Seminar: Lebensproblemzentrierter Unterricht Dozentin: Frau Dr. Jutta Lütjen Sommersemester 2013 Protokollantin: Stephanie Seliger Protokoll der Sitzung am 16.05.2013 Themen der Sitzung 

Einführung mit dem Text von Lütjen 2008



Bruno Bettelheim – „Man lernt, um zu leben. Man lebt nicht um zu lernen“



Waldemar Breiten – Drei Bereiche der „lebens-not-wendigen“ Qualifikationen durch Unterricht



Gibran – Pfeil und Bogen eines sinnvollen Bildungsprozesses

Einführung mit dem Text von Lütjen 2008 Solange Erfahrung sprachlos bleibt, ist Sprache sinnlos und Erfahrung folgenlos. Nach dem "dialogischen Prinzip" nun wird der Menschen als ein entwicklungsoffenes, kulturschöpferisches und als ein zum Dialog fähiges Wesen gesehen, für welches Begegnungen mit anderen existenziell notwendig ist. Substantiell elementar für Bildungsprozesse ist deswegen der Dialog mittels der problemformulierenden Methode, mit deren Hilfe der Mensch sich selbst quasi nicht nur als Teil der Welt begreift, sondern gleichzeitig aus ihr heraustritt, um die Weise zu begreifen, in der er in der Welt existiert, in welcher er sich vorfindet, um selber Kultur zu gestalten. Die Hauptaufgabe des Lehrers in der problemformulierenden Bildung besteht darin, den Schüler durch Problematisieren und Aufwerfen von Fragen zum kritischen Denken anzuregen, damit dieser die Wirklichkeit reflektieren kann. Lehrer und Schüler werden dabei gemeinsam Erforscher von Wissen und Welt und grundsätzliche Widersprüche werden problemformulierend zum Ausdruck gebracht und als Ausgangspunkt für den Dialog genommen. Dadurch wird ein Prozeß kritischer Bewußtseinsbildung und Identitätsaufbau ermöglicht. Der Lernende als unvollendetes Wesen im Prozeß des Werdens in einer unfertigen Wirklichkeit, die nicht statisch, sondern in Umwandlung zu sehen ist, erhält somit Raum, als Mensch kritisch forschend und in schöpferischer Veränderung tätig zu werden. (Lütjen 2008)

Zunächst wurde der obengenannte Text vorgelesen und die Bedeutung des ersten Satzes („Solange Erfahrung sprachlos bleibt, ist Sprache sinnlos und Erfahrung folgenlos“) genau analysiert. Wir stellten heraus, dass der Mensch ohne Sprache keine Erfahrungen verarbeiten kann. Aus diesem Grund ist der Dialog für den Menschen wichtig, da erst die Sprache und das Sprechen, Erfahrungen ins Bewusstsein bringt und somit zu Folgen führt. Wir kamen zu dem Fazit, dass der Mensch ohne Sprache nicht existieren kann, was der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier ist, da der Mensch auf Kultur angewiesen ist, im Gegensatz zum Tier. Bezuggenommen auf die Sprache der Menschen miteinander, wurde der russische Psychologe Lew Semjonowitsch Wygotski, mit seiner Arbeit „Denken und Sprechen“ und der brasilianische Pädagoge Paulo Freire, mit Bezug auf die von ihm genannten Aspekte der Reflexion und Aktion, genannt. Laut Freire entstehen leere Entsprechungen, wenn Sprache ohne Erfahrungen gesprochen wird. Das heißt, dass Emotionen und Gefühle beim Sprechen fehlen, sodass kein Bezug zu diesen Worten aufgebaut werden kann. Hier wurde das Beispiel einer Vorlesung genannt, welcher man durch ein zu schnelles Tempo und mangelnde Rücksichtnahme des Vortragenden auf die Studenten nicht mehr folgen kann. In diesem Fall kommen bei den Studenten nur „leere“ Worte an und dieser wird nicht „gelehrt“ sondern „geleert“. In diesem Zusammenhang sprachen wir hier von leerem Verbalisieren, wobei die Sprache sinnlos ohne die dazugehörige Handlung ist, da wir erst durch Sprache dies benennen können, was wir erfahren haben. In Bezug auf die sogenannte Reaktion und Aktion laut Freire, verdeutlichte Frau Lütjen uns dies durch das Beispiel der Urprinzipien der Beziehung und Distanz nach Buber. Z.B. wenn ein Mann und eine Frau etwas miteinander erleben und sie in eine Symbiose treten, können sie diese Erfahrungen erst durch Distanz reflektieren. Die Distanz hängt immer mit Versprachlichung zusammen. Aber erst dadurch wird das zuvor Gefühlte und Gegenwärtige, zu reflektierter Vergangenheit. Zusammengefasst hielten wir fest, dass der erste Satz 1. Sprechen ohne Aktion ist leeres Verbalisieren und 2. Handeln ohne Reflexion ist leeres Agieren wiedergibt. Ausgehend von der Reflexion, hinterfragt der Mensch seine Handlung, um anschließend seine Lehren daraus ziehen zu können, damit er in den Dialog mit anderen treten kann, um aus der Reflexion heraus, ein verändertes Bewusstsein

entwickeln zu können. Ebenfalls in diesem Zusammenhang wurde Paulo Freire genannt, jedoch hier im Kontext mit seiner „Pädagogik der Unterdrückten“. Insofern sieht dies wie folgt aus: Durch den Dialog: Reflexion

↓ Bewusstseinsveränderung

↓ Bewusstseinsbildung

↓ Persönlichkeitsbildung Diese

drei

Phasen

müssen

durchlaufen

werden,

damit

sich

eine

Selbstbewusstseinsbildung bzw. Persönlichkeitsbildung entwickeln kann. Kurz: der Mensch macht sich die Welt zu eigen, reflektiert darüber und entwickelt seine eigene Persönlichkeit. Des Weiteren haben wir uns den zweiten Satz („Nach dem "dialogischen Prinzip" nun wird der Menschen als ein entwicklungsoffenes, kulturschöpferisches und als ein zum Dialog fähiges Wesen gesehen, für welches Begegnungen mit anderen existenziell notwendig ist.“) genauer angeschaut. Hierbei wurde uns deutlich, dass der Mensch sich nur an einem Gegenüber entwickeln kann, da er auf Feedback durch andere angewiesen ist, um sich durch Differenz selbst spüren bzw. wahrnehmen zu können. Darauf bezogen wurde von einer Seminarteilnehmerin das Gespräch auf das sogenannte Johari-Fenster gelenkt. Hierbei steht die Selbst- und Fremdeinschätzung im Fokus. Dieses Konzept wird allerdings in der nächsten Sitzung noch genauer betrachtet.

Wir haben soweit schon einmal festgehalten, dass die Fremdeinschätzung meist anders

ist,

als

die

Selbsteinschätzung.

Beispielsweise

wurde

hier

die

Familiensituation der Seminarsituation gegenübergestellt. In beiden Situationen wird das Feedback unterschiedlich ausfallen, da der Mensch in verschiedenen Umgebungen verschiedene Rollen annimmt. Bezogen auf das Thema des Feedbacks war uns im Seminar sehr wichtig, dass hierbei jeder nur das mitnimmt, was für ihn selbst wichtig und richtig erscheint. Weiterhin haben wir uns mit dem zweiten Abschnitt des Textes („Die Hauptaufgabe des Lehrers in der problemformulierenden Bildung besteht darin…“) befasst. In diesem Kontext nannte Frau Lütjen uns die Didaktiker Urs Ruf und Peter Gallin mit dem Unterrichtskonzept des Dialogischen Lernens, auf welches sich Dominik Dilcher sowie Martin Buber mit seinem dialogischen Prinzip und Georg Feuser mit seiner Didaktik der Kernidee und seinem Werk „Behinderte Kinder und Jugendliche: Zwischen Integration und Aussonderung“ bezieht. Das Dialogische Lernmodell besagt, dass Kinder beispielsweise Mathematik sprachlich begreifen können, wenn sie mathematisch keinen Zugang dazu finden.

Bruno Bettelheim – „Man lernt, um zu leben. Man lebt nicht, um zu lernen“ Nach diesem Text legte Frau Lütjen das Zitat „ Man lernt, um zu leben. Man lebt nicht um zu lernen“ von Bruno Bettelheim (1903-1990) auf den Overheadprojektor. Ein weiteres, ihn ihm entwickeltes Werkt ist das Buch „Kinder brauchen Märchen“. Bettelheim war Psychoanalytiker und arbeitete in einem Heim. In Anlehnung an Summerhill, einer demokratischen Schule in Leiston, war auch Bettelheim der Meinung, dass die Schule dem Kind nicht als ein Muss aufgedrückt werden soll, sondern es dem Kind selbst überlassen werden sollte, wann es dazu bereit ist, diese zu besuchen. Waldemar Breiten – Drei Bereiche der „lebens-not-wendigen“ Qualifikationen durch Unterricht Im nächsten Teil der Sitzung haben wir die drei Bereiche der „lebens-not-wendigen“ Qualifikationen durch Unterricht von Waldemar Breiten besprochen. Hierzu wurde zunächst angemerkt, dass man eher von drei Bereichen der „lebens-not-wendigen“ Qualifikationen durch Schule sprechen sollte, da die Pausen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen und somit nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Zunächst haben wir erarbeitet, dass der Sinn und Zweck von Schule, das Vorbereiten der Schülerinnen und Schüler für das Leben nach der Schule in allen Formen ist. Damit ist die Selbstfindung in der Schule in Bezug zur Lebenswelt, und das damit verbundene „sich in der Welt zurechtfinden“ verbunden. Hierbei ist der individuelle Entwicklungshintergrund der Schülerin und des Schülers von großer Bedeutung, da die meisten in unterschiedlichen Lebensverhältnissen (Scheidung, Tod, Erkrankung, Vernachlässigung etc.) leben. Aus diesem Grunde nennt Breiten die Schule das Haus des Lebens. Drei Bereiche der „lebens‐not‐wendigen“Qualifikationen durch Unterricht: 1. „(Über‐)Lebensfähig werden: Damit meine ich, sein Leben unter den jeweils vorzufindenden Lebensbedingungen, im Einklang mit dem Lebensraum (Anpassung und/ oder Gestaltung) meistern lernen.

Wir hielten fest, dass hiermit die Erfahrungen aus der Familie mit den Erfahrungen aus der Schule und des Unterrichts in Verbindung zu bringen ist. Diese Erfahrungen sollten besprochen werden, damit die Schülerinnen und Schülern lernen, ihre Lebensbedingungen selbst meistern zu können. 2. Person werden: Damit meine ich, unverwechselbar, mit eigenem Namen ausgestattet, das individuell‐spezifische Potential entfalten und im Hinblick auf ein bewußtes, authentisches, sinnbezogenes und verantwortungsvolles Leben einsetzen lernen. Kurz zusammenfassend sagten wir hier, dass der Schüler seine Persönlichkeit weiterentwickeln bzw. Bewusstseinsprozesse hin zur Persönlichkeitsentwicklung herstellen soll. 3. Sozial werden: Damit meine ich, seine Position und seine Funktion im Beziehungsgefüge der jeweiligen Gruppe finden, annehmen und vertreten lernen.“ In diesem Zusammenhang soll das Kind den Kontext, in dem es lebt, begreifen und verstehen. Hier muss besonders die Lebenswelt des Kindes mit einbezogen werden. Drei Reflexionsfelder die diesem Auftrag Rechnung tragen: 1. Sie

muß

die

zentralen

Herausforderungen

des

gegenwärtigen

und

zukünftigen Lebens als Zielperspektive, 2. Die Merkmale von Kindheit und Jugend heute als Ausgangslage und 3. Die

Bestimmungsstücke

(begünstigend

oder

des

Systems

erschwerend)

Handlungskonzept einbringen. (Breiten, Waldemar in Krawitz, Rudi 1997,109)

als

Realisationsgegebenheiten

bewußt haben

und

in

ein

Während des Seminars kamen wir zu dem Ergebnis, dass die aktuelle Entwicklungsphase des Kindes betrachtet werden muss, damit es genau dort abgeholt wird, wo es steht, und um als Lehrperson den nächsten Schritt des Schülers planen zu können. Wie bereits erwähnt, war uns auch hier wichtig, dass man auf die individuellen Entwicklungsstände der Schülerinnen und Schüler achten muss. Das heißt, dass das Handlungskonzept von dem Verhalten des Kindes abgeleitet werden muss und somit eine Herstellung zwischen Schule und Entwicklungsfeld des Schülers entsteht. Gibran - Pfeil und Bogen eines sinnvollen Bildungsprozesses

Am Ende des Seminars zeigte uns Frau Lütjen noch die Abbildung „Pfeil und Bogen – Die zwei Seiten eines sinnvollen Bildungsprozesses“. Hierbei stellt der Lehrer den Bogen und der Schüler den lebendigen Pfeil dar. Der Dialog in dieser Abbildung ist fortlaufend, denn dieser verbindet, was wir mit unseren Sinnen aufnehmen und erfahren. Wir hielten fest, dass die Identitätsbildung durch die Kulturanbindung und verbindung gestärkt wird und die Sinnbildung durch Bedürfnisbefriedigung und Einordnung durch Urteil. Genau an diesem Punkt schließt sich der Kreis und wir waren wieder bei dem Thema, mit welchem das Seminar eröffnet wurde. Denn der Mensch braucht Sprache, um die Anschauung Erfahrung werden zu lassen und dadurch zur Erkenntnis zu gelangen.

Quellen: http://www.berufsstrategie.de/_img/bewerbung-karriere-softskills/johari_modell.jpg http://userpages.uni-koblenz.de/~luetjen/sose11/qure.pdf http://userpages.uni-koblenz.de/~luetjen/ws12/lpb.pdf