Menschenrechte in der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Beispiele aus der Praxis

Menschenrechte in der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Beispiele aus der Praxis Herausgegeben von: Inhaltsverzeichnis Einführung 3...
Author: Linda Kaiser
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Menschenrechte in der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Beispiele aus der Praxis

Herausgegeben von:

Inhaltsverzeichnis Einführung

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Politisch-bürgerliche Menschenrechte stärken

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Sri Lanka: Demokratische Strukturen in Lokalregierungen stärken Sambia: Menschenrechte als Hebel in der zivilgesellschaftlichen Lobbyarbeit nutzen Guatemala: Entwicklung durch gute kommunale Regierungsführung Kolumbien: Zugang zu Justiz für alle Ägypten: Durch Bürgerbeteiligung städtische Armut überwinden

Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken Kambodscha: Eine Charta für die Rechte von Patienten Malawi: Grundbildung auch für Schulabbrecher/-innen Kenia: Das Recht auf Wasser auch für die Ärmsten in Städten einlösen Indien: Staatlich finanzierte Gesundheitsdienste für Arme Liberia: Im Wiederaufbau Menschenrechte fördern Sri Lanka: Menschenrechtsbildung für Schüler/-innen Kenia: Gesundheit für alle ohne Diskriminierung

Wirtschaftliche Menschenrechte stärken Namibia: Landreform sichert Recht auf Nahrung Bangladesch: Arbeitsrechte für Textilarbeiterinnen Kolumbien: Menschenrechtsfortbildung für Unternehmen MENA-Region: Wirtschaftliches Empowerment von Frauen

Die Rechte benachteiligter Gruppen stärken Kambodscha: Geschlechtsspezifische Gewalt überwinden Nicaragua: Mit Kunst Jugendgewalt vorbeugen Togo: Rechte von Menschen mit Behinderung stärken Philippinen: Stärkung der Land- und Ressourcenrechte indigener Völker Mauretanien: Zusammen mit Imamen gegen weibliche Genitalverstümmelung Bangladesch: Menschenrechte auch für Gefängnisinsassen Burkina Faso: Kampf gegen Kinderarbeit und Kinderhandel Pakistan: Integration afghanischer Flüchtlinge

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Menschenrechtsinstitutionen auf nationaler und regionaler Ebene stärken

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Afrika überregional: Stärkung des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte Afghanistan: Mit der Menschenrechtskommission Chancengleichheit fördern Kenia: Unterstützung der nationalen Menschenrechtskommission Peru: Durch Stärkung der Ombudsbehörde Ressourcenkonflikte bearbeiten

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Anhang 1 – Menschenrechte auf einen Blick Anhang 2 – Weiterführende Informationen

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Einführung Menschenrechte sind Leitprinzip der deutschen Entwicklungspolitik. Dies ist die Grundlage des im Mai 2011 verabschiedeten Menschenrechtskonzepts des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das heißt: In allen Kooperationsländern und allen thematischen Schwerpunkten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) will das BMZ spürbar zur Umsetzung der Menschenrechte beitragen. In Ländern, in denen die direkte Zusammenarbeit mit staatlichen Partnern nicht möglich ist, wird dabei vor allem über die kirchlichen Hilfswerke, politischen Stiftungen und andere Nichtregierungsorganisationen (NRO) die Zivilgesellschaft gestärkt, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und demokratische Reformen voran zu bringen. Menschenrechte sind universell und unteilbar. Sie gelten für alle – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung. Das BMZ hat sich zum Ziel gesetzt, dass möglichst alle Vorhaben der deutschen EZ einen Beitrag zur Stärkung von Menschenrechten leisten – seien es politisch-bürgerliche oder wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (MainstreamingAnsatz). Denn ob Chancengleichheit für Frauen, Land- und Wasserrechte für Indigene, bezahlbare Gesundheitsdienste oder Zugang zu Bildung für Arme – in allen sektoralen Schwerpunkten der deutschen EZ spielen Menschenrechte eine Rolle: Sie bieten rechtlich bindende Mindeststandards und strategische Leitplanken für die Ausgestaltung der Arbeit. Bei der Konzipierung aller Entwicklungsprogramme werden Menschenrechte systematisch mitgedacht, d. h. Fördermöglichkeiten optimal genutzt und mögliche negative Auswirkungen ausgeschlossen. Ein besonderes Augenmerk gilt

dabei den Rechten benachteiligter Gruppen, wie indigenen Völkern, Frauen, jungen Menschen, Menschen mit Behinderungen, oder sexuellen Minderheiten. Veränderungsprozesse im Menschenrechtskontext sind langfristig angelegt. Programme der staatlichen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit können und wollen primär die Partnerregierungen bei der Erfüllung ihrer Menschenrechtspflichten unterstützen. Um Menschenrechte gezielt zu stärken, werden nationale und regionaler Menschenrechtsinstitutionen, z. B. Ombudsbehörden oder Menschenrechtsgerichtshöfe über spezifische Projekte gefördert. Diese Publikation stellt erfolgreiche Praxisbeispiele aus der deutschen bilateralen – technischen und finanziellen – Entwicklungszusammenarbeit vor, die in innovativer Form zur Achtung, zum Schutz und zur Gewährleistung von Menschenrechten beitragen. Die Programme aus unterschiedlichen Regionen und Ländern der Welt zeigen die Vielfalt der entwicklungspolitischen Arbeit. Die Vorhaben richten sich an ein breites Spektrum von Zielgruppen, wie Jugendliche in Nicaragua oder Frauen mit häuslicher Gewalterfahrung in Kambodscha. Sie arbeiten mit unterschiedlichen staatlichen und nichtstaatlichen Partnerinstitutionen, z. B. dem Gesundheitsministerium in Indien, der nationalen Menschenrechtskommission in Afghanistan, Netzwerken von Nichtregierungsorganisationen in Afrika oder dem Industrieverband in Bangladesch. Eines aber ist allen Projekten gemeinsam: Sie tragen zur Umsetzung der Menschenrechte bei. Nur so hat nachhaltige Entwicklung eine Chance.

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Politisch-bürgerliche Menschenrechte stärken

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Politisch-bürgerliche Menschenrechte stärken

Sri Lanka Demokratische Strukturen in Lokalregierungen stärken Sri Lanka hat einen dreißig Jahre dauernden Bürgerkrieg hinter sich. Besonders im kriegsgezeichneten Osten und Norden des Landes mit überwiegend tamilischer Bevölkerung muss die Infrastruktur dringend verbessert werden. Es mangelt unter anderem an Bildungseinrichtungen und einer angemessenen Wasserversorgung. Da es in Sri Lanka aber keine staatlichen Einrichtungen gibt, bei denen die Bürger/-innen ihre Beschwerden vortragen könnten, sind Spannungen und Konflikte die Folge. Die Verwaltungsbeamten auf lokaler Ebene sind wiederum nicht ausreichend sensibilisiert und geschult, um verantwortungsvoll mit den Bedürfnissen und Problemen der Bevölkerung umzugehen. Im Auftrag des BMZ unterstützt die GIZ die lokalen Verwaltungen dabei, ein Bewusstsein für bürgernahe Demokratie zu schaffen und diese auch in die Praxis umzusetzen. Das Augenmerk liegt hier besonders auf den Regionen mit marginalisierten und vom früheren Bürgerkrieg betroffenen Menschen im Norden und Osten Sri Lankas. Ganz oben auf der Agenda steht die Einführung eines funktionierenden Beschwerdesystems (‚Public Redress System‘) in den lokalen Behörden mit entsprechender Fortbildung der Kommunalbeamten. In einem standardisierten Register halten die Beamten nun Anfragen oder Beschwerden von Bürger/-innen fest, gehen diesen nach und versuchen gegebenenfalls, auch durch Gespräche mit den Beschwerdeführenden die Missstände zu beheben. Dabei geht es um Themen wie Landstrei-

© GIZ / Walter Keller

tigkeiten, Umweltverschmutzung, Infrastruktur oder unzulängliche Bürgerdienste. Erst nach erfolgreichem Abschluss dürfen die Beschwerden als ‚gelöst‘ im Register vermerkt werden. Das Beschwerdesystem funktioniert mittlerweile in 66 von 79 lokalen Verwaltungen in den Nordost-Gebieten, in denen vor allem Tamilen leben. So hat beispielsweise die Stadtverwaltung in der östlichen Hafenstadt Batticaloa über 80 Beschwerden angenommen, die mit der unzureichenden Kanalisation zusammenhängen. Daraufhin wurde einer der wichtigsten Abwasserkanäle in Puliyantheevu Island repariert, so dass während der Regenzeit nun weitaus weniger Häuser überflutet werden. In den ehemaligen Kriegsgebieten löst das Beschwerdesystem auch nachbarschaftliche oder interethnische Konflikte. Eine Analyse von 2800 Beschwerdefällen aus dem Jahr 2011 in den Regionen Jaffna und Batticaloa ergab, dass 60 % der Fälle erfolgreich gelöst wurden. Ein großer Anteil der Beschwerden wurde dabei von Frauen vorgetragen. Die Hälfte der Anfragen hatte mit gravierenden Mängeln in der Infrastruktur und umweltrelevanten Problemen wie schlechter Abfallbeseitigung zu tun. Das Beschwerdesystem schafft Voraussetzungen für eine demokratische Verwaltungsstruktur, in der auch die marginalisierten Bevölkerungsgruppen als Bürger mit Menschenrechten ernst genommen werden. Sie können nun gegenüber geschulten Beamten ihre Interessen besser vortragen, damit diese an einer konkreten Lösung arbeiten.

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Politisch-bürgerliche Menschenrechte stärken

Sambia Menschenrechte als Hebel in der zivilgesellschaftlichen Lobbyarbeit nutzen Obwohl Sambia eine bemerkenswerte demokratische Tradition vorweisen kann und viele internationale und regionale Menschenrechtsverträge unterzeichnet hat, setzt der Staat diese nur unzureichend um. So hat die Zivilgesellschaft bisher nur geringe Möglichkeiten, an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Aber gerade Transparenz und Rechenschaft seitens der Regierungsinstanzen gehören zu jenen menschenrechtlichen Grundprinzipien, die verantwortungsvolles staatliches Handeln und nachhaltige Reformen möglich machen. Sie haben besonders auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte – wie das Recht auf Gesundheit, Bildung oder Wasser – Einfluss. Hier setzt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit an: Im Auftrag des BMZ führt die GIZ in Sambia ein Vorhaben durch, das Nichtregierungsorganisationen (NROs) und zivilgesellschaftliche Netzwerke stärkt. Gesellschaftliche Interessen werden dadurch gebündelt und produktiv in politische Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse eingebracht. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Menschenrechte sind expliziter Teil der Beratung, so dass die Partnerorganisationen diese effektiv in ihrer Advocacy-Arbeit nutzen können. Denn bisher sind weder die Bevölkerung noch die NROs über die relevanten menschenrechtlichen Standards (z. B. das Recht auf Bildung oder das Recht auf Gesundheit) ausreichend informiert und können sie deshalb auch nicht als rechtlich bindende Leitplanken für staatliches Handeln in Wert setzen.

© Manfred Wichmann

Entwicklungshelfer/innen und nationale Fachkräfte arbeiten hierzu u. a. intensiv mit der Partnerorganisation „Zivilgesellschaft für Armutsreduzierung“ (CSPR) zusammen. CSPR hat mit dem Budget Tracking and Service Delivery Monitoring Barometer ein innovatives Instrument entwickelt, mit dem lokale Gemeinden die Qualität staatlicher Dienstleistungen bewerten und überwachen. Sie geben regelmäßig Rückmeldungen an die Verantwortlichen in den Sektoren Gesundheit, Bildung, soziale Sicherung, Landwirtschaft, Wasser, Sanitärwesen und Infrastruktur. Durch die menschenrechtliche Beratung der GIZ konnte CSPR das Barometer weiterentwickeln und ihre Position gegenüber den staatlichen Dialogpartnern stärken. Hierzu nahmen in 2011 etwa 200 Vertreter/innen lokaler Gemeinden an Trainings teil, in denen ihnen wesentliche Inhalte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in der jeweiligen Lokalsprache näher gebracht wurden. CSPR leistet kontinuierliche und engagierte Lobbyarbeit für die Erhöhung der Sozialausgaben, vor allem im Bildungs- und Gesundheitssektor. Bei der Vorstellung des Haushalts für 2012 sicherte der sambische Finanzminister nun erstmals eine progressive Steigerung des Gesundheitshaushalts zu. Damit kommt der Staat seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen ein Stück näher.

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Politisch-bürgerliche Menschenrechte stärken

Guatemala Entwicklung durch gute kommunale Regierungsführung Guatemala hat über dreißig Jahre lang unter einem Bürgerkrieg gelitten. Die Bevölkerung musste Massaker durch Todesschwadrone ertragen, zudem haben korrupte Justiz- und Sicherheitsbehörden das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert. Man schätzt, dass über 200.000 Menschen Opfer dieses Konflikts wurden. Von den offiziell registrierten 43.000 Toten gehören 85 % der indigenen Bevölkerung an. Mangelnde Solidarität untereinander, Diskriminierung der indigenen Bevölkerung und ein tiefes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen gehören zur schweren Erbschaft einer Gesellschaft, die über Jahrzehnte von Gewalterfahrungen geprägt war. Das Friedensabkommen von 1996 sieht vor, dass Guatemala einen Wandel zu einem funktionierenden Rechtsstaat vollzieht. Damit allerdings eine Entwicklung möglich ist, die auf Menschenrechten und Nachhaltigkeit begründet ist und der indigenen Bevölkerung einen gleichberechtigten Platz einräumt, sind große, konzentrierte Anstrengungen von Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft nötig. Denn schwache staatliche Institutionen waren bislang nicht in der Lage, ihre Aufgaben als öffentliche Dienstleister wahrzunehmen. Um das Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürgerschaft positiv zu verändern, finanzieren die deutsche und die schwedische Regierung in 35 guatemaltekischen Gemeinden das Programm „Lokale Entwicklung durch gute kommunale Regierungsführung“. Die Durchführung liegt bei der GIZ im Auftrag des BMZ.

© Photothek.net / Thomas Koehler

Besonders berücksichtigt werden die vom Konflikt am stärksten betroffenen Regionen und die indigene Bevölkerung. Die GIZ hat in verschiedenen ländlichen Gemeinden Büros aufgebaut, die vor allem unterprivilegierte Gruppen fördern. Angewandte Menschenrechte verbessern hier spürbar die Lebensbedingungen der Bevölkerung. So haben in den Regionen, in denen die deutsche Entwicklungszusammenarbeit aktiv ist, jetzt 54.000 Menschen gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser, weil die kommunalen Verwaltungen nun ihren Pflichten als öffentliche Dienstleister in der Wasserversorgung nachkommen und über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen. Angehörige der indigenen Bevölkerung erhalten muttersprachliche Informationen, die sie über ihre Rechte aufklären. Die Behörden bearbeiten Anträge von Bürger/-innen jetzt deutlich zügiger und die Qualität der öffentlichen Leistungen hat sich spürbar verbessert. Zudem übernehmen die Gemeindeverwaltungen Verantwortung für ihre Aufgaben und lassen Respekt gegenüber allen Einwohnern walten, unabhängig von Geschlecht oder Abstammung. Umgekehrt nimmt die Bevölkerung Behörden und Verwaltungen deutlich positiver wahr, seit sie am politischen Leben selbstbestimmt teilhaben kann.

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Politisch-bürgerliche Menschenrechte stärken

Kolumbien Zugang zu Justiz für alle Kolumbien leidet seit über 60 Jahren unter einem bewaffneten Konflikt. Die Gewalt hat Tausenden von Menschen das Leben gekostet und machte mehr als vier Millionen zu Binnenvertriebenen. Die Verfassung von 1991 kennzeichnet den kolumbianischen Staat als einen Rechtsstaat. Das bedeutet formal, dass jeder sein Recht vor unabhängigen Gerichten durchsetzen kann. Der Zugang zur Justiz wird jedoch durch zahlreiche Hürden erschwert. Zum einen arbeitet die Justiz ineffizient wegen einer unübersichtlichen Rechtslage. Das führt zu einer der weltweit längsten Verfahrensdauern. Auch die Justiz selbst trägt dazu bei, indem sie z. B. gleiche Fälle ungleich behandelt. Dadurch wird die Bevölkerung in zweierlei Hinsicht benachteiligt: durch schwere Menschenrechtsverletzungen, die auf den bewaffneten Konflikt zurück zu führen sind, sowie durch die Schwierigkeit, ihre Rechte in einem fairen und zügigen Verfahren wiederzuerlangen. Langfristig führt der prekäre Zugang zur Justiz zu einem Vertrauensverlust in den Staat und seine Mechanismen der Konfliktlösung. Ohne ungehinderten Zugang zu Justiz kann ein Opfer weder seine Rechte durchsetzen, noch Ersatz für erlittenen Schaden erhalten. Die systematische Behinderung im Zugang zur Justiz stellt somit eine Verletzung elementarer Menschenrechte dar. Um diese in Zukunft auszuschließen, greifen die sogenannten guarantees of nonrepetition: eine Palette von Maßnahmen, um die Quelle der systematischen Rechtsverletzung trocken zu legen. Hier setzt das Programm der

© Photothek.net / Thomas Imo

GIZ an, das im Auftrag des BMZ Kolumbien in seiner Entwicklung hin zu einem Rechtsstaat unterstützt. Die Leistungen des Vorhabens umfassen ein breites Spektrum. Die Obersten Gerichte werden u. a. in einer effizienteren Gestaltung ihrer Arbeitsabläufe beraten und deren Personal fortgebildet. Das Justizministerium und der Gesetzgeber werden darin beraten, die Effizienz der Arbeitsabläufe durch Verfahrensgesetze abzusichern. Das Amt des Prokurators und der Ombudsperson werden dabei unterstützt, Instrumente zu entwickeln und anzuwenden, um die rechtmäßige Umsetzung der Entschädigungsgesetze zu überwachen, die zugunsten der Opfer des bewaffneten Konflikts bestehen. Zu den erzielten Wirkungen gehört die Minderung der Dauer eines gesamten Instanzenzuges (vom Eingangsgericht bis zum Obersten Gericht) von durchschnittlich 21 Jahren auf ca. 13 Jahre (in Deutschland 8 Jahre) sowie die Steigerung der Anzahl der Urteile pro Jahr um mehr als 90 %. Innerhalb von zwei Jahren nach Einführung einer gerichtsnahen Mediation werden ca. 60 % mehr Verfahren im vorgerichtlichen Wege abgeschlossen. Empfehlungen des Amts des Prokurators zur zügigen Entschädigung von Opfern wurden von der zuständigen staatlichen Stelle aufgegriffen. Insgesamt hat die Bevölkerung durch das Vorhaben ein deutlich größeres Vertrauen in die Justiz gewonnen und fühlt sich zunehmend ermutigt, ihre Belange gerichtlich geltend zu machen.

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Politisch-bürgerliche Menschenrechte stärken

Ägypten Durch Bürgerbeteiligung städtische Armut überwinden Ägyptens Städte wachsen rapide, meist jenseits staatlicher oder kommunaler Planung. Im Großraum Kairo leben heute rund 20 Millionen Menschen. Etwa 60 % der Bevölkerung von Kairo wohnt in informellen Stadtvierteln, die sich die Bewohner selber erschlossen haben – ohne Baugenehmigung und öffentliche Infrastruktur. In diesen dicht besiegelten Stadtteilen fehlt es an vielem, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht: nutzbare Freiflächen, soziale Dienstleistungen, Zugang zu Trinkwasser, Abwasser- und Abfallentsorgung. Die Bewohner sind meist arm, mit niedrigem formellem Bildungsstand. Das Verhältnis der Bevölkerung gegenüber der lokalen Verwaltung war vor den politischen Veränderungen in 2011 von Misstrauen geprägt. Nun erwarten die Menschen eine rasche Verbesserung ihrer Lebensumstände. Das partizipative Programm, das die GIZ im Auftrag des BMZ durchführt, setzt auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene an. In ausgewählten informellen Stadtvierteln Kairos und Gizas tragen die Bewohner in Gruppendiskussionen ihre dringendsten Bedürfnisse zusammen und entwickeln Ideen für konkrete Kleinmaßnahmen. Auf lokaler Ebene sind Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten an der Planung und Umsetzung von Maßnahmen beteiligt. So haben informelle Müllarbeiter/-innen gemeinsam mit dem Personal der öffentlichen Verwaltung und den Bewohnern des Viertels Qalyubeya ein Konzept für eine verbesserte Müllentsorgung entwickelt. Breit angelegte Sensibilisierungskampagnen tragen zudem dazu bei, dass die Menschen

© GIZ / Claudia Wiens

ihr Verhalten im Umgang mit Abfall ändern und sich am Recycling beteiligen. Dieses Konzept kann auf andere Stadtgebiete vorbildlich übertragen werden. Auf kommunaler Ebene verbessern die Verwaltungen in ausgewählten Vierteln Kairos ihre Dienstleistungen durch beteiligungsorientierte Verfahren. Die Bewohner der informellen Stadtviertel geben dabei selber vor, welche Maßnahmen für sie am wichtigsten sind, um ihre Lebensqualität anzuheben. Auf regionaler Ebene beraten die Abteilungen „Städtische Verbesserungen“ sämtliche Verwaltungshierarchien zur Entwicklung der informellen Stadtgebiete. Hierunter fallen Verbesserungen von Gesundheitseinrichtungen und Schulen, eine ausreichende Straßenbeleuchtung oder die Verschönerung öffentlicher Plätze. Bei diesem komplexen Aufgabenfeld ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Staat und Zivilbevölkerung überaus wichtig. Mittlerweile ist der Ansatz der partizipativen Stadtentwicklung Teil des nationalen politischen Diskurses geworden. Die lange vernachlässigte Bevölkerung der städtischen Armutsgebiete wird nun als ernstzunehmender Teil der Gesellschaft wahrgenommen, der seine Bedürfnisse und Rechte artikuliert und entsprechende Veränderungen mitgestaltet.

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Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken

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Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken

Kambodscha Eine Charta für die Rechte von Patienten Wer in Kambodscha krank wird und kein Geld hat, hat ein Problem. Unterbezahlte Ärzte und Pflegekräfte, unmotiviertes und schlecht ausgebildetes Personal, Diskriminierung insbesondere armer Patienten und zu wenig Medikamente charakterisieren die Lage an den öffentlichen Krankenhäusern und Gesundheitszentren in Kambodscha. Gesundheit ist ein Menschenrecht. So steht es auch in der Verfassung Kambodschas. Oft aber kennen weder Patienten noch Gesundheitsdienstleister ihre Rechte und Pflichten. Seit 2003 fördert das BMZ ein breit angelegtes Gesundheitsprogramm in Kambodscha. Ziel ist es, die öffentliche Gesundheitsversorgung effektiver und für die Bevölkerung zugänglicher zu machen. Aus einem intensiv geführten Dialog mit Gesundheitsministerium, Ärzteverbänden, Patientenvertretungen und Menschenrechtsorganisationen ging die gemeinsam getragene „Charta über die Rechte der Patienten und Pflichten der Gesundheitsdienstleister“ hervor. Die Charta klärt Patienten über ihre Rechte auf, beispielsweise gleicher Zugang, Recht auf Information, Vertraulichkeit und Schutz der Privatsphäre. Gleichzeitig soll sie dazu beitragen, die Berufsethik der Gesundheitsversorger zu verbessern. Die Wirkung ist spürbar: Das Gesundheitspersonal behandelt seit der Bekanntmachung dieser Charta die Armen professionell und mit mehr Respekt. Die Dienstleistungsqualität hat sich deutlich verbessert. Patienten entwickeln wieder Vertrauen und besuchen öffentliche Kliniken. Ein Glücksfall auch für die Einrichtungen: Sie profitieren von höheren Einnahmen, und können diese teilweise als Bonus unter den Mitarbeitern verteilen.

© GIZ / Bernd Schramm

Seit 2009 legt das BMZ den Schwerpunkt auf die Verbesserung der sozialen Absicherung im Krankheitsfall, um den Zugang vor allem der Armen zu Gesundheitsdiensten zu verbessern. Ein nationaler Standard zur Messung der Kundenzufriedenheit wurde mithilfe der GIZ entwickelt und landesweit eingesetzt. Die Maßnahmen zeigen bereits Wirkung. In den Provinzen, in denen die deutsche EZ tätig ist, liegt die Kundenzufriedenheit bei über 85%. Die Aktivitäten zur Bewusstseinsänderung in Verbindung mit Personalfortbildung und Infrastrukturmaßnahmen haben die Gesundheitsversorgung stark verbessert. Prüfungen zeigen, dass 90% der unterstützten Einrichtungen in den beiden Provinzen Kampot und Kampong Thom die Qualität ihrer Dienstleistungen nachweislich verbessert haben. Überdies schützt die Mitgliedschaft in der lokalen Krankenversicherung rund ein Viertel der Provinzbevölkerung - über die Hälfte Frauen - vor Verschuldung und Verarmung im Falle einer schweren Krankheit. Auch die verstärkte Einbindung der dezentralen Verwaltungsebene in die Gesundheitsaktivitäten zahlt sich aus. Patientenrechte zu fördern und Beschwerdemechanismen einzurichten ist inzwischen ein Anliegen der gewählten kommunalen Vertreter. Die erhöhte Rechenschaftspflicht und die finanziellen Anreize durch eine leistungsorientierte Vergütung haben zur Folge, dass das Gesundheitspersonal stärker auf die Kunden eingeht. Dadurch wird das Gesundheitssystem nachhaltig gestärkt und der Zugang zu angemessenen und erschwinglichen Leistungen für arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen weiter verbessert.

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Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken

Malawi Grundbildung auch für Schulabbrecher/-innen Der Zugang zu kostenloser Grundbildung gehört zu den Menschenrechten. Auch in Malawi hat dem Gesetz nach jeder die Möglichkeit, acht Jahre lang kostenfrei eine Schule zu besuchen. Aber längst nicht in allen Regionen gibt es genug Schulen, zudem mangelt es an qualifiziertem Lehrpersonal. Vor allem Kinder aus schwer erreichbaren oder marginalisierten Gruppen können ihr Recht auf eine solide Grundschulbildung nicht wahrnehmen. Dazu zählen insbesondere Kinder aus armen Haushalten und entlegenen Gegenden sowie Waisen. Wer es in Malawi trotz widriger Umstände schafft, eine Schule zu besuchen, erreicht nur in den seltensten Fällen den Abschluss nach acht Jahren. 70 % aller Kinder brechen den Schulbesuch vorzeitig ab. Seit 2005 finanziert das BMZ ein von der GIZ gemeinsam mit dem malawischen Bildungsministerium durchgeführtes Programm zur außerschulischen Grundbildung. Davon profitieren vor allem Schulabbrecher/-innen oder Kinder, die in wenig zugänglichen Regionen leben und nie zur Schule gegangen sind. Landesweit stehen inzwischen 600 außerschulische Zentren Kindern zwischen 9 und 13 Jahren offen. Bei genügend freien Plätzen können auch ältere Jugendliche an dem Unterricht teilnehmen. Um den Bedürfnissen von Kindern ohne Lernerfahrung entgegenzukommen, wurde ein speziell auf sie zugeschnittener Lehrplan entwickelt. Der Unterrichtsstoff der Grundschulbildung verkürzt sich von fünf auf drei Jahre, die Inhalte sind an die Lebenswirklichkeit der marginalisierten Kinder angepasst. An

© GIZ / Arjen van de Merwe

oberster Stelle steht die Schreib-, Lese- und Rechenfähigkeit in der Muttersprache, zudem erhalten die Schüler/-innen alltagstaugliches Praxiswissen über gesunde Ernährung, Staatsbürgerkunde und Landwirtschaft. Damit die Lehrkräfte ihre neuen Aufgaben bewältigen können und den Spezial-Unterricht auf interessante und anspruchsvolle Weise vermitteln, nehmen sie an einer dreiwöchigen Zusatzausbildung teil. In regelmäßigen Fortbildungen und wöchentlichen Beratungen erhalten die Lehrer/innen weitere Qualifikationen für den Unterricht mit Schulabbrecher/-innen. Besonderer Wert wird auf die Erarbeitung von muttersprachlichem Lehrmaterial gelegt, weil sich die Schüler/-innen dadurch in ihrer kulturellen Identität anerkannt und gefördert fühlen. Bis 2010 haben landesweit bereits 10.000 benachteiligte Kinder und Jugendliche aus entlegenen Gegenden an dem Programm für Grundbildung teilgenommen. Damit leistet die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen Beitrag, zwei Menschenrechtsprinzipien zu erfüllen: Der Zugang zu Bildung muss für alle, auch für Randgruppen, möglich sein. Und Bildung muss angepasst sein an die spezifischen Bedürfnisse der Lernenden in ihrem sozialen und kulturellen Umfeld. Die Regierung Malawis hat das Pilotprogramm inzwischen in den Nationalen Bildungsgesamtplan integriert und weitet es selbstständig und mit eigenen Mitteln aus.

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Session III: Jobs and Labor Market Institutions

Kenia Das Recht auf Wasser auch für die Ärmsten in Städten einlösen Die Trinkwasserversorgung in Kenia ist schlecht. Vor allem eine Gruppe ist betroffen: die Armen in den Städten. Dicht gedrängt wohnen sie in Vierteln, die meist schneller gebaut wurden als die Wasser- und Abwasserleitungen. Wer sauberes Wasser will, hat oft keine andere Wahl, als sie den informellen Wasserverkäufern abzukaufen. Die aber verlangen so hohe Preise, dass sauberes Wasser für viele ein unerschwingliches Luxusgut bleibt. Ihnen bleibt nur, ihr Trinkwasser aus verschmutzten Flüssen zu holen, die oft Kilometer weit entfernt sind. Dadurch sterben viele Kinder an Durchfallerkrankungen. Dabei ist Wasser ein Menschenrecht: Die entsprechenden Organe der Vereinten Nationen haben festgelegt, dass jeder Mensch Zugang zu ausreichend bezahlbarem Trinkwasser in Laufentfernung und in angemessener Qualität haben muss. Damit Kenia dieses Ziel erreichen kann, berät die GIZ im Auftrag des BMZ die kenianische Regierung darin, seine Wassersektorreform systematisch am Menschenrecht auf Wasser auszurichten. Schließlich hat Kenia den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte schon vor vielen Jahren ratifiziert und sich damit zu ihrer Umsetzung verpflichtet.

© GIZ / Water Sector Reform Program Kenya

Wichtigstes Ziel der deutschen Unterstützung ist die zügige Versorgung der städtischen Armensiedlungen mit Trinkwasser. Aber Wasserleitungen sind teuer und ihre Verlegung braucht Zeit. Um die Lebensbedingungen kurzfristig zu verbessern, wurde deshalb ein dichtes Netz von Wasserkiosken eingerichtet. Dort können sich die Menschen mit Trinkwasser zu regulierten Preisen versorgen. Das begünstigt Geringverbraucher ohne Hausanschluss und macht Wasser selbst für die Ärmsten erschwinglich. Außerdem wurde ein Tarifsystem bei Hausanschlüssen entwickelt, wonach sich der Preis pro Liter mit steigender Verbrauchsmenge erhöht und die Kleinverbraucher subventioniert werden. Um die Mitsprache der betroffenen Menschen zu verbessern, wurde die Organisation von Wassernutzergruppen unterstützt und ein Beschwerdesystem bei den Wasserversorgern eingerichtet. Die kenianische Regierung hat eine Orientierung am Menschenrecht auf Wasser jetzt für alle Geber im Wassersektor vorgeschrieben und es 2010 sogar in seine neue Verfassung aufgenommen.

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Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken

Indien Staatlich finanzierte Gesundheitsdienste für Arme Damit das Menschenrecht auf Gesundheit verwirklicht werden kann, ist ein Gesundheitssystem notwendig, das für alle Menschen zugänglich, bezahlbar und zudem von guter Qualität ist. Obwohl die indische Regierung eine kostenlose Gesundheitsfürsorge vorsieht, scheitert es oft an der Umsetzung der Gesetzesbestimmungen. So muss die Bevölkerung 70 % aller Kosten für medizinische Versorgung und Betreuung selbst tragen. Kosten im Gesundheitssektor sind einer der Hauptgründe, warum Menschen trotz wirtschaftlichen Wachstums in Indien verarmen. Damit auch die arme Bevölkerung ihr Recht auf Gesundheit wahrnehmen kann und Zugang zu entsprechenden Dienstleistungen hat, initiierte die indische Regierung 2007 das nationale Krankenversicherungssystem Rashtriya Swasthya Bima Yojana (RSBY). Es soll Familien, die unter der Armutsgrenze leben, eine staatlich finanzierte Gesundheitsvorsorge ermöglichen. Die potenziellen Empfänger werden über die staatliche Krankenversicherung informiert, ihre Basisdaten mit Fingerabdruck auf einer elektronischen Smartcard gespeichert. Diese Smartcard deckt jeweils eine Familie mit bis zu 5 Personen im Haushalt ab und wird mit einem jährlichen Guthaben für medizinische Untersuchungen (ca.  450 € / Familie), inklusive einem Betrag für Krankentransporte aufgeladen (ca. 15 € / Jahr). Die Versicherten müssen lediglich eine einmalige Anmeldegebühr von 45 Cent bezahlen. Bei jedem Krankenhausbesuch

© GIZ / Deutsch-Indisches Programm zur Sozialen Sicherung

werden die anfallenden Kosten direkt von der Karte abgebucht. So muss die zum Teil analphabetische Bevölkerung keine komplizierten Formulare ausfüllen. Außerdem verringern Fingerabdruck und elektronischer Geldtransfer die Gefahr von möglichen Bestechungen. Seit 2008 unterstützt die GIZ – momentan durch das Deutsch-Indische Programm für soziale Sicherung – im Auftrag des BMZ die indische Regierung intensiv dabei, das RSBY-Programm auszubauen. Dazu gehören Beratungen in Versicherungs-, Medizin- und Strategiefragen und die Vorbereitung für die rechtlichen Rahmenbedingungen. Bis Mai 2012 aktivierten landesweit circa 31 Millionen Familien ihre Smartcards. So konnten inzwischen 3,9 Millionen Menschen aus den ärmsten Schichten einen staatlich finanzierten Krankenhausaufenthalt in Anspruch nehmen. Die Karte ist in ganz Indien in allen RSBY-registrierten staatlichen und privaten Krankenhäusern gültig. Besonders Menschen, die auf der Suche nach Arbeit mobil sein müssen und deshalb oft ihren Wohnort wechseln, profitieren von der flexibel anwendbaren Smartcard. Das System der bargeld- und papierlosen Smartcard gilt als vorbildliches Sozialversicherungssystem, und es wird diskutiert, die Karte auch für Renten- und Unfallversicherungen einzuführen

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Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken

Liberia Im Wiederaufbau Menschenrechte fördern Vierzehn Jahre Bürgerkrieg haben in Liberia bis heute Spuren hinterlassen. Trotz inzwischen stabiler politischer Verhältnisse zählt das Land noch immer zu den von Hunger und Mangelernährung am stärksten betroffenen Staaten Afrikas. Zudem wurden durch den Bürgerkrieg große Teile der Infrastruktur wie das Straßennetz, Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Brunnen und Verwaltungsgebäude zerstört.

in denen über 1.500 Schüler an Schulbildungskursen teilgenommen haben. Erwachsene können in speziellen Kursen verpasste Schulbildung nachholen und sich zudem Grundwissen über wirtschaftliche Alltagsaktivitäten aneignen.

Seit 2006 fördert das BMZ über die KfW Entwicklungsbank ein Reintegrations- und Wiederaufbauprogramm im stark vernachlässigten Südosten des Landes. Das Programm wird von der Welthungerhilfe in Kooperation mit den Nichtregierungsorganisationen (NRO) Ibis (Dänemark) und Medica Mondiale (Deutschland) umgesetzt und fördert eine produktivere Landwirtschaft sowie den Wiederaufbau der Infrastruktur. Weitere Maßnahmen der Finanziellen Zusammenarbeit (FZ) sind die psychosoziale Betreuung von Opfern sexueller Gewalt, die Ausbildung von Lehrpersonal und Alphabetisierungskampagnen, insbesondere für Jugendliche und Frauen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Programms bezieht sich auf die Rechte der Frauen. Während des Bürgerkriegs erlitten in Liberia rund 70 % aller Frauen sexuelle Gewalt; für sie ist der Schutz vor jeglicher Diskriminierung von besonderer Bedeutung. Bis heute ist häusliche Gewalt in der liberianischen Gesellschaft ein alltägliches Phänomen. Im Rahmen des Programms der Nichtregierungsorganisation „Medica Mondiale“ haben bislang über eintausend kriegstraumatisierte Frauen spezielle psycho-soziale Betreuung erhalten. Zudem können weibliche Opfer von Gewalt vorübergehend in einem „Safe House“ Schutz und Unterkunft bekommen. Im „Women and Girls Center“ haben bisher über hundert Frauen an Nähkursen oder Friseurausbildungen teilgenommen, durch die sie sich neue Einkommensmöglichkeiten schaffen konnten.

Besonders das Menschenrecht auf Bildung konnte die Bevölkerung bislang kaum in Anspruch nehmen, weil es an Schulraum, Lehrkräften und Unterrichtsmaterial mangelte. Durch den Bau von Schulen, durch Lehrerfortbildungen und eine Grundausbildung für Jugendliche hat sich der Bildungssektor deutlich verbessert. Bis Ende September 2010 wurden 38 neue Schulen eingeweiht,

Darüber hinaus fördert die KfW Entwicklungsbank den Bau von Wasserversorgungs- und Sanitäreinrichtungen. Bis September 2010 wurden 339 Brunnen errichtet oder instandgesetzt, wodurch drei Viertel aller Haushalte im Projektgebiet Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Das sind etwa 94.000 Menschen, die nun ihr Menschenrecht auf Wasser wahrnehmen können.

© KfW-Bildarchiv / Bernhard Schurian

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Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken

Sri Lanka Menschenrechtsbildung für Schüler/-innen Sri Lankas Bevölkerung hat einen ca. 30 Jahre dauernden Bürgerkrieg erlebt, der 2009 offiziell beendet wurde. Aber bis heute bestehen latente ethnische Konflikte zwischen Singhalesen und Tamilen. Der muttersprachliche Spracherwerb als Gradmesser für kulturelle Identität spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sri Lankas Verfassung erkennt sowohl Singhalesisch als auch Tamilisch als Nationalsprachen an. So hat jedes Kind hat ein Recht auf Unterricht in der eigenen Muttersprache. Aber de facto findet dadurch eine schulische Segregation statt, die den Graben zwischen den ethnischen Gruppen vertieft. Um Kinder und Jugendliche auf ein friedliches Zusammenleben in einer multiethnischen, mehrsprachigen Gesellschaft vorzubereiten, unterstützt die GIZ im Auftrag des BMZ seit 2005 Sri Lanka bei der Reform des Bildungssektors. Zum einen sieht der erweiterte Lehrplan einen Zweitsprachenunterricht vor, in dem die Schüler/innen die Nationalsprache der jeweils anderen Kultur lernen. Diese Form der Spracherziehung soll dazu beitragen, dass einstmals verfeindete ethnische Gruppen Vorurteile abbauen, Meinungsvielfalt zulassen und der gegenseitige Respekt füreinander wächst. Die GIZ unterstützt hier die Ausbildung von Lehrpersonal für einen Sprachunterricht, der an die Bedürfnisse der

© GIZ / ESC Sri Lanka

Kinder angepasst ist. Zum anderen integriert das Curriculum Richtlinien der Friedens- und Wertepädagogik. Neben Ethik werden auch Menschenund speziell Kinderrechte unter dem Motto „respect others“ behandelt. Durch partizipative Maßnahmen wie Schülerparlamente erleben die Jugendlichen, wie sie Konflikte bewältigen können, wie man mit unterschiedlichen Meinungen konstruktiv umgehen kann und wie sich Menschenrechte auf das tägliche Leben auswirken. Auch außerhalb der Schule können die Kinder an Aktivitäten wie Theaterspiel teilnehmen, in denen sie auf kreative Weise lernen, mit Interessenskonflikten umzugehen und gemeinsam Lösungen zu finden. Eine weitere Komponente der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Sri Lanka konzentriert sich auf die psycho-soziale Beratung für kriegstraumatisierte Kinder. Dazu wurden in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium und den Provinzschulbehörden nationale Richtlinien entwickelt, die jetzt an den Schulen umgesetzt werden. Dezentrale, multi-disziplinäre Teams führen dort psycho-soziale Programme durch, damit die Schüler/-innen ihr Menschenrecht auf ein Leben in psychischer und physischer Gesundheit wahrnehmen können.

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Soziale und kulturelle Menschenrechte stärken

Kenia Gesundheit für alle ohne Diskriminierung Die Gesundheitsversorgung in Kenia hat sich in vielen Bereichen verbessert, doch gerade Menschen, die gesellschaftlich stigmatisiert und an den Rand gedrängt werden, sind davon oft ausgeschlossen. Weil sie anders aussehen oder sich anders verhalten als die gängigen Normen es verlangen, werden Menschen mit Behinderungen, Lesben, Schwule und andere Minderheiten stigmatisiert. Viele trauen sich nicht, Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen, weil sie sich vor Diskriminierungen durch das Personal fürchten. Zudem ist geschlechtsspezifische Gewalt in Kenia ein massives, aber noch immer tabuisiertes Problem. Weit über die Hälfte der Betroffenen – die meisten von ihnen Kinder – nimmt keine medizinische oder psychologische Hilfe in Anspruch, sondern schweigt über ihre Gewalterfahrungen.

soziale Ungleichheit im Gesundheitssystem ist dadurch zu einem zentralen Thema geworden. Außerdem hat das kenianische Gesundheitsministerium auf Anregung der GIZ die nationalen Richtlinien für den Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt überarbeitet. Frauen, die Opfer von geschlechtsbezogener Gewalt wurden, können nun eine bessere medizinische und psycho-soziale Betreuung in Anspruch nehmen. Um gesellschaftliche Ausgrenzung einzudämmen, hilft die GIZ stigmatisierten und ausgegrenzten sozialen Gruppen auch auf direktem Weg. So entwickelte das kenianische Lesben- und SchwulenNetzwerk GALCK mit deutscher Unterstützung eigene Strategien, um den Zugang zu akzeptablen Gesundheitsdienstleistungen – besonders im Bereich HIV / AIDS – zu sichern.

Das von der GIZ unterstützte Programm zur Stärkung des Gesundheitssektors in Kenia integriert ausdrücklich einen menschenrechtlich orientierten Ansatz. Das Programm arbeitet seit 2005 auf mehreren Ebenen und berät politische Akteure, fördert Netzwerke in der Zivilgesellschaft und unterstützt an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppen. Erklärtes Ziel ist es, dass alle Bürger/-innen gleichberechtigt und unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Behinderung ihr Menschenrecht auf Gesundheitsinformationen und -dienste in Anspruch nehmen können.

Ein weiterer Kooperationspartner ist die „Kenianische Union für Blinde Menschen“, die ein Zentrum für junge Menschen gegründet hat, in dem Blinde und Sehbehinderte mit Hilfe von spezieller Software wichtige Informationen selbstständig recherchieren können. Weitere anerkannte Gesprächspartner der kenianischen Regierung sind die im Gesundheitssektor aktiven Nichtregierungsorganisationen, die sich zu einem Dachverband zusammengeschlossen haben. Dieser arbeitet zusammen mit der nationalen Planungsgruppe an einem Finanzierungskonzept, damit auch die arme bzw. marginalisierte Bevölkerung Zugang zu den grundlegenden Gesundheitsdiensten hat.

Auf Regierungsebene berät das GIZ-Programm das Gesundheitsministerium, wie menschenrechtliche Kriterien in nationalen Strategien verankert werden können. Die de facto existierende

© GIZ / Gesundheitssektorprogramm Kenia

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Wirtschaftliche Menschenrechte stärken

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Namibia Landreform sichert Recht auf Nahrung Namibia ist durch seine politische Vergangenheit bis heute mit massiven Landproblemen konfrontiert. Bis Ende der achtziger Jahre herrschten Apartheidverhältnisse, die die schwarze Bevölkerung marginalisierten und vom Grundbesitz ausschlossen. Fast das gesamte kommerziell nutzbare Farmland befand sich im Besitz der weißen Minderheit. Riesigen „weißen“ Farmen von bis zu zehntausenden Hektar Größe standen die überbevölkerten „schwarzen“ kommunalen Gebiete mit degradierten Böden gegenüber, die kaum für die Subsistenzwirtschaft reichten.

die juristischen Rahmenbedingungen, die eine Umverteilung von Farmland möglich machen. Freiwilligkeit und Transparenz stehen dabei ganz oben auf der Agenda. Wenn weiße Farmer ihr Land veräußern möchten, hat der Staat ein Vorkaufsrecht zu marktüblichen Preisen. Schwarze Bauern können dieses Land entweder privat erwerben oder es in Parzellen auf kommunalem Land gemeinschaftlich nutzen. Besonders Frauen und marginalisierte Gruppen profitieren von diesen neuen Rechten, durch die sie Landtitel erwerben können.

Der Mangel an nutzbarem Land förderte außerdem Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern. Seit der Unabhängigkeit Namibias (1990) fordern die schwarzen Bauern und Bäuerinnen eine Landreform, die lange Zeit nur schleppend vorankam. Ein gesicherter Zugang zu Landbesitz ist aber Grundlage für ökonomische Stabilität, soziale Gerechtigkeit und ein konfliktfreies Gemeinschaftsleben. Damit die Menschenrechte auf Wohnung, Arbeit und Nahrung erfüllt werden können, ist eine gerechte Umverteilung von Land und die Vergabe von Nutzungsrechten also unumgänglich. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei Frauen und marginalisierten Gruppen.

Bis Ende 2011 waren etwa 60.000 kommunale Landnutzungsrechte registriert, wovon etwa 270.000 Menschen profitieren. Rund 21 % – ca. 7  Mio.  ha – des gesamten kommerziellen Farmlandes wurden an landlose und zuvor benachteiligte namibische Bürger/-innen umverteilt. Inzwischen haben mehr als 2500 neue Farmer an dem GIZ-finanzierten Mentorenprogramm „Farmers‘ Support Project“ teilgenommen. Hierbei unterrichten professionelle Farmer ihre neu angesiedelten Nachbarn, wie sie erstmals eine ganze Farm selbstständig managen können. Die neuen Landbesitzer erhalten dadurch Kenntnisse, wie sie ihr Land profitabel nutzen können. Das Mentorenprogramm hat sowohl den Wissenstransfer verbessert, als auch die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Im ehemals konfliktreichen Namibia ist die Basis für ein neues Wir-Gefühl entstanden.

Seit 2003 berät die GIZ in Namibia im Auftrag des BMZ das Ministerium für „Lands and Resettlement“ zur Landreform. Nach intensivem Dialog zwischen allen Interessensgruppen unter Leitung eines Teams namibischer Landexperten entstand eine umfassende Strategie für einen gerechten Zugang zu Landbesitz. Zusammen mit der namibischen Regierung erarbeitete die GIZ auch

© GIZ / Support to Land Reform-Projekt Namibia

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Bangladesch Arbeitsrechte für Textilarbeiterinnen Seit zwei Jahren arbeitet die 20-jährige Nasreen als Näherin in einer der vielen Bekleidungsfabriken in Bangladesch. Die Arbeitsbedingungen schädigen ihre Gesundheit, eine gewerkschaftliche Vertretung existiert nicht – täglich arbeitet die junge Frau bis zu zehn Stunden unter Missachtung ihrer Menschenrechte. Als Grundlohn erhält sie dafür monatlich 30 Euro, die Überstunden werden mit durchschnittlich 7 Euro im Monat vergolten. Die Bekleidungsindustrie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Bangladesch. Sie beschäftigt mehr als drei Millionen Arbeiter/-innen, zum Großteil Frauen, und erwirtschaftet über drei Viertel der Exporterlöse. Multinationale Marken- und Einzelhandelsfirmen bestehen inzwischen immer öfter darauf, dass grundlegende Umwelt- und Sozialstandards von ihren Zulieferfirmen eingehalten werden. Höhere Stückkosten wollen sie trotzdem nicht zahlen, da sie selbst unter hohem Wettbewerbsdruck stehen. Durch dieses Dilemma gerät die Bekleidungsindustrie in Bangladesch unter Druck. Seit 2005 berät die GIZ im Auftrag des BMZ die bangladeschische Regierung und Industrieverbände, wie die Sozial- und Umweltstandards in der Textilindustrie verbessert werden können. Das Projekt unterstützt Trainer/-innen, die öffentliche und private Dienstleister der Textilindustrie in Arbeitsrechts- und Umweltfragen schulen. Darüber hinaus werden Arbeiter/-innen ausgebildet, um als Fachkräfte für die praktische

© GIZ / Anne Kathrin Mohr

Umsetzung von Sozial- und Umweltstandards aktiv zu werden. Aufklärung zu Arbeitsrechten vermittelt das GIZ-Vorhaben den Arbeiter/-innen und der Öffentlichkeit vor allem durch Theaterstücke und Plakate. Außerdem unterhält das Projekt zusammen mit vier lokalen Nichtregierungsorganisationen in der Nähe der Textilfabriken 43 „Women Cafés“. Hier werden die Arbeiterinnen auf spielerische Weise für ihre Arbeitsrechte sensibilisiert und lernen unter anderem, wie sie das Gehalt für ihre Überstunden kalkulieren. Arbeitnehmervertreterinnen können sich in speziellen Kursen im Sozialdialog schulen lassen, um anschließend gemeinsam mit dem Management Lösungen für die Probleme bei der Umsetzung des Arbeitsrechts zu entwickeln. Ziel ist dabei eine Win-Win-Situation zwischen Arbeitnehmerschaft und Management. Die Ergebnisse sind erfreulich: Betriebe, die nachweislich den internationalen Mindeststandards genügen, bekamen mehr Aufträge. Eine Umfrage ergab, dass sich in Bangladesch die Arbeitsbedingungen in den Betrieben mit fortgebildetem Management und organisierten Arbeiterinnen deutlich verbessert haben. Circa 100.000 Arbeiterinnen sind seitdem in der Lage, ihre Rechte besser durchzusetzen und die Arbeit unter menschenwürdigeren Bedingungen zu verrichten. Nasreen ist eine von ihnen.

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Kolumbien Menschenrechtsfortbildung für Unternehmen Die Menschenrechtslage in Kolumbien ist in vielerlei Hinsicht prekär. Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung und gehen vor allem auf den Gewaltkonflikt zurück, unter dem das Land seit Jahrzehnten leidet. Als Folge hat sich eine Alltagskultur der Gewalt etabliert, die in Kombination mit einem ineffizienten Justizsystem Menschenrechtsverletzungen nicht konsequent verfolgt oder straffrei ausgehen lässt. Auch auf die Privatwirtschaft hat Gewaltkriminalität negative Auswirkungen, denn viele Unternehmen schrecken davor zurück, in unsicheren Landesteilen oder Großstädten Investitionen vorzunehmen. Allerdings besitzt der Privatsektor auch Potenzial, an der Verbesserung der Zustände mitzuwirken. Um dieses Potenzial nutzbar zu machen entwickelte die GIZ im Auftrag des BMZ ein Fortbildungsprogramm, das sich gezielt an Mitarbeitende von Unternehmen richtet. In diesem Rahmen können sie das Diplom „Unternehmen und Menschenrechte“ erwerben, das durch Kooperation zwischen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, verschiedenen UN-Organisationen und der US Agency for International Development (USAID) ins Leben gerufen wurde. In den Kursen, die aus Präsenz- und Fernunterricht bestehen, erhalten die Teilnehmer/-innen Kenntnisse über Menschenrechte und deren Relevanz

© GIZ / Florian Kopp

für die Privatwirtschaft. So wird unter anderem diskutiert, wie Unternehmen bei ihren Zulieferern, Kunden oder an ihrem Standort Einfluss nehmen können, damit Menschenrechte besser eingehalten und gefördert werden. Die Fortbildungen lösen dabei konkrete Aktivitäten aus: So hat eines der am Diplom teilnehmenden Unternehmen eine interne Menschenrechtspolicy entwickelt. Diese gilt als so vorbildlich, dass die Unternehmensgruppe, der die Firma angehört, den Menschenrechtsansatz nun auch in seinen Unternehmen in neun weiteren Ländern Lateinamerikas verpflichtend einführte. Der Diplomkurs findet seit 2008 statt. Um ihn landesweit nachhaltig zu verankern, wurden in verschiedenen Landesteilen Trainer/-innen universitär ausgebildet, die in Zukunft die Kurse auf Lizenzbasis unabhängig anbieten werden. Bislang erwarben über 300 Firmen der Privatwirtschaft das Diplom „Unternehmen und Menschenrechte“. Die Rückmeldungen der Kursteilnehmer sind durchgehend positiv und hatten zahlreiche Initiativen zur Folge. Sie zeugen davon, dass viele Unternehmen Kolumbiens die Verwirklichung der Menschenrechte als ein für sich relevantes Thema wahrnehmen und in diesem Bereich auch selbst aktiv werden.

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MENA-Region Wirtschaftliches Empowerment von Frauen In den MENA-Ländern Ägypten, Jordanien, Tunesien und Marokko sind viele Frauen aufgrund traditioneller Rollenzuschreibungen nicht ins Wirtschaftsleben integriert oder gehen einer informellen Arbeit in der Landwirtschaft nach. Sie stehen auf der untersten Stufe der Wertschöpfungskette, sind nur minimal qualifiziert, werden schlecht bezahlt und haben geringe Aufstiegschancen. Obwohl die Regierungen dieser Länder verschiedene Konventionen zu Menschenrechten und Geschlechtergerechtigkeit unterzeichnet und ratifiziert haben, werden sie nur mangelhaft umgesetzt. Damit Frauen in Zukunft eine gleichberechtigte Chance haben, ihr Recht auf Arbeit zu verwirklichen, hat das BMZ die GIZ beauftragt, das sechsjährige Regionalprogramm EconoWin (2010–2016) durchzuführen. Als eine Maßnahme führt EconoWin in allen vier Ländern Genderanalysen von ausgewählten Wertschöpfungsketten durch. Dies geschieht zum einen in Sektoren, die für das Land ökonomisch bedeutsam sind oder Wachstumspotenzial haben. Zum anderen untersucht das Programm Branchen, in denen Frauen als Arbeitnehmerinnen und Unternehmerinnen bereits integriert sind oder es Potenzial gibt, vermehrt Frauen zu fördern. Die Branchen umfassen u. a. in Ägypten die Produktion von Öko-Baumwolle, in Marokko die Erzeugung von Trocken-Feigen, in Tunesien die Herstellung von destilliertem Wildrosenwasser und in Jordanien die Käse-Produktion. Dort nehmen Frauen, die in der Milchverarbeitung tätig sind, an Schulungen zu Gesundheits-, Hygiene- und Sicherheitsstandards teil.

© GIZ / Laura Winter

Bei verbesserten Qualitätsstandards erhalten die Käse-Erzeugerinnen Produktionslizenzen, durch die sie bessere Preise und ein höheres Einkommen erzielen. In Tunesien werden Frauen, die Heckenrosen zu Aroma-Wasser verarbeiten, angeregt, Kooperativen zu gründen. Hier erwerben sie Kenntnisse über Konservierung, Verpackung und Marketing ihrer Produkte, wodurch sie größere Verhandlungsmacht gegenüber den Händlern gewinnen. Die Feigenbäuerinnen in Nordmarokko sind zum größten Teil des Lesens und Schreibens nicht mächtig. In bereits bestehenden Kooperativen lernen die Bäuerinnen durch Schulungen, wie sie Zugang zu staatlichen Fördermitteln bekommen, Feigen fachgerecht trocknen, konservieren und verpacken können. In Ägypten bildet die sozial engagierte Firma Sekem-Naturetex in Kooperation mit EconoWin Frauen aus umliegenden Dörfern aus, Babyspielzeug aus organisch-biologisch angebauter Baumwolle herzustellen. Gleichzeitig werden die Frauen angeleitet, sich als Gruppe zu organisieren, damit sie gegenüber der Firma als Arbeitnehmerinnen ein eigenes Gewicht bekommen. Das Programm ist erfolgreich, weil es auf zwei Ebenen gleichzeitig ansetzt: Einmal fördert es die Weiterentwicklung von marktfähigen landwirtschaftlichen Produkten. Darüber hinaus erlangen die bislang marginalisierten Frauen neue Kompetenzen, die ihr Selbstbewusstsein stärken und zu einer Verbesserung ihrer ökonomischen Situation und Unabhängigkeit beitragen. Damit ist ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Gleichberechtigung der Geschlechter getan.

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Die Rechte benachteiligter Gruppen stärken

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Kambodscha Geschlechtsspezifische Gewalt überwinden Die Schülerin Chansoma war auf dem Weg zum Markt, als sie von fünf Männern aus ihrem Dorf vergewaltigt wurde. Die Fünfzehnjährige erkannte jeden einzelnen Täter, einer von ihnen war der Sohn des Ortsvorstehers. Weil das Wort eines Mannes mehr gilt, zudem wenn es sich um eine Autoritätsperson wie den Ortsvorsteher handelt, legte die Polizei die Anzeige zu den Akten. Nun drängen die Eltern Chansoma, den Vergewaltiger zu heiraten, um die Schmach von der Familie abzuwenden. Doch die Tochter verweigert sich einer Zwangsheirat und will dafür kämpfen, dass die Täter bestraft werden. Überraschend schlägt der Ortsvorsteher den Eltern eine „Kompensationszahlung“ vor, eine Form von Wiedergutmachung bei geschlechtsspezifischer Gewalt, die in Kambodscha weit verbreitet ist. Kambodscha hat die Internationale Frauenrechtskonvention ratifiziert, damit ist die Gleichberechtigung der Geschlechter gesetzlich garantiert. 2005 wurde zudem ein Gesetz zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt verabschiedet. Dennoch können Frauen und Mädchen nur schwer gerichtlichen und polizeilichen Schutz durchsetzen, ihre Menschenrechte stehen somit immer wieder auf dem Spiel. Aus Scham und Angst vor sozialer und familiärer Ausgrenzung scheuen sich viele Frauen davor, ihre Erfahrung mit geschlechtsspezifischer Gewalt öffentlich zu machen. Folglich erstatten sie nur

© Jörg Böthling

selten Strafanzeige. Für eine Rechtsberatung fehlt oft das Geld, zudem gab es bis vor Kurzem nur wenige (psycho-) soziale Anlaufstellen für Frauen und Mädchen. Um die alltägliche Benachteiligung und Diskriminierung zu beenden, bietet das kambodschanische Frauenministerium mit Unterstützung der GIZ seit 2011 Rechtshilfe und psycho-soziale Begleitung durch Nichtregierungsorganisationen an. Dies geschieht im Auftrag des BMZ. Eine wichtige Aufgabe ist die Sensibilisierung und spezielle Fortbildung von Schlüsselpersonen wie Beamt/innen, Richter/-innen, Staatsanwält/-innen, Journalist/-innen und Lehrer/-innen. Frauen und Mädchen sollen durch ihr soziales Umfeld ermutigt werden und dazu befähigt werden, selbstbewusster für ihre Rechte einzutreten. Erste positive Ergebnisse sind bereits sichtbar: In den Projektregionen nehmen Frauen speziell für sie entwickelte Hilfsangebote in Anspruch. Sie nutzen die entstandenen Frauenhäuser, gehen mit ihren Problemen zur Psychologin und erstatten mit Hilfe einer Rechtsanwältin Anzeige. Auch Chansoma ist neue Wege gegangen und nimmt ihre Rechte nun wahr. Sie hat ihre Peiniger verklagt und wird dabei sogar von ihren Eltern unterstützt. Von einer Zwangsheirat ist nicht mehr die Rede.

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Nicaragua Mit Kunst Jugendgewalt vorbeugen Eine Szene wie aus dem Alltag gegriffen: Während einer Zusammenkunft von Studierenden, Dozent/-innen und Regierungsvertreter/-innen an der Universität Hispanoamerica von Nicaragua stürmt ein junger Mann in gröbster Sprache brüllend in den Hörsaal. Er ist dabei, seine Schwester wegen einer Lappalie gewaltsam nach draußen zu zerren. Niemand hält den Mann zurück, die Anwesenden schauen passiv zu, wie das Mädchen weiter drangsaliert wird. Was sie allerdings nicht wissen: Bei dem jugendlichen „Geschwisterpaar“ handelt es sich um Schauspieler des Ensembles „Gerechtes Theater“ Rufino Garay. Mit der Methode des „unsichtbaren Theaters“ halten die Ensemble-Mitglieder der Gesellschaft in unerwarteten Momenten einen Spiegel über das Ausmaß der ganz normalen alltäglichen Gewalt vor Augen. Die Auftritte des unsichtbaren Theaters finden an ungewöhnlichen Plätzen statt: in Parks, Bussen, bei öffentlichen Veranstaltungen. Stets geht es darum, auf drastische Art und Weise die allgemeine Akzeptanz von Gewalt in Nicaragua sichtbar zu machen und kritische Denkanstöße zu geben. Ziel des „Gerechten Theaters“ ist die Hinwendung zu einer gerechteren, toleranteren, vielseitigeren und vor allem harmonischeren Gesellschaft für alle. Die Schauspieler/-innen setzen sich mit diesen Aufführungen für die Verteidigung der Menschenrechte in Nicaragua ein, im Fokus stehen

© iStockphoto.com / jcarillet

dabei die Rechte von Frauen, jungen Menschen und anderen von der Gesellschaft marginalisierten Gruppen. Die Inszenierungen erfüllen hohe künstlerische Ansprüche, zudem sind die Darsteller/-innen immer wieder auf der Suche nach neuen Formen der Gestaltung, Ausbildung, Förderung und Verbreitung ihres kreativen Angebots. Das „Gerechte Theater“ ist Teil einer Kampagne zur Prävention jugendlicher Gewalt in Nicaragua, die von der GIZ im Auftrag des BMZ unterstützt wird. Im Rahmen dieses Vorhabens hat die GIZ von 2010 – 2012 den Austausch und die Kooperation des „Gerechten Theaters“ zusammen mit Organisationen der Zivilgesellschaft finanziert und bewerkstelligt. Menschenrechts-, Jugend- und Frauenorganisationen wurden dabei von den professionellen Mitarbeitern des Theaters geschult, um das Potenzial des Theaters als wichtiges Werkzeug zum Ausdruck sozialer Probleme und zur Förderung gesellschaftlicher Kommunikation einzusetzen. Diese Organisationen initiieren nach den Aufführungen der gesellschaftskritischen Stücke auch Diskussionsforen, bei denen die Zuschauer über ihre Eindrücke und mögliche Handlungsalternativen debattieren. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die unerwartete Konfrontation mit den drastischen Theaterstücken das Publikum wachrüttelt und für das Menschenrecht auf ein gewaltfreies Zusammenleben sensibilisiert.

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Togo Rechte von Menschen mit Behinderung stärken Behinderung hat oft Armut zur Folge. Auch in Togo lebt der größte Teil der Menschen mit Behinderung in Armutsverhältnissen, hat wenig Zugang zu Schulbildung und Gesundheitsversorgung, geringe Chancen auf eine geeignete Arbeitsstelle und kaum Mitspracherecht in politischen Entscheidungsprozessen. Die nationale Strategie zur Armutsminderung in Togo soll diesen Zustand ändern. In Zusammenarbeit mit der ChristoffelBlindenmission (CBM) berät die GIZ im Auftrag des BMZ den togoischen Dachverband für Menschen mit Behinderungen. Der „Fédération Togolaise des Personnes Handicapées“ (FETAPH) gehören circa 40 Organisationen an. Der Dachverband betreibt sowohl Lobbyarbeit mit politischen Entscheidungsträgern als auch Sensibilisierungsund Aufklärungskampagnen in der breiten Öffentlichkeit, um über Menschen- und Bürgerrechte zu informieren. FETAPH ist aktiv in die nationale Strategie zur Armutsminderung eingebunden und fördert den Dialog von Menschen mit Behinderungen mit den zuständigen Ministerien und Entscheidungsträgern Togos. Sie sollen auf diese Weise befähigt werden, ihre Rechte gegenüber den staatlichen Interessensvertretern einzufordern. Die GIZ stärkt den Dachverband durch methodische Fortbildungen, Organisationsberatung und Strategieentwicklung, damit FETAPH ihr men-

© GIZ / Bettina Kieck

schenrechtliches Engagement und ihre Interventionsmöglichkeiten auf nationaler Ebene verbessern kann. Zudem wird die überregionale Vernetzung mit ähnlichen Dachverbänden in westafrikanischen Nachbarländern gefördert. Durch die kontinuierliche Beratung und finanzielle Unterstützung konnte sich FETAPH organisatorisch und fachlich professionalisieren. Sie hat sich dadurch auf nationaler und dezentraler Ebene als eine kompetente und anerkannte Gesprächspartnerin und Mittlerin für die Belange von Menschen mit Behinderungen positioniert. Auch im Hinblick auf nationale und kommunale Strategiepläne hat die erfolgreiche Lobbyarbeit von FETAPH Wirkung gezeigt: Die aktuelle Armutsminderungsstrategie der Regierung Togos schließt in den Bereichen Gesundheit, Bildung sowie Arbeit und Soziales ausdrücklich die Rechte von Menschen mit Behinderungen mit ein. Hier sind grundlegende Menschenrechte angesprochen, wie der gleichberechtigte Zugang zu schulischer Bildung, zu gesundheitlicher Versorgung sowie eine Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen. Die Lobbyarbeit von FETAPH hat mit dazu beigetragen, dass Togo die entsprechende UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2010 ratifiziert hat.

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Philippinen Stärkung der Land- und Ressourcenrechte indigener Völker Auf den Philippinen leben schätzungsweise 12 Millionen Angehörige von über 100 indigenen Völkern. Mit dem „Indigenous Peoples Rights Act“ (IPRA) hat der Inselstaat 1997 eine umfassende Gesetzesgrundlage geschaffen, die die Rechte der indigenen Völker regelt. Unter anderem haben sie das Recht, auf ihrem angestammten Land zu leben, sowie ein Mitsprache- und Selbstbestimmungsrecht. Laut Gesetz werden Kultur und traditionelle Gewohnheitsrechte gewahrt. Die konkrete Umsetzung des IPRA wird regional allerdings sehr unterschiedlich gehandhabt. Besonders auf der südlichsten Insel Mindanao sind die indigenen Völker weiterhin marginalisiert und verarmt, zudem sind sie politisch kaum organisiert. Eine der wesentlichen Ursachen für Armut und Konflikte auf Mindanao liegt im ungleichen Zugang zu natürlichen Ressourcen und Land der Indigenen, die in einigen Regionen fast zwanzig Prozent ausmachen. Gesetzeslücken, unzureichende Regierungsführung und die Dominanz von alteingesessenen Dynastien haben es möglich gemacht, dass große Unternehmen aus Bergbau und Holzwirtschaft das Land für kommerzielle Zwecke nutzen. Die Firmen breiten sich aus, während die ursprüngliche Bevölkerung immer weiter in unwirtliche Regionen zurückgedrängt wird. Diese komplexe Problematik lässt sich nur mit einem umfassenden Ansatz bewältigen, der menschenrechtliche Prinzipien und Konfliktsensibilität integriert. Die GIZ führt seit Anfang 2011 im

© GIZ / Philip Anghag

Auftrag des BMZ gemeinsam mit fünf staatlichen Partnern das philippinisch-deutsche Programm COSERAM durch. Vertreten sind unter anderem die Behörde für indigene Völker sowie die nationalen Abteilungen für wirtschaftliche Entwicklung und für Umweltressourcen. COSERAM klärt mit Informationsmaterialien, Fortbildungen und Dialogforen sowohl die indigene Bevölkerung als auch staatliche Stellen über indigene Rechte und weitere relevante Gesetze auf. Dadurch können auf der einen Seite die Angehörigen indigener Völker als Rechtsträger/-innen ihre Interessen gegenüber den Behörden selbstbewusster vertreten. Auf der anderen Seite schärft sich das Bewusstsein der staatlichen Partnerorganisationen über ihre Pflichten und die Herausforderung im Sinne einer guten Regierungsführung. COSERAM unterstützt zudem die Provinzregierung dabei, die Landtitelvergabe der indigenen Territorien voranzutreiben und integrierte Methoden für das Management von Wassereinzugsgebieten einzusetzen. Traditionelle Agrartechniken, der Anbau endemischer Reissorten sowie eine enge Abstimmung zwischen indigener und nicht-indigener Landnutzungsplanung werden aktiv gefördert. Alle diese Erfahrungen tragen dazu bei, dass die Richtlinien des IPRA konsequenter umgesetzt werden und sie langfristig allen indigenen Völkern der Philippinen zugutekommen.

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Mauretanien Zusammen mit Imamen gegen weibliche Genitalverstümmelung Körperliche und seelische Unversehrtheit sind elementare Menschenrechte. Traditionelle Praktiken können diesen jedoch entgegenstehen. So ist weibliche Beschneidung oder Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) ein tiefverwurzelter Eingriff, der Mädchen und Frauen lebenslangen Schaden zufügen kann. In Mauretanien sind über 70 Prozent der weiblichen Bevölkerung von FGM betroffen, obwohl Mauretanien die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert hat und weibliche Genitalverstümmelung gesetzlich verboten ist. Die GIZ engagiert sich im Auftrag des BMZ seit 2005 in Mauretanien, einheimische Partner bei der Überwindung von FGM zu unterstützen. Das Programm organisiert unter anderem Aufklärungsveranstaltungen, an denen einheimische Aktivist/-innen, Politiker/-innen und religiöse Autoritäten gemeinsam teilnehmen. Da das Thema FGM noch bis vor Kurzem mit einem großen Tabu belegt war, kommen nun zum ersten Mal die negativen gesundheitlichen und psychischen Folgen zur Sprache, die der schwerwiegende, oftmals lebensgefährliche Eingriff nach sich ziehen kann. Besonders der Dialog mit muslimischen Autoritäten zur Überwindung von FGM erweist sich als fruchtbar und nachhaltig wirksam. So unterzeichneten 2010 auf einem von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unterstützten Forum

© GIZ / Mauretanien

34 Imame eine Fatwa gegen die Praktik der Genitalverstümmelung. In diesem islamischen Rechtsgutachten stellen die Imame fest, dass der Islam FGM nicht vorschreibt und prinzipiell alle Praktiken ablehnt, die dem Körper und der Gesundheit eines Menschen schaden. Angeregt durch die mauretanische Fatwa trafen sich im Herbst 2011 islamische Gelehrte aus neun afrikanischen Ländern, um das Thema FGM gemeinsam in Mauretanien zu diskutieren. Sie unterzeichneten eine weitere Fatwa, die auch überregionale Wirkung und beispielhaften Einfluss auf die Nachbarländer haben soll. Da viele Länder Westafrikas von FGM betroffen sind, könnten sie nach mauretanischem Vorbild vom Dialog mit religiösen Führern profitieren. Ein anderer erfolgreicher Ansatz ist der Generationendialog, der jungen und alten Menschen, Männern und Frauen die Möglichkeit gibt, sich in einem geschützten Raum über Traditionen und Werte auszutauschen und diese auch zu hinterfragen. Fest verankerte Überzeugungen können so verändert und die Rechte von Mädchen und Frauen gestärkt werden. In den Projektgebieten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zeichnet sich inzwischen deutlich ab, dass die muslimische Bevölkerung ihre Einstellung ändert und FGM zunehmend ablehnt.

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Bangladesch Menschenrechte auch für Gefängnisinsassen Seit über fünf Jahren sitzt Abdulatif in einer Haftanstalt in Dhaka. Der bangladeschische Rikschafahrer weiß nicht einmal, wofür man ihn anklagt. Auf ein Gerichtsverfahren wartet er bis heute, und einen Anwalt bekommt er auch nicht. Er lebt in katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Denn er muss sich die 40-Quadratmeter-Zelle mit 200 anderen Häftlingen teilen – darunter Jugendliche, aber auch verurteilte Schwerverbrecher. Aus Platzmangel wird in Schichten geschlafen. Hunger, Gewalt und Krankheit prägen den Gefängnisalltag. Abdulatifs Situation ist kein Einzelfall. Überall in Bangladesch leben Häftlinge unter solch menschenunwürdigen Verhältnissen. Ihre Situation widerspricht allen internationalen Menschenrechtsstandards, denen sich Bangladesch verschrieben hat. Die extreme Überfüllung der Haftanstalten stellt auch eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft dar. Denn dadurch werden Gefängnisse zu Brutstätten von Krankheitsepidemien, Kriminalität und religiösem Fundamentalismus. Das BMZ hat die GIZ seit 2008 mit einem Programm beauftragt, das die Haft- und Lebensbedingungen von Häftlingen in Bangladesch verbessern und damit Menschenrechte auch für sie einlösen soll. Am wichtigsten ist dafür, die Überbelegung der Gefängnisse zu verringern. Hierzu ist es gelungen, erstmals Ministerien,

© GIZ / Shahjahan Qureshi

Justizbehörden und Nichtregierungsorganisationen zusammenzubringen, um Lösungen zu finden. Ein Ergebnis ist, dass juristische Laienberater/innen, sogenannte paralegals, ausgebildet wurden, die nun regelmäßig Zugang zu den Häftlingen haben. Sie informieren die Gefängnisinsassen über ihre Rechte, denn diese wissen oft noch nicht einmal, dass sie auf Kaution freikommen können oder wie sie einen Rechtsbeistand bekommen. Bei ihren Bestandsaufnahmen stellten die paralegals fest, dass viele Häftlinge sofort entlassen werden konnten, z. B. weil Ihre Haftzeit bereits abgelaufen war oder keine relevanten Haftgründe vorlagen. Die Gefängnisverwaltung hatte den Überblick verloren. Andere Insassen, die seit Jahren in Untersuchungshaft sind, wurden einem beschleunigten Gerichtsverfahren unterworfen. Über 2000 Menschen wurden dank der Interventionen des Projekts bereits aus der Haft entlassen. Gleichzeitig werden jetzt weniger Menschen inhaftiert, weil die Gerichte zunehmend andere Strafformen anwenden wie Bewährungs- und Geldstrafen. Der entscheidende Durchbruch dafür war, dass die Regierung mit Hilfe der GIZBeratung ein neues Gefängnisgesetz entwickelt hat, das internationalen Menschenrechtsstandards entspricht. Das alte stammte noch aus dem 19. Jahrhundert.

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Burkina Faso Kampf gegen Kinderarbeit und Kinderhandel Im Jahr 2006 setzte die Regierung von Burkina Faso mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention und dem Zusatzprotokoll gegen Kinderhandel ein wichtiges Zeichen. Minderjährige haben dadurch ein garantiertes Recht auf Bildung, Schulbesuch und Berufsausbildung. Zudem sind sie offiziell geschützt vor wirtschaftlicher Ausbeutung, Entführung und Kinderhandel. Dennoch herrschen in Burkina Faso schlimmste Formen von Kinderarbeit und -handel. Rund die Hälfte aller Acht- bis Achtzehnjährigen arbeitet in Haushalten, in der Landwirtschaft oder in Goldminen. Circa 5 % aller burkinischen Kinder leben aufgrund ihrer Arbeit von ihren Eltern getrennt. Viele werden von Schleppern in angrenzende Länder wie Elfenbeinküste oder Mali gebracht, um dort ohne Lohn in Goldminen oder auf Baumwollplantagen zu arbeiten. Für bis zu dreizehn Stunden Schwerstarbeit erhalten die Kinder oft nichts weiter als eine Schale Maisbrei und einen Schlafplatz auf dem Boden. Mädchen sind darüber hinaus häufig sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Im Auftrag des BMZ leistet die KfW Entwicklungsbank finanzielle Unterstützung für das Programm „Menschenrechte – Bekämpfung von Kinderarbeit und Kinderhandel“, damit Kinderrechte in Burkina Faso nicht nur auf dem Papier existieren, sondern real umgesetzt werden. Es hat zum Ziel, die rechtlichen, institutionellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zur Förderung und zum Schutz von Kinderrechten in Burkina Faso zu stärken. Träger des Projekts ist die Ecobank Burkina Faso. Mit diversen Aktivitäten beugt das Programm Kinderarbeit und –handel vor. Dazu gehören unter anderem qualitiativ bessere Bildungsangebote, die

© Photothek.net / Ute Grabowsky

Vergabe von Schul- und Ausbildungsstipendien sowie der Bau von Internaten und Schulkantinen. Aus dem Leben gegriffene Theateraufführungen klären die Bevölkerung über die Gefahren von Kinderhandel und die Lebensumstände minderjähriger Zwangsarbeiter auf. Bislang haben über 10.000 Zuschauer/-innen die Theaterstücke besucht. Auch die Kommunen sind aktiv in den Kinderschutz einbezogen. Sie erarbeiteten mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eigene kommunale Sozialpläne, die notwendige Projekte zum Kinderschutz festlegen und dem Thema somit eine wichtige Stellung in der Kommunalpolitik verleihen. Zur Finanzierung dieser Projekte haben sie zudem erstmals spezielle Konten eingerichtet, deren Mittel ausschließlich für die Finanzierung von Kinderschutzmaßnahmen gedacht sind. So leiden die Projekte nicht unter den üblichen Beschneidungen des kommunalen Budgets am Jahresende. Schlussendlich werden die zuständigen Ministerien beraten, um effektive gesetzliche und institutionelle Rahmenbedingungen zum Schutz der Kinder zu schaffen. Seit 2005 haben bereits 2.200 Kinder und Jugendliche Schul- und Ausbildungsstipendien erhalten. Bei weiteren 30.000 Kindern konnte der vorzeitige Schulabbruch verhindert werden, weil sie Schulkantinen und Übernachtungseinrichtungen nutzen konnten. Das Programm der KfW Entwicklungsbank in Burkina Faso zeigt deutlich, wie Kinderrechte mit den allgemeinen Menschenrechten verknüpft sind.

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Pakistan Integration afghanischer Flüchtlinge Aufgrund der instabilen Situation Afghanistans beherbergt Pakistan die weltweit höchste Anzahl an Flüchtlingen. Schätzungsweise drei Millionen Afghanen haben ihr Heimatland verlassen und in Pakistan Zuflucht gesucht. Für die pakistanische Bevölkerung entsteht dadurch eine schwere sozio-ökonomische und ökologische Belastung, die auch die lokale Wahrnehmung der Flüchtlinge beeinflusst. Konkrete negative Auswirkungen entstehen unter anderem durch Entwaldung und den absinkenden Grundwasserspiegel. Der enorme Bevölkerungsdruck macht sich ebenfalls bemerkbar in der ohnehin schwachen Infrastruktur Pakistans (schlecht ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und Schulen, fehlender Zugang zu Wasser und Sanitäranlagen). Um dauerhafte, umfassende Lösungen in Pakistan zu schaffen, rief das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen in 2009 das „Refugee Affected Hosting Areas Programme“ (RAHA) ins Leben. Das dreijährige Programm richtet sich an Gemeinden und Regionen, in denen afghanische Flüchtlinge leben. Hauptziel ist die Verbesserung der Lebensumstände und die Förderung des sozialen Zusammenhalts zwischen Afghanen und Pakistanis durch den Aufbau einer nachhaltig funktionsfähigen Infrastruktur. Damit können auch die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen auf die pakistanischen Gemeinden aufgefangen werden. Besonders berücksichtigt werden die Bedürfnisse von verletzlichen Gruppen wie Waisen, von Frauen geführte Haushalte und Behinderten.

© KfW-Bildarchiv / Photothek.net

Im Auftrag des BMZ fördert die KfW Entwicklungsbank in einer Reihe von Dörfern der Provinz Khyber Pakthunkhwa die Wasserversorgung. Denn der Zugang zu ausreichend und bezahlbarem Trinkwasser in Laufentfernung und in angemessener Qualität ist ein Menschenrecht. Zudem finanziert die KfW Entwicklungsbank Sanitäranlagen und Abwassersysteme. Auch das Menschenrecht auf Bildung wird im Rahmen des Projektes gestärkt. Schulen werden wieder in Stand gesetzt, zusätzliche Klassenräume gebaut und die Qualität der schulischen Ausbildung erhöht. Ein weiterer Bestandteil des Programms ist der Gesundheitssektor. Dazu werden finanzielle Mittel für die Einrichtung von Kreißsälen, Basisgesundheitsstationen sowie für die Sanierung von Wohneinheiten für medizinisches Personal zur Verfügung gestellt. Durch den Bau von Latrinen in den Dörfern hat sich insbesondere für Frauen die bisher mangelhafte sanitäre und hygienische Situation bemerkenswert verbessert. Von dem Programm RAHA profitieren dadurch sowohl die afghanischen Flüchtlinge als auch die mit ihnen in Gemeinschaft lebenden einheimischen Pakistani. Bis Mitte 2012 erreichte RAHA insgesamt 3,5  Millionen Menschen. Eine zweite Phase des Projekts ist in Vorbereitung.

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Afrika überregional Stärkung des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bei allem Unrecht, das Männer und Frauen in Afrika jeden Tag erleiden, gibt es auch gute Nachrichten: Immer mehr afrikanische Staaten zeigen den politischen Willen, die Menschenrechte zu achten. Um sie durchzusetzen, braucht es allerdings auch entsprechende Institutionen. Die höchste afrikanische Instanz hierfür ist seit 2004 der „Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker“ (AfCHPR) mit Sitz in Arusha, Tansania. Während die seit 1987 arbeitende Afrikanische Menschenrechtskommission nur Empfehlungen aussprechen kann, hat der AfCHPR das Mandat, rechtlich bindende Entscheidungen zu erlassen. Von Beginn an unterstützte das BMZ den AfCHRP, der in der Anfangsphase nicht einmal eigene Räume besaß. Um den Gerichtshof arbeitsfähig zu machen, bildete die GIZ im Auftrag des BMZ Richter und Gerichtspersonal aus und vernetzte sie mit anderen regionalen Menschenrechtsgerichten, so in Lateinamerika und Europa. Seit 2008 ist der Gerichtshof arbeitsfähig und geht nun seinen Aufgaben nach. Eine aktuelle Herausforderung liegt darin, den AfCHRP in der Zivilbevölkerung und bei afrikanischen Menschenrechtsorganisationen bekannter zu machen. Denn nur so können zivilgesellschaftliche Organisationen und Bürger/-innen dem Gericht vermutete Menschenrechtsverletzungen vortragen. Zwei weitere Punkte auf der Agenda: die Anerkennung des Gerichtshofs durch weitere afrikanische Staaten und die Unterzeichnung von Zusatzverträgen für Individualklagen. Eine Delegation des AfCHPR stattet Mitgliedstaaten der

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Afrikanischen Union regelmäßige Sensibilisierungsbesuche ab, bei denen sie Regierungsvertreter und Zivilbevölkerung mit der Existenz und den Aufgaben des Gerichts vertraut macht. Das Gericht und seine Bedeutung für die Menschenrechte werden dadurch bekannter, sein Aktionsradius erweitert. Zudem werden weitere Staaten ermutigt, Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen auch durch Einzelpersonen zuzulassen. Seit Februar 2011 wird der Gerichtshof vermehrt eingeschaltet. Bislang lagen dem Gericht zwanzig Fälle und drei Anträge auf Rechtsgutachten vor (Stand Juni 2012). Ein weiterer Erfolg: die Afrikanische Menschenrechtskommission hat den ersten Fall an den Gerichtshof übermittelt. Er richtet sich gegen Libyen und hängt mit der gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Protestbewegungen im Frühjahr 2011 zusammen. Der AfCHPR hat daraufhin reagiert, so dass sich die libysche Regierung für schwere Menschenrechtsverletzungen wird verantworten müssen. Um den Menschenrechtsschutz in Afrika umfassend und nachhaltig zu verbessern, unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit seit Juni 2012 neben dem Afrikanischen Menschenrechtsgerichtshof auch die Afrikanische Menschenrechtskommission. Da bisher nur wenige Staaten Beschwerden von Einzelpersonen wegen Verletzung der Menschenrechte zulassen, dient die Afrikanische Menschenrechtskommission hier als wichtige Mittlerin.

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Afghanistan Mit der Menschenrechtskommission Chancengleichheit fördern Afghanistan hat die wesentlichen völkerrechtlichen Verträge im Bereich der Menschenrechte ratifiziert und verfügt über einen umfangreichen Grundrechtekatalog. Dennoch sind die rechtsstaatlichen Strukturen nach wie vor unzureichend. Besonders die Willkürherrschaft regionaler Warlords steht im krassen Widerspruch zu den verbrieften Menschenrechten. Zwischen Rechtslage und Wirklichkeit herrscht vor allem im Bezug auf die Chancengleichheit der Geschlechter ein großes Missverhältnis. Nach wie vor gelten Frauen grundsätzlich als nicht gleichberechtigt gegenüber den Männern. Deshalb können sie ihre Rechte nur schwer durchsetzen. Diese diskriminierende Sichtweise fußt auf traditionellen kulturellen, v. a. religiösen Werten und Normen, die besonders in den ländlichen Gebieten den Alltag prägen. In den Städten sind zwar einige kleine Gruppen gesellschaftlich engagierter Frauen aktiv, aber ihr politischer Einfluss ist gering. Zivilgesellschaftliches Engagement ist unumgänglich, um Menschenrechte durchsetzen und verankern zu können. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt mit ihrem Programm in Afghanistan Mechanismen zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung, damit ein friedliches Zusammenleben in der konfliktgeprägten Gesellschaft möglich wird. An diesem Ziel arbeitet der Zivile Friedensdienst (ZFD) der GIZ im Auftrag des BMZ u. a. zusammen mit der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission (AIHRC). Die AIHRC fungiert

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als Anlaufstelle, die Beschwerden bei Menschenrechtsverletzungen entgegennimmt. Sie wacht außerdem darüber, ob der Staat seine menschenrechtlichen Verpflichtungen einhält und bietet in den verschiedenen afghanischen Ministerien Fortbildungen zu Menschenrechten an. Unterstützung bekommt die AIHRC durch eine Fachkraft des ZFD. Gemeinsam entwickeln sie Strategien, mit denen für Afghanistan typische Konflikte gelöst werden können und erstellen Aus- und Fortbildungsmodule für Polizeitrainings. Sie dienen vor allem dazu, Kenntnisse über Menschenrechte zu vermitteln und negative Verhaltensmuster zu durchbrechen. Mit der Stärkung von Frauenrechten befassen sich in erster Linie Nichtregierungsorganisationen. Hier unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zum einen die „All Afghan Women Union“ (AAWU). Die AAWU bildet Frauen auf lokaler Ebene u. a. in gewaltfreier Konfliktbearbeitung fort und stärkt damit ihre Rolle in der Gesellschaft. Zum anderen arbeitet sie mit dem „Cooperation Center for Afghanistan Mazar“ (CCA Mazar) zusammen, das durch Familienmediation, Gewaltschutz und Advocacy-Arbeit Kenntnisse über Frauen- und Menschenrechte vermittelt. Alle diese Aktivitäten richten sich gleichermaßen an beide Geschlechter. Denn eine positive Veränderung der Stellung der Frau ist in Afghanistan nur dann möglich, wenn sich Männer und Frauen gemeinsam engagieren.

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Kenia Unterstützung der nationalen Menschenrechtskommission Mit der Gründung der kenianischen Menschenrechtskommission (KNCHR) wurde ein Meilenstein für die Umsetzung der Menschenrechte in Kenia gesetzt. Seit 2010 ist die Menschenrechtskommission auch durch die Verfassung geschützt und beobachtet als „Watch-Dog“ das staatliche Handeln. Die Kommission hat die Aufgabe, Menschenrechtsverletzungen zu ermitteln, Wiedergutmachungen einzuleiten und darüber zu wachen, dass Menschenrechtsnormen eingehalten werden. Zudem leistet sie Bildungs- und Lobbyarbeit. Im Auftrag des BMZ berät die GIZ im Rahmen des Good Governance-Programms in Kenia regionale und lokale Autoritäten bei der Aufarbeitung der Gewaltexzesse im Jahr 2008. Im Zusammenhang mit der damaligen Wahl in Kenia verloren 1.200 Menschen ihr Leben, weitere 300.000 Personen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Das Programm unterstützte die Menschenrechtsund die Wahrheitskommission dabei, Opfer von Menschenrechtsverletzungen ausfindig zu machen. Landesweit führte die Wahrheitskommission dreißig öffentliche Anhörungen zu den Vorfällen von 2008 durch, die die Menschenrechtskommission mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit überwachte. Nach den Gewalterfahrungen der Wahlen 2008 erhielt die Menschenrechtskommission weitere Unterstützung, um noch intensiver mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenzuarbeiten. Ziel ist, das öffentliche Bewusstsein auf die

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beim Internationalen Strafgerichtshof anhängigen Prozesse zu lenken und den Blick auf die für 2013 anstehenden Wahlen zu schärfen. Ein weiteres Aufgabenfeld betrifft die Bearbeitung von Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen in Kenia. Vier Einrichtungen sind mit einem entsprechenden Mandat ausgestattet: die Menschenrechtskommission, die Anti-Korruptionskommission, die Versöhnungskommission und eine Ombudsperson. Durch die Beratung der GIZ erlangen sie größere Kompetenzen in der Zusammenarbeit und Koordination ihrer Aktivitäten. Damit die Ermittler der Menschenrechtskommission für die abschließende Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen effiziente Instrumente zur Hand haben, wurden dazu umfangreiche Richtlinien entwickelt. Sie beinhalten Methoden und Verfahren, mit denen die einzelnen Ermittlungsschritte kompetent durchgeführt werden können. Die Richtlinien liefern zugleich eine Grundlage für spezielle Schulungen, in denen die Ermittler mit Planspielen ihre Kompetenzen langfristig stärken. 2012 unterstützte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit außerdem die Menschenrechtskommission und das Justizministerium, eine nationale Menschenrechtspolitik mit einem entsprechenden Aktionsplan zu erarbeiten. Damit ist in Kenia die Grundlage für einen einheitlichen Menschenrechtsansatz geschaffen.

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Peru Durch Stärkung der Ombudsbehörde Ressourcenkonflikte bearbeiten Der zwölf Jahre dauernde Bürgerkrieg hat in Peru eine Kultur der Gewalt und des Misstrauens hinterlassen. Seit mehreren Jahren führt auch die Nutzung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu schweren sozialen Konflikten. Besonders die boomende Bergbauindustrie steht im Zentrum dieser Konflikte, denn die lokale Bevölkerung sieht durch große Investitionsvorhaben ihre Lebensgrundlagen, insbesondere die Verfügbarkeit und einwandfreie Qualität des Wassers, bedroht. Verschärfend kommen die enormen kulturellen Unterschiede zwischen den in der südlichen Andenregion lebenden indigenen Dorfgemeinschaften und den Bergbauunternehmen hinzu. Auf Seiten des peruanischen Staates besteht zwar das Interesse, dieses soziale Konfliktpotential einzudämmen. Da die Minenwirtschaft aber einen wesentlichen Anteil am anhaltend hohen Wirtschaftswachstum Perus hat, wird sie weiterhin dezidiert gefördert. Vor diesem Hintergrund unterstützt das BMZ die gewaltfreie Bearbeitung von Umwelt- und Ressourcenkonflikten in Peru. Dafür arbeitet der Zivile Friedensdienst (ZFD) der GIZ unter anderem mit der Ombudsbehörde Defensoría del Pueblo zusammen. Diese hat die Aufgabe, die Interessen und Rechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Handeln staatlicher Institutionen zu vertreten. Weil die Ombudsbehörde aufgrund ihrer Unabhängigkeit in der Bevölkerung hohes Vertrauen und Glaubwürdigkeit genießt, nimmt sie eine wichtige Mediatorenrolle bei der gewaltfreien Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte ein. Zwei Fachkräfte des ZFD un-

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terstützen die Außenstellen der Defensoría del Pueblo in Cusco und Apurímac im südlichen Andenhochland Perus, bei regionalen Umwelt- und Ressourcenkonflikten als gewaltfreie Vermittler aufzutreten. In Seminaren und Workshops entwickelt der ZFD zusammen mit den Mitarbeitenden der Defensoría del Pueblo Kampagnen zur Konfliktanalyse und gewaltfreien Konfliktbearbeitung. Gemeinsam mit den Ombudsleuten klären die ZFD-Fachkräfte im ländlichen Raum sowohl einzelne Bürger/-innen als auch ganze Gemeinden über ihre Rechte auf. Menschenrechtsverletzungen können dadurch verhindert oder zumindest gemindert werden. Bei Konflikten tritt die Defensoría del Pueblo in vielen Fällen als neutrale Drittpartei auf und trägt so zu einem gewaltfreien Ende von Streitigkeiten bei. Im Anschluss analysieren ZFD und die Ombudsbehörde die einzelnen Interventionen, um erfolgreiche Ansätze für die weitere Arbeit nutzbar zu machen. Die Bevölkerung wiederum kennt ihre Rechte und kann sich auf dieser Basis konstruktiv und gezielt für die Wahrung ihrer Interessen einsetzen. Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes unterstützen außerdem staatliche Instanzen und zivilgesellschaftliche Netzwerke beim Aufbau von Dialogräumen, die allen relevanten Akteuren helfen, sich möglicher Konflikt- und Gewaltpotenziale schon frühzeitig bewusst zu werden und präventive Bearbeitungsstrategien zu entwickeln.

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Anhang 1 – Menschenrechte auf einen Blick (inoffizielle Kurzfassung) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte – Zivilpakt Der Zivilpakt ist 1976 in Kraft getreten und für die Vertragsstaaten rechtlich bindend. Der Menschenrechtsausschuss, der nach Art. 28 eingerichtet wurde, überwacht seine Umsetzung. Die durch den Zivilpakt garantierten Rechte sind unter anderem folgende: Artikel 2 Recht auf Rechtsschutz hinsichtlich der im Pakt garantierten Rechte Artikel 3 Recht auf Gleichberechtigung von Mann und Frau Artikel 6 Recht auf Leben Artikel 7 Verbot der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe Artikel 8 Freiheit von Sklaverei und Leibeigenschaft, Verbot der Zwangsarbeit Artikel 9 Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person, Schutz vor willkürlicher Festnahme oder Haft Artikel 12 Recht auf Bewegungsfreiheit und freie Wohnsitzwahl Artikel 14 Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz, Garantie der Unschuldsvermutung und Recht auf ein gerechtes Verfahren vor einem unabhängigen Gericht Artikel 17 Recht auf Privatleben und seinen rechtlichen Schutz Artikel 18 Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit Artikel 19 Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung Artikel 20 Verbot von Kriegspropaganda und Förderung nationalen, „rassischen“ oder religiösen Hasses Artikel 21 Recht auf Versammlungsfreiheit Artikel 22 Recht auf Vereinigungsfreiheit Artikel 23 Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen Artikel 24 Recht von Kindern auf staatlichen Schutz ohne Diskriminierung Artikel 25 Recht auf Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten, aktives und passives Wahlrecht Artikel 26 Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz und gleichen Schutz durch das Gesetz Artikel 27 Rechte von religiösen, ethnischen oder sprachlichen Minderheiten Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Sozialpakt Der Sozialpakt ist 1976 in Kraft getreten und für alle Vertragsstaaten rechtlich bindend. Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der auf der Grundlage der Resolution 1985/17 des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen im Jahre 1985 gegründet wurde, überwacht seine Umsetzung. Die durch den Sozialpakt garantierten Rechte sind unter anderem folgende: Artikel 1 Recht der Völker auf Selbstbestimmung Artikel 2 Recht auf diskriminierungsfreie Gewährleistung und schrittweise Verwirklichung der im Sozialpakt verankerten Rechte Artikel 3 Recht auf Gleichberechtigung von Mann und Frau Artikel 6 Recht auf Arbeit Artikel 7 Recht auf gerechte und würdige Arbeitsbedingungen Artikel 8 Recht, Gewerkschaften zu gründen oder beizutreten, Streikrecht Artikel 9 Recht auf soziale Sicherung Artikel 10 Recht auf Familie und Ehe, Schutz von Kindern und Jugendlichen Artikel 11 Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung Artikel 12 Recht auf körperliche und geistige Gesundheit

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Anhang

Artikel 13 Recht auf Bildung Artikel 14 Grundsatz des unentgeltlichen Zugangs zur Grundschule Artikel 15 Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben und wissenschaftlichen Fortschritt Adaptation von: Kompass – Handbuch Menschenrechtsbildung www.kompass.humanrights.ch

Anhang 2 – Weiterführende Informationen Publikationen BMZ (2011): Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik. BMZ-Strategie 4|2011. BMZ (2010): Menschenrechte konkret. Fact Sheets zum Menschenrechtsansatz in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit BMZ (2012): Menschenrechte in der Entwicklungspolitik. Kinder- und Jugendrechte. Überblick, Herausforderungen und Ansätze BMZ (2011): Kinder- und Jugendrechte konkret. BMZ-Informationsbroschüre 5|2011 BMZ (2011): Gleichberechtigung konkret. Fact Sheets zur Gleichberechtigung in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. BMZ (2009): Entwicklungspolitischer Gender-Aktionsplan 2009–2012. BMZ Konzepte 173 BMZ (2009): Förderung von Good Governance in der deutschen Entwicklungspolitik. BMZ Konzept 172 BMZ (2009): Gesundheit und Menschenrechte. BMZ Spezial 162 BMZ (2006): Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika und der Karibik. BMZ Konzept 139 Deutsches Institut für Menschenrechte (2010): A. Kämpf, A. Würth: Mehr Menschenrechte in die Entwicklungspolitik! Deutsches Institut für Menschenrechte (2012): U. Simon: (K)eine Politik für Kinderrechte? Wege zur Verankerung der Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen in der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. GTZ (2010): Promising Practices on the human rights-based approach in German development cooperation. GTZ (2009): The Human Rights-Based Approach in German Development Cooperation GTZ (2009): The Human Right to Water and Sanitation. Translating Theory into Practice GTZ (2010): behinderung und Entwicklungszusammenarbeit – 10 mal nachgehakt. Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) (2012): B. Hamm, C. Scheper: Human Rights Impact Assessments for Implementing Corporate Responsibility. OECD/World Bank (2012): Integrating Human Rights into Development. Donor approaches, experiences and challenges. UNDP (2012): Mainstreaming Human Rights in Development Policies and Programming: UNDP Experiences 71

Internetseiten www.bmz.de www.auswaertiges-amt.de www.giz.de/menschenrechte www.kfw-entwicklungsbank.de http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/themen/entwicklungspolitik.html www.forum-menschenrechte.de www.ohchr.org www.humanrights-business.org

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Impressum Herausgeber Entwicklungspolitisches Forum der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des BMZ Sitz der Gesellschaft Bonn und Eschborn Friedrich-Ebert-Allee 40 53113 Bonn, Deutschland Tel. +49 228 4460-0 Fax +49 228 4460-1766

Dag-Hammarskjöld-Weg 1–5 65760 Eschborn, Deutschland Tel. +49 61 9679-0 Fax +49 61 9679-1115

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BMZ Berlin | im Europahaus Stresemannstraße 94 10963 Berlin Tel. +49 30 18535-0 Fax +49 30 18535-2501