«Küsst du noch oder beißt du schon?» «Stöhnst du noch oder kommst du schon?»

«Küsst du noch oder beißt du schon?» «Stöhnst du noch oder kommst du schon?» Das Ikea-Editorial fragt kumpelhaft: «Bist du heute fröhlich? Aufgeräumt...
Author: Markus Schulze
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«Küsst du noch oder beißt du schon?» «Stöhnst du noch oder kommst du schon?» Das Ikea-Editorial fragt kumpelhaft: «Bist du heute fröhlich? Aufgeräumt oder chaotisch? Schüchtern oder mutig? Aktiv oder ruhebedürftig?» Man wird ja bei Ikea gnadenlos niedergeduzt, nicht nur im Katalog, auch an der Kasse, bei der Warenausgabe, über Lautsprecher: «In unserem Restaurant warten heute wieder viele leckere Spezialitäten auf dich!» Auf Seite 5 dann der erste Rechtschreibfehler: «Wie gehts dir?» – steht da geschrieben. Ohne Apostroph. Aber vielleicht wurde auch er einfach nur eingespart aus Kostengründen. Auf Seite 6 ff. hat Billy seinen Auftritt. Billy, der Bücherverschlinger und Staubfänger. Der Heimwerkertraum und Hausaltarersatz. Der mit den verstellbaren Einlegeböden und dem lackierten Birkenfurnier. Leise flüstert der Longseller unter den Billigregalen: Ich bin das Maß aller Möbel, raumfüllend, wackelfreudig, abholbereit. Eigenschaften, die auch andere Möbelstücke aufweisen: Ektorp, das ausklappbare Schlafsofa mit dem Zebra-Look; Gullholmen, der marsmännchenförmige Schaukelstuhl aus gepressten Bananenblättern; Malm, die gebeizte Kastenkommode; Frök-Sunnana, die Tischleuchte mit dem gelöcherten Lampenschirm. Billy, Ektorp, Gullholmen, Malm, Frök-Sunnana – klingt alles so, als würden Rentiere im Schnee mit den Hufen scharren. Und tatsächlich: Das System, nach dem der schwedische Möbelgigant die Namen für seine Produkte auswählt, orientiert sich an der mitsommernächtlichen Wortschatzkiste. Badezimmerartikel heißen nach skandinavischen Seen, Flüssen und Meeresbuchten. Betten, Kleiderschränke und Dielenmöbel tragen norwegische, Esstische und Essstühle finnische und Teppiche dänische Ortsnamen. Bettwäsche, Decken und Kissen klingen stets nach Blumen, Pflanzen und Edelsteinen. Bei Lampen schöpft man aus der Begriffswelt der Musik, Chemie, Meteorologie, der Maße, Gewichte, Jahreszeiten, Monate, Tage, Boote. Gartenmöbel werden nach Inseln benannt. Küchen erhalten grammatikalische Begriffe. Stoffe und Gardinen werden 15

auf Frauen-, Stühle und Schreibtische hingegen auf Männernamen getauft. Kinderartikel wiederum werden mit Tiernamen und Adjektiven versehen. Alle schimpfen über den amerikanischen Sprachimperialismus. Und die fortschreitende Sprach-Ikeaisierung, die tsunamigleich über die Welt schwappt? Schimpft da wer? Dabei sollen die Produktnamen, mindestens so bekannt wie Abba-Songs, vor allem beim Träumen helfen. Sie sollen helfen, das Wohnzimmer in eine Abenteuerinsel zu verwandeln, das Schlafzimmer in ein Wolkenkuckucksheim und das Kinderzimmer in einen quietschbunten Vergnügungspark. Kein Wort, nicht einmal im Kleingedruckten, verliert der Katalog über die Strapazen des Einkaufens, das Gedränge draußen vor den Städten; über die Verzweiflung, die aufkommt, wenn die Module zuhause zusammenmontiert werden müssen, aber leider wieder einmal irgendwelche Schrauben oder Imbusschlüssel fehlen. In der Gebrauchsanleitung der Garderobe «Logga» heißt es im vorauseilenden Reklamationssprech: «Da es viele verschiedene Wandmaterialien gibt, sind Schrauben für die Wandbefestigung nicht beigepackt.» Was ja nun auch keine Lösung ist. Bitte, liebe Billigdesigner, führt endlich den Elchtest für eure nordländisch klingende Wackel-Ware ein!

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Alleinstellungsjäger

O ja, das Wort «doof» lässt sich steigern: doof – doofer – am doofsten. Umgangssprachlich sagt man auch: doof – döfer – am döfsten. Ob am döfsten nun döfer ist als am doofsten, oder ob am doofsten dofer ist als am döfsten, kann allerdings niemand so genau sagen. Das Wort «gut» lässt sich ebenfalls steigern, aber unregelmäßig: gut – besser – am besten. Die Steigerung gut – guter – am gutesten bleibt allein den Sachsen vorbehalten, wo sie die Anrede «Mein Gut’ster!» kennen. «Gut», nicht «doof», ist das Zauberwort aller Alleinstellungsjäger. In der Werbung sagen sie: «Die gute Rama», «Gutes von Edeka», «Quadratisch. Praktisch. Gut.» Sie sagen nicht: «Die doofe Rama», «Doofes von Edeka», «Quadratisch. Praktisch. Doof». Gerne verstärken sie die Wörter auch durch Voransetzen anderer Wörter. Sie sagen: Affenhitze, Mordshunger, Spitzenklasse sowie bumsvoll, kackfidel, saukalt, beinhart, affengeil, hackedicht. Wem der einfache Verstärker zu schwach erscheint für sein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis, benutzt einen doppelten Verstärker: funkelnagelneu, splitterfasernackt, schnurzpiepegal. Der Alleinstellungsjäger würde glatt noch einen drauf setzen und sagen: das «funkelnagelneueste» Auto, der «splitterfasernackteste» Mensch, das ist mir doch «schnurzpiepegalst». Doch das wäre dudenwidrig, also grundfalsch. Adjektive mit Verstärkungen sind nicht steigerbar. Schon viele «unverstärkte» Adjektive, man nennt sie «absolute Adjektive», können nicht gesteigert werden: Niemand kann lebendiger als lebendig sein, toter als tot, deutscher als deutsch, impotenter als impotent, schwangerer als schwanger oder fertiger als fertig. 17

Und so vergreifen sich die Alleinstellungsjäger – sie selbst sprechen vom «Alleinstellungsmerkmal», obwohl mit Alleinstellung alles gesagt ist – in ihrer zügellosen Steigerungswut weiter an dem DreiBuchstaben-Wort «gut». Sie sagen: «Gut, besser, Paulaner». «Gut, besser, Christus». «Gut, besser, Messi». «Gut, besser, ich». Paulaner, Christus, Messi, ich – sie alle sollen also am besten, am allerbesten, am allerallerbesten sein. Was aber ist das Beste, wenn es als «Bester Sex», «Beste Reisezeit», «Bester Duftspender», «Beste Jahre», «Bester Beifahrer» oder «Bester Preis» daherkommt? Ist bester Sex der, den man allein, zu zweit oder im Rudel hat? Fällt die beste Reisezeit in die Hauptsaison, wenn die Strände überfüllt und die All-you-can-eat-Buffets abgegrast sind? Oder fällt sie in die stade Schnäppchenjägerzeit? Versprüht der beste Duftspender süßen Mandel- oder sauren Granatapfelduft? Hat man die besten Jahre als Baby, junge Mutter, geschiedener Ehemann oder beginnen sie – frei nach Udo Jürgens – erst mit 66? Soll der beste Beifahrer die Route mit den wenigsten Schlaglöchern ermitteln, eine alkoholfreie Verköstigung des Fahrers sicherstellen oder den wilden Radio-DJ geben? Und für wen soll der beste Preis der beste sein? Für den Käufer? Dann wäre er günstig. Für den Verkäufer? Dann wäre er teuer. In allerbester Alleinstellungsjäger-Gesellschaft befinden sich außerdem die Superlativ-Sprüche «Deutschlands beste Sekretärin», «Deutschlands bester Arbeitgeber», «Deutschlands bester Pauker», «Die beste Idee Deutschlands», «Erfurts beste Seiten» und «Bayerns bester Wetterbericht». Das Beste – es ist ebenso unspezifisch wie angeberisch und aalglatt. Es will einen «brutalstmöglich» guten Eindruck hinterlassen und träumt von einer Win-Win-Situation: dem Doppelsieg, der sich manchmal auch in eine Lose-Lose-Situation verwandelt. Siehe George Orwell und dessen Buch «1984», das von einer Zukunft handelt, die im Jahre 2010 ff. ihre besten Jahre bereits hinter sich hat. Auch spricht der britische Schriftsteller in der deutschen Über18

setzung von «Gutdenk», «gutdenken», «gutdenkvoll», «Gutdenkweise» und «Gutdenker», ohne dass heute noch mit den Worterfindungen jemand etwas anzufangen wüsste – schon gar nicht die doofdenkvollen Alleinstellungsjäger. Das Beste kommt immer zum Schluss. In diesem Fall: der beste kurze Witz. Der geht so: Treffen sich zwei Alleinstellungsjäger. Beide tot.

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