Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder

Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder . . . Christoph Kreitz Baptistengemeinde Potsdam, 17. Mai 2009 Liebe Gemeinde, es ist sicher schon vielen aufgef...
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Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder . . . Christoph Kreitz Baptistengemeinde Potsdam, 17. Mai 2009

Liebe Gemeinde, es ist sicher schon vielen aufgefallen, daß wir seit einiger Zeit immer mehr Kinder in unserer Gemeinde haben. Wir merken das an dem bunten Treiben zu Beginn eines jeden Gottesdienstes. Es ist etwas unruhiger, als wir es noch vor einem Jahr gewohnt waren, aber daf¨ur d¨urfen wir uns u¨ ber viele neue Gesichter freuen. Neue junge Familien habe sich uns angeschlossen, in den letzten Wochen hatten wir einige Kindersegnungen und vor drei Wochen sogar einen Familiengottesdienst, in dem sich sehr viel um die Kinder drehte. Einfach sch¨on, das zu beobachten. Der eine oder andere wird sich vielleicht aber auch bei dem Gedanken ertappt haben, ob Kinder jetzt pl¨otzlich zu sehr im Mittelpunkt stehen. Wenn wir Gottesdienste auf Kinder abstimmen, was bleibt dann noch f¨ur uns Erwachsene? K¨onnen wir uns noch in Ruhe sammeln, bevor es losgeht? Ist das Niveau der Predigten in einem Familiengottesdienst nicht zu einfach? Sollte ein Gottesdienst nicht in erster Linie f¨ur Erwachsene da sein - damit wir Gott loben und anbeten k¨onnen und aus der Predigt m¨oglichst viel f¨ur unser Leben als Christen mitnehmen k¨onnen? Dieser Gedanke ist so alt wie das Christentum selbst. Schon die J¨unger Jesu hatten ein Problem damit. Schauen wir einmal, wie Jesus damit umgegangen ist. Ich lese dazu einen vertrauten Text aus dem Markusevangelium, Kapitel 10, Verse 13–16. Da brachte man Kinder zu ihm, damit er ihnen die H¨ande auflegte. Aber die J¨unger wiesen die Leute schroff ab. Als Jesus dies sah, wurde er unwillig und sprach: “Laßt die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen geh¨ort das Reich Gottes. Wahrlich, das sage ich Euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.” Und er nahm die Kinder in seine Arme, legte ihnen die H¨ande auf und segnete sie.

Lasset die Kinder zu mir kommen . . . Warum, so fragt man sich, weisen die J¨unger die Kinder ab? Kinder – und offensichtlich waren es noch sehr kleine Kinder – sind doch noch zu klein um etwas zu begreifen; zu schwach, um sich aktiv f¨ur das Reich Gottes einzusetzen. So etwas kann der Meister jetzt nicht gebrauchen. Das kostet nur Zeit und er hat doch mehr als genug zu tun. So oder a¨ hnlich werden sie wohl gedacht haben und waren damit genauso gefangen in allzu menschlichem Denken wie wir heute. Sie dachten, Jesus sei nur f¨ur die Großen und Starken gekommen, um mit ihnen das Reich Gottes in Jerusalem wieder aufzubauen. Sie waren stolz, dazugeh¨oren zu d¨urfen. Sie wußten, wie schwer es schon f¨ur sie selbst war, den Lehren des Meisters zu folgen. Selbst f¨ur sie, die t¨aglich mit Jesus zusammen waren, war es schwer, gehorsam zu sein und in seinem Sinne zu leben. Was sollte er da mit kleinen Kindern anfangen? Und Jesus? Eigentlich sollte er sich doch bei seinen J¨ungern bedanken, daß sie ihm den Ballast ferngehalten hatten, damit er in Ruhe predigen konnte? Aber wie so oft schon reagiert er v¨ollig ¨ anders als erwartet. Er wird unwillig und weist die J¨unger in aller Offentlichkeit zurecht. Und nicht genug der Blamage, er stellt die Kinder, die sie gerade wegschicken wollten, auch noch als Vorbild hin. Warum macht er denn so etwas? 1

Nun, die Tatsache, daß er sie in seine Arme nahm und segnete, macht deutlich, daß es Jesus unter anderem auch wichtig war, daß die menschliche Seele schon vom fr¨uhesten Kindesalter unter einem geistlichen Einfluß steht. Deswegen wird diese Passage so gerne bei Kindersegnungen vorgelesen, wenn Eltern und die ganze Gemeinde vor Gott versprechen, sich f¨ur die geistliche Entwicklung der Kinder einzusetzen. Kinder werden so sehr gepr¨agt durch das, was sie in uns als Erwachsene beobachten. “Laßt die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran!” sagt uns Jesus ganz ausdr¨ucklich. Achten wir also darauf – und mit wir meine ich nicht nur die Eltern, sondern uns alle hier – daß wir unseren Kindern auf ihrem Weg zu Gott keine Hindernisse in den Weg stellen, sondern ihnen – selbst wenn sie noch ganz klein sind – immer ein gutes Beispiel sind. Welche Frucht w¨urde es wohl in unseren Kindern hervorbringen, wenn sie sehen, daß wir lieblos u¨ ber andere reden, streiten und b¨ose Worte um uns werfen, uns einfach u¨ ber Gebote und Regeln hinwegsetzen, oder Stolz und Arroganz zeigen? Achten wir darauf, daß wir unsere Kinder mit ihren Fragen und Anliegen ernst nehmen – besonders, wenn es um Glaubensfragen geht. Wenn Kinder sich ernsthaft zu Jesus bekehren wollen – d¨urfen wir es ihnen verwehren, nur weil sie zu jung sind? D¨urfen wir sagen “nun warte mal bis Du 16 bist, bevor Du Dich taufen l¨aßt – vorher verstehst Du das sowieso nicht”? Gibt es eine Altersgrenze, unter der man nicht begreifen kann, daß man S¨under ist und die Erl¨osung durch Jesus Christus ben¨otigt? Wenn Jesus sagt “Laßt die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran!”, dann sollten wir nicht das Gegenteil tun. An dieser Stelle m¨ochte ich eine kurze theologische Anmerkung einflechten. Es gibt Versuche, aus dieser Passage eine Berechtigung f¨ur die sogenannte Kinder- bzw. S¨auglingstaufe abzuleiten. Aber in der Bibel werden immer nur Leute getauft, die mit der Taufe ein Bekenntnis ihres Glaubens ausdr¨ucken wollen. Und die Kinder, die Jesus hier segnet, sind noch gar nicht in der Lage, dies zu tun. Was hier stattfindet, hat mit Taufe nicht, aber auch gar nichts, zu tun. Wer bisher also nur eine S¨auglingstaufe u¨ ber sich ergehen lassen hat, sollte bei gr¨undlichem Nachdenken dahinterkommen, daß er oder sie im Sinne der Bibel bisher nicht getauft ist, auch wenn diese Prozedur von der Landeskirche als Taufe bezeichnet wird. Ein Fahrrad, das den Namen Peugeot tr¨agt, w¨urde man ja auch nicht als Auto ansehen – oder?

Menschen wie ihnen geh¨ort das Reich Gottes Soweit der kleine Exkurs – zur¨uck zum Hauptthema. Jesus legt nicht nur Wert darauf, daß Kinder ungehindert zu ihm kommen k¨onnen, sondern er stellt sie den J¨ungern geradezu als Vorbild hin. “Menschen wie ihnen geh¨ort das Reich Gottes”, sagt er und setzt sogar noch hinzu: “Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.” Wieso sind Kinder ein Vorbild? Heißt das, daß alles, was wir als Erwachsene leisten, nicht z¨ahlt? Wozu versuchen wir denn dann, die Bibel zu verstehen? Wozu k¨ampfen wir gegen S¨unde? Warum setzen wir uns in der Gemeinde ein? Will Jesus uns sagen, das ist alles nichts wert? Sicherlich nicht, denn Jesus hat sich selbst unerm¨udlich f¨ur das Reich Gottes eingesetzt. Es geht ihm um unsere innere Haltung gegen¨uber Gott – und auch gegen¨uber unseren Mitmenschen. Es geht ihm darum, Wesensz¨uge von Kindern hervorzuheben, die wir Erwachsene durch das Leben in einer verdorbenen Welt schrittweise verloren haben. Diesen Punkt hat Jesus seinen J¨ungern schon einige Tage fr¨uher klarzumachen versucht. Damals – ich zitiere aus Matth¨aus 18:1-4 – kamen die J¨unger zu ihm und fragten: “Wer ist der Gr¨oßte im Himmelreich?” Da rief er ein Kind herbei, stellte es in die Mitte und sagte: “Wahrlich, das sage ich Euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, dann k¨onnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind – der ist im Himmelreich der Gr¨oßte.” 2

Warum also sollen wir werden wie die kleinen Kinder? Was ist das Besondere an ihnen? Ist es etwa die besondere Unschuld und Reinheit von kleinen Kindern, die wir heutzutage so gerne betonen? Sicherlich nicht, denn auch kleine Kinder k¨onnen schon ganz sch¨on b¨osartig sein und die moderne romatische Verherrlichung des Kindes lag der Zeit Jesu fern. Im ersten Buch Mose steht das Trachten des Menschen ist b¨ose von Kindheit an und Jesus wußte das sehr genau. Was ist es also dann? Es geht Jesus um den Kontrast zum Ehrgeiz und der Eifersucht seiner J¨unger, die nur nach Gr¨oße, St¨arke und Belohnung schielen, ihr Leben immer noch nur an ihren eigenen F¨ahigkeiten orientieren und sich das Reich Gottes immer noch selbst verdienen wollen. Ihnen und uns, die wir an derselben Krankheit leiden, sagt er, daß wir in das Reich Gottes nur als Kinder Gottes einziehen k¨onnen, die klein, schwach und hilfsbed¨urftig sind. Gott gegen¨uber ist jeder Versuch, St¨arke zu beweisen, unangebracht.

Werdet wie die Kinder Werden wie die Kinder – was heißt das nun im einzelnen? Was sollten wir Erwachsenen wieder lernen, um schon hier auf Erden als gl¨uckliche Kinder Gottes leben zu k¨onnen. Ich will vier Grundeigenschaften ansprechen, die wir uns wieder aneignen sollten. 1. Anspruchslosigkeit. Kleine Kinder sind ziemlich anspruchslos. Sie brauchen nicht viel, um gl¨ucklich zu sein. Sie freuen sich u¨ ber Dinge, die man ihnen schenkt, Sie stecken voller W¨unsche, sind aber mit viel weniger zufrieden als wir Erwachsenen. Vor allem k¨onnen sie auch wieder abgeben. Kinder, besonders kleine Kinder, schenken gerne – ohne daf¨ur etwas zur¨uckzuerwarten. Wir Erwachsene dagegen sind oft gefangen von Lohnsucht, einem eigenn¨utziges Trachten nach Ersatz f¨ur alles, was wir geben. Wir k¨onnen selten schenken, ohne zu erwarten, daf¨ur etwas zur¨uck zu bekommen. Wir haben Angst, von anderen ausgenutzt zu werden. Es f¨allt uns schwer, auf Dinge zu verzichten, die wir einmal hatten. “Besitzstandswahrung” heißt das schreckliche Wort, das im Endeffekt die Zerst¨orung des sozialen Friedens in Deutschland bewirkt und die Liebe zu dem, was wir haben – oder gerne h¨atten – ist das, was die meisten Menschen von Gott fernh¨alt. Ein gutes Beispiel hierf¨ur finden wir unmittelbar im Anschluß an unseren Text – und ich glaube daß dies nicht zuf¨allig so ist – in Markus 10:17–22: Als sich Jesus wieder auf den Weg machte, lief ein Mann auf ihn zu und fragte ihn: “Guter Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?” Jesus antwortete: “... Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht morden, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsch aussagen, nichts vorenthalten; ehre Vater und Mutter!” Er erwiderte ihm: “Meister, all diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt.” Da sah Jesus ihn an, gewann ihn lieb und sprach: “Eins fehlt Dir noch: Geh hin, verkaufe alles, was Du hast und gib das Geld den Armen – und Du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach!” Als er das h¨orte, war der Mann sehr betr¨ubt und ging traurig weg; denn er hatte ein sehr großes Verm¨ogen. Da sah Jesus seine J¨unger an und sagte zu ihnen: “Wie schwer ist es f¨ur Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen” Besitz ist ein Segen Gottes, aber er fesselt uns auch gerne. Auch wir Christen vergessen schnell, daß wir von Gott nur als Verwalter eingesetzt wurden. Das, was wir haben, sollen wir f¨ur Gott sinnvoll verwalten. Aber wenn wir es nicht ertragen k¨onnen, wenn Gott uns diesen “Verwalterposten” wieder nimmt, um uns f¨ur eine wichtigere Aufgabe frei zu machen, dann ist unser Herz gespalten und wir k¨onnen uns Gott nicht mehr wirklich hingeben. 3

Jetzt k¨onnte man meinen, dieses Problem betrifft nur diejenigen, die Geld und Besitz haben, und daß Studenten, Rentner und Hartz-IV Empf¨anger davor gefeit w¨aren. Aber das Geld selbst ist nicht das Probem, sondern “die Liebe zum Geld ist die Wurzel alles B¨osen” – wie wir in 1. Timotheus 6:10 lesen. Und das Sehnen nach Geld, das wir nicht haben, h¨alt unser Herz genauso gefangen wie der Besitz, den wir nicht loslassen wollen. Genießen wir also das viele oder wenige, was Gott uns schenkt, aber achten wir darauf, daß uns materielle Dinge nicht zu wichtig werden. “Denn wo unser Schatz ist, da wird auch unser Herz sein” (Lukas 12:34). ¨ 2. Ein tiefes Bedurfnis nach Liebe. Kinder k¨onnen ohne Liebe nicht leben. Wie oft kommen Kinder zu ihren Eltern und sagen ihnen, daß sie sie lieb haben? Wie oft fragen sie “Hast Du mich lieb?”. Gerade dann, wenn es einmal einen kleinen Streit gegeben hat, kommen sie nach einer Weile an und m¨ochten wissen, daß ihre Mutter und ihr Vater sie wieder lieb haben. Das geht ihnen u¨ ber alles – sie m¨ussen lieben und freuen sich u¨ ber Liebe. Sie sind nicht nachtragend, sondern vergessen schnell wieder, was ihnen weh getan hat (Extremsituationen ausgenommen). Das macht ihr Leben so sch¨on und sorglos, denn Liebe ist eine der wichtigsten Quellen ihres Lebens. Und wir Erwachsenen? Wie oft verg¨allen wir uns selbst und anderen unser Leben durch Lieblosigkeit, H¨arte, Schroffheit, Unvergebenheit und Hochmut. Wir tragen anderen eine harmlose Kleinigkeit jahrelang nach und haben vergessen, wie sch¨on Vers¨ohnung sein kann und wie gut es tut, uns von anderen angenommen zu f¨uhlen. Wir distanzieren uns gerne von Personen, die andersartig sind oder in irgendeinem Sinne “unter” uns stehen – sei es durch Rang, gesellschaftliche Schicht, Einfluß, Besitz, Bildung, Aussehen oder Geschmack. Kleine Kinder kennen solche Vorurteile nicht. Sie spielen einfach mit anderen Kindern auf der Straße zusammen, als ob es ihre Geschwister w¨aren. Erst wenn sie a¨ lter werden, beginnt sich unser Erwachsenendenken in ihnen durchzusetzen. Aber mal ehrlich: tut uns Anerkennung von Leuten, die “unter” uns stehen, nicht auch gut – auch wenn wir uns, wie es so sch¨on heißt, daf¨ur nichts kaufen k¨onnen? Macht eine offen und ehrlich ausgedr¨uckte Zuneigung das Leben nicht auch f¨ur uns Erwachsene um vieles angenehmer? Bekommen wir nicht dadurch auch viel Kraft, so manche andere H¨arte des Lebens leichter zu ertragen? Laßt uns versuchen, Stolz, Vorurteile, Kritiksucht, Richtgeist und H¨arte wieder abzulegen und aufeinander unbefangen, offen und ehrlich, vor allem aber mit echter Liebe zuzugehen, als ob wir wirklich Geschwister w¨aren. Was glaubt ihr, was das f¨ur eine Bereicherung f¨ur unser aller Leben wird! ¨ 3. Schwachheit und Hilfsbedurftigkeit Daß kleine Kinder schwach und hilfsbed¨urftig sind, ist offensichtlich. Sie sind gar nicht in der Lage, all das zu erledigen, die ihre Eltern f¨ur sie tun und so bleibt ihnen nichts anderes u¨ brig, als die Hilfe ihrer Eltern als Geschenk anzunehmen. Daß sie vollkommen von ihren Eltern abh¨angig sind, macht ihnen gar nichts aus und sie k¨amen gar nicht auf die Idee, dies als Abwertung ihrer Person zu empfinden. Im Gegenteil, f¨ur sie ist das ganz selbstverst¨andlich und deshalb versuchen sie gar nicht erst, eigene St¨arke zu beweisen. Sie sind begierig, von ihre Eltern zu lernen und sie h¨oren auf das, was Ihre Eltern ihnen sagen – na ja meistens jedenfalls. Eine Erziehung von Kindern w¨are gar nicht m¨oglich, wenn dies nicht so w¨are. 4

Das a¨ ndert sich ziemlich schnell, wenn wir erwachsen werden. Weil wir nicht ein Leben lang von unseren nat¨urlichen Eltern abh¨angig sein k¨onnen, m¨ussen wir lernen, im Alltagsleben auf eigenen Beinen zu stehen. Leider beeinflußt das oft auch unsere Einstellung zu Gott. Wir denken pl¨otzlich in Kategorien wie St¨arke, Selbstsicherheit, Klugheit, Leistung und moralische Vollkommenheit und empfinden Abh¨angigkeit und Schw¨ache als etwas Negatives. Und so verlassen wir uns im wesentlichen auf uns selbst und versuchen im Endeffekt doch wieder, wie der junge Mann uns das Himmelreich selbst zu verdienen: “was muß ich tun, um das Reich Gottes zu erlangen?” ... auf daß wir nachher auf unsere eigene Leistung stolz sein k¨onnen. Daß Leute, die im Alltagsleben viel leisten k¨onnen, Gefahr laufen, sich auf ihre eigene Kraft zu verlassen, ist offensichtlich. Aber diejenigen, die dar¨uber klagen, daß sie nicht so viel leisten k¨onnen, sind genauso vom Streben nach Anerkennung f¨ur eigene Leistung gepr¨agt. Die Tendenz steckt in uns allen. Aber Gottes Reich kann man nicht durch eigene Leistung verdienen – es ist ein Geschenk, auf daß niemand stolz sein kann, wie Paulus es in Epheser 2:9 schreibt. Nur wer seine eigene Schwachheit und Hilfbed¨urftigkeit vor Gott akzeptiert kann dieses Geschenk wirklich annehmen und sich von Gott leiten lassen. Also – laßt uns versuchen, vom Leistungsdenken loszulassen und gegen¨uber Gott und auch gegen¨uber unseren Geschwistern im Herrn unsere Schw¨ache und Hilflosigkeit zuzugeben, ohne uns daf¨ur zu sch¨amen. Das ist, was Gott unter wahrer Demut versteht. Nat¨urlich darf daraus kein Krampf entstehen. Manchmal h¨ort man in Gebeten, daß Christen sich Gott gegen¨uber wie ein unw¨urdiger Wurm ansehen, der vor Gott auf dem Boden herumkriecht, oder ihm den ganzen Tag nur in geb¨uckter Haltung dienen kann. Ehrlich gesagt, so etwas hat mit Demut nichts zu tun. Wir sind Kinder Gottes und kein Kind w¨urde mit einer solchen Haltung vor seine Eltern treten. Wir sollten uns unserer Schw¨ache und Hilflosigkeit gegen¨uber Gott bewußt sein, aber unser Verh¨altnis zu Gott sollte nat¨urlich bleiben. Und das bringt mich zum letzten Punkt. 4. Bedingungsloses Vertrauen Kinder vertrauen ihren Eltern bedingungslos. Wenn ihr Vater Ihnen etwas gesagt hat, dann ist es f¨ur sie unumst¨oßliche Wahrheit. Sie machen sich dann keine Sorgen darum, ob das auch wirklich eintritt. Nein – sie glauben fest daran. Deshalb m¨ussen Eltern darauf achten, daß dieses kindliche Vertrauen nicht durch voreilige Versprechungen, die sie nicht einhalten k¨onnen, zerst¨ort wird. Denn das Vertrauen in Gott h¨angt in einem hohen Maße davon ab, inwieweit ein Kind seinen Eltern vertrauen konnte. Was kindliches Vertrauen wirklich bedeutet, m¨ochte ich an einer kleinen Begebenheit illustrieren. Als im letzten Jahrhundert in England eine große D¨urre das Land heimsuchte, wurde in einer Kirchengemeinde eine Gebetsstunde angesetzt, um f¨ur Regen zu beten. Ein Kind, das auch davon geh¨ort hatte, nahm daran teil und kam mit einem Regenschirm zur Kapelle. Als man es l¨achelnd fragte, was es denn mit dem Schirm wolle, fragte es erstaunt: “Soll hier denn nicht um Regen gebetet werden”. Ach wie s¨uß und naiv, werden die meisten denken, wenn sie dies h¨oren. Denn als gut erzogene Baptisten wissen wir nat¨urlich, daß Gott sich nicht dr¨angeln l¨aßt und daß man das mit der unmittelbaren Gebetserh¨orung nicht so w¨ortlich nehmen darf. Gott wird uns schon erh¨oren, aber erst zu seiner Zeit und das ist bestimmt nicht jetzt. Dies genau aber ist typisches Erwachsenendenken. Wir glauben, wir m¨ußten unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wir reden Gott als unseren Vater an, denken aber eher an 5

den Erzieher und Lehrer, der uns beibringen will, wie wir uns selbst durchs Leben schlagen k¨onnen. So viel Vertrauen in ihn, daß er uns in der Stunde der Not nicht lange warten l¨aßt, haben nur wenige von uns. Man erkennt es daran, daß wir uns trotz intensiven Gebets immer eine Hintert¨ure offenhalten und immer den Fall einkalkulieren, daß Gott nicht reagiert. Eine bedingungslose Hingabe, die auch einmal ein Risiko eingeht, das wir selbst nicht mehr u¨ berschauen, wird dadurch praktisch unm¨oglich. Ungehindertes Vertrauen aber ist notwendig f¨ur einen gesunde Beziehung zu Gott. Gerade wir Deutsche tun uns da besonders schwer, weil wir uns in den letzten Jahrzehnten angew¨ohnt haben, alles zu hinterfragen und fast nichts unkritisiert stehen zu lassen. “Das darf man nicht so einfach sehen”, h¨ore ich oft, wenn jemand die Bibel beim Wort nimmt und daraus Leitlinien f¨ur unser Leben ableitet. Deswegen tun sich manche auch mit dem Buch “Leben mit Vision” so schwer. Es ist ihnen zu geradlinig, so kompromißarm und geht gar nicht auf die vielen “ja aber” Gedanken ein, die einem so durch den Kopf gehen k¨onnen. Und dabei wird gerne u¨ bersehen, daß Jesus in den Evangelien noch viel geradliniger ist, denn der Weg, der zum Leben f¨uhrt, ist nun einmal schmal und ohne Platz f¨ur faule Kompromisse. Und damit tun wir uns als Erwachsene doch etwas schwer, weil wir nicht genug Vertrauen haben, Gott einfach einmal zu folgen, wenn wir nicht selbst u¨ berschauen, wo es hingeht. Kleine Kinder sind da ganz anders. Ihr Vertrauen darin, daß ihr Vater es gut mit ihnen meint, ist ungeheuchelt und sie machen sich keine Gedanken dar¨uber, was sein k¨onnte, wenn er sie im Stich lassen w¨urde. F¨ur sie ist es ganz selbstverst¨andlich, daß er alles f¨ur sie tut, was sie ¨ brauchen. Ubrigens, w¨ahrend des Gebetstreffens, von dem ich eben erz¨ahlt habe, soll es tats¨achlich begonnen haben zu regnen. Laßt uns versuchen, wieder ein ungebrochenes Vertrauen in Gott zu erlangen. Das kann man lernen – kleine Schritte in Situationen, bei denen Vertrauen in Gott ein gewisses Risiko in sich birgt – Vergebung u¨ ben; zu Gottes Gebot stehen, auch wenn dies einen Verlust bringen k¨onnte; eine Aufgabe u¨ bernehmen, in der ich gebraucht werde – das bringt uns ein St¨uckchen vorw¨arts und n¨aher zu dem Vertrauen, das unser Leben sch¨oner und sorgloser werden l¨aßt. Laßt mich kurz zusammenfassen. Um wieder so zu werden wie die Kinder, die uns Jesus als Vorbild hinstellt, m¨ussen wir nichts anderes tun, als unsere kindliche Kleinheit Gott gegen¨uber anzuerkennen und uns wieder innere Haltungen und Einstellungen anzugew¨ohnen, die wir vielleicht verlernt haben: ein anspruchsloseres Denken; eine st¨arkere Orientierung an unserem meist tief vergrabenen Bed¨urfnis nach Liebe; ein Akzeptieren unserer Schwachheit und Hilfsbed¨urftigkeit gekoppelt mit der Bereitschaft, uns von Gott beschenken zu lassen; und schließlich ein bedingungsloses Vertrauen in Gottes Versprechungen. Auch das k¨onnen wir nicht aus eigener Kraft leisten. Aber wenn wir den Entschluß fassen, wirklich wieder ein echtes Kind Gottes werden und Gott darum bitten, uns diese Eigenschaften schrittweise wieder zu schenken, dann wird dies auch geschehen. Wollen wir das? Dann laßt uns heute noch damit anfangen. Und wir werden sehen, daß wir hier auf Erden ein wenig mehr vom Himmelreich erleben als bisher.

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