Schwarze Erde. Eine Reise durch die Ukraine

Schwarze Erde. Eine durch die Ukraine Reise (Von Dr. Daria Boll-Palievskaya) Jens Mühling nennt sich selbst einen, der „Geschichten“, „Geschichte“ s...
Author: Theodor Schulze
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Schwarze Erde. Eine durch die Ukraine

Reise

(Von Dr. Daria Boll-Palievskaya) Jens Mühling nennt sich selbst einen, der „Geschichten“, „Geschichte“ sucht. Um die Geschichte Russlands und das Wesen dieses Landes zu verstehen, hat er ein Jahr lang Russland bereist – ein Land, „in dem die wahren Geschichten unglaublicher sind als die ausgedachten“. Er wollte dem Land und seinen Menschen näherkommen, sie begreifen. Als Ergebnis dieser Reise entstand ein wunderbares und sehr persönliches Buch „Mein russisches Abenteuer“. Es war kein Reiseführer mit fertigen Rezepten „so verstehen Sie Russland“, denn Jens Mühling war selbst ein Suchender. Mit dem Autor zusammen stellte man sich eine Frage, die von im Buch oft zitierten Dostojewski hätte kommen können: „ob dieses Land jemals ohne einen Glauben auskommen würde“. Jetzt nahm sich der deutsche Journalist zwei Monate Zeit, um die Ukraine zu bereisen und zu verstehen. Denn alle sagen, dass Russland anders ist. Die Ukraine auch. Schon wieder trifft er sich mit unzähligen Menschen. Er beginnt seine Reise in der Westukraine: an der polnisch-ukrainischen Grenze. Die Menschen in den ukrainischen Orten im 30 Grenz-Streifen leben davon, dass sie zwei Schachteln Zigaretten und eine Flasche Schnaps in Polen verkaufen – so viel darf pro Grenzüberganz mitgenommen werden. Die gleiche erschreckende Armut findet er auch am Ende seiner Reise, ganz im Osten des Landes an der russischen Grenze: „Ganz im Osten (…) ist wie ganz im Westen der Ukraine: Traurig blicken die Menschen auf die andere Seite der Grenze, wo das Leben besser ist“. Von westlichen Lwiw (Lemberg) bis zum im Separatistengebiet der Ostukraine gelegenem Donezk lernen wir die Ukraine kennen, ein Land, „dessen Bahnlinien älter sind als die Grenzen“ und deren Geschichte durch ständig verschobene Grenzen und künstliche Trennlinien geprägt wurde und ist. Mitten in Lwiw

steht ein Denkmal für Stepan Bandera – den Führer der ukrainischen Nationalisten, der mit Hitler kollaborierte und dessen Partisanenarmee an den Pogromen gegen Juden und Polen beteiligt war. Mühling erzählt die Geschichte von Bandera und seiner Ermordung durch das KGB, er besucht sein Grab in München, er spricht mit einem Veteranen der Bandera-Bewegung. Sachlich wird über die Verehrung von Bandera in „Teilen der Ukraine“ erzählt. In einer Bar feuern Nationalisten auf Zielscheibe mit den Konterfeis von Lenin, Stalin und Putin und bewundern die Militär-Ausstellungsstücke der Bandera-Armee. Doch Mühling will dabei kein Spielverderber sein und nimmt sogar „den anderen Gästen ihren Spaß“ nicht übel. Er findet Pani Kristina sympathisch – eine Museumsführerin in Lwiw, die über einen ehemaligen Bandera-Soldaten sagt: „Er hat im Krieg auf der falschen Seite gekämpft. Oder auf der richtigen, je nachdem“. Mit Verständnis hört Mühling einem Dessidenten aus Tschernowzy zu, der zwar kein Ukrainisch spricht, dafür aber sagt: „Wir halten hier mit ukrainischem Blut Moskaus Vormarsch auf den Westen“. Auch die alte Losung der Bandera Bewegung „Die Ukraine über alles!“ auf dem Sockel des abgestürzten Lenin-Denkmals in einer kleinen ukrainischen Stadt schreckt Mühling nicht auf. Er ist sogar bereit, ernsthaft über die Frage, ob man über Kiewer Rus sprechen darf, nachzudenken. Schließlich seien ja die Geschichtsbücher „im Kreml geschrieben“. Und schon deswegen könnte die allgemein bekannte Tatsache, dass der Fürst Wladimir Rus in Kiew getauft hatte als „moskowitische Leseart“ verstanden werden. Ein Mitreisender weiß Beschied: Peter der Große habe den Urkainern ihre „Geschichte geklaut“. Der Autor versucht dabei nicht zu urteilen, bietet seinem Leser die Möglichkeit, selbst zu schlussfolgern. Das war auch die Stärke von „Mein russischen Abenteuer“, wo wir oft solche Sätze lasen wie: „Ich hörte schweigend zu“ oder „Ich nickte stumm“. Doch bei dieser Zurückhaltung, dieser Art, den Menschen mehr Raum zu lassen, bleibt Mühling leider nicht konsequent genug. Sobald es sich um die russische Sichtweise

geht, wird er zum Kritiker seiner Protagonisten. So versteckt er nicht seine Abneigung gegen Galina, die ihn durch einen Park in der Stadt Uman in der Zentralukraine führt: „Selten hatte ich die Propagandamythen des russischen Fernsehens in konzentrierter Form gehört!“ Seine russischen Gesprächspartner stehen fast allesamt unter starkem Einfluss der Propaganda. So erschreckt den Leser eine flüchtige Begegnung mit Viktor auf der Krim: er glaubt an amerikanische Diversanten und daran, dass die EU „alle russischen Christen zu Homosexuellen umerziehen“ möchte. Keiner von seinen Freunden würde die Separatisten unterstützen, keiner habe am Unabhängigkeitsreferendum teilgenommen, sagt der junge Roman aus Donezk: „Abgestimmt haben nur Nostalgiker, die sich nach der Sowjetunion sehen“. Andere Stimmen hören wir nicht. Diese Erklärung reicht Mühling, denn er ist in die Ukraine gereist mit der Überzeugung, dass die alte Sowjetunion „ein großes Lager war“. „Ihre Insassen hatten es warm, (…) alle waren gleich. Dass sie Insassen waren, fiel den meisten gar nicht mehr auf“. „Solange Frieden herrschte, haben wir nicht gesehen, wie gespalten unsere Gesellschaft ist. Die verborgenen Trennlinien zwischen den Menschen hat erst der Krieg wirklich sichtbar gemacht“, lässt Mühling einen seiner Gesprächspartner sagen. Wer das Buch „Schwarze Erde“ liest, spürt das ganz deutlich.

Eine Kolumne von Daria BollPalievskaya. Heute: Und

glauben der bösen Propaganda Die spinnen, die Russen. Sie essen Eis bei minus 30 Grad, trinken Wodka aus der Flasche und schlagen sich gegenseitig mit Birkenzweigen in der Sauna. Das weiß ja jedes Kind. Und sie fallen allesamt auf die Propaganda der von Putin gesteuerten Medien rein. Die Geschichte mit der Krim zum Beispiel. Man weiß ja, dass Russland diesen Teil eines fremden Landes annektiert hat. Und man weiß es ja deshalb, weil hier zulande immer wieder von der Annexion von Krim gesprochen wird. Und wenn es in den 20.00 Uhr Nachrichten jedes Mal die „Annexion der Krim“ heißt, dann ist es so. Denn wenn etwas oft genug wiederholt wird, wird es dadurch wahr. Oder etwa nicht? Egal, was die Russen über das Referendum erzählen, bei dem 97% der Krimbevölkerung für den Austritt aus der Ukraine waren. Oder dass laut dem amerikanischen Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center 91% der befragten Einwohner der Meinung waren, dass das Referendum frei und fair verlaufen ist. Oder Argumente von Völkerrechtlern, die nicht vor der Annexion, sondern von einer Sezession sprechen. Die Russen behaupten sogar, die Halbinsel sei das ureigene russische Land, das Chruschtow 1954 der damals zu der Sowjetunion gehörenden Ukraine geschenkt hat. Und zwar anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Zugehörigkeit der Ukraine dem russischen Staat. Alles Propaganda. Außerdem, warum argumentieren die Russen immer mit Geschichte? Ja, klar, dieses „Geschenk“ war in keiner Weise rechtens und hat gegen die sowjetische Verfassung verstoßen. Aber was hat das alles mit der heutigen Situation zu tun? Diese ewigen „warum und weshalb“. Und aus der Geschichte hat man sowieso noch nie gelernt. Oder nehmen wie jetzt den Ausschluss der russischen Mannschaft von Paralympics in Rio. Es gibt zwar genau drei (3) juristisch bewiesene Fälle des Dopingmissbrauchs bei den behinderten

Sportlern in Russland in den letzten vier Jahren, aber wer interessiert sich schon für solche Kleinigkeiten, bewiesen oder nicht! Verdächtigt – das ist das Wesentliche! Der McLaren-Report konnte zwar keine konkreten Beweise für die Verstöße der russischen Mannschaft vorlegen (ganz davon abgesehen, dass es sich dabei gar nicht um die Paraolympische Sportler handelte), aber der ganzen Welt ist klar, es steckt ein System dahinter. Und zwar das System Putin! Man kann wirklich froh darüber sein, dass die Medien in Deutschland immer unabhängig und unpartaisch über Russland berichten. Zum Beispiel diese Sendung auf einem Nachrichtensender, wo es darum ging, dass die Strände auf der Krim leer bleiben. Laut aktuellen Zahlen, haben vier Millionen Touristen Krim besucht, das sind 26% mehr, als im Jahre 2015. Aber das ist natürlich die russische Statistik, und sie kann nur gefälscht sein. Eine Freundin von mir aus Moskau hat zwar ihren Urlaub auf der Krim verbracht. Und ihre entfernten Verwandten auch. Sie berichteten über volle Hotels und Restaurants. Kann aber nur um eine Momentaufnahme gehandelt haben. Apropos Urlaub und Sommer. Dieser Sommer war in Russland der heißeste seit 150 Jahren. In Moskau herrschten fast den ganzen Juli und die erste Augusthälfte tropische Temperaturen über 33 Grad. Höchstwahrscheinlich handelte es sich wieder um Putins Propaganda. Denn jedem normaldenkenden Menschen in Deutschland ist klar, dass Russland gleich Sibirien ist, und in Sibirien liegt ja immer Schnee! Mehr Kolumnen von Daria Boll-Palievskaya

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Feindbild Geschichte Dämonisierung

Russland. einer

[Von Dr. Daria Boll-Palievskaya] „Pünktlich zum Gedenkjahr an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges schwoll im Westen die lange vorhandene russophobe Grundstimmung zu manifestem Russenhass an“, beginnt das Buch „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“ des Wiener Historikers und Publizisten Hannes Hofbauer. Doch ist das Feindbild des „barbarischen“ Russen neu oder nur die neue Auflage der uralten Stereotypen? In seinem akribisch recherchierten und spannend geschrieben Werk verfolgt Hofbauer die 500 Jahre Geschichte der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Seine Schlussfolgerungen sind alles andere als hoffnungsvoll. Das Bild des „asiatischen, barbarischen Russland“ entstand im 15. Jahrhundert und war eine polnische Erfindung, die dazu diente den feindliche Staat als ein „Reich des Bösen“ darzustellen. Mit einigen wenigen historischen Ausnahmen (Begeisterung von Peter des Großen, Befreiungskriege von 1813-1814 und dann die kurze Welle des Enthusiasmus für Gorbatschow) pflegte der Westen die „russophobe Einstellung“. Dahinter steckte oft die Angst, dass Russland zu mächtig wird. Schritt für Schritt verfolgt Hofbauer die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in der neusten Geschichte. Er zeigt, dass die USA sich einiges kosten ließen, um den Kommunismus von der Landkarte der Welt zu tilgen. Mit dem Afghanistan Krieg tappte Moskau in die Falle: die USA nutze den „afghanischen Hexenkessel“, um die Sowjetunion mit versteckten Missionen zu destabilisieren. Der Autor deckt auf, dass die USA Administration schon Mitte der 80er Jahre darauf setzte, die Ölpreise zu senken, um der Sowjetunion zu schaden: dabei

waren die Saudis einer der “wichtigsten Komponenten in der Strategie Reagans“. 1987 musste Michail Gorbatschow eingestehen: „Wir haben unser Land in ein Militärlager verwandelt; und der Westen will uns in ein zweites Szenario eines Rüstungswettlaufs treiben. Er rechnet mit unserer militärischen Erschöpfung: und dann wird er uns als Militaristen porträtieren“. Auch die ganze Ära Jelzin ist für den österreichischen Historiker die Phase in der Geschichte Russlands, wo Washington seine Hände im Spiel hatte. Sogar die sogenannte Schoktherapie von 1992 und die Privatisierung, die das Oligarchensystem herausbildete und eine verheerende Rolle für die russische Wirtschaft hatte, war mehr oder weniger von Amerikanern gesteuert: „Das Washingtoner Finanzministerium spielte in den ersten Jahren der russischen Transformation eine zentrale Rolle“. Auch das Problem der Osterweiterung der NATO, die 2016 bis zu den Pforten Russlands reicht, nimmt Hofbauer unter die Lupe. Er erinnert an die Worte von Genscher, der 1990 zu dem damaligen Außenminister Schewardnadse wörtlich sagte: „Die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen“. Doch schon auf ihrem Gipfel in Rom im Jahre 1991 stellte die Militärallianz „ihr Radar von Defensive auf Offensive“. 2004 sind sieben EUBeitrittskandidaten dem Nordatlantikpakt beigetreten. Für Hofbauer ist glasklar: die NATO verfolgt „die Strategie der Einkreisung Russlands“. Der Autor analysiert die Frage, was mit der Machtübernahme von Putin in Russland passiert ist und was der Nachfolger von Jelzin erreicht hat. Seiner Meinung nach hat Putin die Macht im Land konsolidiert, die administrative Re-Zentralisierung durchgeführt und die Armut reduziert. Von Anfang war Putin bemüht, „die in den 1990er Jahren bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Staatlichkeit weder herzustellen“. Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen schienen sich zu entspannen. Für Putin war die EU ein wichtiger strategischer Partner. Er hoffte mit ihrer Hilfe „die von den USA seit 1999 immer offensiver betriebene Einkreisung Russlands“ zu verhindern.

Doch sein Kalkül ging nicht auf. Je klarer wurde, dass der neue russische Präsident „aus den Fußstapfen von Jelzin“ heraustrat und das Land sich auf den Weg machte, sich von den Strapazen der 90er Jahre zu erholen, desto skeptischer wurde man in Brüssel. „Die Wortkreation „Putinismus“ machte die Runde; sie war von Anfang an negativ konnotiert“. Hofbauer geht auf „Farbrevolution“ ein, um festzustellen, dass sie mit „Soft Power“ der westlichen Regierungen unterstütz wurden, und zwar dort, wo dem Brüsseler „Demokratiemodell nicht ausreichend gefolgt wird“. Ein großes Kapitel ist natürlich auch dem „Kampf um die Ukraine“ gewidmet. Der Autor beleuchtet den Ukraine-Konflikt von allen Seiten, erschlägt beinahe den Leser mit Fakten, Daten und Zahlen. Doch seine Schlussfolgerungen sind klar: es ging vor allem um den „Expansionshunger“ von Brüssel, der auch „nach drei Erweiterungsrunden gegen Osten noch nicht gestillt“ war. Hofbauer nimmt kein Blatt vor den Mund: „Spätestens Mitte Dezember 2013 war auch klar, dass die Ukraine Brüssel und Washington nur als Kampffeld gegen Russland diente“. Ob die Geschichte mit der Krim, Minsker Abkommen, die Sanktionen gegen Russland, die Eurasische Union, die Dämonisierung von Putin – jeder, der Zusammenhänge verstehen will und Fakten braucht, für den soll das Buch „Feindbild Russland“ ein Nachschlagewerk sein. Der Ausblick des Wiener Historikers ist alles andere als optimistisch. Er zitiert eine Moskauer Soziologin, die die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen so zusammenfasste: „In der Ära Gorbatschow-Jelzin lautete die Devise im Westen, sich mit Russland zu engagieren; während der ersten Putin-Jahre bis 2008 hieß es, sich mit Russland zu arrangieren; und seit 2008 sich gegen Russland zu engagieren“. Die negative Einstellung zu Russland ist im Westen tief verwurzelt und hat geopolitische Gründe, ist Hofbauer überzeugt. Nach der Lektüre des umfassenden fundierten Werkes ist das auch jedem seiner Leser klar. Daria Boll-Palievskaya-russland.NEWS

Eine Kolumne von Daria BollPalievskaya. Die Russen, sie leiden und gedenken [Dr. Daria Boll-Palievska] Die spinnen, die Russen. So beginne ich immer meine Kolumne. Aber diesen Artikel kann ich so nicht anfangen. Denn es geht um ein Thema, bei dem für jeden Russen der Spaß aufhört. Um den Großen Vaterländischen Krieg. So heißt im russischen Gebrauch der Zweite Weltkrieg. Im vorigen Herbst war ein Freund von meinem Sohn mit uns in Moskau. Dem 14.Jährigen ist ein großes Plakat mit Kriegssymbolik aufgefallen. Was steht darauf, wollte er wissen. „70 Jahre! Zum großen Sieg!“, übersetzte ich. Aber die Gedenkfeier war doch im Mai, wunderte er sich. Und überhaupt, es ist wirklich so lange her…. Ich habe versucht ihm zu erklären, dass dieses Datum in Russland eine ganz besondere Bedeutung hat, dass es sich nicht nur auf einen Tag beschränkt. Dass es eine große immer noch blutende Wunde im kollektiven russischen Herz und gleichzeitig ein Grund für den Nationalstolz auf enorme Verdienste der sowjetischen Armee, der ganzen Bevölkerung ist. Dass es keine einzige Familie im ganzen Land gibt, die vom Krieg verschont geblieben wäre. In jeder Familie gab es Kriegsopfer. Deswegen kann man auch 70 Jahre danach einfach nicht ohne Tränen darüber sprechen. Es ist ein historisches Ereignis, das absolut gigantisch und gleichzeitig sehr persönlich ist. Ob ich sein Herz mit meiner emotionalen Rede berührt habe? Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte ich ihn dieses Jahr einfach nach Moskau mitnehmen müssen, damit er den 09. Mai selbst

hautnah erleben kann. Und zwar nicht die pompöse Siegesparade, sondern den Gedenkmarsch „Das unsterbliche Regiment“. Diese Aktion fand zum ersten Mal im Mai 2012 in der sibirischen Stadt Tomsk statt. Die Idee kam von den Tomsker Journalisten und wurde sofort von den Menschen in der Stadt unterstützt. Damals zogen etwas 6000 Tomsker mit Porträts ihrer Eltern und Großeltern – Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges – durch die Stadt. Inzwischen ist „Das unsterbliche Regiment“ zu einer landesweiten Tradition geworden. Denn sie ist nicht in den Hinterzimmern der Behörden entstanden, sondern aus den Herzen der Menschen. 2015 beteiligten sich an dem Marsch nach Polizeiangaben allein in Moskau mehr als 500.000 Menschen. Der Zug bewegte sich vom Weißrussischen Bahnhof kilometerweit zum Roten Platz. Präsident Wladimir Putin ging mit dem Foto seines Vaters in den Händen mit. Ein Grund für viele westliche Medien das Ganze als „Putin-Show“ zu betiteln. Insgesamt nahmen mehr als 12 Millionen Menschen in 15 Ländern an der Initiative „Das unsterbliche Regiment“ teil. Viele

Russen

tragen

an

diesen

Tagen

ein

rot-schwarz

gestreiftes Bändchen – das Sankt-Georgs-Band, das als kollektiver Orden der Russischen Garde für den Kampfeinsatz gegen das Deutsche Reich verliehen wurde und seit dem 60. Jahrestag des Sieges als Zeichen des Gedenkens geführt wird. Dabei fiel dem Moskauer Korrespondenten eines deutschen Fernsehsenders nichts Besseres dazu ein, diese Geste als ein Zeichen der Abkapselung Russlands von der ganzen Welt zu bezeichnen. „Das unsterbliche Regiment“ ist aus einem Friedensmarsch zu einer geschichtlichen Aktion geworden. Auf der Internetseite der Initiative können alle Bürger Namen, Fotos und kurze Biographien ihrer Veteranen veröffentlichen. So schreiben die Menschen die Chronik des Großen Vaterländischen Krieges zusammen, in der die Geschichten einzelnen Familien zu Puzzlesteinen dieses schrecklichen Krieges werden. Inzwischen kamen 328418 Familiengeschichten zusammen. Und ich möchte auch

dabei sein. Mein Großvater hieß Iwan Dmitriewitsch Nowikow (1909-1998). Im Krieg war er ein einfacher Fahrer. Er überlebte, kam 1945 zurück. Mehr weiß ich leider nicht. Denn er konnte nie darüber reden. Ich weiß nur noch, dass er an jedem 09. Mai weinte. [Dr. Daria Boll-Palievska – russland.RU]

„Das Ereignis“ – Am 04. Mai wurden in Düsseldorf die russischen Filmtage eröffnet [Von Dr. Daria Boll-Palievskaya] – Der obligatorische Wodka fließt, die russischen Köstlichkeiten dürfen nicht fehlen. Die Show-Geigerin Tamara Sidorova sorgt mit Kalinka für Stimmung. So ging der Vorhang für die die russischen Filmtage in Düsseldorf auf. Das schöne Düsseldorfer Programmkino Black Box im Filmmuseum war bis auf den letzten Platz ausverkauft, denn in der Hauptstadt von NRW leben mehr als 40 Tausend Menschen mit russischem Migrationshintergrund. Außerdem sind Düsseldorf und Moskau Partnerstädte. Das Festival findet schon zum dritten Mal statt. „Als großer Freund der russischen Kultur und des russischen Films wollte ich sie immer in Düsseldorf präsentieren“, erzählt Leiter des Filmmuseums Düsseldorf Bernd Desinger. Man kann von einer Erfolgsgeschichte sprechen, meint er. „Wir überlegen schon jetzt, das Festival nächstes Jahr zum vierten Mal zu machen“. „Es ist bei uns im Rheinland so, wenn man etwas zum dritten Mal gemacht hat, ist es schon eine Tradition und dann wird sie auch fortgeführt“, betonte auch in seiner Begrüßungsrede der

Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel. Er begrüßte die Zuschauer auf Russisch und erinnerte daran, dass Düsseldorf nächstes Jahr das 25.jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft mit Moskau feiern wird. „Das ist für mich natürlich ein Anlass, meine russischen Sprachkenntnisse zu entstauben“, scherzte er. Thomas Geisel ist so von der Wichtigkeit des Festivals überzeugt, dass er die Schirmherrschaft übernommen hat. Der Filmauswahl kann sich sehen lassen. Neben „Die weißen Nächte des Postboten“ von Andrej Kontschalowskij läuft ein alter sowjetischer Klassiker „Die Autoaffären“ von 1966. Die Filmreihe lebt auch davon, dass russische Regisseure und Schauspieler nach Düsseldorf kommen und mit den Zuschauern austauschen. Diesmal wird der Regisseur Michail Segal am 22.Mai seinen Film „Ein Film über Aleksejew“ präsentieren. Es gibt kein Zweifel, dass die Filmtage wieder zu einem Ereignis werden, wie übrigens einer der gezeigten Filme heißt („Das Ereignis“, Regie: Sergei Loznitsa, 2015) Die russischen Filmtage laufen bis zum 29.05.16. Mehr Infos unter: rg-nrw.de [Dr. Daria Boll-Palievskaya – russland.RU]

Osterfest in Russland: Russen entdecken wieder Fasten und Feiern [Von Dr. Daria Boll-Palievskaya] – Während in Deutschland die letzten Schokoladenosterhasen in den Supermärkten schon längst zu Schleuderpreisen verkauft wurden, bereiten sich die Russen

auf ihr Osterfest erst noch vor. Dieses Jahr fällt der Ostersonntag auf den 1. Mai. Dieser Unterschied erklärt sich damit, dass das Datum des Festes in allen orthodoxen Kirchen nach dem Julianischen Kalender berechnet wird. Die Ausrechnung als solche ist dabei ziemlich kompliziert. Die Grundregel lautet: Ostern findet am ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond statt. Ist der Vollmond jedoch vor dem 21. März, also vor der FrühlingsTagundnachtgleiche, so gilt erst der nächste Vollmond als Ostervollmond. Außerdem soll Ostern nach dem Beschluss des Konzils von Nicäa (325) unbedingt nach dem jüdischen, im Evangelium beschriebenen Pessach-Fest stattfinden. Ostern ist der Höhepunkt des Jahres in der Orthodoxie und gibt dem kirchlichen Jahr seine Färbung. Auf dieses Fest wartet man das ganze Jahr, wie auf Weihnachten in Westeuropa. In seiner Schönheit jedoch orthodoxen Feste.

übertrifft

das

Osterfest

alle

anderen

Dem Osterfest geht die große Fastenzeit voran, die ist sehr streng ist und dauert sieben Wochen. Von Jahr zu Jahr entscheiden sich immer mehr Menschen in Russland zu fasten. Wenn 2008 nur zwei Prozent der Befragten aussagten, dass sie an die strengen Regeln des Fastens halten wollen, so wollen mittlerweile 20 Prozent der Russen, zumindest teilweise, fasten. Auf die langsame Rückkehr dieser Tradition reagiert auch die Gastronomie. Viele Restaurants bieten sogenannte Fastenmenüs an und sogar in der Kantine des russischen Parlaments werden Fastenspeisen angeboten. Vorbereitungen bereits ab Donnerstag Am „Großen Samstag“ um halb zwölf Nachts versammeln sich die Gläubigen in den Kirchen zur Mitternachtsgottesdienst. Eine jede Liturgie ist ein ergreifendes Erlebnis, doch der Ostergottesdienst ist in seiner Schönheit einmalig. Die ganze Kirche und vor allem die Ikonenwand werden mit frischen Blumen

geschmückt. Mit Ikonen und singend gehen der Klerus und die Gläubigen in einem „Kreuzgang“ um die Kirche herum. Dabei wird gesungen: „Deine Auferstehung, Christus, Erlöser, besingen die Engel im Himmel; würdige auch uns auf Erden, Dich mit reinem Herzen zu preisen“. Dann klopft der Pfarrer am Kirchentor und verkündet die frohe Botschaft: „Christus ist auferstanden!“ Und die Gemeinde antwortet einstimmig: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Anschließend findet eine feierliche Liturgie statt. Der Ostergottesdienst kann daher bis zu vier Stunden dauern. Auch sind viele schöne Bräuche mit Ostern verbunden. Der Brauch, seinem Nächsten drei Osterküsse zu geben, hat im Russischen eine sehr interessante Bezeichnung похристосоваться, was man als „sich in Christus vereinigen“ übersetzen kann. Am „Sauberen Donnerstag“ ist man mit Osterkuchen (Kulitsch) backen (der Osterkuchen erinnert von der Form an die italienische Panettone), Pascha (gesprochen Pas-cha) – eine nur zu Ostern gemachte Quarkspeise – zubereiten und Eierbemalen beschäftigt. Auch in der Zeit, in der der Atheismus Staatsreligion war, ist die Tradition des Kulitschbackens nicht verloren gegangen. Und obwohl nur die wenigsten wussten, was Ostern überhaupt bedeutet, geschweige denn in die Kirche gingen, bemalte man die Eier und traf sich mit Verwandten zum Kulitsch Essen. Was ist es für ein Genuss, nach langer Zeit des Verzichts, ein Stück Kulitsch zu verzehren! Traditionell dürfen an der Festtafel am Ostersonntag auf gar keinen Fall Kulitsch, Eier oder Pascha fehlen. Und natürlich endlich wieder Fleisch, z.B. im Teig gebackener Schweinebraten. Zu Ostern beschenkt man sich in Russland zwar gegenseitig mit bemalten Eiern (in der letzten Zeit auch mit Schokoladeneiern) und kleinen Geschenken, doch der Osterhase ist den russischen Kindern absolut unbekannt.

Zu Sowjetzeiten hatten die Machtinhaber vor Ostern richtig Angst. Man unternahm alles Denkbare, um die Menschen daran zu hindern, Ostern zu feiern. Vor den Kirchen wurde Miliz postiert mit der Aufgabe, keine jungen Leute hineinzulassen. Oder man schickte Provokateure in die Kirchen, um den Gottesdienst zu stören. Auch viel subtiler kämpfte man gegen Ostern. So liefen z.B. im Fernsehen im Spätabendprogramm immer sonst verbotene amerikanische Blockbuster. Diese Zeiten sind vorbei, und mit jedem Jahr feiern immer mehr Russen die Auferstehung Christi. Laut Angaben des führenden soziologischem Instituts Lewada-Zentrum, haben 2014 nur 9% der russischen Bürger ausgesagt, sie hätten Ostern gar nicht gefeiert. Allerdings beschränken sich die meisten Menschen eher auf den kulinarischen Teil des Festes. So haben 73% Eier bemalt und 50% Kulichi gekauft. [Dr. Daria Boll-Palievskaya/russland.RU]

Eine Kolumne von Daria BollPalievskaya. Heute: Sie finden immer einen Grund, stolz auf ihr Land zu sein [Dr. Daria Boll-Palievska] Die spinnen, die Russen… Sie essen Eis bei minus 30 Grad, trinken Wodka aus der Flasche und schlagen sich gegenseitig mit Birkenzweigen in der Sauna. Das weiß ja jedes Kind. Und sie haben ihren Nationalstolz. Aber worauf sind sie eigentlich stolz? Wie eine Dame in einem der

unzähligen Internetforen schrieb, bringe sie Russland „stets mit Negativem in Verbindung“ („Armut, Kriminalität, Drogen, Alkohol en masse, Prostitution, niveaulose Neu-Reiche, Korruption“). „Ja, ich weiß, die russische Literatur“, fügte sie ironisch hinzu. Tatsächlich, wie kann man auf so ein Land überhaupt stolz sein? Aber die Russen tun das. Und das haben sie schon immer getan. Auch als sie sich für sich und Russland geschämt haben, z.B. in den 90ern. Sie schämten sich für ihre Armut, für ihren Präsidenten Jelzin, der in betrunkenem Zustand auf der Bühne tanzte und dafür, dass sie auf der Weltbühne nichts mehr zu sagen hatten. Genau das macht sie so unbegreiflich. Ein Russe kann in einer kalten Wohnung sitzen, weil alle kommunalen Dienste schon wieder versagt haben und seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen, weil der Firmeninhaber in seine eigene Tasche wirtschaftet. Und worüber regt er sich auf? Über die Flüchtlingskrise in Europa. Oder darüber, dass Präsident Obama Russland als „Lokalmacht“ bezeichnet hatte. Laut der aktuellen Umfrage der Stiftung für Öffentliche Meinung (FOM) interessieren sich über 60% der Russen für die Außenpolitik ihres Landes. Und 61% finden, dass Russland hier große Erfolge vorzuweisen hat. Die Umfrage eines anderen großen Meinungsforschungsinstituts, des Lewada-Zentrums, hat ergeben, dass für 40% der Russen die Ereignisse in Syrien wichtiger sind als die Abwertung des Rubel (29%) oder die Grippe Epidemie in Russland (28%). Deswegen ist die Tatsache, dass die Halbinsel Krim zur Russischen Föderation jetzt gehört kein abstrakter Begriff, sondern etwas, was beinahe jeden Russen persönlich betroffen macht. Auf russischen Straßen fahren Autos mit den Aufklebern „Krim ist unser!“. T-Shirts mit der gleichen Aufschrift gehen wie heiße Semmel weg. Zu den Topsellern gehören auch T-Shirts mit Putin Konterfei und dem Satz „Danke für die Krim“ oder Abzeichen „I love Krim“. Über 21 Tausend Videos zum Thema „Krim gehört uns“ gibt es auf dem russischen Youtube.

Obwohl die Euphorie über die Krim längst vorbei ist, sagen der Befragten aus, dass sie stolz auf ihr Land sind. Denn findet immer einen Grund dafür. So sind 39% der Russen auf Bodenschätze stolz und 35% auf die russische Armee. einigen reicht es einfach, ein Russe zu sein (38%).

71% man die Und

Am 12. April hat das ganze Land noch einen Grund für den Nationalstolz gefeiert – den 55. Jahrestag der bemannten Raumfahrt. An diesem Tag im Jahre 1961 flog Jurij Gagarin als erster Mensch ins All. Während in Deutschland dieses Datum kaum ein Notiz wert war, war dieser Gedenktag für 53% der Russen eins der wichtigsten Jubiläen im Jahre 2016 (Umfrage des Lewada-Zentrums). Denn der nur 108 Minuten dauernde Flug hat den Sowjets die Vorherschafft im Kosmos gesichert. Ein populärer russischer Radiosender hat es zum Anlass genommen, seine Hörer zu fragen, wobei Russland ihrer Meinung heute ganz vorne ist. Die meisten waren sich einig: den russischen Frauen kann niemand das Wasser reichen. Sie sind diejenigen, worauf man immer stolz sein kann. Doch auf diese Erkenntnis hätte man nicht bis zum 12. April 2016 warten müssen. Das war in Russland schon immer so. Daria Boll-Palievskaya

Der 8. März ist in Russland ein ultimatives Frauenfest Es ist ein nicht mehr wegzudenkendes Ritual, das sich Jahr für Jahr widerholt – der 8. März in Russland. Man kann diesen Tag wahrscheinlich mit der „fünften Jahreszeit“ im Rheinland vergleichen: die Regeln des Alltags werden außer Kraft gesetzt. Man kann in gewissem Sinne auch über Verkleidung

reden. Denn die schlimmsten Grobiane verwandeln sich in Kavaliere, alle Männer laufen mit gehetztem Gesichtsausdruck und Blumensträußen durch die Gegend. Frauen schminken sich besonders sorgfältig und ziehen ihre schönsten Kleider an. Politiker übertreffen sich in Lobgesängen auf die russische Frau, und der Präsident zeichnet die besten davon mit Orden aus. Das ist der internationale Frauentag auf Russisch. Interessant, dass das in Russland so beliebte Fest auf Initiative einer Deutschen zurückgeht. 1910 auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz schlug Sozialistin Clara Zetkin vor, einen internationalen Frauentag einzuführen. An diesem Tag sollten Frauen auf die Straßen gehen, um für ihre Rechte zu demonstrieren und die Welt auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. In der Sowjetunion wurde der 8. März per Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets 1966 zu einem offizieller Feiertag erklärt. Obwohl man seit dem immer wieder versucht, die politische Bedeutung des Festes zu betonen, ist es inzwischen zu einer Mischung aus Mutterund Valentinstag mutiert. Können Sie sich ein Deutschland ohne Weihnachten vorstellen? Genau so ist weder die Sowjetunion, noch modernes Russland ohne den internationalen Frauentag vorstellbar. „Tag des Frühlings, Tag der Schönheit, Tag der Blumen, Tag der Freude, Tag der Liebe, Tag unserer großartigen Frauen“, so betitelt man den 8. März. Dieser Tag ist längst zu einem Fest für alle Frauen geworden. Der Präsident trifft sich anlässlich des Tages jährlich mit bedeutenden Frauen des Landes und spricht medienwirksam über die Wichtigkeit der Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Jeder männliche Prominente hält es für seine Pflicht, Frauen per Medien zu gratulieren. Im Fernsehen laufen Konzerte und Filme für Frauen. Die Polizei wird instruiert, sich an diesem Tag besonders höfflich Frauen gegenüber zu zeigen und bei kleineren Verkehrsdelikten sogar ein Auge zu zudrücken! Schon zu der Sowjetzeit war es ein absolutes Muss, zu diesem

Anlass Frauen mit Pralinen und Blumen zu beschenken. Dabei ging es bereits in der Schule los. Die armen Jungs mussten sich jährlich fieberhaft überlegen, was sie Ihren Mitschülerinnen schenken sollten. Im Volksmund nannte man den Frauentag „Tag der Rache für alle Socken und After shaves“. Man muss wissen, dass der 23. Februar in der Sowjetunion „Tag der sowjetischen Armee“ war (heute ist das „Tag des Heimatverteidigers“). Und so „rächen“ sich die Männer für schlechte Geschenke am kurz darauf kommenden 8. März. A propos, Geschenke. Was schenkt man eigentlich einer Frau zum 8. März ? Schon Monate vor dem Feiertag läuft in allen Medien massive Werbung für Parfüm, Schmuck oder… Autos – angeblich die besten Geschenke für die geliebte Frau. Jährlich müssen sich die Männer den Kopf zerbrechen, womit sie ihre Frauen glücklich machen können. Der 8. März ist der Lieblingstag des Handels. Laut einer Statistik, haben die Russen (besser gesagt die russischen Männer) ca. 15 Mrd. Rubel für Geschenke ausgegeben. 44% davon ging für den Kauf der Blumen. Kein Wunder, denn die Blumenpreise schießen in diesen Tagen ins Astronomische. Ein Witz zum Thema. „Schatz, was wünschst Du dir zum 8. März?“, fragt ein Mann seine selbst noch nicht

Frau. „Ach, Liebling, das weiß ich so genau“, antwortet die Frau

unentschlossen. „Ist nicht weiter schlimm, Du hast genau noch ein Jahr Zeit, bis zum nächsten Fest zu überlegen“. Obwohl der 8. März zu einem absolut kommerzialisierten Feiertag geworden ist, wollen die meisten Frauen auf dieses Fest nicht verzichten. Zumindest an diesem Tag können sie sich mal ganz als Frau fühlen, Komplimente, Gratulationen und Geschenke entgegennehmen. Dieses Jahr ist der 8. März ein Dienstag. Und wie es in Russland üblich ist, wenn ein Feiertag auf ein Wochenende fällt, wird ein Wochentag auch frei oder Brückentage werden freie Tage. Also feiern die Russen dieses Jahr drei Tage lang. Was für die meisten Frauen bedeutet, dass sie schon

wieder am Herd stehen werden, nach dem sie all die Geschenke von ihren Ehemännern, Söhnen, Arbeitskollegen und sogar Chefs erhalten haben. Das starke Geschlecht wird natürlich an diesem Tag besonders hilfsbereit sein, und zwar so, wie im folgenden Witz: „Mein Schatz“, sagt ein Mann zu seiner Frau großzügig. „Du brauchst heute nicht das Geschirr zu spülen, heute ist doch der internationale Frauentag! Du kannst das morgen machen.“ Daria Boll-Palievskaya/russland.RU

Eine Kolumne von Daria BollPalievskaya. Heute: Die persönliche Sicherheit ist den Russen nicht so wichtig [Dr. Daria Boll-Palievska] Die spinnen, die Russen… Sie essen Eis bei minus 30 Grad, trinken Wodka aus der Flasche und schlagen sich gegenseitig mit Birkenzweigen in der Sauna. Das weiß ja jedes Kind. Und sie sind die größten Fatalisten auf der Welt. Wahrscheinlich deswegen vertrauen sie auf das Prinzip „Auf gut Glück“ und scheren sich nicht um ihre persönliche Sicherheit. Wie mir ein deutscher Manager, der viele Jahre in Russland tätig war, sagte, den Russen fehle ein Gen – ein Selbsterhaltungsgen Kein Wunder also, dass der Extremsport Roofing in Russland besondere Popularität genießt. Die größte Roofer Community ist die russische. Auf die Frage, warum dieses Spiel mit dem Tod in Russland so beliebt ist, sagte ein Roofer in einem Interview: „No security in Russia“.

Allerdings braucht man nicht unbedingt ein Roofer zu sein, um sein Leben zu gefährden – das Autofahren in Russland ist gefährlich genug. Die russischen Autofahrer lieben zwar dicke Autos, hassen es aber, sich anzuschnallen. Hier liegt wohl der größte Unterschied zwischen den Deutschen, die Sicherheitsfanatiker sind, und den Russen. Der Wahlberliner Wladimir Kaminer brachte es auf den Punkt: „In Deutschland fahren erwachsene korpulente Männer mit dem Helm Fahrrad, und in Moskau schnallt man sich nicht an, wenn man Auto fährt“. Wer sich kein dickes Auto leisten kann, der kann sein Leben auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln riskieren. Am besten mit dem beliebtesten russischen Transportmittel – dem Sammeltaxi. Diese Kleinbusse verkehren in fast allen russischen Großstädten zusätzlich zu notorisch überfüllten Linienbussen und genießen große Popularität, weil die Passagiere die Haltestellen selbst bestimmen können. In jedem Minivan sind 19 Sitzplätze vorgesehen, das Stehen ist strengst verboten. Doch „Marschrutky“ wie diese Verkehrsmittel auf Russisch heißen, sind immer voll. Keiner kümmert sich darum, ob die Leute stehen oder sitzen. Genau so wenig, wie man sich darum kümmert, einen Fahrschein zu bekommen, obwohl es überall in großen Lettern steht. Man gibt dem Fahrer das Geld, und das wär’s. Die Marschrutky stehen im schlechten Ruf, weil die Fahrer nicht unbedingt alle Verkehrsregeln beachten und sehr viele Unfälle verursachen. Doch zwischen der Chance schneller am Wunschort anzukommen und der Sicherheit wählt der russische Passagier immer die Schnelligkeit. „Es wird schon irgendwie gehen“, dieser Glaube ist den Russen nicht auszutreiben. Und so fahren russische Mütter stehend mit ihren Kindern in überfüllten und unsicheren Sammeltaxen, regen sich aber furchtbar auf, wenn jemand auf die Idee kommt, das Fenster in stinkenden Minibussen aufzumachen – die Kinder könnten sich ja erkälten. Jetzt muss sich allerdings alles ändern. Die Sammeltaxen werden mit mehreren Kameras und modernsten Sicherheitsanlagen

ausgerüstet. Sollte der Fahrer einen Passagier zu viel an Bord nehmen, werden die Bilder in live übertragen und ihm droht eine Strafe oder sogar eine Kündigung. Mit diesen Maßnahmen erhofft man sich die Autounfallstatistik zu bessern. Bis zum Jahr 2021 sollen alle „Marschrutky“ umgerüstet sein. Ob das einen Durchbruch verschafft, ist allerdings fraglich. Mit den Kameras versucht man in Russland generell gegen Korruption vorzugehen. Ob in Krankenhäusern oder in verschiedensten Ämtern – die Staatsdiener sollen sich beobachtet fühlen. Doch die Russen sind nicht nur Fatalisten, sondern auch sehr erfinderisch, wenn es darum geht, den Staat zu hintergehen. Und so haben die Videoaufnahmen noch nicht die Korruption besiegt. Man darf gespannt bleiben, was sich die Passagiere von Marschrutky einfallen lassen, um weiterhin allen Regeln zu trotzt stehend zu fahren. Denn schon der große russische Dichter Nikolai Gogol hat sich gefragt: „Welcher Russe mag das schnelle Fahren nicht?“

Eine Kolumne von Daria BollPalievskaya. Heute: Die Russen und ihre Liebe zur Kunst. [Dr. Daria Boll-Palievska] Die spinnen, die Russen… Sie und Das vor

essen Eis bei minus 30 Grad, trinken Wodka aus der Flasche schlagen sich gegenseitig mit Birkenzweigen in der Sauna. weiß ja jedes Kind. Und sie lieben Kunst und Literatur, allem russische. Hier kennt ihre Liebe keine Grenzen. Um

eine Kunstausstellung zu besuchen, sind sie bereit in klirrender Kälte bis zu fünf (!) Stunden lang Schlange zu stehen. Dieses Phänomen konnte man im Januar 2016 vor der Filiale der Tretjakow-Galerie in Moskau beobachten, wo die Ausstellung des großen russischen Malers Walentin Serow (1865-1911) lief. Mehr als 450.000 Menschen haben die Werkschau besucht. «Das ist eine Rekordzahl in der Geschichte der Tretjakow-Galerie und der Ausstellungen der Russischen Kunst in den letzten 50 Jahren überhaupt“, sagte die Museumsdirektorin Zelfira Tregulowa. „Mit den Türangeln rausgerissen“ Kurz vor der Schließung der Werkschau ist es zu einem Eklat gekommen. Der Drang, endlich die schönen Gemälde bewundern zu können, muss so unerträglich gewesen sein, dass die Kunstliebhaber das Museum stürmten und die Türen eindrückten. „Einfach mit den Türangeln rausgerissen“, wunderte sich ein Museumsmitarbeiter. Zum Glück gab es keine Verletzten. Danach hat man ein Polizeiaufgebot und einen Notarzt zu der Galerie abkommandiert, der Zivilschutz mit Feldküchen rückte an, und der Verkauf heißer Getränke wurde organisiert. Polizei und Krankenwagen vor einem Museum – das fand Kulturminister Wladimir Medinskij gar nicht schlimm. Ganz im Gegenteil, er war stolz auf seine Landsleute. „Wir sind wahrscheinlich das einzige Land in der Welt, wo so etwas möglich ist“, meinte er – die Menschen frieren, um sich Bilder anzuschauen. Der Sowjetbürger war das lange Schlangestehen durchaus gewohnt. Sein Leben lang musste er irgendwo anstehen, ob für Orangen, Fleisch oder Toilettenpapier. Sogar vor dem Leninmausoleum gab es jeden Tag Schlangen – eine unversiegbare Quelle für Witze. Eine legendäre Schlange bildete sich auch vor dem ersten Moskauer McDonalds-Restaurant. Die neugierigen

Sowjetbürger waren bereit, fünf Stunden zu warten, um ihren ersten Big Mac zu probieren. Die Schlange am Eröffnungstag ging in das Guiness Buch der Rekorde als die längste vor einem Restaurant ein. Dieser Volkssport gehört inzwischen (hoffentlich für immer) der Geschichte an. Nicht mal das Leninmausoleum ist es wert, sich die Beine in den Bauch zu stehen. Vielleicht haben die Russen es einfach verlernt? Zelfira Tregulowa erklärt den Vorfall mit der Nervosität der Besucher, die befürchteten, die Ausstellung zu verpassen. Ein Theaterregisseur meinte, es sei eben typisch russisch, alles in der letzten Sekunde erledigen zu wollen, deswegen bildeten sich kurz vor Toresschluss besonders lange Schlangen. Bis Ende Januar verlängert Und tatsächlich, kaum hatte die Museumsleitung verkündet, dass die Ausstellung bis 31. Januar verlängert wird, sahen die Schlangen nicht mehr so beängstigend aus. Jetzt brauchte man nicht mal 15 Minuten, um in die Galerie zu kommen. Allerdings ist zu erwarten, dass die Szenen sich am letzten Januarwochenende wiederholen. Kein Schneesturm, keine minus 20 Grad konnten die Moskauer davon abhalten, die Werke von Walentin Serow zu sehen. Dabei sind die wichtigsten Bilder des Malers das ganze Jahr über in verschiedenen Galerien zu bewundern. Sein berühmtestes Bild „Das Mädchen mit den Pfirsichen“ hängt sogar in der TretjakowGalerie. Das Gedränge vor der Ausstellung wurde von den russischen Intellektuellen heiß diskutiert. Wie passt das zusammen: tumultartige Szenen, Aggression, Vandalismus und der Wunsch, sich über Malerei zu erfreuen? Der bekannte Schriftsteller Jewgenij Grischkowez brachte es auf den Punkt: „In Russland, und das ist eben typisch russisch, gibt es vieles, was sogar für die russischen Kulturträger selbst unerklärlich und

unbegreiflich bleibt.“