Ich singe, wenn das Sprechen nicht mehr reicht

Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien März 2005 „Ich singe, wenn das Sprechen nicht mehr reicht“ Wolfgang Holzmair Schubert singt er dies...
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Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien März 2005

„Ich singe, wenn das Sprechen nicht mehr reicht“ Wolfgang Holzmair Schubert singt er diesmal nicht. Für seine beiden Liederabende im Brahms-Saal hat er nämlich Volkslieder ausgewählt, „von Komponisten veredelte Volksweisen“, sagt er. Und Volksliedsätze sucht man in Schuberts Werk vergeblich. Dennoch wird Wolfgang Holzmair auch am 30. März und 1. April mit Mahler, Bartók, Brahms und Janá¢ek etwas von Schuberts Geist spürbar machen. Vor einigen Jahren schon, als ich den (ober)österreichischen Bariton zum ersten Mal singen hörte, nahm ich mit Staunen etwas wahr; zunächst konnte ich es nur so beschreiben: Ich verstehe jedes Wort, und jedes Wort dringt mit einer geradezu unheimlichen, beinahe physischen Unmittelbarkeit zu mir vor.

Textdeutlichkeit? Nein, Textdeutlichkeit im Sinn von perfekter Aussprache kann es nicht sein. Die könnte man ja nachahmen. Was dieser Sänger aus Sprache und Musik macht, entpuppt sich hingegen als seltsam unnachahmlich. Nicht einmal er selbst könnte es nachmachen, vermute ich. Weil er es eben nicht macht. Ich verifiziere das, sicherheitshalber, bei unserem Gespräch im Brahms-Saal. Seine Antwort auf meine Frage nach dem Wesen seines Singens: „Kann ich nicht sagen.

Ich kann nur sagen, was mir wichtig ist: daß ich immer eine Geschichte erzähle, mit einem Gedicht – deshalb bin ich Liedsänger geworden.“ Ich frage nicht weiter, nicht nach dem Wie; denn Kunst entspringt dem Unbewußten, und alles Fragen und Antworten endet genau hier: an der Schwelle des Bewußtseins.

Absolutes Gehör für Sprache „Ich gebe irgendwo sehr viel von meinem Innersten preis. Das ist nicht immer einfach, aber – ich mach’ das. Jedenfalls bin ich kein Sänger, der referiert, sondern einer, der sich wünscht, die Fähigkeit zu haben, im entscheidenden Moment etwas von sich preiszugeben. Ob’s immer gelingt, ist eine andere Sache. Man hat 30 Lieder in einem Liederabend; es gelingt nicht bei jedem, das ist unmöglich. Man kann auch nicht jeden Abend gleich gut in Form sein; aber man kann sich jeden Abend darum bemühen.“

Es ist eine Gabe, die seinem innersten Wesen entspringt. Es läßt sich schwer beschreiben … Vielleicht ist es eine Art absolutes Gehör für Sprache? Ohne zu denken und ohne zu wissen

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wie, trifft er das Musik gewordene Wort, mit schlafwandlerischer Sicherheit, wie andere eben eine Tonhöhe treffen; das Wort – nicht bloß als Träger einer lexikalischen Bedeutung, das auch, natürlich; darüber hinaus jedoch trifft er den sinnlichen Inhalt des Worts, jenen Inhalt, der in seinem Klang steckt. Er trifft den Klang, der den Inhalt des Worts wortlos ausdrückt; er erfaßt das Wort als Sinn- und Klangkörper in seiner Ganzheit und im spezifischen Kontext der Komposition.

Selbstverständlich, mühelos fügt er Wortklangkörper aneinander, formt Satzklangkörper zum Klangkörper des vertonten Gedichts, mit seiner unverwechselbaren Stimme, weich, geschmeidig, niemals glatt; farbig nuanciert, lebendig, schmiegsam, sinnlich. So, als wäre das die leichteste Sache der Welt.

Siamesische Zwillinge Das Phänomen ist mit Worten schwer zu beschreiben; zu wenig greifbar, zu flüchtig ist das Erklingen. Doch zufällig gibt es einen, der so komponiert hat, wie Wolfgang Holzmair singt, der dieses Flüchtige festgehalten hat: Franz Schubert. Was Wolfgang Holzmairs Singen immanent ist, das wohnt jeder von Schuberts Vokalkompositionen inne: die totale Gegenwart des Sprachkörpers in der Musik.

Schuberts Lieder sind unerbittlich an die Sprache gebunden, fast möchte man sagen – gekettet. Als wären Sprache und Musik siamesische Zwillinge, die lebenswichtige Organe gemeinsam haben. Nirgends sonst in der Geschichte der Liedkomposition findet sich diese totale und absolute Sprachabhängigkeit wie bei Schubert: Seine Musik wurde von der Sprache quasi gezeugt und ist fortan ihrer bedürftig. Deshalb empfindet man Texte in Schubert-Liedern auch nie als schlecht, selbst wenn sie mitunter wirklich nicht gut sind. Nichts wäre so absurd, wie einem Lied von Schubert einen anderen Text unterlegen zu wollen als genau den von ihm vertonten. Und nichts ist der Vokalise so fern wie ein Schubert-Lied.

Wenn wir uns also nun an einem von zwei Polen möglichen Singens genau das vorstellen: Vokalisen als Inbegriff des Sprachunabhängigen, so können wir uns am genau entgegengesetzten Pol vorstellen: Wolfgang Holzmair.

Die Schubertsche Dimension Schubert ist nur der Schlüssel. Denn Wolfgang Holzmair gibt allem, was er singt, diese Schubertsche Dimension; wenn er singt, sind Sprache und Musik immer siamesische

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Zwillinge, die gemeinsam atmen und in denen nur ein Herz schlägt. Man kann sich’s in allen großen Musikzentren der Welt anhören, von Paris über London bis New York. Oder auf einer seiner etwa 25 Lied-CDs; ob in der „Schönen Müllerin“ oder in der „Winterreise“, in einer Grammy-nominierten „Dichterliebe“, in Kreneks „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ oder in Beethovens „Ferner Geliebten“.

Und es muß keineswegs in deutscher Sprache sein. Französische Kritiker konnten sich nicht genug über seine legendären „Melodies françaises“ mit Liedern von Fauré, Ravel und Duparc wundern: ein Oberösterreicher, der französischer singt als jeder Franzose … Ähnliche Verblüffung herrschte bei den Briten über seine hin- und mitreißende CD mit Beethovens schottischen Volksliedern.

Emotionelle Verausgabung Mit Hilfe der Rohmaterialien, die ihm als Sänger zur Verfügung stehen – Farbe, Intensität und Dauer von Vokalen und Konsonanten – schafft er instinktiv eine faszinierende poetische Wirklichkeit, eine realistische Poesie, die dem Zuhörer auf unheimliche Weise nahekommt, zum Greifen nah, hautnah – vorausgesetzt, er stellt seine Antennen auf Empfang. „Es ist eine emotionelle Verausgabung, ein Sich-Verzehren, man ist fix und fertig; und doch ergibt es bei alldem ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn man spürt, wie sich auch das Publikum darauf einläßt.“

Nicht jeder will berühren, und nicht jeder will berührt werden. „Es gibt Sänger und Zuhörer, deren Ziel das nicht ist, und das muß man genauso akzeptieren. Jeder hat eben eine andere Erwartungshaltung an ein Konzert. Manche Sänger wollen die Ästhetik des Gedichts und der Stimme vorführen, aber darin nicht persönlich sein; und manche Zuhörer wollen nicht zu persönlich angesprochen werden. Das ist völlig gerechtfertigt.“

Poetischer Realismus Auf der Bühne wird sein poetischer Realismus auch sichtbar, in körperlicher Spannung, in Körpersprache. „Ich wollte nie ein Sänger sein, der sich bei einem Liederabend mit einer ausdruckslosen Körperhaltung hinstellt. Das hat Zuhörer und Kritiker interessanterweise immer polarisiert. Manche sagen, es lenkt sie vom Hören ab, andere finden es lebendig.“ Es hilft ihm auch in der Kommunikation mit seinen Klavierpartnern, Imogen Cooper, Russell Ryan, Gérard Wyss, Till Fellner, Christian Zacharias, Roger Vignoles … „In all den Jahren hat es keinen einzigen Pianisten gegeben, der mich nicht verstanden hätte:

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Wie phrasiert, wie atmet man gemeinsam. Das drückt sich auch körperlich aus. Es ist sekundär, natürlich, es darf nicht zu wichtig werden. Trotzdem gehört es für mich dazu. Zum Singen gehört der ganze Mensch. Wenn ich spüre, daß es aus einer ehrlichen Haltung zum Kunstwerk kommt, dann finde ich das OK.“

Berufung und Berufe Der persönliche Totaleinsatz bei allem, was er tut – der ist absolut charakteristisch für Wolfgang Holzmair. In seinem Zweitberuf als Professor für Lied und Oratorium am Salzburger Mozarteum und als Lehrer bei Meisterkursen im In- und Ausland beweist er das ziemlich eindrucksvoll. Auf welchem Niveau auch immer sich sein Schüler bewegt – sein eigener geistigseelisch-körperliche Einsatz ist total. „Es geht nicht darum, daß einer ein Caruso wird oder ein Fischer-Dieskau. Ich möchte, daß meine Studenten ein bißchen weiterkommen und das auch spüren.“

Welchen Beruf er sich denn hätte vorstellen können, wäre er nicht Sänger geworden, frage ich. „Ich hatte ja schon einen; nach Abschluß meines Wirtschaftsstudiums hab’ ich als Urheberrechtler gearbeitet, während ich mein Gesangsstudium fertiggemacht habe. Ich war an der Gründung einer Verwertungsgesellschaft für bildende Künstler beteiligt, die der Mann meiner Lehrerin, Karl Rössel-Majdan, ins Leben gerufen hat. Da war ich sozusagen der erste geschäftsführende Sekretär.

Mein Traumberuf wär’s nicht gewesen, das nicht, aber die Verbindung zwischen Künstler und Wirtschaft hätte mich schon interessiert.“ Vielleicht – Intendant der Salzburger Festspiele?!? Haha. Naja, das vielleicht doch nicht, nicht gleich am Anfang … doch irgendwas mit Kulturmanagement. Seine Frau (sie ist Übersetzerin) lacht zwar immer über ihn, sagt er, aber er bleibt dabei: Irgend etwas mit Bibliotheken wäre er da geworden. Natürlich kein verstaubter Bibliothekar. Mehr so was, wie ein Helmut Pechlaner für Tiere ist, nur eben für Bücher …

Volksmusik als Seelenmusik Seit langem beschäftigt ihn „von Komponisten veredelte Volksmusik“. „Alle Menschen brauchen Volksmusik, glaube ich, als Identifikationsmöglichkeit, aber nicht sentimental oder national, sondern: Ich komme aus der und der Gegend, und die Musik erinnert mich an etwas, tief in mir drinnen, sie ist Teil meiner Seele. Sie hat etwas ganz Ursprüngliches und enthält immer Geschichten.“ Es ist echte Volksmusik, und gleichzeitig ist es echte Kunst. „Bartók zum Beispiel ist kompliziert. Er fordert etwas, was keiner hat, der normalerweise Volkslieder singt oder spielt. Da muß man ausgebildet sein, um das technisch zu schaffen. Der nimmt die Melodien, die er mit dem Kodály gemeinsam gesammelt hat, wirklich als Material. Brahms

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macht das natürlich auch. Aber der versucht einen Volksliedton zu treffen. Und das ist wieder Bartóks Absicht so nicht; er wollte die Volksmusik für sich urbar machen. Janá¢ek liegt irgendwo dazwischen.“

Und Schubert? Warum gibt’s von Schubert keinen einzigen Volksliedsatz? Vermutlich hat er in Volksweisen nicht diese totale Sprachabhängigkeit vorgefunden, die seinem vokalen Schaffen immanent war … Wolfgang Holzmair realisiert sie auch dort, wo er sie nicht vorfindet. Denn im Erklingen verwirklicht er nicht nur, was im Lied steckt, sondern auch das, was in ihm selber steckt. „Die Sternstunden, die gibt’s manchmal und manchmal nicht … – ja, und die angesagten gibt’s sicher nicht, die kann’s nicht geben, denn dann ist man nicht mehr der, der man ist. Meistens ereignen sie sich, wenn es um nichts geht, nur um den Augenblick. Da vergißt man sich selbst. Und dann spürt man manches Mal, daß man eine Art Medium ist, ein Gefäß für etwas, das sich äußert.“ Sabine M. Gruber Sabine M. Gruber lebt als freie Schriftstellerin („Der Schmetterlingsfänger“, „Michaels Verführung“, „Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten – Die Sprachbilderwelt des Nikolaus Harnoncourt“) in Klosterneuburg und singt im Arnold Schoenberg Chor.

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