Glaube an die Zukunft, das Vertrauen auf Besserung. Alles Werte, die bei uns in der Schweiz kaum mehr zu finden sind und doch weit wichtiger sind als alle Probleme. Und Dorothea Frank schreibt im Juli 1990 Zum Leben hier gehört für mich auch: aushalten, dass du anders bist; ein Stück weit draussen bleiben – müssen und dürfen; und damit verbunden auch die Freiheit sich anders zu verhalten, nach anderen Wertmassstäben zu entscheiden. Zulassen, dass Menschen über dich lachen, miteinander reden in einer Sprache, die du nicht verstehst; dass sie sich nur wundern können, wie man freiwillig eine so weite Strecke zu Fuss geht, wenn man ein so schönes rotes Auto hat. Aber inzwischen habe ich gelernt zu sehen, dass sie sechs Mal in der Woche den weiten Weg in die abgelegenen Farmen zu Fuss gehen, einen Korb auf dem Kopf, das Kleinste auf dem Rücken und eine Hacke tragend. Auf dem Nachhauseweg kommt noch ein Sack voll „Cocoyams“ dazu und ein schweres Stück Feuerholz, das man sich nicht entgehen lassen wollte. Aushalten, dass du anders bist. Aber ist es nicht eine Frage, die wir in abgewandelter Form auch bei uns erleben? Dass unsere Nähe Grenzen hat. Dass wir nie ganz einig sind und oft nach mehr Heimat verlangen als wir erleben können. Missionarische Existenz: Fragen zulassen, einüben ins Sehen mit anderen Augen. Und nicht müde werden im Suchen, wie Gott seine Spuren in Wirklichkeit legt, in Kirche, Gemeinde und Krankenhaus. Hier: Kamerun. Und wenn nichts zu entdecken ist, nicht dabei stehen bleiben, dass es keine Spuren gibt, sondern zur Frage durchstossen dürfen: ob es nicht daran liegt, dass ich nur nach den mir bekannten Mustern suche? Missionarische Existenz – kommt es dabei gar nicht so sehr auf vollständige Antworten an, als vielmehr darauf, dass wir gespannt bleiben, wach, nicht müde werden, nach der Wirklichkeit zu suchen, die uns angerührt hat und die die ganze Welt umschliesst?

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Dr.med. Emilia Odé und Schwester Elisabeth Wagner bei der Behandlung eines Lepra-Patienten (Bild: Paul Ernst Scheibler)