Demokratie: Herausforderung und Chance

Va bene?! Die deutsch-italienischen Beziehungen auf dem Prüfstand, Berlin, 1.-2.12.2011 Demokratie: Herausforderung und Chance Donatella della Porta ...
Author: Helmuth Krämer
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Va bene?! Die deutsch-italienischen Beziehungen auf dem Prüfstand, Berlin, 1.-2.12.2011

Demokratie: Herausforderung und Chance Donatella della Porta European University Institute, Florenz

Demokratie: Herausforderung oder Chance? “Während die demokratischen Institutionen formal weiterhin vollkommen intakt sind (und heute sogar in vielerlei Hinsicht weiter ausgebaut werden), entwickeln sich politische Verfahren und die Regierungen zunehmend in eine Richtung zurück, die typisch war für vordemokratische Zeiten: Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu ... Wenn immer mehr staatliche Aufgaben an private Firmen übergehen, verliert der Staat allmählich die Fähigkeit. Funktionen zu erfüllen, die er einst sehr gut bewältigte.“ (Crouch 2008: 13, 56f.) “Die Geschichte der Demokratie ging über einen langen Zeitraum einher … mit einem Prozess der Konzentration des politischen Feldes, wofür der andauernde Kampf um das allgemeine Wahlrecht gleichzeitig das Mittel und Symbol war. Der gegenwärtige Wandel der Demokratie muss vor diesem Hintergrund betrachtet und bewertet werden: Während die Wahldemokratie unbestreitbar erodiert ist, haben sich andere Formen der demokratischen Meinungsäußerung, Beteiligung und Einmischung entwickelt und behauptet.“ (Rosanvallon 2006: 27)1 Auf diese (unterschiedliche) Weise haben vor nicht langer Zeit zwei europäische Sozialwissenschaftler den Wandel der zeitgenössischen Demokratie umschrieben (Crouch, indem der den Begriff der “Postdemokratie” prägte, Rosanvallon, indem er jenen der Gegen-Demokratie etablierte) und gleichzeitig die damit verbundenen Herausforderungen beziehungsweise Schwierigkeiten sowie die innewohnenden Chancen angezeigt – so wie ich es im vorliegenden Beitrag tun möchte. Das Unterfangen ist zweifellos ambitioniert, und daher will ich mit Hilfe dieser beiden einführenden Zitate den Gegenstand meiner einführenden Rede auf folgende allgemeine These einschränken: Der wissenschaftliche Diskurs über die Herausforderungen und Chancen der Demokratie muss den unterschiedlichen Bedeutungen Rechnung tragen, den der Begriff Demokratie in der Vergangenheit hatte und heute im Verständnis der unterschiedlichen kollektiven Akteure hat, die die demokratischen Systeme bevölkern.

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Démocratie d’expression bezieht sich darauf, dass die Bürger das Wort ergreifen, démocratie d’implication auf die Mittel, mittels derer die Bürger miteinander kooperieren und démocratie d’intervention auf die Aktionsformen, die zur Erreichung der gewünschten Ziele angewendet werden. Keynote, Donatella della Porta, Seite 1

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Folgende Beobachtungen bedürfen meiner Ansicht nach besondere Aufmerksamkeit: •

Es existieren verschiedene Konzepte von Demokratie, die auf der Abstraktionsebene nicht immer einfach hierarchisch zu verorten sind,



In der zeitgenössischen Debatte über die Herausforderungen und Chancen der Demokratie tauchen unterschiedliche Konzepte derselben (wieder) auf,



Einige dieser Vorstellungen stehen in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis zueinander, und in der Tat können nicht alle demokratischen Qualitäten zur gleichen Zeit Erfüllung finden,



Die (unterschiedlichen) Konzeptionen von Demokratie entwickeln sich in verschiedenen politischen Arenen, auch außerhalb von Institutionen,



Das Verständnis dieser Konzeptionen erfordert auf der semantischen Ebene eine Erweiterung der Auffassungen von Politik.

Im Folgenden werde ich zunächst kurz die verbreiteten Annahmen über die Herausforderungen der Demokratie (oder der Demokratien) zusammenfassen, anschließend das spezifische demokratische Modell in den Blick nehmen, das diesen Herausforderungen ausgesetzt ist, und auch alternative Modelle betrachten, die in der Gesellschaft und im wissenschaftlichen Diskurs abwechselnd auf- und abtauchen. Als empirische Sozialwissenschaftlerin möchte ich schließlich meinen Vortrag anhand von Ergebnissen meiner Forschungen über die Vorstellungen von Demokratie und über demokratische Praktiken in Organisationen der sogenannten sozialen Bewegungen oder der Zivilgesellschaft illustrieren (die in manchen Theorien als „Schulen“ oder vorbereitende Arenen der Demokratie begriffen werden).

Die liberale Demokratie: Die Herausforderungen “Es existiert gegenwärtig ein eindruckvolles Paradox: von Afrika bis Osteuropa, von Asien bis Lateinamerika – immer mehr Länder unterstützen und fördern die Idee der Demokratie; allerdings geschieht das just in einem Moment, in dem auf nationaler Ebene die Funktionsund Leistungsfähigkeit der Demokratie als Organisationsform offen zur Diskussion gestellt wird. Während darüber hinaus bedeutende Bereiche des menschlichen Lebens zunehmend auf (über-)regionaler oder globaler Ebene organisiert sind, wird die Zukunft der Demokratie und des unabhängigen Nationalstaats von enormen Schwierigkeiten überschattet.” (Held 1998: 11) Zahlreiche jüngere Beiträge über die Demokratie beginnen – wie der oben zitierte David Held – mit dem Hinweis auf ein Paradox: Während die Zahl der demokratischen Länder weltweit wächst (laut Angaben von Freedom House von 39 im Jahr 1974 auf 193 zu Beginn des neuen Jahrtausends), nimmt die Zufriedenheit der Bürger mit der Performanz der „real existierenden Demokratien“ (RED, Dahl 2000) ab. Mehr noch, manche Forscher (darunter Chales Tilly, 2004) haben gewarnt, dass die dritte Welle der Demokratisierung riskiere, in Wirtschaftskriegen und Keynote, Donatella della Porta, Seite 2

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bewaffneten Konflikten zu münden. Die Forschungen von Larry Diamond und Leonardo Morlino (2004) haben vielen demokratischen Systemen eine geringe „demokratische Qualität“ bescheinigt. Die unmittelbaren Indikatoren dieser Schwierigkeiten wurden in der (von Fritz Scharpf, 1995, sogenannten) Input- wie in der Output-Demokratie festgestellt, und traten sowohl als Legitimationsund Motivationskrise wie auch als Krise von Zweckmäßigkeit und Effizienz auf (womit wir einen Gedanken von Jürgen Habermas, 1982, aufnehmen). Auf nationaler Ebene wird die demokratische Accountability durch die Abnahme der Wahlbeteiligung eingeschränkt (Folge eines allgemeinen Interessensverlusts); nachteilig wirkt sich darüber hinaus die Tendenz zur Kommerzialisierung der politischen Sphäre und zur Personalisierung im Wahlkampf aus. Der Mitgliederverlust bei den Parteien, die schrumpfende Zahl von politischen Aktivisten und treuen Stammwählern ist als Zeichen der zunehmenden Unfähigkeit der Parteien gewertet worden, Identifikationsangebote zu formulieren und mithin zwischen den Institutionen und der Gesellschaft zu vermitteln. Die Verlagerung von Entscheidungen auf die internationale Ebene führt zu Problemen bei der Legitimation des Inputs – denn „die Demokratie, so wie wir sie innerhalb der staatlichen Grenzen kennen, existiert im globalisierten Raum nicht. Genauer gesagt, soweit der globalisierte Raum von konventionellen demokratischen Verfahren und Methoden gekennzeichnet ist, sind diese Ad-hoc-Maßnahmen, nicht systematisch, sondern unregelmäßig und schwach“ (Rosenau 1998: 39). Konzepte wie Territorialität und Mehrheit (Archibugi 2003) oder Bürgerschaft, Solidarität und wechselseitige Obliegenheiten (Marchetti 2008) müssen weiter ausgearbeitet werden, um in IGOs (International Governmental Organisations) Anwendung finden zu können, jedoch ohne die Kompetenzen der Nationalstaaten zurückzudrängen, zumal einige von ihnen (und mehr als andere!) mit Sicherheit immer einflussreicher werden. Schließlich haben verschiedene Forscher von einem Niedergang des Staates gesprochen und diesen in Verbindung gebracht mit einer von „großen multinationalen Konzernen mit «unsichtbarer Hand»“ gesteuerten Globalisierung (Lowi 2009: 4). In der Tat stellen die Veränderungen im wirtschaftspolitischen Bereich für die Output-Seite eine zusätzliche Herausforderung dar, insofern sie die Formulierung von geeigneten Konzepten und Maßnahmen erforderlich machen, ob und inwieweit die Staaten in die Märkte eingreifen sollen oder dürfen. So wie Habermas geschrieben hat: „Die Verdrängung der Politik durch den Markt zeigt sich daran, dass der Nationalstaat seine Fähigkeit, Steuern abzuschöpfen, Wachstum zu stimulieren und damit wesentliche Grundlagen seiner Legitimität zu sichern, zunehmend verliert, ohne dass funktionale Äquivalente entstehen“ (Habermas 1998: 120). In Abwesenheit „von weiterreichenden marktkorrigierenden Vereinbarungen über eine Koordinierung auf Gebieten der Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik (...) lassen sich die nationalen Regierungen schon angesichts impliziter Kapitalabwanderung in einen kostendeckenden Deregulierungswettlauf verstricken, der zu obszönen Gewinnen und drastischen Einkommensdisparitäten, zu steigender Arbeitslosigkeit und zur sozialen Marginalisierung einer wachsenden Armutsbevölkerung führt“ (ebd.: 121). Nicht zuletzt hat Dahl daran erinnert, dass der Markt zu Beginn der demokratischen Entwicklung als Anreiz für die Demokratie gewirkt habe, in der Folge aber auch als Hemmschuh, insofern er Ungleichheiten Keynote, Donatella della Porta, Seite 3

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produziere und reproduziere, wohingegen die Demokratie die Prinzipien der Gleichheit verteidige. Er kam zu dem Schluss, dass „die Demokratie und der Kapitalismus in einem fortwährenden Konflikt stehen: Sie begrenzen und verändern einander wechselseitig“ (Dahl 2000: 182). In diesem Sinne fordert die wirtschaftliche Globalisierung in ihrer neoliberalen Ausgestaltung eine Vorstellung von Demokratie als Produzentin von positiven Rechten heraus, die tief in den Sozialwissenschaften verwurzelt ist (Marshall 1992; Tilly 2004). Bei Vergleichen zwischen Italien und Deutschland zu diesen Fragen betonen die sozial- und politikwissenschaftliche Forschung übereinstimmend die vielen Unterschiede in den Modellen von Wohlfahrt und Demokratie in den beiden Ländern. Wesentlich reicher, hat Deutschland einen weiter entwickelten Sozialstaat hervorgebracht, der sich in mancher Hinsicht an ein universalistisches Modell annähert; Italien folgt dagegen einem mediterranen Modell, das sich durch schwache Schutzmechanismen kennzeichnet, auf die Familie als Ersatz für wohlfahrtstaatliche Regelungen setzt (Ferrera 1996) und unter dem Eindruck der sich verschärfenden Krise immer unzulänglicher sozialen Schutz bietet. Zweifelsohne rühren diese Unterschiede aus einer andersgearteten Stellung der Interessenvertretungen: In Deutschland sind diese in ein neo-korporatives System integriert, im pluralistischen System Italiens dagegen genießen die Gewerkschaften nur eine geringe Anerkennung (Schmitter 1974). Schließlich hat die Krise der politischen Parteien im italienischen Fall eine wesentlich dramatischere Entwicklung genommen als im deutschen, nachdem die Skandale um politische Korruption zu Beginn der 1990er Jahre das Ende der bis dahin bestimmenden Parteien herbeiführten. Dennoch sind in beiden Ländern seit 2000 ähnliche Tendenzen zu beobachten: angefangen vom Abbau der Garantien sozialer Sicherheiten infolge der Schwächung der organisierten Interessen im Vergleich zu jenen der Unternehmer (Streek 2006), über eine wachsende Parteienverdrossenheit bis hin zu stärkeren sozialen Ungleichheiten.

Herausforderungen für welches Modell? Alternative Konzepte von Demokratie und neue Möglichkeiten Wenn dies in letzter Konsequenz die Anforderungen von Input und Output in Bezug auf Legimitation und Effizienz sind, welches ist dann die zugrundeliegende Vorstellung (oder das entsprechende Modell) von Demokratie, die (bzw. das) somit herausgefordert wird? Es ist bekannt, dass der Begriff Demokratie, auch in den Politikwissenschaften, nicht nur „glattgebügelt“, sondern auch umstritten ist. Um die Bandbreite der sich daraus ergebenden Herausforderungen und Chancen begreifen zu können, muss man zunächst klären, von welchem Demokratiebegriff man ausgeht. Colin Crouch hat geschrieben, dass die in Frage stehende, die liberale Demokratie sei. Bei diesem Konzept stünden folgende Aspekte im Vordergrund: „die Wahlbeteiligung als wichtigster Modus der Partizipation der Massen, große Spielräume für Lobbyisten ... und eine Form der Politik, die auf Interventionen in die kapitalistische Ökonomie möglichst weitgehend verzichtet“ (Crouch 2008: 10). Infrage steht also eine Minimaldefinition von Demokratie. In der Wissenschaft, aber nicht allein, wurde die Demokratie zunehmend mittels zweier grundlegender Größen gekennzeichnet: der Keynote, Donatella della Porta, Seite 4

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Präsenz von politischen Rechten und Accountability (Rechenschaftspflicht und -legung), und hier insbesondere die Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger, den Staat zur Rechenschaft zu ziehen und bei schlechter Performance zu sanktionieren. Diese Minimaldefinition, so nützlich sie in mancher Hinsicht sein mag, ist jedoch unter normativen Gesichtspunkten umstritten und wird der empirischen Realität nur teilweise gerecht. Wenngleich sich diese Definition heute als die vorherrschende präsentiert, so steht ihr doch eine Vielzahl andersgearteter Visionen von Demokratie entgegen (assoziative, organisierte, direkte, partizipative, deliberative usw.). Viele empirische und theoretische Studien haben offengelegt, dass die Krise der liberalen Demokratie begleitet wird von der Herausbildung anderer Vorstellungen und Praktiken von Demokratie. Beispiele für das Nachdenken über ein Revival der Demokratie (oder zumindest über ihre Erneuerung) finden sich in diversen, normativen wie empirischen, Fachrichtungen der politischen Wissenschaften. In der politischen Theorie haben sich die Überlegungen auf die Gleichzeitigkeit bzw. das Nebeneinander von verschiedenen Konzepten und Modellen von Demokratie hinorientiert, die – obgleich deren Wechselfällen unterworfen – die Zeitläufte überstanden und sich den neuen Entwicklungen angepasst haben. Die repräsentative Demokratie ist nur eine davon. So hat Pierre Rosanvallon kürzlich angemerkt, dass die Geschichte der „realen Demokratien“ nicht zu trennen sei von permanenten Spannungen und Widerständen (vgl. Rosanvallon 2006: 11). Für die Entwicklung der „realen Demokratien“ bedeutete das, dass sich neben den Institutionen, die Accountability garantieren, weitere Formen der Überwachung (oder Kontrolle) außerhalb der staatlichen Institutionen bildeten. Während in der historischen Entwicklung des Diskurses über die reale Demokratie der vertikalen Accountability besondere Bedeutung zugesprochen wurde, so lenken heute die Herausforderungen der Verfahrensdemokratie die Aufmerksamkeit auf die Instrumente der externen Kontrolle über die Regierenden, eine permanente Anfechtung der Macht, was Rosanvallon als Gegendemokratie definiert: diese spezifische Aktionsform der politischen Einmischung sei ein fundamentaler Aspekt des politischen Prozesses (ebenda: 40). Der bereits erwähnte Begriff der Gegendemokratie ist zweckdienlich, um die Existenz von unterschiedlichen Vorstellungen (und Elementen) von Demokratie herauszustreichen. Mit diesem Ausdruck bezieht sich Rosanvallon nicht auf das Gegenteil von Demokratie, vielmehr verweist er auf eine Demokratie der Kontrolle und betont, dass die Demokratie nicht nur eine gesetzlichverfahrensmäßige Legitimierung benötigt, sondern auch funktionierende Kontrollmechanismen, die außerhalb der staatlichen Institutionen verankert sind. Widerstand, die Herausforderung der Macht, Anklage, staatsbürgerliche Kontrolle und Wachsamkeit, permanenter Protest gewinnen in dieser spezifischen Komponente von Demokratie einen positiven Wert, verschieden von der Entscheidungsbildung, doch ein fundamentaler Aspekt des demokratischen Prozesses (Rosanvallon 2006: 40). Traditionell üben Akteure wie die unabhängigen Behörden und Richter, aber auch die Massenmedien, Experten und soziale Bewegungen diese Überwachungsfunktionen in solchen expressiven Demokratien aus, in denen die Gesellschaft das Wort ergreift, das kollektive Gefühl zum Ausdruck kommt, Urteile über die Regierenden und ihr Tun gesprochen oder Forderungen formuliert werden (vgl. ebd.: 26). Keynote, Donatella della Porta, Seite 5

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Rosanvallon zufolge machen die Schwierigkeiten der repräsentativen Demokratie das (gute) Funktionieren der Einrichtungen der Gegendemokratie in besonderem Maße gegenwärtig; daneben werden auf ganz ähnliche Weise die Leistungen der repräsentativen Demokratie mit denen der direkten und partizipativen sowie die Mehrheitsdemokratie mit der Verfassungsdemokratie und der deliberativen Demokratie verglichen. In der politischen Theorie, von Dewey bis Habermas, hat man des Öfteren beobachtet, dass mehrheitsdemokratische Modelle auf verschiedene Weise durch verfassungsmäßige Vorgaben, aber auch durch das Vorhandensein von deliberativen Räumen ausgeglichen werden, während repräsentative Modelle in direktdemokratischen Verfahren und Partizipationsmöglichkeiten außerhalb von Wahlen ein Gegengewicht finden. Während repräsentative Theorien die vertikale Accountability hervorheben, betonen partizipative Theorien stärker die Bedeutung von Partizipationsmöglichkeiten jenseits von Wahlen (Arnstein 1969; Pateman 1970; Barber 1984). Diesem Modell zufolge sollten die Bürger ebenso viele Partizipationsmöglichkeiten haben wie es Entscheidungssphären gibt (Pateman 1970). Und Partizipation bringe wirkliche Macht mit sich, das Resultat von Entscheidungsprozessen zu beeinflussen (Arnstein 1969: 216). Während sich überdies eine minimalistische Sichtweise mit der Freiheit der Rede zufrieden gibt, erachten deliberative Theorien das Vorhandensein von Mechanismen zum Schutz von Minderheiten, von kommunikativen Freiräumen, Meinungsaustausch sowie die Bildung von gemeinschaftlich getragenen Definitionen von Gemeinwohl als fundamental für die Legitimierung von öffentlichen Entscheidungen (u.a. Miller 1993: 75; Dryzek 2000: 79; Cohen 1989: 18-19; Elster 1998; Habermas 1981; 1996). Mit anderem Nachdruck ist auf dem Feld der normativen Theorie für deliberative Demokratiemodelle die Bedeutung der Transformation von Präferenzen mittels der Debatte hervorgehoben worden, die es ermöglichen soll, den Standpunkt des jeweiligen Gegenübers kennenzulernen und zu berücksichtigen (Miller 1993: 75; Dryzek 2000: 79). Mittels (mehr oder minder) vernünftigen Argumentationen (Habermas 1981; 1996) solle die Deliberation dazu beitragen, das Gemeinwohl in einem öffentlichen Akt herzustellen (Cohen 1989: 18-19). Dabei führe das gegenseitige Zuhören zur Konsensbildung, deren Resultate nicht deswegen legitim seien, weil sie von einer Mehrheit getragen werden, sondern insofern sie mittels Diskussionen in inklusiven, gleichberechtigten und transparenten Arenen herbeigeführt würden. Partizipation, direkte Demokratie, Deliberation, verfassungsmäßige Verteidigung der Rechte sind demokratische Qualitäten, die zu jenen der Repräsentanz und Wahlentscheidung in einem Spannungsverhältnis stehen, jedoch nicht in Opposition. In der empirischen Forschung hat ein anderes Narrativ zudem manche neue Chance für die Demokratie angezeigt. Grob vereinfachend und unvermeidlich selektiv sind den nachteiligen auch manche Pluspunkte gegenübergestellt worden (vgl. Tabelle 1).

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Tabelle 1. Einige Herausforderungen und Chancen für verschiedene Demokratiemodelle Herausforderungen

Chancen

- Demokratie in demokratischen Ländern

+ Länder mit einem Mindestmaß an Demokratie

- konventionelle Partizipation

+ unkonventionelle Partizipation

- Freiheit (Marktunabhängigkeit) der Medien

+ technische Möglichkeiten öffentliche Sphären

- vertikale Accountability

+ Monitoring

für

plurale

- Einmischung des Staates gegen soziale + Aufmerksamkeit auf weitere und alternative Ungleichheiten Bereiche (Gender, Umwelt, Menschenrechte …) Wie eingangs gesagt, ist nicht nur die Zahl der demokratischen Länder formal gestiegen, auch in den westlichen Demokratien sprechen die Analysten der politischen Partizipation von Pippa Norris (2002) bis zu Russel Dalton (2004) häufig davon, dass – während die konventionellen Formen der Partizipation (an Wahlen oder Parteiaktivitäten gebunden) seltener werden – andere, unkonventionelle Formen der demokratischen Partizipation deutlich zunehmen. Die Bürger wählen nicht mehr so regelmäßig, sind deswegen aber nicht weniger politisch interessiert oder bewusst, was sich daran zeigt, dass sie häufiger protestieren (den Studien von Ilvo Diamanti (2007) zufolge liegen Protest und konventionelle Partizipation in der Verbreitung gleich auf). Darüber hinaus, während die Parteien Mitglieder und Vertrauen verlieren, verzeichnen Vereinigungen von Ehrenamtlichen und Freiwilligen Zuwächse. Die Forschung über die politische Kommunikation hat gezeigt, dass neben der Kommerzialisierung der öffentlichen Sphäre durch die Massenmedien – teilweise dank der neuen Technologien – auch plurale öffentliche Sphäre entstehen. In den Untersuchungen zur öffentlichen Politik und Verwaltung hat der Begriff „governance“ (auch in unerwarteten, linken Kreisen) eine gewisse positive Bedeutung gewonnen; er bezeichnet flexible und partizipative Formen der Steuerung der öffentlichen Angelegenheiten. Insbesondere Forschungen über gemeinschaftlich gesteuerte öffentliche Verwaltungen (zum Beispiel jene von Luigi Bobbio) haben, wenn auch keine Wandlung des Paradigmas, so doch Experimente mit verschiedenen Formen der Legitimationsbeschaffung durch Einbeziehung von unterschiedlichen Standpunkten ausgemacht. In den Auffassungen von Regierung und Volk, von denen Vivien Schmidt (2006: 6) mit Blick auf die Suche der EU nach einem „Dritten Weg“ zwischen der (institutionell problematischen) Input-Legitimation und der (empirisch wenig glaubwürdigen) Output-Legitimation gesprochen hat, klingen Vorschläge von assoziativer Demokratie aus der Debatte um wirtschaftliche und soziale Governance nach (Hirst 1994). Bürgerversammlungen und zivile Schiedsgerichte stellen in der Tat Neuauflagen von antiken Demokratiemodellen vor. Versuche mit deliberativer Demokratie in Entscheidungsprozessen im öffentlichen Bereich haben sich aus dem Bedürfnis heraus entwickelt, die Bürgerpartizipation zu fördern und zu steigern, kommunikative Arenen von hoher Qualität zu schaffen und Bürgern Macht Keynote, Donatella della Porta, Seite 7

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zu geben. Wenngleich partizipative Entscheidungsprozesse weiterhin eher eine Ausnahme, als die Regel sind, finden sie immer öfter Anwendung oder werden zum Gegenstand von Überlegungen gemacht (della Porta und Gbikpi 2008). Vor allem Experimente mit der Aufstellung von Haushalten und Raumplanung unter Einbeziehung der Bürger sowie der Bildung von Runden Tischen zu Themen wie Rassismus, Integration von Migranten und Arbeitslosigkeit haben zu vielgestaltigen Beteiligungen von Organisationen aus dem Umfeld der sozialen Bewegungen geführt. Mit Blick auf die internationalen Beziehungen hat die Forschung auf die auf transnationaler Ebene (wenngleich mühsam) voranschreitende Entwicklung von international verbindlichen Normen zur Verteidigung von Umwelt, Geschlechtergleichheit, Menschenrechten verwiesen. Organisationen der Zivilgesellschaft haben auf andere Weise in den verschiedenen zwischenstaatlichen Organisationen Zugang zu transnationaler Governance gefunden. Betrachtet man diese komplexen Veränderungen kann man ganz allgemein sagen, dass das verbreitete Nachdenken über die Beschaffenheit der Demokratie(n) ein Beleg dafür ist, dass es ein Bewusstsein für die Notwendigkeit gibt, die verschiedenen (in Spannung befindlichen) Komponenten der Demokratie zu unterscheiden. Man kann also (vorerst) schlussfolgern, dass die Herausforderungen an die von Rosanvallon definierte démocratie d’élection – oder an die, mit Mény und Surel (2000) gesprochen, populistische Komponente der Demokratie – (zumindest auf der diskursiven Ebene) Chancen für die Entwicklung anderer demokratischer Qualitäten bieten: jener, die sich mit dem Verfassungsgedanken verbinden (mit der von Montesquieu sogenannten “faculté d’émpecher”), aber auch jener, die von einem partizipativen Verständnis von Demokratie ausgehen. In den existierenden demokratischen Systemen finden sich normalerweise die Prinzipien der Wahl und Mehrheitsfindung in abgeschwächter Form in ein Minimalmodell eingebettet, wobei sie mit Elementen vermischt sind, die aus anderen Modellen von Demokratie stammen: sei es nun die assoziative, organisierte, direkte, partizipative, soziale, deliberative oder auch verfassungsmäßige, mit Diskussionsforen, die nicht notwendigerweise durch Wahlen legitimiert sein müssen. Schließlich führen jene Herausforderungen dazu, die Aufmerksamkeit des Staates auf die vielfältigen Räume zu lenken, in denen sich Formen von Demokratie auf Grundlage von verschiedenen Prinzipien entwickelt haben. In der Tat findet man die unterschiedlichen Vorstellungen auch im Reden und Handeln der diversen Akteure wieder, die diese Vorstellungen wohl in einem Spannungsverhältnis stehend sehen, aber nicht als einander ausschließend begreifen.

Eine andere Demokratie: Demokratische Konzepte und Praktiken in den sozialen Bewegungen Heute wie in der Vergangenheit sind es die sozialen Bewegungen, die nicht nur spezifische Forderungen in die Öffentlichkeit tragen, sondern auch verschiedene Visionen und Praktiken von Demokratie. Schon zu Beginn der 1970er Jahre ist beobachtet worden, dass die sozialen Bewegungen alternative Formen zur parlamentarischen Demokratie propagierten, indem sie sowohl die liberale als auch die "organisierte" Parteiendemokratie kritisierten (Kitschelt 1993: 15). "Demokratie von unten", Selbstverwaltung, Rätedemokratie sind Begriffe, die zunächst in der Keynote, Donatella della Porta, Seite 8

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Arbeiterbewegungen auftauchten. Das Free Speech Movement in Berkeley hat die europäischen Studentenbewegungen beeinflusst, die wiederum Debatten zum Thema Meinungsfreiheit und (in Deutschland zum Beispiel) zum "Ausnahmezustand der Demokratie" organisiert haben. Die 68er Bewegungen haben eine Erweiterung der zivilen Rechte und der Formen von politischer Partizipation gefordert. "Mehr Demokratie wagen" lautete eine der zentrale Herausforderungen, die Claus Offe (1985) mit dem Begriff "Metapolitik" umschreibt. Jenseits der Forderungen nach einer Erweiterung der Formen der politischen Partizipation, haben die Arbeiterbewegung, die Studentenbewegung und ihre Nachfolger (als erste die Frauenbewegung) innerhalb der eigenen Strukturen neue demokratische Praktiken ausprobiert (della Porta 2009a). Wenngleich die Geschichte der sozialen Bewegungen mit Blick auf die Implementierung der Demokratie in ihrem Inneren nicht immer eine Erfolgsgeschichte ist, ist sie doch gemacht aus der Forderung nach diversen demokratischen Modellen und deren Vorwegnahme. Zum Teil haben diese Konzepte Eingang gefunden in das demokratische System; so sind etwa im Zuge von Reformen in Schulen, Fabriken und Stadträten neue Partizipationsmöglichkeiten geschaffen worden; aber auch die Anerkennung von Organisationen der sozialen Bewegungen und des "Rechts auf Widerspruch" durch die Politik müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Zuletzt sind partizipative und deliberative Demokratiekonzepte von der Bewegung für globale Gerechtigkeit vorgebracht worden, die aus den Demonstrationen am Rande der WTOKonferenz 1999 in Seattle und, in Europa, aus den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 entstanden ist. Eine Umfrage von Demos mit dem Titel “Democrazia in Europa e mobilitazione della società” ("Demokratie in Europa und Mobilisierung der Gesellschaft". Siehe dazu auch della Porta 2007; della Porta 2009a e 2009b; della Porta e Rucht, im Druck) hat ergeben, dass die Frage der Demokratie angesichts der externen wie internen Herausforderungen zu einer zentralen der Bewegung für globale Gerechtigkeit geworden ist. Vor allem reagiert sie auf tiefgreifende Veränderungen in den repräsentativen Systemen, zu denen eine Machtverschiebung von der nationalen auf die transnationale Ebene und vom Staat in den Markt gehört (della Porta 2005; della Porta et al. 2006). Das Experimentieren mit Formen von partizipativer und deliberativer Demokratie innerhalb der eigenen Strukturen ist für eine heterogene Bewegung, die sich bezeichnenderweise als eine "Bewegung von Bewegungen" definiert und verschiedene soziale Gruppen und Generationen sowie Gruppen aus mehreren Ländern miteinschließt, die zudem zu unterschiedlichen Themen arbeiten, besonders wichtig, insofern unterschiedliche und abweichende Meinungen angehört und respektiert werden müssen. Partizipation und Deliberation (durch konsensuale Praktiken) werden mithin als grundlegende Werte einer "anderen Demokratie" aufgefasst. Aber Demokratie ist auch für lokale Bewegungen von zentraler Bedeutung, in Italien etwa für die Bewegungen "No Tav" (gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke Lyon-Turin), "No Ponte" (gegen den Bau einer Brücke über die Straße von Messina) oder "No Dal Molin" (gegen die Einrichtung einer neuen US-Militärbasis in Vicenza). Typischerweise wird in diesen lokalen Konflikten das Recht der lokalen Bevölkerung, über öffentliche Großbauvorhaben zu entscheiden, als eines der ausschlaggebenden genannt (della Porta und Piazza 2009). Eines der ersten Argumente, das die Protestierenden ins Feld führen, ist in der Tat das Recht der lokalen Verwaltungen, ihre Territorien in Angelegenheiten, die mehrere Regierungsebenen betrifft, zu Keynote, Donatella della Porta, Seite 9

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vertreten. Neben der Forderung nach der Einbeziehung der lokalen Bevölkerung, ist es jedoch die konkrete Konzeption von Demokratie, die zur Diskussion gestellt wird. Die Artikulierung eines Meta-Diskurses über die Demokratie geht über die Forderungen der lokalen Verwaltungen hinaus. Das Fehlen von Demokratie bei der Allokation von Großbauvorhaben ist sowohl von Vertretern von "No Tav" wie von "No Ponte" bemängelt worden. Bei Umfragen im Val di Susa haben die Aktivisten immer wieder betont: "Hier geht es nicht allein um die Strecke Lyon-Turin, sondern um die Demokratie" (La Repubblica, 2/11/05). Dabei ist die geforderte Demokratie eine andere - "von unten" und partizipativer. Von den Gegnern der Tav wird im Namen des Volkes das Recht der Gemeinschaft eingefordert, über das eigene Schicksal zu entscheiden, und es ist kein Zufall, dass die Organisationen des Protestes Namen wie "Comitato di lotta popolare contro l'alta velocità (Komitee der Bürger im Kampf gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke)" oder "Spinta dal basso (Von unten angestoßen)" tragen. In diesem Diskurs wird die repräsentative Demokratie nicht ausgeschlossen, doch verändert er die Vorstellung von "Repräsentanz", indem er das Prinzip des Delegierens herauslöst. Das Stichwort Demokratie taucht auch im Kontext von Forderungen nach einer Anerkennung des Rechts auf Protest auf, der als legitime (eben "demokratische") Form der Bürgerbeteiligung dargestellt wird - im Gegensatz zu den Stigmatisierungen der Gegner, die darin Akte von Gewalt erkennen wollen. Die Forderung nach einer "anderen Demokratie" gehört schließlich auch zu den zentralen der neuen Bewegungen, die sich gegen die Auswirkungen der Finanzkrise und vor allem gegen die vermeintlich ungeeigneten politischen Maßnahmen zur Bekämpfung derselben gebildet haben. Die unbestreitbare Krise des liberalen Demokratiemodells wird mithin begleitet vom (Wieder-) Auftauchen diverser demokratischer Konzeptionen und Praktiken, die unter anderem von jenen Bewegungen erarbeitet und praktiziert werden, die sich heute in Europa gegen eine neoliberale Lösung der Finanzkrise stellen. Dieser wird nachgesagt, dass sie den Konsum weiter schwächen und somit jede Aussicht auf wirtschaftliche Entwicklung (nachhaltig oder nicht) in weite Zukunft rücken lasse. Es ist bekannt, dass die Austeritätsmaßnahmen in Island, Irland, Griechenland, Portugal, Spanien von anhaltenden und mit breiter Beteiligung geführten Protesten begleitet wurden, die die Grenzen der existierenden liberalen ("formalen") Demokratie aufgezeigt und den Ausbau der "realen", auf wirklicher Gleichheit basierenden Demokratie dagegengesetzt haben. “Democracia real ya!” lautete der zentrale Slogan der Proteste der spanischen indignados, die vom 15. Mai 2011 die Placa del Sol in Madrid, die Placa de Catalunya in Barcelona und Hunderte weiterer Plätze im ganzen Land besetzt hielten und sowohl verschiedene politische und soziale Reformen, als auch eine größere Beteiligung der Bürger bei deren Ausarbeitung und Umsetzung forderten. Diese Proteste der indignados haben den Anstoß zu ähnlichen Aktionen in Griechenland gegeben, wo sich die Opposition gegen die Austeritätsmaßnahmen bereits zuvor und teilweise in gewaltsamer Form geäußert hatte. Der Diskurs der indignados über die Demokratie ist beweglich und komplex; er nimmt einige der prinzipiellen Kritiken auf, die sich an der abnehmenden Qualität der repräsentativen Demokratie entzünden, aber auch manche Vorschläge, die sich jenseits davon an Konzepten Keynote, Donatella della Porta, Seite 10

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orientieren, die auf der vertikalen Accountability gründen. Diese Vorschläge erinnern an (die aller traditionellsten) partizipativen Visionen, greifen aber auch neue deliberative Konzepte auf, die die Bedeutung unterstreichen, vielfältige öffentliche Plätze zu schaffen, die sich durch Gleichberechtigung und Pluralität kennzeichnen. Eine der häufigsten Kritiken im Zusammenhang der – immer offensichtlicheren – Unzulänglichkeiten der repräsentativen Demokratien, spiegelt das abnehmende Vertrauen in die Fähigkeit der Parteien, die die Bevölkerung bewegenden drängenden Fragen in das politische System einzuspeisen. In Irland, und mit mehr Nachdruck in Spanien und Portugal, richtet sich die Verachtung gegen die in der politischen Klasse verbreitete Korruption, die sich mal in Form von Schmiergeldern äußert (und die Forderung nach Säuberung der Institutionen von Korrupten auslöst), mal in Gestalt von Privilegien für Lobbys sowie Teilhaberschaften zwischen öffentlichen Einrichtungen und wirtschaftlicher Macht (meist finanzieller Natur). Dieser Form von Korruption, die einen Verfall der Demokratie darstellt, werden die Verantwortung für die wirtschaftliche Krise und die Unfähigkeit, damit umzugehen, angelastet. Der Slogan „sie vertreten nicht uns“ ist mit einer grundlegenden Kritik an den Entartungen der repräsentativen Demokratie verbunden: Die gewählten Politiker erklären, keine politischen Gestaltungsmöglichkeiten beziehungsweise Alternativen zu haben, doch schenken die Protestieren solchen Aussagen keinen Glauben. Die repräsentative Demokratie wird oft dafür kritisiert, einen Diebstahl an der Demokratie begangen zu haben, und zwar durch die Finanzmächte, aber auch durch die Internationalen Organisationen; als Schuldige werden hier vor allem der Internationale Währungsfond und die EU gesehen. Pakte für den Euro und Stabilitätspakte, die mit der Auszahlung von Darlehen verknüpft sind, werden als verfassungsfeindliche Erpressungsversuche wahrgenommen, die den Bürger ihre Souveränität nehmen. Um den Bürgern wieder mehr politisches Gewicht zu verleihen, werden unter anderem Reformen in Richtung von direkter Demokratie vorgeschlagen, die den Wählern die Möglichkeit verleihen sollen, sich zu die Wirtschaft und Gesellschaft betreffenden Grundsatzfragen zu äußern. Die Möglichkeiten, Volksabstimmungen abzuhalten, sollen erleichtert werden durch die Senkung der erforderlichen Quoren (sowohl in Bezug auf die Beteiligung als auch die erforderlichen Mehrheiten) und die Erweiterung des zulässigen Themenspektrums. Daneben gibt es ein weiteres Modell, dass die normative Theorie als deliberativ bezeichnet hat, von der Bewegung für globale Gerechtigkeit ausgearbeitet und über soziale Foren, die Konsensdemokratie unterstützen, verbreitet wurde. Dieses Konzept wird von den indignados vorweggenommen, indem sie die Plätze besetzen, um sie zu öffentlichen, von „normalen“ Bürgern bevölkerten Sphären umzuformen. Es ist der Versuch, eine diskursive Demokratie von hoher Qualität herzustellen, die allen (nicht nur den Volksvertretern und Experten) das gleiche Recht der Rede (und den Respekt) zugesteht in einem öffentlichen und pluralen Raum zu agieren, der Diskussionen und Beschlussfassungen über eine Vielzahl von Themen und Problemen offensteht, in dem Kritik an spezifischen Problemen formuliert und Vorschläge vorgebracht werden können, die dem Gemeinwohl und der Bildung von kollektiver Solidarität und neuen Identitäten dienlich sind.

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Diese Vorstellung von deliberativer Demokratie ist jener der repräsentativen Demokratie, die auf dem Prinzip von Mehrheitsentscheidungen gründet, grundsätzlich verschieden. Die demokratische Qualität wird hier an der Möglichkeit gemessen, Ideen innerhalb von diskursiven, egalitären, offenen und öffentlichen Arenen zu entwickeln, in denen die Bürger aktiver Teil sind im Prozess der Identifizierung von Problemen und der Ausarbeitung von möglichen Lösungen. Es ist das Gegenteil von einer Demokratie von Machthabenden, in der gewählte Berufspolitiker nicht gestört werden dürfen, wenigstens bis zur nächsten Wahl. Es ist aber auch das Gegenteil von einer Demokratie von Experten, die sich durch den Output legitimiert; diesem Modell sind lange Zeit die europäischen Institutionen gefolgt, und heute finden wir es in den nationalen „technischen“ Regierungen wieder, denen die Aufgabe übertragen wird, Entscheidungen umzusetzen, die außerhalb der Institutionen der repräsentativen Demokratie getroffen werden. Die gleiche Auffassung hallt in den Protesten wieder, die sich – von Occupy Wall Street ausgehend – über Tausende amerikanischer Städte und gleichzeitig auf der internationalen Ebene ausgedehnt haben und schließlich am 15. Oktober 2011 in einem globalen Protesttag kulminierten mit 951 Veranstaltungen in 82 Ländern. Auch in diesem Fall stand die Klage über den Verfall der repräsentativen Demokratie im Zentrum der Proteste, die, den Protestierenden zufolge, in den Fängen von 1% der Mächtigen sei, die dem Schicksal der breiten Bevölkerung, 99% der Menschheit, gegenüber vollkommen gleichgültig seien. Auch hier haben die Okkupationen nicht nur als Druckmittel gewirkt, sondern auch als Vorwegnahmen einer horizontalen Demokratie, die auf den Plätzen entsteht aus dem Dialog zwischen Personen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Geschlechter sowie Meinungen. Sinnfällig ist die Selbstdarstellung der Occupy Wall Street Bewegung als eine „Widerstandsbewegung ohne Führer“, die „wirklichen“ Personen die Macht gibt, „reale“ Veränderung von unten zu gestalten (http://occupywallst.org/). Die Daten dreier im Mai 2011 in Italien am Rande von Protestkundgebungen gegen die wachsende soziale Ungerechtigkeit geführten Umfragen (die “EuroMayDay Parade” in Mailand, die Erste-Mai-Kundgebung in Florenz und der Generalstreik am 5. Mai) zeigen, dass diese Proteste zugleich Herausforderungen an und Ressourcen für die Demokratie sind. Auf der einen Seite (Tabelle 1) haben die Demonstranten sehr wenig Vertrauen in die repräsentativen Institutionen und politischen Parteien, die in der Vergangenheit wichtige Vermittlungsinstrumente zwischen Staat und Gesellschaft waren. Der Prozentsatz jener, die dem Parlament vertrauen, liegt unter den Demonstranten der EuroMayDay Parade lediglich bei 2,4%, unter den Generalstreikenden bei 5,9% und unter den Gewerkschaftlern auf den Kundgebungen zum Ersten Mai bei 10,7%. Befragt man die Aktivisten nach ihrem Vertrauen in die politischen Parteien, kommt man zu ähnlichen Ergebnissen: Hier liegt die Zustimmung in den jeweiligen Gruppen bei 1,6%, 5,9% und 15,2%. Wenngleich im Verhältnis höher, ist das Vertrauen in die Gewerkschaften ebenfalls gering, vor allem wenn man bedenkt, dass die drei Kundgebungen von Gewerkschaftsorganisationen zusammengerufen wurden: Nur unter den Demonstranten des Ersten Mai liegt die Zustimmung mit 52,3% bei mehr als der Hälfte, wohingegen sie unter den Teilnehmenden der anderen Veranstaltungen deutlich darunter lag (18,7% bei der EuroMayDay und 34,7% beim Generalstreik).

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Tabelle 1. Politisches Vertrauen, gemessen auf drei Kundgebungen in Italien in 2011 (Likert scale 1-5; media) Erster Mai

Generalstreik

Euromayday

Gesamt

Gesamtital. Regierung

1.3

1.2

1.3

1.2

Gesamtital. Parlament

2.3

2.0

1.7

1.9

Europäische Union

3.5

3.2

3.0

3.2

United Nations

3.1

2.7

2.6

2.8

Parteien

2.5

2.3

1.9

2.3

Gewerkschaften

3.5

3.2

2.7

3.1

Justizwesen

3.8

3.6

3.2

3.5

Anzahl

103-5

218-22

103-7

449-53

Wenn wir diese Daten mit denen vergleichen, die zu Beginn des letzten Jahrzehnts erhoben wurden, lässt sich ein Trend zu wachsendem Vertrauensverlust in Regierung, Parlament, Parteien und Gewerkschaften erkennen (Tabelle 2). Besonders dramatisch hat das Vertrauen in Parlament und Parteien abgenommen: In Genua 2001 gaben noch rund ein Fünftel bzw. ein Viertel der Demonstrierenden an, Vertrauen in Parlament und Parteien zu haben; in 2011 lagen die Umfragewerte nur noch bei 6% bzw. 7%. Tabelle 2. Vertrauen (großes oder weitgehendes) bei Teilnehmern verschiedener politischer Demonstrationen im Zeitraum 2001 bis 2011 % der Demonstrierenden AntiPerugia-Assisi Europäisc 15. Februar Erster G82001 hes 2003 2011 2001 Sozialforu m (nur Italiener) 2002 Parlament 19,5 24,1 14,9 8,0 6.0 Europäsiche Union 26,3 39,1 33,9 41,8 45.4 UNO 25,2 41,3 32,0 24,0 38.1 Parteien 26,2 21,3 21,4 12,2 6.9 Gewerkschaften 43,7 40,2 53,6 34.5 Anzahl 763 500 1668 300 450

Mai

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Obgleich die Interviewten dem Funktionieren der bestehenden Institutionen äußerst kritisch gegenüberstehen, fordern sie deutlich eine Stärkung dieser Institutionen; das geht soweit, dass sie einen Ausbau der Kompetenzen jener Institutionen verlangen, denen sie am kritischsten gegenüberstehen. Wenn man nun nach den Lösungen der genannten Problematiken fragt, unterstreichen die Aktivisten die Notwendigkeit, alle Ebenen der Regierung zu stärken, wobei – insbesondere die Teilnehmer der Erste-Mai-Kundgebung – vor allem die nationale im Blick haben. Vor mit Blick auf die Bewertung der Stärkung der nationalen Ebene weichen die Positionen deutlich von denen ab, die 2002 von den Aktivisten auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz geäußert wurden. Während damals nur 22% der Teilnehmer eine Stärkung der nationalen Regierung forderten, waren es auf den Kundgebungen, die wir in 2011 analysiert haben, gut 70%. Ein wenig höher ist der Prozentsatz jener, die die EU gestärkt sehen wollen (2002 in Florenz: 43%; 2011: 53%), während die Forderung nach einer Stärkung globaler Regierungsebenen gesunken ist (von 65% in 2002 auf 50,35% in 2011) (della Porta und Giugni 2009: 94). An der Wurzel dieser Forderungen steht die gesteigerte Wahrnehmung der negativen Folgen des neoliberalen Abbaus des Staates zugunsten des Marktes. Tabelle 3. Meinungen über die Stärkung der verschiedenen Regierungsebenen (Durchschnitt; scala likert 1-4) Um die Ziele der Bewegung zu erreichen bedarf es …

EuroMayDay

Tag der Arbeit

Generalstreik

Total

einer Stärkung der nationalen Regierung einer Stärkung der EU der Schaffung von globalen Governance Institutionen

3.3

3.9

3.5

3.5

3.0 2.7

3.1 3.2

3.1 3.0

3.1 3.0

117-21

85-97

184-97

386-415

No.

Das Niveau des Misstrauens in die demokratischen Institutionen ist in Italien sicherlich besonders hoch; hier hat eine traditionell hohe Unzufriedenheit in Folge der politischen Krise, die mit der Aufdeckung der Korruptionsskandale von 1992 ihren Anfang nahm und einen bedeutenden Ansehensverlust der politischen Klasse nach sich zog, weiter zugenommen (della Porta und Vannucci 2009). Im deutschen Fall nehmen sich die Proteste insgesamt moderater aus, was auf eine teilweise inklusive Steuerung der Beziehungen zwischen Institutionen und sozialen Bewegungen sowie eine stärkere Präsenz, bessere finanzielle und materielle Ausstattung und geringere Ideologisierung der Organisationen der sozialen Bewegungen zurückzuführen ist (della Porta 2007). Auch in Deutschland hat im vergangenen Jahrzehnt das Vertrauen in das Funktionieren der demokratischen Institutionen abgenommen, während, ähnlich wie in Italien, die negative Wahrnehmung der Parteien zugenommen hat, denen eine immer geringere Fähigkeit, ihre Wähler zu repräsentieren (und die Wahlversprechen einzuhalten) attestiert wird. Einer Umfrage von Dieter Rucht unter den Demonstranten gegen Stuttgart 21 zufolge sprechen nur 15% der Bundesregierung ihr Vertrauen aus (gegenüber einem Viertel der Bevölkerung, die Vertrauen hat); die Zufriedenheit Keynote, Donatella della Porta, Seite 14

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mit dem Funktionieren der Demokratie liegt unter den Befragten bei 16%, die der Gesamtbevölkerung bei 49%. Über ein Viertel der Demonstranten (26,5%) halten Wahlen für nutzlos, da die Politiker doch nur täten, was sie wollten (Rucht 2010). Und auch in Deutschland wird eine stärkere außerinstitutionelle Beteiligung als eine Herausforderung für die repräsentative Demokratie betrachtet, die zugleich die Chance in sich birgt, die Demokratie um alternative Formen der Bürgerbeteiligung zu bereichern. Abschließendes Um die (zahlreichen) Herausforderungen und Chancen, die sich den zeitgenössischen Demokratien bieten, zu begreifen, ist es notwendig, sich über die Definitionen von Demokratie Gedanken und ihre Komplexität – oder wie Collier und Mahon (1993) es ausdrücken, ihre Radikalität und Abstufungen – gegenwärtig zu machen. Daher ist es wichtig, Untersuchungen des wissenschaftlichen Diskurses zur Entwicklung der Demokratie sowie über die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffes für die kollektiven Akteure in den Demokratien anzustrengen. Nicht nur in den Politik- und Sozialwissenschaften sind verschiedene (normative und empirische) Definitionen von Demokratie einander gegenübergestellt, sondern auch miteinander verknüpft worden. Während die minimalistische Konzeption mit Werten wie Effizienz, Delegation, Individuum, Mehrheitsbeschluss, Wahl, Institutionen, Verfahren, instrumentale Arbeitsweise, Professionalität arbeiten, betonen andere jene Werte, die in einem Spannungsverhältnis dazu stehen: Inklusion, Machtausübung, assoziative Praktiken, diskursive Deliberation, Gesellschaft, Prozess, Normen, Pluralität, Bürgerschaft. Die jüngst aufgelebte Aufmerksamkeit für die Beschaffenheit der Demokratie bezeugt die Anerkennung einer innewohnenden Spannung zwischen verschiedenen demokratischen Konzepten, Werten und Praktiken. In der historischen Entwicklung der Demokratie ist stets einigen Werten (oder Qualitäten) gegenüber anderen der Vorzug eingeräumt worden; im gegenwärtigen Diskurs tauchen Elemente wie Partizipation und Deliberation auf, die zu anderen Zeiten ausgeblendet wurden, aber teilweise schon in den „antiken“ Definitionen von Demokratie präsent waren; es scheint nur so, als seien sie angesichts der neuen (globalen und pluralen) Herausforderungen (neu) erfunden worden. Von den Demokratiemodellen ausgehend, die David Held (1997: 19) beschrieben hat, kann man sagen, dass sich die Konzepte von protektiver und direkter Demokratie überlebt haben, indem sie sich (in verschiedenen Stufen) im ersten Fall in legale (repräsentative), im zweiten in partizipative Demokratien transformiert haben (oder, in der Terminologie von Held gesprochen, in Demokratien der Neuen Rechten und Neuen Linken) Die Forschung über die sozialen Bewegungen hat gezeigt, dass sich das Nachdenken über die Demokratie unter den verschiedenen Akteuren in den demokratischen Staaten entlang der Suche nach verschiedenen Kombinationen von Gleichgewichten weiterentwickelt, wobei Dilemmata und Abstriche einkalkuliert werden, während von Idealvorstellungen eher Abstand genommen wird. Auf der mikro-individuellen und der Mesoebene werden Demokratiemodelle im Laufe der Zeit weitergegeben, wobei auf repräsentative wie partizipative, auf majoritäre wie deliberative Aspekte geachtet wird. Demokratische Visionen und Praktiken passen sich in jedem Falle den spezifischen Keynote, Donatella della Porta, Seite 15

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Ambientes (nicht nur institutionellen) an, in denen sie sich entwickeln: Die demokratischen Dilemmata gestalten sich beispielsweise für die diversen Organisationen der sozialen Bewegungen unterschiedlich, je nachdem in welchen Bereichen oder Strukturen sie agieren (in Kooperativen, am Arbeitsplatz, in Gewerkschaften); lokale Gruppen bevorzugen die einen, transnationale andere Optionen. Indem sie miteinander interagieren, befruchten und verändern sich Vorstellungen und Praktiken zudem wechselseitig. Konzepte von Demokratie, die sich außerhalb der repräsentativen Institutionen entwickeln, haben dennoch Wirkung auf diese: gemeinsam mit jenen der Demokratie, fordern die sozialen Bewegungen die bestehenden Vorstellungen von Staat heraus (Jessop 2002; della Porta im Druck). Wenngleich die verschiedenen Dimensionen in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis zueinander stehen und nicht alle demokratischen Qualitäten gleichzeitig erfüllt werden können, so führt die Debatte über die Demokratie doch oft zur Erprobung von Zwischenlösungen, in die verschiedene Prinzipien integriert werden. Alt oder neu, diese verschiedenen Elemente, die Rosanvallon unter dem Begriff „Gegendemokratie“ zusammengefasst hat, stellen – um mit seinen Worten zu sprechen – nicht „das Gegenteil von Demokratie“ dar, sondern jene Form von Demokratie, die zu der anderen (bestehenden) im Gegensatz steht; es handelt sich um eine Demokratie der indirekten, in der Gesellschaft verstreuten Macht, die Demokratie des organisierten Misstrauens (défiance) im Unterschied zu jener der durch Wahlen abgesicherten Legitimität (vgl. 2006: 16). Wie wir gesehen haben, tauchen die unterschiedlichen Qualitäten zunächst als spannungsgeladene auf, aber sie finden auch ein (prekäres) Gleichgewicht, indem sie sich in komplexen Anpassungs- und Innovationsprozessen, innerhalb wie außerhalb der Institutionen, weiterentwickeln. Um auf den oben erwähnten David Held zurückzukommen, kann man sagen, dass sich in den diversen Demokratiemodellen sowohl das rousseausche, das die Aufmerksamkeit auf den inneren Wert der Demokratie (nach dem Modell der griechischen Polis) lenkt, sowie das machiavellistisch-instrumentelle (für das die Römische Republik Pate steht) erhalten haben. In diesem Geflecht verändert sich die Demokratie, im Guten wie im Schlechten, und diese Veränderungen bedürfen neben der empirischen Forschung theoretisch-konzeptioneller Reflexionen.

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