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Hessisches Polizeiund Ordnungsrecht Systematische Darstellung examensrelevanten Wissens von Dr. Urs Kramer

Aktualisierung Rechtsstand 2006

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© 2006 Deutscher Gemeindeverlag GmbH und Verlag W. Kohlhammer Verlagsort: Stuttgart Gesamtherstellung: Deutscher Gemeindeverlag GmbH Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Nachdruck, auch auszugsweise, verboten – Alle Rechte vorbehalten Recht zur fotomechanischen Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages Buch-Nr. G 0/613 ISBN 3-555-01338-6

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Vorwort zur Aktualisierung

Das Mitte 2004 erstmals erschienene Lehrbuch ist auf eine gute Resonanz gestoßen. Auch heute erhält der Autor immer noch Zuspruch, hilfreiche Hinweise und konstruktive Kritik aus dem Kreis der Leserschaft, wofür er sich herzlich bedankt. Durch die am 01.01.2005 in Kraft getretene Novelle des HSOG (vgl. dazu die Neubekanntmachung des Gesetzes vom 14.01.2005, GVBl. I S. 14; zu den amtlichen Gesetzesbegründungen, auf die nachfolgend zum Teil Bezug genommen wird, LT-Drs. 16/2352 und 3170; kritisch zu der Novelle Kramer, Verwaltungsrundschau 2005, 186 ff. m. w. N.) sowie einige weitere Rechtsänderungen (unter anderem das so genannte Kommunalisierungsgesetz von 2005) sind allerdings seitdem vom Gesetzgeber nicht unwichtige Veränderungen am hessischen Polizeiund Ordnungsrecht vorgenommen worden, die bei Erscheinen des Buches noch nicht abzusehen waren. Verlag und Autor haben sich daher entschlossen, das Buch mit Hilfe eines Beilegers auf den aktuellen Gesetzesstand zu bringen. In dem Beileger sind alle relevanten Änderungen in neu gefasster Form unter den bisherigen Randnummern abgedruckt. Zusätzlich sind die Änderungen auf der Internetseite des Verlages – www.kohlhammer.de – hinterlegt und können dort ebenfalls abgerufen werden. Die im Lehrbuch enthaltenen Fälle lassen sich fast ausnahmslos auch unter der Geltung des neuen Polizei- und Ordnungsrechts unverändert lösen; lediglich in zwei Fällen ergaben sich Veränderungen. Zur besseren Übersichtlichkeit werden nachfolgend die wesentlichen Rechtsänderungen zum 01.01.2005 stichpunktartig aufgeführt. Der Autor dankt seinen Lesern für das bisherige Feedback. Mit der Bitte um weitere (hoffentlich positive, aber gerne auch kritische) Stimmen aus diesem Kreis an die im Buch auf Seite V genannte Adresse wünsche ich ein ertragreiches Arbeiten mit dem aktualisierten Werk. Marburg, im August 2006

Urs Kramer

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Übersicht über die wichtigsten Änderungen des HSOG zum 01.01.2005

in neuer Randnr.

Norm

Inhalt der Änderung/Bewertung

§§ 3 II, 30 V

Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen usw. künftig wie bei repressiver Behördentätigkeit.

§ 13 III

Neue Definition der „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ – aber 153 weiterhin ist die Bestimmtheit der Norm fraglich.

§ 13 VII 2

Definition der verdeckten Datenerhebung – Reaktion auf BVerfG; das ist „juristisches Neuland“ (betrifft auch den Ersatz der §§ 15 VII, VIII, 16 III, 17 VII durch §§ 27, 29 und die Anpassung der §§ 21 III 3, 26 V 2, 27 II, III 2, VI 1, VII 2, 29).

§ 14 III, IV

Verweis auf § 15 HDSchG → damit ist nunmehr der gleichzeitige gemeinsame Betrieb von Videoüberwachungsanlagen durch die Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden möglich.

§ 14 V

Neues Instrument: Kennzeichenlesegeräte – Problem der Erhe- 169a bung und Verwertung von Daten Dritter („Bewegungsprofil“).

§ 14 VI

Zum Selbstschutz der Polizeibehörden haben diese nun die Mög- 169b lichkeit zur Bildbeobachtung bei Identitätsfeststellungen.

§ 15 II 1 Nr. 2 Statt Katalogtaten lautet das Tatbestandsmerkmal nun ebenfalls 171 „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ (vgl. dazu oben § 13 III). § 15 IV 1

Neues Verwertungsverbot für „Erkenntnisse aus dem Kernbereich 172a privater Lebensgestaltung“ (→ Reaktion auf BVerfG).

§ 15 VI

Ausnahmen von den strengen Vorgaben bei besonders qualifizier- 173 ten Gefahren für die im Einsatz befindlichen Personen.

§ 15 a

Neue Instrumente der präventiven Telefonüberwachung und des 174 so genannten IMSI-Catchers zum Schutz vor besonders qualifizierten Gefahren für eine Person (insbesondere Suizid; nicht für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten).

§ 18 II Nr. 1

Identitätsfeststellung an gefährlichen Orten unter anderem für die 179 Ausübungsorte der Prostitution erweitert – Problem, dass die Prostitution 2001 durch das Prostitutionsgesetz legalisiert wurde.

§ 19 III

Zulassung der DNA-Analyse bei unter 14-jährigen „Straftätern“ als 184a Lückenschluss zum Bundesrecht (StPO, DNA-FeststellG).

§§ 24, 25 I 1

Automatisierter Abruf personenbezogener Daten wird für weitere 190 f. Behörden möglich. 5

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Norm

Inhalt der Änderung/Bewertung

§ 31 II 5

Unterrichtungspflicht des Amtsgerichts an Gefahrenabwehr- und 198 Polizeibehörden über Maßnahmen nach dem GewaltschutzG.

§ 34 III 4

Bildübertragung zur offenen Beobachtung einer festgehaltenen 205 Person (etwa in der Zelle) ist bei Erforderlichkeit möglich.

§ 38 VI

Betretungsrecht für Wohnungen besteht ohne richterliche Geneh- 216 migung bei Anhaltspunkten dafür, dass dort Straftaten „im Gang“ sind, bei einem verbotenen Aufenthalt von Ausländern oder bei Ausübung der Prostitution (vgl. dazu § 18 II Nr. 1).

§ 55 IV

Reiz- und Betäubungsstoffe gelten jetzt als Waffen; andere (weni- 254 ger gefährliche) Waffen können durch Verwaltungsvorschrift zugelassen werden – Problem der Bestimmtheit der Norm.

§ 58 III 2

Die Androhung des Schusswaffengebrauchs ist gegenüber einer Menschenmenge teilweise entbehrlich.

§ 60 II 2

Neues Instrument des finalen Rettungsschusses zur Abwehr quali- 255 fizierter Gefahren für Leib oder Leben einer Person – Konflikt mit Art. 2 II 1 GG (Art. 19 II GG).

§ 67

Die Verjährung der Ausgleichsansprüche nach §§ 64 ff. wird an das BGB (vgl. § 199 BGB n. F.) angepasst.

§ 77 II

Die Einziehung einer Sache als Nebenfolge einer Ordnungswidrigkeit kann in einer Gefahrenabwehrverordnung vorgesehen werden.

§ 85 II 1, IV

Eine neue Organisationsstruktur der Ordnungsbehörden ist möglich: Sie können gemeinsam für mehrere Gebietskörperschaften gebildet werden; ständige Vertreter des Bürgermeisters können dauerhaft für bestimmte Teilaufgaben zuständig werden.

§ 99 I 1

Die Bezeichnung der Hilfspolizeibeamten in den Kommunen als bloße „Ordnungspolizeibeamten“ ist möglich – Konflikt mit Art. 33 GG?

§ 100 III

Maßnahmen einer örtlich unzuständigen Ordnungsbehörde sind mit Billigung der an sich örtlich zuständigen sind zulässig.

§§ 102, 103

Regelungen über die Amtshandlungen „fremder“ Polizeidienstkräfte in Hessen und Amtshandlungen hessischer Polizeidienstkräfte in anderen Bundesländern (entsprechende Korrespondenznormen in anderen Bundesländern sind nötig, um z. B. Gefangenentransporte oder Abschiebungen einfacher abwickeln zu können).

§ 115 II

Neue Befristung des HSOG auf wiederum fünf Jahre – sinnvoll?

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zu Rn. 15

zu Rn. 20 Rechtsschutz gegen Polizeimaßnahmen in folgender Situation

Bei präventivem Polizeihandeln zur Gefahrenabwehr

Bei repressivem Polizeihandeln zur Strafverfolgung

Die Maßnahme dauert noch weiter an.

Anfechtungsklage, §§ 42 I, 113 I 1 VwGO

Antrag nach § 28 I 1 EGGVG bzw. § 98 II 2 StPO (direkt oder analog)

Die Maßnahme ist schon erledigt.

Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 I 4 VwGO (ggf. analog)

Antrag nach § 28 I 4 EGGVG oder § 98 II 2 StPO analog (streitig)

Es geht um die Beseitigung der Folgen.

Anfechtungsklage mit Annexantrag, § 113 I 2, 3 VwGO

Antrag nach § 28 I 2, 3 EGGVG bzw. Antrag auf Aufhebungsbeschluss 7

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zu Rn. 44

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Zuständige Behörden für die Gefahrenabwehr

Gefahrenabwehrbehörden

allgemeine Verwaltungsbehörden

Sonderordnungsbehörden

allgemeine Ordnungsbehörden

Polizeibehörden (Polizeidienststellen)

Landesbehörden

Gemeindevorstand bzw. Magistrat, Kreisausschuss; §§ 82–84 HSOG

von Bund oder Land; außerhalb der allgemeinen Verwaltung; § 90 HSOG

Bürgermeister, Oberbürgermeister oder Landrat – Regierungspräsidium – Ministerium; §§ 85–89 HSOG

Polizeipräsidium – Ministerium (zweistufig); §§ 91 ff. HSOG, PolOrgVO

I § 2 S. 3 HSOG mit Spezialgesetz, z.B. Landrat, Regierungspräsidium → präventiv

I §§ 1 I 1, 2 S. 2 und 3 HSOG: sonstige Aufgaben der Gefahrenabwehr (Regelfall) → präventiv

I §§ 1 I 1, 2 S. 1 I §§ 1 I 1, 2 S. 1 I §§ 1 I 1, 2 S. 1 HSOG: Eilfall37 HSOG: Eilfall37 HSOG: Eilfall37 → präventiv → präventiv → präventiv

AUFGABEN

WER

besondere Verwaltungsbehörden

I § 1 II HSOG mit Spezialgesetz, z.B. untere Bauaufsicht, § 60 HBO → präventiv

I früher z.B. Gewerbeaufsichtsamt, später dann staatliches Amt für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik → präventiv

I § 1 II HSOG mit Spezialgesetz, z. B. §§ 35, 36 I Nr. 1 OWiG → repressiv Fachaufsicht38

WEISUNG

Polizeibehörden

begrenzte Fach- Fachaufsicht aufsicht; §§ 83 f. HSOG i.V.m. §§ 137 ff. HGO, § 54 HKO auch für Einzelweisungen; § 140 HGO: Ersatzvornahme

I §§ 1 II, 89 I 1, 113 II 1 HSOG, ZuwVO → präventiv I §§ 1 II, 89 I 2 HSOG mit Spezialgesetz, z.B. StVR-VO → präventiv

I § 1 II HSOG mit Spezialgesetz (meist Bundesrecht, z.B. StPO) → repressiv I § 1 IV HSOG (sehr weit) → präventiv

I §§ 1 II, 89 I 2 HSOG mit Spezialgesetz, z.B. § 35 OWiG → repressiv

I §§ 1 V, 44–46 HSOG: Vollzugshilfe → präventiv

Unbegrenzte Fachaufsicht auch gegenüber dem Bürgermeister/Landrat („Organleihe“); § 87 I HSOG: Einzelweisungen möglich; § 88 II 1 HSOG: Selbsteintrittsrecht

Umfassende Fachaufsicht (§ 97 HSOG); kein Selbsteintrittsrecht

Als Wiederholung zu Rn. 15 ff. sind die repressiven Aufgaben fett markiert. 37 Dazu näher unten Rn. 49. 38 Zu den Begriffen der Fach- und der Rechtsaufsicht und den daran anknüpfenden rechtlichen Folgen, z. B. zu der Reichweite des Aufsichtsrechts, vgl. nur Schmidt, S. 151 f. m.w.N.

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Für die allgemeinen Verwaltungsbehörden ergeben sich demgegenüber die 46 schon oben erwähnten Besonderheiten aus der Tatsache, dass es sich hierbei um Behörden der aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgegliederten kommunalen Gebietskörperschaften handelt, denen im Hinblick auf ihre Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 GG und Art. 137 HV ein besonderer Status zukommt. Die diesen Behörden zugewiesenen Aufgaben sind – kommunalrechtlich gesehen – allerdings (vgl. § 82 I HSOG) Weisungsaufgaben im Sinn der §§ 4 I HGO, 4 I HKO und nur ganz selten Selbstverwaltungsaufgaben (so aber z.B. der örtliche Brandschutz bzw. die Feuerwehr, da diese Gefahrenabwehraufgabe „in der Gemeinde wurzelt“39). Daher wirkt hier der oben genannte verfassungsrechtliche Sonderstatus der Kommunen nicht in vollem Umfang. Besonderheiten ergeben sich daraus aber dennoch: Die Kommunalparlamente haben in diesem Bereich (anders als bei reinen Auftragsangelegenheiten, s. noch unten Rn. 48 zu den Ordnungsbehörden) nach §§ 50 II HGO, 29 II HKO gewisse Kontroll- und Informationsrechte, da es sich letztlich doch um eine (wenn auch oft weisungsgebunden zu erfüllende) „Aufgabe der Gemeinde“ handelt. Die Aufsichtsbehörden und deren Mittel bestimmen sich dabei nach den §§ 83 HSOG, 137 ff. HGO, 54 HKO. Zudem enthält § 84 HSOG ein speziell normiertes Weisungsrecht, das auch Einzelweisungen zulässt und präziser als dasjenige in § 4 HGO normiert ist, wenngleich es diesem faktisch entspricht. Etabliert wird damit im Ergebnis eine so zu bezeichnende „begrenzte Fachaufsicht“. Eine Weisung ist dabei kein Verwaltungsakt und von der angewiesenen allgemeinen Verwaltungsbehörde bzw. ihrem kommunalen Rechtsträger anders als bei „reinen“ Selbstverwaltungsangelegenheiten, die dem besonderen Schutz der genannten Verfassungsnormen unterfallen, nicht rechtlich angreifbar. Die aufgrund einer Weisung gegenüber dem Bürger erlassene Verfügung bleibt ein Verwaltungsakt der angewiesenen Behörde, geht es hier doch gerade nicht um einen Fall der kommunalen Selbstverwaltung; die Amtshaftung kann indessen aber sowohl die anweisende als auch die angewiesene Behörde treffen.40 2. Die Ordnungsbehörden Auch bei den Ordnungsbehörden kommt den in § 90 HSOG normierten Sonder- 47 ordnungsbehörden jedenfalls für den Lernenden keine große Bedeutung zu. Sie stehen nach der gesetzlichen Definition außerhalb der allgemeinen Verwaltung. Es kann sich dabei sowohl um Bundes als auch um Landesbehörden handeln. Ihre Aufgaben werden ihnen durch Spezialgesetze zugewiesen.41 Für die Praxis viel wichtiger sind die allgemeinen Ordnungsbehörden. Sie erfül- 48 len auf kommunaler Ebene so genannte Auftragsangelegenheiten (§ 85 I 2 HSOG 39 Vgl. dazu das Hessische Gesetz über den Brandschutz, die Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz (HBKG) mit eigenen Befugnisnormen für die dort genannten Behörden. Zur Qualifikation der hiervon erfassten Aufgabe als Selbstverwaltungsangelegenheit vgl. § 2 II HBKG. 40 Das ist jedoch streitig: S. einerseits Pausch, S. 66 f. (beide können haften), und andererseits Hornmann, § 83 Rn. 8 m.w.N. (nach außen nur eine Maßnahme der angewiesenen Verwaltungsbehörde). 41 Als Beispiel zu nennen waren hier etwa die im Zug der Neuordnung der Gewerbeaufsichtsverwaltung 1993 in Hessen eingerichteten Staatlichen Ämter für Arbeitsschutz und Sicherheitsschutz. Mittlerweile wurden sie allerdings in die Regierungspräsidien integriert. Weitere Behörden finden sich bei Meixner/Fredrich, § 90 Rn. 3 f.

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i.V.m. §§ 4 II HGO, 4 II HKO). Für sie folgt das Weisungsrecht der übergeordneten Behörde aus §§ 86 f. HSOG. Es ermöglicht unbeschränkt Einzelweisungen, so dass insoweit eine unbegrenzte Fachaufsicht auch gegenüber dem Bürgermeister als Teil der Gemeinde und seit In-Kraft-Treten des so genannten Kommunalisierungsgesetzes 2005 ebenfalls gegenüber dem Landrat als Organ des Kreises besteht. Teilweise wird diese Konstruktion daher auch als „Organleihe“ bezeichnet,42 obwohl dieser Terminus nicht richtig passt. Bei einer begrifflich exakteren Bestimmung handelt es sich bei dem Vollzug des Polizei- und Ordnungsrechts durch den Bürgermeister als Organ der Gemeinde und den Landrat als Organ des Kreises nämlich nicht um eine Organleihe im eigentlichen Sinn, sondern eben (nur) um eine Auftragsangelegenheit im kommunalrechtlichen Verständnis.43 Der Bürgermeister bzw. Landrat wird damit zwar für die Landesverwaltung, aber als Gemeinde- bzw. Kreisorgan tätig, so dass im Streitfall auch die Gemeinde bzw. der Landkreis als Rechtsträger(in) des Organs „Bürgermeister“ bzw. „Landrat“ Klagegegner ist.44 Vor dem Hintergrund, dass es sich beim Vollzug des HSOG durch die Ordnungsbehörden um einen Fall der (reinen) staatlichen Auftragsverwaltung handelt, haben die Kommunalparlamente hier im Unterschied zur Situation bei den Verwaltungsbehörden (oben Rn. 46) keine Einwirkungsmöglichkeiten. § 88 HSOG begründet für die Aufsichtsbehörden ferner ein so genanntes Selbsteintrittsrecht, das wie das Einzelweisungsrecht der Effizienz und Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs dient. Erfolgt ein solcher Selbsteintritt der Weisungsbehörde und handelt beispielsweise der Landrat für den Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde, so werden die darauf gestützten Maßnahmen dem Rechtsträger der eintretenden Behörde – im Falle des Landrats also dem Landkreis (vgl. § 86 I Nr. 3 HSOG) – zugerechnet. Wichtig (allerdings praktisch selten relevant) ist, dass das Selbsteintrittsrecht „in beide Richtungen“ besteht, so dass auch die untere an Stelle der höheren Ordnungsbehörde handeln kann, wenn die Voraussetzungen des § 88 HSOG vorliegen. Was die Organisation betrifft, lässt § 85 II Nr. 1 HSOG neuerdings die Bildung gemeinsamer Ordnungsbehördenbezirke auch über Gemeindeund Kreisgrenzen hinweg zu. Zudem ermöglicht es § 85 IV HSOG jetzt, für den (Ober-)Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde ständige Vertreter aus dem Kreis der Beigeordneten (vgl. §§ 39a ff. HGO) mit einer speziellen Zuständigkeit jeweils für verschiedenartige Aufgaben der Ordnungsbehörden zu ernennen. 3. Die Polizeibehörden 50 Die Polizeibehörden sind streng hierarchisch, dabei allerdings nur zweistufig46 aufgebaut (vgl. § 91 II, III HSOG). Bei ihnen besteht ein umfassendes Weisungsrecht nach unten (§ 97 HSOG), aber kein Selbsteintrittsrecht. Dessen bedarf es wegen der strengen Hierarchie auch nicht. 42 So etwa Pausch, S. 40 m.w.N.; in diese Richtung auch Kopp/Ramsauer, § 4 Rn. 10. 43 In diesem Sinn Maurer, § 21 Rn. 54 ff.; ähnlich Schmidt, S. 16 f. Der VGH Kassel, ESVGH 21, 74 ff., spricht von einer „besonderen Weisungsangelegenheit“. Dazu passt, dass für Aufsichtsmaßnahmen gegen den Bürgermeister nicht § 4 HGO, sondern weiter gehend § 87 HSOG Anwendung findet. 44 Dieses Ergebnis gilt auch für den Oberbürgermeister einer kreisfreien Stadt. Problematischer war die Situation vor dem so genannten Kommunalisierungsgesetz, als der Landrat einerseits als Behörde des Kreises, andererseits aber – so beim Vollzug des HSOG – auch „als Behörde der Landesverwaltung“ tätig werden und damit „ianusköpfig“ agieren konnte (vgl. die a. F. der Rn. 48).

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Weiter gehende Befugnisse, das heißt hier weniger „strenge“ Erhebungsgründe 153 für personenbezogene Daten, finden sich für die Polizeibehörden in § 13 II HSOG. Dabei wurde der in Nr. 1 und 2 gebrauchte Begriff der „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ bei der letzten Gesetzesänderung in § 13 III HSOG neu definiert. Erfasst werden nunmehr alle Verbrechen (§ 12 I StGB) sowie die hinreichend gewichtigen Vergehen aus einer im Einzelnen näher bestimmten Fallgruppe. Obgleich dieses Tatbestandsmerkmal damit etwas „griffiger“ als zuvor geworden ist, bleibt es letztlich auch weiterhin relativ unbestimmt. Der Gesetzgeber stellt zur Begründung der Änderung darauf ab, der bisher etwa in den §§ 15–17 HSOG gebrauchte Katalog von Straftaten, deren (drohende) Begehung eine Erhebung personenbezogener Daten rechtfertigte, sei unpraktikabel. Trotzdem verbleiben Zweifel daran, ob im Bereich der Eingriffsverwaltung derart „schwammige“ Begriffe zu tolerieren sind. Der Polizei wird insoweit außerdem zumindest teilweise ein Einschätzungsspielraum zugebilligt.117 Bei Straftaten minderer Bedeutung greift im Übrigen zwar § 13 I Nr. 3 HSOG über die durch jede Straftat begründete Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Allerdings stellt dieser Datenerhebungsgrund auch wieder höhere Anforderungen, weil er eine Gefahr statt der bei Abs. 2 Nr. 1 und 2 ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte verlangt. Der bei der letzten Gesetzesänderung neu eingefügte § 14 V HSOG enthält das 169a Instrument der Kennzeichenlesegeräte, die es ermöglichen, mittels mobiler oder stationärer Geräte vorbeifahrende Kraftfahrzeuge anhand ihrer Kennzeichen zu „identifizieren“ und mit dem vorhandenen Datenbestand abzugleichen. Die ermittelten Daten nicht „befahndeter“ Fahrzeuge sind sofort zu löschen. Ermittelt werden sollen so z. B. gestohlene Kennzeichen oder Kraftfahrzeuge. Außerdem möchte der Gesetzgeber die Begehung weiterer Straftaten mit gestohlenen Fahrzeugen verhindern. Damit dient das Instrument der vorbeugenden Bekämpfung von so genannten Anschlusstaten. Nach der Gesetzesbegründung sollen die polizeilichen Kontrollen so wesentlich effizienter werden, da der Datenabgleich nun auch zur Sachfahndung möglich sei. Überdies trage der Einsatz entsprechender Geräte im Rahmen automatisierter Verfahren zur Freisetzung bislang gebundener personeller Ressourcen und damit zur personellen Entlastung der Polizei bei. Bedenken gegen dieses Instrument erwachsen jedoch daraus, dass, um ein Ausweichen der Betroffenen auf nicht überwachte Straßen zu verhindern, schlimmstenfalls eine flächendeckende Überwachung möglich bzw. sogar nötig sein könnte. Eine derartige Situation kommt den von George Orwell eindrücklich skizzierten „Big-Brother“-Szenarien durchaus nahe. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob ein solches Überwachungsinstrument überhaupt geeignet ist, gestohlene Kennzeichen oder Fahrzeuge zu „ertappen“. Denn es ist davon auszugehen, dass die betreffenden Straftäter regelmäßig vorsichtig genug sein werden, um nicht in diese „Fallen“ zu fahren. Soweit mit der Einführung von Kennzeichenlesegeräten überdies der Zweck einer effizienteren Verfolgung von Straftaten, insbesondere im Bereich des Fahrzeugdiebstahls intendiert ist, sind mit Blick auf die für die Strafverfolgung bestehende konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 71, 74 I Nr. 1 GG, von der dieser mit der StPO erschöpfend Gebrauch

117 So jedenfalls Pausch, S. 166.

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gemacht hat, auch Zweifel an der Zuständigkeit des HSOG-Gesetzgebers angezeigt. Schließlich wird, selbst wenn der Gesetzgeber in der Begründung der Norm betont, nur Kennzeichen im aktuellen Fahndungskatalog würden von den Lesegeräten überhaupt angezeigt, Kritik daran laut, dass mit den Kennzeichenlesegeräten eine kaum zu kontrollierende Missbrauchsgefahr verbunden sei, weil ohne weiteres „Bewegungsprofile“ der einzelnen Autofahrerinnen und Autofahrer erstellt werden könnten. 169b Der ebenfalls neu gefasste § 14 VI HSOG ermöglicht es der Polizei nunmehr, zum Selbstschutz in nach außen erkennbarer Weise Identitätsfeststellungen an öffentlich zugänglichen Orten mittels Videokamera zu beobachten und aufzuzeichnen. Die Neuregelung stellt eine Reaktion auf Vorfälle in der Vergangenheit mit zum Teil tödlichem Ausgang für Polizisten dar. Es erscheint vor diesem Hintergrund nachvollziehbar, dass Schulungen von Polizeibeamtinnen und -beamten allein nicht ausreichen und die Videoüberwachung einerseits der Abschreckung, andererseits der Beweissicherung dient. Insofern ergänzt § 14 VI HSOG die bereits bestehenden Befugnisse der Polizeibehörden nach § 36 III HSOG (unten Rn. 214) zur Durchsuchung einer Person bei einer Identitätsfeststellung. Dabei ist allerdings sicherzustellen, dass die nach S. 3 der neuen Vorschrift gebotene Löschung der Daten nach ihrer Zweckerreichung (also vor allem nach Nichtbegehung einer Straftat bei der Identitätsfeststellung, gegebenenfalls aber auch im Fall der Begehung nach Wegfall ihrer Beweisbedürftigkeit) tatsächlich erfolgt, handelt es sich doch im Regelfall um die Daten unbescholtener Dritter. 4. Die Datenerhebung durch Observation und den Einsatz technischer Mittel, § 15 HSOG 170 § 15 I HSOG enthält die Legaldefinition und damit zugleich den Anwendungsbereich der Norm für die Observation – diese erfolgt offen oder verdeckt und bezieht sich nicht nur auf ein Objekt wie z.B. ein Haus, sondern auf eine Person – und den Einsatz technischer Mittel. Letzterer wird verdeckt vorgenommen und beschränkt sich nicht lediglich auf die Nutzung eines Fernglases. Er stellt den so genannten in Art. 13 IV, V GG erwähnten kleinen Lauschangriff dar, der nur für die Landespolizeibehörden und nur präventiv zulässig ist, während sich der „große“ nach Art. 13 III GG i.V.m. §§ 100a ff. StPO beurteilt und für repressive Zwecke z.B. auch durch den Generalbundesanwalt angewandt werden darf.134 Geringere Eingriffe, die etwa kürzer andauern, fallen dagegen nicht unter § 15 HSOG. 171 Die Vorschriften der § 15 II–VIII HSOG enthalten dann, abgestuft nach der verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeit, die genauen Eingriffsvoraussetzungen und den Personenkreis, gegen den vorgegangen werden kann.135 Dabei wird in § 15 II 1 Nr. 2 HSOG seit der letzten Gesetzesnovelle die Datenerhebung nicht mehr an den bisherigen Tatbestandskatalog, sondern nun ebenfalls an das 134 Zur Verfassungsmäßigkeit des „großen“ Lauschangriffs unlängst BVerfG, DVBl. 2004, 557 ff. 135 Nach BGH, NJW 2003, 3693 ff. = DÖV 2004, 217, ist dieses Instrument allerdings restriktiv anzuwenden. Andernfalls kann eine auf die so gewonnenen Erkenntnisse gestützte Haft eine Amtspflichtverletzung darstellen. Vgl. zudem für einen anschaulichen Fall der Datenerhebung unter weitgehend paralleler Rechtslage im Saarland OLG Zweibrücken, DÖV 2003, 824 f.

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in § 13 III HSOG neu definierte Merkmal der „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ geknüpft (dazu oben Rn. 153). Das stellt die Rückkehr zu einer Regelung aus dem Jahre 1990 dar. Der Gesetzgeber begründet diesen (Rück-)Schritt damit, die Polizei erhalte so den notwendigen Spielraum für die gebotene Beurteilung, ob der Rechtsfrieden hinreichend erheblich gefährdet sei. Außerdem werde auf diese Weise die wünschenswerte Flexibilität für neue Kriminalitätsformen bzw. Delikte geschaffen. Die (verfassungs-)rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die ausreichende Bestimmtheit dieses Merkmals wurden bereits im Kontext des § 13 III HSOG näher erläutert. Deutlich werden die unterschiedlichen Eingriffsmöglichkeiten an folgendem Beispiel: Ein Polizist mit einem Mikrofon am Körper trifft sich in einer Kneipe mit einem „Großdealer“. § 15 II 1 Nr. 2 HSOG erlaubt die Datenerhebung beim Dealer selbst, denn hier liegt eine „Straftat mit erheblicher Bedeutung“ vor; die Nr. 3 der Vorschrift gilt für mögliche Begleiter des Dealers und § 15 II 3 HSOG für die übrigen Kneipengäste. Denkbar ist für Letztere aber auch ein Abstellen auf § 15 VI 1 HSOG (s. unten Rn. 172), da der Polizist das Gespräch verborgen aufnehmen muss, um selbst sicher zu sein, und dabei dann zwangsläufig auch die anderen Gäste „belauscht“. Die Vorgaben des § 15 IV HSOG für die Datenerhebung nach dieser Vorschrift in 172 Wohnungen sind im Hinblick auf Art. 13 IV GG erforderlich, wobei S. 2 i.V.m. § 38 VII HSOG, der das Betretungsrecht für Geschäftsräume während der Geschäftszeit regelt (dazu noch näher in Rn. 216), dem stärkeren Schutz für Wohnungen im engeren Sinn (vgl. die weite Definition in § 38 I HSOG) Rechnung trägt. Für das Betreten einer Wohnung müssen nämlich außerdem die Voraussetzungen des § 38 HSOG vorliegen, es sei denn, z.B. ein Richtmikrofon wird lediglich von außen in die Wohnung eingebracht (also ohne sie zu betreten). § 15 IV 2 HSOG begründet neuerdings ein Verwertungsverbot für „Erkennt- 172a nisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung“. Diese Neuregelung war notwendig geworden, nachdem das BVerfG den absoluten Schutz dieses Kernbereichs für das Strafrecht explizit festgestellt hatte.135a Der Landesgesetzgeber hat diese Erkenntnisse auf das HSOG übertragen. Allerdings kann das dabei erzielte Ergebnis nicht voll überzeugen. So erscheint es schon fragwürdig, wenn die Abweichung von der Rechtsprechung des BVerfG damit begründet wird, das Gefahrenabwehrrecht diene im Unterschied zu den verfassungsrichterlich geprüften und wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde der Betroffenen für nichtig befundenen Strafrechtsnormen dem Schutz der Menschenwürde des Gefährdeten. Die Datenerhebung mit den Mitteln des § 15 HSOG mag im Einzelfall zum Schutz des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einzelner Personen erfolgen. Dass damit immer auch deren Menschenwürde als höchstes Gut bedroht wird, ist hingegen nicht ohne weiteres eingängig. Hier hat sich der Landesgesetzgeber offenbar von gar nicht betroffenen und zu „gewichtigen“ Werten leiten lassen, was möglicherweise auch das Ergebnis seiner Güterabwägung beeinflusst hat. Im Übrigen begegnet es Bedenken, dass nur ein Verwertungs-, nicht aber bereits ein Erhebungsverbot aufgestellt wurde. Auch nach eigenem Eingeständnis betritt der Landesgesetzgeber hier „juristisches Neuland“, weil eine Ab135a BVerfGE 109, 279 ff.; dazu etwa Kötter, DÖV 2005, 225 ff.

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hörmaßnahme nicht abgebrochen werden muss, sondern nur ihre Ergebnisse unverwertbar sind, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt wird. Begründet wird das damit, dass eine effiziente Abwehr drohender Gefahren anderweitig nicht möglich sei. Eine parallele Diskussion wird übrigens bei repressiven Abhörmaßnahmen im Zug des „großen Lauschangriffs“ geführt. Dort erscheint ein Verwertungsverbot jedoch auch leichter praktikabel, denn kann man etwa von einem Polizeibeamten ernsthaft erwarten, dass er eine Gefahr (etwa für das Leben eines Menschen), von der er im Zusammenhang mit Abhöraktionen im Kernbereich privater Lebensgestaltung erfahren hat, nicht abwehrt, sondern sie sich realisieren lässt? Das ist weniger realistisch als die Nichtverwertung bestimmter Äußerungen in einem von Richtern nach der Tatbegehung geleiteten Strafprozess gegen den Täter. Ein gewisses Gewicht kommt allerdings dem praktischen Einwand zu, dass bei einem Abschalten der Abhörgeräte in regelmäßigen Zeitabständen doch wieder in den (möglichen) Kernbereich privater Lebensgestaltung „reingehört“ werden muss, um zu erfahren, ob dieser nicht zwischenzeitlich schon wieder „verlassen“ wurde. Das erscheint aber jedenfalls als geringerer und noch leichter tolerierbarer Eingriff in das betreffende Grundrecht als das ununterbrochene „Dauerlauschen“. 173 Zu beachten ist ferner noch der Richtervorbehalt nach § 15 V HSOG, der Konsequenz der verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 13 IV GG ist. Eine ähnliche Regelung gibt es für die Telefonüberwachung in §§ 100a f. StPO und hinsichtlich des Postgeheimnisses im so genannten Gesetz zu Art. 10 GG. Weiterhin enthält § 15 VI HSOG Sondervorschriften zum Selbstschutz in besonderen Gefahrensituationen. Diese Vorschrift wurde ebenfalls unlängst neu gefasst und legt nunmehr fest, dass bei besonders qualifizierten Gefahren für die im Einsatz befindlichen Personen die Vorschriften der Abs. 2 – 5 nicht für das Abhören gelten. Auch hier passt der Landesgesetzgeber das geltende Gefahrenabwehrrecht an die Rechtssprechung des BVerfG (oben Rn. 172a) zur StPO an. § 15 VII HSOG nimmt Radargeräte etc. vom Anwendungsbereich der Norm aus. Die Vorgaben des § 15 VIII HSOG schließlich dienen (nur) der parlamentarischen Normeffizienzkontrolle. Ihre Beachtung ist damit keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine auf § 15 HSOG gestützte Maßnahme.136 174 Eine völlige Neuregelung ist ferner § 15a HSOG zur präventiven Telefonüberwachung bei besonders qualifizierten Gefahren für eine Person (Abs. 1 und 2) sowie zum Einsatz des so genannten IMSI-Catchers (International Mobile Subscriber Identity, eine mobile Basisstation für Mobilfunk, mit deren Hilfe eine bis auf 50 m exakte Lokalisierung von Mobiltelefonen ermöglicht wird; Abs. 3). Nachdem bislang streitig war, ob bereits § 15 HSOG eine präventive Telefonüberwachung zuließ, hat der hessische Gesetzgeber dieses Instrument mit der letzten Gesetzesnovelle explizit in den Katalog der Standardmaßnahmen aufgenommen, es dabei aber nicht zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, sondern nur zur Rettung von Menschenleben zugelassen. Die Eingriffsvoraussetzungen orientie-

136 Eine ähnliche Regelung findet sich auch in Art. 13 VI GG für die Bundesebene. S. ferner allgemein zu den Kompetenzkonflikten mit den Behörden des Verfassungsschutzes bei der präventiven Wohnraumüberwachung Baldus, NVwZ 2003, 1289/1291 ff.

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ren sich an den strengen Vorgaben für die Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken nach § 15 IV HSOG (oben Rn. 172). Der Gesetzgeber möchte die präventive „TÜ“ ebenso wie den IMSI-Catcher als Instrumente der polizeilichen Hilfe insbesondere bei angekündigten Suiziden verstanden wissen. Allerdings stellt sich hier das allgemeine polizeirechtliche Problem, ob ein freiverantwortlicher Suizid die Polizei überhaupt zum Eingreifen berechtigt (dazu schon Rn. 106). Im Übrigen ist auch das Verhältnis zwischen diesen beiden neuen polizeilichen Instrumenten nicht geklärt (können beide nebeneinander angewendet werden oder ist eines vorrangig?). Schließlich wohnt auch ihnen eine nicht zu unterschätzende Missbrauchsgefahr in einem äußerst grundrechtsintensiven Bereich inne, so dass hier präzisere gesetzliche Vorgaben zu ihrer Anwendung wünschenswert wären.137 5. Die Datenerhebung durch V-Personen und verdeckte Ermittler, § 16 HSOG Bei der Betrachtung des § 16 HSOG ist zunächst zwischen V- und VE-Personen 175 zu unterscheiden. V-Personen sind so genannte „Polizeispitzel“, die laut § 16 I HSOG nicht in einem Dienstverhältnis zur Polizei stehen, während VE-Personen (verdeckt ermittelnde Personen) nach § 16 II HSOG Polizeibeamte unter einer veränderten Identität, der so genannten Legende, sind. Beide Gruppen können verschiedene „Opfer“ haben, wobei § 16 II HSOG für die VE insofern weiter ist, als dass danach bei besonders qualifizierten Gefahren oder Straftaten mit erheblicher Bedeutung nach § 15 II 1 Nr. 2 HSOG auch unmittelbar (ohne Anwendung des § 15 II 1 Nr. 1 HSOG) Nichtstörer herangezogen werden können (mithin ohne dass sie selbst Taten begehen müssen). § 16 I HSOG verweist demgegenüber für die V-Personen auf § 15 II 1 HSOG, so dass Dritte nur bei besonders qualifizierten Gefahren nach Nr. 1 betroffen sein können, was sonst nur für die (vermeintlichen) Täter gilt. Im Hinblick auf Art. 13 GG ist auch das Betreten fremder Wohnungen problema- 176 tisch. V-Personen haben dazu nach dem HSOG als „Nicht-Polizisten“ überhaupt kein Recht. Für VE-Personen finden sich für die Wohnungsbetretung und -durchsuchung hingegen Sonderregeln in § 16 IV HSOG, die insoweit statt § 38 HSOG zur Anwendung kommen, wenn der Berechtigte wegen der Legende einwilligt. So kann beispielsweise die mit Zustimmung des Eigentümers errichtete Legende des „Hausverwalters“ einer VE-Person das Betreten der Mietwohnung ermöglichen. Ohne Kenntnis des Hauseigentümers existiert dagegen noch gar keine solche nutzbare Legende; dann gilt § 16 IV 2 HSOG. Wurde die wahre Identität der VE-Person (also ihre Eigenschaft als Polizist) aufgedeckt, beurteilt sich ihr Handeln wieder nach den allgemeinen Regeln des HSOG. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit lässt § 16 III 1 HSOG den Einsatz von 177 V- und VE-Personen zur Datenerhebung nur als ultima ratio zu. Straftaten der

37 Das BVerfG (DVBl. 2005, 1192 ff.) hat unlängst die Verfassungswidrigkeit der noch schärferen niedersächsischen Vorschriften zur „TÜ“ festgestellt, so dass hier allerdings ohnehin noch weitere Rechtsänderungen möglich erscheinen. Zum präventiven Rechtsschutz gegen „TÜ-Maßnahmen“ BVerfG, NVwZ 2004, 1228.

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V-Personen sind wie „normale“ Straftaten zu behandeln, für verdeckte Ermittler sind sie nur im Rahmen des § 16 III, IV HSOG zulässig, so etwa nach § 16 III 3 HSOG die legale „Passfälschung“. Die „hohe“ Zuständigkeit für die Entscheidung über den Einsatz von V- und VE-Personen nach § 16 V HSOG soll deren leichtfertigen Missbrauch verhindern. Eine Aufklärungspflicht für die Betroffenen nach dem Einsatzende findet sich in § 29 VI, VII HSOG (unten Rn. 193).138 6. Die polizeiliche Beobachtung, § 17 HSOG 178 Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung in Dateien ist beispielsweise für Personalien und Kfz-Kennzeichen zur Überwachung bzw. zur Meldung des Antreffens unter bestimmten Voraussetzungen, die im Einzelnen § 17 II HSOG bestimmt, für präventive Zwecke zulässig. So kann etwa ein Dealer zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben werden, weil zu erwarten ist, dass er weiterhin dealt. Die nachfolgenden Maßnahmen, wenn eine Person nach § 17 HSOG angetroffen wurde, deckt diese Norm jedoch nicht mehr (vgl. § 17 III HSOG). Hier kommen dann die jeweils einschlägigen Spezialvorschriften zur Anwendung. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit dienen die Vorgaben in §§ 17 IV–VI, 29 VI, VII HSOG (zu letzterer Vorschrift nochmals in Rn. 193), die näher regeln, wer die Beobachtung anordnet, wie lange eine solche Maßnahme läuft und wann ihre Ergebnisse zu löschen sowie der Betroffene zu unterrichten ist. 7. Die Identitätsfeststellung, § 18 HSOG 179 Die Identitätsfeststellung nach § 18 HSOG dient wieder nur der Gefahrenabwehr (vgl. schon oben Rn. 18) und ist häufig überhaupt erst die Voraussetzung für die Einleitung weiterer behördlicher Maßnahmen. Die Identität verweist auf die Personalien, die in § 111 OWiG definiert sind (zur Wahrheitspflicht in diesem Zusammenhang schon oben in Rn. 148). Zweck der Maßnahme ist die Feststellung der Identität unbekannter Personen und der Identitätsabgleich, der meist aber bei der Strafverfolgung vorgenommen wird. § 18 I HSOG erfordert in seinem ersten Anwendungsfall, der Gefahrenabwehr durch die Gefahrenabwehr- oder Polizeibehörden, eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Abs. 2, der nur für die Polizeibehörden gilt, verlangt hingegen regelmäßig weniger: Seine Nr. 1 regelt die „präventive Razzia“, bei der aber immer dann, wenn dazu eine Wohnung betreten wird, noch zusätzlich die Vorgaben des § 38 HSOG zu prüfen sind. Die Neufassung dieser Norm lässt seit der letzten Gesetzesnovelle präventive Razzien unter erleichterten Voraussetzungen zu. Nunmehr genügt es, wenn sich eine Person an einem Ort aufhält und aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist (bisher musste es „erfahrungsgemäß anzunehmen“ sein), dass dort Personen Straftaten (bislang bedurfte es solcher „mit erheblicher Bedeutung“) verabreden, vorbereiten oder verüben (vor der Novelle musste die Identitätsfeststellung zusätzlich zur Verhinderung solcher Straftaten geeignet erscheinen), sich Personen ohne die erforderlichen Aufenthaltstitel treffen (neu), sich

138 Dazu und zu der denkbaren Einschränkung dieser Auskunftspflicht VGH Mannheim, NVwZRR 2003, 843 f.

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Straftäterinnen oder Straftäter verbergen (schon zuvor im Gesetz), oder an diesem Ort Personen der Prostitution nachgehen (neuer Tatbestand). Begründet wird die Erweiterung der polizeilichen Befugnisse damit, dass das VG Frankfurt/Main zuvor in einem Fall die Identitätsfeststellung von Prostituierten in einem Bordell mangels Rechtsgrundlage nicht gebilligt hat.138a Daher wurde § 18 HSOG auch insoweit dem Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz des Bundes und der Länder angepasst. Allerdings begegnet insbesondere der letzte Anwendungsfall des Abs. 2 Nr. 1 vor dem Hintergrund, dass mit dem Prostitutionsgesetz von 2001 die Ausübung des „ältesten Gewerbes der Welt“ legalisiert wurde, erheblichen Bedenken, wird es doch nun kraft Polizeirechts wieder an den Bereich der Kriminalität herangeführt. Denn eine Identitätsfeststellung ohne eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder eine zumindest vergleichbare Gefahrenlage erscheint unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern nicht zumutbar. Eine Anwendung der Norm auf Prostituierte, die sich nichts zuschulden kommen lassen haben (und nicht in großen Bordellen tätig sind, wo häufiger Verstöße etwa gegen das Ausländerrecht festgestellt werden), erweist sich folglich als mit dem vorrangigen Bundesrecht kaum vereinbar (vgl. Art. 31 GG). Dem durchaus nachvollziehbaren Anliegen des Gesetzgebers wäre auch gedient gewesen, wenn die Identitätsfeststellung auf Fälle gesetzlich nicht erlaubten Aufenthalts von Ausländerinnen und Ausländern beschränkt worden wäre, ist das doch in der polizeilichen Praxis der Hauptanlass für Bordellrazzien. § 18 II Nr. 2 HSOG betrifft die Identitätsfeststellung im Rahmen der Vollzugshilfe (s. dazu schon Rn. 52). Nr. 3 gilt für die „Objektsicherung“ bei Straftaten mit Bezug zu dem Objekt, ohne dass zwingend klar sein muss, ob die identifizierte Person daran beteiligt ist. Nr. 4 betrifft die Identitätsfeststellung für den Personenschutz, und Nr. 5 ermöglicht die Einrichtung von Kontrollstellen (z.B. für anreisende Demonstranten). Nr. 6 schließlich dient der (verdachtsunabhängigen!) Schleierfahndung zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung. Diese Variante des § 18 HSOG ist verfassungsrechtlich jedoch sehr bedenklich und auch hinsichtlich ihrer praktischen Bedeutung vor dem Hintergrund, dass Hessen keine Außengrenzen hat, etwas fragwürdig. § 18 III HSOG regelt die zulässigen Begleitmaßnahmen und damit die Frage, wie 180 die Identität festgestellt bzw. abgeglichen wird. Anhalten ist wie bei § 12 I 2 HSOG (oben Rn. 149) die bloß kurzfristige Hinderung der Fortbewegung und noch keine Freiheitsentziehung wie z.B. das Festhalten nach Abs. 4 (dazu sogleich), so dass dafür auch noch keine richterliche Anordnung erforderlich ist. Soweit ergänzend erkennungsdienstliche Maßnahmen angeordnet werden, gilt für deren Vornahme (nicht aber für ihre Anordnung, die hier auch durch die Gefahrenabwehrbehörden möglich ist) § 19 HSOG (unten Rn. 183 f.). Im Hinblick auf Art. 104 II GG kritischer zu beurteilen sind die Möglichkeiten zur kurzzeitigen Freiheitsentziehung nach § 18 IV HSOG (Festhalten, Durchsuchen, Zur-Wache-Bringen). Daher müssen hier zusätzlich die Vorgaben der §§ 33–35 HSOG zur richterlichen Anordnung, zur Behandlung festgehaltener Personen und zur Dauer der Freiheitsentziehung beachtet werden (vgl. § 33 I 1 HSOG; dazu unten ab Rn. 204). Von § 18 IV HSOG ist 138a VG Frankfurt/Main, NVwZ-RR 2004, 748, m. Anm. J. Vahle, DSB 2004 Nr. 12, 20; ders., Kriminalistik 2005, 91.

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ferner die Durchsuchung gedeckt, soweit es um die mitgeführten Sachen zum Zweck der Identitätsfeststellung geht – nicht aber für andere Objekte und Ziele, für die zusätzlich die §§ 36, 37 HSOG zu prüfen (unten Rn. 213 ff.) sind. 181 Während § 18 V und VI HSOG mit Vorgaben zur Anwendung der Identitätsfeststellung nur als ultima ratio und zur Erteilung eines Hinweises über ihren Zweck an den Betroffenen wieder der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dienen, ist für Maßnahmen nach Abs. 7 wichtig, dass eine Pflicht zum Mitführen des Personalausweises nicht besteht, sondern der Inhaber nur zum Besitz und zur Vorlage auf Verlangen verpflichtet ist (vgl. § 1 I 1 PAuswG), er ihn also nötigenfalls holen und dann vorlegen muss. Anders gestaltet sich die Rechtslage beim Grenzübertritt auch für Deutsche hinsichtlich ihres Reisepasses (dazu § 1 I 1 PassG) und generell für Ausländer (§ 10 AuslG) sowie hinsichtlich anderer Urkunden wie z.B. des Waffen- oder Führerscheins und des Fahrtenschreiberblatts. 182 Maßnahmen nach § 18 HSOG sind Verwaltungsakte, da sie den Befehl enthalten, sich auszuweisen bzw. sich zu identifizieren bzw. sich identifizieren zu lassen. Dabei kommt als Rechtsschutz in aller Regel nur die Fortsetzungsfeststellungsklage in Frage, weil sich der betreffende Verwaltungsakt mit seiner Erfüllung erledigt hat.

8. Erkennungsdienstliche Maßnahmen, § 19 HSOG 183 Auch bei § 19 HSOG geht es ausschließlich um präventive Maßnahmen; für repressive Zwecke kommt der hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit oft in Zweifel gezogene § 81b StPO zur Anwendung, dessen Maßstäbe und Grundsätze aber auch hier anwendbar sind. Wichtig ist, dass die auf § 19 II (und § 18 III) HSOG gestützte Anordnung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen ein mit Zwangsmitteln durchsetzbarer Verwaltungsakt ist (s. oben), die nachfolgende tatsächliche Vornahme dieser Maßnahmen dagegen nur ein Realakt. 184 Die Definition der erkennungsdienstlichen Maßnahmen in § 19 I HSOG ist abschließend, so dass z.B. die Ermittlung des „genetischen Fingerabdrucks“ durch Untersuchung des Erbguts ohne gesonderte Rechtsgrundlage (zu § 19 III HSOG sogleich in Rn. 184a) unzulässig ist. Die Voraussetzungen für die Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen durch die Polizeibehörden finden sich in § 19 II HSOG: Entweder bedarf es der Anordnung durch die Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden nach § 18 III HSOG zu Identitätsfindung (Nr. 1; vgl. Rn. 180), oder die Polizeibehörden ordnen in bestimmten anderen Fällen derartige Maßnahmen an (Nr. 2; die Gesetzgebungskompetenz des Landes hierfür ist allerdings umstritten, da es dabei zum Teil auch um Repression geht). 184a Bis zur letzten Rechtsänderung gab es im hessischen Polizeirecht nach der erwähnten abschließenden Aufzählung der erlaubten erkennungsdienstlichen Maßnahmen in § 19 I HSOG keinen „genetischen Fingerabdruck“. Der neu gefasste § 19 III HSOG ermöglicht neuerdings aber die DNA-Analyse bei unter 14-jährigen „Straftätern“. Zur Begründung wird darauf verwiesen, die DNA-Analyse habe heute die Bedeutung der klassischen erkennungsdienstlichen Behandlung 18

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nach § 19 I, II HSOG erlangt. Trotz ihrer Zulassung auch für präventive Zwecke in § 81g StPO und im DNA-Identitätsfeststellungsgesetz des Bundes ergäben sich noch Lücken, da die genannten Regelungen an den Status des Beschuldigten anknüpften. Unter 14-Jährige seien jedoch nicht strafmündig und damit auch keine Beschuldigten. Ebenso wie sonst bei den erkennungsdienstlichen Maßnahmen eine Lückenfüllung durch die Länder anerkannt sei, bedürfe es zu einer effizienten Gefahrenabwehr auch hier der Eröffnung weiterer polizeilicher Möglichkeiten. Parallel zu den klassischen erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach § 19 II Nr. 2 HSOG (oben Rn. 184) wird für die jetzt ermöglichte DNA-Analyse materiell eine so genannte Anlasstat und eine Negativprognose vorausgesetzt, wobei diese „Anlasstat“ eine Straftat mit erheblicher Bedeutung im Sinn des § 13 III HSOG (dazu schon oben Rn. 153) sein muss. Außerdem bedarf es ebenso wie im Fall des § 81g StPO der richterlichen Anordnung. Fraglich erscheint bei diesem Instrument – wiederum unabhängig von etwaigen kompetenziellen Bedenken – allerdings seine Erforderlichkeit, zumal die Ergebnisse einer DNA-Analyse nach § 19 III HSOG im Unterschied zur Situation bei über 14-jährigen Straftätern nicht bundesweit in einer (etwa beim Bundeskriminalamt geführten) Kartei erfasst werden, so dass die im Kontext des HSOG allein zulässige abschreckende und damit gegebenenfalls Gefahren abwehrende Wirkung nicht sofort auf der Hand liegt. Die Aufbewahrung der Unterlagen einer erkennungsdienstlichen Maßnahme erfolgt nach Abs. 4; eine Ausnahme zu ihrer grundsätzlich sofortigen Vernichtung nach Zweckerreichung bzw. nach dem Wegfall der Voraussetzungen enthält z.B. § 16 AsylVfG, wonach die Identität eines um Asyl nachsuchenden Ausländers bis zu zehn Jahre nach dem Abschluss seines Asylverfahrens „zu sichern“ ist. § 19 V HSOG begründet wiederum eine Pflicht zur Information der Betroffenen über die Maßnahme. 9. Die Datenspeicherung, -verarbeitung und -übermittlung, §§ 20–29 HSOG Die §§ 12–19 HSOG betreffen die Erhebung, die nachfolgenden Normen die 185 Verwendung von Daten. Zu unterscheiden ist hier daher die Datenverarbeitung – das ist die Umgestaltung, Aktualisierung oder Berichtigung – von einer erneuten Datenerhebung. Darauf verweist etwa auch § 20 I 1 HSOG, der von den „erhobenen Daten“ spricht. Die detaillierten Regelungen zu diesem Bereich sind die Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und den daraus abgeleiteten Datenschutz, denn hier geht es um den rechtmäßigen Umgang mit den Daten, der auch den Ausgangspunkt der Rechtsprechung im so genannten Volkszählungsurteil (oben Rn. 151) bildete. Deutlich wird das z.B. an den Vorgaben der §§ 28, 29 HSOG zum Verfahrensverzeichnis, zum Auskunftsanspruch und zur Unterrichtung (dazu noch unten Rn. 193). Nunmehr kurz zu den einzelnen Normen: § 20 HSOG regelt näher die Speicherung und Verarbeitung von Daten und ihre 186 zulässigen Zwecke (Abs. 1–3). Ferner enthält er Vorgaben zum Umgang mit den nach der StPO erhobenen Daten (Abs. 4), mit den Daten über Zeugen und andere Personen (Abs. 5) sowie mit Bewertungen (Abs. 6). Schließlich trifft er Sonderregelungen für Fortbildungs- (Abs. 7) und Dokumentationszwecke (Abs. 8) sowie 19

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zum Umgang mit Daten von Kindern (Abs. 9). Anschaulich macht diesen letzten Fall vielleicht das Beispiel von Pausch,139 der fragt, wie mit den Daten eines Mädchen zu verfahren ist, das „auf dem Strich“ aufgegriffen wird, wo seine eigene Mutter es hinschickt. Deren Einschaltung und Information wäre vermutlich wenig hilfreich oder sinnvoll, so dass hier dann § 20 IX 2 HSOG anzuwenden ist. 187 § 21 HSOG enthält allgemeine, das heißt durch speziellere Normen verdrängbare, Regeln zur Datenübermittlung als einem Unterfall der Datenverwendung i.S.d. §20 HSOG. Seine Vorgaben gehen dem HDSG und dem HVwVfG trotz § 21 VII HSOG, wonach andere Vorschriften unberührt bleiben, kraft Spezialität vor. 188 § 22 HSOG spezifiziert diese Vorgaben dann für die Datenübermittlung innerhalb des öffentlichen (das heißt staatlichen) Bereichs je nach Absender und Empfänger. Zu beachten ist dabei, dass wegen der Informationspflicht des § 1 VI HSOG (oben Rn. 34) zumindest die Datenübermittlung nach Abs. 1 von Amts wegen erfolgt. So sind beispielsweise Verurteilungen wegen Straftaten von den Gerichten bzw. Staatsanwaltschaften an die Ordnungsbehörden zu melden, welche die Waffenscheinen erteilen. 189 Die Weitergabe von Daten an Personen außerhalb des öffentlichen Bereichs hat § 23 HSOG zum Inhalt. Sie ist nur in den sehr engen Grenzen des Abs. 1 (der § 22 II Nr. 1, 4, 5 HSOG entspricht) zulässig. Dazu gehört nicht die Weitergabe der Daten eines Ladendiebs an den Geschädigten, wohl aber die Warnung an einen Zeugen, der Täter wolle ihn „zum Schweigen bringen“ lassen. 190 § 24 HSOG erlaubt zum einen gefahrenabwehrbehördliche und polizeiinterne (vgl. Abs. 1 S. 2 Nr. 1-6) automatisierte Abrufsysteme wie z.B. das Hessische Polizeiinformationssystem (HEPOLIS). Hierbei muss die Datenübermittlung gemäß Abs. 3 zumindest stichprobenartig feststellbar und kontrollierbar sein. Die bisherige Regelung zu automatisierten Abrufverfahren wurde bei der letzten Gesetzesnovelle aber zum anderen auch noch dahingehend modifiziert, dass der Abruf personenbezogener Daten nicht nur durch bestimmte Behörden, sondern bei einzelnen Daten auch durch die Öffentlichkeit (Nr. 7) erfolgen darf, wobei zum Teil allerdings nur eine so genannte Negativauskunft („es liegen keine Eintragungen vor“) erteilt wird. Auf diese Weise werden auch die Gefahrenabwehrbehörden und die außerhessischen Polizeibehörden bei der Verfolgung präventiver Ziele in die Lage versetzt, mittels automatisierter Abrufverfahren auf die hessischen Datenbestände zuzugreifen. 191 Die §§ 25, 26 HSOG regeln den Datenabgleich als besondere Form der Datenverwendung, wobei § 25 HSOG (neuerdings auch für Daten „fremder“ Polizeibehörden) die allgemeine Form – das ist nur die Prüfung, ob zu einer Person bereits Daten vorliegen (mit einem Anhaltrecht nach Abs. 1 S. 4) – betrifft, während § 26 HSOG die Voraussetzungen der speziellen Form der so genannten Rasterfahndung mit dem Abgleich aller staatlichen und privaten Dateien aufführt.140 Da es sich hierbei um keine Form der verdeckten Datenerhebung nach § 13 VII 2 HSOG 139 Pausch, S. 187. 140 Vgl. Lisken, NVwZ 2002, 513 ff.

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handelt, musste § 29 HSOG (unten Rn. 193) über § 26 II 2 HSOG gesondert für anwendbar erklärt werden. Die Norm zur Rasterfahndung wurde nach dem 11. September 2001 von den Be- 192 hörden bundesweit z.B. auch zum Auffinden von so genannten Schläfern unter ausländischen Studierenden in Deutschland genutzt, was aber – ungeachtet der Frage nach der Wirksamkeit des Instruments – auf zum Teil deutlichen Widerspruch der damals noch in den meisten Bundesländern vorab zur Genehmigung berufenen (ordentlichen) Gerichte stieß, welche die tatbestandlich vorausgesetzte gegenwärtige Gefahr verneinten.141 Daraufhin wurde in Hessen § 26 HSOG dahingehend geändert, dass das Erfordernis der vorangehenden richterlichen Genehmigung der Rasterfahndung aus dem Gesetz gestrichen wurde und auch sonst eine Abmilderung der Tatbestandsvoraussetzungen erfolgte.142 Aber selbst danach gab es vor Gericht noch Streit um die Norm;143 zuletzt hat sich der Hessische Staatsgerichtshof mit der Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit befasst, die Klage eines deutschen Studierenden aber schon mangels Klagebefugnis abgewiesen. Das BVerfG hat unterdessen jedoch für Nordrhein-Westfalen entschieden, dass die dortige Parallelvorschrift verfassungskonform auszulegen und weiterhin zumindest eine konkrete Gefahr zu verlangen sei. Von daher ist auch für Hessen eine Anpassung der Rechtslage durchaus noch zu erwarten.144 § 27 HSOG hat sodann die Berichtigung, Löschung und Sperrung von Daten 193 im Einzelnen zum Gegenstand. Die bei der letzten Gesetzesnovelle neu eingefügte Nr. 3 des Abs. 2 S. 1 betrifft die Löschung bestimmter Daten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und stellt ebenfalls eine Reaktion des Landesgesetzgebers auf die neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Rechtslage im Kontext der StPO dar. In diese Vorschrift wurde außerdem der bisherige § 15 VIII HSOG, soweit er noch „passte“, integriert. Danach sind unzulässige Aufnahmen zu löschen, die zugehörigen Verfahrenshinweise jedoch nicht, um dem Betroffenen noch einen adäquaten Rechtsschutz gegen die zuvor erfolgte rechtswidrige Datenerhebung zu ermöglichen (bei vollständiger Löschung samt der Verfahrensdokumentation wäre eine entsprechende Fortsetzungsfeststellungsklage nicht mehr zu führen). Die neu gefassten Vorschriften des § 27 III 2 und VI 1 bzw. VII 2 HSOG betreffen weitere Einzelfragen im Zusammenhang mit der Löschung personenbezogener Daten, die im Wege einer verdeckten Datenerhebung in den Datenbestand der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden gelangt sind. § 28 HSOG regelt sodann das schon erwähnte Verfahrensverzeichnis, während § 29 I–V HSOG einen gebühren-, aber keineswegs zwingend auch kostenfreien Auskunftsanspruch begründet, dessen Erfüllung (anders als ihre Verweigerung) nur ein Realakt ist.145 Nach Abs. 1 S. 2 in seiner neuen Fassung kann zur Entlastung der 141 Dazu OLG Frankfurt, NVwZ 2002, 626 f.; OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629 f.; KG, NVwZ 2002, 1537 ff.; OVG Koblenz, NVwZ 2002, 1528 f. = DÖV 2002, 743 f.; OVG Bremen, NVwZ 2002, 1530. 142 Durch Gesetz vom 06.09.2002, GVBl. I S. 546. 143 S. nur VGH Kassel, NVwZ 2003, 755. 144 Dazu Hess StGH, NVwZ 2006, 685 ff.; BVerfG, NJW 2006, 1939 ff.; Horn, DÖV 2003, 746 ff.; allgemein zur Rasterfahndung als Schutz vor terroristischen Anschlägen Achelpöhler/Niehaus, DÖV 2003, 49 ff. 145 S. zu dieser verwaltungsverfahrensrechtlichen Frage noch näher unten im zweiten Teil Fall 6, Rn. 335.

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Behörden statt der begehrten Erteilung einer Auskunft über erhobene und vorhandene Daten auch bloß die entsprechende Akteneinsicht gewährt werden. Die Grenzen dieses Anspruchs durch Abwägung der betroffenen Rechtsgüter steckt Abs. 3 ab. Bei einer Auskunftsverweigerung kann nach Abs. 5 unabhängig von der Möglichkeit des Widerspruchs (vgl. Fußn. 145) der Datenschutzbeauftragte eingeschaltet werden, dem Auskunft erteilt werden muss, die er aber nur unter engen Voraussetzungen an den Betroffenen weitergeben darf. Die bereits oben erwähnte Unterrichtung des Betroffenen nach Abschluss der Maßnahme ordnet neuerdings allgemein § 29 VI, VII HSOG an.

10. Die Vorladung, § 30 HSOG 194 Bei § 30 HSOG geht es wieder allein um präventives Handeln. Die Vorschrift kommt ferner nur in Ermangelung spezialgesetzlicher Normen zur Anwendung. Die Vorladung ist ein Verwaltungsakt mit der Aufforderung an eine Person, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu erscheinen und bis zur Erledigung der Sache dort zu bleiben. Diese Pflicht zum Erscheinen begründet aber noch keine Auskunftspflicht, die erst z.B. aus § 12 HSOG folgt (s. oben Rn. 148 ff.). Das Tatbestandsmerkmal der ex ante zu beurteilenden Erforderlichkeit dient der Verhältnismäßigkeit, so dass auch hiernach keine allgemeine Ausforschung einer Person möglich ist. Ein milderes Mittel wäre z.B. eine Befragung am Aufenthaltsort, sofern sie im jeweiligen Einzelfall in Betracht kommt. § 30 II 1 HSOG ist nur eine Sollvorschrift zur Angabe des Vorladungsgrunds, die in begründeten (Eil-)Fällen nicht beachtet werden muss. 195 Die zwangsweise Durchsetzung der Vorladung bei fehlendem hinreichenden Grund für das Nichterscheinen – insofern bedarf es mithin einer Abwägung – erfolgt nach § 30 III HSOG; daneben ist aber noch § 47 HSOG zu beachten (s. dazu näher unten ab Rn. 247), weshalb etwa auch die Verhängung von Zwangsgeld möglich ist. Bei der Vorladung selbst handelt es sich noch um keine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 II 1 GG; anders ist diese Frage jedoch bei der zwangsweisen Vorführung, also der Durchsetzung der Vorladung mittels unmittelbaren Zwangs, zu beantworten, für die deshalb dann auch ein Richtervorbehalt nach § 30 IV HSOG besteht.

11. Die Platzverweisung, § 31 HSOG 196 Die Platzverweisung ist ein typischer polizeirechtlicher, oft mündlich oder formlos erteilter Verwaltungsakt, der auch in der Gestalt der Allgemeinverfügung ergehen kann, was etwa beim Absperren eines Unfallorts der Fall ist. Problematisch ist hingegen die Subsumtion des Einsatzes von Blaulicht im Straßenverkehr unter § 31 HSOG, da es nicht nur von Polizei- und Gefahrenabwehrbehörden, sondern etwa auch von der Feuerwehr und privaten Rettungsdiensten genutzt wird. Bei öffentlichen Versammlungen gehen die spezielleren §§ 13, 15, 18 VersG zur Auflösung einer Versammlung bzw. zum Ausschluss einzelner Teilnehmer vor. Das gilt nach h.M. aber nicht mehr, wenn die Versammlung schon aufgelöst wurde, also nicht mehr besteht. 22

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§ 31 I HSOG verlangt nicht die Verursachung der aktuell abzuwehrenden Gefahr 197 durch diejenige Person, die des Platzes verwiesen wird, wohl aber die Verursachung einer wirlich existierenden146 Gefahr durch ihre Anwesenheit. Erleichtert wird ihr Nachweis durch S. 2 für „Gaffer“. Als Beispiel für die Anwendung des § 31 I 1 HSOG mag der Verweis eines einzelnen 11-Jährigen aus einer Kneipe dienen, der allein durch seine Anwesenheit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründet, weil sein Aufenthalt in der Kneipe gegen § 4 I 1 JuSchG verstößt. Diese Ermächtigungsgrundlage ermöglicht aber nur kurzfristige, vorübergehende Maßnahmen. Für Hausräumungen (das heißt das Verbot des Aufenthalts auf Dauer) muss deshalb auf § 11 HSOG abgestellt werden (s. dazu noch unten Rn. 212), während für längere Aufenthaltsverbote in bestimmten Fällen nunmehr die Sondervorschrift in Abs. 3 Anwendung findet.147 § 31 II HSOG als Schranke des Freizügigkeitsgrundrechts nach Art. 11 II GG er- 198 gänzt das neu geschaffene Gewaltschutzgesetz mit der Möglichkeit, prügelnde Ehegatten durch Gerichtsbeschluss aus der ehelichen Wohnung zu verbannen. Da ein solches Vorgehen aber einen Antrag an das zuständige Amtsgericht und dessen schnelle Entscheidung bedingt, wurde § 31 HSOG um ein von der Polizei zu verhängendes bis zu 14-tägiges (einmalig verlängerbares) Betretungs- und Kontaktaufnahmeverbot, die so genannte Wegweisung, ergänzt. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes hierfür folgt dabei aus seiner Zuständigkeit für das allgemeine Gefahrenabwehrrecht und der nicht abschließenden Bundesnorm des GewSchG.148 Für eine größere Effizienz des polizeilichen und gefahrenbehördlichen Vorgehens im Zusammenhang mit der Wegweisung wurde § 31 II HSOG unlängst um einen S. 5 ergänzt, der den Amtsgerichten eine Unterrichtungspflicht gegenüber den Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden auferlegt. Das EGGVG enthält keine entsprechende Regelung, so dass bisher die für die vorläufigen Maßnahmen zuständigen Behörden nicht immer Kenntnis davon erhielten, ob und wann das Amtsgericht als für die endgültige (und im Übrigen auch strafbewehrte) Verweisung aus der Wohnung kompetente Instanz tätig geworden war. Nunmehr ist zum begrüßenswerten Schutz des Opfers ehelicher Gewalt ein noch enger verzahntes Handeln der staatlichen Stellen zu erhoffen.

146 So reicht etwa die hypothetische Gefahr „für das Leben und die Gesundheit der Staatsgäste“ durch die Anwesenheit zweier Demonstranten mit einem Transparent bei einem Staatsbesuch allein für deren Platzverweisung nicht aus. Vielmehr bedarf es konkreter Hinweise darauf, dass etwa von den Demonstranten Gewalttaten drohen. S. zu diesem Fall Frankfurter Rundschau vom 19.07.2003, S. 5. 147 Vgl. dazu näher im Zusammenhang mit den so genannten Hütchenspielern im zweiten Teil Fall 8, Rn. 351. 148 Zur Gesetzgebungskompetenz des Landes trotz Art. 73 Nr. 3 GG Hecker, NVwZ 2003, 1334/1335. Ausführlich zu der § 31 II HSOG entsprechenden Norm in NordrheinWestfalen Kay, NVwZ 2003, 521 ff. Allgemein zu den neuen landesrechtlichen Regeln der Wegweisung Collin, DVBl. 2003, 1499 ff.; Lang, VerwArch 96 (2005), 283 ff.; Krugmann, NVwZ 2006, 152 ff.

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205 Nähere Vorgaben zur Behandlung festgehaltener Personen enthält § 34 HSOG, der aber nur eine Ordnungsvorschrift darstellt, so dass seine Verletzung nicht die Primärmaßnahme rechtswidrig macht, wohl aber Haftungsansprüche auslösen kann. Nach Abs. 1 ist dem Betroffenen der Grund seiner Ingewahrsamnahme mitzuteilen. Weiterhin muss er nach § 25 HVwVfG über die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe belehrt werden. Nach Abs. 2 ist ihm außerdem Gelegenheit zur Benachrichtigung z.B. von Angehörigen zu geben, und nach Abs. 3 S. 1 soll er gesondert von anderen Gefangenen untergebracht werden. Wurde eine Person in Gewahrsam genommen, lässt § 34 III HSOG seit der letzten Rechtsänderung überdies die Bildübertragung des Gewahrsams (etwa in einer polizeilichen Arrestzelle) zur offenen Beobachtung der festgehaltenen Person zu, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Maßnahme erforderlich ist. Zur Begründung heißt es, der die Videoüberwachung bestimmter öffentlicher Orte (oben Rn. 162 ff.) regelnde § 14 III, IV HSOG zeige, dass eine derartige Ermächtigungsgrundlage zur Bildbeobachtung beim Schutzgewahrsam erforderlich sei. In der Praxis betreffe das vor allem Fälle des geplanten Suizids und des Drogenentzugs. Wenn für eine Person schon die Voraussetzungen für die Begründung des Schutzgewahrsams (dazu oben Rn. 200) gegeben sind, erscheint es nahe liegend, dass sie dann auch für die Zeit des Gewahrsams vor einer derartigen Gefahr bewahrt wird. In Zeiten knapper öffentlicher Ressourcen kommt eine Bewachung durch Menschen vor Ort nicht mehr durchgängig in Frage, so dass stellvertretend für sie oft eine Videokamera „aushelfen“ muss. 215 § 37 HSOG betrifft allgemein die Durchsuchung von Sachen. Dazu gehören bewegliche wie unbewegliche Sachen, so dass neben Reisegepäck oder einem Pkw auch eine Lagerhalle oder ein unbebautes Grundstück erfasst werden. Die Voraussetzungen sind ähnlich wie die in § 36 HSOG festgelegt. Das Recht des Betroffenen aus § 37 III HSOG, bei der Durchsuchung Zeugen hinzuzuziehen, soll mögliche Übergriffe der Beamten verhindern. 216 Demgegenüber sind die §§ 38 f. HSOG für die Durchsuchung von Wohnungen – also für das ziel- und zweckgerichtete Suchen durch staatliche Organe und nicht nur das bei einzelnen Standardmaßnahmen gesondert erwähnte Betreten – spezieller, weil hier der Konflikt mit Art. 13 GG normativ in Form der Ausgestaltung des Gesetzesvorbehalts in Art. 13 II GG gelöst werden muss. Der verfassungsrechtliche Wohnungsbegriff ist dabei weit und erfasst z.B. auch Wohnwagen, Hausboote und Geschäftsräume.157 Dem folgt in etwa die Legaldefinition in § 38 I HSOG. Für die Geschäftsräume besteht dabei aber das bereits bei § 15 IV 3 HSOG zur Observation und zum Einsatz technischer Mittel (Rn. 172) erwähnte einfachere Betretungsrecht nach § 38 VII HSOG. Die Voraussetzungen für das Betreten und Durchsuchen der Wohnung ohne oder gegen den Willen des Berechtigten sind in § 38 II–VI HSOG niedergelegt. Daneben ist aber zusätzlich immer auch noch im Rahmen des als Rechtsfolge eingeräumten Ermessens die Verhältnismäßigkeit der konkreten Maßnahme zu überprüfen, weswegen es beispielsweise keine Durchsuchung im Zusammenhang mit einer Ordnungswidrigkeit gibt. § 38 VI HSOG wurde bei der letzten Gesetzesnovelle ergänzt. Nunmehr 157 Vgl. dazu nur Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 13 Rn. 2 m.w.N.

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ist das Betreten einer Wohnung ohne Durchsuchungsbefehl möglich, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen (bislang musste auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen sein), dass dort Straftaten geplant, vorbereitet oder verübt werden, sich dort Personen ohne erforderlichen Aufenthaltstitel treffen (neu), sich dort Straftäterinnen oder Straftäter verbergen oder die Wohnung der Prostitution dient (ebenfalls neu). Auch hier stellt sich damit wiederum das schon bei § 18 II Nr. 1 HSOG (oben Rn. 179) erörterte Problem, dass die Ausübung der Prostitution durch das Prostitutionsgesetz weitgehend legalisiert wurde, weswegen es fraglich erscheint, warum nunmehr in derartigen Wohnungen unterschiedslos eine derartig große polizeirechtliche Gefahr bestehen soll, dass eine richterliche Anordnung für die Durchsuchung nicht nötig ist. Das Verfahren und den Richtervorbehalt bei Durchsuchungen gestaltet § 39 217 HSOG aus, wobei der Ausnahmefall der Gefahr im Verzug, bei dem die vorherige Zustimmung des Richters entbehrlich ist, nach h. M. eng auszulegen und das Vorliegen seiner Voraussetzungen streng zu beachten ist.158 Der Rechtsschutz gegen Durchsuchungsmaßnahmen erfolgt in den Fällen der (angeblichen) Gefahr im Verzug, wenn es also keinen vorhergehenden amtsrichterlichen Durchsuchungsbeschluss gibt, über die verwaltungsprozessuale Fortsetzungsfeststellungsklage (s. zum Verwaltungsaktcharakter der Durchsuchung bereits oben Rn. 213). In den anderen Konstellationen richtet er sich hingegen nach den Vorgaben des FGG zur Anfechtung von Beschlüssen.159 Wichtig ist ferner die Erkenntnis, dass die Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der Folgemaßnahme, also z.B. der Sicherstellung von dabei gefundenen Sachen, führt; es besteht insoweit mithin kein Verwertungsverbot. Im Übrigen gilt: Durchsucht werden darf zum jeweiligen Zweck. Die Frage ist dann nur, ob dabei gefundene (andersweitig relevante) Sachen auch mitgenommen werden dürfen. Hierzu ist eine Sicherstellung nötig, also muss § 40 HSOG geprüft werden (unten Rn. 218 ff.). Wenn bei einer rechtmäßigen Durchsuchung etwa nach § 18 IV HSOG etwas anderes (z. B. Rauschgift) gefunden wird, ist das Pech für den Betroffenen. Der Durchsuchende ist nicht verpflichtet wegzusehen. Zur Ausübung unmittelbaren Zwangs mittels Waffen enthält § 55 IV HSOG wiede- 254 rum eine abschließende Aufzählung. Als Reaktion auf die Neuregelung des Waffengesetzes mit seiner Anlage I werden seit der letzten HSOG-Novelle auch die Reiz- und Betäubungsstoffe nicht mehr als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt, sondern als Waffen eingeordnet. Nunmehr können überdies andere Waffen allein durch eine Verwaltungsvorschrift als solche zugelassen werden, wenn sie keine größeren Wirkungen als der Gebrauch von Schusswaffen nach § 55 IV 1 HSOG zeitigen. Diese Ergänzung des Gesetzes erklärt sich daraus, dass die Aufzählung in S. 1 im Unterschied zu der nach Abs. 3 abschließend ist, für bestimmte Spezialeinheiten der Polizei jedoch andere Waffen nötig erscheinen können. Der Gesetzgeber rechtfertigt deren Zulassung allein durch Verwaltungsvorschrift damit, dass durch solche nicht letalen Waffen die Lebensgefahr für das polizeiliche „Gegen-

158 So zuletzt BVerfGE 103, 142 ff. Zum notwendigen Inhalt eines Beschlagnahmebeschlusses BVerfG, NJW 2004, 1517 ff.; zur Verwendung von Formularen BVerfG, NJW 2005, 276 ff. 159 Vgl. die ähnliche Rechtslage bei der Freiheitsentziehung, oben Rn. 204.

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über“ sogar reduziert werden könne. Dem steht allerdings die so genannte Wesentlichkeitstheorie des BVerfG entgegen, welche die Regelung aller wesentlichen und grundrechtsrelevanten Gesichtspunkte einer Eingriffsnorm – wie hier für den Gebrauch von Waffen gegenüber Personen – durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst verlangt. Im Übrigen wird auf diese Weise die Gefahr vorschneller Entscheidungen und der Zulassung von Waffen, die möglicherweise doch gefährlicherer als zunächst angenommen sind, geschaffen. Im Unterschied etwa zu Bayern zählen in Hessen zu den (einfachen) Waffen keine Handgranaten, die hier unter die besonderen Waffen i.S.d. § 55 V HSOG fallen, deren Nutzung dem Bundesgrenzschutz bei Einsätzen in Hessen vorbehalten ist.187 Der Schusswaffengebrauch ist darüber hinaus näher in den §§ 60 ff. HSOG mit besonders strengen Anforderungen geregelt. Vorrangig sind danach immer die milderen Formen des unmittelbaren Zwangs, z.B. auch der Schusswaffengebrauch gegen Sachen, in Betracht zu ziehen. Die Entscheidung für eine bestimmte Zwangsform ist in der Praxis jedoch keineswegs in jedem Fall leicht zu fällen, denn es ist beispielsweise durchaus problematisch, „nur“ auf einen Pkw statt auf dessen Fahrer zu schießen, da die dadurch möglicherweise verursachten Folgen (der Fahrer verliert nach der Zerstörung der Reifen bei hoher Geschwindigkeit die Gewalt über das Fahrzeug usw.) nicht immer beherrschbar sind. Es ist ferner jedes Mal auch noch zu fragen, ob der Schusswaffengebrauch im Verhältnis zum erstrebten Erfolg überhaupt verhältnismäßig ist. Waffen dürfen also z.B. nicht zur Beendigung der Flucht eines Gefangenen mit einer verbleibenden Reststrafe von einer Woche eingesetzt werden (zu § 32 II HSOG s. oben Rn. 203). 255 Umstritten ist (immer noch) die Zulässigkeit des so genannten finalen Rettungsschusses, der seit der letzten Rechtsänderung nunmehr auch in Hessen in § 60 II 2 HSOG – ähnlich wie in den meisten anderen Bundesländern – geregelt ist. Dieser gesetzlichen Bestimmung bedurfte es, denn § 60 II 1 HSOG reichte hierfür nach h. M. gerade nicht und war im Übrigen für eine solche gravierende Maßnahme auch zu unbestimmt. Für den schwersten Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 II 1 GG und Art. 3 HV geboten die Verfassung (Art. 2 II 3 GG) und die über Art. 31 GG als Bundesgesetz ebenfalls bindende EMRK eine gesetzliche Regelung über die Voraussetzungen und den Umfang des finalen Todesschusses. Auch die Nothilfe nach § 32 II StGB half hier nicht weiter, da sie zwar möglicherweise den Schießenden vor strafrechtlichen Folgen bewahrte (vgl. § 54 II HSOG: „zivil- und strafrechtliche Folgen bleiben unberührt“), nicht aber das staatliche Tun als Ermächtigungsgrundlage rechtfertigen konnte. Vor der Einfügung des § 60 II 2 HSOG galt das „Schweigen“ des HSOG damit als abschließende „Regelung“.188 Nach der Gesetzesnovelle stellt sich (ähnlich wie im Rahmen des Abschusses entführter und als „Waffe“ gebrauchter Flugzeuge nach § 14 III LuftSiG, welcher mit Urteil vom 15. Februar 2006 für nichtig und als mit dem GG unvereinbar erklärt wurde,188a wenngleich nicht ganz so heftig, weil bei § 60 II 2 HSOG allein der 187

Vgl. für Bayern Art. 61 IV Bayerisches Polizeiaufgabengesetz in der Fassung vom 14.09.1990, GVBl. S. 397, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.12.2005, GVBl. S. 641. 188 So im Ergebnis auch für die parallele Situation in Hamburg Westenberger, DÖV 2003, 627 ff. 188a Dazu Baumann, DÖV 2004, 853 ff.: „finaler Rettungsabschuss“. Zum Luftsicherheitsgesetz BVerfG, DVBl. 2006, 433 ff.; Baldus, NVwZ 2006, 532 ff.; Baumann, DÖV 2006, 331 ff.; Gramm, DVBl. 2006, 653 ff.; Hase, DÖV 2006, 213 ff.; Winkler, NVwZ 2006, 536 ff.

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„Täter“ getötet werden soll) die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieses Eingriffs in Art. 2 II 1 GG. Dabei kommt es zum Konflikt mit den SchrankenSchranken der Verhältnismäßigkeit und der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG. Als Gegenargument kann man aber die Schutzpflicht des Staates für die bedrohten Leben ins Feld führen.188b 4. Welche Behördenstruktur bzw. welche Behörden gibt es im Polizei- und Ord- 305 nungsrecht? Welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus? Wie wird ihre Zuständigkeit gegeneinander abgegrenzt? 229 Probleme entstehen daraus, dass es im Polizei- und Ordnungsrecht nicht nur unmittelbare Landesbehörden, sondern auch eine Form mittelbarer Verwaltung durch die Gemeinden (und Landkreise) als Gefahrenabwehrbehörden gibt. Für die Zuständigkeitsabgrenzung gilt, dass eine spezielle Aufgabenzuweisung der allgemeinen Zuständigkeitsnorm ebenso vorgeht wie der so genannte Eilfall dem Grundfall. Aus der komplizierten Behördenstruktur entsteht dann auch noch das Sonderproblem der Weisungen: Die Polizeibehörden sind streng hierarchisch gegliedert und damit voll weisungsabhängig. Bei den Ordnungsbehörden sind der Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister und neuerdings auch der Landrat bei der teilweise ungenau so bezeichneten Organleihe gegenüber der nächsthöheren Behörde ebenso weisungsgebunden. Schwierigkeiten treten wegen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts insbesondere bei Weisungen an die Gemeinde- und Kreisorgane als allgemeine Verwaltungsbehörden auf. Rechtsgrundlage für § 18 I Nr. 21 HundeVO ist § 71 i.V.m. §§ 72 I, 77 HSOG. 312 Für seine formelle Rechtmäßigkeit bedarf es zunächst der Zuständigkeit des bei seinem Erlass handelnden Innenministeriums. Die Zuständigkeit für den Erlass einer Gefahrenabwehrverordnung ist gemäß §§ 72–74 HSOG abhängig vom beanspruchten Geltungsbereich, wobei zu beachten ist, dass nach § 75 II HSOG eine Regelung der jeweils höheren Ebene den Vorrang genießt. Für die vorliegende HundeVO ergibt sich die Zuständigkeit des Innenministeriums insofern aus § 72 I HSOG. Auch die Vorgaben der §§ 73, 74 HSOG zum Verfahren bzw. des § 78 HSOG zur Form wurden erfüllt. Für die materielle Rechtmäßigkeit des § 18 I Nr. 21 HundeVO ist zu berücksichtigen, dass nach dem Prinzip des Vorrangs des Gesetzes und nicht zuletzt auch nach dessen Konkretisierung in § 75 I HSOG jede Gefahrenabwehrverordnung mit höherrangigem Recht (gegebenenfalls auch mit „höherrangigen“ Verordnungen) vereinbar sein muss. Zum höherrangigen Recht zählen naturgemäß auch die Grundrechte und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, was insoweit dessen einfachgesetzliche Verankerung in § 4 HSOG nochmals verdeutlicht. Hier erhebt sich damit einerseits die Frage, ob die abstrakte unwiderlegliche Vermutung der Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen erforderlich und mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist.237 An dieser Stelle sind letztlich mit entsprechend überzeugender Begründung beide Ergebnisse vertretbar, wobei im Hinblick auf die Angemessenheit der Regelung 188b Vgl. dazu etwa Pieroth/Schlink, Grundrechte, 21. Aufl., 2005, Rn. 302 ff., 405; Kutscha, NVwZ 2004, 801 ff.; allgemein zum finalen Rettungsschuss Jakobs, DVBl. 2006, 83 ff. 229 S. bereits Rn. 43 ff. 237 So auch VGH Kassel, NVwZ-RR 2002, 650/652 f.

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insbesondere zu beachten ist, dass die Gefahrenabwehrverordnung Grundrechtsrelevanz hat und deshalb gesteigerte Anforderungen an sie zu stellen sind. Andererseits muss jedoch auch noch in den Blick genommen werden, dass es hier nicht um die Abwehr einer Gefahr, sondern um eine reine Vorsorgemaßnahme – also gleichsam ein Eingreifen auf einer deutlich vorgelagerten Stufe – geht.238 Das wird aber in der Rechtsgrundlage nicht erwähnt (anders wäre der Fall hingegen zu beurteilen, wenn die Bekämpfung eines Gefahrenverdachts das erklärte Ziel wäre, denn dieser stellt ebenfalls eine polizeirechtliche Gefahr dar – vgl. oben Rn. 98). Nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG 239 ist der parlamentarische Gesetzgeber jedoch verpflichtet, im grundlegenden normativen Bereich alle entscheidenden Regelungen selbst zu treffen und sie nicht an die Exekutive zu delegieren. Maßstab für die Wesentlichkeit einer Regelung ist dabei wiederum insbesondere ihre Grundrechtsrelevanz. Das Verbot des Haltens bestimmter Hunderassen greift mindestens in die allgemeine Handlungsfreiheit der betroffenen Halter aus Art. 2 I GG ein. Ebenfalls denkbar sind Eingriffe in deren Eigentumsrecht. Mithin bedarf es für das einschneidende Verbot des Haltens bestimmter Hunderassen einer (klaren) gesetzlichen Grundlage, die es in Hessen mittlerweile mit § 71a HSOG gibt. Für die Zeit vor Erlass dieser Norm wurde erwogen, ob das Fehlen einer Rechtsgrundlage dadurch abgemildert wurde, dass im hessischen „Hunderecht“ schon in der hier entscheidenden Fassung der HundeVO (vgl. dazu heute § 3 I Nr. 4 HundeVO n.F.) eine einzelfallbezogene Wesensprüfung vorgesehen war. Dem stand aber entgegen, dass ein erheblicher Rechtseingriff trotzdem allein und erst auf der Ebene der Rechtsverordnung erfolgte. Demnach fehlte es vor dem Erlass des § 71a HSOG an einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage des Bußgeldbescheids; heute liegt sie hingegen vor. 313 Darüber hinaus sind die Anforderungen an die formelle Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheids gewahrt, denn die Zuständigkeit der handelnden Behörde ergibt sich aus §§ 35 ff. OWiG, 77 III HSOG, und die Verfahrensvorgaben, insbesondere die der Anhörung nach § 55 OWiG, wurden beachtet. Bei der materiellen Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheids ist schließlich festzustellen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 18 I Nr. 21 HundeVO vorliegen und dass bei dem sich als Rechtsfolge ergebenden Ermessen behördlicherseits keine Fehler hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ (hier insbesondere zur Höhe des verhängten Bußgelds) der Ahndung der Ordnungswidrigkeit ersichtlich sind. Im Ergebnis fehlt es damit weder an einer Rechtsgrundlage für den Bußgeldbescheid gegen Hannes, noch ist dieser aus anderen Gründen rechtswidrig. Der dagegen eingelegte Einspruch ist demzufolge unbegründet und daher erfolglos. Hannes kann sich also nicht sinnvoll gegen den Bußgeldbescheid wehren.

238 Ebenso BVerwG, NVwZ 2003, 95/96 ff.; der VGH Kassel, NVwZ-RR 2002, 650/651 f., prüft das (mit positivem Ergebnis) hingegen nur hinsichtlich der hier nicht relevanten Versicherungspflicht, nicht aber für das Halteverbot selbst. 239 Vgl. etwa BVerfGE 1, 13/60; 47, 46/79; 49, 89/126; 58, 257/268; 88, 103/116; BVerwG, DVBl. 2002, 479/480, und NVwZ 2002, 858 ff.; Böckenförde, NJW 1999, 1235 ff.

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Bei der Beantwortung der ersten Frage gilt es festzuhalten, dass es sinnvoll ist, 364 Widerspruch einzulegen, wenn dessen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen und er zudem auch begründet ist, weil er dann zum Erfolg führt. Zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen des Widerspruchs zählt, dass analog § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Das ist bei dem gefahrenabwehrrechtlichen Kostenbescheid ebenso zu bejahen wie die Statthaftigkeit des Widerspruchs gegen den Kostenbescheid als Verwaltungsakt und die Widerspruchsbefugnis der Adressatin Sandra analog § 42 II VwGO. Auch die weiteren diesbezüglichen Vorgaben sind hier erfüllt, wenn Sandra die Frist des § 70 I 1 VwGO zur rechtzeitigen Einlegung ihres Widerspruchs einhält. Widerspruchsbehörde (und damit eine mögliche Empfängerin desselben, vgl. § 70 I 2 VwGO) ist nach § 16a IV 1 HAGVwGO die Stadt als Ausgangsbehörde.

Wiederholungsfragen zu § 2 2. Die Behördenstruktur im Polizei- und Ordnungsrecht ist deswegen problematisch, weil es nicht nur eine unmittelbare, sondern auch eine mittelbare Verwaltung gibt. Erschwert wird sie zudem durch die Aufspaltung in Gefahrenabwehr(das sind die Verwaltungs- sowie Ordnungsbehörden) und Polizeibehörden. Hinzu kommt das Problem der Aufgabenabgrenzung mit dem Vorrang der spezialgesetzlichen Zuweisung; dann ist nach Eil- und Grundfällen zu unterscheiden. Schließlich taucht noch die schwierige Situation bei den Weisungen auf, weil nur die Polizeibehörden streng hierarchisch organisiert sind, während der Bürgermeister/Oberbürgermeister und der Landrat als kommunale Behörden in einer Art „Organleihe“ für die Landesverwaltung tätig werden. → Rn. 43 ff.

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