Auf der Suche nach dem unbekannten Gott
sondern einen Altar, der all den Göttern gewidmet
Predigt über Apg 17,22-34 an Jubilate
ist, die man ja noch vergessen haben könnte. Ein
Vikar Michael Coors
Altar für all die anderen – sicherheitshalber sozu-
Liebe Gemeinde,
sagen. Und Paulus denkt sich: „Offensichtlich ha-
I) Athen – das war einst die große Metropole des
ben die Menschen hier eine Ahnung davon, dass
Geistes der Philosophie, aber auch der alten grie-
es mehr gibt als diesen unübersichtlichen Kosmos
chischen Götterverehrung. Paulus wandert durch
von Göttern für jede Gelegenheit. Vielleicht sind all
die Stadt, vorbei an einer Vielzahl von Tempeln
diese vielen Götter ja nur Ausdruck ihres Suchens,
und Götterstatuen. Für ihn als Juden ist diese Viel-
ihres Strebens danach, den wahren Gott zu finden.
götterei abstoßend, Inbegriff des Unglaubens. Und
Aber von sich aus finden sie ihn nicht, weil sie gar
doch kann er nicht anders als bei aller Wut darüber
nicht wissen, wen sie da suchen.“
doch festzustellen: Die Religion ist fest in das
Und so predigt Paulus den Menschen in Athen von
Leben dieser Menschen eingeprägt – sie sind tief
dem unbekannten Gott, den sie unwissend vereh-
religiös. Und dann findet Paulus einen Altar, der
ren, den sie suchen, obwohl sie gar nicht wissen,
den unbekannten Göttern gewidmet ist. Aufgrund
wonach sie suchen. Und er sagt ihnen: „Dieser Al-
von Ausgrabungen und antiken Texten wissen wir,
tar für die unbekannten Götter, er ist eigentlich ein
dass es nicht einen Altar für den unbekannten Gott
Altar für den einen Gott, den ihr nicht kennt, den ihr
war, wie es im Text der Apostelgeschichte heißt,
aber sucht.“ 1
Eigenheim, sei es das liebe Geld, sei die GeII) Nun, die Verehrung eines ganzen Götterhim-
sundheit oder die körperliche Fitness. Und selbst
mels ist uns heute eher fremd geworden. Und
die Liebe zu einem Menschen kann sich in eine ge-
doch, glaube ich, dass es eine Menge Ähnlichkeit-
fährliche Vergötterung des anderen verkehren.
en zwischen der Situation damals in Athen und bei
Doch die entscheidende Frage, die sowohl Luther
uns heute gibt. Martin Luther hat einmal geschrie-
als auch Paulus stellen ist: Wissen wir eigentlich,
ben: „Das woran du dein ganzes Herz hängst, das
was wir suchen? Wissen wir, woran wir unser Herz
ist dein Gott.“ Und etwas woran wir unser Herz
hängen? Wir können unser Herz ja auch an etwas
hängen, das wir – so gesehen – vergöttern, das
hängen, das schädlich ist, das uns ganz in Besitz
haben wir alle. Denn es ist zutiefst menschlich,
nimmt, uns am Ende vielleicht sogar vernichtet! So
dass wir nach etwas suchen, an das wir uns von
hängt manch einer mit ganzem Herzen an einer
ganzem Herzen hängen können, etwas, das uns
Droge, die am Ende vielleicht sein Tod ist! Luther
fordert mit Herz und Verstand, wofür wir uns von
formuliert sehr deutlich: Wir machen mit unserem
ganzem Herzen einsetzen. Und so suchen wir alle
Herzen beides: Gott und Abgott. Wir suchen und
nach unseren kleinen Göttern des Alltags, die un-
wir finden unsere Götter. Aber die entscheidende
serem Leben immer wieder neu Sinn geben, die
Frage ist: Hängt unser Herz am wahren Gott oder
uns motivieren und orientieren: Sei es der berufli-
an einem Abgott?
che oder der private Erfolg, die Karriere oder das
So sind wir von Gott geschaffen: als Suchende, auf 2
der Suche nach dem, von dem wir her kommen.
immer wieder machen. „Das kann doch nicht alles
Und immer wieder meinen wir etwas davon in den
sein! Da muss noch mehr sein!“ - diesen Satz
Dingen zu finden, an die wir unser Herz hängen.
kennen wir nur zu gut.
Aber wir werden eben auch immer wieder ent-
Und dann, wenn Menschen diesen Satz gesagt
täuscht. Denn unsere selbstgemachten Götter sind
haben, ja dann gehen sie eben mal zur Kirche –
nur all zu leicht zu zerstören, sind vergänglich und
vielleicht an Weihnachten oder an Ostern. Denn da
eben nicht von Dauer: Reichtum schwindet,
scheint es ja noch etwas mehr zu geben. Und so
Schönheit vergeht, Gesundheit erst recht. Auch Er-
sind vielleicht für uns heute unsere Kirchen das,
folg währt nicht ewig. Ja, selbst die Liebe zwischen
was der Altar für die unbekannten Götter damals
Menschen ist vergänglich und allzumal verletzlich.
bei den Griechen war. Die Kirchen erinnern uns
All zu schnell erleben wir, dass wir von unseren
daran, dass da noch mehr ist als unsere kleinen
Göttern enttäuscht werden, ja dass sie womöglich
Götter des Alltags. Sie stellen fortwährend in Fra-
uns selber am Ende zerstören.
ge, wie wir leben; wie wir in unsere Konsumkultur unsere Herzen an alles hängen, was uns auch nur
III) Und so haben auch wir heute eine Ahnung da-
für eine kleine Weile Befriedigung verspricht. Viele
von, dass da noch mehr sein muss. Denn dass
Menschen halten vielleicht allein darum an der Kir-
diese Götter, an die wir unsere Herzen hängen,
che fest, weil diese sie eben daran erinnert: Da ist
nicht alles sind, das ist eine Erfahrung, die wir
noch etwas mehr! Sie bleiben in Distanz zum ei3
gentlichen Leben der Gemeinde, aber sie bleiben
den und nach etwas gesucht, ohne zu wissen was
dabei. Denn: Es kann ja nicht schaden. Es kann
es ist? Ich hoffe nicht! Denn das ist ein ziemlich
nicht schaden, sich auf der religiösen Seite noch
hoffnungsloses Unterfangen. Aber genauso ist un-
abzusichern, da könnte ja noch mehr sein als das,
ser Suchen nach dem namenlosen Gott, unsere
woran ich mein Herz hänge. Und so kommen sie
Suche nach dem, was da noch mehr sein muss. Es
hier her, in den Gottesdienst – vielleicht gehören
wäre hoffnungslos, würde nicht der namenlose
Sie dazu? - und sie machen eben das, was auch
Gott, den wir unwissend verehren uns selber sei-
die Griechen einst an jenem Altar taten: Sie beten
nen Namen nennen, würde er sich nicht aufma-
an, was sie unwissend verehren. Sie haben eine
chen und uns suchen und uns sagen, dass er es
Ahnung davon, dass da mehr sein muss als diese
ist, den wir suchen.
vielen kleinen Götter des Alltags, die uns dann
Und eben das, so sagt es Paulus den Gelehrten
doch immer wieder enttäuschen, die doch nicht
von Athen, ist passiert: Der, nachdem wir suchen,
wirklich helfen, bei all den drängenden Fragen des
hat sich uns gezeigt. Er hat sich gezeigt in einem
Lebens. Sie suchen nach etwas mehr, und wissen
Menschen. Gott, der Schöpfer dieser Welt, hat sei-
doch nicht, was sie suchen: ihr Gott bleibt namen-
ne Macht abgegeben an einen Menschen, der am
los.
Kreuz starb und hat ihn zum Herren über Leben und Tod gemacht. Diesen Menschen kennen, heißt
IV) Haben sie schon mal in ihrer Wohnung gestan-
zu wissen, wen ich suche. Und dass Jesus eben 4
dieser Mensch ist, das hat Gott uns dadurch
Athener zu diesem Christus bekannt?
gezeigt, dass er ihn von den Toten auferweckt hat.
Einfach zu sagen: „Jesus Christus ist von den To-
So verkündigt es Paulus den Athenern. Und dann
ten auferstanden!“ - das hat noch nie Glauben her-
heißt es im Text der Apostelgeschichte: „Als sie
vorgerufen oder zur Umkehr geführt. Nein, dieser
von der Auferstehung der Toten hörten, begannen
Satz hat schon immer gespalten: Die einen haben
die einen zu spotten; die anderen aber sprachen:
es geglaubt, die anderen nicht. Denn eine plausible
Wir wollen dich darüber ein andermal weiter hö-
Begründung dafür gibt es eben nicht. Überzeugen
ren.“ Sehr erfolgreich ist Paulus am Ende also
kann am Ende nur Gott selber, überzeugen kann
nicht! Das Beste, was er erreicht, ist höfliches
am Ende nur, dass ich erlebe: Ja, in diesem Jesus
intellektuelles Interesse. Dass Jesus von den
Christus begegnet mir wirklich Gott, er ist nicht tot,
Toten auferstanden ist, das war weder für die
er lebt und verändert etwas in dieser Welt, in
Menschen damals, noch ist es für uns heute,
meinem Leben. Es bleibt ein Wagnis all die Götter,
wirklich eine plausible Begründung, um zu zeigen,
die wir uns in unserem Leben aufgebaut haben,
dass der unbekannte Gott, der Schöpfer der Welt,
loszulassen, und dann zu erleben, dass ich frei von
sich in diesem Jesus gezeigt hat. Unsere moderne
den Zwängen, die sie auf mich ausüben, mich
Skepsis gegenüber der Auferstehung ist also gar
wirklich ganz auf diesen Gott verlassen kann.
nicht so neu. Was aber überzeugt dann? Wieso
Darauf muss ich mich einlassen, und das bleibt
haben sich am Ende immerhin doch ein paar der
ein Wagnis, denn eine Garantie gibt es nicht. Es 5
gibt keinen Beweis dafür, dass dann die Kirche von
nach wir eigentlich suchen? Vielleicht ist das ja der
einem Altar für den unbekannten Gott zu einem
entscheidende Unterschied: Als Christ weiß ich,
lebendigen Haus Gottes wird, zu einem Ort, an
dass ich auf der Suchen bin nach dem Gott, der
dem ich im Gottesdienst, im Gebet, im Gesang, in
mich in Jesus Christus schon gefunden hat. Ich su-
der Stille dem lebendigen, auferstandenen Christus
che den Gott, der mich geschaffen hat. Wir suchen
begegne. Kein Satz, den ich hier sagen könnte,
den Christus, der vom Tod auferstanden ist. Fin-
kann ihren Verstand wirklich überzeugen: Es bleibt
den werden wir ihn nur, wenn wir lernen, darauf zu
ein Schritt, den ich gehen muss, ein Akt des
vertrauen: Er ist da! Beweisen kann mir das nie-
Vertrauens, allein auf das Versprechen hin: Gott ist
mand. Und so bleibt ein Akt des Vertrauens in den
da, Jesus Christus ist da, er lebt. Das ist es, was
Jubelruf von Ostern einzustimmen: „Christ ist er-
Paulus meint, wenn er zur Umkehr aufruft – die
standen – er ist wahrhaftig auferstanden!
Menschen damals in Athen und uns heute.
Halleluja!“
V) „Wir alle sind irgendwie auf der Suche – auch als Christen.“ Häufig habe ich diesen Satz schon gehört und gelesen – und er stimmt auch. Wir alle suchen, aber ob wir denn auch alle schon wissen oder wenigstens eine Ahnung davon haben, wo6