Positionspapier zur Weiterentwicklung der Altenpflegeausbildung

Positionspapier zur Weiterentwicklung der Altenpflegeausbildung Einleitung Im September 2010 hat die AWO eine Stellungnahme zur Reform der Pflegeausbi...
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Positionspapier zur Weiterentwicklung der Altenpflegeausbildung Einleitung Im September 2010 hat die AWO eine Stellungnahme zur Reform der Pflegeausbildung vorgelegt. Ausgangs- und Bezugspunkt war die im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung vorgesehene Zusammenlegung der drei Pflegeberufe sowie die Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission zur Erarbeitung eines Eckpunktepapiers. An die Zusammenlegung und insbesondere an das Eckpunktepapier wurden seinerzeit von der Arbeiterwohlfahrt als einem der großen Träger der Altenpflege Erwartungen formuliert, in deren Zentrum die Qualitätssicherung im Arbeitsfeld Altenpflege, die Gewinnung von Fachkräften und die Sicherung der Ausbildungsstrukturen standen. Heute, zwei Jahre später, machen es folgende Entwicklungen notwendig, die bisherigen Positionen zu ergänzen, weiterzuentwickeln und zu präzisieren: 1. Das im März 2012 vorgelegte Eckpunktepapier; 2. Die weitere Verschärfung der Folgen des demografischen und sozialen Wandels. Vor dem Hintergrund einer Neuausrichtung und fortschreitenden Ausdifferenzierung des Altenhilfesystems (z.B. Quartiersbezug) birgt die Einführung eines generalistischen Ausbildungsmodells ein erhebliches Gefahrenpotenzial für die Versorgungs- und Betreuungsqualität im Arbeitsfeld Altenpflege und für die Sicherung künftiger Fachkräfte für dieses Arbeitsfeld. Sie fordern damit eine Positionierung der Arbeiterwohlfahrt heraus. 1. Das Eckpunktepapier – Erwartungen der Arbeiterwohlfahrt werden nicht eingelöst Das Eckpunktepapier bleibt in nahezu allen Bereichen hinter den Forderungen und Erwartungen zurück, die die AWO im September 2010 formuliert hat. -

Die Finanzierung einer künftigen Pflegeausbildung bleibt völlig ungeklärt; Es fehlen Aussagen dazu, durch wen und wie die Kosten einer Umstellung der Ausbildungsstruktur zu tragen sind; Die curricularen Inhalte einer künftigen Ausbildung sind nicht konkretisiert; Eine Durchlässigkeit von „unten“, d.h. aus dem Helfer- oder Assistenzbereich in die Fachkraftausbildung ist nicht geregelt; Lernziele und didaktische Ausgestaltung sind bereits seit Jahren fester Bestandteil der Altenpflegeausbildung und damit keine Innovation; Es fehlen strukturelle und finanzielle Eckpunkte zur Sicherung der Ausbildungsstrukturen; Ein generalistisches Ausbildungsmodell missachtet die gesellschaftliche Relevanz des Arbeitsfeldes Altenpflege und führt zum Verlust von professioneller Kompetenz für dieses Arbeitsfeld; Generalistische Ausbildung vermittelt lediglich Basisqualifizierungen und erwartet von Pflegekräften und/oder Anstellungsträgern eine vertiefende Spezialisierung im Arbeitsfeld Altenpflege auf eigene Kosten und eigene Initiative.

Fazit Die zentralen Erwartungen der AWO bleiben unerfüllt. Aussagen zur Struktur eines künftigen Bildungssystems so bspw. zur Durchlässigkeit, zur Finanzierung oder der Einfluss europäischer Entwicklungen auf die nationale Reformdebatte bleiben weitestgehend unberücksichtigt. Das Eckpunktepapier erkennt nicht die Zukunftsbedeutung des Arbeitsfeldes Altenpflege und die ihm immanenten Bedarfe nach spezifischen professionellen Kompetenzen hierfür. Die 1

vorgesehene generalistisch orientierte Ausbildungsstruktur schwächt fachlich und personell das Arbeitsfeld Altenpflege. 2.„Arbeitsfeld Altenpflege“ – Zentrales Arbeitsfeld in einer alternden Gesellschaft Gesellschaftlicher Druck, resultierend aus sozialen Veränderungsprozessen, ist besonders für personennahe Dienstleistungen ein Motor für die Weiterentwicklung von Berufen und Berufsausbildungen. Diese Reformen müssen sich orientieren an der Versorgungssicherheit der Bevölkerung unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen und Bedarfslagen. Reformbestrebungen etwa aus dem berufsständischen Interesse einer Profession in diesem Arbeitsfeld werden zum Selbstzweck und gefährden professionelle Standards. Es sind vor allem zwei zeitgleiche Entwicklungen, die die Ausgestaltung des Arbeitsfeldes Altenpflege gerade in Zeiten der Diskussion um die Finanzierbarkeit sozialer Sicherungssysteme perspektivisch europaweit - beeinflussen werden: 1. Der demografische Wandel 2. Soziale Veränderungsprozesse und neue Lebensentwürfe künftiger Altengenerationen zu 1. Die größte Herausforderung für das Sozial-, Pflege- und Gesundheitssystem ist die mit der Alterung der Gesellschaft einhergehende Zunahme geriatrischer und gerontopsychiatrischer Erkrankungen. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, chronisch und/oder mehrfach zu erkranken und damit pflegebedürftig zu werden. Prognosen gehen davon aus, dass sich die Zahl pflegebedürftiger Menschen von heute ca. 2,4 Millionen im Jahre 2020 auf ca. 2,9 Millionen und 2030 auf ca. 3,4 Millionen Menschen erhöhen wird. Besonders dramatisch wird die Zahl Demenzkranker steigen. Demenzkrankheiten werden weltweit in den kommenden Jahren zur häufigsten Zivilisationskrankheit. In der Bundesrepublik Deutschland leben gegenwärtig etwa 1,2 Millionen Menschen mit einer mittelschweren bis schweren Demenz. Schätzungen für die Bundesrepublik für das Jahr 2050 gehen von bis zu 3,5 Millionen Demenzerkrankter aus. Diese kursorisch aufgeführten Folgen des demografischen Wandels unterstreichen bereits die Bedeutung einer pflegerischen Versorgung, die professionell auf altersspezifische Beeinträchtigungen und Erkrankungen ausgerichtet ist. zu 2. Hinzu kommen soziale Veränderungsprozesse, die zusätzlich umfassende gerontologische und geriatrische Kompetenzen von Pflegekräften erfordern. Die Zahl jüngerer Menschen und damit die Zahl potentiell – privat oder beruflich - Pflegender nimmt ab. Bereits heute können alte Menschen im Falle der Pflegebedürftigkeit immer seltener auf familiale Netze zurückgreifen. Künftige Altengenerationen werden das noch weniger können. Diese fehlende Unterstützung kann weder gegenwärtig noch voraussehbar künftig durch rechtliche Rahmenbedingungen oder die vorhandenen Finanzierungsgrundlagen der Pflegeversicherung, so lange sie als Teilkaskoversicherung angelegt ist, kompensiert werden. Daher müssen künftig neue und andere Formen der Unterstützung und Pflege alter Menschen entwickelt und umgesetzt werden. Diese müssen auch auf die Aktivierung anderer Akteure und Unterstützungsnetzwerke hin ausgerichtet sein. Solche Hilfe- und Unterstützungskonzepte müssen über die rein medizinisch-pflegerische Versorgung hinausgehen und es schaffen, Menschen mit Pflegebedarf bei der Bewältigung 2

ihres Alltags trotz körperlicher oder psychischer Einschränkungen zu unterstützen und ihnen das Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung sichern. Bereits das Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung des Gesundheitswesens aus dem Jahre 2009 hat der Entwicklung und Realisierung einer generationenspezifischen Gesundheits- und d.h. auch pflegerischen Versorgung eine hohe Bedeutung bei der Bewältigung des demografischen Wandels beigemessen (SVR 2009; S. 13 -21). Die künftigen Altengenerationen haben weitergehende Erwartungen hinsichtlich Partizipation und Autonomie als die vorangegangenen. Sie insistieren auf Selbstbestimmung und Selbständigkeit. Sie suchen einerseits selbst bestimmte Handlungsfelder in der nachberuflichen Lebensphase, erwarten andererseits ein ausdifferenziertes, an ihren Bedürfnissen orientiertes Unterstützungs- und Hilfesystem. Auch unter ihrem Erwartungsdruck wird sich das Arbeitsfeld Altenpflege weiter ausdifferenzieren müssen. Die besondere Herausforderung: Ein differenzierter werdendes Altenpflegesystem wird mindestens genauso unter finanziellem Druck stehen wie heute, andererseits aber muss es für den Aufbau neuer Strukturen neue Ressourcen generieren. Fazit Die sukzessive geringer werdenden Unterstützungsmöglichkeiten alter, pflegebedürftiger Menschen durch familiäre Hilfenetze bei gleichzeitig wachsendem Bedarf an Pflege und Begleitung, erfordert einen Bedeutungszuwachs wie auch eine Diversifikation des Arbeitsfeldes Altenpflege. Diese Tatsache wird nicht nur Deutschland betreffen sondern perspektivisch für die EU insgesamt relevanter werden. Deshalb ist die Sicherung, Profilierung und Weiterentwicklung einer auf diese sich herausbildenden und immer wichtiger werdenden Bedarfe der Bevölkerung ausgerichteten Kernprofession Altenpflege dringend geboten und nicht ihre Auflösung. 2.1 Veränderte Lebensbedingungen und Bedarfe erfordern neue Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte Die Auswirkungen des demografischen und sozialen Wandels erfordern im Arbeitsfeld Altenpflege neue Versorgungsstrukturen, die u.a. berücksichtigen, • dass immer weniger Menschen im Alter in traditionelle familiäre Strukturen eingebunden sind, • dass immer mehr Menschen im Alter allein leben, • dass die Mehrheit der Bevölkerung solange wie möglich auch im Fall von Pflegebedürftigkeit zu Hause verbleiben möchte, • das familiäre Hilfenetze zunehmend an ihre Grenzen stoßen und eine Kompensation durch beruflich Pflegende finanziell nicht leistbar ist, • dass weniger beruflich Pflegende zur Verfügung stehen, • dass Pflege immer häufiger zum Armutsrisiko für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige wird, • dass die Zahl dementiell veränderter Menschen weiter dramatisch ansteigen wird und hierdurch Bedarfe entstehen, die umfangreich und in erster Linie nicht medizinisch sind. Hierzu zählen auch Unterstützungs- und Entlastungsangebote für pflegende Angehörige. Mit der Ausdifferenzierung des Arbeitsfeldes Altenpflege werden die Anforderungen an die hier tätigen Pflegekräfte komplexer. Eine nutzerorientierte und qualitativ hochwertige Pflege unter diesen Bedingungen bei gleichzeitigem finanziellen Druck auf die sozialen Sicherungssysteme zu erhalten, wird eine der großen Zukunftsaufgaben der deutschen und der europäischen Gesellschaften gleichermaßen sein. Geringer werdende Einnahmen bei 3

einem gleichzeitig steigenden Bedarf an Pflege und damit wachsenden Ausgaben, zwingen dazu, neue Formen der Begleitung und Unterstützung im Falle von Pflegebedürftigkeit zu finden. Hierbei wird den Kommunen und der Zivilgesellschaft künftig eine zunehmend größere Verantwortung zu kommen (müssen). Die Zukunft der Pflege liegt in ihrer wohnortnahen und quartiersorientierten Ausrichtung und Ausgestaltung. Dies korrespondiert mit dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, solange wie möglich in der vertrauten Lebensumgebung zu verbringen. Bei der Entwicklung solcher Pflege-, Betreuungs- und Unterstützungsarrangements wird es in Anbetracht zunehmend prekärer und fragiler Lebensund Wohnsituationen Älterer neben der somatisch ausgerichteten Pflege vermehrt um die Vorbeugung von Einsamkeit und Isolation und den hieraus erwachsenden Folgen gehen müssen. Ebenso wird die Absicherung der Pflege bei geringen Haushaltseinkommen und die Entlastung der unterstützenden informellen Hilfesysteme immer wichtiger. Zur Steuerung von individuellen und bedarfsorientierten Unterstützungs- und Versorgungsprozessen bedarf es ausgeprägter gerontologischer Kompetenzen. Eine weitere zentrale Aufgabe von Pflegekräften im künftigen Altenpflegesystem ist die frühzeitige Einbettung (Inklusion) alter und/oder pflegebedürftiger Menschen in soziale Netzwerke im Stadtteil oder in der Gemeinde, in der Nachbarschaft, im Quartier. Dies erfordert professionelle längerfristig angelegte Begleitung und Unterstützung der Betroffenen. Das künftige Arbeitsfeld Altenhilfe braucht neue, kultursensible Pflegekonzepte, die die besonderen Bedarfslagen von alten Menschen individueller als bisher in den Fokus nehmen. Diese Kultursensibilität ist dabei nicht nur im traditionellen Verständnis auf (alte) Menschen mit Migrationshintergrund zu richten sondern als grundlegendes, verstehendes Konzept, das das Individuum mit und in seiner Besonderheit in den Blick nimmt. Dies gilt u.a. für ältere Personen mit gleichgeschlechtlicher oder gegengeschlechtlicher Orientierung ebenso wie für ältere Menschen mit Behinderung und ohne. Diesen Konzepten sollte der Grundgedanke der Inklusion immanent sein. Neben dem ambulanten, sich verändernden Handlungs- und Aufgabenfeld wird die stationäre Pflege auch weiterhin eine wichtige Rolle im System spielen. Quartiers- und Sozialraumorientierung können nicht beschränkt sein auf ambulante Strukturen. Der stationäre Bereich mit ausdifferenzierter Angebotsstruktur und einer Öffnung in den sozialen Raum hinein wird unverzichtbarer und integraler Bestandteil eines künftigen Altenhilfesystems sein und einen erheblichen Teil von Altenpflegefachkräften beschäftigen. Neben der wachsenden Rolle der Altenpflege im Kontext einer quartiersorientierten und gemeindenahen Pflege wird auch ihre gerontologisch-sozialpflegerische Kompetenz zunehmend in den Kliniken angesichts der dortigen „Geriatrisierung“ notwendig. Dies zeigt sich am deutlichsten schon heute bei der defizitären Pflege demenziell veränderter Menschen in den Krankenhäusern. Dem wachsenden Bedarf an geriatrischer und gerontologischer Fachkenntnis in Krankenhäusern, aber auch an hoch technisierten und aufwendigen behandlungspflegerischen Arbeitsprozessen in Altenheimen und der ambulanten Pflege mit einer Zusammenführung der Pflegeberufe zu begegnen wäre indes der falsche Weg. Es ist allgemeiner Konsens, dass die Versorgungsanforderungen der Gegenwart und Zukunft immer komplexer werden. Dieser wachsenden Komplexität mit der Aufhebung der spezialisierten Pflegeausbildungen zu reagieren und stattdessen auf eine Basisqualifizierung zu setzen ist nicht nur kontraproduktiv sondern auch gefährlich. Zudem entspricht sie nicht dem hohen Standard, der heute von Kliniken, Altenpflegeheimen und Diensten erwartet wird. Die Notwendigkeit verschiedene Kompetenzen der pflegerischen Berufsgruppen an einzelnen Versorgungssettings und -sektoren fest zu machen, ist nicht mehr zeitgemäß. Doch statt spezialisiertes Wissen und Können durch eine Zusammenführung der Pflegeberufe aufzugeben, sollten diese Kompetenzen auf dem heutigen Niveau erhalten 4

bleiben und die unterschiedlichen Professionen an den jeweiligen Arbeitsorten in gemischten Teams agieren. Denn wo Komplexität zunimmt, stoßen „Generalisten“ zunehmend und immer schneller an ihre Grenzen. Multiprofessionelle Teams im Versorgungsalltag in den verschiedenen Einrichtungen des Gesundheits- und Altenhilfesystems zu etablieren fordern Experten schon seit Jahren (SVR 2007; S.15). In seinem Gutachten aus dem Jahr 2007 stellt der Sachverständigenrat dazu fest, dass die immer komplexer werdenden Bedarfe der Patienten und Pflegebedürftigen das Zusammenwirken spezialisierter Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen erfordert. Multiprofessionelle Kooperation in der Pflege wird international bereits erfolgreich umgesetzt. Auch hierzulande gibt es in der geriatrischen Rehabilitation Ansätze, die den Nutzen einer Versorgung im multiprofessionellen Team belegen. Für diese Art der berufsübergreifenden Teamarbeit müssten jedoch zunächst rechtliche Hürden aufgebrochen werden und von Einrichtungsträgern die Notwendigkeit einer veränderten Versorgungslogik anerkennt werden. Auf letztere müsste dann mit einer entsprechenden Personalpolitik und einer Überarbeitung ihrer Versorgungsleitlinien reagiert werden. Das Pflege- wie auch das Gesundheitssystem unterliegen permanenten Veränderungsprozessen. Die Bedarfe der Bevölkerung verändern sich, neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden gewonnen und neue Versorgungsansätze entstehen. Dadurch werden sich die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte, ihre Arbeitsorte und Arbeitsweisen kontinuierlich verändern und weiterentwickeln. Das gilt insbesondere für die Anforderungen in der Altenhilfe. Dementsprechend müssen die Inhalte der Ausbildung ebenso wie deren pädagogische Konzepte immer wieder auf den Prüfstand gestellt und angepasst werden. Fakt also ist, Altenpflege wird auch weiterhin in den klassischen Settings des pflegerischen Versorgungssystems erbracht. Gleichzeitig aber werden Aufgabenbereiche wie auch Arbeitsorte der Altenpflege breiter und vielfältiger, weil der Bedarf an gerontologischer und geriatrischer Kompetenz in allen Bereichen des Versorgungs- und Betreuungssystems zunehmen wird. Altenpflegeausbildung muss demnach auch weiterhin geriatrische und gerontologische Fachkompetenz vermitteln zudem aber auch verstärkt die Kooperation und Kommunikation in gemischten Versorgungsteams. Um den Bedarfen und Bedürfnissen einer immer älter werdenden Gesellschaft gerecht werden zu können, wird eine Pflegeausbildung die vorwiegend somatisch, auf akute Erkrankungen und auf Heilung ausgerichtet ist, für die stark wachsende Zahl Hochaltriger, multimorbider und/oder chronisch Kranker, sterbender Menschen und der stark wachsenden Zahl gerontopsychiatrisch veränderter Menschen nicht zielführend sein. Mit einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff muss genau an dieser Stelle eine politische Weichenstellung erfolgen, um letztlich die Ungleichbehandlung zwischen körperlich und psychisch eingeschränkten Personen aufzuheben. Damit aber wäre eine neue Leistungsstruktur verbunden, in der Betreuung und Begleitung, also „Sorge“, stärker gewichtet wird als „Versorgung“, die mit einer Rückbesinnung auf die gerontologisch-sozialpflegerischen Kompetenzen der Altenpflege verbunden sein sollte. Fazit Die Pflege alter Menschen muss zukünftig kleinräumig und wohnortnah organisiert sein. Die Zukunft der Pflege, auch wenn es weiterhin der heute bestehenden stationären Pflegeeinrichtungen bedarf, wird im Quartier liegen. Die Bedeutung von pflegerischer Begleitung und Betreuung wird eine zunehmend wichtige Rolle erhalten und nicht mehr nur auf Versorgung begrenzt werden können. Die spezifische Fachkompetenz der Altenpflege im gerontologischen wie geriatrischen Pflegebereich verleiht ihr eine wichtige Schlüsselrolle beim Aufbau und der Steuerung solcher Versorgungs- und Betreuungsansätze. Beide Aspekte müssen auch bei der Weiterentwicklung der Ausbildung erhalten und progressiv ausgebaut werden. 5

Das Arbeitsfeld Altenpflege ist von besonderer gesellschaftlicher Dynamik. Es wird sich weiter ausdifferenzieren und durch gerontologische wie auch geriatrische Kompetenzen ein eigenständiges Berufsbild bleiben, dass zwischen der Sozialarbeit und Krankenpflege liegt aber klar abgrenzbar ist. Die veränderten Versorgungsbedarfe einer älter werdenden Gesellschaft werden Altenpflegefachkräften und Auszubildenden neue Aufgabenbereiche (sozialraumorientierte Pflege), andere Arbeitsorte und Arbeitsformen (Bsp. multiprofessionelle Teams) eröffnen, für welche die Grundlagen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu legen sind. Diese neue Vielfältigkeit hat das Potenzial die Attraktivität der Altenpflege auch und besonders als Ausbildungsberuf zu erhöhen. 2.2 Gesellschaftlicher Bedeutungszuwachs der Altenpflege erfordert eine eigenständige und spezifische Fachkraftausbildung Ausbildungen sind stets ein Reflex auf gesellschaftliche und strukturelle Entwicklungen im jeweiligen Arbeitsfeld und wirken wiederum auf dieses zurück. Ausbildungsstrukturen werden – oft mit zeitlicher Verzögerung – neuen Entwicklungen in ihren Arbeitsfeldern angepasst, manchmal greifen sie indes auch realen Entwicklungen vor oder wirken vorausgreifend innovativ auf ihr jeweiliges Arbeitsfeld. Die Altenpflegeausbildung in der Bundesrepublik hatte schon immer einen ausgesprochen innovativen Charakter. Sie hat nicht nur auf Entwicklungen des Arbeitsfeldes reagiert, sondern oft und maßgeblich die Weiterentwicklung ihres Arbeitsfeldes angestoßen. Allein schon deshalb muss sie angesichts des sich weiter ausdifferenzierenden Arbeitsfeldes erhalten bleiben. Die Altenpflegeausbildung hat nicht nur in der Rezeption ihrer Bezugswissenschaften Gerontologie, Pflegewissenschaft und Geriatrie ein didaktisch-methodisch hohes Niveau (z.B. Lernfeldorientierung), das sich sowohl in der schulischen als auch der praktischen Ausbildung manifestiert. Sie hat stets auch auf die Veränderungen der Altenhilfestrukturen und der Bedarfe ihrer Zielgruppen reagiert. Aus dem Ausbildungssystem heraus wurden neue Versorgungsansätze, Betreuungskonzepte, Wohnformen konzipiert und in die Angebotsstruktur integriert. Die zentralen Innovationsimpulse bei der Entwicklung neuer Versorgungs- und Betreuungsstrukturen fand in den vergangenen Jahren vorwiegend im außerklinischen Bereich der Pflege statt. Die heutigen drei spezialisierten Pflegeberufe sind historisch aus den Bedarfslagen und den Versorgungsstrukturen heraus gewachsen und haben sich über Jahrzehnte hinweg konsolidiert und weiterentwickelt. Dabei haben sie jeweils komplexes spezialisiertes Fachwissen hervorgebracht, auf das in den jeweiligen Arbeitsfeldern nicht verzichtet werden kann. Exemplarisch sei verwiesen auf Konzepte der Demenzversorgung in der Altenpflege, auf Prävention und Elternberatung im Bereich der Kinderkrankenpflege oder auf hoch technisierte Arbeitsabläufe in der Intensivpflege. Diese ausdifferenzierten und hochwertigen Ausbildungen dürfen nicht in einer einzigen, nur Basisqualifikationen vermittelnden generalisierten Ausbildung aufgehoben werden, denn dabei geht Tiefenwissen zugunsten eines oberflächlichen Basiswissens verloren. Letztendlich bewirkt eine generalistische Ausbildung die Deprofessionalisierung der Pflege insgesamt. Gerade komplexer werdende Versorgungsbedarfe erfordern spezialisierte Professionen, die auf Augenhöhe in multiprofessionellen Teams agieren. Für das Arbeitsfeld Altenpflege bedeutet das: Die Existenz des Altenpflegeberufs begründet sich aus den Besonderheiten der Lebensphase „Alter“. 6

Vielfach kumulieren im (hohen) Alter körperliche, seelische, soziale und ökonomische Belastungen. Eine Pflege, die hier nur auf Behandlung des Krankheitsbildes fokussiert und einen primär kurativen Ansatz verpflichtet ist, ohne dabei die besonderen Bedarfslagen alter Menschen und deren sozialen Lebenslage zu kennen und/oder in der pflegerischen Versorgung zu berücksichtigen, greift zu kurz. Soziale und gerontologische Kompetenzen werden im Arbeitsfeld Altenpflege zu Schlüsselkompetenzen, denn im Falle von demenziellen Veränderungen und/oder chronifizierten Erkrankungen, auch bei der Betreuung sterbender Menschen, wenn es nicht mehr um Heilung im schulmedizinischen Sinne geht, tritt die medizinische Behandlung oder medizinisch ausgerichtete Pflege in den Hintergrund. Es geht dann vorrangig um die Bewältigung des Alltages mit der Einschränkung und/oder der Krankheit. Beratung, Begleitung, Unterstützung, Betreuung, allesamt originäre Aufgaben der Altenpflege, werden für die Betroffenen wichtig. Hieran müssen sich die Entwicklung pflegerischer Konzepte und Betreuungsformen und damit auch die (Alten)Pflegeausbildung orientieren. Aus den skizzierten Bedarfs- und Lebenslagen alter Menschen resultieren, neben den jetzigen Inhalten von Aus-, Fort- und Weiterbildung, u.a. folgende neue Aufgaben und Handlungsfelder, die für die Weiterentwicklung des Arbeitsfeldes Altenpflege bedeutsam werden sowie gleichzeitig ihr eigenständiges Profil und ihre wachsende gesellschaftliche Bedeutung widerspiegeln: • • • • • • • • • • • • • • •

Beratung, Schulung, Aufklärung, Begleitung Case-Management Quartiersmanagement Schnittstellenmanagement Multiplikatorenfunktion in der Kommune Aktivierung, Aufbau, Moderation und Steuerung von Hilfe-Mix-Strukturen, Kooperation, Kommunikation, Koordination in regionalen Netzwerken Individuelle Hilfeplanung Prävention und Gesundheitsförderung im Alter Entwicklung individueller Rehabilitationsansätze Inklusion/ Teilhabe/ Selbstbestimmung im Alter Kooperation und Kommunikation in multiprofessionellen Teams Entwicklung zielgruppenspezifischer Versorgungsansätze (z.B. Demenz) Kultursensibilität als Grundlage pflegerischer Arbeit Technikgestützte Systeme zur Unterstützung der autonomen Alltagsgestaltung

Mit dieser Ausrichtung des Berufsbildes besteht die Fachkraftausbildung in der Altenpflege auf ihrem gerontologischen/geriatrischen Profil und positioniert sich damit als Schlüsselprofession im Arbeitsfeld der Altenhilfe Kern dieser Schlüsselrolle ist die langfristig angelegte Begleitung der Adressaten in deren räumlichen und sozialen Lebenswelten und mit der biografischen Orientierung des Pflegehandelns. Damit grenzt sich die Altenpflege(-ausbildung) vor allem von den beiden Berufen Krankenpflege und Sozialarbeit deutlich ab. So fokussiert die Krankenpflegeausbildung auf eine medizinisch-pflegerische Versorgung. Sie ist zudem im Umgang mit Patienten vor allem im klinischen Kontext von einem institutionellen Rahmen beeinflusst, der im Gegensatz zur Pflege in der Lebenswelt, deutlich weniger auf die Förderung und den Erhalt der Selbstbestimmung ausgerichtet ist. Der Sozialarbeit wiederum fehlt in der Regel der Langzeitbezug zu den Hilfe- und Pflegebedürftigen. Sie erhalten zumeist nur partiell Einblick in die Lebenssituation und die Lebensumstände der Betroffenen. 7

Die Abkopplung der Sorgearbeit vom Berufsbild der professionellen Pflegefachkraft und die Verlagerung in den Bereich der Hilfs- und Assistenztätigkeiten missachtet den Wert dieser pflegerischen Tätigkeit und gibt ihn letztlich zugunsten einer medizinnahen pflegerischen Versorgung auf. Es ist geradezu anachronistisch, auf die wachsende Bedeutung und innere Diversifikation des Arbeitsfeldes Altenhilfe mit der Auflösung des spezialisierten Berufsbildes zu reagieren. In der Bundesrepublik Deutschland und perspektivisch auch in den anderen Ländern der EU erfordert der demografische und soziale Wandel unabweisbar den Erhalt bzw. den Aus- und Aufbau einer eigenständigen Kernprofession für das Arbeitsfeld Altenhilfe. Der Prozess, der zur Souveränität des Arbeitsfeldes Altenpflege führt, wird auch andere europäische Länder erfassen. Die deutsche Altenpflege kann damit die Keimzelle einer neuen Professionalität im Feld der Pflege, neben einer eher somatisch orientierten Gesundheits- und Krankenpflege sein. Fazit Die Pflege älterer Menschen kann nicht auf die Beachtung der besonderen Lebensphase verzichten. Die Lebensphase Alter ist Begründung für den Erhalt der Altenpflegeausbildung. Diese Lebensphase bedarf einer eigenen Fachlichkeit, die sich nicht auf somatisch pflegerische Aspekte bezieht, sondern in der zunehmend soziale und gerontologische Aspekte der Pflege im Vordergrund stehen. Die Altenpflegeausbildung ist nutzerorientiert und künftig so zu konzipieren, dass sie die sich abzeichnenden neuen Bedarfslagen decken kann. Wie in der Vergangenheit bewiesen liegt in der Altenpflege ein erhebliches Innovationspotenzial, was ein wesentlicher Faktor für die qualitativ hochwertige Bewältigung der Anforderungen im Handlungsfeld ist. Die dafür notwendigen Kompetenzen müssen Aufgabe der Aus-, Fort- und Weiterbildung sein und werden. Soziale und gerontologische Aspekte der Altenpflege dürfen nicht vom Pflegeberuf abgekoppelt werden und in den Bereich der geringqualifizierten Pflegearbeit mit entsprechend geringer Entlohnung verschoben werden. Sorge, im Sinne pflegerischer und begleitender Pflege, muss besonders in der Altenpflege gleichwertig behandelt werden, was deren Qualität ebenso wie deren Bezahlung betrifft. So ist für die Anwendung spezifischer Demenzkonzepte wie das der Validation eine hohe fachliche Kompetenz erforderlich wie für das Anlegen eines Wundverbandes. 3. Attraktive Fachkraftausbildung in der Altenpflege braucht verbesserte Rahmenbedingungen, Durchlässigkeit und Modularisierung Über die Attraktivität des Altenpflegeberufes wird schon lange diskutiert. Die Ursachen für Berufsunzufriedenheit sind durch zahlreiche Studien belegt. Als besonders belastend werden die grundsätzlich geringe Wertschätzung der beruflichen Fachlichkeit der Altenpflege, die Folgen enger gesetzgeberischer und finanzieller Rahmenbedingungen, und das hohe Maß von Kontrolle und die damit verbundenen Bürokratie beschrieben. Diese Aspekte führen in wachsendem Maße dazu, dass Altenpflegekräfte immer seltener den Beruf in der Praxis ausüben können, für den sie sich einst entschieden und den sie erlernt haben. Permanent hinter den eigenen Ansprüchen und Erwartungen der Pflegebedürftigen aufgrund der Rahmenbedingungen zurückzubleiben macht unzufrieden und auch krank. Statt an diesen zentralen Punkten anzusetzen und die berufliche Realität attraktiver zu machen, will der Gesetzgeber die bestehenden Probleme durch eine völlig ungeeignete Strategie, nämlich letztlich 8

die Abwicklung der Altenpflegeausbildung, lösen. Eine Basisqualifizierung ohne Spezialisierung erhöht nicht die Attraktivität des Berufsbildes, sondern deprofessionalisiert es. Attraktivität erreicht man am ehesten durch zufriedene Pflegekräfte. Zufriedenheit wiederum ist gebunden an eine im Berufsalltag erfahrbare professionelle Identität, die mit dem eigenen Berufsethos des jeweiligen Berufsbildes in Einklang steht. Auch wenn die Probleme der Altenpflege woanders liegen, bedeutet das nicht, dass sich das Berufsbild nicht weiterentwickeln muss. Eine Altenpflegeausbildung die den aufgezeigten veränderten gesellschaftlichen Anforderungen Rechnung tragen soll, wird sich drei zentralen Forderungen ausgesetzt sehen und seine Entwicklung daran ausrichten müssen: • • •

der Gewinnung und Sicherung genügend Auszubildender der Gewährleistung einer hohen und nutzerorientierten Pflegequalität und der Weiterentwicklung des Berufsbildes im Sinner einer nutzer- und bedarfsorientierten Pflege.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl Auszubildender insgesamt in den kommenden Jahren weiter abnehmen wird. Die Konkurrenz zwischen den Branchen um eben diese Bewerber- in allen Bildungsniveaus- hat bereits begonnen. Wir können es uns künftig immer weniger leisten, potenzielle und geeignete Interessenten für den Bereich der Pflege von der Möglichkeit einer Qualifizierung im Arbeitsfeld auszuschließen. Dafür müssen wir verstärkt neue Wege gehen. So müssen wir bspw. Strategien entwickeln, wie es uns bereits an den Übergängen zwischen Schule und Beruf, aber auch in beruflichen Umbruchsphasen gelingen kann, für eine Ausbildung in der Altenpflege zu werben Besonderes Augenmerk sei dabei nicht nur auf junge Erstauszubildende zu richten sondern auch und im Besonderen auf sogenannte Quereinsteiger, die aus anderen Branchen stammend, häufig erstmals mit dem Pflegebereich in Berührung kommen. Quereinsteiger stellen ein großes Potenzial für das Arbeitsfeld Altenpflege dar, benötigen jedoch innerhalb der oft undurchsichtigen, und differierenden pflegerischen Qualifizierungsangebote eine gute und intensive Beratung in der Orientierungs- und Entscheidungsphase. Dies gilt jedoch auch für andere potenzielle Bewerbergruppen. Hier müssen u.a. Einrichtungen, Dienste und Schulen noch enger mit der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern zusammenarbeiten. Unabhängig davon gilt es, bundesweit Regelangebote für die berufsbegleitende Altenpflegeausbildung zu schaffen. In Anbetracht der demografischen und sozialen Wandlungsprozesse, muss es gelingen, so vielen grundsätzlich geeigneten Personen wie möglich den Zugang zu einer Ausbildung im Altenpflegebereich zu eröffnen. Es muss gelingen, denen, die sich für den Beruf interessieren oder sich entschieden haben die Möglichkeit zu bieten, sich innerhalb des beruflichen Bildungssystems unbürokratisch, unter Anrechnung bereits vorhandener Kompetenzen und bereits erworbener Fähigkeiten weiter zu qualifizieren. Auf die Altenpflegeschulen und die Träger der praktischen Ausbildung kommt hierbei eine zentrale Schlüsselrolle zu. Das System der quasi dualen Ausbildungsstruktur hat sich grundsätzlich bewährt und sollte u.a. durch eine gesicherte angemessene Refinanzierung der praktischen Ausbildungsaktivitäten weiterentwickelt werden. Für die Anrechnung erworbener oder vorhandener Kompetenzen sind entsprechende Anerkennungsverfahren und –Instrumente zu entwickeln. Damit eine Weiterentwicklung im Handlungsfeld Altenpflege auch möglich ist und wird, muss die Durchlässigkeit von der Helferebene über die Pflegefachkraftausbildung bis hin zur akademischen Qualifizierung gegeben sein. Dies ist bis heute leider nicht der Fall und damit ein wesentlicher Aspekt für die mangelnde Attraktivität der Pflegeberufe. Behindert wird diese Durchlässigkeit vor allem durch die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten (Bund/Länder) für unterschiedliche Ausbildungen (Assistenten-/Fachkraftausbildung). Die 9

Durchlässigkeit auf allen Ebenen ist aus diesem Grund nur über eine bundesweit einheitliche geregelte Assistentenqualifizierung/Pflegehelferausbildung zu erreichen für die wiederum darunter liegende Qualifizierungen wie Betreuungsassistenz, Präsenzkraft usw. anrechnungsfähig sein müssen. Hier sind Bund und Länder gleichermaßen gefragt. Bei einer Beibehaltung der Eigenständigkeit der Altenpflegeausbildung und der Beibehaltung wie auch Weiterentwicklung der Aufgabenfelder wie beschrieben ist zu empfehlen, die Übergänge in die Weiterqualifizierung der Krankenpflege wie auch der Gerontologie für die Altenpflegeauszubildenden wie auch die bereits tätigen Altenpflegefachkräfte offen zu gestalten. Hierdurch eröffnen sich Möglichkeiten der weiteren Spezifizierung von Fachlichkeit im Arbeitsfeld der Altenpflege, Möglichkeiten der berufsgruppenübergreifenden Kommunikation und Kooperation sowie der Erweiterung des eigenen beruflichen Einsatzund Handlungsfeldes. Weiterqualifizierung sollte so organisiert sein, dass sie auch individuelle Berufsplanung- und Entwicklung erleichtert, so auch im Sinne von Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Das impliziert u.a. die Vorhaltung von Präsenz- und Berufsbegleitenden wie auch modularisierten Weiterbildungsmöglichkeiten. Durch die Modularisierung können auf die spezialisierte Altenpflegeausbildung, individuell verschiedene fachliche Kompetenzen, je nach Neigung und Präfe renz, in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen aufgesetzt werden. Hierdurch können verschiedenste Fachkompetenzen, wie sie als neue Aufgabenfelder bereits an anderer Stelle formuliert wurden, in die Altenpflege Einzug finden. Die Modularisierung eröffnet weitere Spezialisierungen im Anschluss an die dreijährige Ausbildung an bestehenden Berufsfachseminaren, Fachhochschulen oder Universitäten. Modularisierte Weiterqualifizierung eröffnet auch neue Möglichkeiten für vielseitige Vernetzung mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen und mit den verschiedenen Sektoren. Zudem können Einrichtungen hierdurch effizient und zeitnah auf neue Bedarfslagen und Spezialisierungen reagieren. Ein modularisiertes Weiterbildungssystem ist am ehesten in der Lage flexibel auf die Dynamik sich veränderter Bedarfe, veränderte Versorgungsstrukturen und -Anforderungen zu reagieren und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu integrieren. Fort- und Weiterbildungsteilnahme muss sich für die Absolventinnen und Absolventen ideell und materiell amortisieren: Kompetenzsteigerung muss einhergehen mit beruflicher Karriere und einer Steigerung des Einkommens. Fazit Der Gesetzgeber ist aufgefordert, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine nutzerorientierte Pflege ermöglichen und die Zufriedenheit der Berufsangehörigen und Auszubildenden erhöht. Die Berufsbilder der Pflege sind, um die heutige Fachkompetenz zu erhalten, als eigenständige Ausbildungen zu belassen und gemäß der erwarteten Bedarfe weiter zu entwickeln. Die Ausbildung für die Altenpflege ist auf die Bedarfslagen einer älter werdenden Bevölkerung ausgerichtet und vermittelt gerontologische, geriatrische, soziale und versorgungssteuernde Kompetenzen. Zur Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes und zur Gewinnung von Auszubildenden bedarf es eines durchlässigen Ausbildungssystems, dass unter Anerkennung vorhandener oder erworbener Kompetenzen verschiedene Wege in die Fachkraftausbildung und die Weiterqualifizierung im Arbeitsfeld ermöglicht. Aus-, Fort- und Weiterbildung ist demgemäß modularisiert horizontal und vertikal durchlässig, auch hinein in die angrenzenden Berufsfelder, zu gestalten. 10

Berufliche Weiterbildung muss sich für die Pflegefachkräfte sowohl in Kompetenzsteigerung als auch in Gehalts- und Positionssteigerung niederschlagen. 4. Qualitätsgesicherte Ausbildung braucht gesicherte Schulstrukturen und verlässliche Finanzierung Das Eckpunktepapier kapituliert vor der Herausforderung, Aussagen zur Finanzierung einer Pflegeausbildung zu formulieren. Die Positionen der AWO zur Ausbildungsfinanzierung und zur Verortung der Ausbildungsstätten im Bildungssystem aus dem Jahre 2010 gelten daher weiterhin - auch und erst recht für eine eigenständige Altenpflegeausbildung. Zu regeln ist 1. die Refinanzierung der Ausbildungsvergütung der Auszubildenden 2. die Finanzierung der Altenpflegeschulen zu 1. Auszubildende haben in einem Ausbildungsberuf, der ein hohes Maß an Kompetenzen und Engagement erfordert, besonderen Anspruch auf eine attraktive Ausbildungsvergütung. Die Ausbildung in den Pflegeberufen muss für die Auszubildenden selbstverständlich kostenfrei sein. Die sinkende Zahl der Schulabsolventen, die Konkurrenz zu anderen Berufszweigen und die europaweit bestehende geringe Popularität der Pflegeberufe erlauben keine Experimente. In die Refinanzierung der Ausbildungsvergütung sind in einem Umlageverfahren alle Dienste und Einrichtungen einzubeziehen, die aktuell oder perspektivisch von der Ausbildung und den Auszubildenden profitieren. Das Arbeitsfeld Altenhilfe wird in zunehmendem Maße eine kommunale Aufgabe sein; daher sind auch die Kommunen in angemessener Weise in das zu entwickelnde Umlageverfahren einzubeziehen. Ausbildende Einrichtungen dürfen keine wirtschaftlichen Nachteile gegenüber jenen haben, die nicht ausbilden. Die Refinanzierung muss so geregelt sein, dass die Ausbildungsbereitschaft der Einrichtungen und Dienste steigt. zu 2. Eine weitere Schlüsselfrage für die Qualität der Altenflegeausbildung ist die Finanzierung der Schulen. Eine auskömmliche und sichere Finanzierung der Schulen ist eine entscheidende Weichenstellung für die Qualität künftiger Pflegefachkräfte. Die Finanzierung der Altenpflegeausbildung ist eine öffentliche Aufgabe. Die Verantwortung für die Finanzierung der Schulen muss wie in allen anderen beruflichen Ausbildungen in den Bildungshaushalten verankert sein. Die Gesamtfinanzierung darf nicht unterhalb der Finanzierungshöhe in der Krankenpflege liegen. . In jedem Fall muss sie umfassend, planbar und unabhängig von haushaltspolitischen Schwankungen geregelt sein. In Anbetracht der Notwendigkeit der weiteren Gewinnung von qualifiziertem Personal für den Bereich der Altenpflegausbildung muss die Finanzierung der gesamten Ausbildung von Umschülern in diesem Bereich dauerhaft durch die Bundesagentur für Arbeit gewährleistet werden. Der grundsätzliche Einstieg in eine Verkürzung der Ausbildung bei Umschülern darf nicht zum Regelfall werden und muss bei der Kompetenzfeststellung strengen Kriterien unterliegen, bei denen die Schulen einzubeziehen sind. Zugleich muss sichergestellt werden, dass keine Budgetierung von Ausbildungsplätzen erfolgt. 11

Angesichts des Fachkräftemangels darf kein Ausbildungsplatz in der Realisierung behindert oder wegen Finanzierungsvorbehalten unbesetzt bleiben. Eine zukunftsfähige Altenpflegeausbildung bedarf der bundeseinheitlichen schulrechtlichen Regelung für alle Altenpflegeschulen als staatlich anerkannte Ersatzschulen. Dies sichert die Ausbildungsqualität und die Vergleichbarkeit der Ausbildungsstandards. Eine schulrechtliche Einordnung aller Altenpflegeschulen schafft vor allem aber wichtige Voraussetzungen für die Durchlässigkeit von der Altenpflegeausbildung zur Hochschule. Die Arbeiterwohlfahrt stellt sich auch künftig ihrer Verantwortung als Träger der schulischen und praktischen Ausbildung in der Altenpflege. Die vorhandene Ausbildungsinfrastruktur in der Altenpflege darf nicht gefährdet werden, denn gerade die dezentrale Organisation der Altenpflegeausbildung stellt sicher, dass überall in Deutschland wohnortnah ausgebildet werden kann. Dies ist angesichts des Bewerberrückgangs einerseits und des Fachkraftmangels andererseits ein zusätzlicher Ausbildungsanreiz und eine enorme Ressource zur Personalgewinnung. Die Altenpflegeausbildung hat im letzten Jahrzehnt einen hohen Standard erreicht, der sich u.a. in den Rahmenlehrplänen der Bundesländer auf der Grundlage der lernfeldorientierten Ausbildung materialisiert. Diese Qualität darf nicht verloren gehen. Die Altenpflegeschulen und die in ihnen tätigen Lehrkräfte sind eine zukunftsichernde Ressource; ihre Integration in eine neue Struktur der Altenpflegeausbildung nach schulrechtlichen Standards ist durch Übergangsregelungen und Weiterbildungsmöglichkeiten sicherzustellen, ansonsten gehen Ausbildungsplätze und Ausbildungsqualität verloren. Fazit Die Altenpflegeausbildung ist eine öffentliche Aufgabe und braucht eine gesicherte und auskömmliche öffentliche Finanzierung. An der Refinanzierung der Ausbildungsvergütung sind neben den Einrichtungen der Altenhilfe auch die Kommunen zu beteiligen. Um eine Durchlässigkeit im Bildungssystem zu ermöglichen, sollen Altenpflegeschulen als Ersatzschulen staatlich anerkannt werden. 5. Die deutsche Altenpflegeausbildung kann Vorbild für Europa sein Immer wieder wird und wurde von den Befürwortern einer generalistischen Ausbildung die Notwendigkeit zur Zusammenführung der drei Pflegeberufe mit der Angleichung an das europäische Niveau erklärt. Ein generalistisches Ausbildungsmodell würde aber den Vorgaben der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie unterliegen. Die Richtlinie zielt auf eine bessere Vergleichbarkeit der Ausbildungsabschlüsse in der Krankenpflege und einer hierdurch vereinfachten Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Da die EU-Kommission mit dieser Richtlinie aber lediglich die Krankenpflegeausbildung innerhalb der EU einheitlich gestalten will und dafür die zu erwerbenden Kompetenzen und Inhalte vorgibt, kann und darf der Anteil an altenpflegerischen Inhalten nur sehr begrenzt sein. Der Fokus liegt in den EU-Mitgliedsstaaten auf einer medizinisch und klinisch ausgerichteten Krankenpflegeausbildung. Aus diesem Grund würde bei einer Generalisierung der Pflegeausbildung in Deutschland ein Großteil der altenpflegerischen Ausbildungsinhalte verloren gehen und der neue einheitliche Pflegeberuf in hohem Maße dem entsprechen, was heute in der Krankenpflegeausbildung vermittelt wird. Zudem bestätigen inzwischen vorgelegte internationale Befunde, dass in all den Ländern, in denen ein generalistisches Ausbildungsmodell besteht, kaum gerontologische und geriatrische Kenntnisse in der Ausbildung vermittelt werden; der Personalmangel in der Altenpflege sehr hoch ist; eine grundsätzlich negative und stigmatisierende Einstellung auf Seiten der Auszubildenden gegenüber dem Arbeitsfeld aber 12

auch dem Alter an sich anzutreffen ist und insgesamt eine Haltung besteht, dass man für die Pflege alter Menschen keine spezielle Expertise und Fähigkeiten benötigt (Hasseler 2012) Der Verzicht auf eine eigenständige Altenpflegausbildung ist gerade für Deutschland äußerst bedenklich. Deutschland altert so schnell und so stark wie kaum ein anderes europäisches Land. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass der Geburtenrückgang hierzulande sehr früh eingesetzt hat. Aus diesem Grund kommt Deutschland eine Vorreiterrolle zu, denn viele andere Länder in der EU werden zeitverzögert mit vergleichbaren Entwicklungen konfrontiert sein. Schon heute schauen manche EU-Mitgliedsstaaten neidvoll auf das deutsche Modell einer eigenständigen und qualitativ weit entwickelten Altenpflegeausbildung und planen ähnliche Wege. Eine Angleichung an das europäische Niveau bedeutet für die Altenpflegeausbildung in Deutschland eine Angleichung nach unten. Wir sollten den Fehler vermeiden, eine Ausbildung, die vor dreißig Jahren mit Weitblick für die Folgen des demografischen Wandels etabliert wurde (Beschluss des Deutschen Vereins 1965), abzuschaffen. Denn möglicherweise stehen wir in einigen Jahren wieder vor der Neu-Etablierung des Berufsbildes, wenn sich die meisten Länder Europas mit der Alterung ihrer Bevölkerung konfrontiert sehen und weil dann möglicherweise auch die EU-Kommission die Notwendigkeit des Berufsbildes anerkennt und Kompetenzen definiert. Statt die AltenpflegeAusbildung abzuschaffen sollten wir sie weiterentwickeln und so verbessern, dass die Absolventen über alle diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, die wir angesichts des demografischen Wandels so dringend benötigen. Fazit Deutschland sollte seinen Vorsprung in Europa bei der Ausgestaltung im Bereich der Altenpflegeausbildung nutzen und das Berufsbild weiter entwickeln. Dabei könnte Deutschland pro aktiv ganz wesentliche Impulse für einheitliche Standards und curriculare Inhalte der Altenpflegeausbildung in Europa geben und einen Beitrag zur Bewältigung des demografischen und sozialen Wandels leisten.

Berlin, den 11.03.2013

Ansprechpartnerin: Dr. Anja Ludwig AWO Bundesverband Leiterin Abteilung Gesundheit/ Alter/ Behinderung Tel.: 030/26309-160 Mail: [email protected]

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