"Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft"

Abschlussbericht "Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft" Verbundprojekt: Industrieller Rückbau von ElektronikAltgeräten...
Author: Guest
9 downloads 0 Views 243KB Size
Abschlussbericht

"Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft"

Verbundprojekt:

Industrieller Rückbau von ElektronikAltgeräten in Kreisläufen (IREAK)

Teilvorhaben 7:

Neue Formen der Personal- und Organisationsentwicklung Förderkennzeichen: 01 RK 9616

Projektbearbeiter:

Dr. Karin Denisow (Projektleiterin) Dr. Annegret Rohwedder Dipl.-Psych. Werner Duell Dipl.-Psych. Martin Grau

Autoren:

Dr. Karin Denisow Dipl.-Psych. Martin Grau

a&o research GmbH

Institut für arbeitspsychologische und organisationswissenschaftliche Forschung, Beratung, Schulung Tel: (030) 5475 316 Fax: (030) 5475 324 e-mail: [email protected]

Referat 423 Integrierter Umweltschutz in der Wirtschaft, Umwelttechnik Die Projektträgerschaft lag beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Projektträger des bmb+f, Umweltforschung und -technik

Inhaltsverzeichnis 1 Aufgabenstellung: Anforderungen an die Gestaltung von Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft ........................................... 4 1.1 Förderung industrieller Strukturen in Verwertungsunternehmen...................... 4 1.2 Förderung des Handelns von Menschen in Kreisläufen .................................. 5 1.3 Ausbildung und Qualifizierung in der Kreislaufwirtschaft ................................. 5 2 Voraussetzungen, unter denen das Vorhaben durchgeführt wurde..................... 7 2.1 Politisch-juristische Rahmenbedingungen ...................................................... 7 2.2 Verbundaufgaben, Rolle im Verbund.............................................................. 8 2.3 Erfahrungen auf dem Gebiet der Personal- und Organisationsentwicklung ..... 9 3 Planung und Ablauf des Vorhabens .................................................................... 11 3.1 Projektplanung und Verlauf für das Thema "Personal- und Organisationsentwicklung im Verwertungsunternehmen" ............................. 12 3.2 Projektplanung und Verlauf für das Thema "Entwicklung von Information und Kommunikation zwischen Herstellerunternehmen und Verwertungsunternehmen" .......................................................................... 14 3.3 Projektplanung und Verlauf für das Thema "Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte" ............................................................................. 15 4 Wissenschaftlicher und technischer Stand, an den angeknüpft wurde ............. 16 4.1 Sozialwissenschaftliche Grundlagen und Forschungsbedarf......................... 16 4.2 Sozialwissenschaftliche Grundlagen der Prozessgestaltung......................... 21 4.3 Interventions- und Gestaltungsverfahren...................................................... 23 4.4 Erhebungsmethoden und Analyseverfahren................................................. 25 5 Zusammenarbeit mit anderen Stellen .................................................................. 27 5.1 Zusammenarbeit mit dem BIBB ................................................................... 27 5.2 Zusammenarbeit mit dem Netzwerk "Innovative Kreislaufwirtschaft"............. 27 5.3 Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität Berlin ................................... 27 5.4 Zusammenarbeit mit Verbundpartnern ......................................................... 28 6 Darstellung der Ergebnisse .................................................................................. 29 6.1 Ergebnisse zum Thema: Personal- und Organisationsentwicklung im industriellen Verwertungsunternehmen ........................................................ 29 6.2 Ergebnisse zum Thema: Entwicklung von Information und Kommunikation zwischen Herstellerunternehmen und Verwertungsunternehmen.................. 67 6.3 Ergebnisse zum Thema: Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte ............ 83 6.4 Exkurs: Destruktive Arbeit – produktive Arbeit .............................................. 98 7 Darstellung des Nutzens der Ergebnisse........................................................... 105 8 Entwicklungsfortschritte während der Projektlaufzeit ...................................... 108 9 Literatur ............................................................................................................... 112 10 Anhang ................................................................................................................ 116

a&o research GmbH

2

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen

Tabelle 6.1-1

Zusammenfassung der Merkmale der Kreislaufwirtschaft und ihrer Abbildung in Struktur- und Kompetenzmerkmalen

33

Anforderungen an die Unternehmensgestaltung aus der Sicht von Beschäftigtengruppen

36

Geschäftsfeldbestimmung durch Definition von Produkten und Leistungen am Beispiel der Hetzel Elektronik-Recycling GmbH Nürnberg

42

Tabelle 6.1-4

Ergebnisse des Teamentwicklungsprozesses

65

Tabelle 6.2-1

Seminarkonzept für Kreislaufberater – Qualifizierungsinhalte

76

Tabelle 6.2-2

Handlungsmöglichkeiten von Konstrukteuren zur Förderung kreislaufgerechter Produktentwicklung: "Was können wie tun, damit Kunden Kreislaufgerechtheit verlangen bzw. honorieren?"

78

Handlungsmöglichkeiten von Konstrukteuren zur Förderung kreislaufgerechter Produktentwicklung: "Was können wir tun bezüglich Wissen und Information, um kreislaufgerechtes Konstruieren zu fördern?" (Ausschnitt)

79

Tabelle 6.3-1

Technisch-fachliche Qualifizierungsbedarfe nach Einsatzbereichen

93

Abbildung 4.1-1

Determinanten kreislaufgerechten Handelns von Konstrukteuren

19

Abbildung 6.1-1

Kriterien industriell organisierter Verwertungsunternehmen für Elektronik-Altgeräte

34

Interviewleitfaden zur subjekiven Organisationsdiagnose in Verwertungsunternehmen

35

Abbildung 6.1-3

Zusammenhang zwischen Herstellernähe und Verwertungsstrategie

39

Abbildung 6.1-4

Beispiel einer Vision eines herstellerunabhängigen Verwertungsunternehmens

40

Abbildung 6.1-5

Arbeitsteilung bei herkömmlichem und verändertem Demontageystem

50

Abbildung 6.1-6

Zeitverluste und Zeitgewinne durch neue Demontageanlage

55

Abbildung 6.1-7

Elemente aktiver Personal- und Organisationsentwicklung in Verwertungsunternehmen

57

Eigene Einstellung und bei Mitgliedern der anderen Gruppe vermutete Einstellung zu kreislaufgerechter Produktentwicklung von Konstrukteuren und Kreislaufberatern/Verwertern

69

Vergleich der Sichtweisen von Konstrukteuren und Beratern für kreislaufgerechte Produktentwicklung: Anteile der Kategorien an den Aussagen der Befragten

71

Abbildung 6.3-1

Das Recycling-Qualifizierungs-Centrum (RecQuCe)

89

Abbildung 6.3-2

Das RecQuCe: Qualifizierungsinhalte

90

Tabelle 6.1-2 Tabelle 6.1-3

Tabelle 6.2-3

Abbildung 6.1-2

Abbildung 6.2-1

Abbildung 6.2-2

a&o research GmbH

3

Anforderungen an die Gestaltung von Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft

1 Aufgabenstellung: Anforderungen an die Gestaltung von Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft Die Kreislaufwirtschaft ist ein komplexes Geflecht aus Unternehmen, zwischenbetrieblichen Prozessen, regionalen und überregionalen Institutionen. Dabei ist die Kreislaufwirtschaft kein anonymes "Etwas", sondern ein an das Handeln von Menschen gebundenes soziales System. Die Aufgabe von a&o research GmbH bestand in diesem Projekt darin, die Bedingungen und Voraussetzungen für das Handeln von Menschen in Kreisläufen zu erforschen, Ansatzpunkte und Methoden für die Entwicklung des Personals und der organisatorischen Prozesse zu entwickeln und zu erproben sowie sie, nachvollziehbar für den Transfer in die wirtschaftliche Praxis, aufzubereiten. Für das Projekt waren dabei zwei Aspekte von zentraler Bedeutung: •

Die Förderung industrieller Strukturen in Verwertungsunternehmen;



Die Entwicklung der Kompetenzen von Menschen für das Handeln in Kreisläufen.

Eine über beide Aspekte hinweg reichende Aufgabenstellung war die Entwicklung von Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepten für die Kreislaufwirtschaft.

1.1

Förderung industrieller Strukturen in Verwertungsunternehmen

Zu Beginn der 90-iger Jahre begann die Arbeit an einer Verordnung zur Rücknahme und Verwertung von Elektronik-Schrott (Elektronik-Schrott-Verordnung). Im Zuge dieser Arbeit entstanden eine Reihe von Unternehmen, die die Rücknahme und Verwertung von Elektronik-Schrott zu ihrem Geschäft erklärten. Diese "Pioniere" der Verwertung von Elektronik-Altgeräten standen vor zwei Problemkreisen: Einerseits gab es wenig Know-How, Technik und Prozesserfahrung, elektrische und elektronische Altgeräte zu verwerten; andererseits waren es überwiegend kleine und Kleinstunternehmen, die entstanden. Einer mächtigen, auf Massenproduktion ausgerichteten, hochprofessionellen Großindustrie standen somit Verwertungsunternehmen gegenüber, die eher "Bastelstuben" ähnelten als industriellen Unternehmen, die wirtschaftlich, personell und technisch in der Lage sind, Massenströme an Altgeräten zu verwerten und dem Kreislauf von Produkten und Stoffen zu erhalten. Aus dieser Situation leiteten wir die Aufgabenstellung ab, die Personal- und Organisationsentwicklung in den Verwertungsunternehmen darauf auszurichten, Unterneha&o research GmbH

4

Anforderungen an die Gestaltung von Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft

mensstrukturen zu entwickeln, die wachstumsfähig sind, und Kompetenzen zu fördern, die die Planung, Steuerung und Regulierung der Verwertungsprozesse auf hohem qualitativen Niveau ermöglichen. Außerdem sollten sozialwissenschaftliche Erkenntnisse bei der Entwicklung und Einführung neuer Technik und Organisation in Unternehmen Anwendung finden. Dabei wollten wir den Grundgedanken soziotechnischer Systemgestaltung (Sydow, 1985) und qualifizierender Arbeitsgestaltung (Frei et al., 1996) folgen. Diese Aufgabenstellung konnten wir beispielhaft in den Projektunternehmen Hetzel Elektronik-Recycling GmbH Nürnberg und in der GRUNDIG AG Nürnberg umsetzen.

1.2

Förderung des Handelns von Menschen in Kreisläufen

Der Rückbau von Elektronik-Altgeräten ist Auflösung geronnener menschlicher Arbeit durch Hinzufügen von Arbeit. Diese Arbeit wird umso wirtschaftlicher, je besser das in den Produkten verankerte menschliche Wissen transparent ist. Sie wird ebenso wirtschaftlicher, wenn die Produkte bereits auf das Ziel einer Verwertung resp. eines Rückbaus entwickelt worden sind. Vor dem Hintergrund dieser Ausgangsüberlegung definierten wir eine zweite Aufgabenstellung für Personal- und Organisationsentwicklung in Kreisläufen. Wir wollten die Kommunikations- und Informationsbeziehungen zwischen dem Hersteller und den Verwertern so organisieren, dass die Verwertungsunternehmen auf bereits vorhandenes Wissen der Hersteller zurückgreifen können. Die Hersteller sollten Informationen über die Erfahrungen beim Rückbau ihrer Geräte erhalten, um diese Erkenntnisse wiederum in den eigenen Produktentwicklungsprozess einfließen lassen zu können. Den Ansatzpunkt zur Gestaltung dieser Beziehungen sahen wir in der Entwicklung von Methoden und Vorgehensweisen, die dazu dienen, das bei den Recyclingmitarbeitern implizit vorhandene Wissen explizieren zu können und damit für den Produktentwicklungsprozess nutzbar zu gestalten. Für diese Aufgabenstellung wurde Werner Duell – AOC GmbH Berlin – im Unterauftrag in das Projekt eingebunden. Wir gingen davon aus, dass als Hersteller das Unternehmen Temic und als Verwerter das Unternehmen Hetzel Elektronik-Recycling GmbH das Untersuchungs- und Anwendungsfeld dieser Aufgabenstellung bilden.

1.3

Ausbildung und Qualifizierung in der Kreislaufwirtschaft

Ausbildungs- und Qualifizierungserfordernisse für das Handeln in der Kreislaufwirtschaft ergaben sich aus zwei Hypothesen:

a&o research GmbH

5

Anforderungen an die Gestaltung von Personal- und Organisationsentwicklung in der Kreislaufwirtschaft

Hypothese 1: Das Wirtschaften in Kreisläufen stellt völlig neue Anforderungen an die Qualifikation und die Kompetenzen der Mitarbeiter und Führungskräfte, die in diesem System beschäftigt sind. Dies betrifft nicht nur die gewerblichen Mitarbeiter in der Zerlegung, sondern auch, und das in besonderem Maße, die Vertreter des Managements. Wir gingen auch davon aus, dass nicht nur neue fachlich-inhaltliche Anforderungen an die Menschen gestellt sind, sondern auch ganz spezifische soziale Kompetenzen benötigt werden, damit die beteiligten Mitarbeiter und Führungskräfte in dem System Kreislaufwirtschaft agieren können und entwicklungsfähig bleiben. Hypothese 2: Der Rückbau von Elektronik-Altgeräten ist ein neues Beschäftigungsfeld in der Volkswirtschaft. Dennoch entstehen auf diese Art und Weise nicht "quasi automatisch" neue Arbeitsplätze. In Zeiten der Entwicklung eines großen europäischen Wirtschaftsraumes und der Globalisierung gibt es auch die Möglichkeit, neue Beschäftigungsfelder außerhalb Deutschlands anzusiedeln. Diese Entwicklung ist umso wahrscheinlicher, je weniger Qualifikation für die jeweiligen Arbeitsprozesse benötigt wird und je unwirtschaftlicher der Rückbau von Elektronik-Altgeräten im deutschen Wirtschaftsraum ist. Zur Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft werden deshalb Arbeitsplätze mit hohen, zumindest differenzierten, Qualifikationsanforderungen und Qualifizierungskonzepte für Facharbeiter benötigt. Die Aufgabe von a&o research bestand deshalb darin, die Voraussetzungen für die Entwicklung eines neuen Berufsbildes zu untersuchen und Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte für eine industriell organisierte Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Diese Aufgabenstellung sollte in enger Zusammenarbeit mit der GRUNDIG AG Nürnberg realisiert werden.

a&o research GmbH

6

Voraussetzungen des Vorhabens

2 Voraussetzungen, unter denen das Vorhaben durchgeführt wurde Die politisch-juristischen Rahmenbedingungen, die Einbindung von a&o research GmbH in den Verbund IREAK sowie die bereits gesammelten Erfahrungen und wissenschaftlichen Arbeiten des sozialwissenschaftlichen Institutes bildeten den Hintergrund für das Arbeiten im Projekt.

2.1

Politisch-juristische Rahmenbedingungen

Mit der Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes im Jahre 1996 wurde ein juristischer Rahmen in bezug auf die Verantwortung des Herstellers für den gesamten Lebenszyklus seiner Produkte gesetzt. Damit war ein weiterer Schritt getan, die 1972 mit dem Bundesabfallgesetz eingeleitete Trennung der Verantwortung für Produktion und Entsorgung aufzuheben. Das Bundesabfallgesetz von 1972 begründete eine "originäre Entsorgungspflicht und -zuständigkeit der öffentlichen Hand" (Weidemann, 1994). Damit war die Entsorgung von Gütern und Stoffen marktwirtschaftlichen Regulierungsmechanismen jedoch weitgehend entzogen. Die Unternehmen besaßen, bis auf wenige Ausnahmen, keine Verantwortung für die Produktlebensphase nach der Vernutzung des Produktes. Dies behinderte die Einbeziehung der Unternehmen in die gerichtete Beeinflussung von Stoffströmen mit dem Ziel der Schonung und Erhaltung natürlicher Ressourcen. Aber auch das Kreislaufwirtschaftsgesetz begründete kaum marktwirtschaftliche Regularien zur Lösung des Entsorgungsproblems. Vielmehr setzt es auf eine Vielzahl regulativer Eingriffe des Staates und seiner Institutionen in die abfallerzeugende und abfallverarbeitende Wirtschaft. Diese Entwicklung hatte (und hat bis heute) verhängnisvolle Auswirkungen auf die Erarbeitung produktbezogener Vermeidungsregelungen, die bis heute nicht verabschiedet sind. Eine Elektronik-Schrott-Verordnung, die den Hersteller verpflichtet, für die Entsorgung seiner Produkte zu sorgen, gibt es bis heute nicht. Diese Entwicklungen wirkten sich auch auf das IREAK-Projekt aus. Der Hersteller im IREAK Projekt, die Temic AG, sah sich nicht in der juristisch verankerten Pflicht, ein durchgängiges Konzept für produkt- und produktionsintegrierten Umweltschutz zu entwickeln. Das Projektvorgehen wurde deshalb den marktwirtschaftlichen Bedingungen des Unternehmens angepasst. Dabei trat das Dilemma der bislang praktizierten Trennung der Verantwortung für Produktion und Entsorgung zwischen der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand klar zutage. Dies wurde noch umso deutlicher, weil der im a&o research GmbH

7

Voraussetzungen des Vorhabens

Projekt IREAK beteiligte Hersteller Temic AG kein Endproduzent, sondern ein Zulieferer der Automobilindustrie ist. Auch die Automobilindustrie wehrt sich seit langem gegen eine Verordnung, die die Rücknahme und Verwertung von Altautos gesetzlich vorschreibt. Somit haben die Kunden der Temic AG bislang ein geringes marktwirtschaftlich begründetes Interesse an einem "kreislaufgerechten" Produkt. Die Entsorgung der Altautos ist dem Zulieferer noch verborgener als einem Endproduzenten. Wo also sollten die Motive liegen, die eine kreislaufgerechte Produktentwicklung bei einem Zulieferanten der Automobilindustrie ermöglichen? Dies wurde zu einer der zentralen Fragen, die das IREAK Projekt insgesamt, insbesondere aber die a&o research GmbH und die GEP GmbH beschäftigt hat und zu deren Beantwortung wir eine Reihe von Erkenntnissen sammelten. Unklare Rechtsvorschriften und langwierige Gesetzgebungsvorhaben, wie wir sie bei den produktbezogenen Vermeidungsregelungen vorfinden, bewirken Rechts- und Investitionsunsicherheiten. Im IREAK-Projekt wirkte sich dies auf die Entwicklung von Anlagen zur Demontage und unterstützenden informationstechnischen Lösungen aus. Da das Verwertungsunternehmen Hetzel Elektronik-Recycling GmbH Nürnberg (HER) keine realistischen Planungen für einen Anfall von Elektro- und Elektronikschrott in nennenswerten Größenordnungen vornehmen konnte, wurden auch keine Entscheidungen hinsichtlich zu tätigender Investitionen in Maschinen und Informationstechnik getroffen. Somit waren von Beginn des Projektes an alle Projektaufgaben, die die Implementierung von Demontage- und Informationstechnik betrafen, obsolet. Die Frage für die Verwertungsunternehmen bestand nicht mehr darin, wie die Ströme an Elektro- und Elektronikschrott am wirtschaftlichsten auf möglichst hohem Verwertungsniveau "zurückgebaut" werden können. Sie bestand vielmehr darin, ob und auf welche Weise sich ein Verwertungsunternehmen an einem schwierigen Markt in Konkurrenz zu anderen Entsorgungsalternativen (Verbrennung, Shreddern) erfolgreich entwickeln kann. Die Maßnahmen zur Personal- und Organisationsentwicklung in dem Verwertungsunternehmen HER und dem Verwertungsbereich "Systementwicklung Kreislaufwirtschaft" der GRUNDIG AG, die von a&o research GmbH konzipiert und umgesetzt wurden, dienten der Beantwortung dieser Fragen.

2.2

Verbundaufgaben, Rolle im Verbund

Als a&o research dem Verbundteam vom Projektträger für Produktion und Fertigungstechnologien als weiterer Projektpartner vorgestellt wurde, bestand Unklarheit darüber, was ein sozialwissenschaftliches Institut in diesem Projekt leisten könne. Diese war zweifach begründet:

a&o research GmbH

8

Voraussetzungen des Vorhabens

Einerseits war bereits das Fraunhofer-Institut IAO im Projekt mit der Aufgabe einer



Prozessmodellierung und deren Umsetzung in Demontageunternehmen vertreten. Andererseits sollten die Industriepartner a&o research mit einem eigenen Beitrag



mitfinanzieren. Es war deshalb für a&o notwendig, auch gegenüber den Projektpartnern einen eigenständigen und spezifischen fachlichen Beitrag aufzuzeigen. Überzeugend war letztlich der Ansatz, Forschungsergebnisse nicht nur über Analysen und letztlich "am grünen Tisch" zu erarbeiten, sondern Kompetenzentwicklung über die Initiierung und Gestaltung realer Veränderungen in den Unternehmen zu erreichen und diese realen Prozesse dann wissenschaftlich aufzuarbeiten. Auf diese Weise konnten wir den Projektpartnern verdeutlichen, dass wir einen konkreten und fassbaren Beitrag zur Umsetzung der Vision "Industrieller Rückbau von Elektronik-Altgeräten" leisten können. Im Rahmen des Verbundprojektes übernahm a&o research GmbH die Querschnittsaufgabe "Personal-, Organisations- und Ausbildungskonzepte". Dabei wirkten die Projektpartner HER, GRUNDIG, GEP, BTU Cottbus und Temic mit. Die Arbeit zu den Personal- und Organisationskonzepten wurde von a&o research nach dem Aktionsforschungsansatz realisiert. Das hieß für uns, dass wir jeweils ein Bild des Ausgangszustandes der jeweiligen Unternehmen mit den Beteiligten erarbeiteten, davon ausgehend Maßnahmen zur Veränderung von Strukturen und zur Entwicklung von Kompetenzen ableiteten und die Ergebnisse des Vorgehens dem Verbund zur Diskussion stellten. Die Arbeit an dem Schwerpunkt "Ausbildung und Qualifizierung" begannen wir gemäß der Methodiken des Bundesinstitutes für berufliche Bildung (BIBB) mit Expertenworkshops zu den Visionen und Trends auf dem Gebiet des Rückbaus von ElektronikAltgeräten. Dazu war das Konsortium des IREAK-Verbundes gut geeignet. Hinzu kamen Expertengespräche mit Vertretern des BIBB und eines Pilotprojektes zur Ausbildung von "Produktverwertern", das 1995/1996 in Nürnberg unter Schirmherrschaft der IHK stattfand. Auch die Ergebnisse zu den Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepten stellten wir im Verbund zur Diskussion.

2.3

Erfahrungen auf dem Gebiet der Personal- und Organisationsentwicklung

Neben den politisch-juristischen Rahmenbedingungen und der Position von a&o research im Verbund des Projektes gehörten die Erfahrungen und wissenschaftlichen Ergebnisse auf dem Gebiet von Personal- und Organisationsentwicklung zu den Vor-

a&o research GmbH

9

Voraussetzungen des Vorhabens

aussetzungen für die Bearbeitung des Projektangebotes. In dem spezifischen inhaltlichen Feld der Kreislaufwirtschaft knüpften wir an folgende Inhalte und Projekte an: •

"Qualitätsförderliche Reorganisation von Unternehmen" (1993 - 1996) – in diesem Projekt wurde eine Methode zur Erfassung und Auswertung mentaler Abbilder von Qualität entwickelt, die wir als Methode zur Entwicklung der Bereitschaft von Konstrukteuren weiterentwickelten, kreislaufgerecht zu konstruieren. (Stieler-Lorenz, 1997)



"Innovative Reorganisation von Unternehmen – Managementhandeln und Partizipation" (1993 - 1996) – in diesem Projekt entwickelten wir Ansätze und Methoden zur partizipativen Reorganisation von Unternehmen, die wir in den Verwertungsunternehmen einsetzten und weiterentwickelten.



"Anpassung der Arbeitnehmer an den industriellen Wandel in Multimediaunternehmen, Softwareunternehmen und bei Systemintegratoren" (1996 - 1999) – in diesem Projekt arbeiteten wir parallel zu dem IREAK-Projekt an der Entwicklung und Umsetzung von Methoden und Vorgehensweisen zur Strategieentwicklung, so dass Vergleiche zwischen verschiedenen Branchen und die Erprobung der Übertragbarkeit von Methoden möglich wurde.



"Management-Strategien für die Implementierung von Wiederverwendung und Recycling in industriellen Organisationen" (1997 - 1998) – in diesem Projekt wurde in einer Vorphase untersucht, welche Voraussetzungen für Personalmanagement entwickelt werden müssen, damit kreislaufwirtschaftliche Ideen in der Organisation des Unternehmens und in den Kompetenzen der Mitarbeiter verankert werden. Eine im Rahmen dieses Projektes entstandene Studie fundierte den Ansatz der Entwicklung von ökologischem Bewusstsein als Voraussetzung für kreislaufwirtschaftliches Handeln und wies in einem 3-Ebenenmodell auf, dass Qualifizierungsbemühungen sich sowohl auf die fachliche Wissensvermittlung, die Entwicklung von Prozess- und Sozialkompetenz beziehen müssen. Diese Erfahrungen bereiteten wir für den Baustein "Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte" auf.

a&o research GmbH

10

Planung und Ablauf des Vorhabens

3 Planung und Ablauf des Vorhabens Zunächst waren die Arbeiten von a&o research entlang der Logik des Verbundes zur Technikentwicklung geplant worden. Die Arbeitspakete von a&o research waren in die Phasen •

Analyse,



Konzeption,



Gestaltung,



Anlageninstallation und –erprobung und



Anlagenevaluierung

eingeordnet. Zu Beginn des Projektes mussten wir jedoch bereits abweichend vom ursprünglichen Projektplan neu planen. Dies hatte formale und inhaltliche Gründe. Die inhaltlichen Gründe waren Bestandteil unseres Erkenntnisprozesses und werden deshalb im Teil "Ergebnisse des Projektes" dargelegt. Formale Gründe einer veränderten Projektplanung bestanden in den folgenden drei Punkten: •

Die Anlage wurde durch den Projektträger nicht finanziert. Daher sahen die beteiligten Industriepartner eine Implementierung der Technik als nicht wahrscheinlich an.



Der Hersteller – die AEG – schied kurz nach Beginn des Projektes aus dem Projekt aus.



Die Arbeitsschritte von a&o research waren noch nicht genau auf die Projektziele der anderen Projektpartner abgestimmt.

Die daraus gezogenen Konsequenzen für die Projektplanung bestanden darin, •

dass wir im Verwertungsunternehmen neben der soziotechnischen Systemanalyse eine wesentlich komplexer als geplant angelegte Organisationsdiagnose durchführten, die den Forschungsprozess eher auf die Strategieentwicklung und Entwicklung des Managements im Unternehmen fokussierte. Im Projektantrag lag der Schwerpunkt auf der Gestaltung der Arbeitsorganisation in einem neuen technischtechnologischen System.



dass wir die Arbeit mit dem Herstellerunternehmen erst nach Eintritt der Temic AG in das Projekt aufnehmen konnten – etwa 12 Monate nach bewilligtem Projektbeginn. a&o research GmbH

11

Planung und Ablauf des Vorhabens

dass wir zunächst drei Schwerpunkte der Projektarbeit von a&o research definier-



ten, die sich in Inhalt, Vorgehen und Partnern stark unterschieden. Zu letzterem geben wir nunmehr noch einige Erläuterungen. Die Schwerpunktbildung diente der Strukturierung und detaillierten Planung der verschiedenen Aufgaben von a&o research. Wir bezeichneten sie als Themen: •

Thema 1: Personal- und Organisationsentwicklung im Verwertungsunternehmen



Thema 2: Entwicklung von Information und Kommunikation zwischen Herstellerunternehmen und Verwertungsunternehmen Thema 3: Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte



Dabei sahen wir die Themen 1 und 2 als Aufgaben zur konkreten Gestaltung und wissenschaftlichen Evaluation, das Thema 3 als konzeptionelle Aufgabe an. Die Themen 1 und 2 verliefen in den Phasen: •

Aufarbeitung des Standes der Wissenschaft und Hypothesenbildung



Intervenierende Analyse



Ableitung des Projektdesigns



Bildung und intervenierende Unterstützung von Arbeits- und Projektgruppen



Evaluierung



Aufarbeitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen



Darstellung der Ergebnisse im Verbund

3.1

Projektplanung und Verlauf für das Thema "Personal- und Organisationsentwicklung im Verwertungsunternehmen"

Die Projektplanung dieses Themas war stark von unserem Verständnis geprägt, dass jedes Unternehmen seine eigene spezifische Entwicklung vollziehen muss, mit der es die eigenen Potenziale und die Möglichkeiten, die die Umwelt anbietet, ausschöpft. In bezug auf den Stand der Wissenschaft orientierten wir uns zunächst an den sozioökonomischen Forschungen zur Kreislaufwirtschaft sowie zur Nachhaltigkeit und überprüften die bereits laufenden Projekte zur Kreislauffähigkeit auf anschlussfähige Erkenntnisse (u.a. Schubert et al., 1997; Fraunhofer ICT, 1997). Dabei wurde die Notwendigkeit deutlich, die Gestaltung kreislauforientierter Strukturen in einem Geflecht ganz unterschiedlicher Unternehmensziele und -interessen in Kooperationen bzw. in Netzwerken zu organisieren. Dabei konnten wir wiederum auf Forschungen zu Kooperationsentwicklungen und Netzwerkbildungen zurückgreifen (Endres & Wehner, 1996). a&o research GmbH

12

Planung und Ablauf des Vorhabens

Im Kern folgten wir der Überlegung, dass es den Verwertungsunternehmen gelingen muss, ein eigenes Profil mit unternehmensstrategischem Hintergrund zu entwickeln, um als Partner für die Hersteller, die Kommunen und weitere Kunden akzeptiert zu werden. Vor diesem Hintergrund begannen wir den Prozess der Strategieentwicklung bei HER mit einer Analyse, die bereits bewusst darauf ausgelegt war, Entwicklungsprozesse im Unternehmen in Gang zu setzen; deshalb nennen wir sie intervenierende Analyse. Die Ergebnisse dieser Analyse waren der Ausgangspunkt für eine Projektplanung, die sich für uns als wissenschaftliches Ziel auf die Entwicklung der Kreislauffähigkeit von Verwertungsunternehmen richtete, für das Unternehmen HER auf die Stabilisierung und den Ausbau seiner Marktfähigkeit. Damit war ein wichtiger Konsens für die Zusammenarbeit von a&o research und HER gefunden worden: Indem wir an der Erforschung unserer Fragestellung arbeiteten, konnte das Unternehmen Know-HowZuwachs in bezug auf die eigenen Zielstellungen erarbeiten. Die der Analyse folgenden Prozesse dienten der Herausarbeitung von Strukturen und Kompetenzen, die dem Wirtschaften in Kreisläufen entsprechen (vgl. Kap. 6.1.1). Sie beinhalteten •

Selbstreflexion von Führungskräften, Training von Fähigkeiten, Reorganisation der Führungsstruktur,



Umsetzung der von den gewerblichen Mitarbeitern entwickelten Optimierungsmöglichkeiten für die vorhandenen Zerlegeprozesse und



Strategieentwicklung und Beginn der Umsetzung.

Im Verlaufe des zweiten Jahres der Projektlaufzeit stellte sich heraus, dass auch die GRUNDIG AG, Bereich "Systementwicklung Kreislaufwirtschaft", Interesse an der Arbeit von a&o research entwickelt hatte. Die Mitarbeiter und Führungskräfte besaßen jedoch ein anderes Motiv. Im Gegensatz zu HER, mit dem Motiv der Stärkung von Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Mitarbeiter und Führungskräfte, formulierten die Führungskräfte von der GRUNDIG AG das Interesse an einer tätigkeitsbezogenen Qualifizierung ihrer Mitarbeiter im Bereich der Verwertung. Dies nahmen wir auf und entwickelten, ausgehend von den vorhandenen Strukturen im Bereich, das Modul "Teamentwicklung", das wir im Laufe des Projektes umsetzten. Dieser Prozess führte wiederum zu einer weiteren Klärung der Verwertungs- und Geschäftsstrategie des Bereiches.

a&o research GmbH

13

Planung und Ablauf des Vorhabens

3.2

Projektplanung und Verlauf für das Thema "Entwicklung von Information und Kommunikation zwischen Herstellerunternehmen und Verwertungsunternehmen"

Die Planung und der Ablauf der Untersuchung zu diesem Schwerpunkt war zu Beginn geprägt durch das Ausscheiden der AEG als Vertreter der Herstellerseite aus dem Projekt. Erst nach etwa 12 Monaten konnte die Zusammenarbeit mit dem neuen Projektpartner, der Temic AG, beginnen. Eine erste Analyse der Kommunikations- und Informationsbeziehungen erfolgte daher vor allem mit den Projektpartnern der Verwerterseite, HER und GEP. Es zeigte sich, dass die Kommunikation zwischen Hersteller und Verwerter meist nicht direkt erfolgt. Der Weg des Informationsflusses von Verwertern zu Herstellern führt überwiegend über spezialisierte Berater für umwelt- und kreislaufgerechte Produktentwicklung (wie z.B. die GEP Gesellschaft für Entwicklungsberatung und Produktrecycling mbH), die in Schulungen und Workshops kreislaufspezifisches Wissen an Konstrukteure in Herstellerunternehmen vermitteln. Es besteht jedoch eine Lücke zwischen der Vermittlung von Kenntnissen und der Bereitstellung von notwendigen Informationen auf der einen und deren Umsetzung im Handeln von Konstrukteuren auf der anderen Seite. Auf Grundlage sozialwissenschaftlicher Theorien und Forschungsarbeiten zu den Themen Einstellung, Umweltbewusstsein, Kommunikation und Handeln (z.B. Blumer, 1981; Brauner, 1994; Hoff et al, 1995; Mead, 1988; Mummendey, 1985; Tajfel, 1982) wurde daher eine Untersuchung mit Konstrukteuren und Kreislaufberatern mit den folgenden Zielstellungen geplant und durchgeführt: •

Es sollten Bedingungen und Voraussetzungen identifiziert werden, die die Berücksichtigung von Recyclingkriterien durch Konstrukteure bei der Produktentwicklung behindern bzw. fördern. Davon ausgehend sollten Ansatzpunkte für die Beratung und Unterstützung von Konstrukteuren bei einer kreislaufgerechten Produktentwicklung entwickelt und Maßnahmen zur Schaffung geeigneter Voraussetzungen für eine kreislaufgerechte Produktentwicklung abgeleitet werden.



Es sollten Voraussetzungen und Bedingungen bestimmt werden, die sich hinderlich auf die Kommunikation und Interaktion zwischen Beratern für kreislaufgerechte Produktentwicklung und Konstrukteuren von Neuprodukten auswirken können, und Schlüsse für die Gestaltung der Interaktion gezogen werden.

Anhand der Ergebnisse wurde ein Herangehen konzipiert, das die Implementierung kreislaufgerechter Produktentwicklung in Herstellerunternehmen unterstützt. Hierbei wurden die psychologischen Determinanten des Arbeitshandelns, die Motivation, die a&o research GmbH

14

Planung und Ablauf des Vorhabens

Qualifikation, der Handlungsspielraum und der Auftrag (Rosenstiel et al., 1995) berücksichtigt. Das Vorgehen wurde beim Projektpartner Temic teilweise umgesetzt. Außerdem konnten Hinweise für die Gestaltung einer effektiven Kommunikations- und Beratungsbeziehung zwischen Kreislaufberatern und Konstrukteuren abgeleitet werden, die hohe soziale und kommunikative Kompetenzen der Berater erfordert. Es wurde ein Trainingskonzept für Kreislaufberater entwickelt und mit Mitarbeitern der GEP durchgeführt.

3.3

Projektplanung und Verlauf für das Thema "Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte"

Dieses Thema wurde in einer Mischung von konzeptioneller, wissenschaftlicher Arbeit und Intervention in den Unternehmen durchgeführt. Die Arbeit erfolgte in den Phasen: •

Literaturrecherche und Experteninterviews zum Stand der Arbeit an Qualifizierungskonzepten für die Kreislaufwirtschaft



Recherche zur Arbeit des BIBB auf den Gebieten der Berufsbilder und konkret auf dem Gebiet der Produktverwertung



Analyse der Arbeitsmarktpotentiale für Produktverwerter



Visionsworkshop mit Experten der Kreislaufwirtschaft



Experteninterview mit Vertretern des BIBB



Aufarbeitung der Ergebnisse von Analysen und Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen des Projektes IREAK



Entwicklung eines Ausbildungs- und Qualifizierungskonzeptes



Vorstellung und Diskussion im Verbund IREAK

a&o research GmbH

15

Wissenschaftlicher und technischer Stand

4 Wissenschaftlicher und technischer Stand, an den angeknüpft wurde 4.1 4.1.1

Sozialwissenschaftliche Grundlagen und Forschungsbedarf Nachhaltigkeit als Anspruch an integrierte Unternehmensführung

Nachhaltigkeit ist das Entwicklungsleitbild, das auf der Konferenz 1992 in Rio de Janeiro verabschiedet wurde. Seitdem ist die Literatur zum Thema schier unübersehbar geworden (vgl. Ax, 1997; Maier-Rigaud, 1997; Petschow et al., 1998). Unter Nachhaltigkeit wird dabei ein Prinzip verstanden, das die gleichzeitige Entwicklung verschiedener Systeme zum gegenseitigen Nutzen ermöglicht. Nachhaltigkeit ist ein Prinzip natürlicher Entwicklung. Natürliche Entwicklung vollzieht sich selbstorganisiert, d.h. die natürlichen Systeme regulieren sich selbst auf eine Art und Weise, dass der Erhalt der eigenen Art gesichert und ein natürliches Gleichgewicht bewahrt wird (Maturana & Varela, 1984). Die Kreislaufwirtschaft kann nur dann erfolgreich realisiert werden, wenn alle am Kreislauf beteiligten Unternehmen Nutzen aus der Kooperation ziehen. Dies bezieht sich auf alle Zielstellungen des Unternehmensmanagements, sowohl auf die wirtschaftlichen, sozialen als auch ökologischen Ziele (Dyllick, 1991). Die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft leidet jedoch unter der vorrangigen Betrachtung der wirtschaftlichen Zielstellungen durch die jeweils beteiligten Unternehmen, sowohl auf Verwerter- als auch Herstellerseite. Aber auch rein ökologisch angelegte Kreislaufwirtschaftsmodelle sind nicht nachhaltig überlebensfähig. Sie mutieren zu "grünen Projekten", die von öffentlicher Hand oder Quersubventionierungen der Unternehmen am Leben erhalten werden, oder, wenn das Geld versiegt, absterben. Rein sozial angelegte Projekte wiederum, wie z.B. die Einrichtung von Recycling-Werkstätten für Langzeitarbeitslose und behinderte Menschen, blockieren die Entstehung wirtschaftlicher Strukturen in den Stoff- und Produktkreisläufen. Insgesamt fehlten zu Projektbeginn Forschungsarbeiten zur Ausgestaltung des Unternehmensmanagements in Verwertungs- und Herstellerunternehmen als Voraussetzung funktionierender Kreislaufwirtschaftsmodelle. Es bestand Forschungsbedarf zu der Fragestellung, wie Verwertungsunternehmen organisiert und gemanagt werden müssen, um eine nachhaltige Entwicklung von Beziehungen in Kreislaufwirtschaftsmodellen zu erreichen.

a&o research GmbH

16

Wissenschaftlicher und technischer Stand

4.1.2

Kooperationsforschung

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist davon abhängig, wie selbstständig agierende wirtschaftliche Unternehmen bzw. öffentlich-rechtliche und staatliche Institutionen in einer Kooperation Stoffströme und Produktlebenszyklen gestalten können. Neben dem fachlich-inhaltlichen Modell solcher Stoffströme ist vor allem die Entwicklung eines Business-Modells wichtig, das den Geschäftsinteressen aller Partner entgegenkommt. Dabei sind nicht zu unterschätzende Aushandlungsprozesse vonnöten, die v.a. aus Zielkonflikten resultieren (Lutz et al., 1997). Die Kooperationsforschung hat gezeigt, dass vor der Gestaltung von Kooperationsbeziehungen im jeweiligen Unternehmen Klarheit über die eigene Geschäftsstrategie und die internen Strukturen geschaffen werden muss. Auf diese Weise wird – durch Abgrenzung von anderen Unternehmen – erst Zusammenarbeit möglich. Dennoch war zu Beginn des Projektes IREAK die Fragestellung offen, welche internen Ressourcen in Verwertungs- und herstellenden Unternehmen entwickelt werden müssen, um Kooperations- und damit Kreislauffähigkeit herstellen zu können. 4.1.3

Lernen und Qualifizieren in der Kreislaufwirtschaft

Aus der Forschung zur Umweltbildung des BIBB waren Ansätze zur Entwicklung sozialer Kompetenz für umweltbewusstes Handeln bekannt (Adler & Krampe, 1995; Gebauer et al., 1995; Krampe & Liebich, 1996). Ebenso bekannt waren die Forschungen zum Stand und den Entwicklungsmöglichkeiten von ökologischem Bewusstsein (Hoff, 1990; Lecher, 1993; Glowitz 1994). Während die Qualifizierungskonzepte darauf ausgerichtet waren, Menschen durch Information und selbstgesteuertes Lernen individuelle Handlungsmöglichkeiten zum Schutz und zur Bewahrung der Umwelt zu erschließen, sind die psychologischen Forschungen darauf ausgerichtet, den moralischen Imperativ "Umweltschutz" auf seine psychologische Handlungsrelevanz zu untersuchen. Im Projekt IREAK wollten wir deshalb der Frage nachgehen, inwieweit ökologisches Bewusstsein Bestandteil von Qualifizierungsmaßnahmen sein muss. Ebenso lagen bereits zu Projektbeginn Ansätze für fachliche Qualifizierungen von Produktverwertern vor. Die IHK Nürnberg hatte 1995/1996 einen Modellversuch zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen zum Produktverwerter durchgeführt (IHK Nürnberg, o. J.). Dazu lagen Qualifizierungsmaterialien vor. Eine Evaluierung hatte nicht stattgefunden. Diese Qualifizierung konzentrierte sich auf die fachlich-inhaltliche Ebene der Arbeitsausführung von Produktverwertern. Die Qualifizierung auf den Ebenen Arbeitsprozessorganisation und -gestaltung, Entwicklung von überfachlichen Fähigkeiten, z.B. für dezentrale Teamorganisation, sowie strategische Einordnung von Kreislaufwirtschaftsprozessen spielten kaum bis gar keine Rolle. a&o research GmbH

17

Wissenschaftlicher und technischer Stand

Ausgehend von diesem Stand stellten wir uns die Aufgabe, nach Wegen und methodischen Ansätzen zu suchen, die eine Qualifizierung von Mitarbeitern für die Kreislaufwirtschaft auch auf den Themenfeldern ermöglichen, die nicht zur unmittelbaren Arbeitsausführung gehören. Dem musste jedoch die Frage vorausgehen, welche Anforderungen die Arbeit in der Kreislaufwirtschaft an die Mitarbeiter (und auch Führungskräfte) stellt, um davon ausgehend einen realen Qualifizierungsbedarf ableiten zu können. 4.1.4

Kreislaufgerechte Produktentwicklung

In den letzten Jahren wurden unterschiedliche Modelle und Methoden zur kreislaufgerechten Gestaltung von Produkten entwickelt (vgl. z.B. Kreibich et al., 1991; Pahl & Beitz, 1993; Rogall, 1991; Schemmer et al., 1994; VDI, 1991 & 1993), die auf die technischen Möglichkeiten für eine kreislaufgerechte Produktentwicklung fokussieren. Sie sollen Konstrukteure dabei unterstützen, schon in der Produktentwicklung auch Kreislaufkriterien zu berücksichtigen. Die Verbreitung und Anwendung dieser Modelle und Methoden durch Konstrukteure ist jedoch noch gering (Kreibich, 1994). Dies liegt weniger daran, dass diese Modelle technisch nicht ausgereift waren, sondern es fehlte an Konzepten, die die Anwendung und Umsetzung der Modelle durch Konstrukteure und die Integration von Kreislauforientierung in ihr Arbeitshandeln unterstützen. In diesem Zusammenhang sind die Arbeiten von Fietkau und Kessel (1981) zum umweltbewussten Handeln, und die von Rosenstiel et al. (1995) zu den Determinanten des Arbeitshandelns relevant. Hier wird deutlich, dass die Berücksichtigung von Kreislaufkriterien durch Konstrukteure nicht allein von geeigneten technisch-fachlichen Unterstützungswerkzeugen abhängt. Vielmehr müssen psychosoziale Faktoren berücksichtigt werden, um die Umsetzung dieser Modelle und Methoden zu sichern. Lange Zeit bestand in der Umweltbildung die Annahme, dass umweltgerechtes Verhalten vor allem durch Umweltwissen und Umwelteinstellungen beeinflusst wird. In einer Zusammenfassung von Studien zum Umweltbewusstsein wurde jedoch festgestellt, dass der Umweltschutz von der Bevölkerung im allgemeinen sehr hoch bewertet wird, ein hohes Maß an Wissen über umweltrelevante Themen vorhanden ist und die Bereitschaft, durch eigenes Verhalten etwas zum Umweltschutz beizutragen, relativ hoch ist. Das tatsächliche Handeln wird dadurch jedoch wenig beeinflusst (de Haan & Kuckartz, 1996). Neben dem Wissen und der persönlichen Einstellung bestimmen also noch andere Faktoren die Motivation zu und die Umsetzung von umweltgerechtem Handeln. So müssen konkrete Möglichkeiten zu umweltgerechtem Verhalten vorhanden sein und wahrgenommen werden, es müssen Anreize für umweltgerechtes Verhalten geschafa&o research GmbH

18

Wissenschaftlicher und technischer Stand

Motivation

Qualifikation

Will ich das?

Kann ich das?

Handlungsspielraum

Auftrag

Darf ich das?

Soll ich das?

Abbildung 4.1-1

Determinanten kreislaufgerechten Handelns von Konstrukteuren

fen werden und die Konsequenzen des Verhaltens müssen über Rückkopplungsmöglichkeiten für den Handelnden nachvollziehbar und sichtbar sein (Fietkau & Kessel, 1981). Bezogen auf die umwelt- und kreislaufgerechte Konstruktion von Produkten durch Konstrukteure können vier bedeutsame Determinanten des Arbeitshandelns unterschieden werden (Rosenstiel et al., 1995) (Abbildung 4.1-1). Hierzu zählt die persönliche Motivation zu umwelt- und kreislaufgerechtem Handeln. Die Frage ist, ob der Konstrukteur umwelt- und kreislaufgerechte Produkte entwickeln will, ob es für ihn persönlich Sinn macht, Umwelt- und Kreislaufkriterien bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen. Ohne persönliche Motivation, das individuelle Wollen, wird er kaum umwelt- und kreislaufgerecht konstruieren. Notwendig ist außerdem eine ausreichende Qualifikation. Hier stellt sich die Frage, ob der Konstrukteur kreislaufgerecht konstruieren kann, ob er über ausreichend Wissen, Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, um Produkte kreislaufgerecht zu gestalten. Auch das Wissen um Umweltauswirkungen von Produkten fällt unter diese Kategorie. Neben der individuellen Motivation und Qualifikation sind jedoch auch Rahmenbedingungen von Wichtigkeit, die die Tätigkeit von Konstrukteuren bestimmen. Es stellt sich die Frage, ob und welche Handlungs- und Entscheidungsspielräume Konstrukteure bezüglich der Berücksichtigung von Umweltkriterien bei der Entwicklung von Produkten haben bzw. wahrnehmen. Erst wenn eigene Einflussmöglichkeiten vorhanden und bewusst sind, wird kreislaufgerechtes Handeln von Konstrukteren umgesetzt werden. Über die persönlichen Motivation hinaus ist ein wesentlicher Anreiz für umweltgerechtes Handeln in der Arbeit der wahrgenommene Auftrag. Konstrukteure werden dann

a&o research GmbH

19

Wissenschaftlicher und technischer Stand

Umwelt- und Kreislaufkriterien bei der Produktentwicklung berücksichtigen, wenn diese Anforderung seitens ihrer Kunden oder des eigenen Unternehmens an sie gestellt wird. Diese vier Determinanten des Handelns in der Arbeit sind nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. So wird z.B. die persönliche Motivation von Konstrukteuren zu kreislaufgerechter Produktentwicklung steigen, wenn sie einen expliziten Auftrag durch ihr Unternehmen oder ihre Kunden wahrnehmen. Die Aneignung spezifischen Wissens erweitert die Handlungsmöglichkeiten, andererseits ermöglichen erweiterte Handlungsspielräume eine fachliche Weiterentwicklung der Konstrukteure. Als Forschungsaufgabe stellte sich die Frage, wie der Prozess der Einführung neuer kreislauforientierter Entwicklungsmethoden gestaltet werden kann, so dass eine nachhaltige Nutzung durch die Konstrukteure gewährleistet ist und kreislaufgerechtes Konstruieren auch subjektiv akzeptierter Bestandteil der Arbeitsaufgabe und somit ein relevantes Ziel des Arbeitshandelns von Konstrukteuren wird. Menschen handeln auf Grundlage der subjektiven Vorstellungen, die sie von der Welt, von Situationen und Sachverhalten haben. Dabei werden die gleichen Umweltgegebenheiten und -prozesse von verschiedenen Menschen nicht in gleicher Weise wahrgenommen. Statt dessen konstruiert jeder Mensch seine individuelle Variante der äußeren Welt, auf deren Grundlage er sein Handeln ausrichtet. Handlungsleitend sind also die individuellen Sichtweisen, die individuell konstruierten Vorstellungen von Umweltgegebenheiten (Blumer, 1981; Fischer, 1997; Frei et al. 1996). Um das Handeln von Menschen zu verstehen, ist es deshalb notwendig, ihre individuelle Sichtweise, ihre individuellen Konstrukte von Sachverhalten und Situationen zu bestimmen. Auch eine Veränderung des Handelns basiert auf einer veränderten Wahrnehmung von Situationen und Sachverhalten. Es galt daher zu untersuchen, welche Vorstellungen Konstrukteure bezüglich umweltund kreislaufgerechter Produktentwicklung haben. Wie definieren sie kreislaufgerechte Produktentwicklung, welche Vor- und Nachteile verbinden sie damit. Welche Bedingungen beeinflussen aus ihrer Sicht die Berücksichtigung von Kreislaufkriterien bei der Produktentwicklung und welche Voraussetzungen sind ihrer Ansicht nach notwendig, um eine kreislaufgerechte Produktentwicklung zu ermöglichen. 4.1.5

Kommunikation und Interaktion

Für die Entwicklung kreislaufgerechter Produkte ist es notwendig, dass kreislaufspezifisches Wissen aus der Verwertung von Altprodukten bei der Neukonstruktion von Produkten berücksichtigt wird. Dies erfordert eine enge Kommunikation zwischen den am Kreislauf Beteiligten. Aus sozialwissenschatlicher Sicht wurden diese Interaktions- und a&o research GmbH

20

Wissenschaftlicher und technischer Stand

Kommunikatinsprozesse bisher nicht untersucht. Allerdings kann auf kommunikationspsychologische Grundlagen zurückgegriffen werden. Für gemeinsam handelnde, interagierende Personen ist es elementar wichtig, dass ihre Bedeutungszuweisungen, ihre Interpretationen von Sachverhalten und Situationen zumindest zu einem gewissen Grad übereinstimmen, sonst ist gemeinsames Handeln, gelungene Kommunikation und Interaktion nicht möglich (Blumer, 1981; Brauner, 1994). Sie müssen ein gemeinsames Bild von einem Thema, einer Situation oder einer Idee haben, um darüber kommunizieren zu können, ob in der Kooperation oder im Konflikt. Nachteilig für eine Beratung zum Thema kreislaufgerechte Produktentwicklung würde es sich auswirken, wenn sich die Sichtweisen auf diesen Gegenstand von Verwertern und Beratern für kreislaufgerechte Produktentwicklung auf der einen und Konstrukteuren auf der anderen Seite stark unterscheiden, wenn sie gewissermaßen über unterschiedliche Dinge sprechen. In einer Situation, in der eine Person mit anderen interagiert oder gemeinsam eine Aufgabe bearbeitet, macht sie sich auch ein Bild davon, welche Einstellungen oder Vorstellungen ihre Interaktionspartner vom Interaktionsgegenstand haben. Dementsprechend richtet sie ihr eigenes Handeln aus. Für gemeinsames Handeln, für eine konstruktive Interaktion ist auch hier ein Konsens über die Identitäten und Bedeutungen der Beteiligten notwendig (McCall & Simmons, 1974). Hier stellte sich die Frage, ob die Sichtweisen und Einstellungen auf das Thema kreislaufgerechte Produktentwicklung, die Konstrukteure und Kreislaufberater bzw. Verwerter den Mitgliedern der jeweils anderen Gruppe zuschreiben, mit deren tatsächlicher Sichtweise übereinstimmen. Wenn nicht, kann auch das zu Störungen der Kommunikation und Interaktion, z.B. in einer Beratungssituation, führen. Im Projekt IREAK sollten die Kommunikations- und Interaktionsprozesse zwischen Verwertern bzw. Kreislaufberatern und Konstrukteuren bei Herstellern nach diesen Gesichtspunkten untersucht werden.

4.2 4.2.1

Sozialwissenschaftliche Grundlagen der Prozessgestaltung Aktionsforschung und Organisationsentwicklung

Unserem Herangehen an wissenschaftliche Fragestellungen liegt der Aktionsforschungsansatz zugrunde. Aktionsforschung ist eine Forschungsstrategie, die ihre Ergebnisse bereits im Forschungsprozess in die Praxis umsetzt und somit als Wissenschaft verändernd in die Praxis eingreift (Denisow, 1997; French & Bell, 1994; Lewin, 1988; Mayring, 1990; Sievers, 1978; Toulmin, 1996) .

a&o research GmbH

21

Wissenschaftlicher und technischer Stand

Aktionsforschung hat zwei Zielsetzungen. Sie will zum einen an der Entwicklung und Prüfung sozialwissenschaftlicher Theorie mitwirken und zum anderen soziale Systeme bzw. gesellschaftliche Situationen praktisch verändern. Die von der Forschung Betroffenen sind innerhalb von Aktionsforschungprojekten nicht Versuchspersonen, Objekte, sondern werden als Subjekte in den Forschungsprozess einbezogen, sowohl bei der Bestimmung der Fragestellung und der angewandten Methoden als auch bei der Beurteilung der Ergebnisse und der Ableitung und Umsetzung von Veränderungen. Aufgrund der zugrundeliegenden Subjekt-Subjekt-Beziehung trägt der Aktionsforschungsprozess interaktive und kommunikative Züge. In dieser Interaktion verändern sich sowohl der Forscher als auch sein Gegenstand im Sinne eines gemeinsamen Lernprozesses. Die durch den Forscher gesammelten und aufbereiteten Daten werden den Untersuchungsteilnehmern zur Verfügung gestellt und gemeinsam mit den Beteiligten analysiert und interpretiert. Erhebung und Auswertung der Daten dienen vor allem dazu, den Betroffenen einen neuen Referenzrahmen der Diskussion zu vermitteln, nicht jedoch der Beurteilung und Bewertung der vorgefundenen Situation durch die Forscher. Auf diese Weise werden bekannte Sachverhalte oft in neue Zusammenhänge gestellt, die Beteiligten gewinnen neue Erkenntnisse über sich und das Untersuchungsfeld, die in den darauffolgenden Handlungsprozess einfließen. Durch dieses Verfahren sollen in einem gemeinsamen Lern- und Problemlöseprozess von Forschern und Klienten gleichzeitig Wissen und Aktion entwickelt werden: Klienten entwickeln neue Einsichten und Fähigkeiten, Forscher können zu neuen Erkenntnissen und Theorien gelangen und es werden Veränderungen der Situation durchgeführt. Hinsichtlich der methodischen Ansätze bestehen enge Verbindungen zum Konzept der Organisationsentwicklung als einer spezifischen Form des geplanten organisatorischen Wandels (French & Bell, 1994; Rosenstiel et al., 1995; Sievers, 1978). Es werden Methoden angewandt, die einen Reflexionsprozess bei den Betroffenen in Gang setzen und fördern. Hierzu gehören vor allem qualitative Forschungsmethoden wie Interviews oder teilnehmende Beobachtung, aber auch quantitative Ansätze wie Fragebogenerhebungen oder kontrollierte Experimente. Wesentlicher Bestandteil von Aktionsforschung ist dabei die Rückmeldung der erhobenen Daten an die Untersuchungsteilnehmer (Survey-Feedback, siehe Kap. 4.3.1). Die Teilnehmer prüfen und bewerten die Informationen und entwickeln darauf aufbauend selbst Veränderungsvorschläge. Dieses Herangehen wurde von uns in der Zusammenarbeit sowohl mit Mitarbeitern und Führungskräften des Verwerterunternehmens als auch mit den Konstrukteuren beim Hersteller angewandt.

a&o research GmbH

22

Wissenschaftlicher und technischer Stand

4.2.2

Qualifizierende Arbeitsgestaltung

Bei der Arbeit mit Menschen und Organisationen folgen wir außerdem vier Prinzipien, die mit dem Konzept der Qualifizierenden Arbeitsgestaltung (QAG) (Frei et al., 1996) verbunden sind. Für den erfolgreichen Verlauf von Veränderungs- und Gestaltungsprozessen in Unternehmen müssen demnach die folgenden Prinzipien beachtet werden: Beteilige die Betroffenen (Partizipation)



Um Veränderungen erfolgreich umzusetzen, müssen diejenigen, die von den Veränderungen betroffen sind und sie in konkretes Verhalten umsetzen sollen, an der Konzeption und Gestaltung dieser Veränderungen beteiligt werden. Knüpfe (unvoreingenommen) an die Kräfte an, die Du vorfindest



(Judoprinzip) Wichtig ist es, nach Kräften in einer Organisation zu suchen, die eine Veränderung voranbringen können. Es hat den Vorteil, dass die wirklichen Bedürfnisse der Organisation und ihrer Mitglieder die treibende Kraft für Veränderungen bilden und nachhaltig wirken. Es gibt nicht den einen besten Weg (Heuristisches Vorgehen)



Keine Lösung ist so gut, dass sie einfach übertragbar wäre. Die betroffenen Menschen sind immer wieder andere, sie müssen an der Lösung beteiligt werden und sie zu ihrer eigenen machen. Es gibt keine individuelle ohne systemische Entwicklung (Doppelhelix)



Will man nachhaltige Entwicklungs- und Lernprozesse erreichen ist eine enge Verzahnung von Personal- und Organisationsentwicklung, von individueller und systemischer Veränderung notwendig. Dabei ist unerheblich, wo ein Vorgehen ansetzt, ob an der Entwicklung von Personen oder der Veränderung der Organisation. Das eine muss jedoch seine Wiederspiegelung im jeweils anderen finden.

4.3

Interventions- und Gestaltungsverfahren

Bei der Gestaltung der Personal- und Organisationsentwicklung nutzten wir ein breites Repertoire an Methoden, deren Einsatz und Wirkungsmöglichkeiten in den Ergebniskapiteln beschrieben werden. Hier geben wir eine kurze Beschreibung der Verfahren in ihrer allgemeingültigen Form. Generell sind die von uns genutzten Interventions- und Gestaltungsverfahren qualitative Methoden der Sozialforschung. Qualitative Methoden der Sozialforschung besitzen ihr Potential im Erkennen der "mannigfachen Wirklich-

a&o research GmbH

23

Wissenschaftlicher und technischer Stand

keiten" menschlichen Handelns und sind für die Gestaltung konkreter Arbeitsprozesse und Organisationstrukturen bzw. -formen besonders gut geeignet (Flick et al., 1991). 4.3.1

Survey- Feedback

Survey-Feedback-Verfahren beinhalten die (hypothesengestützte oder auch offene) Analyse einer Situation durch Experten und die Rückmeldung der Ergebnisse an die Teilnehmer der Analyse bzw. die Akteure des analysierten Systems. Diese Rückmeldung soll ein "neues Licht" auf die Situation werfen, um davon ausgehend eine Entwicklung der Organisation zu befördern. Wir wandten diese Methode z.B. in Form der Organisationsdiagnose und in Workshops zur Rückmeldung der Ergebnisse von Arbeitsanalysen (vgl. Kap. 4.2.1) an. 4.3.2

Reflexionsverfahren

Reflexionsverfahren beinhalten ausschließlich eine Darstellung existierender Situationen, Verhaltensweisen und Annahmen aus der eigenen oder auch fremden Perspektive. Sie dienen dem Erkennen eigener Logiken, "blinder Flecken", impliziter Vorannahmen. Das Ziel dieser Methoden besteht in der Förderung selbstorganisierten Lernens und selbstbestimmter Organisationsentwicklung. Wir setzten die Reflexionsmethoden •

Mapping (bildliche Darstellung der Situation),



hypothesengestütztes Fragen (erfahrungsgeleitetes Fremdbild),



zirkuläres Fragen (Fragen nach unterschiedlichen Perspektiven) und



reflektierendes Team (Fremdbild eines Teams über die Situation mit Zuhören des Betroffenen) ein.

4.3.3

Die Konstrukt-Lege-Technik (KLT)

Die Konstrukt-Lege-Technik ist eine von der a&o research GmbH (Stieler-Lorenz, 1997) in Anlehnung an die Struktur-Lege-Technik (Scheele & Groeben, 1979) entwickelte Methode zur Rekonstruktion von subjektiven Vorstellungen. Dabei werden verbale Äußerungen in graphischen Bildern dargestellt. Anhand dieser Bilder erfolgt eine Auseinandersetzung mit eigenen Auffassungen und den Vorstellungen anderer zu einem bestimmten Thema und die Ableitung von Veränderungsnotwendigkeiten. Die KLT ist damit sowohl ein Analyse- als auch ein Interventionsverfahren, da der Prozess der Reflexion eigener und fremder Sichtweisen und Vorstellungen zum einen zur Modifikation eigener Auffassungen führt und zum anderen im gemeinsamen Diskussionsprozess Handlungserfordernisse und Maßnahmen für Veränderungen auf Person- und Organisationsebene abgeleitet werden.

a&o research GmbH

24

Wissenschaftlicher und technischer Stand

4.4 4.4.1

Erhebungsmethoden und Analyseverfahren Fragebogen zu Umwelt, Produktentwicklung und Recycling

Um die Einstellungen zu kreislaufgerechter Produktentwicklung von Verwertern und Konstrukteuren zu erfassen, wurde ein spezifischer "Fragebogen zu Umwelt, Produktentwicklung und Recycling" entwickelt (Grau, 1999). Mit ihm wurden die Einstellungen von Konstrukteuren und Verwertern bzw. Kreislaufberatern zur Umweltthematik im Allgemeinen und zu Aspekten umwelt- und kreislaufgerechter Produktentwicklung im Besonderen erhoben. Die Befragten sollten zudem einschätzen, wie Mitglieder der jeweils anderen Gruppe den Fragebogen beantworten würden, um so die bei der anderen Gruppe vermutete Einstellung im Sinne des Bildes vom Anderen zu erfassen. Der Fragebogen zu Umwelt, Produktentwicklung und Recycling ist im Anhang dargestellt. 4.4.2

Problemzentrierte Interviews

Problemzentriertes Interview nennt man eine Form der offenen, halbstrukturierten Befragung, die auf eine bestimmte Problemstellung (hier z.B. kreislaufgerechte Produktentwicklung) zentriert ist, bei der die Befragten aber möglichst frei zu Wort kommen. Die Problemstellung wird vom Untersucher bereits vorher analysiert, bestimmte Aspekte werden in einem Interviewleitfaden zusammengestellt und im Gesprächsverlauf angesprochen (Mayring, 1990). Ein wichtiges Merkmal der Interviewdurchführung ist die Offenheit (Mayring, 1990, S. 47). Der Interviewte soll frei antworten können, ohne vorgegebene Antwortalternativen. Vorteile sind, dass der Befragte seine subjektiven Perspektiven und Deutungen offenlegen kann und selbst Zusammenhänge, größere kognitive Strukturen im Interview entwickeln kann. Durch dieses Vorgehen soll auch eine Vertrauensbeziehung zwischen Interviewer und Befragtem begründet werden, der sich ernst genommen und nicht ausgehorcht fühlen soll. Der Befragte wird als Kooperationspartner am Forschungsprozess beteiligt. Diese Erhebungsmethode wurde sowohl im Schwerpunkt 1 (Personal- und Organisationsentwicklung im Verwertungsunternehmen) als auch im Schwerpunkt 2 (Informations- und Kommunikationsbeziehungen in der Kreislaufwirtschaft) angewendet. 4.4.3

Inhaltsanalyse

Inhaltsanalytische Verfahren (Mayring, 1993) dienen der Auswertung von Interviews und verbalen Äußerungen. Unterschiedliche inhaltsanalytische Vorgehensweisen ermöglichen sowohl qualitative Beschreibungen der Interviewaussagen (zusammenfasa&o research GmbH

25

Wissenschaftlicher und technischer Stand

sende Inhaltsanalyse) als auch quantitative Auswertungen von Interviews (strukturierende Inhaltsanalyse). Die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews mit Kontsrukteuren und Kreislaufberatern wurde mit Hilfe des Compterprogramms ATLAS/ti durchgeführt. 4.4.4

Das Tätigkeitsbewertungssystem (TBS)

Das Tätigkeitsbewertungssystem (TBS), das von Hacker et al. (1995) entwickelt wurde, ist ein objektives Verfahren zur Analyse und Bewertung von Arbeitstätigkeiten hinsichtlich ihrer Gesundheits- und Persönlichkeitsförderlichkeit. Die Ergebnisse sind Einschätzungen und Bewertungen von ausgebildeten Experten der Analyse. Das TBS kann eingesetzt werden, um den IST-Stand der Arbeitsgestaltung zu erheben und deren Verbesserungsbedürftigkeit zu bewerten. Das Verfahren mit breiter Merkmalspalette ermöglicht zudem die Ableitung von Gestaltungsempfehlungen. 4.4.5

Die Subjektive Arbeitsanalyse (SAA)

Die Subjektive Arbeitsanalyse (SAA) wurde 1980 von Udris und Alioth entwickelt und wird zur Erfassung der von den Beschäftigten subjektiv wahrgenommen Arbeitssituation eingesetzt. Die konzeptionelle Grundlage des Verfahrens liegt in der Ermittlung der Entfremdung und der Beanspruchung der Beschäftigten in einem Unternehmen.

a&o research GmbH

26