Otto-Friedrich Universität Bamberg Lehrstuhl für Politikwissenschaft I Dr. Johannes Schmidt Hausarbeit zur Veranstaltung: „Gleichheit und Unparteilichkeit“ WS 99/ 00

Ronald Dworkin:

Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

Axel Nordmann Im Weidig 1 96135 Stegaurach [email protected]

7. Fachsemester VWL

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

Inhalt 0. ÜBERBLICK...................................................................................................................................... 3 1. DIE ERSTE VERTEILUNG DER RESSOURCEN................................................................................... 4 2. DIE GEWÄHRLEISTUNG VON RESSOURCENGLEICHHEIT IM ANSCHLUSS AN DIE ERSTVERTEILUNG ............................................................................................................................... 7 2.1 SCHICKSAL UND VERSICHERUNGEN .................................................................................................. 7 2.2 ARBEIT, L ÖHNE UND TALENTE....................................................................................................... 10 2.3 VERSICHERUNG GEGEN UNTERBESCHÄFTIGUNG ................................................................................ 14 2.4 EINE STEUER ALS VERSICHERUNGSPRÄMIE ....................................................................................... 16 3. DER VERGLEICH MIT ANDEREN GERECHTIGKEITSTHEORIEN..................................................... 19 4. SCHLUSSBEMERKUNG ................................................................................................................. 21

2

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

0. Überblick Im zweiten Teil seines Beitrages „What is Equality?“1 entwickelt Ronald Dworkin sein egalitäres Konzept der Verteilungsgerechtigkeit. In Abgrenzung zu der im ersten Teil vorgestellten und kritisierten Konzeptklasse der „Equality of Welfare“, legt er dem Leser sein politisches Gleichheitsideal unter der Bezeichnung „Equality of Ressources“ dar. Dazu konstruiert Dworkin die Geschichte einer Gruppe von Schiffbrüchigen, die auf einer unbewohnten Insel mit ausreichenden, aber begrenzten Ressourcen stranden und damit die „Chance“ erhalten, eine von Beginn an „gerechte“ Gesellschaft zu bilden. Dworkin beschäftigt sich in seiner Arbeit nicht nur mit der Frage einer gerechten ersten Verteilung der vorhandenen Ressourcen, sondern baut seine Betrachtung (und die Geschichte der Schiffbrüchigen) sukzessive aus, um u.a. auch verwertbare Erkenntnisse für reale Verteilungspolitik zu gewinnen, die nicht mehr in der Lage ist, eine erste Verteilung vorzunehmen. Dennoch geht es Dworkin nach eigener Aussage nicht primär um die Lösung praktischer Probleme, sondern um die Entwicklung einer kohärenten Theorie. Als zentrales Werkzeug zur Erreichung seines Konzepts, der Ressourcengleichheit, sieht Dworkin die Institution des Marktes. Neben Gütermärkten konstruiert er hypothetische Versicherungsmärkte. Diese Institutionen vermögen es, in Verbindung mit entsprechender politischer Rahmensetzung, die Kosten, die der Lebensstil eines Einzelnen für die anderen Gesellschaftsmitglieder mit sich bringt, transparent zu machen. Damit können diese Kosten in das Entscheidungskalkül des Einzelnen eingehen (und das tun sie auch) und der Ressourcengleichheit ist nach Dworkin genüge geleistet.

1

Dworkin, Ronald. 1981. „What is Equality? Part 2: Equality of Ressources“. In: Philosophy & Public Affairs,

vol.10, no.4, Princeton University Press

3

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

1. Die erste Verteilung der Ressourcen Eine egalitäre und kohärente Konzeption von Verteilungsgerechtigkeit möchte Roland Dworkin im zweiten Teil seines Artikels „What is Equality?“ darstellen. Dabei ist sein oberstes Ziel nicht die Verteidigung seines Ideals, sondern dessen Entwicklung. Sein Gleichheitsideal stützt sich auf die Gleichheit der Ressourcen. Ressourcen in Dworkins Sinne sind alle Ressourcen (wie Dworkin später betont sowohl materielle, als auch z.B. mentale) die im Privatbesitz von Individuen sind. Eine Unterscheidung zur Verfügungsgewalt über öffentliche Güter oder zu politischer Macht hält Dworkin für willkürlich, da unterschiedlicher Privatbesitz auch immer zu Unterschieden in der Verteilung politischer Macht führt. Privatbesitz ist daher nicht eine eindimensionale Größe, sondern „an open-textured relationship many aspects of which have to be fixed politically“ (Dworkin 1981, 283). Eine komplette Gerechtigkeitstheorie muss daher immer einen Weg finden, private Ressourcen und politische Macht zu integrieren. Da im Allgemeinen die Dimensionen bzw. Auswirkungen von Privatbesitz ausreichend bekannt sind, möchte Dworkin in seinem Artikel (wohl aus Vereinfachungsgründen) dennoch von dieser politischen Ebene abstrahieren und diese Diskussion auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Den ökonomischen Markt stellt Dworkin als analytisches Instrument, aber auch als tatsächliche politische Institution in den Mittelpunkt seiner Theorie. Es soll für einen Prozess der Entdeckung und Anpassung sorgen. Die Einrichtung eines Marktes ist demnach eine Vorraussetzung zur Erreichung einer gleichen Ressourcenverteilung. Dies mag, wie Dworkin meint, für den Leser paradox klingen, da in der bisherigen Diskussion der Markt zwar als Werkzeug verstanden wurde, das es ermöglicht, gesellschaftliche Ziele wie Effizienz und Wohlstand, aber auch individuelle Freiheit zu erreichen. Nie sei der Markt hingegen mit Gleichheit in Verbindung gebracht worden. Im Gegenteil: Dworkin betont, dass „the economic market [...] has [...] come to be regarded as the enemy of equality“ (Dworkin 1981, 285). Und tatsächlich: Sowohl Wissenschaft, als auch Bürger sehen die Gerechtigkeit den Zielen Effizienz und Freiheit in wenig staatlich regulierten Marktwirtschaften, wie beispielsweise den USA, auch heute, 20 Jahre nach Erscheinen von Dworkins Überlegungen, geopfert. Der Grund für diese negative Wahrnehmung des Marktes kann leicht gefunden werden. Ist die Verteilung der Ressourcen zu Beginn des Marktprozesses nicht gleich, so wird das Ergebnis nicht gerecht sein. Und genau dies ist in der Realität nun mal der Fall. Die Tatsache, dass „people enter the market on equal terms“ (Dworkin 1981, 289) ist mithin eine wichtige Voraussetzung für Dworkins Glaube in den Markt als „Gerechtigkeitsspender“. Um seinen Gedanken zu veranschaulichen, konstruiert Dworkin die Situation einer Gruppe von Schiffbrüchigen, die auf einer einsamen Insel strandet. Diese Insel bietet reichliche, aber doch begrenzte materielle Ressourcen. Von dem Glauben getrieben, dass keinem von ihnen mehr als einem anderen zusteht, beschließen die Schiffbrüchigen, die Ressourcen gleich unter sich aufzuteilen. Die gleiche Aufteilung soll dann mit dem „Neid-Test“ auf ihre Gleichheit überprüft werden: Eine Verteilung ist demnach gleich, wenn kein Schiffbrüchiger mehr das Güterbündel eines anderen Schiffbrüchigen beneidet. 4

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

Für Dworkins ersten gedanklichen Versuch, eine gleiche Verteilung zu erreichen, wird einer der Gestrandeten zum Verteilungsbeauftragtem ernannt. Seine Aufgabe ist es, die vorhandenen Ressourcen in viele gleiche Bündel aufzuteilen. Dies ist nicht so einfach, da die Ressourcen sehr heterogen sind und manchmal auch nicht teilbar. Ist es dann doch geschafft, würde der „Neid-Test“ eine gleiche Verteilung anzeigen. Dennoch könnte diese Verteilung von den Immigranten als ungleich empfunden werden, da sie keinen Einfluss auf die Zusammenstellung der Güterbündel hatten. Es kann sein, dass ein Schiffbrüchiger zwar keines der anderen Güterbündel gegen sein eigenes eintauschen will (der „Neid-Test“ wird also erfüllt), sich aber ein Güterbündel gewünscht hätte, wie es der Verteilungsbeauftragte nicht geschnürt hat. Die von ihm vorgezogene Güterkombination wäre mit den vorhandenen Ressourcen möglich gewesen, hat sich zufällig aber nicht ergeben. Das würde der Betroffene als ungerecht empfinden. Anschließender Handel könnte, so Dworkin, diese Situation zwar verbessern, ins Optimum wird der betrachtete Schiffbrüchige jedoch nicht kommen, da es immer Leute geben wird, die mit ihrem Bündel völlig zufrieden sind und daher nicht zum Handel bereit. Es zeigt sich also, dass eine mechanische Verteilung, die auf dem Zufallsprinzip beruht, nicht zu einer absolut fairen Ressourcenverteilung führen kann. Daher versucht Dworkin einen zweiten Ansatz: Der Verteilungsbeauftragte wird zum Auktionator ernannt. Vor der Auktion wird eine Währung in gleicher Menge an die Schiffbrüchigen verteilt. Dann nimmt der Auktionator Gebote für jeden Ressourcenanteil der Insel entgegen. Wenn einem Einwanderer die Aufteilung nicht gefällt, so kann er auch ein Gebot für einen Teil des vorher festgelegten Anteils abgeben. Dieser Teil wird dann ebenfalls zur Versteigerung freigegeben. Somit werden alle nur denkbaren Güterbündel möglich, ihre Realisierung hängt von der Zahlungsbereitschaft der Auktionsteilnehmer ab. Die Auktion hat zwei Ziele: Erstens müssen solche Preise gefunden werden, die alle Märkte räumen. Zweitens müssen alle Schiffbrüchigen mit dieser Lösung zufrieden sein und keine Vorschläge mehr machen, wie bestimmte Ressourcen anders aufgeteilt werden könnten. Sind diese beiden Punkte erfüllt, so wird sowohl der „Neid-Test“ erfüllt, als auch die Unzufriedenheit über willkürlich gewählte Bündel verhindert. Doch was ist mit dem Unglück eines Schiffbrüchigen, der auf der Insel nur sehr wenig oder gar nichts findet, was er sich für sein Güterbündel wünscht. Sollte dieser sich nicht ungerecht behandelt fühlen? Schließlich erreicht er wegen seines Geschmacks und der diesem nicht entsprechenden Ressourcen weit weniger Zufriedenheit, als die anderen Leute auf der Insel. Dworkin beantwortet diese Frage im Hinblick auf seine Gerechtigkeitstheorie mit einem eindeutigen „Nein“. „The contingent facts of raw material and the distribute of tastes are not grounds on which someone might challenge a distribution as unequal.“ (Dworkin 1981, 289). Damit grenzt er seine Ressourcengleichheit strikt gegen die Wohlfahrtsgleichheit ab, die den Menschen zugesteht, sich über eine durch persönlichen Geschmack verursachte Unzufriedenheit zu beklagen und nach einem politisch geregelten Ausgleich sucht. Bei dem Konzept der Wohlfahrtsgleichheit, so Dworkin, wird auf zwei Ebenen entschieden. Im ersten Schritt entscheiden die Menschen unabhängig von den anderen darüber, was für sie ein gutes Leben ist. Im zweiten Schritt muss dann eine politische Institution dafür sorgen, dass alle diese Entscheidungen, gemessen an einem zu bestimmenden Wohlfahrtskonzept, zum gleichen Erfolg führen. Die Ressourcengleichheit integriert dagegen diese beiden Schritte, indem der Markt, mit seinen unterschiedlichen 5

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

und dynamischen Preisen, jedem einzelnen Entscheider die Kosten vor Augen führt, die seine Art zu leben für andere Mitglieder der Gesellschaft mit sich bringt. Der Einfluss des Schicksals bezogen auf den persönlichen Geschmack wird damit zu einer wichtigen Information im Entscheidungsprozess: Wenn viele Menschen den Geschmack eines der Schiffbrüchigen teilen, dann wird er wegen zu erwartender Knappheit einen hohen Preis auf dem Markt zahlen müssen (oder aber einen geringen, wenn durch die „economies of scale“ die Produktionskosten sinken). Hat der Schiffbrüchige einen ausgefallenen Geschmack, der jedoch befriedigt werden kann, dann wird dieser durch relativ niedrige Preise (kein anderer bietet mit und treibt damit den Preis nach oben) auch noch belohnt. Die Auktionspreise führen vor dem Hintergrund beschränkter Geldmittel zwangsweise zur Berücksichtigung der Präferenzen der anderen Menschen. Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt der Theorie Dworkins: „Under equality of resources, people decide what sort of lives to pursue against a background of information about the actual cost their choices impose on other people and hence on the total stock of resources that may fairly be used by them.“ (Dworkin 1981, 288). Das Ziel ist eine gleiche Verteilung der Ressourcen und dieses Ziel wird am Maßstab der Wichtigkeit der Ressource für die anderen gemessen. Das Schicksal bestimmt dagegen nur, was Ressourcengleichheit im Kontext der gegebenen Umstände bedeutet und ist kein Grund, eine Verteilung als ungleich zu brandmarken. Dworkin nennt zwei mögliche Einwände gegen diesen Marktansatz, die er jedoch beide zurückweist. Zum einen könnte die Frage gestellt werden, ob in der Auktion die tatsächlichen Präferenzen der Menschen offensichtlich werden, oder ob das ökonomische System selbst die Präferenzen beeinflusst. Außerdem könnte eingewendet werden, dass in dieser Konstruktion die Annahme mitschwinge, alles Wertvolle im Leben sei von materieller Natur und damit handelbar. Da Dworkin sich hier, wie bereits angedeutet, nur mit der gleichen Verteilung privater Ressourcen beschäftigt, bezeichnet er diesen Einwand als einen gegen privates Eigentum und nicht gegen seine Theorie zu dessen Verteilung. Dworkin ist sich also sicher: Wenn in einem „Urzustand“ die vorhandenen Ressourcen gemäß der beschriebenen Auktion gleich verteilt werden, dann gibt es direkt nach dieser Auktion keinen Grund zur Klage für die Schiffbrüchigen. Was passiert jedoch, wenn der Zufall in der Folge der Auktion (wenn gehandelt, produziert, konsumiert wird) wieder Unordnung in die Verhältnisse bringt und die Situation damit den tatsächlichen Verhältnissen auf der Welt ähnlicher wird? Eine Antwort auf diese Frage entwickelt Dworkin in den folgenden Kapiteln.

6

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

2. Die Gewährleistung von Ressourcengleichheit im Anschluss an die Erstverteilung Dworkin fragt sich nun, welche Struktur und welche Institutionen eine Auktion haben müsste, die Ressourcengleichheit auch in der Zeit nach der Auktion gewährleistet. An der Beantwortung dieser Frage hat er ein dreifaches Interesse: Zum einen will er ermitteln, ob seine Idee tatsächlich komplett und kohärent ist. Wenn sich keine Möglichkeit finden lässt, die Situation auch nach der Auktion noch gerecht zu halten, dann wäre die Idee gescheitert. Zum zweiten könnte man aus einer kohärenten Theorie einen Gerechtigkeits-Maßstab entwickeln, an dem sich tatsächlich existierende Institutionen messen lassen müssten. Drittens wäre es nach Dworkins Meinung möglich, für die Realität zumindest gute Surrogate für sein theoretisches Ideal der Auktion zu finden und damit Institutionen zu bilden, die seinem Gerechtigkeitsideal nahe kommen. Für Dworkin steht freilich der (erstgenannte) theoretische Aspekt im Vordergrund: „Our interest is primarily in the design of an ideal, and of a device to picture that ideal and test its coherence, completeness, and appeal.“ (Dworkin 1981, 292). Daher ignoriert er praktische Schwierigkeiten, wie Informationssammlung, mahnt aber, diese Vereinfachungen immer im Hinterkopf zu behalten, damit eine eventuelle Übertragung in die Realität gelingen kann. 2.1 Schicksal und Versicherungen Wie schon angedeutet, bringt der Zufall, das Schicksal auf verschiedenste Art Unordnung in die geordneten, gleichen Verhältnisse direkt nach der Auktion. Die Frage ist also zum einen, ob gewisse Ungleichheit mit der Ressourcengleichheit vereinbar ist und ob es möglich ist, andere Ungleichheit durch Modifikationen der Auktion zu verhindern. Zuerst müssen die verschiedenen Typen von Schicksal unterschieden werden. Es ist Schicksal, wenn jemand mehr Talente hat, als der Durchschnitt, wenn jemand mehr oder weniger Lust zu arbeiten hat als seine Mitmenschen oder auch wenn man krank wird oder vom Blitz getroffen wird. Alle diese Zufälle sorgen dafür, dass nach einiger Zeit wieder Neid unter den Menschen aufkommt. Zwei Obergruppen von Schicksal führt Dworkin ein: „Option luck“ und „brute luck“. Wenn jemand ein Lotterielos kauft und verliert, dann ist das Pech im Sinne von option luck. Wenn jedoch jemand aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen wird, dann ist das Pech im Sinne von brute luck. Den Unterschied zwischen den beiden Begriffen hält Dworkin indes für graduell. Entsprechend leicht lässt sich eine Verbindung zwischen den beiden Schicksalstypen herstellen. Wenn es einen funktionierenden Versicherungsmarkt für die verschiedensten Ungewissheiten gibt, dann kann brute luck zumindest zum Teil in option luck umgewandelt werden. Jemand der von einem Meteoriten getroffen wird, so Dworkin, hat immer noch Pech im Sinne von brute luck gehabt, jedoch hatte er Glück im Sinne von option luck, wenn er sich zuvor versichert hatte. Am Beispiel dreier Farmer erläutert Dworkin, wie sein Ideal der Ressourcengleichheit mit Einkommensunterschieden umgeht, die durch unterschiedliches option luck entstehen. Es gibt in seinem Gedankenspiel zwei Farmer, die eine sehr empfindliche, jedoch auch sehr ertragreiche Tomatensorte pflanzen und einen Farmer, der eine robuste und ertragarme Sorte wählt. Der Ertrag des letzteren ist 7

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

also sicher und gering, der der ersten beiden unsicher, aber hoch. Wenn nun die beiden Bauern, die auf Risiko gepflanzt haben, erfolgreich sind, dann haben sie am Ende der Periode mehr Einkommen, als der risikoscheue Bauer. Dworkin zeigt, dass dies gemäß seines Ideals kein Widerspruch ist: Der Einkommensunterschied erklärt sich ausschließlich aus der fehlenden Bereitschaft, ein Risiko einzugehen. Er ist der Preis, den der risikoscheue Bauer für die von ihm vorgezogene Sicherheit zahlt. Wenn man nun die beiden risikofreudigen Bauern betrachtet und nach einem Jahr feststellt, dass einer von beiden sein „Spiel“ gewonnen hat, der andere jedoch nicht, dann zieht dieses Argument nicht mehr. Schließlich kann der Einkommensunterschied nicht mehr als Ergebnis verschiedener Lebensentwürfe gewertet werden, beide hatten ja auf Risiko gesetzt. Dies löst Dworkin, indem er die Differenz als den Betrag kennzeichnet, den der unglückliche Bauer dafür zahlt, dass er die Chance auf einen Gewinn hatte. Die Analogie zu einem Lotterielos drängt sich auf: Niemand kommt (ernsthaft) auf die Idee, es als ungerecht zu bezeichnen, wenn der Nachbar in der Lotterie gewinnt, man selbst aber nicht. Eine Umverteilung der durch Spiele verschiedenen Einkommen kommt für Dworkin nicht in Frage. Dies würde dazu führen, dass viele Spiele nicht mehr gespielt würden, da sie ihre Attraktivität verlieren. Damit wird den potentiellen Spielern analog zu den Überlegungen im Anfangskapitel die Freiheit der Gestaltung der von ihnen gewünschten Ressourcenbündel genommen. Die Ressourcengleichheit wäre damit verletzt. Außerdem funktioniert auch der Neid-Test in einer Situation mit Spielen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man einem eventuellen Neider die durch glücklich verlaufene Spiele erreichten Ressourcen des Beneideten, als die entsprechenden Spiele präsentiert. Wenn man davon ausgehen kann, dass der Neider die selben Spiele hätte spielen können, dann gibt es für ihn keinen Grund zum Neid mehr. Damit ist unter den genannten Voraussetzungen die Ressourcengleichheit auch im Falle von Einkommensdifferenzen, die durch option luck ausgelöst wurde, gewährleistet. Anders ist die Situation in Bezug auf brute luck. Wenn einer von zwei Leuten durch einen nicht verschuldeten Unfall blind wird und dadurch weniger verdient, so Dworkin, dann gibt es keine Rechtfertigung dieses Einkommensunterschiedes, die Ressourcengleichheit wäre nicht gewährleistet. Um dieses Problem zu lösen, führt Dworkin einen Versicherungsmarkt für Blindheit (bzw. andere Lebensrisiken) ein. Während der im ersten Kapitel beschriebenen Auktion können die Schiffbrüchigen also einen Teil ihres Geldes für Versicherungspolicen in beliebiger Höhe ausgeben. Wenn man davon ausgeht, dass die einzelnen Personen im Moment der Auktion das gleiche Risiko haben zu erblinden und dies auch wissen, so sind die Einkommensdifferenzen im Falle eines Unfalles wieder mit dem Ideal der Ressourcengleichheit zu vereinbaren, da diese Differenzen wegen der Verfügbarkeit von Versicherungen durch die Auktion in option luck überführt wurden. Damit hat Dworkin das diffizile Feld der Handicaps im Kontext von gerechter Verteilung angeschnitten. Sein Vorschlag ist ein Versicherungsmarkt, der durch unbeeinflussbare Ereignisse erzeugte Wohlstandsdifferenzen in die Ergebnisse von Spielen verwandelt. Jeder Spieler wettet mit einer bestimmten Summe darauf, dass ihn selbst das Schicksal hart trifft. Das Konzept erscheint schlüssig, doch Dworkin erkennt selbst, dass es eine Vielzahl von Fällen gibt, in denen der Versicherungsmarkt 8

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

nicht funktionieren kann, weil die fundamentalen Annahmen nicht erfüllt werden. So können Menschen von Geburt an behindert sein und werden daher keinen Versicherer finden, der sie gegen ihr Handicap versichert. Ähnlich ergeht es Menschen, die genetisch bedingt einen Defekt im Laufe ihres Lebens mit großer Wahrscheinlichkeit entwickeln. Sie werden extrem hohe Prämien von den Versicherern abverlangt bekommen. Um diese Sonderfälle auszuschalten und die in der Praxis auftretenden Informationsprobleme möglichst zu umgehen, stellt Dworkin ein Surrogat seines idealen Versicherungsmarktes für Handicaps dar. Er nimmt an, dass alle Menschen im Mittel das selbe Risiko haben, irgendeine Behinderung zu entwickeln, die absolute Anzahl der Handicaps aber gleich bleibt. Dann sollen die Leute wieder gefragt werden, wie viel Versicherungsschutz sie unter diesen Umständen kaufen würden. Die Prämien werden bei diesem Ansatz in einen Topf geworfen und die Menschen, die tatsächlich eine Behinderung entwickeln, werden aus diesem Topf entschädigt. Die Höhe dieser Rente bestimmt der Gesamtmarkt, nicht mehr der Einzelne. Diese Durchschnittsbildung rechtfertig Dworkin mit dem erwähnten Informationsdefizit: „[...] in the absence of such information averaging is second best, or in any case better than nothing:“ (Dworkin 1981, 298). Nach umfangreichen Überlegungen über die Variablen, die Menschen bei ihrer Entscheidung über die Höhe einer Versicherungsprämie ins Kalkül ziehen (Vorstellung über den Ablauf des eigenen Lebens, verfügbare Technik), schlägt er deshalb auch vor, die Entscheidung über die Höhe der Versicherungsprämie in einer eventuellen realen Situation den politischen Entscheidungsträgern zu überlassen. Diese second best Lösung rechtfertigt Dworkin mit dem Hinweis auf die seiner Meinung nach schlechteren Alternativen. Zu diesen Alternativen zählt er das Konzept der Wohlfahrtsgleichheit, das zwar keine Obergrenze für eine Kompensation festlegt, aber dennoch zu einer niedrigeren Kompensation führt, „[...] because it leaves the standard for actual compensation to the politics of selfishness broken by sympathy.“ (Dworkin 1981, 300). Einen anderen Ansatz zur Gewährleistung der Ressourcengleichheit verwirft Dworkin. Der Behauptung, dass die physischen und mentalen Kräfte der Schiffbrüchigen ebenfalls zu den verfügbaren Ressourcen der Insel gehören, kann er zwar noch folgen, jedoch sieht er weitreichende praktische Probleme in der Forderung, auch diese in der Anfangsauktion gerecht aufzuteilen bzw. die weniger Begnadeten durch Kompensationszahlungen zu entschädigen. Schließlich müsse festgelegt werden, was „normal“ ist, bis auf welches Niveau jeder also gebracht werden soll. Außerdem betont Dworkin, dass es faktisch nicht möglich ist, z.B. für Blindheit zu entschädigen und die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung zwangsläufig der politischen Willkür ausgeliefert ist. Sein Konzept der Ressourcengleichheit impliziere nicht, dass Menschen gleiche Fähigkeiten haben müssen und Abweichungen ausgeglichen werden sollen. Die Theorie beschäftige sich vielmehr mit dem Problem festzulegen, „[...] how far the ownership of independent material resources should be affected by differences that exist in physical and mental powers“ (Dworkin 1981, 301). Damit bekommen die Schiffbrüchigen also tatsächlich die oben entwickelte hypothetische Pflichtversicherung mit fester und einheitlicher Prämie, die sich aus Annahmen über tatsächliche Risiken ableitet. 9

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

Im nächsten Schritt wirft Dworkin die Frage auf, ob der hypothetische Versicherungsmarkt nicht zu viel Gewicht auf die Handicaps legt und die Präferenzen missachtet. Schließlich wirken sich auch unerfüllte Wünsche/ Vorstellungen auf den Wohlstand eines Menschen aus. Außerdem könnte man argumentieren, dass jeder die selbe Chance hat, einen exzentrischen Geschmack zu entwickeln und daher genügend Parallelen vorliegen, die einen Versicherungsmarkt für Präferenzen rechtfertigt. Dworkins Antwort auf diese Frage ist zweigeteilt. Er sieht zwei Arten von Präferenzen und kommt daher zu unterschiedlichen Folgerungen, je nachdem welche der Arten vorliegt. Bei normalen Präferenzen, die noch nicht in den Bereich des krankhaften Verlangens übergehen, sieht er keinen Handlungsbedarf. Schließlich habe eine Person mit exzentrischem Geschmack –im Gegensatz zu einer behinderten Person- nicht weniger Ressourcen zur Verfügung. Außerdem regelt die Auktion nach Dworkins Meinung auch ohne einen Versicherungsmarkt das Problem exzentrischer Präferenzen. Es ist nicht unfair im Sinne der Ressourcengleichheit, wenn die Preise der ungewöhnlichen Güter während der Auktion sinken (und die Personen mit ungewöhnlichen Präferenzen entsprechend mehr davon kaufen können) und gleichzeitig die normalen Güter billiger werden, da die Exzentriker diese nicht nachfragen. In dieser Überlegung findet sich das Menschbild, wie es dem Ideal der Ressourcengleichheit innewohnt: „This argument produces a certain view of the distinction between a person and his circumstances, and assigns his tastes and ambitions to his person, and his physical and mental powers to his circumstances. That is the view of a person [...] who forms his ambitions with a sense of their cost to others against some presumed initial equality of economic power [...], it is a picture at the center of equality of resources.“ (Dworkin 1981, 302). Zu einem anderen Schluss kommt Dworkin jedoch im Bezug auf die Steigerung des Begriffs der Präferenzen: Verlangen oder Obsessionen. Wenn sich Menschen wünschen, so Dworkin, dass sie ein gewisses Verlagen nicht haben, wenn sie also von ihren Obsessionen davon abgehalten werden, ihre Vorstellung von einem guten Leben zu erreichen, dann stellen diese Obsessionen Handicaps dar und sollen dementsprechend versicherbar sein, bzw. entschädigt werden. Aus der soeben beschriebenen Fallunterscheidung lässt sich also eine grundsätzliche Unterscheidung ableiten, die die Ressourcengleichheit erfordert. Zum einen geht es danach um Überzeugungen und Verhaltensmuster, die der Person zugeordnet werden und die sagen, was ein erfolgreiches, gutes Leben ist. Dem gegenüber stehen die Eigenschaften von Körper und Geist, die den Erfolg, gemessen am ersten Kriterium, befördern oder behindern. Wenn nun jemand seine Obsession den Eigenschaften seines Körpers oder Geistes zuordnet, dann kann Ressourcengleichheit nur erreicht werden, wenn ein hypothetischer Versicherungsmarkt eingerichtet wird. Er kann nämlich Obsessionen in negativer Hinsicht von Obsessionen in positiver Hinsicht unterscheiden und die negativen Obsessionen wie Handicaps behandeln. 2.2 Arbeit, Löhne und Talente Im nächsten Schritt beschäftigt sich Dworkin mit den Ungleichheiten und dem Neid, die nach der „versicherungsbereinigten“ Auktion durch Produktion und Handel entstehen. Im Zentrum des Interes-

10

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

ses steht die Frage vom Umgang des Konzepts der Ressourcengleichheit mit unterschiedlichen Talenten im Vergleich zu unterschiedlichen Ambitionen. Um dieses Spannungsfeld zu beleuchten, konstruiert Dworkin eine Situation, in der die Mitglieder seiner kleinen Gesellschaft mit exakt gleichen Talenten und auch gleichen Ressourcen nach der Auktion ins Leben starten. Im Beispiel haben alle Personen einen identischen Tomatenacker und den selben „grünen Daumen“. Nach einer gewissen Zeit der freien Produktion und des freien Handels werden sich dann dennoch Unterschiede im Geldvermögen der Bauern ergeben. Diese sind annahmegemäß jedoch nur auf unterschiedliche Lebenseinstellungen zurückzuführen. Während einer der Bauern z.B. lieber den ganzen Tag auf der faulen Haut liegt, plagt sich ein anderer auf dem Feld ab. Letzterer hat am Ende natürlich mehr Einkommen zur Verfügung. In der beschriebenen Situation, also wenn Talente gleich verteilt sind, ist Effizienz gleich Fairness. Die Auktion und der Markt sorgen dafür, dass diejenigen, die ihre Talente möglichst gewinnbringend nutzen, zu mehr Wohlstand kommen, als diejenigen, die die Muße vorziehen. Dieses Mehr an Wohlstand könnte der faule Bauer (bzw. der Bauer mit einem Lebensentwurf gemäß der vielbeschworenen „neuen Wohlstandmodelle“) natürlich beneiden und der Neid-Test würde mithin Alarm schlagen. Dworkin zeigt jedoch, dass sich dieses Ergebnis durch den Übergang von einer synchronen zu einer diachronen Anwendung des Testes vermeiden lässt. Führt man dem faulen Bauern auch die Entbehrungen des fleißigen Bauern in der Vergangenheit vor Augen, dann wird der Neid-Test wieder positiv ausfallen und die Situation ist, gemessen am Ideal der Ressourcengleichheit, gerecht, egal wie weit sich die Bankkonten mit der Zeit auseinanderentwickeln. Das Ziel der Ressourcengleichheit ist also eine gleiche Verteilung der Ressourcen über das gesamte Leben der Menschen. Die Messlatte dafür stellt die Auktion dar, die jeder Ressource den „wahren“ Preis zuordnet, also den, der die Kosten bzw. den Wert für die anderen Gesellschaftsmitglieder widerspiegelt. Diese Prämisse erlaubt es zu zeigen, dass ein teurer Lebensstil nicht unbedingt für die Gesellschaft teurer sein muss. Arbeitet ein solch anspruchsvoller Mensch nämlich umso härter, dann kann von dieser Arbeit ein großer Mehrwert für die Gesellschaft ausgehen und die Gesamtkosten für die Gesellschaft im Rahmen halten. Ein bescheidener und fauler Mensch muss daher für die Gesellschaft nicht billiger sein. Dieser Mechanismus funktioniert so lange, wie es allen möglich ist, die entsprechenden Preise für Ressourcen auch zu bieten. Dworkin betont, dass die Auktion nicht funktioniert, wenn z.B. ein Tomatenfeld zum Tennisplatz wird, weil der Bauer nicht in der Lage ist, den Preis zu bieten, den es für ihn und diejenigen Wert ist, die später einmal die Tomaten genießen. Nachdem sich die Situation gleicher Talente als ziemlich unproblematisch erwiesen hat, widmet sich Dworkin der ungleichen Verteilung menschlicher Fähigkeiten, wie wir sie in der Realität antreffen. Ein begabter Bauer hat an diesem Fall immer mehr Einkommen, als der genauso fleißige unbegabte Bauer. Man könnte auch davon ausgehen, dass der unbegabte Bauer im Zuge der Auktion gar nicht zu Land kommt, da er –seine Schwächen im Hinterkopf- nicht so viel für ein Stück Land bieten kann. Egal wie, der Neid-Test wird immer negativ ausfallen und „... our initial auction will not insure continuing equality, in the real world of unequal talents for production.“ (Dworkin 1981, 307). 11

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

Oft, so Dworkin, wird dem mit der Forderung begegnet, dass man in dieser Situation nicht länger am Neid-Test festhalten müsse. Schließlich seien die Menschen nun einmal unterschiedlich, es ginge nur um eine gleiche Verteilung der externen Ressourcen am Anfang und es müsse die Möglichkeit für jeden gegeben sein, daraus zu machen, was man will. Es sei jedoch nicht zu rechtfertigen, jeglichen Einkommensunterschied auszuräumen, da die Reichen unter den gegebenen Bedingungen nicht auf Kosten der anderen zu Wohlstand gekommen seien. Diesem Argument widerspricht Dworkin. Für ihn ist es schlicht nicht wahr, dass der Fleißige, Erfolgreiche, Begabte keinen Einfluss auf das Leben und den Wohlstand des weniger Begabten hat. Schließlich leben beide in einer Ökonomie und nicht in verschiedenen Sphären. Damit gibt es vielfältige Interdependenzen zwischen beiden. Wenn ein Bauer Supertomaten verkauft und ein anderer minderwertige, dann wird der Bauer mit den schlechteren Früchten durch das Auftauchen des Superbauern schlechter gestellt, da der Preis für seine Tomaten fällt. Und ärmere Menschen, die auch Supertomaten wollen, müssen wegen der durch die Nachfrage der Reichen gestiegenen Preise auf einige Tomaten verzichten. Außerdem bemängelt Dworkin, dass in obiger Argumentation Ressourcengleichheit mit Chancengleichheit verwechselt wird. Diese Verwechslung resultiert aus der Tatsache, Dworkins Behauptung, nach einer entsprechenden Auktion sei unter bestimmten Umständen dauernde Ressourcengleichheit gewährleistet, komme daher, dass Dworkin die „starting-gate“ Theorie der Fairness akzeptiere. Dies ist aber gerade nicht der Fall, denn Dworkin hält die meisten Ausprägungen dieser Theorie für höchst inkohärent, da sie aus zwei Teilen besteht, die jeweils auf völlig unterschiedlichen Grundlagen beruhen. In der Ausgangsposition folgt die Theorie der Ressourcenlogik, fordert also eine gleiche Verteilung, um Gerechtigkeit zu gewährleisten, in der Zeit danach folgt diese Theorie jedoch einer Aneignungslogik, die dem laissez-faire Prinzip die Gewährleistung von Gerechtigkeit zuschreibt. Für Dworkin ist klar, dass diese Mischung nicht als kohärente politische Theorie für seine Schiffbrüchigen gelten kann: „If justice requires an equal auction when they land, it must require a fresh, equal auction from time to time thereafter; and if justice requires laissez-faire thereafter. it must require it when they land.“ (Dworkin 1981, 309). Die Kombination der beiden Gerechtigkeitsansätze macht nur Sinn beim Monopoly-Spiel, nicht aber in der politischen Theorie, so Dworkin. Nachdem die „starting-gate“ Theorie zurückgewiesen ist, kommt Dworkin zu einer wichtigen Unterscheidung. Um Gerechtigkeit zu schaffen, muss die Einkommensverteilung einerseits „ambitionsensitive“, andererseits aber nicht „endowment-sensitive“ sein. Sie soll also einerseits die Kosten widerspiegeln, die die freien Entscheidungen der Menschen für andere Menschen bedeuten (z.B. Faulheit oder Arbeitswut) und andererseits nicht auf unterschiedliche Talente reagieren, auf die die Menschen keinen Einfluss haben. Diese beiden schwer zu vereinbarenden Erfordernisse müssen in einer Gerechtigkeitstheorie unter einen Hut gebracht werden. Bevor Dworkin seinen eigenen Ansatz vorstellt, erklärt er noch eine alternative Theorie, die er jedoch ablehnt. Im Mittelpunkt dieser Theorie steht der Gedanke, in der Anfangsauktion auch die Arbeitskraft der Menschen als Ressourcen zu betrachten und zur Versteigerung freizugeben. Damit wäre dann 12

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

eine gerechte Verteilung aller Ressourcen, einschließlich der Talente, zumindest indirekt gewährleistet. Das Ergebnis dieses Vorgehens wäre jedoch, dass jeder ständig an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gehen müsste, oder, wenn man es nicht tut, empfindliche Wohlfahrtsverluste in Kauf nehmen müsste. Diese Gesellschaft würde faktisch die Talentierten versklaven, da diese vor der Wahl stehen, entweder die Früchte ihrer Arbeit nicht genießen zu können, da andere Menschen ihr Talent in der Auktion ersteigert haben, oder sie einen großen Teil ihres Geldes in der Auktion für ihre eigenen Talente ausgeben müssen und damit weniger Möglichkeiten haben, andere Ressourcen zu ersteigern. Dies entspräche einer Bestrafung für Talente und kann nicht akzeptiert werden. Daher schlägt Dworkin einen anderen Ansatz vor: Eine periodische Umverteilung der Ressourcen über eine zu bestimmende Art von Einkommensteuer. Wichtig ist dabei natürlich, dass diese Umverteilung dem Ideal der Ressourcengleichheit gerecht wird, sie also nicht die Konsequenzen des einen oder anderen Lebensstils auf das Leben der anderen Menschen verschleiert. Eine Einkommensteuer wählt Dworkin als seiner Meinung nach gelungenen Kompromiss zwischen der Freiheit, ein arbeitsames Leben mit viel persönlichem Vermögen zu führen und der Rolle des „genetic luck“. Diese Steuer ist „a compromise of two requirements of equality, in the face of both practical and conceptual uncertainty how to satisfy these requirements, not a compromise of equality for the sake of some independent value such as efficiency.“ (Dworkin 1981, 313). Dworkin betont also, dass seine Theorie durch diesen Kompromiss nicht Gefahr läuft, inkohärent zu werden. Das zentrale Problem einer solchen Einkommenssteuer ist natürlich die Höhe des Steuersatzes. Dazu wäre es sehr hilfreich, wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt herausfinden könnte, welcher Teil des persönlichen Wohlstandes aus verschiedenen Talenten resultiert, und welcher auf härtere Arbeit zurückzuführen ist. Der Steuersatz würde dann so festgelegt, dass nur der talentbezogene Anteil des Einkommens umverteilt wird. Dies ist jedoch unmöglich, wie Dworkin betont, weil ein gegenseitiger Einfluss zwischen Talenten und Ambitionen besteht. Schließlich werden Talente entwickelt und zwar auch in Abhängigkeit von den Ambitionen, die jemand verfolgt. Außerdem kann es einfach Spaß machen, ein bestimmtes Talent zur Geltung kommen zu lassen, was einem positiven Einfluss vorhandener Talente auf die gezeigten Ambitionen gleich kommt. Es ist auch keine Lösung, einfach politisch einen individuellen Steuersatz festzulegen, der das Einkommen so umverteilt, dass alle soviel haben, wie sie unter Annahme gleichverteilter Talente hätten. Dafür müsste nämlich auch das durchschnittliche Talentniveau bestimmt werden und die Geldsumme, die man mit diesem Geldniveau verdienen kann. In einem komplexen, dynamischen Wirtschaftssystem erscheint dieses Unterfangen unmöglich. Um das Problem der richtigen Steuersätze zu umgehen, formt Dworkin eine Parallele zum Problem der Handicaps. Wenn es darum geht, so Dworkin, unfaire von fairen Einkommensdifferenzen zu unterscheiden, dann liegt es nahe, einen ähnlichen Lösungsansatz zu suche, wie im Falle der Handicaps: einen Versicherungsmarkt.

13

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

2.3 Versicherung gegen Unterbeschäftigung Dworkin denkt, dass die Unterschiede zwischen Fähigkeiten und Handicaps nur gradueller Natur sind: „We may say that someone who cannot play basketball like Wilt Chamberlain [...] suffers from an (especially common) handicap.“ (Dworkin 1981, 314). Damit betont Dworkin, wie er selbst sagt, den Aspekt des „genetic luck“ und vernachlässigt dabei den wechselseitigen Einfluss von Talent und Ambition, den er kurz zuvor noch als extrem hinderlich für die Suche nach dem optimalen Steuersatz empfunden hatte. Dennoch sieht er in dieser Analogie den Schlüssel, um wenigstens die Mindestanforderungen einer gerechten Verteilung im Hinblick auf unterschiedliche Talente erfüllen zu können. Dazu soll in das Schiffbrüchigen-Beispiel eine Unterauktion für Versicherungspolicen eingeführt werden, die dagegen versichern, das man ein bestimmtes Niveau an Talenten nicht erreicht. Dworkin ist sich darüber im Klaren, dass ein entscheidender Unterschied zwischen Talenten und Handicaps in der Tatsache liegt, dass Talente eine Frage der Vergangenheit sind (also bereits bestehen) und nicht, wie die Handicaps, der Zukunft. Daher erscheint ein Versicherungsmarkt nicht das richtige Mittel zur Lösung des Gerechtigkeitsproblems zu sein. Dennoch möchte Dworkin die Frage beantworten, wie viel Versicherungsschutz die einzelnen Personen kaufen würden, wenn sie alle das gleiche Risiko hätten, das eine oder andere Talent nicht zu haben. Zur genaueren Konstruktion dieses Versicherungsmarktes prüft Dworkin zwei Vorschläge: Das erste Modell schlägt eine enge Anlehnung, wenn nicht sogar Integration, des Talent-Versicherungsmarktes mit dem Handicap-Versicherungsmarkt vor. Dies erscheint allerdings nicht realisierbar, da die problematische Verbindung zwischen Talenten und Ambitionen noch schwerer zu handhaben ist, als die Probleme von Handicaps und Ambitionen. Schließlich ist es zumindest annähernd möglich, so Dworkin, eine Schätzung abzugeben, welches Leben jemand geführt hätte, wenn er nicht behindert gewesen wäre, wohingegen jemand, der keine Ahnung über seine künftigen Talente hat, auch keine Vorstellung von seinem künftigen Leben haben wird. Die Annahmen, dass die Menschen nichts über ihre eigenen Fähigkeiten wissen, nimmt für Dworkin zuviel von der eigenen Person weg. Daher kann er nicht beurteilen, was eine angemessene Versicherungsprämie wäre. Wegen dieser Unwägbarkeiten stellt Dworkin noch eine weitere Idee vor, die einen funktionierenden Versicherungsmarkt für mangelnde Talente hervorbringen soll. Für diesen Ansatz bekommen die Schiffbrüchigen einen Computer zur Seite gestellt. Dieser wird mit allen verfügbaren Informationen über die Geschmäcker, Ambitionen, Talente und das Risikoverhalten der Immigranten, sowie Angaben über verfügbare Ressourcen und technische Möglichkeiten gefüttert. Dann spuckt dieser eine genaue Vorhersage der erwarteten Einkommensstruktur aus, also wie viele Menschen welches Einkommen durch Handel und Produktion nach der Auktion erreichen werden. Die Menschen selbst haben keine Ahnung, zu welcher der Einkommensgruppen sie gehören werden und wissen auch nichts über die Datengrundlage des Computers. Sie wissen (im Gegensatz zum vorhergehenden Ansatz) nur über sich selbst Bescheid. Die angebotenen Versicherungen bieten an, im „Schadensfall“ die Differenz zum gewünschten Einkommen zu ersetzen, wobei die Prämie natürlich mit der Höhe des anvisierten Min-

14

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

desteinkommens steigt. Die Frage ist nun, in welcher durchschnittlichen Höhe die Menschen Versicherungsschutz nachfragen und was sie sich diesen kosten lassen. Diese Frage hält Dworkin prinzipiell für lösbar, auch ohne die Fähigkeiten eines Supercomputers. Er denkt, dass der Versicherungsmarkt sich so einpendelt, dass im relevanten unteren und mittleren Einkommensbereich Versicherungen nachgefragt werden, nicht jedoch in den extrem hohen Regionen. Er hat auch eine erstaunlich genaue Vorstellung von der Höhe der durchschnittlich zu erwartenden Versicherungssumme: „The argument becomes compelling, I think, well above the level of income presently used to trigger transfer payments for unemployment or minimum wage levels in either Britain or the United States." (Dworkin 1981, 321). Um seine Einschätzung zu untermauern, macht Dworkin einen Ausflug in die Welt der Spiel- und Versicherungstheorie. Eine Spielsituation zeichnet aus, dass ein kleiner Einsatz einer kleinen Chance auf einen großen Gewinn gegenübersteht. Die Versicherungssituation erkennt man daran, dass ein kleiner Einsatz den Ersatz eines unwahrscheinlichen, aber großen Verlustes, verspricht. In jedem Fall ist eine Wette für eine risikoneutrale Person vorteilhaft, wenn die erwartete Auszahlung den Einsatz übertrifft. Dabei ist jemand risikoneutral, der jede vorteilhafte Wette macht und jede unvorteilhafte nicht. In der Realität ist es nun so, dass Versicherungen grundsätzlich unvorteilhafte Wetten anbieten. Dennoch finden sich Menschen, die bereit sind, sich zu versichern. Dies liegt daran, dass viele Menschen eben doch risikoavers sind, zumindest in Bezug auf hohe Deckungssummen. Dies liegt daran, dass der Grenznutzen des Geldes in hohen Einkommensbereichen sehr gering ist. Um seinen Punkt zu verdeutlichen, entwirft Dworkin folgendes Beispiel: Die Versicherung eines Hauses, das 50000 Dollar wert ist und mit 10-prozentiger Wahrscheinlichkeit abbrennt, kostet 6000 Dollar. Die Versicherung stellt eine finanziell unvorteilhafte Wette dar, weil der Erwartungswert ohne Versicherung bei 45000 Dollar liegt, mit Versicherung das Vermögen jedoch nur noch 44000 Dollar beträgt. Nun betont Dworkin, dass der Versicherungsmarkt für Handicaps einer Versicherungssituation entspricht und daher keine weiteren Probleme macht. Anders sieht es auf den ersten Blick indes mit dem Markt für Versicherungen gegen mangelnde Talente aus. Dieser hat eher den Charakter einer Spielsituation, da die Schiffbrüchigen dazu neigen könnten, Wetten auf viel zu hohe Einkommen abzuschließen. Auf den zweiten Blick trifft dies jedoch nicht zu, die Unterschiede zu einer normalen Lotterie sind zu groß. Wenn man von einem normalen Versicherungsmarkt ausgeht, dann werden die Prämien für eine solche Maximalversicherung sehr hoch sein. Damit müsste eine relativ begabte Person am Limit ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten, um die hohe Prämie zu bezahlen und erlangt dann keine allzu große Nettorückzahlung. Die Chance auf einen kleinen Gewinn ist also bei einer maßlos übertriebenen Wette auf späteres Einkommen groß und die Chance auf einen großen Verlust dagegen sehr klein. Bei einer klassischen Lotterie ist dies genau umgekehrt. Daher wird kaum jemand Versicherungen in dieser Höhe nachfragen. Bei niedrigeren Deckungssummen sieht Dworkin jedoch gute Chancen dafür, dass die Menschen sich versichern, da die Prämien schneller fallen, als die Deckungssummen. Damit sinken die Chancen zu gewinnen zwar, aber die Situation gleicht sich immer mehr dem normalen Versicherungsmarkt an. „... the lower the income level chosen as the covered risk the 15

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

better the argument becomes that most people given the chance to buy insurance on equal terms would in fact buy at that level.“ (Dworkin 1981, 321). Bis auf einige Anomalien, die Zweifel an der kompletten Gerechtigkeit des Konzepts lassen, hält es Dworkin also für vorstellbar, dass dieser Versicherungsmarkt unter den genannten Voraussetzungen zu einem gerechten Ergebnis führt und unterschiedlich verteilte Talente dabei berücksichtigt werden. Diese Anomalien kristallisieren sich am Beispiel zweier Personen, die bis auf ein Talent identische Fähigkeiten und Interessen haben und sich für den selben Versicherungsschutz in relativ großer Höhe entscheiden. Die Person mit dem zusätzlichen Talent kann mehr verdienen, als die Summe, auf die sie sich versichert hat, will dies allerdings nicht, da sie das Talent nicht mag. Der weniger Begabte dagegen „gewinnt“, bekommt also eine Ausgleichszahlung seiner Versicherung. Damit wird die begabte Person also wieder von ihrem Talent versklavt (da sie gezwungen ist, dem Talent nachzugehen oder mit deutlich weniger Einkommen auszukommen, als die Vergleichsperson) und Dworkin fragt, ob dies fair sei. Er ist sich nicht sicher, glaubt aber, dass er eine Möglichkeit gefunden hat, die eventuelle Unfairness auf jeden Fall eliminieren zu können. Dazu möchte er den hypothetischen Versicherungsmarkt in ein Steuersystem überführen. 2.4 Eine Steuer als Versicherungsprämie Der Computer von vorhin berechnet nun also eine hypothetische einheitliche Versicherungsprämie, die so niedrig ist, dass die Gesamtwohlfahrt größer ist, als ohne Versicherungsmarkt. Genau diese Prämie soll dann über ein Steuersystem für eine Umverteilung in der Art sorgen, dass diejenigen mit zu niedrigem Einkommen bis zum errechneten Einkommen entschädigt werden. Zwei Probleme sieht Dworkin: Zum einen könnte als ungerecht erachtet werden, wenn jeder, ob arm oder reich, die selbe Prämie zu zahlen hat. Dies sei aber schlicht eine Folge des aus praktischen Erwägungen gewählten hypothetischen Versicherungsmarktes. Ein weiteres Problem ist die Möglichkeit der Menschen, nicht gemäß ihrer tatsächlichen Möglichkeiten zu arbeiten und damit das Umverteilungssystem zu hintergehen. Beide Einwände lassen sich, so Dworkin, auflösen, indem man den Versicherungsmarkt bzw. das aus ihm abgeleitete Steuersystem weniger unflexibel handhabt. Wenn die Prämie an das tatsächliche Einkommen gekoppelt wird und dazu noch Selbstbeteiligungen zur Eindämmung des „moral hazard“ eingeführt werden, dann würde die Umverteilung mehr oder weniger reibungslos funktionieren. Diese möglichst genaue Annäherung des Steuersystems an eine second best Lösung des hypothetischen Versicherungsmarkts, kann nachträglich noch modifiziert werden, um die Gesamtwohlfahrt der Menschen noch weiter zu steigern. Schließlich könnte sich herausstellen, dass eine zu große Annäherung hohe administrative Kosten verursacht oder die Privatsphäre der Menschen einschränkt. Nach diesen Überlegungen zu praktischen Ausgestaltungen eines Steuersystems, das der Ressourcengleichheit durch Berücksichtigung unterschiedlicher Talente gerecht werden will, versucht Dworkin nun zu erläutern, warum dieses Steuersystem tatsächlich die gewünschten Eigenschaften hat. Dazu zeigt Dworkin, wie zwei gängige Einwände gegen seine Theorie zu behandeln sind. Einerseits wird

16

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

behauptet, dass die Umverteilungswirkung des hypothetischen Versicherungsmarktes tendenziell zu groß ist, von anderen wird indes gesagt, dass diese unzureichend sei. Der erste Punkt erscheint Dworkin schwächer zu sein. Er denkt, dass bei dieser Behauptung zu wenig Wert auf den Aspekt der Gerechtigkeit gelegt wird, der fordert, dass jene weniger Einkommen haben sollen, die einen teureren Lebensstil (für die anderen) wählen, wozu auch die Wahl einer Arbeit zählt, die schlechter bezahlt wird. Dworkin ist dagegen davon überzeugt, dass die hier kritisierte Durchschnittsprämie des hypothetischen Versicherungsmarktes ein guter Weg ist, die verschiedenen Gerechtigkeitsaspekte gleich zu gewichten. Wenn die durchschnittliche Prämie niedrig genug ist, dann gibt es finanzielle Anreize für die Immigranten, eine Arbeit anzunehmen, außerdem stehen im niedrigen Einkommensbereich eine Vielzahl verschiedener Tätigkeiten zur Auswahl, was absichtlich herbeigeführte Arbeitslosigkeit umso unwahrscheinlicher macht. Die Behauptung, die Durchschnittsprämie sei zu hoch und damit ungerecht gegenüber denjenigen, die nicht soviel für ihre Versicherung hätten bezahlen wollen, ist mit ähnlichen Argumenten abzuweisen. Es wird der selbe Fehler, nur mit unterschiedlichem Vorzeichen, gemacht. Hier wird dem zweiten Aspekt der Gerechtigkeit, also der Vermeidung von Einkommensunterschieden wegen unterschiedlicher Talente, zu viel Gewicht gegeben. Es wird ein Versicherungsniveau angestrebt, das so hoch ist, dass es niemanden gibt, der sich darüber versichern würde. Dworkin ist sich sicher, dass die von ihm vorgeschlagene Prämie, diese Anforderung sogar näherungsweise von selbst erfüllt: „It is worth noticing that this level might not be much above the average coverage level. We saw, earlier, reasons why almost no one would insure at a very high income level in any case.“ (Dworkin 1981, 328). Nachdem diese Einwände abgewehrt sind, stellt sich Dworkin einem viel fundamentaleren Einwand: Nämlich der Frage, ob der hypothetische Versicherungsmarkt überhaupt das richtige Instrument ist, um die Anforderungen an eine gerechte Verteilung zu versöhnen. Es wird vermutet, und Dworkin gibt dieser Vermutung durchaus recht, dass den Menschen mit weniger Talenten oftmals nicht genügend bezahlt wird. Das Ziel war eigentlich, die talentierten und untalentierten Personen mit gleichen Ambitionen und gleichen Berufswünschen gleich wohlhabend zu machen. Doch dieses Ziel wird verfehlt, weil es immer Leute gibt, die weit mehr verdienen, als über den durchschnittlichen Versicherungsschutz jedem Menschen gewährleistet werden kann. Wenn eine schauspielerisch völlig unbegabte Person, die gerne Filmstar wäre und auch hart dafür arbeiten würde, sich beklagt, nicht so viel zu haben wie eine Person, die tatsächlich ein Filmstar ist, dann ist diese Klage vor dem Hintergrund von Dworkins Ansatz berechtigt. Der Versicherungsmarkt, der extrem hohe Versicherungssummen (wie gezeigt) verhindert, unterbewertet diese Ungerechtigkeit. „This is a powerful complaint, and there is no answer, I think, but to summarize and restate our earlier arguments to see if they can still persuade with that complaint ringing in our ears.“ (Dworkin 1981, 329). Dworkin ist also selbst ratlos ob dieser Beobachtung und versucht durch das Aufwärmen früherer Argumentationsstränge, sein Ideal zu verteidigen. Dworkin argumentiert wieder über die Komplexität des ökonomischen Systems. Er führt seinem Leser vor Augen, was es heißen würde, wenn jeder seine persönliche Gerechtigkeit durchsetzen könnte, 17

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

indem er einfach die Welt ändert. Wenn sich ein untalentierter Schauspieler z.B. über die hohen Gagen der Stars ärgert, dann würde er solch hohe Gagen einfach verbieten. Das hätte aber zur Folge, dass keiner mehr Schauspieler werden will und damit andere Menschen, die eigentlich nichts mit der Unzufriedenheit des untalentierten Schauspielers zu tun haben, keine Filme mehr zu sehen bekommen und sich daher schlechter fühlen. Außerdem fallen dann viele Jobs im Filmbusiness weg: Maskenbildner, Regisseure, Beleuchter. Das Beispiel zeigt, dass in einem komplexen ökonomischen System punktuelle Veränderungen immer unabsehbare Folgen auf das Gesamtsystem haben. Genau aus diesem Grund, so stellt Dworkin heraus, lässt er seine Schiffbrüchigen eine Auktion zur ersten Verteilung der Ressourcen durchführen. Sein Erklärungsversuch ist jedoch kein Einwand gegen das Recht des schlechten Schauspielers, seine Situation zu beklagen und Vorschläge zu machen, wie eine gerechtere Situation aussehen soll. Dworkin weist nur darauf hin, dass er „needs some argument in favour of the change he recommends which is independent of his own relative position“ (Dworkin 1981, 330). Eben ein solches Argument, das unabhängig von der Position eines einzelnen Menschen für mehr Gerechtigkeit sorgt, ist der hypothetische Versicherungsmarkt, so Dworkin. Ausgehend von der Situation ohne diesen Markt, geht es allen Menschen besser, die Situation ist gerechter. Deshalb spricht sich Dworkin dafür aus. Er betont jedoch, dass der Versicherungsmarkt nur eine second best Lösung darstellt und es sicher keine Argumente gibt, die beweisen, dass es nicht noch andere, vielleicht auch bessere second best Lösungen gibt. Allerdings glaubt Dworkin auch, dass eine Gesellschaft, die sich streng an die Regeln hält, die er zur Erreichung möglichst großer Gerechtigkeit vorschlägt, „would be much less troubled than we might suspect in advance by the wealth inequalities that would remain.“ (Dworkin 1981, 331). Um sein Ideal zu verteidigen, übt Dworkin auch Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten und warnt davor zu glauben, dass eine Schiffbrüchigengesellschaft die selben Verhaltensmuster aufweisen muss. So weist er auf das paradoxe Verhalten der Gesellschaft in Bezug auf materiellen Reichtum hin: Zwar sei es allgemein als Definition von einem „guten Leben“ akzeptiert, dass man sein Leben auf die Anhäufung von materiellem Wohlstand ausrichtet, hat man dann aber Wohlstand erreicht, werde man eher beneidet, als bewundert. Die „moralischen Kosten“ der Ungleichheit wären, so Dworkin, in einer Gesellschaft, die sich am Ideal der Gerechtigkeit orientiert und diese mittels einer Auktion zu erreichen sucht, bei weitem nicht so hoch: „We would do wrong to assume in advance that these same attitudes will rise in a market system whose very point is to encourage the kind of reflexive examination about costs and gains under which these attitudes would seem most likely to shrivel and disappear.“ (Dworkin 1981, 332). Und wenn die Gesellschaft ein „gesünderes“ Verhältnis zu Wohlstand hat, dann, so sein Argument, kommt sie auch mit einem gewissen Rest an Ungleichheit zurecht. Dennoch plädiert Dworkin dafür, dass nach Argumenten gesucht wird, die zeigen, dass die vom hypothetischen Versicherungsmarkt belassenen Einkommensunterschiede ausgelöscht werden müssen. Er kann sich durchaus vorstellen, dass es solche gibt, bislang seien allerdings noch keine vielversprechenden Ansätze gefunden worden. Einer dieser Ansätze behauptet, dass unter dem Konzept der Ressourcengleichheit der Wohlstand aller Menschen gleich sein muss. Wenn dies nicht so ist, dann bedeute 18

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

das eine faktische Bevorzugung anderer Ideale gegenüber der Gleichheit und damit sei Ressourcengleichheit keine akzeptable Konzeption der Gleichheit. Der Einwand trifft genau ins Mark von Dworkins Argumentation. Schließlich war es genau dieses Argument, das er in seinem Beitrag ausräumen wollte: „Once we understand the importance, under equality of resources, of the requirement that any theory of distribution must be ambition-sensitive, and understand the wholesale effects of any scheme of distribution or redistribution on the lives which almost everyone in the community will want and be permitted to lead, we must regard with suspicion any flat statement that equality of resources just must be defined in a way that ignores these facts.“ (Dworkin 1981, 333). Diese einfachen, dogmatischen Aussagen über den „wahren“ Charakter einer Gerechtigkeitstheorie hält Dworkin für untragbar. Zum einen ist sein Ideal zu komplex und zu unbestimmt, als dass ihm solche Argumente gerecht werden könnten. Ressourcengleichheit lässt innerhalb ihrer Grenzen eine ganze Palette von Verteilungsmustern zu, die alle nur gewisse, fest vorgegebene Eigenschaften erfüllen müssen. Zum anderen glaubt er aber auch, dass Dogmen dieser Art nur dazu führen, dass sich Gleichheit nicht als „independent and powerful political ideal“ (Dworkin 1981, 334) durchsetzen kann.

3. Der Vergleich mit anderen Gerechtigkeitstheorien Obwohl Sich Dworkin darüber im Klaren ist, dass er sein Ideal der Ressourcengleichheit bis hierhin noch nicht in allen Details ausgearbeitet und einige wichtige Fragen ausgelassen hat, wie die Verteilung politischer Macht, den Umgang mit Erbschaften oder mit gesellschaftlichem und persönlichem Bewusstseinswandel. Alles Dinge, die bei einer Übertragung des Ideals auf die Realität von großer Bedeutung sind. Dennoch wagt Dworkin einen Vergleich zu vier gängigen Gerechtigkeitstheorien: Wohlfahrtsgleichheit, Utilitarismus, Nozick‘s Anspruchstheorie der Gleichheit und Rawls‘ Gerechtigkeitstheorie. Zum Ideal der Wohlfahrtsgleichheit sieht Dworkin keine verwendbaren Parallelen zu seiner eigenen Theorie. Dieses Ergebnis war zu erwarten, da er sich im ersten Teil seines Aufsatzes ausschließlich damit beschäftigt, die Wohlfahrtsgleichheit ins Abseits zu bringen und auch im hier betrachteten Teil mehrmals auf seine Erkenntnisse aus Teil 1 rekurriert. Die Wohlfahrtsgleichheit lasse keinen Platz für eine anfängliche Auktion oder hypothetische Versicherungsmärkte. Außerdem werde ein interpersoneller Wohlfahrtsvergleich in unangemessen einfacher Art durchgeführt. Zwischen Ressourcengleichheit und Utilitarismus glaubt Dworkin interessante Verbindungen zu sehen, schließlich sei es möglich über eine Auktion sowohl eine nutzenmaximale, als auch eine wohlfahrtsmaximale Verteilung herzustellen. Wichtig ist Dworkin jedoch zu betonen, dass die Verbindung zwischen den Konzepten nur in einer Richtung funktioniert: Eine Verteilung, die gemäß utilitaristischer Maßstäbe erfolgt ist fair, weil sie für Gleichheit sorgt und nicht deshalb, weil die Maximierung des Nutzens oder der Wohlfahrt an sich gerecht wäre. Auch zu Nozick‘s Version von Locke‘s Gerechtigkeitstheorie sieht Dworkin oberflächliche Verbindungen zu seinem Ideal. So benutzt Nozick ebenfalls die Institution des Marktes, jedoch gibt er der Anfangsauktion keinen Raum. Für Nozick ist es egal, wie die Ausgangsbedingungen aussehen, die An19

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

eignung der Ressourcen muss nur gerecht verlaufen sein. Nach dieser ersten (gerechten) Aneignung der Ressourcen müssen noch alle Markttransaktionen gerecht verlaufen, um eine gerechte Verteilung im Sinne Nozick’s zu gewährleisten. Damit schreibt Nozick dem Markt eine „negative and continent“ (Dworkin 1981, 337) Rolle zu. Der Markt beweist im Umkehrschluss, dass eine in aller Vergangenheit niemals auf ungerechtem Wege erreichte Verteilung, nicht selbst ungerecht sein kann. Dies steht im Kontrast zur Rolle, die der Markt bei Dworkin einnimmt: Einerseits wird dem Markt hier eine positive Rolle zugesprochen, da er als angemessenes Werkzeug zur Erreichung von Gleichheit betrachtet wird. Andererseits ist er aber nur ein Werkzeug, dass sich die Gerechtigkeit zu eigen macht. Der Gerechtigkeitstheorie von Rawls widmet sich Dworkin am ausführlichsten. Rawls baut seine Theorie in zwei Stufen auf. Im ersten Schritt beschreibt er einen Urzustand, in dem die Menschen unter einem Schleier der Unwissenheit über die Primärgüterverteilung der künftigen Gesellschaft entscheiden. Mit dem Konstrukt will er herausfinden, wie man zu einer gerechten Gesellschaft kommt. Das Ergebnis dieser Frage kristallisiert sich dann im sogenannten Differenzprinzip. Dieses fordert, dass eine gerechte Gesellschaft eine solche ist, die sich bemüht, die schlechtest Gestellten möglichst gut dastehen zu lassen. Rawls orientiert sich dabei im Gegensatz zu Dworkin nicht am Individuum, sondern an ganzen Gruppen. Er versteht dieses Vorgehen nicht als second best Lösung, die er aus Vereinfachungsgründen wählt, vielmehr gehört die Betrachtung von sozialen Gruppen zu seinem Ansatz. Dworkin sieht relativ wenig Berührungspunkte zwischen den beiden Theorien und versucht daher eher die Stellung der Ressourcengleichheit zu Rawls Ansatz zu verdeutlichen. Während Dworkins Ideal komplex ist, und neben der Primärgüterverteilung noch viele weitere Aspekte berücksichtigt (Talente, Ambitionen, Handicaps), beschränkt sich Rawls auf diese Güterverteilung. Während Dworkin seine ganze Theorie darauf ausrichtet zu erklären was gerecht ist, stellt der Schleier der Unwissenheit bei Rawls nur ein Werkzeug dar, um Gerechtigkeit zu erreichen. Der Schleier im Urzustand könnte also höchstens als Ergebnis die Ressourcengleichheit haben, so wie er in Rawls Ansatz u.a. zum Differenzprinzip führt. In den folgenden Sätzen macht Dworkin das Verhältnis von Ressourcengleichheit und Rawlsschem Urzustand deutlich: „The device of an original position [...] cannot plausibly taken as the starting point for political philosophy. It requires deeper theory beneath it, a theory that explains why the people would choose particular principles in that position, if they would, certifies those principles as principles of justice. The force of the original position as a device for arguments for justice [...] depends, in my view, on the adequacy of an interpretation of equality of resources that supports it, not vice versa.“ (Dworkin 1981, 345)

20

Axel Nordmann

Ronald Dworkin: Gerechtigkeit = Ressourcengleichheit?

4. Schlussbemerkung Vom Konzept der Ressourcengleichheit geht für den Ökonomen eine große Faszination aus. Der Markt wird von Dworkin aus der Ecke der ungerechten Institutionen herausgeholt und als überlegenes Werkzeug zur Schaffung von Gleichheit sogar in den Mittelpunkt einer Gerechtigkeitstheorie gestellt. Dworkin begründet dieses (überraschende) Ergebnis mit der Überlegung, dass Märkte es vermögen, über Preise auch die Kosten transparent zu machen, die ein bestimmter Lebensstil für die anderen Gesellschaftsmitglieder bedeutet. Jeder zahlt für sein Leben den Preis, den es die anderen Menschen kostet. Dies sollte indes nicht dazu verleiten, die negativen Einflüsse der Märkte in der Realität zu leugnen oder zu vergessen. Denn Dworkins Märkte funktionieren nur, wenn in einem Urzustand allen Menschen gleiche Geldmittel zur Verfügung stehen und dann die vorhandenen Ressourcen über eine Auktion gleich verteilt werden. Der von Dworkin angeführte hypothetische Versicherungsmarkt offenbart eine Schwäche von Dworkins Konstrukt, die ihm auch selbst bewusst ist. Er lässt es zu, dass Menschen mit gleichen Ambitionen und Vorstellungen vom Leben, auf Grund unterschiedlicher Talente extrem unterschiedliche Verdienste erlangen, obwohl Dworkin genau dies ausschließen wollte. Dies geschieht zwar nur in Extremfällen, in denen der Einkommensunterschied aus einer starken Abweichung eines Einkommens nach oben resultiert (schlimmer wäre eine Abweichung nach unten, jeweils vom Durchschnittseinkommen betrachtet), dennoch werfen solche Erscheinungen einen dunklen Schatten auf das ansonsten schlüssige Konzept. Diese Schwäche könnte jedoch auch als Stärke interpretiert werden, schließlich resultiert sie aus Dworkins Versuch, das Konzept „alltagstauglich“ zu machen. Ohne die aus pragmatischen Gründen eingeführte einheitliche Durchschnittsprämie würde Dworkins Versicherungsmarkt perfekt funktionieren und er würde nicht in Erklärungsnot kommen. Überhaupt ist ein Konzept sehr sympathisch, das sich eher undogmatisch präsentiert und explizit eine Vielzahl von Verteilungen, die nur gewisse theoretische Anforderungen erfüllen müssen, für gerecht hält. Dworkin rekurriert immer wieder auf die komplexen gesellschaftlichen Gefüge und die vielfältigen Dimensionen des „guten Lebens“ und relativiert damit seine eigenen, technisch-formalen Aussagen, die nur einen theoretischen und institutionellen Rahmen für einen gerechten Gesellschaftsentwurf setzen und in Dworkins Aufsatz entsprechend auch nur zu einer Näherungslösung führen. Angesichts der Tatsache, dass es eine absolute Gerechtigkeit wohl nicht gibt, darf dieses Ergebnis durchaus als Erfolg gewertet werden.

21