Spiegeln in der Kommunikation

Spiegeln in der Kommunikation Symmetrisch und antisymmetrisch von Frank Wartenweiler Bedeutung des Spiegelns in der Kommunikation Spiegeln ist zentr...
Author: Hetty Lange
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Spiegeln in der Kommunikation Symmetrisch und antisymmetrisch

von Frank Wartenweiler

Bedeutung des Spiegelns in der Kommunikation Spiegeln ist zentral in allen Tätigkeiten, bei denen zwischenmenschliche Verständigung eine wichtige Rolle spielt. Es wird es in erster Linie dafür eingesetzt, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Einfühlung in die Welt anderer Menschen und das Widerspiegeln dieser Welt in Worten eignet sich allerdings zu weit mehr – nämlich die Selbstwahrnehmung von Menschen zu verfeinern und tiefgreifende Veränderungsprozesse auszulösen.

Formen des Spiegelns Spiegeln wurde im psychosozialen Bereich bisher gleichgesetzt mit symmetrisch spiegeln. Frank Farrelly, eine weltweit einzigartige Kapazität im Bereich der Psychotherapie, benutzt in seiner Provokativen Therapie Interventionsformen, die hochwirksam sind,

Veranschaulichung anhand von geometrischen Figuren: Symmetrische Spiegelung

Antisymmetrische Spiegelung

Prinzip: Bei beiden Spiegelungen bleibt die Form erhalten. Bei der symmetrischen Spiegelung bleiben auch alle weiteren Qualitäten wie Farbe, Musterung etc. identisch. Bei der antisymmetrischen Spiegelung wird eine Qualität in ihr Gegenteil verkehrt, hier wird weiß zu schwarz.

sich aber mit herkömmlichen Mitteln kaum beschreiben lassen. Sobald wir das aus der Geometrie stammende Phänomen antisymmetrischen Spiegelns verstehen und auf den Bereich der Kommunikation anwenden, wird seine Arbeitsmethode auf einfache Weise nachvollziehbar, und es lassen sich leicht neuartige Interventionen

für alle sozialen Kontexte systematisch entwickeln.

Beispiel für die Auflösung von Verleugnung mit antisymmetrischem Spiegeln Das Beispiel stellt eine kurze Episode im Verlauf einer psychotherapeuti-

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schen Behandlung eines Kindes mit mittelschweren Verhaltensstörungen dar. Es handelt sich um eine Musterintervention, die ich in ähnlich gelagerten Fällen wiederholt mit gutem Ergebnis angewendet habe. Es ist anzunehmen, dass Menschen im natürlichen Umfeld des Kindes dieselben Effekte erzielen würden, wenn sie meine Strategie übernehmen und auf einfühlsame und humorvolle Art anwenden würden, denn die Methode stellt den ganzen Rahmen der bisherigen Kommunikation radikal in Frage. Nun der Fall: Ein Kind betrügt beim Spielen, behauptet aber, nicht betrogen zu haben. Erste Antisymmetrische Spiegelung: Ich spiele weiterhin ehrlich. Aber ich behaupte, ich hätte betrogen – jedes Mal, wenn das Kind betrügt. Während das Kind seine Betrügerei verleugnet, verleugne ich meine Ehrlichkeit. Effekt: Nach kurzer Zeit beginnt das Kind, spontan auf seine Fehler hinzuweisen und besteht darauf, unrecht gehandelt zu haben. Zweite Antisymmetrische Spiegelung: In diesem Moment bezeichne ich das Kind als Lügner. „Du lügst. So etwas würdest du nie tun. Du nicht! Ich weiß das.“ – Solange das Kind betrügt, behandle ich es, als wäre es ehrlich. Sobald es ehrlich ist, stelle ich es als Lügner hin.

dort weiterhin große Vorteile ziehen konnte. Auf die will es natürlich nicht verzichten. Soll das Kind sich im Alltag anders verhalten, ist es notwendig, dass die natürlichen Autoritäten, in erster Linie die Eltern, ihr Verhalten dem Kind gegenüber verändern.

Effekte und Nutzen von antisymmetrischem Spiegeln in der Kommunikation Diese bisher weitgehend unentdeckt gebliebene Kommunikationsform übertrifft die Wirkung herkömmlichen, symmetrischen Spiegelns und jene vieler anderer Methoden um ein Vielfaches. Insbesondere eignet sie sich dazu, in kurzer Zeit selbst bei Menschen konstruktive Entwicklungen in Gang zu setzen, die sich vehement gegen Veränderungsprozesse wehren oder unfreiwillig an Gesprächen teilnehmen. Systematisch und professionell angewendet, kann antisymmetrisches Spiegeln bei massiven Projektionen, Verleugnungen, psychosomatischen und asozialen Entwicklungen Veränderungsprozesse initiieren, die von innen her erfolgen und mit einer adäquateren Wahrnehmung der Realität und mehr Bewusstheit einhergehen. Es bewirkt also auch Einsicht, wenn auch auf indirektere

Weise als bei manch anderen Interventionsformen. Weiter lassen sich starke Blockierungen in der Verständigung mit antisymmetrischem Spiegeln leichter auflösen. Dieser Ansatz bietet sich somit als Instrument der Kommunikation dort an, wo wir es mit den größten Schwierigkeiten in der zwischenmenschlichen Verständigung zu tun haben. Wer antisymmetrisches Spiegeln bewusst einzusetzen versteht, verfügt über viel mehr Antwortmöglichkeiten und wird nicht nur beobachten, dass seine Kommunikation wirksamer wird, sondern als „Nebenwirkung“ immer mehr den spielerischen Charakter jeder Kommunikation erfahren und so bei sich selbst entdecken, dass automatisch mehr Humor und Intuition im Leben Einzug halten.

Drei Ebenen des Spiegelns 1. Ebene – Jemandem einen Spiegel hinhalten Wer Aussagen und auch Verhaltensweisen eines anderen Menschen spiegelt, kann es zunächst so machen, dass er bildlich gesprochen einen Spiegel in die Hand nimmt und diesen in einer Weise vor den anderen hält, dass der andere sich und seine Welt im Spiegel erblicken kann. Dies ist eine klassische Technik in vielen Psychotherapien: Therapeut und Klient schauen in einem Spiegel gemeinsam das Spiegelbild des Klienten an.

Effekt: Humor … und vor allem: Ohne Ermahnung, Rüge oder Strafe hört das Kind in kürzester Zeit mit dem Betrügen auf und beginnt von sich aus, Ehrlichkeit zu verteidigen.

2. Ebene – Der Spiegel der anderen Man kann einem Menschen auch zeigen, was andere Personen in einem Spiegel über den Betrachter und seine Welt sehen können – Dinge, die er selbst vielleicht nicht sieht.

Der Effekt erwies sich in der Beziehung zu mir nach wenigen Wiederholungen in der Regel als stabil. Wie es in kindertherapeutischen Behandlungen häufig der Fall ist, gab es keinen Transfer in Alltagssituationen, solange das Kind aus seiner Betrügerei

3. Ebene – Selbst zum Spiegel werden Man kann schließlich selber zum Spiegel werden. Eine Technik, die beim nonverbalen Spiegeln benutzt wird, wenn jemand Haltung und Verhaltensweisen einer anderen Person

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Alle Bilder: © Frank Wartenweiler

Therapeut (T) soeben klar beschreibbare Verhaltensänderungen diskutiert haben. Den Erwartungen des Vaters genügen diese Änderungen eben nicht. Wie kann der Therapeut mit der deutlich im Raum stehenden Polarisierung umgehen, ohne selber weiter als Partei in den Konflikt involviert zu werden? Wie kann er einen Prozess der Reflexion initiieren? Die Klage des Vaters wird unten zunächst formal vereinfacht und in vier Teile zerlegt wiedergegeben. Jeder Teil kann für sich in sein Gegenteil verkehrt oder in seine Negation verwandelt werden. So können wir danach sprachlich jeden Satzteil für sich antisymmetrisch spiegeln. Ich (V)

nehme wahr

Sohn (S)

ändert sich nicht.

Symmetrische Spiegelung auf der ersten Ebene Hier wird die Aussage des Vaters (V) paraphrasiert oder in leicht anderen Worten symmetrisch gespiegelt: imitiert, ein Beispiel für symmetrisches Spiegeln. Diese Technik kann auch mit der Sprache angewendet werden und bietet in der Psychotherapie eine weitere, faszinierende und subtile Interventionsmöglichkeit an. Sie besteht darin, dass der Therapeut sich an die Stelle vom Klienten setzt und beginnt, sich ihm gegenüber so zu verhalten und so über ihn zu reden, wie der Klient sich üblicherweise gegenüber anderen, sich selbst etc. verhält oder verhalten könnte. Für eine Aussage eines Menschen gibt es auf jeder Ebene jeweils eine Möglichkeit, symmetrisch zu spiegeln, und eine Vielzahl möglicher Antworten, welche die Aussage antisymmetrisch spiegeln.

Technik, Aussagen symmetrisch und antisymmetrisch zu spiegeln Man notiert die Aussage in möglichst einfacher Form und zerlegt sie derart in Teile, dass jeder einzelne Teil für sich gespiegelt werden kann. Im Folgenden gehen wir von einem Fall aus, in dem ein Vater (V) sich in einer familientherapeutischen Sitzung darüber beklagt, dass sein Sohn (S) sich nicht verändert, während der Sohn selbst, die Mutter (M) und auch der

Ich (V)

nehme wahr

Sohn (S)

ändert sich nicht.

Sie (V)

sehen,

dass S

keine Veränderung in seinem Verhalten zeigt.

Eine antisymmetrische Spiegelung auf der ersten Ebene In der nächsten Spiegelung werden willkürlich drei Elemente der ursprünglichen Aussage des Vaters antisymmetrisch gespiegelt. Welche Teile der Therapeut verwendet, ist auch willkürlich. Es können in diesem Fallbeispiel ein bis vier Elemente frei kombiniert, antisymmetrisch gespiegelt werden. Jedes Mal entsteht eine neue und andersartige Intervention.

Ich (V)

nehme wahr

S

ändert sich nicht.

Sie (V)

nehmen nicht wahr,

Sie selbst (V)

ändern sich.

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delt, wie der Vater den Sohn behandelt. Damit für den Leser doch in etwa nachvollziehbar wird, was dabei geschieht, seien einige Antwortmöglichkeiten beispielhaft ausformuliert:

Symmetrische Spiegelung auf der zweiten Ebene Vater: „Ich sehe, dass Toni sich einfach nicht ändert.“ Therapeut: „Ich sehe das auch. Furchtbar, all diese Verrenkungen heute wieder. Und dann hat er wie immer

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Vater: „Ich sehe, dass Toni sich einfach nicht ändert.“ Therapeut: „Er ändert sich so wenig wie Sie sich wahrscheinlich geändert haben, als Sie Vater geworden sind.“

Eine antisymmetrische Spiegelung auf der dritten Ebene

Kommentar: Der Therapeut spiegelt hier einen kompletten Verleugnungsprozess, indem er den Vater behan-

Vater: „Ich sehe, dass Toni sich einfach nicht ändert.“ Therapeut: „Vielleicht haben Sie sich dagegen verändert, ohne es zu bemerken! Indem Sie ganz einfach aufgegeben haben und aufgehört haben zu erwarten, dass er sich ändert. Das wäre auf alle Fälle auch eine Veränderung. Eine, die Sie jedenfalls leichter haben können. Und eine, die Ihnen das Leben wesentlich leichter machen könnte.“

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Symmetrische Spiegelung auf der dritten Ebene

Vater: „Ich sehe, dass Toni sich einfach nicht ändert.“ Therapeut: „Dafür haben Sie sich geändert. Eben vor wenigen Minuten haben Sie selbst bemerkt, dass Sie einen jahrzehnte alten Wunsch Ihrer Ehefrau im Wartezimmer endlich erfüllt hätten. Sie hatte sich doch gewundert, dass Sie sie angeschaut haben.“

Als Intervention ausformuliert, kann die antisymmetrische Spiegelung sinngemäß lauten

Analog zur ersten Ebene können Interventionen auf den Ebenen zwei und drei systematisch entwickelt werden. Es würde den Rahmen hier sprengen, die möglichen Konstruktionen im Detail aufzuzeigen. Bedeutsam ist, dass auf jeder der folgenden Ebenen jeweils eine technische Besonderheit zu berücksichtigen ist. Auf der zweiten Ebene tritt eine andere Person an Stelle des Ichs des Vaters, und auf der dritten Ebene wechseln die Positionen grundsätzlich. Der Vater wird vom Sprechenden so behan-

Der bleibt immer derselbe. Der sieht nie, wenn etwas passiert.“

stumm und verstockt seit Anfang der Stunde auf seinem Stuhl gehockt, um dann plötzlich und ohne Begründung aufzustehen und aus dem Zimmer zu laufen!“

Eine antisymmetrische Spiegelung auf der zweiten Ebene (2 Elemente geändert) Vater: „Ich sehe, dass Toni sich einfach nicht ändert.“ Therapeut: „Typisch Papa – denken Mutti und Toni wahrscheinlich jetzt.

delt, als hätte er sich geändert an einer Stelle, wo dies explizit nicht der Fall ist.

gewinnen und subtil zu weiteren Versuchen ermutigt.

Projektion

Die Leserinnen und Leser können sich jetzt leicht vorstellen, dass sie mit Hilfe dieses Instrumentes für jede beliebige Aussage eines anderen Menschen eine Vielzahl möglicher Antworten entwickeln können.

Wo ein Klient übertreibend negative Aspekte von anderen hervorhebt, übertreibt der Therapeut die positiven Aspekte des Klienten.

Unterschiede in Ähnlichkeiten verwandeln

Einige wichtige Interventionen in der Psychotherapie, die antisymmetrisches Spiegeln verwenden

Wo Klienten auf Unterschiede zwischen sich und anderen bestehen, weil sie sich von unakzeptablen Verhaltensweisen anderer abheben möchten, werden sie hartnäckig damit konfrontiert, wo sie anderen sehr ähnlich sind.

Einige der Beispiele sind typische Interventionen von Frank Farrelly in seiner Provokativen Therapie, andere habe ich selbst durch die Entdeckung des antisymmetrischen Spiegelns entwickelt.

verleugnet der Therapeut explizit das Negative und stellt es als positiv hin.

Das größte Übel ist in Wahrheit noch immer das geringste!

Aufmerksamkeit und Langeweile

Mit dieser Umdeutung erwartet der Therapeut stets eine Verschlimmerung, wo Klienten auf ihn schauen und hoffnungsvoll auf Besserung warten.

Wo ein Klient mit dramatischen Schilderungen aus seinem Leben um Aufmerksamkeit wirbt, reagiert der Therapeut gelangweilt. Umso größer ist sein Interesse für Themen, die der Klient zu vermeiden versucht.

Verrückte Lösungen vorschlagen Wo Klienten sich inadäquat verhalten und vom Therapeuten vernünftigen Rat verlangen, bekommen sie verrückte Lösungen vorgeschlagen und übernehmen in der Folge meist rasch mehr Verantwortung für ihr Verhalten, resp. beginnen spontan, sich vernünftiger zu verhalten.

Gewinne und Verluste Wo ein Klient Verluste beklagt, wird er auf Gewinne aufmerksam gemacht, die andere dafür auf seine Kosten haben.

Verleugnung Wo Klienten das Positive verleugnen – z.B. über Erfolge hinwegsehen –,

Aufwertung und Entwertung

Wirkungsvoll sind liebevoll vorgebrachte Beweise, dass die Streitpartner sich in unerwünschten Manieren – je unerwünschter, desto besser! – sehr ähnlich benehmen. „Sie sind sich doch absolut einig! Sind Sie nicht beide immer und jederzeit der klaren Meinung, dass der andere falsch gewickelt ist? Und zwar total!“ Effekt: So etwas konsequent wiederholt, sabotiert auf verheerende Weise das gut funktionierende Zusammenspiel geübter Streithähne. Es provo-

Wo Klienten adäquates Verhalten entwerten, wertet der Therapeut inadäquates Verhalten auf. Er lobt sie für Fehlverhalten und bringt für die unmöglichsten Verhaltensweisen Verständnis und Entschuldigungen vor, während er die Klienten rügt und verständnislos für verrückt erklärt, sobald sie beginnen, angemessenes und reifes Verhalten zu zeigen.

KataLOOSEator Anzuwenden bei chronischen Verlierern. Speziell geeignet für Kinder. – Wo du leicht gegen den anderen gewinnen kannst, versuche nur gerade knapp zu verlieren. So wird jemand, der ans Verlieren gewöhnt ist, knapp

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Literatur: Farrelly F. Brandsma J.M.: „Provokative Therapie“, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1986 Hargittai, Istvan und Magdolna: „Symmetrie“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1998 Wartenweiler Frank: „Provozieren erwünscht ... aber bitte mit Feingefühl.“ Junfermann Verlag, Paderborn 2003

Frank Wartenweiler, Psychotherapeut SPV mit eigener Praxis in Zürich. Provokative Therapie. Seminare zur beschriebenen Methode bei THINK GmbH, Zell-Gresgen

AU SG EB UC HT !–

Was Farrelly für seine Provokative Therapie immer wieder betont, gilt auch für antisymmetrisches Spiegeln, wenn es sich konstruktiv auswirken soll. Es soll stets mit Herz geschehen, liebevoll, mit einem Zwinkern in den Augen, warmherzig, also von der wahren Intention getragen, dem Gegenüber in seiner Entwicklung zu helfen.

Bit te üb er Wa rte list ei nfo rm ier en !

ziert ungeahnte und neue Möglichkeiten beider Partner, zu beweisen, dass und wie sie sich vom anderen unterscheiden. Meist in günstigeren Bereichen. Z.B. können sich andauernd streitende Eltern in Scheidung dazu gebracht werden, sich mehr um die Belange der Kinder zu kümmern.

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