Kapitalisierte Gerechtigkeit A self-ordained professor’s tongue Too serious to fool Spouted out that liberty Is just equality in school »Equality,« I spoke the word As if a wedding vow Ah, but I was so much older then I’m younger than that now Bob Dylan: My Back Pages (1964)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird im August dieses Jahres fünf Jahre alt. Oder fünf Jahre jung? Ob alt oder jung, ist schließlich Definitionssache, und das umso mehr in einer Gesellschaft, in der sich Alter und Gebrechen hinter einem psychedelischen »man ist nur so alt, wie man sich fühlt« zu verschanzen pflegen. So gefühlsbetont kann es im Recht freilich nicht zugehen. Hier braucht es Regeln nach überindividuellem Schnittmuster, alle zum Ziele der Gerechtigkeit, wie sie im Grundgesetz (GG) eingefangen und thematisch verdichtet ist.1 Ein bejahrtes, darum aber noch lange nicht abgelebtes Gerechtigkeitsthema ist die Achtung des Gleichbehandlungsgebots, Art. 3 GG: Gleiches gleich, Ungleiches ungleich und niemand diskriminiert. Mit dem AGG hat der Gesetzgeber Bruchstücke des daraus abgeleiteten staatlichen Schutzauftrags an den Bürger weitergereicht, vor allem an den Arbeitgeber. Für die knapp fünf Jahre seit Verordnung dieser schönen neuen benachteiligungsfreien Zivilrechtswelt verzeichnet juris über sechshundert Gerichtsentscheidungen zum AGG. In der Rechtspraxis hat es also Fuß gefaßt,2 wenn auch nicht immer auf gesichertem Boden. Zwar hat es seinen seit jeher zahlreichen Gegnern getrotzt, die viel gute Kritik parat haben, namentlich mit Blick auf die Vertragsfreiheit und darauf, daß sich ein gewünschter Mentalitätswandel nicht in paternalistischer Manier dekretieren und auch nicht durch Richterspruch implementieren läßt. Aber ausgerechnet manche seiner Verfechter bringen es ins Wanken. Wie so

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häufig bedeutet nämlich auch im Zusammenhang mit dem AGG »gut gemeint« noch lange nicht »gut geglückt«. Anders gesagt: Eine anerkennenswerte Idee des Gesetzgebers sowie das Gesetz beflissen anwendende Richter garantieren noch lange keine erfreuliche Rechtsrealität. Ein Paradebeispiel dafür, wie ein stolzes Gesetzesmotiv – der Schutz vor sachwidriger Diskriminierung, besonders im Arbeitsleben – in gekonntem, wenn auch nicht unbedingt gewolltem Zusammenspiel von selbsternanntem Opfer und konsequenzversessenen Richtern ad absurdum gewendet und damit ridikülisiert werden kann, hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg im Juni vergangenen Jahres geliefert.3 Der Sachverhalt war folgender: Per Stelleninserat war ein Disponent für die Zeitarbeitsbranche gesucht worden, und die umfänglich die Profile von Angebot und Anforderung beschreibende Anzeige schloß mit der Notiz, es werde die Möglichkeit geboten, »eigene Ideen und Vorstellungen in ein junges, erfolgreiches Team einzubringen«. Nachdem die Bewerbung des Klägers – dreiundfünfzig Jahre alt und ohne paßgenaue Berufserfahrung – gescheitert war (stattdessen war eine jüngere Kandidatin mit genau der im Inserat »idealerweise« erwünschten Berufserfahrung eingestellt worden), betrat er mit der Behauptung einer Altersdiskriminierung4 den Rechtsweg. Wenigstens 30.000 Euro sollten ihm auf der Basis von § 15 Abs. 2 AGG5 die erlittene Unbill vergelten, was ihm die erste Instanz (das Arbeitsgericht Hamburg) aus nachvollziehbaren Gründen versagte. Seine Berufung zum LAG brachte ihm dann jedoch immerhin 5.000 Euro Schmerzensgeld ein; Revision nicht zugelassen. Laut der Urteilsgründe verstoße das Merkmal »junges Team« in einer Stellenausschreibung »auch dann« gegen das Verbot einer Benachteiligung wegen Alters,6 »wenn es – wie hier – unter der Überschrift ›Wir bieten Ihnen‹ erfolgt«, auch dann also, wenn das Attribut »jung« nicht den Wunschbewerber illustriert,7 sondern das Umfeld der Stelle. Zweifel an der eigenen Logik, so sie denn wirklich aufgetaucht sein sollten, räumt das LAG kurzerhand aus: »Es ist allerdings nicht denklogisch ausgeschlossen, dass das Wort ›jung‹ auch ein neu gegründetes Team beschreiben könnte. Eine solche Auslegung widerspräche jedoch dem alltagssprachlichen Verständnis, wonach ein ›junges Team‹ stets ein aus jungen Menschen bestehendes Team beschreibt. Wenn einen Bewerber ein ›junges Team‹ erwartet, wird der durchschnittliche Leser einer Anzeige auch wissen, dass er eher in dieses Team passt, wenn er selber ein entsprechendes

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Alter mitbringt, und das liegt sicherlich nicht über 50 Jahre. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass zugleich Berufserfahrung gewünscht wird. Das bedeutet zunächst nur, dass Berufsanfänger nicht gewünscht sind, aber auch jemand etwa Ende zwanzig könnte schon hinreichende Erfahrung mitbringen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung besteht damit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor einer Benachteiligung.« Mit ähnlicher Mühelosigkeit ließe sich herleiten, die Anzeige »Für unser großes Vertriebsteam suchen wir …« offenbare eine Diskriminierung Kleinwüchsiger. Strapaziert haben die Richter des LAG Hamburg jedenfalls nicht ihre Gedankenschärfe, sondern das dem AGG zugrundeliegende Regelungsmotiv. Was sich hier auf engem Raum zusammendrängt, ist dem Arsenal juristisch-argumentativer Verlegenheitstopoi entnommen, die Bauchgefühl und Billigkeitsempfinden des Rechtsanwenders ummanteln, flankiert von Evidenzappellen, die ›natürlich‹ vornehmlich dann Verwendung finden, wenn die Evidenz gerade fehlt. Dabei ist keiner der Topoi – weder das »alltagssprachliche Verständnis« noch der »durchschnittliche Leser« oder die »allgemeine Lebenserfahrung« – per se prekär. Oft genug sind diese rhetorischen Schlenker als Argumentationsbaustein von Nutzen, um etwa dem Resultat einer fairneßorientierten Interessenabwägung nachfühlbar Ausdruck zu geben. Ins Plausibilitätsnirwana und damit ins rechtliche Zwielicht geraten die Überlegungen des LAG Hamburg erst durch die sachlich nicht gestützte, von professionellem Tunnelblick gelenkte Verknüpfung solcher argumentativen Inventarstücke mit den waghalsigen Hypothesen von »stets« und »sicherlich«. Das so gesponnene, als fest und faßbar präsentierte Spekulationsnetz kaschiert, daß das Gericht in eine Auseinandersetzung mit der ratio legis nicht eingetreten ist, die hätte zutage bringen können, ob der Gesetzeszweck im konkreten Fall tatsächlich ein Entschädigungsurteil erforderte. Zweifelhaft ist dies nämlich nicht nur deshalb, weil das »junge Team« – wie das LAG eingangs selbst andeutet – durchaus auch völlig harmlos ausbuchstabiert werden kann (z.B. mit Rücksicht darauf, daß gerade in der Kombination von »alt« und »jung«, übersetzt etwa mit »erfahren« und »innovativ«, ein überzeugender Teamansatz zu sehen ist), wofür die alltagssprachliche Lesart ebensoviel hergibt wie für die anrüchige Variante, sondern auch deswegen, weil es gute Gründe gab, das Vorgehen des Klägers nicht umstandslos als schutzwürdig zu bewerten.

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Das LAG war nämlich nicht das erste Gericht, vor dem der Kläger wegen angeblich erlittener Benachteiligung einen Ausgleich in Geld zu erlangen suchte. Im Tatbestand heißt es, daß der Mann, vom Juli 2007 an auf Arbeitssuche, seither ca. 850 Bewerbungen verfaßte und elf Verfahren »aufgrund verschiedenster Diskriminierungen nach dem AGG« betrieb. Im Prozeß war er von der Gegenseite in Anbetracht seines einschlägigen Klageeifers als »AGG-Hopper« bezeichnet worden, für ihn Anlaß genug, eine Geldentschädigung nicht nur wegen Altersdiskriminierung, sondern auch wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu fordern.8 In dieser Hinsicht allerdings unterlag er, da »AGG-Hopper« bzw. »AGG-Hopping« laut LAG in prozessualem Zusammenhang inzwischen zur etablierten Nomenklatur gehöre: In AGG-Verfahren, so das denkwürdige, aber nicht weiter vertiefte richterliche Statement, sei dieses Etikett »fast schon zu einem juristischen Begriff geworden«, um auszudrücken, daß die Bewerbung aus finanziell motivierten Hintergedanken heraus nur zum Schein plaziert wurde – was einen Entschädigungsanspruch ausschließt. Daß der Kläger von der Beklagten als AGG-Hopper charakterisiert werden durfte, bedeutet freilich mitnichten, daß sich das LAG auch gründlich damit beschäftigt hätte, ob er ein AGG-Hopper ist. Zu dem Ergebnis, daß im vorliegenden Fall gerade kein AGG-Hopping betrieben wurde, kommt das Gericht vielmehr aufgrund von Erwägungen, die nicht weniger sonderbar sind als die zur Altersdiskriminierung bereits referierten. Dabei ist die Idee einfach und der Fall wohl passend: Der AGG-Hopper nutzt den zeitgeistigen Antidiskriminierungsschub dafür, aus dem im Gesetz vorgesehenen Entschädigungsanspruch für ideelle Beeinträchtigungen systematisch Profit ziehen zu wollen. Ohne an der diskriminierungsverdächtig ausgeschriebenen Stelle ernstlich interessiert zu sein, bewirbt er sich mit dem Ziel einer Ablehnung (zumindest kalkuliert er eine abschlägige Antwort nicht überaus bange ein) und einer dann folgenden rentablen Entschädigungsklage. Vielfach provoziert er eine Absage dadurch, daß er sich um Stellen bewirbt, für die er aus Sachgründen von vornherein nicht in Frage kommt (etwa mangels adäquater Qualifikation), oder aber er bewirbt sich in einer Weise, die den potentiellen Arbeitgeber prompt auf Abstand gehen läßt (exemplarisch: per Sechszeiler ohne jede Anlage). Als Erklärung für das Fehlschlagen seiner Bewerbung führt der AGG-Hopper eine grundlose, demnach entschädigungspflichtige Benachteiligung an, wie sie der Ausschreibungstext an-

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zeige. Eine solche Rechtsbeanspruchung fällt unter die Kategorie Rechtsmißbrauch. Um den AGG-Hopper halbwegs trennscharf und regelgeleitet als solchen festnageln zu können, hat die Rechtsprechung – quasi in Umstülpung der Beweislastnorm des § 22 AGG9 – eine Art Indizienkatalog dafür entwickelt, wann eine das AGG betreffende Klage als rechtsmißbräuchlich angesehen und also abgewiesen werden kann.10 Anhaltspunkt für eine mißbilligenswerte Gewinnabsicht des Klägers ist hiernach, außer den eben erwähnten Anzeichen einer taktisch konstruierten ›Herausforderungssituation‹, auch etwa der Befund, daß er mit der fraglichen Position in puncto Gehalt weitaus schlechter dastände als bisher. Massiv suspekt macht sich zudem der, der häufig schon als AGG-Kläger in Erscheinung getreten ist und so den Anschein aufgebaut hat, mit AGG-Klagen unlauter Geld erwirtschaften zu wollen.11 Daß der Hamburger Kläger mit seinen elf AGG-Klagen »aufgrund verschiedenster Diskriminierungen« der Schar der AGG-Hopper angehöre, die es dank der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung nun sogar zu einem zitierfähigen Rechtsbegriff gebracht haben, harmoniert mit dem letzten Verdachtsmoment gut, aber allein der Verweis hierauf hätte vielleicht noch keine solide Begründung für eine Klageabweisung abgegeben. Zu einer näheren Prüfung, ob die Rechnung des Klägers – wenn schon nicht durch eine entsprechende Auslegung des behaupteten Diskriminierungstatbestands, dann doch aufgrund der Mißbrauchsregel – zu durchkreuzen sei, gab es indes noch weiteren Grund. Die Beklagte hatte nämlich obendrein vorgetragen, daß auch das Ausmaß der verlangten Summe (nicht unter 30.000 Euro) Bedenken aufwerfen müsse, zumal der Kläger seine diversen AGGKlagen binnen kürzester Zeit erhoben habe, und daß er im Stil der Abmahnvereine stets identische Forderungsschreiben versende (was dem Erscheinungsbild eines Arbeitsuchenden nicht eben entspricht). Augenmerk auf diesen Vortrag richtete das LAG jedoch nicht. Den Einwand des AGG-Hopping hebelte es vielmehr so lapidar wie substanzlos damit aus, daß sich der Kläger bei der Beklagten schon einmal vergeblich beworben hätte, ohne nachfolgend eine Entschädigung zu beanspruchen, und daß die Menge von elf AGG-Klagen bei über achthundert Bewerbungen »nur einen geringfügigen Anteil« ausmache und »angesichts der immer noch zu beobachtenden Praxis der diskriminierenden Stellenanzeigen« nicht überrasche. Weshalb aber ein einmaliges Tun (nebst Unterlassen) in der Vergangenheit Schlüsse auf eine spätere Motivlage erlauben soll, bleibt ebenso rätselhaft wie

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der Hinweis auf die Relation zwischen Bewerbungen und Klagen, mit dem das Gericht geradezu eine Anleitung liefert, wie der Eindruck des AGG-Hopping vermieden werden kann: Je mehr Bewerbungen, desto mehr unverdächtige Klagen – eine simple Rechnung. Und mit seinem finalen Bekenntnis, die Klagemenge überrasche angesichts der diskriminierenden Stelleninserate allerorts nicht, ersetzt es die gebotene Bewertung des Einzelfalls durch einen vagen Rekurs auf üble Gepflogenheiten ringsumher, was ein Zerrbild generalpräventiver Zielvorstellungen abgibt. Hier, wo die Intention des Klägers zu ergründen war, gerät die Alltagsweisheit des LAG Hamburg so noch ein Stück mehr aus der Bahn überzeugungsstarker Begründungsarbeit. In der Bilanz bleibt, daß die Würdigung von Benachteiligungsfällen wesentlich mehr Tiefgang und Kontextschau erfordert als vom LAG Hamburg praktiziert. Leichthin gefällte Diskriminierungsurteile befördern nicht die ›gute Sache‹, deren Wert von der Güte ihrer Fürsprecher abhängt, sondern das Geschäftsmodell jener Schlauberger, die das AGG gerade nicht schützen wollte. Zu etwas größerer Besonnenheit kann bereits ein Seitenblick nach Amerika anhalten, wo ein Richter unlängst eine Altersdiskriminierung darin sah, daß ein Arbeitgeber mit dem Ziel einer »revitalized company« einen »tatkräftigen« (»energetic«) Mitarbeiter vorgezogen hatte.12 Angesichts der Konsequenzen, die das AGG hierzulande bisher ausgelöst hat, braucht es diesen Blick aber gar nicht, um bei Entschädigungsklagen aufgrund Diskriminierungsvorwurfs kluge Vorsicht in alle Richtungen angezeigt sein zu lassen. Zuviel falsche Solidarität mit bestimmten Klägern kann die Regelungsabsicht des Gesetzgebers eventuell ins genaue Gegenteil umschlagen lassen: Diskriminierung wird nicht verhindert, sondern die Semantik der vielfältigen Umgehungsstrategien wird geschmeidiger und unauffälliger.13 Schon in Wikipedia ist nachzulesen, daß es mittlerweile Usus ist, »keinerlei Gründe mehr für die Nicht-Einstellung eines Kandidaten anzuführen. Statt dessen enthalten Anschreiben bei Rücksendungen von Bewerbungsunterlagen oft nur noch Mustertexte wie: ›Leider konnte ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden.‹ Bei dem Entschluss, so zu verfahren, spielt die Hoffnung von Arbeitgebern eine zentrale Rolle, keine Angriffspunkte für den Verdacht zu bieten, es liege ein Fall unzulässiger Diskriminierung … vor.«14 Dem Interesse desjenigen, der redlich Arbeit sucht und wissen möchte, woran es bei ihm fehlt, werden solche Blankettformeln gewiß nicht gerecht.15 Und es bedarf keiner besonderen

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Scharfsicht, um die begründete Vermutung aufzustellen, daß die hohlen Mustertexte etwas mit arbeitsgerichtlichen Urteilen der besprochenen Art zu tun haben. Überhaupt ist es wohl vermessen zu glauben, man könnte mit Gesetz und Rechtsprechung Diskriminierung wirklich verhindern. Dort, wo nach der Intention der Beteiligten Diskriminierung stattfinden soll, werden weder Verfassung noch Gesetz noch die Arbeitsrichter mehr als den krassesten Fällen beikommen. Das AGG ist eben eher ein Behelf zur Symptomlinderung, der die Ursachen unzulässiger Benachteiligung nicht erreicht. Aber die Gerichte können immerhin zu verhindern suchen, daß das AGG von findigen Hoppern als bequeme Verdienstressource verschlissen wird, da, mit Worten aus dem vorletzten Jahrhundert, »die Rechtsordnung dem Mißbrauch der Rechte dann nicht mit verschränkten Armen zusehen [kann], wenn derselbe entweder durch ein Übermaß von selbstsüchtiger Ausnützung einer Befugniß das Gemeinwohl gefährdet oder durch nutzlose Schädigung Anderer dem Zweck des Rechtes Hohn spricht«.16 Zweck des AGG ist die Verwirklichung der im Gleichbehandlungsprinzip verankerten Gerechtigkeitsidee. Kann aus dieser Idee mit Hilfe von Richtern, die hastig jeden Diskriminierungsball aufnehmen, unschwer Kapital geschlagen werden, dann verliert sie nicht nur ihren Gerechtigkeitsbezug, sondern auch ihre Berechtigung. Das »junge Team« erinnert insofern an ein altes Problem: Zwar muß es prinzipiell in Kauf genommen werden, daß ein Recht auch zweckwidrig benutzt und in unrechten Vorteil umgemünzt wird, denn gäbe es gar keinen Toleranzraum dafür, bestünde die Gefahr, daß es zu Lasten anderer gegen Zweifelsfälle abgeschottet und damit über Gebühr eingeschränkt wird. Ein Recht rigide für wenige ›glasklare‹ Tatbestände zu reservieren, ist um des Rechtes willen unbillig. Ist Rechtsmißbrauch aber allzu leicht möglich oder wird er durch falsch gesetzte ›Anreize‹ geradezu begünstigt, werden Recht und Gerechtigkeit schleichend demontiert. Wenn die Gerichte keinen Weg finden, wirklicher Diskriminierung Einhalt zu gebieten und gleichwohl dem AGG-Hopping energisch gegenzusteuern, werden ihre Begründungen im Argumentehaushalt derjenigen landen, die ohnehin meinen, daß das Thema Diskriminierung viel zu hoch gehängt werde und das »freie Spiel der Kräfte« zum Nachteil der Gemeinschaft behindere. Das Feld bliebe dann denen überlassen, die ohnehin nur auf die Marktmechanismen setzen wollen, im seligen Glauben, daß diese die Diskriminierer schon von selbst eines Besseren belehren würden (da eine Belegschaft allein aus hellhäutigen in-

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ländischen Männern unter fünfzig auf lange Sicht keinen optimalen Gewinn gewährleiste17). Harte Benachteiligungsfälle indessen ereignen sich reichlich. Und die mögen mit dem bald fünf Jahre zählenden AGG pariert werden. Bei Bert Brecht gibt es einen Philosophen, der murmelt: »Kein schwierigerer Vormarsch als der zurück zur Vernunft!«18 Auch die Gerichtspraxis zum AGG sollte diesen schweren Weg antreten. ELENA BARNERT

Anmerkungen 1 Europarechtliche Gerechtigkeitskonzeptionen treten hinzu: Das AGG ist durch mehrere europäische Richtlinien initiiert worden. Ob es vollständig europarechtskonform ist, wird jedoch immer wieder bezweifelt und hat auch schon den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschäftigt, letzthin hinsichtlich der Zweimonatsfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen in § 15 Abs. 4 AGG. 2 Zwar ist die befürchtete »Klagewelle« ausgeblieben, doch die AGG-Fälle, die vor Gericht gelangen, stellen »wohl nur die Spitze des Eisberges« dar: »Viele Unternehmen zahlen außergerichtlich, sobald mit Klagen wegen Diskriminierung gedroht wird« (Philip Plickert, »Das Gleichbehandlungsgesetz hat zu viel Heuchelei geführt«, in: FAZ vom 3.1.2011 [Nr. 1], 12). 3 LAG Hamburg, Urteil vom 23.6.2010, Az. 5 Sa 14/10 (abgedruckt in: NZA-RR 2010, 629 ff.). 4 Anders als Art. 3 Abs. 3 GG erfaßt das AGG auch das Alter als Diskriminierungskriterium. Auf der Ebene des europäischen Primärrechts findet sich das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 21 Abs. 1 der – seit Dezember 2009 rechtsverbindlichen – EUGrundrechtecharta. Primärrechtsstatus hat ihm der EuGH indes schon 2005 zugeschrieben, mit seinem Mangold-Urteil, das vom Bundesverfassungsgericht im Juli 2010 bekräftigt wurde. Zur neueren einschlägigen Rechtsprechung des EuGH Ulrich Preis, Schlangenlinien in der Rechtsprechung des EuGH zur Altersdiskriminierung, in: NZA 2010, 1323 ff. 5 § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG lauten: »(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.« 6 Hier: §§ 11, 7 Abs. 1, 1 AGG. 7 Hält der Arbeitgeber nach »jungen« Bewerbern Ausschau, ist prinzipiell zu vermuten, daß ein abgelehnter Interessent aufgrund seines Alters benachteiligt wurde, sofern ein deutlich jüngerer die Stelle bekommt: BAG, Urteil vom 19.8.2010, Az. 8 AZR 530/09 (abgedruckt in: NZA 2010, 1412 ff.). 8 Ferner sei, so der Kläger, eine Diskriminierung – qua Verstoß gegen das Maßrege-

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lungsverbot in § 16 AGG – darin zu erblicken, daß die Beklagte Informationen über ihn bei einer AGG-Datenbank (der von Gleiss Lutz, vgl. unten Anm. 11) eingeholt und im Gegenzug ihrerseits Informationen über ihn an diese weitergegeben habe (durch Übersendung einer Kopie seines Anspruchsschreibens). Ohne hier auf die Rechtsansicht des Klägers einzugehen, hat das LAG Hamburg auch diesen Punkt unter dem Aspekt einer Persönlichkeitsrechtsverletzung erörtert (und eine solche verneint). Die lautet: »Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.« Das geschilderte Verhalten ist freilich kein Phänomen, das erst unter dem Regime des AGG aufgekommen wäre: Vormals hieß es, nach § 611a BGB (a. F.), »611a-Hopping«. Siehe www.agg-hopping.de/urteile.html, wo die Kanzlei Gleiss Lutz eine Entscheidungssammlung zum Thema Hopping bereitstellt (und ergänzend, zu einem besonders skurrilen Fall, LAG Baden-Württemberg, Beschluß vom 13.8.2007, Az. 3 Ta 119/07: Hier hatte der Kläger, Volljurist, in seiner Bewerbung u. a. vermerkt, er sei »auf Bahnhofspennerniveau verharzt« und im übrigen Befürworter einer »Bordellumsatzsteuer«). – Wie breit durch die Presse ging, hat das Büro Gleiss Lutz seine »Warndatei«, d. h. Auskunftsplattform zu AGG-Hoppern, aus Gründen des Datenschutzes im August 2009 aufgegeben. 4th Circuit Court of Appeals, Entscheidung vom 22.10.2009: Inman v. Klöckner Pentaplast of America, Inc., No 08-1882, zu finden unter http://pacer.ca4.uscourts.gov/ opinion.pdf/081882.U.pdf. Der Richter stützte seine Einschätzung unter anderem darauf, daß der Arbeitgeber einige Zeit zuvor bei einem Gespräch mit einem Unternehmensberater, der »young, energetic, future people« empfahl, auf eine Serviette die Worte »young, energ[etic]« gekritzelt hatte. – Allzu weit trägt eine europastolze Warnung vor ›amerikanischen Verhältnissen‹ allerdings nicht, da die Richter dort mit Hilfe des Antidiskriminierungsrechts mitunter das US-Defizit an Arbeitnehmerschutznormen (insbesondere: an Kündigungsschutzvorschriften) kompensieren. Auch im Fall Inman ging der Klage eine Kündigung voraus. Plickert (Anm. 2) zitiert den Arbeitsrechtler Volker Rieble wie folgt: »In der Praxis sind jetzt alle klugen Arbeitgeber geschult nach dem Motto: Diskriminieren ja, aber richtig.« Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeines_Gleichbehandlungsgesetz. Nach einer von Plickert (Anm. 2) angeführten Studie findet – um das Prozeßrisiko zu mildern – in etlichen Unternehmen nun außerdem eine penible Dokumentation aller Personalvorgänge und auch viel Schulungsarbeit statt, wodurch hohe Verwaltungskosten entstehen. Überdies könnte bei der AGG-Kontrolle bedacht werden, daß ›gefahrlos‹ formulierte Stellenanzeigen nichtssagend sind, so Joachim Jahn unter http://faz-community.faz.net/ blogs/wort/archive/2010/12/22/selbst-diskriminierung-ist-auch-verboten.aspx, der hervorhebt, daß Jobangebote künftig mehr und mehr »in einer Geheimsprache chiffriert werden müssen, die Arbeitslose und andere Stellensuchende dann zu enträtseln haben«. Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, Leipzig 1895, 319. Vgl. Plickert (Anm. 2). Bertolt Brecht, Der Messingkauf, in: ders., Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hrsg. von Werner Hecht et al., Bd. 22: Schriften 2 – Teil 2, Berlin/Weimar/Frankfurt a. M. 1993, 803.

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