Im Gangsterschlitten durch die Ghettos

Die Story // Im Gangsterschlitten durch die Ghettos Schonungslos und tiefschwarz beschreibt Roger Smith in seinen Romanen die Realität der Kap-Metrop...
Author: Gretel Junge
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Die Story // Im Gangsterschlitten durch die Ghettos

Schonungslos und tiefschwarz beschreibt Roger Smith in seinen Romanen die Realität der Kap-Metropole. Die von Bandenkriegen heimgesuchten Cape Flats stehen in krassem Gegensatz zur Postkartenidylle am Meer. Dieter Losskarn begleitete den Südafrikaner – im dunklen Chrysler 300C SRT-8, der beliebtesten Gangsterkarre am Kap Text und Fotos: Dieter Losskarn

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n dem Abend, als sie ausgeraubt wurden, speisten Roxy Palmer und ihr Mann Joe mit einem afrikanischen Kannibalen und seiner ukrainischen Hure.“ Liest man den ersten Satz des zweiten Romans, „Blutiges Erwachen“ von Roger Smith, weiß man sofort, was einen erwartet. Ein knallharter, ungeschönter Krimi, der mal nicht in den USA oder Europa spielt, sondern in Kapstadt, allerdings jenseits der Postkartenidylle. Wer in die trostlosen Cape Flats fährt, die sich kilometerweit vor der Stadt bis zur False Bay ausbreiten, muss Vorsorge treffen. Ein Streifenwagen der SAPS (South African Police Service) begleitet uns ebenso wie ein bewaffneter Leibwächter, der mit Rogers Frau Sumaya im Begleitfahrzeug vorausfährt. Sumaya ist in den Flats aufgewachsen, versteht den Gangster-Slang Sapila – eine schnell gesprochene Mischung aus Englisch, Afrikaans und Zulu – und musste, um dort zu überleben, selbst ein paarmal zur Waffe greifen, um sich gegen Angreifer zu wehren. Wer die zierliche Frau sieht, kann das kaum glauben. „Mit ihr fühle ich mich sicher“, sagt Roger. Und sie lieferte ihm auch einen Großteil der Background-Infos zu seinen Storys.

Irgendwie ein ScheiSSPlan … Meine Idee, für die Spritztour das Auto zu wählen, das in südafrikanischen InternetPolls zur Gangsterkarre Nummer 1 gewählt wurde, kommt mir plötzlich nicht mehr so gut vor. Der sonor vor sich hin brabbelnde, dunkelblaue Chrysler 300C SRT-8 mit den dicken Rädern fällt auf wie ein Rabbi in Mekka. Roger will mir einige Schauplätze seiner Bücher zeigen. Orte der niemals endenden Bandenkriege zwischen Americans und Mongrels. Dutzende von Einschüssen im Wandputz der tristen, grauen Wohnblöcke zeugen davon. In Eureka sieht man noch vereinzelt lachende, rotznasige Kinder. Barfuß. In Hanover Park dann schon nicht mehr. Hier ist die Trostlosigkeit spürbar. Roger erklärt und dekodiert die verblichenen Gang-Graffiti an den Wänden. Die Polizei fährt zurück. Wir wollen eben noch eines der Americans-Wandsymbole in Manenberg näher betrachten. Keine gute Idee. Die verblichene US-Flagge, ErkennungsSymbol dieser Bande, ist noch vage auszu-

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Roger Smith: In seinen Romanen beschreibt er die dunklen Seiten Kapstadts und sagt, bei Gewaltszenen übertreibe er nicht: „Ich untertreibe eher.“

machen. Ich bin am Fotografieren, als Roger sagt: „Ins Auto, sofort, und weg hier!“ Sumaya hatte nur kurz Augenkontakt mit ihm. Wir reagieren schnell. Später, beim Essen in einer anderen Welt, am Meer in Kapstadts glitzernder Waterfront, die Erklärung. Sumaya hatte den GangsterSlang aufgeschnappt. Niemand vermutete, dass sie diesen verstehen würden. Dougie war bereits unterwegs mit den Tools. Werk-

Neben einem Bodyguard sichert auch die Polizei zunächst Reporter Dieter und Autor Roger – doch dann ziehen sich die Beamten zurück 056 motor maniacs 03/2012

Sie wollten unseren Bodyguard erschießen, dann uns entführen. Und unseren Wagen hatten sie schon so gut wie verkauft. Wir hatten noch ein, zwei Minuten …

zeuge, das bedeutet: Waffen. Zuerst sollte der Bodyguard erschossen werden. Das Auto war bereits verkauft. Und die zwei Whiteys (Bleichgesichter) sollten gekidnappt werden. Wir hatten gerade mal ein, zwei Minuten Zeit abzuhauen. Daher die enttäuschten Gesichter mit Handys an den Ohren, als wir aus dem Ghetto herausfuhren.

Es ist Erschreckend real „Was mich ärgert ist, wenn Kritiker sagen, ich würde in meinen Büchern übertreiben – ich untertreibe eher“, sagt Roger nach einem Biss in seine Pizza. Daran habe ich jetzt keinen Zweifel mehr. Roger kommt aus der Filmbranche, kein Wunder also, dass sein Stil nackt und filmisch rüberkommt. Mit einem Hang zu bizarren, erschreckend realistischen Details, die selbst Quentin Tarantinos Filme zu Tatortkrimis degradieren. Also nichts für zarte Gemüter. Was auch auf die Recherchen von Smith zutrifft. Piper, der gnadenlos brutale Gangster aus „Blutiges Erwachen“‚ entstand während einer Reihe von intensiven Interviews mit einem Exsträfling aus den Cape Flats. Das Video, das Roger von ihm gemacht

hat, wo er Lebensbedingungen im Knast und einen heftigen Bandenmord beschreibt, ist auf der Website www.rogersmithbooks.com zu sehen. Wie erwähnt, definitiv nichts für Zartbesaitete. Nur wenige Minuten von Kapstadts City entfernt steht das massive, berüchtigte Pollsmoor Maximum Security Prison. Gebaut für 5000 Häftlinge, hausen hier doppelt so viele Männer. Die meisten von ihnen aus den Cape Flats. Dort liegen die Wurzeln der Gangs. Unzählige primitive, selbst gemachte Tätowierungen zieren die Körper der Sträflinge. Jedes hat eine Bedeutung – Rang, Anzahl der Morde, Status. Hier gibt es einen unbeugsamen Code und eine brutale Disziplin. Was draußen passiert, wird von innen gesteuert. „Kap der Finsternis“ wird in Hollywood verfilmt, mit Samuel L. Jackson als Disaster Zondi – eine gute Wahl. Für „Wake up Dead“ wird ein Drehbuch verfasst. Rogers Bücher verkaufen sich weltweit sehr gut. In Deutschland sind sie Bestseller und in den diversen Krimi-Listen ganz oben. Und die Kritiker

Roger Smith Roger Smith wurde 1960 in Johannesburg geboren und lebt nun mit seiner Frau Sumaya in Thailand. Sein Debütwerk ‚Kap der Finsternis‘ hat 2010 den Deutschen Krimipreis gewonnen. ‚Staubige Hölle‘ war 2011 Spiegelbuch des Monats. Bevor Smith anfing Romane zu schreiben, war er Drehbuchautor fürs Fernsehen. 2007 nahm er sich vier Monate Auszeit, um ‚Kap der Finsternis‘ zu schreiben. Der Rest ist Geschichte. „Das Gute daran ist, ich hatte keinerlei Erwartungen, nachdem der Roman fertig war.“ Roger hat gerade sein viertes Buch – ‚Capture‘ – geschrieben. Es spielt wieder in Südafrika, ist aber mehr ein psychologischer Thriller. Es wird Ende 2012 erscheinen.

überschlagen sich mit Lob: „ein Pitbull von einem Buch“; „ein blutiger, adrenalingesättigter Bilderrausch“; „das bisher brutalste Buch des Frühlings“; „der Tod hängt über dem Land wie die Sonne“; „gegen das Südafrika von dem Roger Smith in ‚Staubige Hölle‘ erzählt, erscheint Dantes Inferno beinahe wie ein lauschiges Plätzchen“. Sein DebütRoman „Kap der Finsternis“ („Mixed Blood“) ist ein hochtouriger literarischer Thriller, der ein knallhartes Bild des derzeitigen Südafrika zeigt. Ein amerikanischer Glücksspieler, der mit seiner hochschwangeren Frau und seinem kleinen Sohn nach Kapstadt geflohen ist, gerät in einen Strudel von Gewaltverbrechen. Sein Gegner ist ein bigotter, rassistischer, korrupter und brutaler Bulle, der selbst wiederum die staatliche Antikorruptionseinheit im Nacken hat. Ein atemloser Showdown führt mitten ins Gangland, in die Cape Flats und die riesigen, labyrinthischen Vorstadtslums.

Roger mit seiner Frau Sumaya. Sie ist in den Cape Flats aufgewachsen und kennt die harten Regeln der Straße

Das zweite Buch „Blutiges Erwachen“ („Wake up dead“) legt nochmals einen Zahn zu. Ein höllisch heißer Sommer in Kapstadt. Das amerikanische Exmodel Roxy und ihr Mann Joe, ein zwielichtiger Waffenhändler, werden überfallen. Joe wird verwundet, und als die schwarzen Gangster mit seinem Auto abgehauen sind, handelt Roxy aus dem Moment heraus und erschießt ihren verhassten Mann. Die beiden Gangster, die nun unter Mordverdacht stehen, schwören Rache. Unverhofft findet Roxy einen Beschützer, den farbigen Expolizisten Billy Afrika, der allerdings seine eigenen Ziele im Visier hat. Und sie alle haben den bereits erwähnten Piper im Nacken, eine der wohl furchterregendsten Romanfiguren der letzten Jahre. Ein liebesbesessener Psychopath, der brutal entschlossen ist, sich das zu holen, was er für sein Eigentum hält, einen jungen, gerade entlassenen Mitgefangenen – seine „Frau“.

In der Welt, in der diese Kinder und Jugendlichen leben, ist nichts in Ordnung und Überleben eine Frage des Glücks. Raub, Mord und andere Verbrechen sind alltäglich, Banden haben die Macht 03/2012 motor maniacs 057

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Kein Liebesbrief an Kapstadt 2011 erschien „Staubige Hölle“ („Dust Devils“), eine atemlose Hetzjagd quer durch ein Land, das von AIDS, Korruption und blutigen Stammesfehden zerrissen ist. Ein weißer Politaktivist und sein rassistischer Vater werden von Jägern zu Gejagten. Roger meint dazu: „In Südafrika, wo die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau vergewaltigt wird, größer ist als die, dass sie lesen lernt, sind die Statistiken von Gewaltverbrechen extrem hoch. Das Land leidet unter heftiger Korruption. 2011 trat Südafrikas ehemaliger Polizeipräsident Jacki Selebi seine 15-jährige Haftstrafe an. Er hatte Bestechungsgelder von der Mafia

angenommen. Vor diesem Hintergrund spielt „Staubige Hölle“. Es ist ein fiktives Werk, aber Kriminalität und Korruption, der Verkauf von jungen Mädchen, die HIV-Epidemie und die daraus resultierenden barbarischen Rituale sind Realität. „‚Dust Devils’ ist mein persönlichstes Buch. Und mein dunkelstes. Es ist kein Liebesbrief.“ Eines ist sicher, wer Roger als Urlaubslektüre im Kapstadtgepäck mitführt, wird bereits beim Anblick eines Oberarm-Tattoos Schweissausbrüche bekommen. Und noch ein Tipp: Nicht mit einem Chrysler 300C SRT8 durch die Cape Flats cruisen.

Chrysler 300 Er ist der wohl bekannteste Fahrer eines Chrysler 300: US-Präsident Barack Obama nutzte bis zu seiner Wahl ins höchste Amt der Staaten eine solche Limousine. Mit der riss er – damals noch als Senator von Illinois – 30.000 Meilen ab. Anfang 2012 wollte die nachfolgende Käuferin den Wagen des berühmten Vorbesitzers verkaufen – für das 150-fache des Listenpreises. Doch eine Million Dollar wollte im niemand für das Auto geben. Auf dem Papier war es schließlich gerade noch 7000 Dollar wert. Kein Wunder, denn nüchtern betrachtet handelte es sich bei dem 300C um einen zwar gut ausgestatteten Wagen, der in Europa zur oberen Mittelklasse zählen würde. Allerdings war das Gefährt auch schon acht Jahre alt. Mit Baujahr 2004 gehörte Barack Obamas Chrysler 300 zu den ersten Modellen der Serie, die offiziell 2005

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startete und ab Herbst 2004 angeboten wurde. Als Nachfolger des Chrysler 300M gebaut und zur New York Auto Show 2003 als Concept Car präsentiert, sah Chryslers Konzept für den Wagen eine luxuriöse Sedan-Serie ebenso vor wie eine SRT-8-Linie, die vor allem sportlichen Fahrern mit Hang zu großen, schweren Autos eine High-Performance-Lösung bieten sollte. Der Heckantrieb ab der ersten Serie unterschied den neuen Chrysler deutlich von seinem Vorgänger 300M. Als Basis nutzte der Hersteller die LX-Plattform, die aus der Verbindung von Daimler und Chrysler herrührt und insbesondere auf die aufwendige Mehrlenkeraufhängung der Mercedes-Benz W210 E-Klasse fußt. Damit sind dem Chrysler nicht die klischeehaft Amerika-typisch schwammi-

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bibliographie Kap der Finsternis (Mixed Blood), 2009, 21,95 Euro (Taschenbuch 8,95 Euro) Blutiges Erwachen (Wake up Dead), 2010, 19,95 Euro (TB 8,95 Euro) Staubige Hölle (Dust Devils) 2011, 19,95 Euro Infos zu den im Klett-Cotta-Verlag erschienenen gebundenen Büchern unter www.klett-cotta.de zu den im Heyne-Verlag veröffentlichten Taschenbüchern unter www.randomhouse.de und zum Autor unter: www.rogersmithbooks.com

gen, sondern solide europäische Fahreigenschaften zueigen – wobei das schwammige Fahrverhalten bei neuen US-Autos ohenhin kaum mehr festzustellen ist. Typisch amerikanisch kommen hingegen nicht nur die Ausmaße sowie das bullige und auf den Chef der konzerneigenen TuningSchmiede SRT, Ralph Gilles, zurückgehende Design im Stil der seit 1955 gebauten Chrysler 300 Letter Serie daher. Bereits in der ersten Generation von 2004 bis 2010 gab es den 300er mit V-Motoren: Kleinster war der 2,7-LiterSechszylinder (ca. 190 PS), gefolgt von einem 3,5 Liter fassenden V6 (ca. 250 PS), dann aber kamen in der Reihe der Aggregate schon die V8-Hemis mit 5,7 und 6,1-Litern. Als Turbodiesel bot Chrysler einen 3-Liter-V6 (ca. 220 PS) an. Die Top-Linie des Chrysler 300, genannt 300C, gab es ab Werk ausschließlich mit dem 5,7 Liter großen und 340 PS starken Hemi, der dank Motorsteuerung vier Zylinder abschalten kann, wenn sie

nicht gebraucht werden. Der SRT-8 brachte das noch größere 6,1-Liter-Aggregat und knapp 430 PS mit. Erhältlich war die erste Serie des Chrysler 300 in diversen Ausführungen, so als Limousine, als Kombi oder als Cabriolet, in Europa verkauft wurde erst ab Ausstattungsvariante 300C. Die zweite Generation des 300 wurde 2011 eingeführt und in Europa als Lancia Thema angeboten – ein Resultat aus dem Zusammenschluss von Chrysler und Lancia auf unserem Kontinent. Im Vergleich zu seinem Vorgänger ist die Form etwas runder, der Kühlergrill ist abgeändert worden und Lampen und Lichter unterscheiden sich vorn und hinten deutlich von denen der ersten Generation. Neben dem bewährten 5,7-HemiV8 für den 300C und dem 3-LiterV6-Diesel greift Chrysler in der Neuauflage auf einen 3,6-LiterPentastar-V6 mit knapp 290 PS für Limousinen und Kombis und einen 6,4-Liter-Hemi-V8 für den 300 SRT-8 mit rund 470 PS zurück.