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neuen Tages, - so wie der Auszug aus Ägypten seine Sinnhaftigkeit erst aus der Ansage eines gelobten Landes zog. Je radikaler aber die Hoffnung, um so radikaler trifft auch die Kritik. Wo Leben verheißen wird, geht es nicht ohne Tod ab. Wer Sicherheit finden will, muß Unsicherheit wagen, - so wie am Ende des Johannesevangeliums Petrus springen muß, um dem Herrn zu begegnen (vgl. Jo 21, 8, auch Mt 14, 29 ff.). Für einen Menschen, der zwischen Unfähigkeit und Bedürfnis zu glauben schwankt, bleibt nur der grundlegende Rat zum Sprung - entlang an Stichworten wie •hoffend gegen alle Hoffnung" (Rom 4, 18), Torheit der Predigt des Kreuzes, ja Gottes selbst (vgl. 1 Kor 1, 17-27). Der Sprung in die Unsicherheit ist Sache der Narren. Jesus selbst wird im Narrenkleid zu Herodes geführt (vgl. Lk 23, 11). G. Rouault hat Jesus als Narren dargestellt. Vielleicht liegt darin ein Hinweis für uns heute. Ob auch die Kirche ihre Hofnarren zu dulden bereit ist, steht auf einem anderen Blatt. Ihre Zukunft wird es jedoch ohnehin zeigen.

Mensch werden auf der Suche nach Gott Geht das auch unser heutiges Möndbtum an?1 Corona Bamberg OSB, Herstelle

Der Zen-Meister trifft in dem berühmten Bogenschützengleichnis ins Schwarze, weil er nicht ins Schwarze zielt. Das könnte etwas zu sagen haben für unser Thema mit seinen beiden entscheidenden Zielpunkten: MenschWerdung und Gott-Suche. Es könnte sich ergeben, daß der am ehesten ins Schwarze des Menschwerdens trifft, der die Pfeilspitze darüber hinaus richtet; wie jener Gott am nächsten kommen mag, der ihn nicht ausschließlich, sondern einschließlich all dessen anzielt, was Menschsein und Menschwerden soll in jeder geschichtlichen Epoche. 1

Der Artikel führt das Anliegen eines Budies der Verf. weiter, das im Herbst dieses Jahres unter dem Titel •Was Menschsein kostet" in der Verlagsgemeinschaft Katholisches Bäbelwerk-Echter herauskommen wird.

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Neuartiges Fragen nach Gott Der aktuelle Bezug ergibt sich daraus, daß Menschsein in eine Phase der Ausweglosigkeit geraten ist. •Unser Problem ist nicht die Atombombe, sondern das Herz des Menschen", diese wesentliche Tieferführung durch Albert Einstein scheint fast schon überholt. Geht es denn auf dem Zwangsweg unserer Gesellschaft zur verplanten Welt überhaupt noch um das Herz des Menschen? Jedenfalls verliert der einzelne immer mehr an Einfluß und Bedeutung. Was kann er, was kann überhaupt der Mensch ausrichten einer Welt gegenüber, die gesteuert wird von Sachmächten, von Systemen verfremdet, von •beschädigtem Leben" voll! Buchstäblich unter der eigenen Hand wird sie ihm unheimlich, die selbstgemachte Welt. Noch so intensives Bemühen scheitert, menschliche Kräfte sehen sich überfordert, wo Gerechtigkeit mit Freiheit, rationale Anpassung mit Entfaltung von Persönlichkeit und Selbstand, Welterhaltung mit Selbsterhaltung zusammengehen sollen. In dieser Situation bricht in einer eigenartigen Weise die Frage nach Gott wieder auf. Bisweilen hat man den Eindruck (man denke an gewisse Partien bei A. Solschenizyn oder - ganz anders gelagert - an die Jesus-Revolte der Jungen in Amerika), daß sich hier überraschend niederschlägt, was anderswo nicht mehr zum Zug kommt: eine existentielle Suche, eine Sache des unvertretbar einzelnen, des Menschen. •Meine Seele weinte vor Freude, daß sie wieder Gott anbeten konnte", so endet bei Jean Paul der Gott-isttot-Traum. Das kann man heute wieder zitieren. Nicht, daß sich viele so ausdrücken würden. Doch mag der Satz einen treffen, als fühle er sich ertappt. Bei was ertappt? Vielleicht doch bei der Frage nach Gott. Sie wird gestellt, wenn auch öfter verschlüsselt als direkt. Viele berufen sich nicht mehr auf Gott, weil sie das für unredlich halten. Aber als unterschwellige Hoffnung, als Gerücht, als verwehte, wenn nicht versteinerte Spur (P. L. Berger) ist er da. Und mit ihm der Drang, ihm nachzuspüren. Wie die Spur selbst greift dieser Drang über den einzelnen hinaus: Gott verschweigt sich etwa in die elementare Sehnsucht nach einer heilen Welt; er lebt in dem unausrottbaren Verlangen nach Gerechtigkeit, von der man weiß, daß sie in der säkularen Gesellschaft nie zu verwirklichen ist und von der man doch nicht abläßt... sonst würde man sich selbst in Stumpfheit oder Resignation aufgeben, das ahnt man. Im Niedergang der Religion tritt dieses Verlangen nach der •richtigen" Welt fast zwangsläufig als Protest in Gegensatz zu den verfahrenen irdischen Verhältnissen; aber auch im Revolutionär und in ihm vielleicht noch unüberhörbarer als im Drogenkonsumenten wird offenkundig, wie sehr der Mensch Glück braucht, eine bessere Zukunft und sogar •unendliche Seligkeit" (Horkheimer).

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Man mag einwenden - und mit Recht -, alles das sei Utopie: es gebe keine radikale und bleibende Veränderung der Gesellschaft, es gebe somit auch keine reale Hoffnung, im Zwangsprozeß der immer totaler verwalteten Welt Mensch zu sein, zu bleiben und also miteinander glücklich zu werden. Dennoch hält man daran fest. Man weiß, es ist Utopie, aber der Mensch braucht sie, weil er nicht Mensch sein kann, ohne über sich hinauszugehen. Zum Menschen gehört das Ausschauhalten nach dem, was vor ihm liegt, größer als er, nicht von ihm verfügbar; und er läßt selbst dort nicht davon ab, wo er sich weigert, Sinn anzunehmen von irgendwoher, wo er darauf besteht, selbst Sinn zu •machen" (Mitscherlich). Die Utopie wird zum Alibi für Ihn, den viele nicht mehr Gott nennen, der aber in dieser Gestalt plötzlich wieder Wirklichkeit und faszinierende Kraft besitzt. Von dieser Wirklichkeit erhofft man sich heute, was frühere Zeiten von den Mächten ihrer Religion erhofften: Befreiung aus der Selbstentfremdung, Raum zum Atmenkönnen, Zukunft, Heilsein. Ja es kann sein, daß der unberufbar ferne, angeblich tote Gott mit einemmal zu entdecken ist mitten im menschlichen Handeln, wenn dieses ermöglicht wird durch das •innere Gefühl, daß es ihn (Gott) gibt" (Horkheimer); daß die Sehnsucht über Grauen, Leid und Tod hinaus ihn meint, wenn sie gleichsam fleht, dieses irdische Dasein möge nicht absolut, nicht das Letzte sein; daß Gott schließlich noch in der Furcht, es könne ihn nicht geben, mächtig wird (Horkheimer). Das alles aber bedeutet, daß die Frage nach Gott ganz neu (oder wieder neu) gestellt wird in der Verzahnung mit der Frage nach dem Menschen, daß die moderne GottSuche nicht zu lösen ist von dem Versuch, Mensch zu sein. Was hat dazu das Christentum zu sagen? Es wäre naiv, wollte man auf diese moderne Fragestellung von irgendwoher Antwort erwarten, die mit einem Schlag und für alle einem so komplexen Suchen ein Ende setzte. Auch das Christentum kann solche Antwort nicht geben. Man erwartet sie übrigens auch gar nicht: nicht vom Christentum, nicht von anderswoher. Was die meisten Tag für Tag erleben: die Sinnlosigkeit im kleinen wie im großen, die Undurchschaubarkeit des Lebens, der Geschichte, Grausamkeit und Ungerechtigkeit, Willkür, unsagbare Leiden in aller Welt, die Schuldige wie Unschuldige in gleicher Weise treffen; dazu die naturwissenschaftliche Erhellung der Lebensprozesse, der Entwicklung im gesellschaftlichen, biologischen, kosmischen Raum - all das und noch mehr ist nicht dazu angetan, daß man sehr hellhörig wäre für glatte Auflösungen und simple Deutungen. Dazu rechnen viele auch den einfachen Hinweis auf einen geglaubten und zu glaubenden Gott, auf die Verheißung einer neuen Welt und Menschheit, wie sie die Bibel bezeugt und Jesus Christus mit seinem Wort und Werk angeblich schon begonnen hat.

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Die christliche, zumal die kirchliche Botschaft hat es schwer, mit solchen Aussagen anzukommen, vor allem dann, wenn der Verkündiger die Menschen nicht dort abzuholen versteht, wo sie ihre Schwierigkeiten haben, oft nicht einmal anspielt auf die Fragen, von denen die Gemüter wirklich bewegt werden. An einen liebenden Gott, an eine allmächtige Lenkung, an die Vorsehung eines Allgütigen zu glauben, ist vielen nicht mehr möglich. Und so meinen sie auch mit einem Christentum nichts mehr anfangen zu können, das ihnen mit der Sicherheit dieses - anscheinend unangefochtenen - Glaubens entgegentritt. Aber wenn (auch innerhalb der Kirchen) nicht wenige vor einem allzu dingfest gemachten Gott scheuen, weisen sie damit, oft ohne es selbst zu wissen, auf eine tiefere Dimension des Glaubens hin. Sie war immer da, auch im Christentum, sie bricht heute wieder elementar auf als Wissen und gläubige Erfahrung, daß Gott nicht vorhanden ist wie ein Gegenstand, ein Besitz, ein Erblicktes, ein Gegenüber, daß er ewig und von Wesen her dem Zugriff menschlichen Erkennens entzogen bleibt, daß er gesucht werden muß. Auch der christlich geglaubte Gott bleibt unfaßbares Geheimnis, so greifbar nah er uns in Christus gekommen ist. Ja hat nicht gerade er, der Mensch Gewordene, für die Seinen zuletzt nur dieses eine Wort: Folge mir! Wohin? Auf einen Weg, der weit und abenteuerlich ist, der in diesem Leben an kein Ende kommt, der fortführt von allem Gewußten und Gehabten, gefährlich und mühsam; er bringt in das Un-heimliche (ins •Weiselose", wie die christlichen Mystiker des Mittelalters sagen), dorthin, wo die irdischen Beheimatungen und auch die Begriffe zurückbleiben, Namen, Bilder, Erklärungen ausfallen, wo es kein •Warum" mehr gibt und als letzte Äußerung der Gott-Suche der Schrei bleibt, der am Kreuz die Erde erschütterte. So sieht der Weg aus, den man Nachfolge nennt, der Weg also gerade des Christen. Auch er kann Gottes nie •sicher" sein, er muß ihn suchen, und daß er davon nicht abläßt, eben darin besteht sein Glaube. Das hat sich, wie gesagt, nicht erst heute dem christlichen Bewußtsein eingeprägt. Es gehört wurzelhaft zu seiner Erfahrung mit Gott, was darin zum Ausdruck kommt, daß es von Anfang an und durch alle Jahrhunderte seiner Geschichte Glaubende gab, die sich als Gott-Sucher schlechthin verstanden und auch so genannt wurden, die Mönche. Problematik des Monastischen Aber nun scheint der Graben noch breiter zu werden: Was haben Mönche und Nonnen mit der Art und Weise zu tun, wie heute (vielleicht) nach Gott gefragt wird? Mönchtum weiß sich zwar bestimmt von dem vorrangigen Willen, Gott zu suchen, das ist sein Lebensthema; aber ist das ein Gott, der mit dem Menschen zu tun hat und mit seiner hiesigen Welt? Dagegen ste-

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hen heftige Bedenken auf, um so mehr, als man sagt, Mönchtum sei vielen den Erweis glaubwürdiger Menschlichkeit schuldig geblieben und eben deshalb in seine Krise und Isolation geraten. Zu diesem Erweis genügt es nicht mehr, auf eine neue Welt lediglich zu hoffen, mag man sie auch verstehen als Gemeinschaft der Menschen, die in Gerechtigkeit und Liebe geeint sind, von Gott her kommend, von ihm begründet. Nach dem Ethos unserer Zeit gehört zum menschlichen Menschen vor allem unmittelbare Mitarbeit am Bestand und an der Zukunft der Gesellschaft, greifbares und eingreifendes Anteilnehmen am Schicksal der anderen, wirksames Da-sein für viele über die Grenzen der eigenen Gruppe hinaus, Integration in diese reale Welt. Wie paßt dazu eine Lebensweise, in der das Sich-Ausstrecken nach einer Nähe Gottes jenseits der hiesigen Welt trotz mancher Anpassung weiterhin bestimmendes Anliegen ist und als spezifische Mittel dazu immer noch Distanz von der Welt und Kontemplation in Einsamkeit und Schweigen genannt werden? Die Frage ist nicht leichthin abzutun. Sie geht an die Wurzel, sie deckt das Dilemma des modernen Mönchtums auf. Zwar trifft es nicht zu, daß diese Christen - und das gilt auch für die Wüstenväter und Eremiten der ersten Zeit - über der Sorge um die eigene Seele die Brüder und Schwestern völlig vergaßen, daß alles mit Heilsegoismus und Introvertiertheit abzutun wäre. Immer lag diesen Gottsuchenden die Liebe zum Nächsten am Herzen, suchten sie Mit-Sein im Sinn des Jerusalemer Urmodells, erwarteten sie Gemeinde Gottes nicht untätig von oben her, als das himmlische Jerusalem, sondern mühten sie sich ihrer Verwirklichung entgegen im eigenen Umkreis und Leben. Aber wenn man das feststellt und zugibt, hat man die heute anfallende Frage noch nicht gelöst. Dazu müßte vor allem Welt als Ort der Mensch-Werdung, weil der Gott-Suche in den Blick kommen; mehr noch: integriert werden in den monastischen Gedanken selbst. Das war aber offenbar zu lange nicht der Fall, als daß es über Nacht jetzt zu leisten wäre. Nicht nur außerchristliche Strömungen der Ursprungszeit: neuplatonische, gnostische, manichäische Einflüsse zeichnen dafür verantwortlich; auch die Akzentsetzung der frühen Theologie spielt mit, die viele Jahrhunderte hindurch das Mönchtum in seiner Welt-Sicht prägte. War Christus nicht der Ball, der auf die Erde fällt, um sofort wieder hochzuspringen? (Origenes) Muß man nicht seine Menschheit bald hinter sich lassen, um seine Gottheit zu verkosten? (Augustinus) Geht es nicht um ein ständiges Sich-Losreißen von der Erde in der Teilnahme am Herabstieg und Hinaufstieg des Logos? (Origenes) Ja gibt es nicht nachweisbar den •fatalen Reiz der puren Abstraktion" (Bouyer über Evagrius Ponticus), mindestens in der Reflexion der Mönchstheologen? Jedenfalls herrschte die Überzeugung vor, daß es nicht lohnt, viel Mühe zu verwenden auf eine Welt, die seit dem eschatolo-

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gischen Ereignis greisenhaft dahinwelkt (Gregor d. Gr.), seit Christi Tod und Auferstehung dem Ende nahe ist, im Grund nicht viel mehr wert als eine Stufe, auf die man treten muß, um zu Gott zu kommen. Frühmonastische Weltflucht und mittelalterlicher •contemptus mundi" bringen wohl am einseitigsten diese Grundhaltung zum Ausdruck. Und wenn man auch nicht übersehen kann, daß weder Weltflucht noch Welt-•Verachtung" ein Hindernis bildete für den Kulturbeitrag des Mönchtums bis an die Schwelle der Gegenwart, daß Klöster und Abteien gerade in der Distanz, in ihrer weitabgewandten Gott-Suche und kultischen Gott-Feier stärkstes Zeugnis ablegten für die weltverändernde Macht eines Glaubens, für den in Christus die neue Erde und Menschheit bereits Wirklichkeit geworden ist - aufs ganze gesehen wird man zugeben müssen, daß der Bogen zu steil und direkt Gott anzielte, als daß der alte Ansatz noch unbesehen dem Anspruch genügen könnte, den die geschichtliche und nicht zuletzt die theologische Weiterentwicklung zu Recht an eine christliche Lebensweise stellt. Nicht als ob alles, was heute gedacht, gesagt und getan wird, ins Schwarze trifft! Mitmenschlichkeit zum Beispiel ist nicht alles, was Menschsein heißt. Weltsendung kann ebenso zur christlichen Brille werden wie Weltflucht. Aber daß niemand Gott suchen kann im grundsätzlichen Vorbeigehen an seiner Welt, diese unbestreitbar christliche Wahrheit, die heute zum Zug kommt, bedeutet einen Umbruch, den die Geschichte des Christentums so vielleicht noch nie erlebt hat. Wer das anerkennt, braucht nicht einen Trend zu folgen. Noch tiefer als die Solidarität mit denen, die ihre ganze Kraft einsetzen für eine humanere Zukunft (womit sie auch dem Mönchtum Weiterwege erschließen), noch zwingender als selbst die Einsicht, daß diese Welt nicht ohne aktives menschliches Mittun Gottes Welt bleiben oder werden kann, ist das Bewußtsein, von Gott dazu berufen zu sein in und mit Christus. Und eben dieses Bewußtsein ist ganz neu durchgebrochen. Ob Mönch oder Nicht-Mönch: als Christen wissen wir, daß wir Gott die Welt schulden, die er uns gibt, damit wir sie - das Werk der Menschwerdung weiterführend - entfaltet, verwirklicht, vollbracht mit Christus ihm zuführen (vgl. 1 Kor 3, 22 f.). Auch im Mönchtum kann sich der Mensch daher heute der Tatsache nicht entziehen, daß er mit dem Gott seiner Suche in Kontakt tritt nicht ohne Annahme dieser seiner Welt, und das heißt: dieser geschichtlichen Stunde, dieses Schicksals, dem die Menschheit gerade jetzt entgegensteuert, dieser Aufgaben, die gemeinsam anzupacken und einer Lösung entgegenzutreiben sind. Man muß es aber noch genauer sagen, was eigentlich neu ist an dieser Erkenntnis. Auch das christliche, zumal westliche Mönchtum weiß ja, wie gesagt, längst um einen geschichtlichen Auftrag, eine Aufgabe für die jeweilige Kirche und Gesellschaft. Es hat faktisch seine Rolle gespielt •mitten

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in der Welt", dafür gibt es viele Beispiele. Aber hat es schon in der Reflexion - einer zugleich betenden und nüchtern zur Kenntnis nehmenden Reflexion - aufgearbeitet, was für eine völlig veränderte Lage mit der technischen Revolution, dem Atomzeitalter, dem •Ende der Neuzeit" auch für seinen christlichen Dienst entstanden ist? Darauf aber käme es heute an. Es ist z. B. nicht mehr getan mit dem Hinweis darauf, daß die Zisterzienser im 12. Jahrhundert eine ähnliche Rolle für Nordengland gespielt haben, wie die •General Motors" im modernen Nordamerika. Es stimmt, die Wolle ihrer Schafherden war einer der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren im mittelalterlichen England. Was ihnen aber ihre Schlüsselstellung gab in der Welt ihrer Zeit, das war ihre Welt-Absage, nicht ihre Wolle und ihre ökonomische Tüchtigkeit. In dieser durch und durch religiösen Kultur war das möglich, galten mönchische Aszese und Mystik als wesentlicher Beitrag, der allen zugute kam. Das ist heute total anders geworden. Unsere Gesellschaft ist areligiös, wer ihr dienen will - und christliches Mönchtum muß ihr dienen -, hat sich auf neue Wege zu besinnen. Die Frage der monastischen Weltbeziehung ist in ein sehr viel spannungsreicheres, in ein dramatisches Stadium getreten. Von außen her erhält das Mönchtum immer weniger Bestätigung für seine besondere Lebensweise und Richtung. Es ist die Frage, ob es sich abriegelt oder aber dem Test stellt, der es prüft auf seine christliche Qualität. Denn darum geht es ja heute: um die Echtheit eines Zeugnisses, das einfach christlich sein muß und das heißt: menschlich im Sinne Jesu Christi. Er aber wurde vom Vater in die Welt gesandt und hört auch nach seiner Erhöhung nicht auf, Mensch zu sein und im Menschen uns da zu sein. Von da her kann man wohl mit Recht bezweifeln, ob Mönchtum in unserer Gegenwart schon ausreichend ins Gespräch gekommen ist mit der veränderten Welt und Theologie, nicht apologetisch, nicht defensiv, sondern offen, sachlich, letztlich unbesorgt um das, was dabei herauskommt. Womit immer zugleich die Gewissensfrage gestellt ist, ob der heute ergehende Anruf (des Geistes, des Evangeliums) schon bis in den Grund hinein vernommen wurde, diese •Stimme", für die nach der Benediktusregel der Mönch aufgeschreckt, aus dem Schlaf auffahrend und mit nicht verhärtetem Herzen verfügbar sein soll. Der unersetzliche Beitrag für das Heute Es wäre um so wichtiger, als die tiefste Erfahrung des Mönchtums bis heute unüberholt ist und speziell heute eine große Hilfe sein könnte, wo der Mensch seine Welt so abgedichtet hat, daß sie in ihrer Immanenz verschlossen ist und den Blick auf das den Menschen Übersteigende bedrohlich verstellt.

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Die Folge ist eine immer größere Ratlosigkeit. Unzählige sind von ihr angefallen, die Menschheit insgesamt steuert auf sie zu. Man durchschaut sie nicht, noch viel weniger kann man sie abschütteln. Auf seiner Suche nach Gott hat Mönchtum nun aber erfahren, was von ihr befreien kann: es hat bezahlt, was Menschsein kostet. Ratlosigkeit ergibt sich doch daraus, daß der Mensch verzweifelt er selber sein will, ohne seine tiefste Möglichkeit zu wagen: den Absprung von sich zum Du hin, das wir Gott nennen. Nur wer sich ihm stellt, in dem alles Menschliche und Welthafte gründet, der alles umfangend übersteigt und durchdringt und zur Vollendung bringt, nur wer sich mit dem absolut Größeren konfrontiert und sich ihm ausliefert, kommt ganz zu sich, wird über sein Vermögen hinaus er selbst, wird frei zum wahren Menschsein. •Sich-Finden im Sich-Verlieren um meinetwillen", nennt das der Herr im Evangelium. Das Paradox der Nachfolge kennzeichnet geheimnisvoll den Weg zur Mensch-Werdung, wie das Mönchtum ihn immer verstanden hat. Ein Weg der Entsagung ist das und eben so ein Weg der Befreiung; ein Weg des Sterbens um der Selbstfmdung willen, die allein Gott schenken kann, wenn der Mensch sich und alles, was sein ist, auf ihn hin, um seinetwillen verliert. Anders kann niemand loskommen von dem, was ihn zum Gefangenen seiner eigenen Welt macht, zum Sklaven gegenüber dem, was zu dieser Eigenwelt gehört: Ideen und Wunschträume, Menschen und Pläne, Vereinnahmtes oder Begehrtes, Gefürchtetes oder verzweifelt Erhofftes, Stehenwollen aus Eigenem und Bestehenwollen für das Eigene um jeden Preis. Menschsein beginnt mit dem Absinken dieser Eigenwelt, sagen die Mönche; es kostet genau dieses ichbezogene Leben. Bisweilen klingt das einseitig in ihrer Überlieferung; Entsagung, Wüste, Einsamkeit, Ohnmacht, Angefochtenheit, Heimat- und Bodenlosigkeit bis zum Gar-nichtsmehr-Wissen gehören dazu. Doch würde man alles gründlich mißverstehen, wollte man das Dunkle isolieren. Dieser Weg der Gott-Suche ist zwar radikal, ein Todesweg für den, der sich und seine Welt selbst vollenden will; der springende Punkt ist aber, daß man gerade so ins •Schwarze" des Menschwerdens trifft. Die Mönche nennen das nicht so. Den Blick auf Gott gerichtet, kümmert es sie gar nicht, was aus ihnen wird. Eben das läßt sie ins Schwarze treffen. Das Nicht-Ich fasziniert sie: Gott nimmt sie gefangen, um sie gerade so zu befreien. Gelöst und aus sich herausgedrängt von diesem innersten Glück, vergessen sie sich und alles sonst; so fallen die Fesseln der Selbstsucht, so können sie, was der Mensch aus sich niemals kann: sich verlieren, um sich zu finden, wie es das Evangelium fordert und verheißt. Das ist die tiefste Erfahrung des Mönchtums, und es ist eine Erfahrung der Liebe: daß der Mensch nur durch den Tod des sich suchenden Ich hin-

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durch zum göttlichen Du gelangt, das ihn befreit zu sich selbst und damit aus allem, was ihn im Innersten - dort, wo er Mensch sein soll - ratlos macht. Nur in der so verstandenen Gott-Suche gibt es zuletzt Mensch-Werdung. Sie beginnt - Einsteins Hinweis bleibt insofern gültig - im Herzen des einzelnen, wenn dieser sich befreien läßt aus dem Auf-sich-Zurückgeworfensein, aus dem Haltsuchen dort, wo es keinen letzten Halt gibt, aus der Neigung und Lust, alles und jedes zu vernutzen, auch den Mitmenschen, auch den geliebten zum Mittel herabzuwürdigen, um sich zu behaupten, zu bestätigen, zu rechtfertigen. Sterben um des Heiles willen, das allein Gott schenken kann, nannten es die Mönche. Sie meinten aber genau das, was auch unserer Gesellschaft überhaupt noch Chancen gibt, menschlicher zu werden: die je persönliche Mensch-Werdung. Darin ist Mönchtum exemplarisch für alle christlichen Generationen. Was jedoch ohne Absicht und Programm geschah. Man gewinnt hier nicht den Eindruck von Leuten, die etwas Besonderes leisten oder sein wollen. Mindestens von den ersten Mönchen kann man sagen, daß sie sich für Anfänger hielten oder auch für unnütze Knechte und daß sie erstaunlich nüchtern mit beiden Beinen auf der Erde standen. Wenn es ein monastisches •Modell" gibt, so gehört jedenfalls die Unscheinbarkeit dazu. Man will da nichts aus sich machen, und gerade so kann etwas durchbrechen, durchstrahlen vom neuen, endgültigen Menschen, der sich in Gott gefunden hat. Noch das Rußland der Starzen im vorigen Jahrhundert kann zeigen, wie da die Ratlosigkeit einer evangelischen Sorglosigkeit weicht, die sich vielen mitteilt im näheren und weiteren Umkreis, wie ein einziger Mensch (man denke etwa an Seraphim von Sarow) unzählige lösen kann zu ihrer eigenen Freiheit, wie Gemeinschaft entsteht, die ansichtig macht, was die menschliche Gesellschaft sein könnte. Überlegungen zur Aktualisierung des Mönchtums Aber nun noch einmal die Frage: Wie läßt sich diese Erfahrung des Mönchtums einbringen in den neuen Kontext, den Sicht-Kreis der heutigen Weltaufgabe und Menschfrage? Das Problem bewegt augenblicklich nicht wenige, außerhalb wie innerhalb des Mönchtums. Man tastet, experimentiert, wagt sich vor und steckt wieder zurück. Auch unsere Überlegungen können keine Ergebnisse bringen, die gültig und fertig wären. Es gibt sie nicht. Es gibt aber so vieles, was in unserer Zeit aufhorchen lassen muß, zu viel, als daß man die Suche aufgeben dürfte nach der heute fälligen Gestalt des mönchischen Lebens. Warum zum Beispiel haben kürzlich in Kalifornien neomarxistische Studentenführer einem katholischen Mönch gegenüber sich als die wahren •Mönche" bezeichnet? Wollten sie ihn nur provozieren? Oder aber war es

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für sie völlig unerheblich, daß christliches Mönchtum steht und fällt mit der Suche nach Gott - unerheblich gegenüber dem, was im Wort •Mönch" für diese Jungen offenbar mitschwingt: das aufs Ganze Gehende, das Radikale? Wenn man dem nachdenkt, stößt man genau auf die Art und Weise, wie heute nach Gott gefragt wird. Aufs Ganze gehend, in diesem Fall: auf die Befreiung des Menschlichen abzielend durch den Umsturz einer inhumanen Gesellschaft, das ist eine, wenn nicht die moderne Variante der •Gott"-Suche. Was für eine Chance für das christliche Mönchtum, hier mitzuhelfen: nicht beim gewaltsamen Umsturz, aber bei der Befreiung des Humanen! Allerdings müßten dazu beide Seiten etwas lernen: die einen, daß das nicht zu machen ist mit der •großen Absage" Marcuses, sondern mit der Entsagung, wie wir sie eben umschrieben haben; die anderen, daß das allen geschuldete Zeugnis des Mönchtums nicht auf einer Ebene bleiben dürfte, die heutigem Lebensgefühl oft allzu fern gerückt ist. Damit sagen wir gerade nicht, das eigentlich Gemeinte solle aufgegeben werden. Der ursprüngliche Wahrheitsgehalt muß voll und ganz erhalten bleiben, auf ihn kommt es gerade an. Aber er darf nicht verwechselt werden mit dieser und jener Ausgestaltung, die er gefunden hat in der langen Zeit seiner Geschichte. Zu solchen - zeitbedingten, zeitgebundenen - Ausgestaltungen gehören hier wie überall Mittel, die sich bewährt haben, die aber kein Ziel in sich sind: gewisse Übungen und Einrichtungen, gewisse Strukturen, ein gewisses Vokabular. Ihre Überprüfung ist in Gang gekommen. Man weiß und akzeptiert es wohl auch grundsätzlich, daß Mittel nicht absolut gesetzt werden dürfen. Historische Studien, soziologische und psychologische Beobachtungen, auch etwa die ganz unterschiedlichen Formen, in denen christliches Mönchtum heute in den einzelnen Erdteilen gelebt wird - und wir haben die Möglichkeit, sie miteinander zu vergleichen -, all das trägt dazu bei, den Blick zu weiten und zu schärfen für das, was wesentlich ist. Aber theoretische Einsicht ist noch nicht gelebte Praxis. Außerdem: Was heute in Frage gestellt wird, ist mehr als die feudalistische Struktur einer Abtei oder, noch äußerlicher, die Sinnhaftigkeit von Gitter und Schleier. Zur Debatte steht zum Beispiel die grundsätzliche Erlaubtheit eines Klausurlebens, in dem man - so lautet der Vorwurf - flieht vor den normalen Konflikten, der Angst, dem Existenzkampf unzähliger, um in Frieden und Sicherheit Gott und die Tröstungen seiner Nähe zu genießen; dahinter die Vermutung, daß die Menschenwelt insgesamt verneint wird als angeblich dem Göttlichen (und seiner Beschauung) entgegenstehend; schließlich der Verdacht, daß die Menschen in den Klöstern immer noch befangen sind in der allzu raschen Transzendenz der ersten Jahrhunderte und also trotz mancher Korrekturen im Grund vorbeigehen an Schöpfung, Welt und Geschichte.

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Man kann - neben vielem anderen - etwa auch sagen, das soll nur ruhig alles in Frage gestellt werden, Mönchtum bleibe zeitlos gültig, seine Spiritualität könne nie veralten, im Kern sei es unüberholbar. Ist es aber damit getan? Wo ist dieser Kern denn zu fassen, wenn nicht in einer geschichtlichen Ausgestaltung? Geschichtlichkeit aber bedeutet, daß das •Wesen" nie vorhanden, sondern immer neu einzuholen ist: im Ausgriff auf das Endgültige und im Gestalten des jeweiligen Weltstoffes, den das konkrete Leben liefert, die Situation, die Anforderung jeder Zeit. Mönchtum steht nicht außerhalb des Geschichtlichen. Es hat also auch heute nach seiner Gestalt zu suchen, nicht etwa nur in Selbstverteidigung, sondern um tiefer zu sich selbst zu finden - oder anders gesagt: um seines keineswegs aufgehobenen Auftrags willen. Erst so erhalten doch Überlegungen zu seiner Aktualisierung ihren letzten Ernst: wenn man bejaht, daß die allerorts aufgebrochene Suche ein wesentlicher Aspekt der mönchischen Gott-Suche ist. Das stellt sofort vor die Entscheidung, ob man es grundsätzlich und praktisch für möglich hält, daß Gott nicht nur in der Schrift, in der Regel, in der eigenen Gemeinschaft, in den verborgenen Antrieben des Inneren Weisung gibt und anruft, sondern in allem, was das reale Leben mit sich bringt. Und dazu gehört zweifellos das, was die Mit-Welt erlebt. Es darf nicht genug sein, bei den internen Problemen stehen zu bleiben, auch wenn es Probleme der Kommunitäten und nicht nur des (möglicherweise) introvertierten einzelnen sind. Mönchtum, das nur sich umkreiste, hätte keine Zukunft - genau so wenig wie eine Kirche, die im eigenen Drahtverhau steckenbliebe. Noch anders als bisher käme es darauf an, herauszuhören, welche geistlichen Bedürfnisse die Menschen heute haben (ihre Krise ist ja im tiefsten eine geistliche), welche Schwierigkeiten mit Gott, welche monastischen Hilfsquellen zur Verfügung stehen und welche Wege gegangen werden müssen, um sie zugänglich zu machen. Noch einmal: das ist nichts gänzlich Neues, neu ist nur seine Aktualisierung. Seit 1400 Jahren sagt es die Benediktusregel mit dem Psalm, daß der Geist •heute" ruft. Wer das aber im Sinn einer bloßen Sakralerfahrung verstehen wollte, ohne sich vom menschlich-geschichtlichen Jetzt prägen zu lassen (was gerade nicht billige Anpassung heißt), würde der wirklich den Geist Jesu Christi hören können? Und: Würde er tun, was Generationen von Mönchen und Nonnen vor ihm auf ihre Weise zu tun versuchten? Nie war Gott-Suche zu trennen vom Hören seines Anrufs im konkreten Jetzt; wer dürfte also abschalten, wenn das heute von ihm Öffnung und Hinwendung zu der einen Menschenwelt verlangt, die nicht mehr en bloc der Klosterwelt gegenübersteht? Daß das Ungewohntes mit sich bringt, Konfrontation, unbequeme Fragen, Aufbrechen des scheinbar völlig Gesicherten, ist eine Tatsache. Man kann an ihr leiden. Wer ihr aus-

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weichen wollte, würde sich weigern, den Absprung von sich unter Beweis zu stellen, der für Gott-Suche wie Mensch-Werdung im Mönchtum immer entscheidend war. Bloßes Frommsein, so unentbehrlich es ist, reicht in dieser Situation nicht aus. (Übrigens hatte •fromm" früher einen viel weltbezogeneren Klang als heute;nochbei Goethes •Weltfrömmigkeit" klingt er durch.) Vor allem anderen braucht es Urteilskraft und Unterscheidungsfähigkeit. Man erwirbt sie nicht nur auf •geistliche" Weise. Hand in Hand damit muß sachliche Orientierung gehen, Information, Auseinandersetzung, Auswertung etwa auch der Humanwissenschaften, ständige Weiterbildung nicht nur im Religiösen, Wachsein für alles, was die Menschen heute bewegt und was sie ihrerseits in Bewegung setzen. Teilnahme an Konferenzen sei eine moderne Form monastischer Aszese, meinte kürzlich der Abtprimas der Benediktiner. Es läßt sich übertragen auf viele Arten von Dialog, die nötig werden, auf verantwortliche Mitarbeit in Kirche und Gesellschaft - hat man nicht auf dem letzten Kongreß der Benediktineräbte festgestellt, daß speziell hier noch vieles wachsen muß? Damit ist nicht behauptet, jeder solle alles tun oder jeder Mönch, jede Nonne dürfe sich in gleichem Maß unmittelbar den Menschen und ihren Bedürfnissen zuwenden. Es gibt den je eigenen Auftrag für jeden einzelnen; und darüber hinaus gibt es eine •illegitime Öffnung des Mönchtums zur Welt hin", vor der •zu warnen ist" (F. Wulf). So sehr der Mensch auch im Mönchtum sich der ganzen Wirklichkeit auf Gott hin aussetzen muß es wird nur dann tatsächlich auf Gott hin geschehen, wenn man dabei der je eigenen Berufung treu bleibt. Wozu normalerweise das Korrektiv der Mitgefährten dieser Berufung unentbehrlich sein wird. Nicht darum geht es also, ein ausgegossener Alleswisser zu sein oder in hektischer Betriebsamkeit sich und seine Umgebung um den letzten Rest der Fähigkeit zur Sammlung, zum Beten zu bringen. Es kann auch nicht eine Vielgeschäftigkeit gemeint sein, ein Engagement an tausend Stellen, das die Kommunitäten zerreißt und auflöst. Es gibt Aufgaben, für die Mönche und Nonnen gar keine Voraussetzungen haben können. Andere werden sie viel besser erfüllen, ihre Übernahme brächte nur Verwirrung in die Klöster. Was man von ihnen erwartet, das ist vor allem der geistliche Beitrag: Hilfe, wie man beten kann, Anleitung zum Meditieren, Zuhörenkönnen, wie es aus dem Umgang mit Gottes Wort in langen Jahren still heranwächst; Armut, die - im Materiellen wie im Geistig-Geistlichen - vom Selbstbenötigten weiterreicht; Güte, die Zeit hat und löst, auch wenn sie sonst nichts tun kann; ein Klima, das Geborgenheit gibt; in dem allen die Erfahrung, daß der Mensch frei wird zum Lieben, wenn er sich von Gott befreien läßt. Wo geistlicher Beitrag in diesem (zugleich sehr menschlichen) Sinn vergeblich er-

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wartet würde von einem Kloster, wo die dort Einkehrenden nicht sich vor Gott, sondern - wie überall sonst- nur Betrieb oder auch organisierte Tüchtigkeit fänden, da wäre das ein Zeichen dafür, daß die innere Grenze der Verfügbarkeit für Kirche und Welt, für legitime Weltöffnung überschritten ist. Sie wäre auch dort überschritten, wo eine würdige (nicht ästhetisch-makellose) Feier des Gotteslobes, also der gemeinsame Gebetsdienst, ernsthaft in Frage gestellt wäre. Ein Monasterium, das auf diese Ausgestaltung seiner vita communis verzichtet, gibt etwas auf, was - auch nach dem II. Vaticanum; vgl. Perf. car. 9 - vielleicht das entscheidende Merkmal seines Zeugnisses ausmacht: nämlich als Gemeinde, die über die Gottesdienstzeiten hinaus versammelt bleibt, mit ihrem Dank, ihrem Hören und Tun des Wortes, aber auch in ihrer Fürbitte darauf zu verweisen, daß Gott und sein Heil nicht fern sind von einem jeden Menschen, daß die neue, endgültige Ordnung schon begonnen hat, Gottes Reich schon anwesend und nicht alle Hoffnung Utopie ist. Welches Gewicht - in Ergänzung des persönlichen Zeugnisses - dem Dienst einer Gott feiernden Gemeinde in unserer Leistungsgesellschaft zukommt, läßt sich kaum überschätzen. Hier wird ja (bis zum wirtschaftlich Unrentablen und Unproduktiven) ernst damit gemacht, daß Gott es ist, auf den zuerst und zuletzt alles ankommt. Wenn es in der Benediktusregel heißt, der Mensch stehe •beim Opus Dei dabei" (Kap. 19) und •nichts soll(e) dem Opus Dei vorgezogen werden" (Kap. 43), so ergeht damit - über die praktischen und liturgischen Anweisungen hinaus - Weisung. Sie deckt die innerste Sinnstruktur des monastischen Lebens auf (I. Hausherr hat diese umfassende Bedeutung von •Opus Dei" nachgewiesen). Da geht es nicht darum, den ganzen Tag Liturgie zu feiern, Offizium zu singen, im Chor oder in der Meditation zu weilen und im übrigen entschuldigt zu sein von jeder ernsthaften Arbeit. Aber darum geht es, daß der Mensch, die Gemeinschaft im Gesamt des Lebens mitwirkend (als cooperarius) für Gottes Werk da ist, der alles und in allen wirkt und vollendet; daß jeder das Seine tut, doch nie auf Selbstvollendung in dieser Welt hin, sondern als einer, der sich in Christus überschritten hat und Gott die Ehre gibt, seine Herrlichkeit und Liebe zu bezeugen, etwas davon weiterzustrahlen sucht. Wo sich daher das Schwergewicht verlagern würde vom •Opus Dei" auf die Werkerei des Menschen, das •opus hominis" (und dafür gibt es viele Symptome, nicht nur ein hastig absolviertes Chorgebet), da wäre manche imponierende Leistung denkbar, Mönchtum aber nicht. Was wiederum nichts zu tun hat mit Passivität und Einfallslosigkeit! Um noch einmal auf die Liturgie zu kommen: Ebensowenig wie die Kommunität, die sie feiert, ist sie eine Festung mit hochgezogenen Brücken und un-

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durchdringlichen Mauern; eher läßt sich an ein lebendiges Gewebe denken, aus kostbaren Fäden der Tradition, in die aber die Einschüsse des bunten Garns von heute ein neues, farbiges Muster hineinbringen sollen. Dazu haben zum Beispiel auch die Gäste eines Klosters etwas beizusteuern. Gewiß gibt es ein Gesetz des Hauses, das Offizium ist zunächst Gebet der Kommuni tat. Aber muß dieses Gebet nicht so sein, daß sich die •von draußen" dabei wohlfühlen, es mitvollziehen können? Unter anderem wäre das eine Forderung jener Menschlichkeit, die in der mönchischen Überlieferung Gastlichkeit heißt. Das bedeutete etwa, daß die Mönche, die Nonnen sich der Frage öffnen, ob und wie der Mensch von heute in ihrer klösterlichen Liturgie wirklich Gott und auch den Menschen begegnen kann; ob Ritus und Symbole genügend erschlossen sind, ihm so noch etwas zu sagen haben; ob namentlich eine Sprache Verwendung findet, die - im Vortrag, in der Formulierung - moderne Ohren noch trifft. Der mitbetende Gast merkt es sehr genau, ob er wirklich eingelassen ist in dieses Gebet, man kann ihm da nicht lange etwas vormachen. Wenn er sich dann entsprechend äußert, weil ihm daran liegt, wird man zwar nicht immer auf seine Wünsche und Vorstellungen eingehen können. Aber hinhören kann man immer und darin eine der wesentlichsten Voraussetzungen dafür schaffen, daß Formen des Gebets, der Liturgie, der Meditation gefunden werden, die Menschen unserer Tage ansprechen und ihnen etwas von Gott dorthin sagen, wo ihr Erfahrungsschwerpunkt liegt. Welche Möglichkeiten, welche Probleme sich hier auf tun, das zeigte u. a. ein Colloquium über Gebets- und Gotteserfahrung, das die Trappisten von Orval (Belgien) im letzten Herbst zur 900-Jahr-Feier ihrer Abtei veranstalteten. Über 100 Mönche, Nonnen, Weltpriester und Laien aus mehreren Ländern und vielen Orden und Gemeinden nahmen daran teil. Speziell die Laien lockte kaum noch romantische Sehnsucht nach dem •umfriedeten Klaustrum", vielmehr kamen sie mit dem lebhaften Bedürfnis, etwas zu hören darüber, wie Gebet, wie Gotteserfahrung sein kann in ihrem Leben mitten in dieser heutigen Welt. Es zeigte sich, wie aktuell das Bemühen monastischer Gemeinschaften ist, bei aller unaufgebbaren Abgeschlossenheit durchlässiger zu werden und Gelegenheiten zu suchen, um auch von Mensch zu Mensch das mit Gott Erfahrene weiterzugeben. Viele, die unmittelbar im Weltdienst stehen, fühlen sich darauf angewiesen, sie brauchen nicht weniger, sondern mehr als früher den ausdrücklichen Dienst der Beter, das bisweilen auch konkrete Mithineingenommenwerden in den Rhythmus ihres Tages, eine gewisse Beheimatung an den Stätten der GottSuche, damit sie an ihrem Platz nicht das Gespür für Gott verlieren und ihr Christ- und Menschsein durchhalten können.

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Auf der anderen Seite zeigte sich in Orval auch, wie problematisch es sein kann, an einem spezifisch •monastischen" Gebet festhalten zu wollen. Gibt es das überhaupt? (Analog wäre zu fragen: Gibt es eine •monastische" Arbeit? usw.) Der eine Teil bejahte die Frage leidenschaftlich, der andere ließ sie unentschieden oder verneinte sie. Deutlich wurde jedenfalls, daß hier nicht eine Angelegenheit von Stil oder Geschmack zur Rede steht, sondern etwas ganz Grundsätzliches. Es ist das eigentliche Anliegen auch unserer Überlegungen: was für eine Wirklichkeit nämlich die einen wie die anderen meinen, wenn sie von Gott reden. Darf man festhalten an einem •Gott allein" (Dieu tout pur!), der nur im Schweigen und in der Einsamkeit gesucht und gefunden werden kann (mit allem, was das an Strukturen und Gepflogenheiten verlangt)? Oder will Gott auch im Mönchtum gesucht und bezeugt sein für eine Menschenwelt, die sich tiefgreifend verändert hat, von Technokraten beherrscht, geistig, wirtschaftlich, politisch zerrissen? Will Gott also zwar nicht, daß Stille und Zurückgezogenheit über Bord geworfen werden (sie bleiben unentbehrlich), wohl aber deren Relativierung und Dosierung und dazu das redliche Durchhalten der Probleme, das Durchtragen der Spannungen, Bruchstellen. In-Frage-Stellungen, die das mit sich bringt? Wie gesagt, die Frage blieb in der Diskussion, sie steht weiter im Raum. Immerhin war der Eindruck fast aller Teilnehmer, daß das Colloquium von Orval fortgeführt werden sollte. Man spürte, Kommunikation hatte eingesetzt, diese heutige Form christlicher Brüderlichkeit. Man sucht sie vielerorts und es läßt sich belegen, wie dadurch nicht zuletzt die Monasterien selbst bereichert und in einem guten Sinn bestätigt werden - immer vorausgesetzt, daß alles eingebettet bleibt in den Ernst gemeinsamer Gott-Suche. Muß man dazu an Taize erinnern, an Toumliline, an Mount Saviour? Muß man wie ein Ernesto Cardenal, der südamerikanische Mönch, mitten unter den indianischen Bauern Nicaraguas in exemplarischer Armut leben, um die revolutionäre Entäußerung der Liebe mitzuteilen? Ja, wenn der •heute" Rufende es so verfügt. Doch auch vor der eigenen Schwelle kann das Angebot liegen. Nur darauf käme es an: auf den Ruf hin die eigene Schwelle zu überschreiten. Immer noch scheinen die Erwartungen nicht gering zu sein, die sich auf das Mönchtum richten; qualitativ waren sie vielleicht nie größer. Am Mönchtum ist es, sie nicht zu enttäuschen. Wie immer aber die Versuche aussehen mögen, das heute Fällige zu finden, zu leben: zum Ziel führen wird das alles nur, wenn der Bogenschütze den Pfeil nicht mit aller Anstrengung ins Schwarze spannt. Wenn also nicht das modische Nahziel einer •Menschlichkeit um jeden Preis", aber auch nicht das zeit- und weltentrückte Ideal des •Gott allein" die Bogenausrichtung bestimmt, sondern das

Heinrich Schlier

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Sich-Fortgeben an Gottes Ruf im Evangelium und in der Zeit. Sie selbst, die Menschen im Mönchtum, müßten zum Pfeil werden, den Gott ausrichtet, wie Er will - dann könnte es sein, daß sie im innersten Ring die treffen, die Gott im Menschsein heute suchen, oft ohne es zu wissen, dann könnte Mönchtum zum Wegweiser werden in einer der entscheidenden Fragen der heutigen Gesellschaft und Welt.

Der Friede nach dem Apostel Paulus* Heinrich Schlier, Bonn

In einer Zeit, in der die Sprache verkümmert und die Grundbegriffe, in denen der Mensch sein Dasein begreift, der Willkür verfallen und vielfach ihren ursprünglichen Sinn verlieren, ist es notwendig, sich dorthin zu wenden, von woher unsere Sprache spricht und unsere Begriffe begreifen. Woher aber spricht unsere Sprache und begreifen unsere Begriffe? Ohne Zweifel in unseren Landen immer noch, wenn auch immer weniger, vom Christlichen her. Woher aber spricht und begreift das Christliche? Letzten Endes aus der Überlieferung der Heiligen Schrift nach Maßgabe der Kirche. Ein bedeutsamer Teil von ihr, die Briefe des Apostels Paulus und seiner Schule, sollen uns daher heute Auskunft geben über einen weithin schon zerredeten Sachverhalt: über das, was Friede ist. Natürlich ist das eine begrenzte Auskunft. Denn der Apostel entfaltet das, was mit diesem Begriff begriffen ist, kaum. Aber es ist die Auskunft eines in jeder Hinsicht ursprünglichen Begreifens. I. Was Friede meint, ist dem Apostel Paulus hinsichtlich eines formalen Grundsinnes vom Alten Testament und vom Jüdischen her vorgegeben, so wie er auch etwa bei dem, was •Herrlichkeit" oder •Gerechtigkeit" u. a. meint, alttestamentlichen und z. T. jüdischen Sprachgehalt aufnimmt. Dabei ist Friede vom Alten Testament her für Paulus von vorneherein ein Insgesamt von Unversehrtheit und ein Ganzes von Wohlergehen, ein um* Vortrag auf Einladung der Katholischen Studentengemeinde Fribourg (Schweiz).