Kommunale Finanznot und direkte Demokratie

Kommunale Finanznot und direkte Demokratie Zustandsbeschreibung und Lösungsvorschläge Ausarbeitung von Robert Spilker Mehr Demokratie: Kommunale Fin...
Author: Kasimir Hofmann
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Kommunale Finanznot und direkte Demokratie Zustandsbeschreibung und Lösungsvorschläge

Ausarbeitung von Robert Spilker

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 1

1. Einleitung

„Die Gemeinden sind die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaues. Sie fördern das Wohl der Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe. Sie handeln zugleich in Verantwortung für die zukünftigen Generationen.“ (§ 1 Abs. 1 GO NRW) Aus dem ersten Paragraphen der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung geht die herausragende Bedeutung hervor, die den Kommunen im politischen und staatlichen System der

Bundesrepublik

Deutschland

zukommt.

Der

Ursprung

des

Prinzips

der

selbstverwaltenden Kommunen geht auf das Jahr 1808 und die Einführung der preußischen Städteordnung zurück. Sie sollte die Bürger stärker an das Staatswesen binden, indem ihnen größere Kompetenzen im Bereich der Gemeindeverwaltung zugestanden wurden. Noch heute ist es so, dass sich dem Bürger - und der ist im Wortlaut des Grundgesetzes der Souverän im deutschen Staat - die intensivsten Partizipationsmöglichkeiten auf der kommunalen Ebene bieten. In den letzten Jahren jedoch ist dieses Modell zunehmend in Gefahr geraten. Die Selbstbestimmung auf kommunaler Ebene wird stetig schwieriger und die Ursache hierfür liegt in erster Linie bei schlechten Finanzen. Gerade in NRW kann seit mehreren Jahren festgestellt werden, dass Städte und Gemeinden jährlich mehr Schulden anhäufen. Die Wirtschaftslage ist in Einzelfällen nur in der Frage entscheidend, wie hoch diese Schulden ausfallen. Ein Haushaltsjahr im positiven Bereich abzuschließen scheint für einige Städte beinahe unmöglich. Die Ursachen für diese Situation sind vielfältig. Zum Teil sind sie „hausgemacht“, zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die Kommunen scheinbar das schwächste Glied in der staatlichen Kette sind und ihre Interessen bei der Planung von Regelungen und Gesetzen häufig übergangen werden. In dieser Arbeit soll zunächst ein Überblick über die Situation der Kommunen in NRW gegeben werden. Im Anschluss soll eine Betrachtung der verschiedenen Ansätze zur Lösung dieser Probleme folgen. Abschließend wird die Frage diskutiert, wie mehr Direkte Demokratie und Einbeziehung der Bürger zur Vorsorge und zum Schutz vor neuen kommunalen Finanzkrisen beitragen kann.

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 2

2.1 Die Situation der Kommunen Die Jahre der Wirtschafts- und Finanzkrise haben das Problem zwar nicht geschaffen, verschärft haben sie es allemal: Viele Städte und Gemeinden im Bundesland NordrheinWestfalen haben kein Geld mehr. Vor einigen Jahren waren es hauptsächlich die Kommunen

im

Ruhrgebiet,

die

aufgrund

des

Strukturwandels

unter

sinkenden

Einwohnerzahlen bei gleichzeitig steigender Zahl von Langzeitarbeitslosen litten und als Folge eine zunehmende Verschuldung aufwiesen. Bis heute hat sich das Problem der Überschuldung jedoch längst zu einem landesweiten entwickelt. Bei der jährlichen Planung von Einnahmen und Ausgaben der Kommunen ist die Ausgeglichenheit des Haushalts oberstes Gebot. In der Gemeindeordnung (GO) des Landes Nordrhein-Westfalen heißt es: „Der Haushalt muss in jedem Jahr in Planung und Rechnung ausgeglichen sein. Er ist ausgeglichen, wenn der Gesamtbetrag der Erträge die Höhe des Gesamtbetrages der Aufwendungen erreicht oder übersteigt.“1 Die Notwendigkeit, den eigenen Haushalt im positiven Bereich zu halten, begründet sich in erster Linie auf der Sicherheit, die Aufgaben im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung erfüllen zu können. Lange Zeit führte ein Verstoß gegen diesen Grundsatz zu aufsichtsrechtlichen Folgen – beispielsweise von Seiten der zuständigen Bezirksregierungen oder

Landräte

-

bis

hin

zur

Verpflichtung

zur

Aufstellung

eines

Haushaltssicherungskonzeptes (HSK). Dieses dient der vorgreifenden Haushaltsplanung und muss den nächstmöglichen Termin beinhalten, zu dem die Ausgeglichenheit wieder hergestellt sein wird.2 Das Konzept muss der zuständigen Aufsichtsbehörde vorgelegt und von dieser bewilligt werden. Hauptkriterium zur Genehmigung ist, dass „aus dem Haushaltssicherungskonzept hervorgeht, dass spätestens im letzten Jahr der mittelfristigen Ergebnis- und Finanzplanung der Haushaltsausgleich nach § 75 Abs. 2 wieder erreicht wird.“3 Die Bezeichnung „mittelfristig“ meint hierbei in der Regel das laufende Haushaltsjahr plus die folgenden drei Jahre. Das bedeutet, dass verschuldete Städte und Gemeinden ein Konzept über ihre zukünftige Finanzplanung vorlegen müssen, aus dem hervorgeht, dass die betroffene Kommune spätestens in vier Jahren wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen kann. Dabei ist zu beachten, dass diese Genehmigung auch mit, in der Gemeindeordnung nicht näher definierten, Bedingungen und Auflagen erteilt werden kann. In 1

Zit.: GO NRW; § 75 Abs. 2 Vgl. GO NRW; § 76 Abs. 1 3 Zit.: GO NRW, § 76 Abs. 2 2

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dem Fall, in dem die Genehmigung des HSK verweigert wird, befindet sich die betroffene Kommune in der sogenannten vorläufigen Haushaltsführung. Dieser Zustand wird auch als „Nothaushalt“ bezeichnet. Die Daten zur Haushaltssicherung, die aus dem jüngsten Kommunalfinanzbericht für NRW vom September 20094 hervorgehen, sind auf den ersten Blick positiv. Aus der Statistik geht hervor, dass die Zahl der Kommunen, die ein HSK aufstellen mussten, im Zeitraum 2006 bis 2008 von 197 auf 94 zurückgegangen ist.5 Für den Stand vom 31. Dezember 2009 gibt das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes gar eine Zahl von nur noch 63 HSKKommunen an.6 Diese Entwicklung darf aber nicht fälschlicherweise so gedeutet werden, dass die Kommunen in den vergangenen Jahren einen großen finanziellen Heilungsprozess erlebt hätten. Vielmehr ist die Tatsache der verbesserten Statistiken auf eine Reform des kommunalen Haushaltswesens zurückzuführen. Ab dem 01. Januar 2005 begannen die Kommunen in NRW damit, ihre Haushalte nach einer neuen Art der Buchführung aufzustellen. Diese Regelung ist Teil des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF). Durch die Änderungen soll der Fokus in der Haushaltsplanung weg vom reinen Geldbetrag, hin zum tatsächlichen Ressourcenverbrauch gerichtet werden. Dadurch sollen mehr Transparenz und ein Beitrag zur intergenerativen Gerechtigkeit erbracht werden.7 Die Umstellung auf dieses System ist in den nordrhein-westfälischen Kommunen laut dem aktuellen Kommunalfinanzbericht seit dem Haushaltsjahr 2009 abgeschlossen. Eine wesentliche Änderung des NKF liegt darin, dass die Gemeinden und Städte nicht gleich ein Haushaltssicherungskonzept erarbeiten müssen, wenn ihr Haushalt unausgeglichen ist. Im neuen Modell wird die kommunale Haushaltsführung stufenweise eingeschränkt. Auf der ersten Ebene weisen die Kommunen zwar

auch einen

unausgeglichenen Haushalt auf, jedoch ist die Differenz nur so groß, dass ihr Betrag geringer als die so genannte Ausgleichsrücklage ist. Diese bildet sich aus einem Betrag, den die Kommunen in der ersten Haushaltsbilanz im NKF aufstellen. Falls sie in einem Jahr beansprucht werden muss, kann sie im folgenden Jahr durch Überschüsse wieder aufgefüllt werden. Benötigt eine Stadt diese Ausgleichsrücklage um das Haushaltsdefizit zu begleichen, wird von einem fiktiv ausgeglichenen Haushalt gesprochen. Reicht die Ausgleichrücklage nicht aus um den benötigten Betrag zu decken, bleibt die Möglichkeit, das vorhandene Eigenkapital, die allgemeine Rücklage, dafür zu nutzen. Dieser Schritt muss 4

Der Kommunalfinanzbericht wird in regelmäßigen Abständen vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Inneres und Kommunales herausgegeben. 5 Vgl.: Kommunalfinanzbericht NRW 09.2009; S. 12 6 Vgl.: www.im.nrw.de; Haushalt der Kommunen (Stand 28.09.2010) 7 Vgl.: IM NRW: Kommunalpolitik und NKF, 08.2006

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jedoch von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden, da er ein selbständiges Agieren der jeweiligen Kommune zunehmend gefährden würde. Wird der Bedarf auf die allgemeine Rücklage zuzugreifen zu groß, kann die Aufsichtsbehörde die Genehmigung an das Erstellen eines Haushaltssicherungskonzepts binden. Das Verfahren hierzu wurde schon beschrieben. Im Umkehrschluss bedeuten diese Regelungen, dass prinzipiell alle Kommunen, die auf einer dieser Stufen anzuordnen sind, keinen ausgeglichenen Haushalt aufweisen konnten. Die Situation in NRW stellte sich zum 31.12.2009 folgendermaßen dar: Tabelle 1

‚Echter‘ Ausgleich

Fiktiver Ausgleich

Allgemeine Rücklage

39

281

38

HSK -genehmig t 13

HSK – Keine nicht Angaben zum genehmigt Haushalt gesamt 50 6 427

Quelle: http://www.im.nrw.de/bue/doks/100203hskkommunennrw2009.pdf (Stand: 20.08.2010)

Bei der Betrachtung dieser Tabelle stechen zwei Dinge hervor. Erstens gibt es unter den 427 Kommunen in NRW nur 39, die in dem betreffenden Zeitraum wirklich ausgeglichene Finanzen aufweisen konnten. Die übrigen 388 mussten also mindestens auf ihre Ausgleichrücklage zugreifen um einen fiktiv ausgeglichenen Haushalt herzustellen. Zweitens fällt die hohe Zahl der nicht genehmigten Konzepte zur Haushaltssicherung auf. Scheinbar ist es für die betroffenen Kommunen nicht möglich eine Planung aufzustellen, aus der eine entsprechende Verbesserung der Haushaltslage hervorgeht. Somit befinden sich nach aktuellem Stand 50 Kommunen in NRW in der vorläufigen Haushaltsführung. Zudem gelten 17 Kommunen, die bereits in der Haushaltssicherung sind, als überschuldet oder von Überschuldung gefährdet. Das bedeutet, die angehäuften Schulden übersteigen den Betrag des Eigenkapitals. Das Ministerium für Inneres und Kommunales bezeichnet diesen Zustand als „die dramatischste Fehlentwicklung des Haushalts“.8 2.2 Die Folgen für die kommunale Selbstverwaltung In der Tat stellt sich die Lage für die Städte und Gemeinden umso schwieriger dar, je schlechter die Haushaltssituation ist. Es ist zu vermuten, dass die einleitend erwähnte kommunale Selbstverwaltung mit zunehmendem Haushaltsdefizit immer weniger garantiert ist. Diese steht den Kommunen nicht nur laut Gemeindeordnung zu, sondern ist sogar in Art. 8

Zit.: IM NRW: Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung, 03.2009, S. 3

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28 Abs. 2 GG festgeschrieben. Sie ist die Grundlage dafür, dass es im Ermessen der Städte und Gemeinden liegt, wie und wann sie eine Aufgabe ausführen. Handelt es sich um freiwillige Aufgaben, so können die Gemeinden generell entscheiden, ob sie diese überhaupt ausführen möchten oder nicht. Diese freiwilligen Leistungen sind relativ leicht angreifbar, wenn es darum geht Gelder einzusparen. Zusammenfassend fallen in diesen Bereich alle Aufgaben, die die Bereiche des sozialen, des kulturellen und des wirtschaftlichen Lebens in der Gemeinde berühren. Laut Gemeindeordnung sind alle Aufgaben freiwillig, die den Kommunen nicht per Gesetz auferlegt wurden.9 Durch diese Aufgabenstruktur entsteht in Deutschland ein kommunales Modell, das neben dem der skandinavischen Länder eines der stärksten im internationalen Vergleich ist.10 Durch die finanzielle Situation vieler Kommunen ist dieser Typ der kommunalen Organisation zunehmend bedroht. Wie kommt diese Bedrohung zum Ausdruck? Inhaltlich ergeben die Haushaltssicherungskonzepte die von den Aufsichtsbehörden genehmigt wurden ein durchweg ähnliches Bild. Um die nötigen Einsparungen zu erzielen greifen die meisten Kommunen auf Kürzungen im Personalwesen und bei den freiwilligen Aufgaben zurück. Streckenweise ist in den Konzepten auch die wirtschaftliche Überprüfung der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben vorgesehen. Die Mittel sind hier natürlich deutlich beschränkter. Konkret bedeutet das in vielen Fällen, dass Ausbildungsplätze bei der Stadt gestrichen werden müssen und neben der generellen Überprüfung der vorhandenen Stellen auch eine – meist 12 bis 24 Monate dauernde – Beförderungssperre erlassen wird. Besonders in Folge der wegfallenden Ausbildungsstellen ergibt sich längerfristig eine Überalterung der Verwaltungen. In allen HSK wird in der Regel eine vollständige Kontrolle der freiwilligen Betätigungsfelder beschlossen. Dabei soll festgestellt werden, wie rentabel die jeweilige Leistung für die Gemeinde ist und wie schwer eine Aufhebung ins Gewicht fallen würde. Dadurch entstehen Streichungen von sozialen und kulturellen Leistungen, sowie

die

Privatisierung

und

Auslagerung

von

kommunalen

Aufgaben.11

Welche

Einsparungen sie im Detail vornehmen können die Kommunen im HSK zwar selbst entscheiden, am Ende stehen jedoch immer die Überprüfung und gegebenenfalls die Ablehnung durch die Aufsichtsbehörde. Nach den aktuellen Angaben des Innenministeriums in NRW (s. Tabelle 1) stehen derzeit 50 Kommunen ohne genehmigtes HSK da. Diese dürfen

gemäß

der

Gemeindeordnung

nur

„Aufwendungen

entstehen

lassen

und

Auszahlungen leisten, zu denen sie rechtlich verpflichtet [sind] oder die für die Weiterführung 9

Vgl.:§ 3 Abs. 1 GO NRW Vgl. Wollmann, Helmut: Die traditionelle deutsche kommunale Selbstverwaltung – ein „Auslaufmodell“?, In: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften, 2002, S. 4 11 Vgl. exemplarisch: HSK der Stadt Gladbeck, 2009; HSK der Stadt Soest, 2009; HSK der Stadt Kierspe, 2010 10

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notwendiger Aufgaben unaufschiebbar sind“.12 Im Sinne des oben bereits erwähnten § 3 GO NRW schließt diese Regelung de jure die Weiterführung beinahe aller freiwilligen Aufgaben aus. Kommunen in der vorläufigen Haushaltsführung, also ohne genehmigten Haushalt und HSK, müssen bei den übergeordneten Behörden für

etliche ihrer Maßnahmen und

Handlungen Rechenschaft ablegen. Außerdem müssen eventuell erzielte Erträge zwingend in die Konsolidierung des Haushaltes investiert werden. Rat und Verwaltung werden in diesem Zustand also sehr enge Grenzen gesteckt, wenn es um die Gestaltung des Gemeinwesens geht. Von selbstverwaltendem Handeln und Entscheiden kann spätestens jetzt nicht mehr die Rede sein. Zwar handelt es sich nach Ansicht des Innenministeriums bei der Haushaltssicherung um eine „eigenverantwortliche Aufgabe“, die den Kommunen die Möglichkeit gibt, ihre Finanzen Im Sinne einer ausgeglichenen Haushaltsführung zu regeln. Die Kommunalaufsicht diene dabei nur der Wahrung der Interessen des Staates, der Gemeinschaft der Kommunen und zukünftigen Generationen.13 Allerdings sind die Auswirkungen der Situation in den Gemeinden nicht von der Hand zu weisen. Der Vorsitzende des Städtetages NRW, Peter Jung (CDU), warnt angesichts der Entwicklung: „Die Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger sinkt spürbar. Die Demokratie wird geschwächt. Diese Entwicklung muss gestoppt werden.“14 2.3 Die Folgen für die Direkte Demokratie In der Tat ist zu vermuten, dass die Möglichkeiten der Bürger, sich an der Ausgestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen, durch die Finanznöte der Kommunen eingeschränkt werden. Der wohl direkteste Weg auf die Kommunalpolitik einzuwirken ist derzeit die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Im Zusammenhang mit der finanziellen Lage vieler Gemeinden wird dieser Weg in zweierlei Hinsicht steiniger werden. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass durch Bürgerbegehren durchgesetzte Projekte auch finanziert werden müssen. Wenn die Haushaltskassen aber leer sind, so ist auch kein Geld für diese Dinge vorhanden. Zum konkreten Problem für diese Form der Direkten Demokratie wird in NRW somit

der

geforderte

Kostendeckungsvorschlag.

So

heißt

es

in

§

26

Abs.

2

Gemeindeordnung: „Das Bürgerbegehren muss […] eine Begründung sowie einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten.“15 Stellt die Ratsmehrheit der entsprechenden Kommune fest, dass dieser Vorschlag nicht realisierbar ist, so gilt das Bürgerbegehren als unzulässig 12

Zit.: § 82 Abs.1 Satz 1 GO NRW Vgl.: http://www.im.nrw.de/bue/280.htm (Stand: 01.09.2010) 14 Vgl.:http://www.staedtetag-nrw.info/stnrw/inter/presse/mitteilungen/003201/index.html (Stand: 23.08.2010) 15 Zit.: Gemeindeordnung NRW, § 26 Abs. 2 13

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 7

und ist somit gescheitert. In Gemeinden mit HSK-Status ist diese Hürde kaum zu überwinden, zumal die Beurteilung hier quasi noch zusätzlich durch die Aufsichtsbehörde erfolgt. Beispiele für Scheitern von Bürgerbegehren an dem Hindernis HSK gibt es mittlerweile einige. In Wuppertal wurde 2003 ein Bürgerbegehren für unzulässig erklärt, weil der aufgeführte Kostendeckungsvorschlag nicht mit dem Konzept zur Haushaltskonsolidierung vereinbar war.16 Ähnliche Fälle gab es auch in Witten17 und Erftstadt.18 In den beiden letzten Beispielen

wurde

vom

Rat

sogar

die

prinzipielle

Zulässigkeit

des

vorgelegten

Bürgerbegehrens festgestellt. Da sich die Städte allerdings in HSK-Maßnahmen befinden, wurden die Kostendeckungsvorschläge nicht akzeptiert. Die Antragssteller hatten zwar jeweils dargelegt, wie die Stadt zusätzliche Einnahmen gewinnen könnte um die Vorschläge zu finanzieren, jedoch griff hier die Aufsichtsbehörde ein. Diese kritisierte, dass eventuelle Mehreinnahmen grundsätzlich für die Konsolidierung des Haushaltes genutzt werden müssten. In Kommunen, deren Haushaltssicherungskonzept nicht genehmigt wurde, ist es für die Bürger beinahe unmöglich durch Bürgerbegehren ihre Belange durchzusetzen. Wie bereits erwähnt ist es in der Rechtslage so, dass von diesen Gemeinden nur Aufgaben ausgeführt werden, zu denen sie rechtlich verpflichtet sind.19 Daraus ergibt sich eine aussichtslose Situation für mögliche Bürgerbegehren, da sie allein vom Standpunkt des derzeitig geltenden Rechtes aus für unzulässig erklärt werden müssten. Der Verein Mehr Demokratie e.V. stellt in diesem Zusammenhang zwei Forderungen: Die Notwendigkeit für ein Bürgerbegehren einen Kostendeckungsvorschlag aufstellen zu müssen soll nach Ansicht der Initiative zukünftig entfallen20 und die Bürgerinnen und Bürger sollten generell die Möglichkeit

haben,

über

Haushaltsangelegenheiten

Finanztabu soll gebrochen werden.

21

abzustimmen.

Das

sogenannte

Diese und andere Vorschläge werden im weiteren

Verlauf der Arbeit noch eingehender betrachtet werden. Die bisherige Betrachtung verdeutlicht, wie sich die finanzielle Lage der Kommunen auf die demokratische Ausgestaltung des Gemeinwesens auswirkt. Die einstige „Basis der Demokratie“22 bröckelt seit einigen Jahren.

16

Vgl.: http://www.wuppertal.de/rathaus/onlinedienste/ris/www/pdf/00020747.pdf Vgl.: http://nrw.mehr-demokratie.de/witten.html 18 Vgl.: http://nrw.mehr-demokratie.de/erftstadt.html 19 Vgl.: Gemeindeordnung NRW; § 82 Abs.1 Satz 1 20 Vgl.: http://nrw.mehr-demokratie.de/kostendeckung.html 21 Vgl.: http://nrw.mehr-demokratie.de/themenausschluesse.html 22 Zit.: Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bunderepublik Deutschland, VS Verlag, 7. Auflage 2006, S. 333 17

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 8

3.1 Ansätze zur Lösung des Finanzproblems Bei den dargestellten Problemen der kommunalen Selbstverwaltung und der Direkten Demokratie handelt es sich um die Folgen einer schlechter werdenden Haushaltslage der Kommunen. Daher sollen im Folgenden verschiedene Lösungsansätze vorgestellt werden, wie diesem Hauptproblem begegnet werden soll. Im Landtagswahlkampf 2010 war die Verschuldungslage der kommunalen Haushalte eines der Kernthemen der angetretenen Parteien. Die rot-grüne Minderheitsregierung, die letztendlich aus dieser Wahl hervorging, hat sich dem Thema dann auch in ihrem Koalitionsvertrag gewidmet. Die Kommunen, das „Fundament unseres Landes“23, sollen künftig gestärkt werden, da ihre Handlungsfähigkeit darüber mitentscheide, ob „sich die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft zukünftig noch verschärft.“24 Die Städte und Gemeinden müssten wieder in die Lage versetzt werden, ihrer gewichtigen Rolle in der Bildungs- und Sozialpolitik gerecht werden zu können. Für die neue Landesregierung ist neben den Krisenjahren der „Raubzug“ von CDU und FDP der Hauptauslöser der kommunalen Finanzlage. Diese Entwicklung wollen SPD und Grüne stoppen und umkehren. Dazu möchten sie von Beginn an ihren Einfluss im Bundesrat geltend machen. Zum einen sollen so weitere Belastungen der Kommunen nach Möglichkeit verhindert werden. Zum anderen will die Koalition durch Bundesratsinitiativen bestehende Regelungen verändern. Im Mittelpunkt steht dabei die derzeitige Verpflichtung der Kommunen für die Unterkunft und die Heizkosten von Sozialleistungsempfängern nach SGB II aufzukommen. Hier sieht die Landesregierung das Konnexitätsprinzip verletzt. Der Anteil des Bundes an den entstehenden Kosten soll gesteigert werden. Als konkrete Maßnahme in ihrem Zuständigkeitsbereich wollen SPD und Grüne die Änderungen, die von der Vorgängerregierung am Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) NRW vorgenommen wurden, weitgehend zurücknehmen. Das bedeutet, dass die Kommunen wieder an den Einnahmen durch die Grunderwerbsteuer beteiligt werden sollen – der Anteil war zuvor durch CDU und FDP ausgesetzt worden. Dazu wurde am 25. August 2010 von Innenminister Ralf Jäger (2010) der sogenannte „Aktionsplan Kommunalfinanzen“ vorgestellt. Darin ist vorgesehen, dass die Städte und Gemeinden noch 2010 ihren Anteil an der Grunderwerbsteuer rückwirkend ab 2007 erhalten sollen. Diese Summe beläuft sich auf etwa 130 Millionen

23 24

Zit.: Koalitionsvertrag 2010 - 2015 der NRW-SPD und Bündnis 90/ Die Grünen NRW, S. 22 Zit.: Ebd., S. 22

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Euro.25 Zusätzlich sollen die Kommunen von ihrer Beteiligung an der Konsolidierung des Landeshaushaltes befreit werden (etwa 166,2 Millionen Euro26). Ab 2011 sollen dann die Kommunen, die noch einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen können, in Zusammenarbeit mit dem Land NRW, den finanzschwachen Kommunen unter die Arme greifen. Nach Jäger stünden dafür jährlich 300 – 400 Millionen Euro vom Land bereit.27 Keine Einigung erzielten der Innenminister und die Landesregierung bisher in der Frage nach den Auflagen und Bedingungen, unter denen den Kommunen die Hilfen gewährt werden. Ohne weitere Änderungen, die besonders die Ausgabenseite betreffen, werden die zusätzlichen

Gelder

die

Situation

nur

auf

begrenzte

Dauer

verbessern.

Der

kommunalpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Bodo Löttgen, sagte zu den Plänen der Regierung: „Erst muss das Loch im Eimer gestopft sein, ehe das Land weitere Finanzmittel hinein schüttet.“28 Der Ansatz hierfür ist bei Regierung und Opposition im Kern sehr ähnlich. Alle Akteure sind der Ansicht, dass es hauptsächlich die vom Bund auf die Kommunen übertragenen Kosten im Sozialwesen sind, die den Städten und Gemeinden so schwer zu schaffen machen. Die CDU selbst allerdings forderte in ihrem Wahlprogramm zur Landtagswahl 2010 hauptsächlich eine dauerhaft bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen. Dabei zählt sie es zu ihren Erfolgen, „dass die Gemeinden 2008 und 2009 mit 15,7 bzw. fast 15 Milliarden Euro mehr Geld bekommen als jemals zuvor.“ 29 Die derzeitige Lage gibt Anlass, den Erfolg dieser Strategie zumindest in Frage zu stellen. Die FDP sieht die Ursache für die schlechte Haushaltslage der Kommunen mitunter in der Gewerbesteuer. Diese sei zu sehr von wirtschaftlichen Einflüssen abhängig. Dadurch hätten die Kommunen keine Möglichkeit langfristig und verlässlich mit den Einnahmen aus der Gewerbesteuer planen zu können. Die Liberalen schlagen ein Alternativmodell vor, bei dem die Kommunen stärker an der Umsatzsteuer beteiligt werden sollen, und dazu Einnahmen aus einer neuen Kommunalsteuer generieren können. Einen Vorschlag dieser Art hat die FDP bereits 2004 auf Bundesebene eingebracht. Das Konzept sieht vor, dass die Gewerbesteuer komplett weg fällt. Dadurch entstehen automatisch höhere Einnahmen aus den Einkommen- und Körperschaftssteuern, von denen die Gewerbesteuer zuvor 25

Vgl.: WDR: Extra-Geld für die Kommunen; http://www.wdr.de/themen/wirtschaft/oeffentliche_finanzen/kommunen/100825.jhtml (Stand: 30.08.10) 26 Vgl.: Ebd. 27 Vgl.: RP-Online: NRW-Städte sollen armen Kommunen helfen; http://nachrichten.rp-online.de/politik/nrwstaedte-sollen-armen-kommunen-helfen-1.97984 (Stand: 30.08.10) 28 Zit. Nach: http://www.cdu-nrw-fraktion.de/index.php? id=405&kontrast=aus&schrift=gross&tx_ttnews[pS]=1282891904&tx_ttnews[tt_news]=10215&tx_ttnews[backPid] =83&cHash=3efaf8c31d 29 Zit.: CDU: Neue Sicherheit und Solidarität Nordrhein-Westfalen 2020; März 2010, S.15

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 10

abzuziehen war. Diese Mehreinnahmen kommen zunächst Bund und Ländern zugute. Als Konsequenz kann nun den Gemeinden ein wesentlich erhöhter Anteil an der Umsatzsteuer zugerechnet werden. Die Folgen wären zusammengefasst, dass die Gemeinden sich auf eine weniger konjunkturabhängige Einnahmequelle als die Gewerbesteuer stützen könnten und die tatsächlich zu zahlenden Steuern sich für die Bürger nicht erhöhen. Da der von der FDP vorgesehene Anteil an der Umsatzsteuer aber nicht ausreichen würde, um den Verlust zu begleichen, der durch den Wegfall der Gewerbesteuer entstünde, will die Partei eine Kommunalsteuer als zweite Finanzsäule einführen. Die neue Kommunalsteuer soll eine Abwandlung des bisherigen Anteils der Kommunen an der Einkommensteuer darstellen und nach Vorstellungen der FDP nach der privaten Wirtschaftskraft der jeweiligen Gemeinde berechnet werden. Die Bundesregierung hat gemäß ihrem Koalitionsvertrag von 2009 eine Gemeindefinanzkommission unter der Leitung des Bundesministeriums für Finanzen eingesetzt.

Diese

beschäftigt

sich

in

einer

AG

Kommunalsteuern

mit

den

Erfolgsmöglichkeiten des Modells der FDP. Allerdings hat das Finanzministerium schon angemerkt, dass ein ähnliches Finanzierungsmodell, das 2002 von BDI und VCI vorgelegt wurde, von der damaligen Gemeindefinanzreformkommission für untauglich befunden wurde.30 Die Gewerbesteuer stärken und ausbauen möchte die Partei DIE LINKE. Sie brachte im Mai einen

Antrag

im

Bundestag

ein,

wonach

die

Gewerbesteuer

zu

einer

Gemeindewirtschaftssteuer ausgeweitet werden soll. Sie soll auch von Selbstständigen zu entrichten sein. Außerdem müsse bis 2013 die Umlage, die an die Länder gezahlt wird, schrittweise abgebaut werden. Die Koalitionsfraktionen lehnten diesen Antrag ab, während sich SPD und Grüne enthielten. Außerdem fordert DIE LINKE eine finanzielle Mindestausstattung der Kommunen durch die Länder und die Einrichtung eines kommunalen Entschuldungsfonds. Damit teilt die Partei im Kern die Forderungen des Städte- und Gemeindebunds NRW, sowie des Bündnisses Raus aus den Schulden, in dem sich 18 Gemeinden aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischem Land zusammengeschlossen haben. Diese sprechen sich ebenfalls für einen Entschuldungsfond aus. Dieser soll den Kommunen hauptsächlich helfen ihre angehäuften Kassenkredite schnell abzubauen, indem diese in den Fond übertragen werden. Gleichzeitig sollen alle Beiträge und Mittel zum Schuldenabbau, die die Kommunen selbst generieren, oder von Dritten erhalten, in diesem Fond gebündelt werden. Nach einer Laufzeit von zehn Jahren sollen die eventuell verbleibenden Schulden wieder an die 30

Vgl.: Deutscher Städtetag: Konstituierende Sitzungen der Arbeitsgruppen der Gemeindefinanzkommission; 30.03.2010, S. 1-2

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 11

jeweiligen Kommunen zurückgehen. Damit diese Strategie erfolgreich sein kann, sind Hilfen durch das Land, den Bund und gegebenenfalls durch finanziell besser gestellte Gemeinden notwendig. Daher räumen die Kommunen in ihren Forderungen selbst ein, dass derartige Programme gleichzeitig ein hohes Maß an Überwachung und Kontrolle benötigen, damit gewährleistet ist, dass mit den Zuwendungen sinnvoll umgegangen wird.31 32 Der Bund der Steuerzahler in NRW hingegen fordert eine Abschaffung der Gewerbesteuer und deren Ersatz durch ein Finanzierungsmodell, das etwa dem der FDP entspricht. Zusätzlich wird klar die Forderung formuliert, dass jede Kommune darauf schauen müsse, ob eventuelle Ausgliederungen, oder Privatisierungen städtischer Gesellschaften möglich und sinnvoll sein können.33 Die eingebrachten Lösungsansätze, die aus der kommunalen Finanznot herausführen sollen, umfassen einerseits ein breites Spektrum von Ideen. Dieses reicht von Vorschlägen, die Kommunen müssten noch effizienter in ihrer Aufgabenwahrnehmung werden, indem ihre Zuständigkeitsbereiche ausgedünnt werden, bis zu Forderungen, dass ein Prozess der „ReKommunalisierung“ stattfinden müsse, damit die Handlungsfähigkeit der Gemeinden wieder hergestellt würde. Andererseits sind sich die Akteure, die ihre Vorschläge in die Diskussion einbringen, weitgehend über die eigentlichen Ursachen der Probleme einig. Diese sollen im folgenden Teil der Arbeit behandelt werden.

4. Die Ursachen für die kommunale Finanzkrise Es

wird

nicht

möglich

sein,

eine

einzige

entscheidende

Ursache

für

die

Kommunalverschuldung auszumachen. Letztendlich beeinflussen zu viele Faktoren die Entwicklung der Haushaltslage. Generell können diese in zwei Kategorien sortiert werden. Die erste Gruppe bilden dabei die gemeindeexogenen Faktoren. Darunter fallen die lokalen sozioökonomischen Begebenheiten in den Kommunen und in der Region. In diesem Bereich ist von Interesse, wie beispielsweise Wirtschaftsstruktur und Sozialstruktur der betrachteten Gemeinden entwickelt sind. Die Erkenntnisse hieraus müssen in Zusammenhang zu der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Bundeslandes, aber auch des Bundes selbst gesetzt werden. Ins Gewicht fallen zusätzlich politische Entscheidungen auf Länder- und 31

Vgl.: Städte- und Gemeindebund NRW: Forderungen an die neue Landesregierung in NRW Vgl.: Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden“: Vorschläge für eine nachhaltige Lösung des kommunalen Altschuldenproblems und der Unterfinanzierung der Kommunen in NRW; 18.12.2009 33 Vgl.: Bund der Steuerzahler NRW: http://www.steuerzahler-nrw.de/Ein-bisschen-was-geht-immer-auch-in-denKommunen/27312c30966i1p137/index.html , Stand: 31.08.10 32

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 12

Bundesebene, die den Kommunen auf der einen Seite Aufgaben auftragen oder abnehmen können, oder aber die Finanzausstattung der Gemeinden betreffen. Aus der Gesamtheit der exogenen Faktoren ergeben sich zum Großteil die Einnahmepotentiale und notwendige Ausgaben. Daraus definiert sich der haushaltspolitische Handlungsbedarf einer Kommune. Der

entstehende

Handlungsbedarf

muss

auf

eine

entsprechend

ausgeprägte

Handlungsfähigkeit treffen, um erfüllt werden zu können. Die Handlungsfähigkeit der Kommunen wird durch die zweite Gruppe von Faktoren geprägt, die gemeindeendogenen Faktoren. Wesentlichen Einfluss hat hier die politische Situation vor Ort. Es ist davon auszugehen, dass ein Haushalt umso flexibler auf neue Herausforderungen reagieren kann, je gefestigter und geschlossener die politischen Verhältnisse sind. Umgekehrt bedeutet das, dass es in Gemeinden, in denen relativ unklare politische Mehrheitsverhältnisse herrschen, schwieriger ist in der Haushaltsaufstellung auf veränderte Herausforderungen angemessen zu reagieren. Zudem wird die Handlungsfähigkeit einer Kommune auch über die Art der Aufgabenbearbeitung, zum Beispiel durch Ausgliederung oder Privatisierung, entschieden. Aus dieser Sammlung von gemeindeexogenen und gemeindeendogenen Faktoren, sprich der Gegenüberstellung von Handlungsbedarf und Handlungsfähigkeit, ergibt sich mit Daten angereichert ein möglichst genaues Bild der tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben einer Kommune.34 Dadurch lässt sich nach Möglichkeit bestimmen, welches Zusammenspiel von Faktoren zu der Verschuldungslage der Kommunen in NRW geführt hat. Als ausgesprochen schwierig erweist sich dabei aber die Suche nach einer gesicherten Datenlage über die gemeindeendogenen Faktoren. Daher kann eine verlässliche Aussage nur über den Zusammenhang zwischen den gemeindeexogenen Faktoren und der Haushaltsmisere getroffen werden.

4.1 Die Wirtschaftskraft der Kommunen Dazu kann zunächst die Vermutung aufgestellt werden, dass die Finanzlage in den Kommunen besonders angespannt ist, in denen eine geringe Wirtschaftskraft und eine ungünstige Sozialstruktur gemeinsam auftreten. Die Bertelsmann Stiftung hat dazu eine Studie veröffentlicht, in der sie die Höhe der aufgenommenen Kassenkredite der Kommunen35 mit der Ausprägung eben dieser Faktoren in Verbindung setzt. Zunächst wird die

wirtschaftliche

Bruttoinlandsprodukt 34 35

Leistungsfähigkeit pro

Kopf

der

der

Gemeinden

jeweiligen

betrachtet.

Kommunen

mit

Dazu dem

wird

Stand

Vgl.: Bertelsmann Stiftung: Kommunaler Finanz- und Schuldenreport NRW, März 2010, S. 109 ff. In der Studie wurden nur kreisfreie Städte und Kreise berücksichtigt

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 13

das ihrer

Kassenkreditschulden verglichen. Aus der Analyse ergibt sich, dass zwischen beiden Merkmalen ein mittelstarker Zusammenhang besteht. Das bedeutet, dass es relativ wahrscheinlich ist, dass eine Stadt oder Gemeinde im Falle eines Rückgangs der Wirtschaftskraft, einer zunehmenden Gefahr der Haushaltsschieflage ausgesetzt ist. Erklärbar ist dieser Sachverhalt damit, dass besonders die Einnahmen der Kommunen durch die Gewerbesteuer leiden, wenn die Anzahl der Unternehmen, oder deren Erträge zurückgehen. Besonders die Jahre nach der Banken- und Finanzkrise haben die Gemeinden Einnahmen über die Gewerbesteuer gekostet. Nach Schätzungen ist mit einem sehr leichten Anstieg erst wieder für 2011 zu rechnen.36 Vor diesem Hintergrund scheint die Kritik an der Konjunkturabhängigkeit der Gewerbesteuer gerechtfertigt.

4.2 Die Sozialstruktur Eine sich verschlechternde Wirtschaftslage geht häufig mit einer ebenfalls schlechter werdenden Sozialstruktur einher. Steigende Arbeitslosigkeit in Folge von Entlassungen ist nur ein mögliches Merkmal. Um die diesbezügliche Last einer Kommune möglichst genau beziffern zu können, wurde für die Bertelsmann-Studie ein Index erstellt. Dieser umfasst Daten zur Arbeitslosenquote, der Zahl der Leistungsempfänger nach SGB II, zur messbaren Kaufkraft und zur Kinderarmut. Es hat sich ergeben, dass ein deutlich signifikanter Zusammenhang zwischen einer steigenden Belastung im sozialen Bereich und einer zunehmenden Gefahr der Verschuldung besteht. Das unterstreicht die Forderungen vieler Akteure, dass die Zuständigkeiten der Kommunen auf diesem Gebiet zurückgefahren werden müssen oder zumindest von Bund und Ländern gegenfinanziert werden sollen. Hintergrund ist die vom Bund festgesetzte Verantwortung der Kommunen, für die Empfänger von Leistungen nach SGB II die Unterkunft und Heizkosten zu übernehmen. Nach einem Finanzbericht des Deutschen Städtetages NRW betrug der Anteil der Sozialleistungen an den bereinigten Ausgaben für das Jahr 2008 ganze 27 Prozent. Im Vergleich dazu lag der Durchschnitt dieses Anteils in allen westdeutschen Flächenstaaten bei 23 %. Dazu waren die Pro-Kopf-Ausgaben in diesem Bereich mit 626 Euro ebenfalls deutlich über dem westdeutschen Durchschnitt (513 Euro).37 Besonders betroffen von diesen Auswirkungen ist die Region Ruhrgebiet. Durch den anhaltenden Strukturwandel ist die Arbeitslosigkeit stark angestiegen und liegt heute mit einer Quote von 11,7 % mit deutlichen 3 Prozentpunkten 36

Vgl.: Kommunalfinanzbericht NRW, September 2009, S. 8 Vgl.: Deutscher Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2009 des Städtetages NRW, In: Eildienst – Informationen für Rat und Verwaltung, November 2009, S. 321 37

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 14

über dem NRW-weiten Durchschnitt. Die stark überschuldete Stadt Duisburg wies für August 2010 gar eine Arbeitslosenquote von 13, 2 Prozent auf.38 Die Vermutung liegt nahe, dass es auch

dieser

Umstand

ist,

der

dazu

beigetragen

hat,

dass

sich

beinahe

alle

Ruhrgebietskommunen in Haushaltssicherungskonzepten befinden und ein großer Teil in diesen nicht nachweisen kann, dass der Haushalt mittelfristig ausgeglichen wird. Das bedeutet für die Zukunft, dass die Landes- und besonders die Bundespolitik daran arbeiten sollten die Kommune von ihrer Aufgabenlast zu befreien und ihnen damit wieder etwas mehr Lust zum atmen und zum selbstbestimmten Handeln zu lassen. Damit ist neben der finanziellen Unterstützung nach SGB II auch die Grundsicherung im Alter gemeint, die durch die voraussehbare demographische Entwicklung zu einem immer größer werdenden Kostenfaktor werden kann. Ebenfalls

ist es nicht förderlich für die kommunale

Finanzsituation, wenn auf Bundesebene Wahlkampf mit der Forderung nach einer möglichst kostenfreien Kinderbetreuung geführt werden, die im Endeffekt auch von den Städten und Gemeinden getragen werden muss. Für eine Kommune, die durch die genannten Ursachen in die Situation eines unausgeglichenen Haushalts geraten ist, wird es insofern schwierig aus ihrer Lage herauszukommen, wenn umliegende Regionen besser aufgestellt sind und dadurch ihre Standortvorteile deutlicher ausprägen können. Für den Fall einer verbesserten Haushaltslage der Kommunen in NRW ist es notwendig, dass diese weniger finanziellen Lasten zu tragen haben als bisher. Ansonsten wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Gemeinden wieder ein Haushaltsdefizit aufweisen. Natürlich ist festzuhalten, dass die Krise, in der die Kommunen stecken, auch auf eigenem Verschulden aufbaut. Gerade in den 1980er Jahren neigten viele Stadt- und Gemeinderäte dazu, teure Projekte – besonders in der Infrastruktur – sehr schnell zu beschließen. Auch in der heutigen Zeit geraten noch häufig Bürgermeister und andere Verantwortliche in die Kritik, weil sie Pläne durchsetzen, die offenkundig viel Geld und Aufwand kosten würden. Da derartige Ausgabenfaktoren nicht auch durch die übergeordneten politischen Instanzen zu kontrollieren sind, sondern das wiederum die kommunale Selbstverwaltung untergraben würde, muss nach Alternativen gesucht werden, wie politische Entscheidungsträger am übermäßigen Geldausgeben gehindert werden können. An dieser Stelle kommt die Direkte Demokratie zum Tragen, die durch eine stärkere Einbindung der Bürgerinnen und Bürger nicht nur teure Projekte stoppen, sondern auch sinnvolle (Alternativ-) Vorschläge anstoßen kann.

38

Vgl.: Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarktbericht August 2010, Anlage 9

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 15

5. Direkte Demokratie als Schutzfunktion vor Verschuldung Nach den derzeitigen Regelungen in NRW sind Bürgerbegehren, die sich direkt mit den Themen Steuern, Kreditaufnahme und dem Haushalt befassen, nicht zulässig. Das Finanztabu verbietet es, dass sich Bürgerinnen und Bürger per Begehren zu diesen Sachverhalten positionieren. Nun ist die Frage diskussionswürdig, inwiefern die Bürger zu einer ausgeglichenen Haushaltsaufstellung beitragen können. Die Debatte rund um Direkte Demokratie wird häufig auch mit der Behauptung geführt, die Bürger hätten nicht das nötige Hintergrundwissen, wodurch die Gefahr von Entscheidungen steigen würde, die zwar gerade populär, aber nicht sinnvoll seien. Von der Hand zu weisen ist das Argument der fehlenden Informationen nicht. Jedoch sollte mit Verweis auf die ausführlich beschriebene Finanzsituation der Kommunen deutlich werden, dass auch die Repräsentanten in den Vertretungsorganen Fehler begehen und Fehlentscheidungen treffen. Um zu überprüfen, ob das Abstimmen über Finanzentscheidungen funktionieren kann, lohnt sich der Blick in die benachbarte Schweiz, wo sogenannte Finanzreferenden regelmäßig stattfinden. Im Vorfeld ist natürlich klar anzumerken, dass sich die Schweiz von der Bundesrepublik

Deutschland

schon

aufgrund

der

unterschiedlichen

Geschichte

unterscheidet und beide Länder in ihrer Entwicklung bis heute sehr verschiedenen Pfaden gefolgt sind. Daher kann argumentiert werden, dass die Schweizer Kantone generell mehr Geld zur Verfügung haben, da sie keine finanziellen Lasten zu tragen hatten wie den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg, oder die Vereinigung zwischen Ost- und WestDeutschland. Trotzdem kann eine Betrachtung der dortigen

Finanzreferenden einen

Eindruck liefern, ob und wie die Bürger mit öffentlichen Geldern umgehen können. Eine Regelung auf deren Grundlage die Menschen in den Kommunen auf den öffentlichen Haushalt einwirken können ist hauptsächlich aus zwei Gründen zu begrüßen: Erstens könnte so eine verantwortungsvollere und nachhaltige Finanzpolitik entstehen. Zweitens muss es der Grundanspruch einer Demokratie sein, dass die politischen Entscheidungen im Sinne des Souveräns – im Fall der Bundesrepublik ist das das Volk – gefällt werden. In der Schweiz besteht die Möglichkeit über die Haushaltsplanungen abzustimmen. Die Regelungen hierzu sind verschieden aufgestellt. In einigen Kantonen ist die Möglichkeit eines fakultativen Finanzreferendums festgeschrieben. Sobald hier eine geplante Ausgabe einen festgeschriebenen Größenwert übersteigt, können die Bürger über die Realisierung dieser Ausgabe abstimmen. Damit es zu einer Abstimmung kommt muss aber zuvor eine bestimmte Zahl an Unterschriften gesammelt werden. Eine andere Möglichkeit ist das obligatorische Finanzreferendum. Nach diesem Modell werden automatisch die Bürger zu Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 16

der Durchführung eines politischen Projektes befragt, wenn dessen Kosten einen festgelegten Betrag übersteigen. Allerdings kommt auch eine Mischform in der Schweiz vor, in

der

beide

Referendumstypen

kombiniert

werden.

Eine

vom

Eidgenössischen

Finanzdepartement (EFD) am 31. August 2010 veröffentlichte Medienmitteilung gibt Auskunft über die aktuelle und die prognostizierte Finanzlage in der Schweiz. Auch hier hat die Finanz- und Wirtschaftskrise erkennbare Spuren hinterlassen. Die Haushalte von Bund, Kantonen und Gemeinden erzielten zwar 2008 noch Überschüsse und schafften es 2009 ausgeglichen abzuschließen; für das laufende Jahr 2010 allerdings sind auf allen Ebenen defizitäre Haushalte vorhergesagt.39 Allerdings wird sich die Schweiz wohl in wenigen Jahren wieder erholt haben und bereits 2014 wieder Haushaltsüberschüsse von etwa 1,4 Milliarden Franken verzeichnen.40 Es geht den Schweizer Gemeinden also tendenziell besser als denen in Deutschland und besonders in NRW. Den Grund hierfür nun einzig und allein in dem Unterschied der durchführbaren Finanzreferenden zu vermuten, wäre nicht durchdacht genug. Allerdings verdeutlicht das Beispiel der Schweiz, dass die Menschen scheinbar in der Lage sind über die öffentlichen Finanzen zu entscheiden, ohne dass es in einer Pleite endet. Darüber hinaus ergaben mehrere Studien, die die Kantone miteinander verglichen haben, dass jene mit stärkeren direktdemokratischen Elementen weniger hohe Ausgaben pro Kopf haben als die anderen.41 Und auch wenn die Ausgaben in den direktdemokratischen Kantonen zwar ansteigen, so tun sie es doch deutlich langsamer als in den ausschließlich repräsentativ organisierten Gegenden. Zudem wiesen ausführliche Simulationen42 nach, dass der höhere Ausgabenanstieg durch eine stärkere Einbeziehung der Bürger gesenkt werden könnte. Daher liegt die unterschiedliche Kostenentwicklung nicht unbedingt an verschiedenen Voraussetzungen, die in den Kantonen gegeben sind.43 Vielmehr sorgt die Direkte Demokratie in der Schweiz für einen verkleinerten Verwaltungsapparat. Ein Problem für die Anwendbarkeit auf Deutschland ist, dass die Studien belegen, dass in der Schweiz Finanzreferenden besonders dadurch einsparen, dass die Leistungen im Sozialbereich zurückgefahren

werden.

Dieses

Risiko

passt

nicht

zum

bundesrepublikanischen

Selbstverständnis als „sozialer Bundesstaat“.44

39

Vgl.: Medienmitteilung des EFD: Öffentliche Finanzen der Schweiz 2008-2012: Nach verzögerten konjunkturell bedingten Defiziten erste Anzeichen der Erholung, 31. August 2010 40 Vgl.: Swissinfo: Bund rechnet mit Defiziten bei öffentlichen Finanzen; 31. August 2010 41 Feld, Lars P: Das Finanzreferendum als Institution einer rationalen Finanzpolitik; Liberales Institut 2008, S. 6-8 42 Vgl.: Ebd., S. 6 ff. 43 Vgl.: Ebd. 44 Art. 20 Abs. 1 GG

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 17

Einer forsa-Umfrage nach schätzen die Bürger in Deutschland die steigende Belastung durch soziale Leistungen als Hauptursache für die Finanznöte ihrer Gemeinde ein.

45

Prozent glauben, dass es daran liegt, dass viele Kommunen Geldsorgen haben. Die selbe Studie ergab, dass 74 Prozent der Befragten zufrieden mit der Arbeit ihrer Stadtverwaltung sind, obwohl nur 24 Prozent glauben, dass die Gemeinden noch genügend Geld haben um ihre Aufgaben zu erfüllen45. Das ist kein Hinweis auf eine große Unzufriedenheit der Bürger, obwohl sie sich zum größten Teil der schlechten Situation ihrer Stadt bewusst sind. 43 Prozent meinen zudem, dass die Schuld bei Bund und Ländern liegt, die die Gemeinden mit immer mehr Aufgaben belasten. Tatsächlich scheinen viele Menschen in NRW die Schuld für die finanzielle Lage nicht bei den Politikern vor Ort zu sehen. Um

die

Meinungen

und

Ansichten

der

Bürger

stärker

in

den

Prozess

der

Haushaltsentwicklung einzubinden, wurden aber auch in Deutschland erste Schritte unternommen. Durch die Aufstellung sogenannter Bürgerhaushalte versuchen viele Städte und Gemeinden die Interessen ihrer Einwohner in die Planungen einfließen zu lassen. Dabei sollen sich die Bürger zu Kostenpunkten, Investitionen und auch hinsichtlich eigener Gestaltungswünsche äußern können. Ein aktuelles Beispiel liefert die Stadt Lüdenscheid. Gleichzeitig zeigt dieser Fall, wie die Durchführung des Bürgerhaushaltes relativ bürgerfreundlich und transparent gestaltet werden kann. Daher lohnt es sich, den Bürgerhaushalt am Beispiel Lüdenscheid näher zu betrachten. Die Stadt hat im Juli 2010 per Ratsbeschluss entschieden, dass die Bürger bei der Haushaltsplanung für das Jahr 2011 stärker beteiligt werden sollen. 46 Dazu wurde eine Planung47

entworfen,

die

vorsieht,

dass

die

Bürger

zunächst

in

zwei

Informationsveranstaltungen über das Thema Bürgerhaushalt und des städtischen Haushalt aufgeklärt werden. Im Anschluss wird der Verwaltungsentwurf des Haushaltplanes für 2011 in den Rat eingebracht und gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt.48 Dann haben sie zwei Wochen Zeit, sich mit schriftlich formulierten Vorschlägen für Veränderungen an Bürgermeister und Rat zu wenden. Dazu wird auf der von der Stadt ein Formular bereitgestellt, welches dazu genutzt werden soll. Die letztendliche Entscheidung über den Haushalt obliegt aber wie zuvor den gewählten Vertretern in den Räten. Dennoch können die Bürgerhaushalte – zumindest in der Theorie – viel bewegen. Der Vorteil für die Menschen ist, dass sie Einfluss nehmen dürfen und auf Missstände hinweisen können, die 45

Forsa: Meinungen der Bürger zur Finanznot der Städte und Gemeinden, Februar 2010 Vgl.: www.luedenscheid.de/buerger/ (Stand: 30.09.2010) 47 Vgl.: www.luedenscheid.de/buerger/buergerhaushalt/117120100000035635.php (stand: 30.09.2010) 48 Der Entwurf wurde in der Stadtbücherei und dem Bürgeramt ausgelegt, sowie online bereitgestellt: http://www.luedenscheid.de/buerger/buergerhaushalt/117120100000035610.php (Stand 30.09.2010) 46

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 18

ihnen womöglich im Alltag bewusst werden. Von diesem „Expertenwissen“ profitieren wiederum die Politiker, die sich in ihrem Handeln häufig von trockenen Zahlen leiten lassen. Außerdem besteht eine Chance auf beidseitiges Verständnis für die Denkweise des Anderen. Durch die Beschäftigung mit der Politik und der Haushaltsplanung kann bei den Bürgern die Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen gesteigert werden. Sie können verstehen, wofür ihre Steuern verwendet werden und warum einige – von außen vielleicht unsinnig erscheinende – Entscheidungen getroffen werden. Die Politiker hingegen werden für die Belange der Menschen sensibilisiert und sich ihrer Verantwortung bewusst, die sie tragen.49 Inwiefern diese Annahmen in der Realität zutreffen wird in den nächsten Jahren zu beobachten sein. Der Erfolg der Maßnahmen wird im Einzelnen sicherlich auch von der Bereitschaft zur Umsetzung der individuellen Akteure abhängen. Aber auch ohne den direkten Zugriff auf die Gemeindefinanzplanung können die Bürger durch ihre Beteiligung beim Sparen helfen. Es können mehrere Beispiele aufgezeigt werden, in denen die Bürger sich per Bürgerentscheid gegen Ratsentscheidungen stellten und so öffentliche Gelder einsparten. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2010 finden sich für NRW exemplarisch drei Fälle: In kleinerem Rahmen sparten die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinden Engelskirchen und Dormagen. Hier wurde jeweils verhindert, dass die Stadtkassen mit der Finanzierung neuer Beigeordnetenstellen belastet werden. Auch in Rosendahl erreichten die Menschen durch direkte Partizipation, dass die Planungen für ein Jugendhaus

in

eine

kostengünstigere

Version

abgewandelt

wurden.

Bundesweite

Aufmerksamkeit erlangte eine Kölner Initiative, die sich gegen den Abriss des Schauspielhauses Unterschriften sammelte. Deren Zahl bereits brachte den Rat von seiner Linie ab ohne dass ein Bürgerentscheid notwendig war.50 Wenn die Bürgerinnen und Bürger also künftig nicht über die Haushaltsentwürfe der Gemeinden abstimmen dürfen, so wäre es dennoch angebracht, die rechtlichen Bedingungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu überarbeiten. Es müssen Barrieren, wie zum Beispiel der Kostendeckungsvorschlag oder Zustimmungsquoren, abgebaut werden. Damit diese Form der Direkten Demokratie wirksam angewendet werden kann, muss zudem festgelegt werden, dass auch über Bauprojekte und andere potentiell kostspielige Sachverhalte abgestimmt werden darf. Hier sind die Möglichkeiten stark limitiert.

49 50

Vgl.: inwent: Für kommunale Entscheider – 10 Gründe für den Bürgerhaushalt nrw.mehr-demokratie.de/halbjahresbilanz2010.html (Stand: 01.10.2010)

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 19

6. Zusammenfassung Die Situation der nordrhein-westfälischen Kommunen ist alarmierend. Der Großteil von ihnen bleibt zwar noch vor Haushaltssicherungskonzept oder Nothaushalt verschont, aber die wenigsten Gemeinden können einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen. Für die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung bedeutet dieser Zustand zunehmend eine Bedrohung. Sie gewährleistet den Kommunen eigentlich eine freie Hand bei der Gestaltung

des

Gemeindewesens.

Immer

häufiger

ist

diese

Möglichkeit

durch

Einschränkungen betroffen. Sei es durch die Aufsichtsbehörden, die auf den richtigen Umgang mit finanziellen Mitteln achten, oder sei es aus Geldmangel selbst, weil für die Kommunen eine Selbstverwaltung schlicht nicht mehr finanzierbar ist. Die Städte und Gemeinden in Deutschland werden auch als der „Hort“ oder die „Basis“ der Demokratie bezeichnet. Auf dieser Ebene werden den Bürgerinnen und Bürgern die größten Möglichkeiten zur Mitgestaltung gegeben. Doch wenn Ideen und Vorstellungen der Menschen nicht mehr realisiert werden können, oder gar kategorisch abgelehnt werden müssen, dann ist dieses demokratische Mitwirken in Gefahr. Diese Gegenwart ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen: Waren es vor 20 bis 30 Jahren noch die Kommunen selbst, die für gigantische Bauvorhaben und Prestigeprojekte viel Geld ausgaben, so werden heute viele der Schulden durch Landes- und Bundesebene produziert. Diese wälzen, da sie selbst finanzielle Probleme haben, viele kostspielige Aufgaben auf die Gemeinden ab, ohne für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Auch die teilweise schlechte Sozialstruktur, sowie die demographische Entwicklung tragen ihren Teil zu der Krise bei. Die Vorschläge, wie das Problem gelöst werden soll, sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von einer kurzfristigen Perspektive, der schnellen Generierung von Hilfsgeldern aus eigentlich auch leeren Kassen, bis hin zur Umstrukturierung des Steuersystems. Es gibt Vorschläge,

die

zu

mehr

Privatisierung

raten,

andere

machen

genau

diese

Veräußerlichungen für die Lage verantwortlich. Wie so oft gibt es leider keinen Konsolidierungs-Königsweg, von dem behauptet werden kann, er verliefe ohne Hürden und Rückschläge. Vergleiche mit dem Ausland zeigen aber, dass das Risiko hausgemachter Finanzkrisen möglicherweise durch eine stärkere Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 20

Beteiligung der Bürger verringert werden kann. Zumindest entsteht der Anschein, dass die Menschen besser mit öffentlichen Geldern umgehen können, als man es ihnen landläufig zutraut. Dass viele Gemeinden schon mit Bürgerhaushalten arbeiten, ist ein Schritt in diese Richtung. Auch in Zukunft sollte dieser Weg, zu einem direkt-demokratischeren Mitwirken der Bürger gegangen werden: Die

Einführung

von

Finanzreferenden

und

(barriere-)freieren

Bürgerbegehren

und

-entscheiden, kann zu einer verantwortlicheren Finanzpolitik führen.

Über den Autor: Robert Spilker studiert Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung an der NRW School of Governance/Universität Duisburg-Essen. Er absolvierte im Sommer 2010 ein Praktikum in der NRW-Geschäftsstelle von Mehr Demokratie

Mehr Demokratie: Kommunale Finanznot und direkte Demokratie - Seite 21