Kriechstrom: Wenn nicht mal mehr die Erdung hilft

MELKTECHNIK Kriechstrom: Wenn nicht mal mehr die Erdung hilft Durch fachgerechte Erdung der Melkanlage lassen sich Kriechstrom und Melkprobleme norma...
Author: Bertold Hase
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Kriechstrom: Wenn nicht mal mehr die Erdung hilft Durch fachgerechte Erdung der Melkanlage lassen sich Kriechstrom und Melkprobleme normalerweise vermeiden. Teilweise wird die Situation aber auch nach einer Erdung nicht besser. Wie ist das zu erklären? Es berichtet Dr. Dirk Hömberg, Melkberater aus Münster.

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mmer wieder kommt es in Milchviehbetrieben zu gravierenden Störungen des Melkvorgangs. Meist betreten die Kühe den Melkstand nur äußerst widerwillig. Während des Melkens sind sie unruhig und setzen vermehrt Harn und Kot ab. Zudem sind lange Melkzeiten und schlechtes Ausmelken zu beobachten. In der Folge treten oft auch akute Mastitisfälle auf. Als Ursache des Übels entpuppen sich häufig Kriechstromquellen mir nur geringer elektrischer Ladung. Ein Beispiel sind hier Gebäude- und Anlagenteile mit ma-

terialbedingten Spannungsunterschieden. Überbrückt eine Kuh solche Bauteile, kommt es durch das Tier hindurch zu einem Stromfluss und damit zum Abbau der Spannungsunterschiede. Durch eine umfassende Erdung von Melkstand und Melkanlage lassen sich solche Kriechstromquellen in der Regel unschädlich machen. Zudem werden mit der Melkanlagenerdung die Sicherheitsvorschriften nach DIN 0100 (Teil 705) erfüllt. Danach sind alle leitfähigen Anlagen- und Gerüstteile im Aufenthaltsbereich der Kühe leitend miteinander zu

verbinden und gemeinsam an den Schutzleiter der Anlage anzuschließen. Einzubeziehen sind hier auch die Standflächen, indem die Baustahlmatten im Beton oder Estrich an das Erdungsnetz angeschlossen werden.

Streuspannungen im Erdungsnetz Doch nicht immer bringt die Erdung den erwarteten Erfolg. So kam es in den letzten Jahren auch in fachgerecht geerdeten Melkanlagen zu erheblichen Störungen der Milchabgabe. Teilweise berichten Landwirte sogar darüber, dass die Schwierigkeiten nach der Erdung von Stall und Melkstand zugenommen haben. Solche zunächst paradox erscheinenden Probleme treten dann auf, wenn geerdete Teile von Stall oder Melkanlage mit einer beständigen Fehlerstromquelle hoher Ladung in Verbindung stehen. In diesem Fall

Die Melkanlage richtig erden

Spülleitung Milchleitung Grubenfertigkante Baustahlmatte Melkstandgerüst Fundamenterder

Einwandfreie Erdung – manchmal nicht ausreichend?

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So erden Sie den Melkstand richtig: Alle Leitungen müssen in den Potenzialausgleich einbezogen werden. Zeichnung: Thiemeyer

Mit dem Digitalmultimeter kann der Elektrofachmann Kriechstrom in Stall und Melkstand zuverlässig messen. Fotos: Heil

fließt der Fehlerstrom über das Erdungsnetz in das Erdreich ab. Dadurch entsteht innerhalb des Erdungsnetzes ein permanenter Kriechstrom. Berührt nun eine Kuh gleichzeitig mehrere geerdete Oberflächen, nimmt ein Teil dieses Kriechstroms seinen Weg durch die Kuh. Doch auch wenn die Tiere nur ein geerdetes Anlagenteil berühren, werden sie unter Strom gesetzt, da die Fehlerstromquelle an allen geerdeten Oberflächen die elektrische Spannung gegenüber dem Erdboden erhöht.

Die möglichen Fehlerstromquellen sind zahlreich. Innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes haben hier folgende Punkte besondere Bedeutung: ■ Direkte Verbindungen zwischen Neutralleitern und geerdeten Oberflächen ■ Mängel im Kabelnetz (z. B. Fehlen der fünften Ader in Starkstromanlagen) ■ Falsch verdrahtete Trafos ■ Elektromotoren oder Geräte, die das Gehäuse als Neutralleiter nutzen ■ Elektrische Geräte mit hohem Ableit-

Was ist Kriechstrom? Unter Kriechstrom versteht man einen unbeabsichtigten Stromfluss zwischen zwei Punkten einer Anlage, wie z. B. Gerüstrohren und Standflächen. Als Stromleiter fungieren häufig Schmutzbrücken oder Lebewesen (z. B. Kühe). Ursache des Kriechstroms sind unkontrollierte elektrische Spannungen an den zwei Punkten. Deren Höhe liegt in der Regel bei weniger als zehn Volt. Die Kriechstromstärke wird von der unterschiedlichen Höhe der Spannun-

gen und dem elektrischen Widerstand des Stromleiters bestimmt. So fließt bei einer Spannungsdifferenz von 2,0 Volt und einem Widerstand des elektrischen Leiters (z. B. Kuh) von 500 Ohm ein Kriechstrom von 0,004 Ampere (4 mA). Bei einer solchen Stromstärke zeigen die meisten Kühe bereits deutliche Anzeichen von Unbehagen. Daher sind schon Streuspannungen von 1 – 2 Volt als kritisch anzusehen.

strom auf das geerdete Gerätegehäuse (z. B. Motoren oder Beleuchtung) ■ Elektrogeräte mit Isolationsmängeln (z. B. durch marode Kabel, Verschmutzungen oder Feuchtigkeit) ■ Kurzschlüsse in elektrischen Schalttafeln ■ Wechselwirkungen zwischen Motoren, Trafos, Elektrogeräten und anderen Elektronetzen des Betriebes. Zudem führt auch eine mehrfache Erdung von elektrischen Anlagen oder Gebäudeteilen zu permanentem Kriechstrom im Erdungsnetz. Der Grund liegt darin, dass an den verschiedenen Erdungspunkten naturbedingt unterschiedlich hohe Bodenspannungen vorherrschen. Diese entladen sich in Form von Kriechstrom, sobald das stallseitige Erdungsnetz eine leitende Verbindung zwischen den Erdungspunkten herstellt. Deutlich seltener als im Bereich der Elektroinstallation sind Kriechstromquellen bei Melkzeugen, Milchmengenmessgeräten und Melkleitungen zu finden. So müsste amerikanischen Studien zufolge auf der Melkleitung eine Spannung von ca. 100 Volt herrschen, um bei den Kühen nennenswerte Reaktionen

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Die Spannung auf dem blauen Neutralleiter sollte 2 – 3 Volt nicht überschreiten, sonst könnten die Kühe mit Melkproblemen reagieren. hervorzurufen. Zu begründen ist dies mit der guten Isolationswirkung von Milchschläuchen und Zitzengummis. Dagegen haben Kriechstromquellen außerhalb der Milchviehbetriebe eine weitaus größere Bedeutung, als bisher angenommen. Beispielsweise wurden in der Nähe von Bahntrassen auf Melkstandgerüsten elektrische Spannungen in der Frequenz des Bahnstroms festgestellt. Ob diese auf elektromagnetischem Wege (Elektrosmog) übertagen wurden, ist bisher nicht geklärt. Ebenso könnte es nach Ansicht von Fachleuten auch sein, dass geerdete Überlandleitungen im Erdboden ein elektrisches Feld erzeugen, das sich über den Stallerder in einen benachbarten Melkstand fortpflanzt. Und auch die Elektroversorgungsunternehmen tragen häufiger als gedacht zum Entstehen von Kriechstrom bei. Nach Erkenntnissen aus den USA sind Mängel im Netz der Stromlieferanten in 90 % der Fälle mitverantwortlich für das Auftreten von Kriechstrom in landwirtschaftlichen Betrieben. Insbesondere ist hier das Einschleppen unerwünschter Spannungen über den Neutralleiter des Stromlieferanten zu nennen (siehe Beitrag ab Seite R 20). Diese können im Stall z. B. durch Isolationsmängel auf geerdete Oberflächen und von dort als Kriechstrom auf die Kühe übergehen.

Wie lässt sich das Problem lösen? Bevor Sie eine zeit- und kostenaufwendige Kriechstromsanierung veranlassen, sollten Sie sicherstellen, dass Ihre

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Probleme nicht andere Ursachen haben. ■ Denn Mängel der Melktechnik und Melkarbeit, wie beispielsweise zu hohes Melkvakuum, fehlende Zitzenentlastung, unpassende Zitzengummis und lange Blindmelkzeiten, äußern sich in denselben Symptomen wie Kriechstrom (unruhiges Tierverhalten, gestörte Milchabgabe). Daher ist es ratsam, zunächst die Melkanlage und Melkzeuge einer eingehenden Prüfung und gegebenenfalls einer Instandsetzung zu unterziehen. ■ Zudem sollten Sie sicherstellen, dass die gesamte Melkanlage einschließlich der Standflächen fachgerecht geerdet ist. ■ Halten die Probleme trotzdem an, ist davon auszugehen, dass in Ihrem Betrieb tatsächlich Streuspannungen im Erdungsnetz und dadurch bedingter Kriechstrom auftreten. Gewissheit können Sie sich hier verschaffen, indem Sie von einem Spezialisten prüfen lassen, ob während des Melkens zwischen den von Kühen berührbaren Punkten (z. B. Gerüstrohre, Standflächen) beständige Spannungsdifferenzen herrschen. Werte von mehr als zwei bis drei Volt sind dabei nach Erfahrung international tätiger Experten bereits als kritisch anzusehen. ■ Werden im Melkstand solche Spannungen festgestellt, sind deren Quellen zu lokalisieren. Dazu sind von versierten Fachleuten umfangreiche Spannungsund Ableitstrommessungen durchzuführen. ■ Zunächst sollte geprüft werden, ob an der Nahtstelle zum öffentlichen Stromnetz zwischen dem Neutralleiter und dem Erdleiter Spannungsdifferenzen von mehr als zwei bis drei Volt auftreten. Dies

wäre ein eindeutiger Hinweis auf das Einschleppen von Streuspannungen über das öffentliche Stromnetz. Wie Sie in diesem Fall weiter vorgehen sollten, lesen Sie in dem Beitrag ab Seite R 20. ■ Können externe Kriechstromquellen hingegen ausgeschlossen werden, sind die Probleme innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes zu suchen. Ziel muss es sein, alle Schwachpunkte des betriebseigenen Leitungsnetzes und der daran angeschlossenen Verbraucher aufzuspüren und zu beseitigen. Aufgrund der Vielzahl möglicher Ursachen können dazu zahlreiche Messungen sowie umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen vonnöten sein. Gegebenenfalls geht auch am Austausch ungeeigneter Elektrogeräte (z. B. Beleuchtung) kein Weg vorbei. ■ Schließlich kann es auch hilfreich sein, leitfähige Oberflächen, mit denen Kühe in Berührung kommen können, zu isolieren. Dies kann beispielsweise durch eine Kunststoffummantelung von Gerüstrohren oder durch das Abdecken der Standflächen mit Gummimatten erfolgen. Gerade die letzte Maßnahme hat schon in einigen Milchviehbetrieben zu einem deutlich ruhigeren Tierverhalten geführt. Bislang wurden solche Erfolge allerdings eher auf den weichen Untergrund als auf die stromisolierende Wirkung der Gummimatten zurückgeführt.

Fazit Häufig beruhen Melkprobleme auf Kriechstromquellen mit nur geringer elektrischer Ladung, wie z. B. Gebäudeund Anlagenteile mit materialbedingten Spannungsdifferenzen. Durch eine umfassende Erdung der Melkanlage und Tierstandflächen nach DIN 0100 (Teil 705) lassen sich solche Probleme in der Regel in den Griff bekommen. Teilweise wird Kriechstrom aber auch erst von geerdeten Melkanlagenteilen auf Kühe übertragen. Grund ist der Kontakt zwischen geerdeten Oberflächen und beständigen Fehlerstromquellen mit hoher elektrischer Ladung. Diese können sowohl im Bereich der betriebseigenen Elektroinstallation (falsche Verkabelung, defekte Geräte) als auch im Leitungsnetz des Stromlieferanten (Einschleppen unerwünschter Spannungen über den Neutralleiter) liegen. Abhilfe schafft bei innerbetrieblichen Problemquellen das Lokalisieren und Instandsetzen schadhafter Geräte und Leitungen. Beruhen die Probleme hingegen auf einer Einschleppung elektrischer Spannungen aus dem öffentlichen Stromnetz, liegt die Lösung entweder in einer verbesserten Erdung der Versorgungsleitung (außerhalb des Hofes) oder im Einj satz eines Trenntrafos.

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Kriechstrom aus dem öffentlichen Netz Über das Leitungsnetz des Stromlieferanten kommt nicht nur die benötigte Energie, sondern manchmal auch problematischer Kriechstrom.

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riechstrom wird in der Regel durch Mängel an betriebseigenen Stromleitungen und Elektrogeräten verursacht. Teilweise tragen aber auch die Energieversorgungsunternehmen zu seinem Entstehen bei. Dies kann dann der Fall sein, wenn im Neutralleiter des Stromlieferanten elektrische Spannungen von mehr als ca. drei Volt auftreten. Eigentlich sollte in dem blau ummantelten Neutralleiter gar keine Spannung herrschen. Denn über die zahlreichen Verbraucher (Elektrogeräte) ist er mit allen drei stromzuführenden Phasen (schwarz ummantelt) seines Netzes verbunden. Und deren elektrische Spannungen gleichen sich theoretisch gegenseitig aus, da sie zeitversetzt zwischen +230 und -230 Volt schwanken. So herrscht beispielsweise auf Phase 1 eine elektrische Spannung von +230 Volt, wenn auf den Phasen 2 und 3 jeweils -115 Volt anliegen. Im Neutralleiter, wo die drei Spannungskurven aufeinandertreffen, müsste somit eine Spannung von null Volt herrschen. Aufgrund unterschiedlich starker Stromabnahmen an den einzelnen Phasen und wegen mangelhafter Verbraucher weichen die tatsächlichen Spannungskurven aber häufig von den theoretischen Werten ab. Dadurch gleichen sich die Spannungen der drei stromzuführenden Phasen nicht mehr vollständig aus, so dass letztendlich im Neutralleiter Streuspannungen entstehen.

Streuspannungen werden eingeschleppt Diese stellen an sich kein Problem dar, solange sie nicht auf geerdete Oberflächen des landwirtschaftlichen Betriebes oder Haushalts übergehen. Eine mögliche Ursache für einen solch unerwünschten Spannungsübergang ist

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Streuspannungen können aus dem öffentlichen Stromnetz in den Betrieb eingeschleppt werden. Die Kühe reagieren empfindlich darauf. Fotos: Heil eine direkte Verbindung zwischen dem externen Neutralleiter und dem Erdungssystem des Betriebes. Solche Installationsfehler sind in Deutschland aber eher selten anzutreffen. Häufig bestehen jedoch innerhalb der betrieblichen Elektroinstallation Mängel (z. B. marode Isolierungen), die das Einschleppen der Streuspannungen erst ermöglichen. Daher kann man den Energieversorgungsunternehmen meist nicht die alleinige Schuld geben, wenn Streuspannungen im externen Neutralleiter zu Kriechstrom im Melkstand führen. Zumal die Elektri-

zitätswerke durch Erdung ihrer Versorgungsleitungen in der Regel sicherstellen, dass die Neutralleiterspannung nicht über den zulässigen Normgrenzwert von 25 Volt ansteigt. Damit dürften die Energieversorger rechtlich auf der sicheren Seite sein, denn sie erfüllen die per Norm festgelegten Qualitätskriterien für öffentliche Energieversorgungsnetze. Doch leider beschränkt sich der Normgrenzwert von 25 Volt darauf, Verletzungen und Todesfälle zu verhindern. Eine mögliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens von Mensch und Tier lässt er hin-

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Fünf Trenntrafos „auf Probe“

Die Siemens-Tochter „mdexx“ bietet fünf Trenntrafos mit Rücknahmegarantie an.

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riechstrom im Melkstand beeinträchtigt das Melken und kann im schlimmsten Fall die gesamte Herde ruinieren. Doch bisher beschäftigen sich Melktechnikfirmen, Wissenschaft und Beratung in Deutschland zu wenig mit diesen Problemen. Es gibt weder fundierte Untersuchungen noch praxisrelevante Beratungsempfehlungen zu diesen Thema. Betroffene Betriebe und engagierte Berater sind weitgehend auf sich allein gestellt. ■ top agrar möchte deshalb das Thema Kriechstrom stärker in das Bewusstsein von Wissenschaft und Beratung rücken. Mit mehreren Fachbeiträgen wollen wir Landwirte, Elektriker und Melkberater bei der Fehlersuche unterstützen.

■ Zusätzlich bietet die Siemens-Tochter „mdexx“ fünf Betrieben einen Trenntrafo mit Rücknahmegarantie an. Die Firma setzt diese Systeme erfolgreich in der Medizintechnik ein und möchte mehr Erfahrungen sammeln mit dem Einsatz in Melkständen. Für die teilnehmenden Landwirte entfällt das Risiko einer größeren Investition. Bei „Nichtgefallen“ zahlen sie nur die Kosten für Transport, Verpackung und Installation. Vor dem Einbau des Trenntrafos sollte die Melkanlage von einem versierten Melktechniker auf technische Mängel überprüft werden. Und ein örtlicher Elektrofachbetrieb muss klären, ob der Kriechstrom aus dem Betrieb oder aus dem Netz des E-Werkes stammt.

gegen völlig außer Acht. So waren Spannungen am Neutralleiter von 3 – 5 Volt in mehreren Fällen nachweislich mitverantwortlich für massive Melkprobleme.

Hier kann es hilfreich sein, wenn der Stromlieferant seinen Neutralleiter außerhalb des landwirtschaftlichen Anwesens besser erdet. Häufig lehnen die Energieversorgungsunternehmen dies aber mit Hinweis auf die Einhaltung der Normgrenzwerte ab. Eine weitere Möglichkeit, das Einschleppen von Kriechstrom zu vermeiden, ist der Einsatz eines Trenntrafos. Das Gerät wird zwischen dem öffentlichen

Trenntrafo filtert den Strom Das beste Mittel gegen eingeschleppte Neutralleiter-Spannungen besteht darin, diese schon vor dem Milchviehbetrieb auf ein unkritisches Maß zu reduzieren.

Werktags mehr Probleme Von Kriechstrom geplagte Milchviehhalter berichten immer wieder, dass die Probleme an Werktagen größer sind als am Sonntagmorgen. Und auch Betriebe am Ende des örtlichen Stromnetzes sind häufiger betroffen. Die Ursache dieses Phänomens liegt darin, dass Streuspannungen im Netz des Energieversorgers erst durch die angeschlossenen Verbraucher erzeugt werden. Folglich nimmt der Eintrag unerwünschter Spannungen mit der Anzahl der gleichzeitig betriebenen Elektrogeräte zu. Zwar sind die Stromlieferanten bemüht, Streuspannungen in ihrem Netz durch Erdung der Neutralleiter zu be-

grenzen. Jedoch lässt sich an den ca. 500 m voneinander entfernten Erdungspunkten aus physikalischen Gründen stets nur ein Teil der Spannung in das Erdreich ableiten. Der Rest verbleibt auf dem Neutralleiter. Mit zunehmender Entfernung zur Stromquelle nimmt die Spannung sogar wieder zu, da weitere Verbraucher zusätzliche Streuspannung in das Netz einspeisen. Deshalb sind unerwünschte Neutralleiterspannungen nicht nur zu Zeiten geballten Stromverbrauchs (z. B. werktags am frühen Morgen), sondern auch am Ende lokaler Stromnetze (z. B. auf abgelegenen Aussiedlerhöfen) besonders hoch.

Der Trenntrafo verringert den Kriechstrom aus dem öffentlichen Netz. Sind Sie an dem „Testeinsatz“ eines Trenntrafos interessiert? Oder haben Sie Fragen, Anregungen oder eigene Erfahrungen zum Thema Kriechstrom? Dann schreiben Sie uns: Redaktion top agrar, Schorlemerstraße 11, 48143 Münster. B. Achler

und dem betrieblichen Leitungsnetz installiert, um beide Netze voneinander zu entkoppeln. Das Funktionsprinzip des Trenntrafos beruht auf einer sogenannten galvanischen Trennung. Dabei durchläuft der vom Energieversorger gelieferte Strom eine Spule und erzeugt so in einem Metallkern ein elektromagnetisches Feld. Dieses geht berührungslos auf eine zweite Trafospule über und erzeugt dort wiederum elektrischen Strom. Durch eine solch indirekte Stromübertragung lassen sich Fehlerströme und unkontrollierte Spannungen weitgehend herausfiltern, bevor sie auf das stalleigene Stromnetz übergehen können. Bislang werden Trenntrafos dort eingesetzt, wo wegen empfindlicher Elektrogeräte besonders hohe Anforderungen an die Qualität der Stromversorgung bestehen oder Schutzmaßnahmen dies erfordern. Ein klassisches Beispiel sind Krankenhäuser. Mittlerweile kommt die Technik aber auch in Milchviehbetrieben zum Einsatz (siehe R 22). Die Anschaffungs- und Installationskosten richten sich nach den elektrischen Anschlusswerten. Gleiches gilt für den Stromverbrauch des Trenntrafos. Für einen Milchviehbetrieb mit 100 – 150 Kühen sind Investition von 5 000 bis 6 000 E (Kaufpreis, Installation) und Stromkosten von gut 500 E pro Jahr zu veranschlagen. Dr. Hömberg j

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Mit dem Neubau kamen die Probleme In zwei Milchviehbetrieben in Niedersachsen haben Trenntrafos die Kriechstrom-Probleme gelöst.

messenen Spannungen als unkritisch ein. Nach einschlägigen Vorschriften sei für den Neutralleiter sogar eine Spannung von 25 Volt zulässig. Mithin sei die Elektroinstallation nicht für die bestehenden Melkprobleme verantwortlich zu machen. Als Ursache käme vielmehr eine mangelhafte Erdung des Milchviehstalls in Betracht. Tatsächlich stellte ein Elektroinstallateur fest, dass Teile der Melkanlage nicht in die Erdung einbezogen worden waren. Die umgehende Behebung dieses Mangels brachte jedoch nicht die erwarteten Erfolge. Im Gegenteil: „Nach der Erdung waren die Kühe beim Melken noch unruhiger als zuvor. Auch die Melkdauer und Zellzahlen nahmen weiter zu“, erinnert sich Steffen Müller.

Trenntrafo installiert

Steffen Müller: Erst der Trenntrafo brachte den Erfolg im neuen Stall.

Durch den Trenntrafo hat Eggemar Kothe wieder ruhige Tiere im Melkstand.

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Auch die Experten des Melktechnikherstellers konnten nicht weiterhelfen. Ihren Untersuchungen zufolge war die Melkanlage in einem einwandfreien Zustand und kam daher nicht als Ursache der bestehenden Probleme in Betracht. Jedoch stellten die Melktechniker auf dem Neutralleiter des Stromnetzes eine elektrische Spannung von 4 – 5 Volt fest. Diese sei der Grund für die Melkstörungen. Dagegen stuften die eingeschalteten Mitarbeiter des Energieversorgers die ge-

on dem Umzug in den neuen Stall erhoffte ich mir nicht nur eine bessere Milchleistung und Eutergesundheit, sondern auch ein angenehmeres und schnelleres Melken“, so Steffen Müller aus Lunestedt im Landkreis Cuxhaven. Im Mai 2003 siedelte der Milchviehhalter aus der beengten Dorflage in einen neuen Boxenlaufstall am Ortsrand aus. Seine Erwartungen wurden jedoch bitter enttäuscht: Die Kühe waren vom ersten Tag an beim Melken äußerst unruhig, schlugen bei fast jeder Berührung und setzten sehr oft Harn und Kot ab. Zudem nahm die Melkdauer immer weiter zu. Zum Schluss dauerte das Melken der 115 Kühe mit zwei Melkern über zwei Stunden, da ständig heruntergeschlagene Melkzeuge neu angesetzt und sehr viele Kühe von Hand ausmolken werden mussten.

Zellzahlen steigen In der Folge kam es zu einem rasanten Anstieg der Zellzahlen. Bereits im zweiten Monat nach dem Umzug lagen diese bei über 590 000 Zellen/ml. Damit verbunden waren beachtliche Einbußen bei der Milchleistung und häufig auch akute Mastitisfälle. Zeitweise traten drei Coliinfektionen an einem Tag auf. Obwohl Steffen Müller frühzeitig die Spezialisten der Offizialberatung einschaltete und deren Empfehlungen penibel umsetzte (Verbesserung der Euterhygiene, Behandlung auf Basis von Viertelgemelkproben), besserte sich die Situation nicht.

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Durch den Einbau eines Trenntrafos wurde die Streuspannung auf ein akzeptables Maß reduziert.

Ähnlich gestaltete sich die Situation im zwölf Kilometer entfernten Betrieb von Eggemar Kothe aus Loxstedt. Auch hier kam es im neu errichteten Stall trotz eingehender Überprüfung und umfassender Erdung der Melkanlage zu massiven Melkproblemen mit unruhigem Tierverhalten, langen Melkzeiten, schlechtem Ausmelken und hohen Zellzahlen. Da weder das zuständige Energieversorgungsunternehmen noch der Melktechnikhersteller zu einer Lösung der bestehenden Probleme beitragen konnten oder wollten, setzten sich Steffen Müller und Eggemar Kothe mit Ingenieuren und Elektroinstallateuren aus ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis in Verbindung. Gemeinsam entschieden sie, die stalleigene Elektroinstallation mit einem Trenntrafo vom öffentlichen Stromnetz abzukoppeln. Die Experten des Stromlieferanten räumten dieser Maßnahme zwar keinerlei Erfolgsaussicht ein, dennoch wurde auf beiden Betrieben im August 2004 je ein eigens angefertigter Trafo installiert. Und tatsächlich stellte sich schlagartig eine gravierende Verbesserung der Situation ein. Die meisten Tiere waren beim Melken schon bald wesentlich ruhiger. Auch der Ausmelkgrad und die Zellzahlen verbesserten sich deutlich. „Innerhalb weniger Wochen sind die durchschnittlichen Zellzahlen von über 400 000 auf gut 200 000 gesunken. Und auch die Melkdauer ist nur noch halb so lang wie vor der Installation des Trafos“, freut sich Steffen Müller. Nachteilig sind aus seiner Sicht allerdings die hohen Investitions- und Installationskosten von gut 5 000 E und der Stromverbrauch des Gerätes von 500 E pro Jahr. Dennoch sind sich Steffen Müller und Eggemar Kothe sicher, mit der Investition in den Trenntrafo die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dr. Hömberg