Tanz durch die Geschichte

24 THEMA: BEWEGEN – TANZEN – GESTALTEN Tanz durch die Geschichte Musikgeschichtliche Entwicklungen vom Mittelalter bis zum Barock franziska günther ...
Author: Hans Krämer
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24 THEMA: BEWEGEN – TANZEN – GESTALTEN

Tanz durch die Geschichte Musikgeschichtliche Entwicklungen vom Mittelalter bis zum Barock franziska günther

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Arbeitsblätter ▲ ▲ ▲ ▲ ▲ ▲

Mittelalter erforschen Spiel auf zum Tanz! Spielmann vs. Kirchenmann Hoftanz und Dorftanz Tanzschriften Die Gaillarde

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HB 5: Rotta HB 6: Pierre Attaignant: Basse danse HB 7: Claude Gervaise: Branle de Bourgogne HB 8: Johann Hermann Schein: Suite Nr. 4 – Gaillard

Hörbeispiele – CD



Dateien – DVD

mittelalter – ohne klang, kein tanz Von der mittelalterlichen Tanzmusik ist wenig überliefert, da es kaum notenschriftliche Zeugnisse gibt. Das ist für SchülerInnen meist überraschend, da „mittelalterliche“ Musik in Filmen, auf Mittelaltermärkten und auf CDs (in der GothicSzene weit verbreitet) präsent ist. Dass es sich hierbei nur um Versuche handelt, eine nach unseren heutigen Vorstellungen mittelalterlich klingende Musik zu erfinden, ist unbekannt. Wie schwierig es ist, gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen, sollen die beiden Texte (siehe Arbeitsblatt „Mittelalter erforschen“) verdeutlichen, in denen auch die Forschungsmethoden erwähnt werden: zum einen die Untersuchung von zeitgenössischen Bildern und literarischen Belegen (z. B. durch die Überlieferungen der Minnesänger, Troubadoure und Trouvères), zum anderen die Analyse von Volksmusik aus Regionen, deren Musiktradition wahrscheinlich über Jahrhunderte wenigen Veränderungen unterzogen wurde.

Lösungsblatt zu „Hoftanz – Dorftanz“ zusätzliches Arbeitsblatt: „Rollenkarten“

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Gesellschafts-Tanz Natürlich gibt es nicht den Tanz, der eine Gesellschaft oder gar eine Epoche widerspiegelt. Es gibt und gab unterschiedliche Anlässe, Tanzformen, kulturelle, soziale, geschlechtsspezifische Unterschiede beim Tanzen. Um das zu verdeutlichen, hilft eine Betrachtung der heutigen Zeit. Was bedeutet Tanz in unserer Gesellschaft? Wo wird getanzt und warum? Eine solche Frage, vielleicht strukturiert durch ein Brainstorming und eine Mindmap zum Thema „Tanz“, eröffnet SchülerInnen bereits ein ganzes Spannungsfeld. „Stan-

dard“-Tanz, Tanz-„Schule“, „Pflicht“-Tanz, schnell finden sich Begriffe, die vom Tanzen als normierter Form der gesellschaftlichen Begegnung künden. Dagegen stehen „Abhotten“, Disco-„Fieber“, „Engtanz“ für ganz andere Motivationen und eine völlig andere Art des Tanzens. „Prima“-Ballerina oder „Spitzen“-Tanz zeugen dann vom Tanz als hochprofessioneller Kunstform. Wie kommt es, dass der Tanz in unserer Gesellschaft in so unterschiedlichen Erscheinungsformen präsent ist? Das lässt sich durch einen „Tanz durch die Geschichte“ ergründen. Dabei bietet der Absatz „Fokus“ jeweils die Möglichkeit, an unsere heutigen Tanzkulturen anzuknüpfen.

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Der Tanz als Spiegel der Zeit, so nannte Walter Sorell seine 1985 erschienene Kulturgeschichte des Tanzes. Dieser Titel ist Leitgedanke für eine Unterrichtsreihe, bei der am Topos Tanz ein großer (musik-)geschichtlicher Bogen vom Mittelalter bis in die Neuzeit geschlagen wird. Denn die Ausdrucks- und Bewegungsformen des Tanzes, seine gesellschaftliche Stellung und normative Reglementierung sowie die zugehörige Tanzmusik verraten viel über Gesellschaft und Kultur einer Epoche. Das zu erfahren ist spannend für SchülerInnen, denn der Topos Tanz bietet die Möglichkeit, etwas Ureigenes, nämlich die Lust an der Bewegung zur Musik, sowohl kognitiv als auch körperlich in ansonsten sehr fernen und fremden Zeitaltern zu entdecken. Im Tanzen lässt sich vieles über eine Gesellschaft erfahren – je nachdem wie reglementiert oder frei, wie kunstvoll oder ungebändigt, wie körperlos oder körperlich ein Tanz geregelt ist. Die Untersuchung von Bildern und Quellen der Zeit und die Analyse der Musik kann diese Erfahrungen bestärken und ein Verständnis für historische Zusammenhänge anlegen, ohne auf deterministische Vorgaben zurückgreifen zu müssen.

Arbeitsblätter als PDF-Datei

Zum Klingen bringen Darf man nun eine Musik, die es nicht gibt, zum Klingen bringen? Mit den Arbeitsblättern „Mittelalter erforschen“ und „Spiel auf zum Tanz!“ könnten sich SchülerInnen dabei auf einen Weg begeben, wie ihn auch die Ensembles für alte Musik beschreiten. Grundlage ist hier eines der sehr seltenen Beispiele notierter Tanzmusik, die in Mensuralnotation überlieferte Rotta (Springtanz) aus dem London Manuskript (siehe Arbeitsblatt „Spiel auf zum Tanz!“), das in Norditalien etwa um 1390 datiert. Und auch ohne das rekonstruierte Instrumentarium eines Konsortiums für alte Musik lässt sich bei einer Gruppenarbeit praktisch handelnd die Frage stellen, wie Forschungsergebnisse klingend umgesetzt werden können. Welches Instrumentarium käme dem Mittelalter am nächsten? Wie klingt eine Begleitung in Quintparallelen oder ein hinzugefügter Bordun? Welche rhythmische Begleitung wäre zu einer Rotta passend? Tanzen Vielleicht lässt sich zu so einer Musik dann ja auch praktisch tanzen und eine Choreografie erarbeiten, angeregt durch eine Formanalyse der Rotta. Diese besteht aus drei jeweils wiederholten Teilen (in der Mensuralnotation mit prima,

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mittelalter – tanz des teufels

renaissance – mein tanz, dein tanz Die großen Umbrüche der Renaissance spiegeln sich auch und gerade in Musik und Tanz, die durch die geistesgeschichtlichen Neuerungen einen viel ungezwungeneren Umgang erfahren. Die Zeugnisse sind zahlreicher, da die Darstellung von weltlichen Szenen nicht mehr verpönt ist, aber auch weil der um 1500 erfundene Notendruck (gedruckt wird vor allem Tanzmusik für die Bürgerhäuser) die Anzahl überlieferter Werke in die Höhe schnellen lässt. Dorftanz – Hoftanz Der Tanz differenziert sich in den Ständen immer weiter aus, es gibt höfischen, bürgerlichen oder bäurischen Tanz, die sich musikalisch und in den Tanzarten unterscheiden, aber auch immer wieder Einfluss aufeinander haben. Das Tanzen wird auch ein Mittel der Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Gruppen, was mit SchülerInnen anhand der Bilder, die ein höfisches und ein bäuerliches Tanzpaar zeigen, entdeckt werden kann (siehe Arbeitsblatt „Hoftanz und Dorftanz“; Lösungsblatt auf der Heft-DVD) – zum Beispiel durch die Sammlung von kontrastierenden Begriffspaaren zu den beiden Szenenfolgen.

Notation Um das Arbeitsblatt „Tanzschriften“ vorzubereiten, kann versucht werden, die selbst entwickelten Tänze zu notieren, was bereits ins Problemfeld der Tanzschriften überleitet. Fokus: Die Betrachtungen bieten Diskussionsstoff, ob eine Abgrenzung gesellschaftlicher Gruppen durch unterschiedliche Arten des Tanzes nicht auch in unserer heutigen Gesellschaft, gerade vielleicht in den Jugendkulturen, zu entdecken ist, und ob sich Adaptionstendenzen finden lassen.



Im Mittelalter wäre die Tanzeslust der SchülerInnen wahrscheinlich einhergegangen mit einem nagenden schlechten Gewissen, denn Tanz galt als lasterhaft, wie die Darstellung eines Dorffestes (s. oben) in seiner Derbheit und mit seinen Unzüchtigkeiten zeigt. Der Tanz war vor allem der Kirche ein Dorn im Auge, wie mittelalterliche Texte belegen (siehe Arbeitsblatt „Spielmann vs. Kirchenmann“). Die Abneigung der Kirche gegen das Tanzen entstand wahrscheinlich aus Abgrenzungsversuchen der christlichen Religion gegen antike religiöse Kulte wie den Dionysoskult. Für SchülerInnen ist das mittelalterliche Denken mit seinen Dogmen, der Körperfeindlichkeit und den alogischen Schlüssen fremd. Umso spannender kann es sein, dieses Denken in einem Rollenspiel nachzuempfinden (siehe Arbeitsblätter „Spielmann vs. Kirchenmann“ und das zusätzliche Arbeitsblatt auf der Heft-DVD „Rollenkarten“). Die SchülerInnen können hier in der Argumentation für oder gegen ein Tanzfest neben der motivierten Quellenarbeit in der Diskussion auch noch andere Felder des mittelalterlichen Denkens entdecken – das Ständedenken, die Rolle der Frau oder die Rolle der Religion im öffentlichen Leben kann mit eingebunden werden. Wichtig ist es,

nach dem Ende des Rollenspiels über die Gefühle beim Spielen zu sprechen, da diese fremde Gefühlswelt auch Unbehagen auslösen kann. Vorbereitung: Einteilung der SchülerInnen in die Gruppe der Kirchenleute, der Bürger und der Spielleute; Erstellen der eigenen Rolle anhand der Rollenkarten und der Hintergrundinformationen; Überlegen einer Gesprächsstrategie und Sammeln von Argumenten: Auf in den Disput im großen Ratssaal von Choream! Fokus: Vielleicht lassen sich auch heute Beispiele für Tanzverbote finden (z. B. christlich-religiös motiviert an Karfreitag, in vielen Discotheken noch heute eingehalten, religiös-fundamentalistisch im rigorosen Tanz- und Musikverbot im Afghanistan der Taliban-Milizen).



secunda, tertia pars gekennzeichnet), wobei die Teile jeweils beim ersten Mal „offen“ (aperto) enden, bei der Wiederholung „geschlossen“ (chiuso). Zu diskutieren wäre, ob die Form nicht eigentlich nur zweiteilig empfunden wird, weil der „secunda pars“ nur zwei weitere Schlüsse zum ersten Teil liefert. Interessant kann auch ein Vergleich der eigenen musikalischen Ergebnisse mit dem Hörbeispiel 5 sein, einer Verklanglichung der Rotta vom Ulsamer-Collegium. Die Melodie wird hier von einer Schalmei gespielt, in der Wiederholung kommt eine Flöte dazu. Hinzugefügt wurde ein Bordun durch tiefe Fideln und eine rhythmische Begleitung mit Trommeln und Schellen.

Tanzstil Daneben können durch die Darstellung auch Rückschlüsse auf die Art der Tänze und der Tanzschritte gezogen werden: Das höfische Paar bewegt sich (schon allein der Kleider wegen) wohl sehr gemessen und schreitend, die Bauern hüpfen und springen. Das lässt auch Rückschlüsse auf die erklingende Musik zu, die analog dazu kontrastierend dargestellt werden könnte (z. B. langsam – schnell, gleichmäßiger, schreitender Rhythmus – starke Betonungen, hüpfender Rhythmus). Während jedoch die höfische Tanzmusik gut dokumentiert ist, gibt es keine musikalischen Zeugnisse der ländlichen Musik. Es lassen sich aber Vermutungen anstellen anhand der zahlreichen Abbildungen von Dorfszenen und Dorffesten und über die dokumentierten schnellen höfischen Tänze, die wahrscheinlich zum Großteil ihren Ursprung in volkstümlichen Melodien haben. Die strikte Trennung der Stände scheint wohl in Musik und Tanz durch gegenseitige stilistische Beeinflussung nicht so streng gewesen zu sein, wie in den Bildern dokumentiert. Mit SchülerInnen kann man das aufdecken, indem man sie zu den Bildern auf dem Arbeitsblatt „Hoftanz und Dorftanz“ Tänze ausarbeiten lässt. Man lässt sie dazu zwei unterschiedliche höfische Tanzmusiken (HB 6-7) anhören, ohne diese zunächst zu kommentieren. Die SchülerInnen werden auf einen höfischen und einen bäuerlichen Tanz tippen. Erst zum Schluss kann aufgelöst werden, dass es sich bei der „dörflichen“ Musik auch um eine „adelige“ handelt (HB 6: Basse danse von Pierre Attaignant [1530], ein Schreittanz, bei dem die Füße am Boden [„basse“ – unten] bleiben; HB 7: Branle de Bourgogne von Claude Gervaise [1550], ein gesprungener Tanz, der aus dem Volkstanz übernommen wurde, wie der Beisatz „de Bourgogne“ verrät.)

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renaissance / barock – pieds croisé = beine verknotet? Ein freies Tanzen, wie es die SchülerInnen zu den Hörbeispielen getan haben, gar das Ausdenken von Schritten und Schrittfolgen, hätte es in der Renaissance bei Hofe und in den Bürgerhäusern wohl nicht gegeben. Mit der Verbreitung von Tanzmusik durch die Druckereien werden die ersten Tanzschriften entwickelt, die die Tanzschritte zu den Noten gleich mitliefern. Ganze Traktate werden zum „richtigen“ Tanzen verfasst, der Beruf des Tanzmeisters boomt. Während die Tänze immer strengeren Regeln unterworfen sind, ist in der Musik meist keine Besetzung festgelegt, man erfreut sich an „frischen“ Melodien: „Newe ausserlesene Paduanen, Gaillarden, Canzonen, Allmand und Coranten, auf allen Instrumenten lieblich zu gebrauchen“ (oder zu singen) werden von den Verlegern in großer Zahl auf den Markt gebracht. Im Arbeitsblatt „Tanzschriften“ finden sich zeitgenössische Versuche, Tänze und Choreografien zu notieren. Es zeigt sich, dass das Tanzen in seiner Komplexität ungemein schwierig zu dokumentieren ist und dass einige Parameter detaillierter, andere weniger genau notiert sind. SchülerInnen können hier entdecken, dass der englische Tanzmeister Kellon Tomlinson in seiner Darstellung der Sarabande sehr genau die Bewegungen der Arme und Beine notiert sowie die korrekte Körperhaltung und die Raumwege; die Noten sind unwichtig an den Bildrand gedrängt. Deutlich erkennbar ist die dem barocken Ästhetikempfinden angepasste absolute Symmetrie der beiden Tanzenden. (Der Tanz wurde natürlich nicht von zwei Männern getanzt: Es sind zwei Tanzmeister, die abgebildet sind.) Für besonders tanzfreudige SchülerInnen: Eine ausführliche Anleitung, die Sarabande zu tanzen, findet sich in Karl Heinz Taubert: Höfische Tänze. Ihre Geschichte und Choreographie (Mainz 1968, S. 110 ff.). In der Abbildung aus der Orchesographie von 1588, einer der ersten Tanzschriften überhaupt, wird der Grundschritt einer Gaillarde erläutert. Hier wird Wert gelegt auf eine rhythmische Genauigkeit der Schritte und die richtige Ausführung der Beinbewegungen. Über Choreografie erfährt man an dieser Stelle aber nichts, auch nicht, ob und wie der Tanz als Paar getanzt wird. Es ist interessant, hier mit heutigen Tanzschriften zu vergleichen, wie im Arbeitsblatt „Die Gaillarde“ dargestellt, das sich direkt mit den Aufzeichnungen aus der Orchesographie vergleichen

lässt. Hier kann man erkennen, dass sich heutige und damalige Aufzeichnungen in vielem gleichen. In der praktischen Umsetzung der Gaillarde (HB 8, ein eher langsames Beispiel) wird sich zeigen, wie anspruchsvoll und schnell dieser Tanz ist. Es bedurfte also für die damaligen Tänzer vieler Übung und guter Kondition (gerade bei den schweren Kleidern). Nicht umsonst war ein wichtiger Grund zu tanzen der der Leibesertüchtigung. Deshalb ist es natürlich erlaubt, als heutiger Schüler an einem solchen Schritt zu scheitern. Denn genau die Frage, wo die besonderen Schwierigkeiten des Gaillardenschritts liegen, lenkt den Blick auf die Musik. Neben dem hohen Schritttempo stellt der Sprung auf Zählzeit 5 des 6/8-Takts und die damit verbundene ungewöhnliche Betonung die größte Schwierigkeit dar. Hier ist die Akzentuierung dieser Zählzeit in der begleitenden Musik von großer Hilfe. Das können die SchülerInnen beim Musizieren/Singen einer eigenen Gaillarde (Arbeitsblatt „Die Gaillarde“ unten) umsetzen, während die Tanzenden derweil eine tanzende Formanalyse erarbeiten. Eine Gruppenarbeit wie hier vorgeschlagen gibt die Möglichkeit, dass tanzbegeisterte SchülerInnen einen anspruchsvollen Renaissancetanz erarbeiten können, die „Tanzmuffel“ sich jedoch musizierend mit der Gaillarde auseinandersetzen.

barock: tanz in schönster ordnung – ein ausblick Doch woher kommt dieser Drang, das Tanzen zu reglementieren und immer weiter zu verkomplizieren, der sich im Barock noch verstärkt? Das lässt sich auch mit SchülerInnen überlegen. Da ist zum einen der Aspekt, dass es seit der „Wiederentdeckung des Körpers“ in der Renaissance beim Tanzen auch um Körperertüchtigung geht. Den Körper zu stärken und ihn in Perfektion zu beherrschen ist daher ein nicht zu verachtender Motor für den Tanz dieser Zeit. Zum anderen dient der Tanz der gesellschaftlichen Ordnung: Ein schwieriger Tanz lädt nur diejenigen ein mitzutanzen, die ihn beherrschen, und schließt andere aus. Gerade im Barock mit seinem allumfassenden Ordnungsprinzip muss auch jede Geste des Tanzenden geordnet sein, jede Bewegung möglichst eine Symmetrie ergeben, wie barocke Bilder von Tanzenden zeigen. Es findet sich noch eine andere Einflussgröße im Barock: die Zentrierung auf den absolutistischen Herrscher, der im Mittelpunkt steht. Gerade für Ludwig XIV., den Sonnenkönig, der seinen berühmten Beinamen

als Tänzer der Sonne im Ballett de la Nuit erhielt, und auch für Queen Elisabeth I., die „tanzende Königin“, wurde der Tanz bei Hofe ein Mittel zur Demonstration von Macht, ein weiteres interessantes Forschungsfeld für SchülerInnen. Am Hofe Ludwigs XIV. sind auch die Ursprünge des heutigen Balletts mit seinen professionellen TänzerInnen zu finden.

weiter tanzen? Der Tanz durch die Geschichte muss natürlich hier nicht enden, er lässt sich bis in die heutige Zeit fortsetzen, an den Entwicklungen des Balletts, im Menuett- oder Walzertakt, anhand all der Tänze, die irgendwann zu absoluter Musik wurden. Es ist aber ebenso spannend, frühere Zeiten und außereuropäische Tanzformen zu untersuchen. Dazu können sich beispielsweise Forschungsgruppen bilden (möglicherweise in Zusammenarbeit mit dem Fach Geschichte), die unterschiedliche Epochen tanzgeschichtlich untersuchen können und in Form von Präsentationen vorstellen/vortanzen. Mögliche Themen: Tanz im alten Ägypten: Die ikonografischen Darstellungen aus dem alten Ägypten lassen bereits Rückschlüsse auf kultisch-ästhetische Vorgaben des Tanzes zu, allerdings nicht über die Musik der Zeit. Tanz in der griechischen Antike: In der griechischen Antike hatte die Tanzkunst einen zentralen Stellenwert im gesellschaftlichen Leben, wovon wiederum zahlreiche Darstellungen künden, die sogar eine Klassifizierung unterschiedlicher Tanzformen ermöglichen.* Tanz im alten Rom: Hier ist vor allem der Tanz als Teil von Theateraufführungen dokumentiert. Tanz in außereuropäischen Kulturkreisen: Zu diesem Themenkomplex lassen sich je nach Interessenlage und möglicherweise in der Schülerschaft repräsentierten Migrationshintergründen weitere Referate vergeben. Die türkische Tanzkultur kennt im Gegensatz zur deutschen noch echte Volkstänze, die von breiten Schichten gekannt, getanzt und weitergegeben werden. Dazu kommt die Tradition der Sufi, bei denen der Tanz eine religiös-ekstatische Bedeutung hat.

* Literatur zum Tanz in der Antike: Dahms, Sibylle (Hg.): Tanz, Reihe MGG Prisma, Kassel 2001, daraus die Kapitel „Tanz im Alten Ägypten“, S. 37-39, „Antike griechische und römische Tanzkunst“, S. 40-50; Musikgeschichte in Bildern, Band II, Lieferung 1 (Ägypten), Lieferung 4 (Griechenland), Lieferung 5 (Etrurien und Rom).

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Mittelalter erforschen Es ist sehr schwierig, etwas über mittelalterliche Tanzmusik zu erfahren. Hier zwei Aussagen von Forschern zu mittelalterlicher Tanzmusik:

„Die Spielleute haben ihre Stücke im allgemeinen nicht aufgeschrieben, vielmehr improvisierend vorgetragen. Ikonographische Zeugnisse (vorwiegend Miniaturen) zeigen uns die Musikanten nicht nur als Einzelspieler mit Fidel, Sackpfeife, Schalmei, mit Flöte und Trommel, mit Schellen und Päuklein, sondern auch im Zusammenspiel. Wahrscheinlich wurde, wie man es noch heute in traditioneller Volksmusik etwa in Südspanien, in Griechenland oder auf dem Balkan hören kann, die von einem Hauptspieler vorgetragene Melodie improvisierend ausgeziert, in Quinten- und Oktavparallelen begleitet oder durch liegende Borduntöne gestützt.“ Andreas Holschläger im Booklet zur CD Tanzmusik, Archiv Produktion

Zwei Musiker, Miniatur aus „Cantigas de Santa Maria“, 13. Jahrhundert

„In vielen Dichtungen der Troubadoures und Trouvères entdeckt man Beispiele dafür, wie der Vortragende sein Publikum mit einem im Augenblick erfundenen Tanz, einer Estampie oder eines Saltarello, erfreute. Auf nahezu allen Darstellungen kirchlicher und weltlicher Festlichkeiten findet sich eine kleine Gruppe von Instrumentalisten, meist mit Laute, Harfe, Fidel, Flöte, Orgel, Schalmei und Perkussionsinstrumente. Trotzdem ist es sehr schwierig definitiv zu sagen, wie diese Instrumente gespielt und eingesetzt wurden. [...] Eine praxisorientierte bzw. instrumentenspezifische Musik wurde nicht dokumentiert.“ Marco Ambrosini und Michael Posch: Einführung in die mittelalterliche Musik, Reichelsheim 42001, S. 52

Worterläuterungen: Bordun: durchgehaltener Basston / Basstöne Estampie: Stampftanz Ikonographisch: bildhaft Sackpfeife: Dudelsack Saltarello: Springtanz Troubadour, Trouvère: Minnesänger, mittelalterlicher Dichter

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1. 2. 3.

Lest die Aussagen der Forscher und notiert, was man heute über mittelalterliche Tanzmusik weiß und was unklar ist. Woher haben die Forscher ihre Erkenntnisse? Mittelalterliche Tanzmusik, wie man sie in Filmen sieht, auf Mittelaltermärkten hört und auch auf CD kaufen kann, ist immer nur eine heutige Idee, wie Musik im Mittelalter geklungen haben könnte. Findet Beispiele in Filmen oder auf CDs und überlegt anhand der Erkenntnisse oben, wie „mittelalterlich“ diese Tanzmusik wirklich ist.

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Spiel auf zum Tanz! Lamento de Tristano und Rotta aus dem London Manuskript, zwei der seltenen schriftlichen Dokumente von mittelalterlicher Tanzmusik, aufgeschrieben in Norditalien um 1390. Der Komponist ist unbekannt. Die Art der Notation nennt man Mensuralnotation.

lamento de tristano /rotta aus dem lexikon: Rotta: Mittelalterliche Bezeichnung für einen Nachtanz*, der gesprungen bzw. gehüpft ausgeführt wird und in schnellem Tempo steht. *Der Nachtanz folgt auf einen langsamen, geschrittenen Vortanz.

übertragung rotta

1

prima pars

Die Rotta beginnt beim Doppelstrich in der dritten Zeile. Nebenstehend eine Übertragung in heutige Notenschreibweise:

aperta

2

3

chiuso

secunda pars aperta

4

chiuso

!

1. 2.

tertia pars

1

2

aperto

chiuso

Bei den überlieferten Noten handelt es sich um einstimmige Melodien ohne Angaben zu Begleitung, spielenden Instrumenten oder den Regeln des dazu getanzten Tanzes. Versucht mit den Noten der Rotta und den Informationen der Mittelalterforscher eine mittelalterlich klingende Tanzmusik zu spielen. Entwerft zur Musik einen passenden Tanz. Als Hilfe könnt ihr die oben angegebene Information aus einem Tanzlexikon nehmen.

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Spielmann vs. Kirchenmann Verehrte Kirchenleut, Bürgerinnen und Bürger, ihr Spielleut, wägt die Argumente gut und disputiert über das Tanzfest in unserer Stadt! „Der Spielmann“ von Israel van Meckenem

MITTELALTERLICHE QUELLEN „Hier ist zu mercken: tantzen ist in vierlei weise totsünde: a. zum ersten so eine geordnete geistliche Person offentlich tantzt, als münch, nunnen und pfaffen etc. [...] b. zum andern male wan eins tantzt zu messezyt oder zu andern ziten, so man zu andacht in der kirchen by dem dinst gotes sölte sin. c. zum dritten so man tantzt in kirchen, in kirchhöfen oder in anderen wichtigen steten, do man got unere herbuet und der heiligen stat. d. zum vierten als von leiblichs lustes und unkeuscher begierde wegen, oder man unzuchtige geberde hat mit griffen, umhelsen etc. oder unzimlicher meynungen zu bosen gelusten, mit unzuchtigem uffspringen, sich entblößen, dadurch man hermanet wird zu fleischlicher begirde.“ Predigt aus dem 14. Jahrhundert

„Chorea enim circulus est, cuius centrum est diabolus.“ – „Dieser Tanz (Reigen) ist ein Kreis, dessen Zentrum der Teufel ist.“ Jacques de Vitry († 1240) nach einem Ausspruch des Kirchenvaters Augustinus ( ~ 350-430 n. Chr.)

„Tanzende frouwen und bueblyn sollen im fegefuer harren.“

Ambrosius (14. Jahrhundert)

Spielmann mit Familie auf Wanderung, um 1520

NEUZEITLICHE QUELLEN ZUR STELLUNG DES TANZES „Seit den Kirchenvätern wurden bestimmte Arten von Musik oder der Tanz, die Musiker selbst und ihre Instrumente verteufelt. [...] Besonders grimmig wird immer wieder die Tanzmusik und der Tanz verteufelt. [...] Träger der Tanzmusik sind im Mittelalter die Spielleute. Sie vor allem werden darum immer wieder dem Teufel zugeordnet. Mit den Spielleuten werden auch ihre Werkzeuge, die Musikinstrumente, gerne verteufelt. Die negative Bewertung ist durch die Kirchenväter gestiftet. Ausgangspunkt sind dabei die mit Instrumentalmusik reich ausgestatteten spätantiken Kulte. Doch auch bis ins Mittelalter hineinreichende heidnische Kulte (Hexentanz, Veitstanz) sollen durch die Verteufelung von Tanz gebannt werden.“ Hammerstein, Reinhold: Die Musik der Engel. Untersuchungen zur Musikanschauung des Mittelalters, München 1962, S. 111 f.

„Die Spielleute, die Fahrenden, die neben mehreren Instrumenten oft unterschiedlichste Künste beherrschten, waren durch ihre Mobilität in einer Zeit ohne Massenmedien wichtige Nachrichtenübermittler. [...] Sie befriedigten das Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung und ‚Kurtzweyl‘ und trugen so wesentlich zum sozialen Frieden bei. Daß sie als ‚Unbehauste‘ nicht an die gesellschaftlichen Regeln gebunden waren, versetzte sie in die Lage, mit Normen und Personen ihren Spott zu treiben, wie es sich niemand erlauben konnte. [...] Besonders die Kirche stand den Aktivitäten der Spielleute negativ gegenüber. Sie lehnte jede Form von Vergnügen ab, sah eine Gefahr des negativen Einflusses der Spielleute auf ihr Publikum, befürchtete eine Erweichung der göttlichen Ordnung, nach der jeder Mensch seinen vorgeschriebenen Platz hatte.“ Ambrosini, Marco und Michael Posch: Einführung in die mittelalterliche Musik, Reichelsheim 2001, S. 11

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Hoftanz und Dorftanz Holzschnittserie von Christoph Murer, vor 1600: Hoftanz und Dorftanz

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1. 2. 3. 4.

Bei den Bildern handelt es sich um Holzschnitte aus dem 16. Jahrhundert, die ein höfisches und ein dörfliches Paar beim Tanz darstellen. Ordnet die Bilder. Die beiden Bilderserien sind sehr kontrastreich und unterschiedlich dargestellt. Findet Gegensätze und notiert sie in der Tabelle. Versucht, euch wie die Tanzenden zu bewegen und überlegt, welche Eigenschaften eine passende Tanzmusik dazu haben müsste. Überlegt, warum der Maler die beiden Paare so unterschiedlich dargestellt hat.

Höfisches Paar

Bäuerliches Paar

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Tanzschriften

Zwei Tanzmeister zeigen die Schritte einer Sarabande (aus „The Art of Dancing“, Kellon Thomlinson 1724)

Grundschritt der Gaillarde (aus: Thoinet Arbeau: Orchesographie 1588/89)

Ruade l (Hufschlag links)

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1. 2.

Grue l (Grundschlag links)

Positur r

Pied croisé (Füße kreuzen)

Betrachtet die drei alten Tanzschriften. Notiert jeweils, was man daraus über den Tanz erfährt und was dem aufschreibenden Tanzmeister eher unwichtig war. Versucht, die aufgezeichneten Tanzschritte/die Choreografie umzusetzen. Was ist euch verständlich, was bereitet Probleme oder lässt sich nicht umsetzen?

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Die Gaillarde Es wird in Paaren getanzt, die ersten zwei Takte Reverenz (Verbeugung) zum Partner, dann kann der Grundschritt in unterschiedliche Richtungen ausgeführt werden. Zählzeit: Schritt:

1 links

2 rechts

3 links

4 rechts

5 hüpf

6 links

1 rechts

2 links

3 rechts

4 links

5 hüpf

6 rechts

Erläuterung: links: Schritt vor, linkes Bein, rechts: Schritt vor, rechtes Bein, hüpf: Hüpfer (Damen), hoher Sprung (Herren) Heutige Tanzschrift Gaillarde (aus: Karl Heinz Taubert: Höfische Tänze, Mainz 1968)

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1. 2. 3.

Vergleicht die heutigen Tanzschriften mit denen aus Renaissance und Barock. Hört euch das Musikbeispiel (eine eher langsame Gaillarde) an und versucht dazu den vereinfachten Grundschritt auszuführen. Stellt euch vor, dazu in einem höfischen Gewand zu stecken. Tauscht euch über eure Erfahrungen aus. Untersucht, wie die Musik die Tanzschritte unterstützt.

gaillarde (paris 1530)

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1.

2.

Gruppenarbeit: Musiker: Musiziert/singt die Gaillarde mithilfe der Arbeitsergebnisse aus dem ersten Teil so, dass sie die Tanzschritte unterstützt. Tänzer: Analysiert die Form der Gaillarde und erarbeitet eine mit der Form korrespondierende Choreografie mit dem Tanzschritt aus dem ersten Teil. Plenum: Präsentiert die Arbeitsergebnisse aus der Gruppenarbeit und führt sie in einer gemeinsam musizierten und getanzten Gaillarde zusammen.