Philipps-Universität Marburg WS 2010/2011

Polizei- und Ordnungsrecht - 14 Doppelstunden Lehrbeauftragter RVGH Falko Jeuthe

Montag, 17. Januar 2011 (3 Doppelstunden) VIII. Handlungsformen 1. Allgemeines In der allgemeinen Befugnisnorm des § 11 HSOG und den allgemeinen Eingriffsgrenzen der §§ 4 bis 9 HSOG ist generell von möglichen, geeigneten und erforderlichen „Maßnahmen“ der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden die Rede, ist also die Handlungsform der Gefahrenabwehr nicht vorgegeben, während in den Standardbefugnissen der §§ 12 bis 43 HSOG dieser Begriff nicht verwandt und das Vorgehen im Einzelnen näher geregelt wird. Aber auch damit erfolgt keine bestimmte rechtliche Kategorisierung des jeweiligen Verwaltungshandelns, die deshalb dem allgemeinen Verwaltungsrecht überlassen bleibt. Von Bedeutung ist diese Einordnung für die jeweiligen Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere für die verfahrensrechtlichen Vorschriften, und für die jeweiligen Rechtsschutzformen. Als Grobeinteilung ist zu unterscheiden zwischen sog. Realakten, die auf Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolges gerichtet sind, und sog. Rechtsakten, die auf einen rechtlichen Erfolg, auf den Eintritt unmittelbarer Rechtsfolgen zielen und in Einzelfallentscheidungen durch Verwaltungsakte und allgemeine Regelungen durch Verordnungen zu unterteilen sind. Zu den Rechtsakten gehören zwar auch öffentlich-rechtliche Verträge gemäß §§ 54 ff. HVwVfG, denen aber im Gefahrenabwehrrecht geringe Bedeutung zukommt. Ausnahmsweise können sie ein geeignetes Instrument der Gefahrenabwehr darstellen, wenn bei komplexen Sachverhalten langfristig angelegte, einvernehmliche Lösungen erzielt werden müssen, wie etwa durch Sanierungsverträge im Bodenschutzrecht gemäß § 13 Abs. 4 BBodSchG.

2 2. Realakte Die sog. Realakte werden auch als schlichtes oder faktisches Verwaltungshandeln, als schlichthoheitliche Tätigkeit oder als Eigenhandeln bezeichnet und stellen sich etwa dar als überwachende Tätigkeit (z. B. Polizeistreife, Ermittlung, Beobachtung, Videoaufnahme), als Beseitigung von Hindernissen oder sonstigen Gefahrenquellen (z. B. Abstreuen einer Ölspur, Beseitigung von Glasscherben) oder als sog. informelles Verwaltungshandeln (z. B. Information, Auskunft, Empfehlung, Warnung). Soweit Realakte nicht in Rechte Einzelner eingreifen, sind sie durch die Aufgabenzuweisungsnormen der §§ 1 und 2 HSOG gedeckt; wenn ihnen dagegen „Eingriffsqualität“ zukommt, bedürfen sie nach dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts einer Befugnisnorm als rechtswirksamer Ermächtigungsgrundlage (spezialgesetzliche Grundlage, Standardbefugnisse oder Generalklausel des HSOG, auch ggf. Vollstreckungsvorschriften. Sie unterliegen weiterhin den übrigen materiellen Eingriffsbegrenzungen des Übermaßverbotes, der pflichtgemäßen Ermessensausübung und der richtigen Störerinanspruchnahme. Die allgemeinen Verwaltungsverfahrensgrundsätze sind gemäß §§ 9 ff. HVwVfG (unmittelbar) nur für Verwaltungsakte und öffentlich-rechtliche Verträge, nicht aber für Realakte heranzuziehen.

3. Verwaltungsakte In den typischen Konstellationen der Gefahrenabwehr greift die Behörde im konkreten Einzelfall mit einer verbindlichen und ggf. zwangsweise durchsetzbaren Anordnung zum Schutz der bedrohten Rechtsgüter ein. Das Merkmal der Regelung unterscheidet die in § 35 HVwVfG legal definierten Verwaltungsakte von Realakten. Verwaltungsakte können einen begünstigenden oder belastenden, gestaltenden oder feststellenden Inhalt haben und Verbote oder Gebote enthalten. Sie unterliegen den allgemeinen Verwaltungsverfahrensvorschriften der §§ 9 ff. HVwVfG, den besonderen Vorschriften über Zustandekommen und Bestandskraft von Verwaltungsakten gemäß §§ 35 ff. und §§ 43 ff. HVwVfG und besonderen Rechtsschutzvoraussetzungen nach der Verwaltungsgerichtsordnung.

a) Im Vordergrund der Gefahrenabwehrmaßnahmen stehen befehlende Verwaltungsakte mit Verboten oder Geboten (einschließlich Duldungsgeboten), die früher

3 als „Polizeiverfügungen“ etwa in § 6 Abs. 1 HSOG a. F. geregelt waren und heute als Gefahrenabwehrverfügungen bezeichnet werden. Umstritten ist die Frage, ob bestimmte behördliche Standardmaßnahmen oder Zwangsanwendungen als eingreifende Realakte oder als Verwaltungsakte anzusehen sind, so etwa die Durchsuchung einer Wohnung, die Datenerhebungen, einme Sicherstellung, ein Schlag mit dem Polizeiknüppel oder der Einsatz von Reizstoffen in polizeilichen Wasserwerfern. In derartigen Fällen wird teilweise eine Regelung in Form einer konkludenten Duldungsverfügung hinzugedacht. Das wird nach a. A. als „gekünstelte Konstruktion“ abgelehnt und im Hinblick darauf als überflüssig angesehen, dass nach Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vom Verwaltungsaktschrakter einer Maßnahme nicht mehr die Rechtsschutzgewährung als solche, sondern nur noch die statthafte Rechtsschutzform abhängt. Teilweise wird auch danach unterschieden, ob die Maßnahme dem anwesenden Betroffenen gegenüber ergeht (VA) oder in seiner Abwesenheit und damit ohne seine Kenntnis (kein Regelundadressat, also Realakt). In formeller Hinsicht sind bei Gefahrenabwehrverfügungen insbesondere zu berücksichtigen: die sachliche Zuständigkeit gemäß §§ 1 und 2 und § 89 HSOG, der Untersuchungsgrundsatz gemäß § 24 HVwVfG, die Anhörungspflicht gemäß § 28 HVwVfG, das auch für die Vollstreckungsfähigkeit maßgebliche Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 HVwVfG (überwiegend als materielles Erfordernis angesehen) und das Begründungserfordernis für schriftliche Verwaltungsakte gemäß § 39 HVwVfG sowie die Heilungsmöglichkeit nach § 45 HVwVfG und eine mögliche Unbeachtlichkeit gemäß § 46 HVwVfG. In materieller Hinsicht ist eine gesetzliche oder auf ein formales Gesetz zurückführbare normative Ermächtigungsgrundlage erforderlich, die sich – wie mehrfach ausgeführt – aus spezialgesetzlichen Regelungen, den Standardbefugnissen oder der Generalklausel des HSOG ergeben kann. In diesem Zusammenhang wird die herkömmliche Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Verfügungen als überflüssig angesehen. Danach wird eine selbständige Verfügung allein auf die Generalklausel des § 11 HSOG gestützt und setzt deshalb eine konkrete Gefahr voraus, während eine unselbständige Verfügung auf einer Ermächtigung oder einem Gebot oder Verbot eines Spezialgesetzes oder einer Rechtsverordnung beruht und deshalb lediglich deren Tatbe-

4 standsverwirklichung voraussetzen soll, bei deren Vorliegen der Normgeber von einer Gefahrenlage ausgeht. Dieser begrifflichen Unterscheidung wird entgegengehalten, dass auch dann eine konkrete Gefahr in Form eines Rechtsnormverstoßes vorliege. Gleichwohl kann diese Unterscheidung dem besseren Systemverständnis dienen, weil dadurch eine Verfügung besonders gekennzeichnet wird, die an die bloße Verwirklichung des Tatbestandes einer vom Normgeber geregelten abstrakten Gefahr anknüpft.

b) Die früheren sog. „polizeilichen Erlaubnisse“ beruhen auf gesetzlichen Regelungen, in denen für abstrakt gefahrträchtige Verhaltensweisen oder Anlagen, Einrichtungen, Betriebe etc. je nach Gefährlichkeit und Grundrechtsbezug gestufte behördliche Überprüfungs- und Erlaubnisverfahren vorgesehen sind. Diese Regelungen finden sich allerdings nicht mehr im HSOG, sondern in Sondergesetzen, die grundsätzlich nicht an Polizei-, sondern an – insoweit materiell gefahrabwehrende Funktion wahrnehmende – Fach-, allgemeine Verwaltungs- oder Ordnungsbehörden gerichtet sind (sog. Entpolizeilichung). Den geringsten Eingriff bewirken auf der ersten Stufe gesetzliche Anzeige- bzw. Anmeldepflichten, die der Behörde Kontrolle und Überwachung und dadurch bei im Einzelfall konkret drohenden Gefahren oder Rechtsverstößen gefahrabwehrende Anordnungen ermöglichen. Dazu gehören etwa die Anmeldung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel gemäß § 14 VersG, die Vorlage von Bauunterlagen für ein genehmigungsfreies Vorhaben gemäß § 56 Abs. 3 HBO oder die Anzeige eines selbständigen Gewerbes gemäß § 14 GewO. Die zweite Stufe und den häufigsten Fall eines derartigen Regelungssystems stellt das sog. präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar. Danach wird ein grundsätzlich erlaubtes und sozialadäquates Verhalten oder der Betrieb einer Anlage oder Einrichtung von der vorherigen Durchführung eines behördlichen Zulassungs-, Erlaubnis- oder Genehmigungsverfahrens als einer Art Unbedenklichkeitsprüfung abhängig gemacht. Dabei kann unterschieden werden zwischen dinglichen Erlaubnissen (z. B. Baugenehmigung gemäß § 65 HBO, immissionsschutzrechtliche Genehmigung gemäß § 4 BImSchG, Kfz-Zulassung gemäß § 1 StVG), persönlichen Erlaubnissen (z. B. Fahrerlaubnis gemäß § 2 StVG, Gewerbeerlaubnis gemäß §§ 30 ff. GewO) und gemischten Erlaubnissen mit dinglichen und persönlichen Elementen

5 (z. B. Gaststättenerlaubnis gemäß § 2 GastG oder Anlagengenehmigung für ein Atomkraftwerk gemäß § 7 AtG). Bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen besteht ein – in der Regel grundrechtlich verstärkter – Rechtsanspruch auf die Erteilung der Erlaubnis, sog. gebundene Erlaubnis. Bei einer von vornherein ohne die erforderliche Erlaubnis oder nach Erlaubniswiderruf durchgeführten Tätigkeit stellt sich häufig die Frage, ob eine allein auf die formelle Illegalität gestützte Untersagungsverfügung ohne Rücksicht auf die materielle Erlaubnisfähigkeit ergehen kann, ob etwa im Baurecht gegen ein ungenehmigt errichtetes Vorhaben (sog. Schwarzbau) auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes und der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG eine Abriss- oder Stilllegungsverfügung oder jedenfalls eine Nutzungsuntersagung erlassen werden darf, ohne dass eine materielle Prüfung erfolgt. Von der dritten und strengsten Stufe in Form des sog. repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt sind grundsätzlich unerwünschte und deshalb verbotene Verhaltensweisen betroffen, die nur aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise zugelassen werden können (z. B. baurechtlicher Dispens gemäß § 31 Abs. 2 BauGB, Ausnahmegenehmigung für eine Versammlung in der Bannmeile gemäß § 16 Abs. 1 VersG i.V.m. § 3 HBannmG, Sondernutzungserlaubnis gemäß § 16 HStrG). Auf die „Befreiung“ besteht kein Rechtsanspruch, sie steht vielmehr im pflichtgemäßen behördlichen Ermessen, sog. freie Erlaubnis. Der Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung kann sich bei einer Ermessensreduzierung im Einzelfall auf einen Befreiungsanspruch verdichten (Fall: „ADAC in der Bannmeile“).

4. Gefahrenabwehrverordnungen

a) Neben den Einzelfallmaßnahmen können zur Bekämpfung abstrakter Gefahren nach den §§ 71 ff. HSOG Gefahrenabwehrverordnungen erlassen werden mit abstrakt-generelle Ge- und Verbote „für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen“. Diese für die Rechtssetzung durch Exekutivorgane erforderliche gesetzliche Ermächtigung ist zwar nicht unmittelbar an den Schranken des Art. 80 Abs. 1 GG zu messen, die nur den Bundesgesetzgeber binden. Die Delegationsbefugnis des Landesgesetzgebers gemäß Art. 118 der Verfas-

6 sung des Landes Hessen (HV) ist jedoch in diesem Sinne grundrechtskonform zu interpretieren. Die Generalermächtigung in § 71 HSOG mit ihren nachfolgenden gesetzlichen Ergänzungen genügt wegen ihrer Präzisierung durch Rechtsprechung und Lehre den rechtsstaatlichen Anforderungen.

Die abstrakt-generellen Verordnungsregelungen sind von Allgemeinverfügungen gemäß § 35 Satz 2 HVwVfG abzugrenzen, die sich konkret-generell an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richten oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betreffen, wie etwa die straßenverkehrsrechtlichen Regelungen durch Verkehrszeichen. Die Abgrenzung ist - abgesehen von den materiellen Kriterien - im Regelfall schon deshalb unproblematisch, weil eine Gefahrenabwehrverordnung nach dem Formerfordernis des § 78 Nr. 2 HSOG in der Überschrift als solche bezeichnet werden muss. Für den Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen sind nach den §§ 72 bis 74 HSOG keine Polizeibehörden, sondern die Landesminister, insbesondere das Hessische Ministerium des Innern, die Regierungspräsidien, die Landkreise durch ihre Kreistage und die Gemeinden durch ihre Gemeindevertretungen, also nur Gefahrenabwehrbehörden zuständig. Nach dem in § 75 HSOG geregelten Rangverhältnis dürfen sie jeweils „höherrangigen“ Gefahrenabwehrverordnungen nicht widersprechen und diese nur bei ausdrücklicher Zulassung ergänzen. Grundsätzlich bleibt deshalb etwa nach Erlass der landesweit geltenden Hundeverordnung kein Raum mehr für kommunale Gefahrenabwehrverordnungen über (gefährliche) Hunde (vgl. aber § 9 Abs. 2 Nr. 2 HundeVO, wonach kommunale Flächen für Leinenzwang bestimmt werden können. Im kommunalen Bereich können die der staatlichen Gefahrenabwehraufgabe dienenden Gefahrenabwehrverordnungen mit Satzungsregelungen in Selbstverwaltungsangelegenheiten in „Konkurrenz“ treten, etwa bei Nutzungsregelungen für kommunale Einrichtungen oder Straßen. Neben den formalen Anforderungen des § 78 HSOG, wonach u.a. Angaben über Inhalt, gesetzliche Grundlage, örtliche und zeitliche Geltung und verordnende Stelle gemacht werden müssen, sind ggf. kommunalrechtliche Form- und Verfahrensvorschriften einzuhalten. Nach § 79 HSOG soll die Geltungsdauer der Gefahrenab-

7 wehrverordnungen beschränkt werden; andernfalls treten sie nach 30 Jahren außer Kraft. Sie müssen weiterhin dem aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden und in § 76 Abs. 1 Satz 1 HSOG normierten Bestimmtheitsgebot der Normklarheit und Justitiabilität genügen. Das schließt zwar eine Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus, nach Wortlaut, Zielsetzung und Regelungszusammenhang der verordneten Gebote oder Verbote muss für den Normadressaten aber eine hinreichend deutliche, eine willkürliche behördliche Handhabung ausschließende Abgrenzung des zulässigen von dem verbotenen – in der Regel auch gemäß § 77 HSOG bußgeldbedrohten – Verhalten möglich sein. So sind in der Rechtsprechung etwa Verbote, wie „sich nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herumzutreiben“ oder in der Öffentlichkeit „ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des Alkoholgenusses“ zu lagern oder dauerhaft zu verweilen, „wenn dessen Auswirkungen geeignet sind, Dritte erheblich zu belästigen“, als zu unbestimmt angesehen und deshalb für unwirksam erklärt worden. Von der Ermächtigung des § 71 HSOG sind weiterhin nur solche Ge- oder Verbote gedeckt, die unter Beachtung des Übermaßverbotes und der Grundrechte zur Abwehr abstrakter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich sind. Das setzt voraus, dass von dem untersagten Verhalten eine unmittelbare Störung oder Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter ausgeht, dass das Verhalten typischerweise nach der allgemeinen Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen im Einzelfall regelmäßig oder jedenfalls meistens zu konkreten Gefahren für polizeiliche Schutzgüter führt, also eine enge, unmittelbare ursächliche Verknüpfung zwischen dem allgemein untersagten Verhalten und dem befürchteten Schaden besteht; das ist nicht anzunehmen, wenn das verbotene Tun oder Lassen nicht ohne weiteres, sondern nur mittelbar, nämlich erst durch zusätzliche Handlungen der Normadressaten zu konkreten Gefahren führt, was in der Rechtsprechung etwa für Alkoholkonsum im öffentlichen Raum angenommen worden ist. Nach diesen Kriterien sind andererseits in kommunalen Polizeiverordnungen enthaltene Taubenfütterungsverbote als von den landesgesetzlichen Ermächtigungen gedeckt und verfassungskonform angesehen worden. Die Verunreinigungen von Straßen, Gehwegen, Hausfassaden, Dachrinnen, parkenden Fahrzeugen etc., die von den Tauben durch Taubenkot, Ungeziefer und Kadaver verendeter Tauben verursacht worden seien, führten zu Schäden an privatem und öffentlichem Eigentum

8 und zu Gefährdungen von Verkehrssicherheit und menschlicher Gesundheit, die ursächlich mit der Taubenfütterung verknüpft seien und denen durch die Beschränkung des Nahrungsmittelangebots entgegengewirkt werden könne. Dies verstoße weder gegen die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG der tierlieben Taubenfütterer noch gegen deren Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG und auch nicht gegen die Staatszielbestimmung des Tierschutzes in Art. 20 a GG.

Für die – später nicht mehr behandelten – Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Verordnungen gilt die Besonderheit, dass sie im Rahmen eines Anwendungsfalls einer inzidenten oder isoliert einer direkten gerichtlichen Prüfung unterworfen werden können. Die Ge- und Verbote in Gefahrenabwehrverordnungen können i.d.R. durch Bußgeldbescheide im Ordnungswidrigkeitenverfahren und durch Gefahrenabwehrverfügungen durchgesetzt werden; für letztere bedarf es auch bei Heranziehung der Generalklausel des § 11 HSOG keiner Feststellung einer konkreten Rechtsgutgefährdung, sondern nur eines Verstoßes gegen die abstrakten verordnungsrechtlichen Ge- oder Verbote, weil in dem Verstoß gegen die Rechtsordnung eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit liegt. Bei einer gerichtlichen Überprüfung dieser Maßnahmen – im Bußgeldverfahren nach erfolglosem Einspruch aufgrund der abdrängenden Sonderzuweisung in § 68 Abs. 1 Satz 1 OwiG durch die Amtsgerichte – ist inzident die Wirksamkeit und damit die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Gefahrenabwehrverordnung zu prüfen, die bei einem formellen oder materiellen Verstoß unmittelbar nichtig ist; eine gerichtliche Vorlagepflicht wie bei einem formellen Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht besteht bei Verordnungen nicht, eine solche besteht allenfalls an den Hessischen Staatsgerichtshof gemäß Art. 133 HV bei einem Verstoß gegen die Hessische Landesverfassung. Die im Rahmen einer Inzidentprüfung getroffene Entscheidung wirkt aber nur (inter partes) zwischen den Verfahrensbeteiligten. Daneben kann eine Gefahrenabwehrverordnung aber auch mit dem Ziel einer allgemeinverbindlichen Nichtigerklärung (inter omnes) innerhalb eines Jahres nach ihrer Bekanntmachung einem Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO i.V.m. § 15 HAGVwGO vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unterzogen werden. Antragsberechtigt sind gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO jede Behörde bzw. ihr

9 Rechtsträger und jede natürliche oder juristische Person, die insbesondere als Adressat der Ge- und Verbote eine akute oder zumindest mögliche Verletzung eigener Rechte unmittelbar durch die Verordnung oder ihre Anwendung hinreichend substatiiert geltend macht. Zur Abwendung schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen kann gemäß § 47 Abs. 6 VwGO auf Antrag, nicht von Amts wegen, aus dringenden, unabweisbaren Gründen eine einstweilige Anordnung auf vorläufige Nichtanwendung der Verordnung erlassen werden. Es muss zwar noch kein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gestellt, die Verordnung muss aber nach der Rechtsprechung zumindest bereits veröffentlicht sein. Grundsätzlich ist die gerichtliche Prüfung auf eine Folgenabwägung beschränkt. Auf das Verfahren ist § 123 Abs. 2 bis 4 VwGO entsprechend anwendbar; die gerichtliche Entscheidung ist nicht anfechtbar, sondern allenfalls bei veränderter Sach- und Rechtslage abänderbar (Fall: „gemeindlicher Leinenzwang“).

b) Die in Praxis und Ausbildung/Prüfung wichtigste Gefahrenabwehrverordnungen ist die über das Halten und Führen von Hunden (Hundeverordnung). In Hessen waren im Jahr 2000 auf der Grundlage der §§ 71, 72 HSOG zunächst eine “Kampfhundeverordnung“ und dann eine „Gefahrenabwehrverordnung gefährliche Hunde“ erlassen und letztere 2001 vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof teilweise für nichtig erklärt worden, u.a. hinsichtlich der unwiderleglichen Vermutung der Gefährlichkeit bestimmter gelisteter Hunderassen, weil auch für diese – wie für andere Rassen - eine durch eine positive Wesensprüfung widerlegliche Vermutung genügt hätte. Im Jahre 2002 erklärte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 3. Juli 2002 Regelungen der niedersächsischen Gefahrtier-Verordnung für unwirksam, die Hunde allein wegen ihrer Rassezugehörigkeit als gefährlich eingestuft und ihre Haltung deshalb besonderen Ge- und Verboten unterworfen hatte. Mangels hinreichend gesicherter Erkenntnisse über einen kausalen Zusammenhang zwischen Rassezugehörigkeit und Schadenseintritt begründe die Rassezugehörigkeit keine abstrakte Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht. Regelungen der Gefahrenvorsorge könnten aber nicht auf die allgemeinen polizeilichen Generalermächtigungen gestützt werden, die Vorsorgemaßnahmen nicht ausdrücklich umfassten. Freiheitseingriffe zum Zwecke der Gefahrenvorsorge bedürften nach den Grundsätzen vom

10 sog. Parlamentsvorbehalt vielmehr einer speziellen gesetzlichen Grundlage, weil nur dem Gesetzgeber die dafür erforderliche und „politisch“ jedenfalls mitgeprägte Bewertungs- und Entscheidungskompetenz zustehe. Daraufhin wurde § 71 a HSOG in das Gesetz eingefügt und die derzeitige Hundeverordnung vom 22. Januar 2003 erlassen. Diese wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in der Folgezeit als rechtmäßig beurteilt; u.a. mit der Maßgabe, die Liste der gefährlichen Hunderassen regelmäßig zu kontrollieren und neuen Erkenntnissen anzupassen. In späteren Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht seine Grundsätze dahin präzisiert, dass der Gesetzgeber die grundlegende Entscheidung über die Einführung von Rasselisten gefährlicher Hunde selbst treffen müsse, dem Verordnungsgeber aber einen Spielraum über die Festlegung der in die Listen aufzunehmenden Hunderassen belassen dürfe. Die aufgrund § 71 a Abs. 1 HSOG erlassene hessische Hundeverordnung vom 22. Januar 2003 ist – entgegen landläufiger Meinung – keine „Kampfhundeverordnung“ mehr und regelt das Halten und Führen nicht nur von gefährlichen Hunden, sondern – wie schon der Name der Verordnung und § 1 Abs. 1, 2 und 4 sowie § 9 Abs. 2 HundeVO zeigen –von Hunden ganz allgemein. Die Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörden zur Durchführung der Verordnung gemäß § 16 HundeVO erstreckt sich auch auf (unselbständige) Gefahrenabwehrverfügungen, die wegen eines Verstoßes gegen ein Gebot oder Verbot der Hundeverordnung auf die Generalermächtigung des § 11 HSOG gestützt werden (vgl. Fall: „namenlose gefährliche Hunde“). In § 2 Abs. 1 Satz 2 HundeVO sind Hunderassen aufgelistet, für die eine Gefährlichkeit unwiderleglich vermutet wird, denn auch eine positive Wesensprüfung ändert nichts an der Gefährlichkeitseinstufung, sondern führt nur zur Entlastung von einzelnen Ge- und Verboten. Für die Aufnahme in diese Liste ist es nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ausreichend, dass sich aus statistischem Material zu Beißvorfällen und zu erfolglos verlaufenen Wesensprüfungen objektive Anhaltspunkte ergäben, aus denen sich zumindest die Möglichkeit einer Schädigung von Menschen oder Tieren durch Hunde dieser Rasse oder Gruppe entnehmen lasse; hinreichend gesicherte fachwissenschaftliche Erkenntnisse seien dagegen nicht erforderlich.

11 „Kreuzungen“ einer gefährlichen Hunderasse sind grundsätzlich nicht nur direkte, sondern sämtliche Nachfahren; dann bedarf es allerdings der Feststellung, dass das Tier seinem äußeren Erscheinungsbild nach noch durch die Merkmale eines oder mehrerer „Listenhunde“ geprägt ist. Unabhängig von der Rassezugehörigkeit können Hunde gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 HundeVO auch wegen ihrer besonderen gefährlichen Wesensart oder wegen eines abschließend beschriebenen Beißvorfalls als gefährlich eingestuft werden. Dies kann behördlich durch feststellenden Verwaltungsakt verbindlich geregelt werden und ist einer der häufigsten Streitpunkte in Verwaltungsstreitverfahren über die Hundeverordnung. Die zu einer verhaltensbedingten Gefährlichkeit führende Schädigung eines anderen Tieres (auch eines anderen Hundes) liegt grundsätzlich bei jeder auf den Biss zurückzuführenden körperlichen Beeinträchtigung unabhängig von ihrer Schwere vor; außer Betracht bleiben nur ganz geringfügige Verletzungen, wie etwa einzelne herausgerissene Haare oder sehr kleine oberflächliche Kratzer. Für das Halten gefährlicher Hunde regelt § 1 Abs. 3 HundeVO – neben Vorschriften zur allgemeinen Hundehaltung in Abs. 1, 2 und 4 – ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die Erlaubniserteilung wird in § 3 Abs. 1 Satz 1 HundeVO u. a. vom Alter, von der Zuverlässigkeit und Sachkunde des Halters und von einer positiven Wesensprüfung und artgerechten Haltung des (gefährlichen) Hundes abhängig gemacht; es handelt sich danach um eine gemischte Erlaubnis mit persönlichen und dinglichen Elementen. Für die Eigenschaft als Hundehalter kommt es nicht ausschließlich auf die Eigentumsverhältnisse, sondern regelmäßig auf die auf eine gewisse Dauer angelegte Verwahrung bzw. Betreuung des Hundes in der Wohnung bzw. im „eingefriedeten Besitztum“ an. Das Führen und die Unterbringung gefährlicher Hunde werden in den folgenden Vorschriften besonderen Anforderungen unterworfen (u.a. Leinen- und Maulkorbzwang, Kennzeichnung, Grundstückssicherung). Nach der Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes kann mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage eine behördliche Verpflichtung zur Beantragung der erforderlichen Halteerlaubnis oder zur Herbeiführung ihrer Voraussetzungen nach § 3 HundeVO nicht ausgesprochen werden; fraglich ist, ob in einem solchen Fall die Einhaltung der an die Gefährlichkeit des Hundes anknüpfenden Ge- und Verbote mit Verwaltungsakt aufgegeben werden kann, da ja die Hundehaltung als

12 solche gemäß § 1 Abs. 3 HundeVO ohne Erlaubnis verboten ist. Dann fragt sich weiter, ob die bloß formelle Illegalität der Hundehaltung unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allein für eine Untersagung der Hundehaltung ausreicht, mit der Folge, dass der Hund gemäß § 14 Abs. 1 HundeVO sichergestellt werden müsste. Schließlich stellt sich die Frage, für welche gefährlichen Hunde der Leinenzwang gemäß § 9 Abs. 1 HundeVO und die Sicherung seiner Unterbringung gemäß § 10 Abs. 1 und 2 HundeVO gilt, da Hunde mit positiver Wesensprüfung davon ausgenommen sind und Hunde ohne positive Wesensprüfung nicht gehalten werden dürfen. Ein weiteres in der Praxis (noch) bedeutsames Beispiel für Gefahrenabwehrverordnungen sind die derzeit diskutierten sog. Alkoholverbote. Entgegen der allgemeinen Tendenz der Zentralisierung und Europäisierung polizeilicher Befugnisse im Zuge verstärkter (vorbeugender) Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung ist eine Kommunalisierungstendenz bei der Bekämpfung kriminogener Strukturen, Szenen und Milieus im örtlichen Bereich zu beobachten, wodurch einer Zunahme von Unsauberkeit und Unordnung, Nichtsesshaftigkeit, Alkohol- und Drogenkonsum, aggressivem Betteln, Graffitischmierereien, Randalieren und Vandalisieren von Jugendlichen entgegengewirkt werden soll. Die kommunalen Versuche, auf (bestimmten) öffentlichen Straßen und Plätzen, in öffentlichen Anlagen und Einrichtungen unliebsame Verhaltensweisen gesellschaftlicher Randgruppen, insbesondere übermäßigen Alkoholkonsum, wegen damit verbundener Begleiterscheinungen durch Gefahrenabwehrverordnungen generell zu verbieten, sind in der Rechtsprechung als unzulässig angesehen worden, weil in den fraglichen Verhaltensweisen selbst (noch) keine abstrakte Störung oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung liege. Weder das Herumtreiben nach Art eines Land- oder Stadtstreichers noch das „stille“ Betteln oder der öffentliche Alkoholkonsum selbst führten zu einer Verletzung oder Gefährdung geschützter Rechtsgüter. Es gebe aber auch keine hinreichenden Anhaltspunkte bzw. keine gesicherten Prognosen dafür, dass diese Verhaltensweisen regelmäßig und typischerweise, wenn auch nicht ausnahmslos die rechtsgutsverletzenden Begleiterscheinungen zur Folge hätten. Die erfahrungsgemäß nicht auszuschließenden Schadensmöglichkeiten begründeten keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht. Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen im Gefahrenvorfeld wür-

13 den aber durch die polizeilichen Ermächtigungsgrundlagen nicht gedeckt. In diesem Bereich der Gefahrenvorsorge sei nur der Gesetzgeber zu der erforderlichen Abwägung für abstrakt-generelle Grundrechtseingriffe befugt, eine solche Bewertungsund Entscheidungskompetenz stehe den Polizei- bzw. Gefahrabwehrbehörden nicht zu. So hat der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof beispielsweise mit zwei Urteilen vom 28. Juli 2009 entsprechende Regelungen in Polizeiverordnungen der Universitätsstadt Freiburg i.Br. vom 20. November 2007 und 22. Juli 2008 zunächst wegen fehlender Bestimmtheit und dann deshalb für unwirksam erklärt, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte im Sinne einer abgesicherten Prognose dafür vorlägen, dass das nach Zeit und Ort verbotene Konsumieren von Alkohol oder dessen Mitsichführen in Konsumabsicht regelmäßig und typischerweise Gewaltdelikte zur Folge habe, und die dargelegten Ursachenzusammenhänge lediglich einen Gefahrenverdacht begründeten. Mit entsprechender Begründung hat in jüngster Zeit das Oberverwaltungsgericht für das Land Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 17. März 2010 eine Gefahrenabwehrverordnung der Landeshauptstadt Magdeburg aufgehoben. Tatsächlich finden sich trotzdem derartige Verbote des Alkoholkonsums im öffentlichen Bereich in Gefahrenabwehrverordnungen zahlreicher deutscher Städte. Auch in der Literatur werden derartige Polizeiverordnungen in Fällen konkreter lokaler Probleme jedenfalls dann für rechtlich zulässig gehalten, wenn eine Gemeinde im Einzelfall plausibel nachweisen kann, dass der Alkoholkonsum zu bestimmten Zeiten auf einzelnen örtlichen Straßen und Plätzen dazu führt, dass dort und im näheren Umfeld eine Art Ausnahmezustand herrscht, der sich u.a. in einer höheren Gewaltdelinquenz niederschlägt. Ergänzend wird vorgeschlagen, die gesetzliche Regelungsbefugnis für Gefahrenabwehrverordnungen auf die Vorsorge gegen vom Alkoholkonsum ausgehende Gefahren zu erweitern, etwa nach dem Vorbild des § 71 a Abs. 1 Satz 1 HSOG für den Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen für Hunde, der ausdrücklich „auch Gebote und Verbote zur Vorsorge gegen die von Hunden ausgehenden Gefahren für Menschen und Tiere“ zulässt.

14 IX. Verwaltungszwang 1. Allgemeines Mit dem Erlass einer Gefahrenabwehrverfügung verschafft sich die Behörde selbst einen vollstreckbaren Titel, mit dem sie ihre Gebote und Verbote zur Gefahrenabwehr im Einzelfall selbst zwangsweise durchsetzen kann. Die Anwendung behördlichen Zwangs, besonders auch durch die polizeiliche Vollzugshilfe gemäß § 44 HSOG für beliebige andere Behörden und durch unmittelbaren polizeilichen Zwang bis hin zum Schusswaffengebrauch, ist eine klassische Verkörperung des „Gewaltmonopols des Staates“ und bedarf der engen rechtsstaatlichen Einbindung und Kontrolle in Form besonderer Ermächtigungsgrundlagen. Aus dem Übermaßverbot, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gesetzesvorbehalt ergibt sich eine Formund Regelungsstrenge des Verwaltungsvollstreckungsrechts. Die Vollstreckungsvorschriften des Hessischen Gefahrenabwehrrechts sind recht unübersichtlich. Die in Gefahrenabwehrverfügungen enthaltenen Gebote und Verbote, mit denen eine Handlung, Duldung oder Unterlassung gefordert wird, werden nach den §§ 47 ff. HSOG durchgesetzt, wenn sie von Ordnungs- und Polizeibehörden erlassen werden, und nach den §§ 1 bis 14 und §§ 68 ff. HVwVfG wenn sie von allgemeinen Verwaltungsbehörden erlassen werden. Die Vollstreckung wegen Geldforderungen erfolgt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG auch dann nach diesem Gesetz, wenn es sich um Leistungsbescheide der Ordnungs- und Polizeibehörden handelt. Die Standardbefugnisse der §§ 12 bis 43 HSOG beinhalten zwar teilweise Vollstreckungselemente (Anhalten, Festhalten, Durchsuchung oder Wegnahme), deren zwangsweise Durchsetzung bei Widerstand richtet sich aber auch nach den allgemeinen Vollstreckungsvorschriften. Wichtig für Verständnis und Anwendung des Verwaltungszwanges ist, dass es sich entsprechend seinem Präventivcharakter nicht um Sanktionen für begangenes Unrecht, sondern allein um Beugemittel zum Zwecke der Gefahrenabwehr handelt, die in erster Linie den Pflichtigen zur freiwilligen Erfüllung der ihm auferlegten Gebote oder Verbote zwingen sollen. Zwangsmittel können deshalb etwa gemäß § 48 Abs. 3 und 4 HSOG bzw. § 71 HVwVfG – ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG oder Art. 22 Abs. 3 HV – auch neben einer Strafe oder Geldbuße angewandt und solan-

15 ge wiederholt und gewechselt werden, bis der Verwaltungsakt befolgt wird, der angestrebte Erfolg auf andere Weise eintritt oder sich der Verwaltungsakt auf andere Weise erledigt. Zwangsmittel dürfen gemäß § 48 Abs. 4 HSOG bzw. § 71 Abs. 4 HVwVG nicht zur Erzwingung einer unmöglichen Leistung eingesetzt werden und die Vollstreckung ist gemäß § 3 HVwVG einzustellen und Vollstreckungsmaßnahmen sind aufzuheben, wenn der Erfolg erreicht ist oder nicht mehr erreicht werden kann. Grundsätzlich ist die Behörde, die den zu vollstrecke4nden Verwaltungsakt erlassen hat, gemäß § 47 Abs. 3 HSOG bzw. § 68 Abs. 1 HVwVG als Vollstreckungsbehörde auch für die Durchführung des Verwaltungszwangs zuständig. Da § 47 Abs. 1 und 2 HSOG keine Vollstreckungspflicht begründet, steht die Entscheidung über die Zwangsanwendung nach dem das Gefahrenabwehrrecht beherrschenden Opportunitätsprinzip im pflichtgemäßen Entschließungsermessen der Vollstreckungsbehörde.

2. Vollstreckungsverfahren a) Das vom Gesetzgeber für den Normalfall vorgesehene Verfahren wird als sog. gestrecktes Vollstreckungsverfahren bezeichnet und läuft in mehreren Stufen ab. (1) Als Vollstreckungsgrundlage bedarf es zunächst eines vollstreckungsfähigen Grundverwaltungsaktes. Dieser muss seinem Regelungsinhalt nach auf die Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet sein; feststellende und gestaltende Verwaltungsakte führen die angestrebte Rechtswirkung unmittelbar selbst herbei und sind deshalb nicht vollstreckbar. Die Vollstreckungsfähigkeit eines Ge- oder Verbotes setzt die hinreichende Bestimmtheit der getroffenen Regelung voraus; es muss für den Pflichtigen eindeutig erkennbar sein, welches Handeln, Dulden oder Unterlassen von ihm genau verlangt wird. Da – wie ausgeführt – die Unmöglichkeit der geforderten Handlung der Zwangsvollstreckung entgegensteht, stellt ein privatrechtlicher Hinderungsgrund ein Vollstreckungshindernis dar, das durch eine unwiderrufliche Einverständniserklärung des Berechtigten oder eine an ihn gerichtete sofort vollziehbare Duldungsverfügung beseitigt werden kann.

16 Schließlich setzt die Vollstreckungsfähigkeit eines gemäß § 43 Abs. 1 und 3 HVwVfG wirksamen und nicht nichtigen Grundverwaltungsaktes gemäß § 47 Abs. 1 HSOG bzw. § 2 HVwVG voraus, dass er unanfechtbar ist oder dass ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat, er also gemäß § 80 Abs. 2 VwGO sofort vollziehbar ist. Das gilt nach Satz 1 Nr. 4 dieser Vorschrift, wenn die Behörde „die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten“ ausdrücklich anordnet. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sind auch „unaufschiebbare Anordnungen von Polizeivollzugsbeamten“ schon kraft Gesetzes sofort vollziehbar; zu beachten ist, dass diese Regelung sich nicht auf Anordnungen der Ordnungsbehörden und der allgemeinen Verwaltungsbehörden bezieht, auch wenn sie (unaufschiebbare) Gefahrenabwehraufgaben wahrnehmen. Für Letztere sieht allerdings § 72 Abs. 1 HVwVG für Fälle einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eine Vollziehung unter Abweichung u.a. von § 2 Nr. 1 HVwVG, also vor Unanfechtbarkeit des Grundverwaltungsakts vor. Da eine entsprechende Regelung im HSOG fehlt, sind Ordnungsbehörden auf eine Vollziehungsanordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angewiesen. Obwohl nach dem eindeutigen Wortlaut der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften die Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Grundverwaltungsaktes keine Vollstreckungsvoraussetzung darstellt, wird dies in der Literatur teilweise angezweifelt. Es wird ein sog. Rechtmäßigkeitszusammenhang dahin hergestellt, dass die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung grundsätzlich Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Zwangsanwendung sei. Dabei sind die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Effizienz der Verwaltung einerseits und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des effektiven Rechtsschutzes andererseits zu beachten. Danach besteht Einigkeit, dass aus Rechtssicherheitsgründen bei Bestandskraft des Grundverwaltungsaktes dessen Rechtmäßigkeit in der Vollstreckung und der gerichtlichen Kontrolle nicht mehr in Frage gestellt wird. Beim Sofortvollzug gemäß § 47 Abs. 2 HSOG bzw. § 72 Abs. 2 HVwVG und bei der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme gemäß § 8 Abs. 1 HSOG (dazu weiter unten) erstreckt sich die Prüfung auf die Rechtmäßigkeit eines „hypothetischen“ Grundverwaltungsakts. Problematisch ist lediglich der Fall, dass ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt vor Eintritt seiner Unanfechtbarkeit vollzogen werden soll. Dann kann der Betroffene einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 Vw’GO

17 in Anspruch nehmen, bei dem die Rechtmäßigkeit des sofort vollziehbaren Verwaltungsakts als Teil der gerichtlichen Interessabwägung jedenfalls summarisch geprüft wird; das setzt allerdings die fristgerechte Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache, also Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen den Grundverwaltungsakt voraus. Wenn dieser sich durch die Vollstreckung erledigt und seine Rechtmäßigkeit deshalb im Rahmen einer (Fortsetzungs-) Feststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 bzw. § 43 VwGO nachträglich geprüft werden kann, soll dies nach Stimmen in der Literatur auch in einem Verfahren gegen einen Kostenbescheid gelten. Wenn der Betroffene gegen den vor seiner Bestandskraft vollzogenen Verwaltungsakt keinen Rechtsbehelf eingelegt hat und sich der Verwaltungsakt durch die Vollstreckung auch nicht erledigt, also bestandskräftig werden kann, wie das BVerwG 2008 für die Durchführung einer Ersatzvornahme entschieden hat, läuft der Betroffene Gefahr, nach Eintritt der Bestandskraft mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes im Anfechtungsverfahren gegen den Kostenerstattungsbescheid ausgeschlossen zu sein; in der Literatur wird deshalb eine erweiterte Rechtsbehelfsbelehrung bzw. die Anwendung des § 58 Abs. 2 VwGO (Jahresfrist) vorgeschlagen.

(2) Vor Einleitung des Vollstreckungsverfahrens hat die Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gemäß § 4 HSOG bzw. § 70 HVwVG eine Auswahl unter den in § 48 Abs. 1 HSOG bzw. den in den §§ 74 ff. HVwVG abschließend aufgeführten Zwangsmitteln zu treffen. Dem Zwangsmittel der Ersatzvornahme gemäß § 49 HSOG bzw. § 74 HVwVG kommt unter dem Gesichtspunkt der Willensbeugung des Pflichtigen die geringste Eingriffsintensität zu. Dabei wird eine vertretbare Handlung auf Kosten des Pflichtigen, die auch im Voraus verlangt werden können, durch die Vollstreckungsbehörde selbst (Selbstvornahme) oder durch eine beauftragten Dritten (Fremdvornahme) ausgeführt. Duldungs- und Unterlassungspflichten sind nicht vertretbar und deshalb nicht im Wege der Ersatzvornahme durchsetzbar.

18 Dafür und auch für andere unvertretbare Handlungen kommt das in seinem Beugecharakter stärkere Zwangsgeld gemäß § 50 HSOG bzw. § 76 HVwVG in Betracht, das nach § 76 Abs. 1 Satz 2 HVwVG auch zur Erzwingung einer vertretbaren Handlung eingesetzt werden kann; die Auswahl ist dann unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu treffen; einzelne vollstreckungsrechtliche Regelungen, die den Vorrang eines Zwangsmittels statuieren, wie etwa § 11 Abs. 1 VwVG (Bund) für die Ersatzvornahme, sind nicht verallgemeinerungsfähig. Die auf Antrag vom Verwaltungsgericht anzuordnende Ersatzzwangshaft gemäß § 51 HSOG bzw. § 76 a HVwVG ist kein eigenständiges Zwangsmittel, sondern stellt die Fortsetzung der auf Willensbeugung gerichteten Vollstreckung mittels Zwangsgeldes dar, wenn dieses uneinbringlich ist. Ein Zwangsgeld kann nach dem Tod des Pflichtigen nicht im Wege der Rechtsnachfolge gegen dessen Erben beigetrieben werden, weil es wegen seines Beugecharakters als höchstpersönliche Pflicht anzusehen ist. Streitig ist, ob ein Zwangsgeld noch festgesetzt und beigetrieben werden kann, wenn gegen ein Verbot mit Zwangsgeldandrohung verstoßen wurde, ein weiterer Verstoß – etwa wegen Befristung des Verbots – aber nicht mehr möglich ist; einerseits wäre die Zwangsgeldandrohung ohne nachfolgende Durchsetzung als Beugemittel untauglich, andererseits erhält das Zwangsgeld dadurch einen spezial- bzw. generalpräventiven Strafcharakter. Das „schärfste“ Zwangsmittel des unmittelbaren Zwanges ist in dem für die Vollstreckung durch allgemeine Verwaltungsbehörden anwendbaren HVwVG nicht vorgesehen, hier sind lediglich einzelne Befugnisse für die Wegnahme beweglicher Sachen gemäß § 77 HVwVG, die Zwangsräumung unbeweglicher Sachen, Räume oder Schiffe gemäß § 78 HVwVG und die Vorführung gemäß § 79 HVwVG geregelt. Unmittelbarer Zwang darf gemäß § 52 Abs. 1 HSOG nur von Polizeibehörden oder bestimmten Vollzugsbediensten oder sonstigen Berechtigten gemäß § 63 HSOG und nur als „ultima ratio“ angewandt werden, „wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind“; zur Erzwingung einer Erklärung ist unmittelbarer Zwang nicht zulässig. Nach der Legaldefinition in § 55 Abs. 1 HSOG ist unmittelbarer Zwang „die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch ihre Hilfsmittel und durch Waffen„; diese Aufzählung ist abschließend, so dass eine psychische Einwirkung durch Drogen oder Hypnose nicht zulässig ist.

19 Bei der Einwirkung auf Sachen kann zur Ersatzvornahme in Form der Selbstvornahme dahin abgegrenzt werden, dass bei unmittelbarem Zwang nicht genau die dem Pflichtigen auferlegte Handlung ausgeführt, sondern der Erfolg auf anderem Wege herbeigeführt wird. Diese Unterscheidung war grundsätzlich deshalb von Bedeutung, weil die Polizei die Kosten unmittelbaren Zwangs im allgemeinen selbst tragen muss, wie etwa gemäß § 10 VwVG (Bund), der die Selbstvornahme nicht als (kostenpflichtige) Ersatzvornahme ansieht. In Hessen verweist aber § 52 Abs. 1 Satz 3 HSOG für die Kosten des unmittelbaren Zwangs auf die Kostenregelung für die unmittelbare Ausführung gemäß § 8 Abs. 2 HSOG. Die Aufzählung der Hilfsmittel körperlicher Gewalt in § 55 Abs. 3 HSOG ist nicht abschließend, wohl aber die der Waffen in Absatz 4, die aber nach Satz 2 durch Verwaltungsvorschriften erweitert werden kann. In den §§ 60 ff. HSOG sind Voraussetzungen bzw. Einschränkungen des (gestuften) Schusswaffengebrauchs abschließend geregelt; die zivil- und strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe (Notwehr, Nothilfe und Notstand) begründen keine polizeilichen Zwangsanwendungsbefugnisse. Für den äußersten Fall „einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder einer gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit“ ist mit Änderungsgesetz vom 15. Dezember 2004 der sog. finale Rettungsschuss gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 HSOG zugelassen worden, wenn er das einzige Abwehrmittel ist.

(3) Nach der Auswahl des Zwangsmittels wird das gestreckte Verfahren in drei Vollstreckungsstufen durchgeführt. Im ersten Vollstreckungsschritt der Zwangsmittelandrohung ist ein bestimmtes Zwangsmittel gemäß § 53 HSOG bzw. § 69 HVwVG für jede einzelne Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht gesondert schriftlich anzudrohen; dabei sollen für eine angedrohte Ersatzvornahme deren voraussichtliche Kosten und für ein Zwangsgeld ein bestimmter Betrag angegeben werden. Nach § 53 Abs. 3 Satz 2 HSOG können mehrere Zwangsmittel zwar gleichzeitig angedroht werden, vorab ist aber die Reihenfolge ihrer Anwendung zu bestimmen. Nach § 76 Abs. 3 HVwVG kann mit entsprechendem Hinweis die erneute Festsetzung eines weiteren, gleich hohen Zwangsgeldes für den Fall angedroht werden, dass dessen Vollstreckung wirkungslos geblieben ist.

20 Die früher im preußischen Polizeiverwaltungsgesetz für Verbote enthaltene Androhung eines Zwangsmittels „für jeden Fall der Nichtbefolgung“ ist nach der Rechtslage in Hessen nicht (mehr) vorgesehen und deshalb unzulässig. Die Zwangsmittelandrohung ist zuzustellen und kann bzw. soll im Falle der sofortigen Vollziehbarkeit des Grundverwaltungsaktes mit diesem verbunden werden. Die Verbindung mit einem nicht sofort vollziehbaren Verwaltungsakt ist zwar zulässig, birgt aber die Gefahr, dass mit der aufschiebenden Wirkung eines dagegen eingelegten Rechtsbehelfs die Vollstreckungsgrundlage rückwirkend entfällt. Nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 Satz 2 HSOG ist „in der Androhung“ (selbst) eine angemessene Frist zur Erfüllung der Verpflichtung zu bestimmen, nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 HVwVG ist die Frist „verbunden mit der Androhung“ zu setzen. Es kann deshalb fraglich sein, ob eine nicht in der Androhung, sondern in der Grundverfügung eingeräumte „Erledigungsfrist“ als eine solche „Erzwingungsfrist“ angesehen werden kann. Die Zwangsmittelandrohung stellt das Kernstück des auf Willensbeugung gerichteten Vollstreckungsverfahrens dar. Dem Pflichtigen soll in aller Klarheit und Unzweideutigkeit schriftlich und mit förmlicher Zustellung eine Frist zur freiwilligen Erfüllung gesetzt und deutlich vor Augen geführt werden, mit welchem konkreten Zwangsmittel er andernfalls zu rechnen hat; im Wesentlichen durch diese Warnung bzw. Drohung soll er zur Erfüllung seiner Verpflichtung gezwungen werden. Die Zwangsmittelandrohung ist ein selbständiger Verwaltungsakt, der als Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §16 Satz 1 HAGVwGO sofort vollziehbar ist. Nach erfolgloser Androhung folgt als nächster Schritt die Festsetzung des Zwangsmittels, die sich im Rahmen der Androhung halten muss. Die Zwangsmittelfestsetzung ist ausdrücklich nur für das Zwangsgeld in § 50 Abs. 2 HSOG geregelt und in § 76 HVwVG vorausgesetzt, ihr wird aber auch im Übrigen Verwaltungsaktscharakter zuerkannt. Die letzte Vollstreckungsstufe in Form der Zwangsmittelanwendung erfolgt beim Zwangsgeld durch dessen Beitreibung nach den §§ 15 ff. HVwVG. Fraglich ist, ob die Anwendung der Ersatzvornahme oder des unmittelbaren Zwanges ebenfalls als Verwaltungsakt (konkludente Duldungsverfügung) oder bloß als Realakt einzuordnen ist.

21 b) Dieses „gestreckte Vollstreckungsverfahren“ ist in Fällen einer akuten Gefahr wegen des notwendigen Zeitaufwands zur effektiven Gefahrenabwehr nicht geeignet. Wenn zur Abwehr einer Gefahr, „insbesondere weil Maßnahmen gegen Personen nach den §§ 6 bis 9 (HSOG) nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen“, ein sofortiges ordnungsbehördliches oder polizeiliches Einschreiten erforderlich ist, lässt der Gesetzgeber ein sog. „einstufiges Verfahren“ zu. (1) Dazu ermöglichen § 47 Abs. 2 HSOG und § 72 Abs. 2 HVwVG bei Gefahrenabwehrmaßnahmen eine unmittelbare Zwangsanwendung ohne vorausgehende Gefahrenabwehrverfügung und gemäß § 53 Abs. 1 Satz 4 HSOG bzw. § 72 Abs. 1 HVwVG auch ohne Zwangsmittelandrohung. Dieser sog. „Sofortvollzug“ ist nicht zu verwechseln mit der sofortigen Vollziehbarkeit eines Grundverwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 2 VwGO, der nach § 47 Abs. 2 HSOG bzw. § 72 Abs. 2 HVwVG gerade entbehrlich ist. Bei der unmittelbaren Zwangsanwendung in Form des „Sofortvollzugs“ muss die Behörde „innerhalb ihrer Befugnis“ handeln. Das bedeutet, dass die formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines (fiktiven) Grundverwaltungsaktes vorliegen müssen und dass das Zwangsmittel selbst rechtmäßig angewandt wird. Entsprechend dem aus § 18 Abs. 2 VwVG (Bund) zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgrundsatz sind gegen die Anwendung eines Zwangsmittels ohne vorausgehenden Verwaltungsakt dieselben Rechtsmittel zulässig, die gegen Verwaltungsakte allgemein gegeben sind. (2) Angesichts der weitgehend identischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Verhältnis zur unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme gemäß § 8 Abs. 1 HSOG, bei der ebenfalls wegen einer akuten Gefahrensituation ein vollziehbarer Grundverwaltungsakt und Zwangsmittelandrohung und -festsetzung nicht ergehen müssen, aber dogmatisch teilweise zu einem fiktiven Verwaltungsakt zusammengefasst werden, bereitet die Abgrenzung dieser beiden polizei- und ordnungsrechtlichen Rechtsinstitute erhebliche Schwierigkeiten. Teilweise wird eine der beiden Regelungen für überflüssig gehalten, teilweise wird in § 47 Abs. 2 HSOG eine Ergänzung zu § 8 Abs. 1 HSOG gesehen, teilweise wird - auch vom Hess.VGH - ein Anwendungsvorrang des § 8 Abs. 1 HSOG angenommen und teilweise wird danach abgegrenzt, dass § 47 Abs. 2 HSOG Fälle zwangsweiser Willensbeugung insbesondere bei der Durchführung unvertretbarer Handlungen erfasse, während die unmittelbare Ausführung gemäß § 8 Abs. 1 HSOG bei

22 nicht anwesendem, nicht willensbildungsfähigem oder nicht erreichbarem Verantwortlichen der Durchführung einer vertretbaren Handlung entsprechend seinem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen, also ohne Willensbeugung diene.

(3) Diese Rechtsfiguren und Abgrenzungsschwierigkeiten sind von besonderer Bedeutung in den Fällen des Abschleppens verbotswidrig abgestellter Fahrzeuge. Die rechtliche Einordnung des Abschleppvorgangs ist nicht generell möglich, sondern von der jeweiligen Fallkonstellation abhängig. Zunächst kommt es auf die behördliche Zielrichtung an. So kann die Polizei repressiv im Zusammenhang mit einer Strafverfolgung im Wege einer strafprozessualen Sicherstellung oder Beschlagnahme, z.B. zur Spuren- bzw. Beweissicherung, oder aber zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten oder Straftaten vorgehen. Sie kann aber auch präventiv zur Gefahrenabwehr handeln, was hier allein zu behandeln ist. In der regelmäßig vorliegenden Gemengelage genügt es, wenn sie überwiegend präventiv vorgeht. Im Rahmen der Gefahrenabwehr ist weiter danach zu differenzieren, ob das Kfz wegen einer von ihm selbst ausgehenden Gefahr abgeschleppt und in amtlichen Gewahrsam genommen werden soll, etwa weil es ungesichert ist und vor dem Zugriff Dritter geschützt, einem notorischen Raser entzogen oder als Gefahrenquelle wegen eines mangelhaften bzw. schrottreifen Zustands entfernt werden soll; dann kommt eine Sicherstellung gemäß § 40 HSOG in Betracht. In der Mehrzahl der Abschleppfälle geht es aber den Gefahrabwehrbehörden darum, die von dem verkehrswidrigen Abstellen eines Kfz wegen seiner „Lage im Raum“ ausgehende Gefahr bzw. Störung für den Straßenverkehr zu beseitigen. Als Ersatzvornahme gemäß § 49 HSOG sind Abschleppvorgänge zu qualifizieren, die der Durchsetzung eines auf Beseitigung gerichteten Grundverwaltungsaktes dienen. Unproblematisch sind Fälle, in denen der Fahrer bzw. Halter anwesend ist und einer behördlichen Beseitigungsanordnung nicht nachkommt. Die Beseitigungsanordnung kann mündlich erfolgen, sie ist als unaufschiebbare Maßnahme von Polizeivollzugsbeamten oder nach einer ausdrücklichen mündlichen Vollziehungsanordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 4 VwGO sofort voll-

23 ziehbar und bei der Notwendigkeit eines sofortigen Abschleppens kann gemäß § 53 Abs. 1 Satz 4 HSOG von einer Zwangsmittelandrohung abgesehen werden. Ähnliches gilt bei Abwesenheit des Fahrers bzw. Halters nach der sog. Verkehrszeichenrechtsprechung, wenn das Kfz unter Verstoß gegen ein durch ein Verkehrsschild oder eine Verkehrseinrichtung (z.B. Parkuhr) angeordnetes Halte- oder Parkverbot abgestellt ist. Nach dieser Rechtsprechung, die Verkehrszeichen als Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen gemäß § 35 Satz 2 (H)VwVfG ansieht, ist darin zugleich ein Wegfahrgebot enthalten, das in Analogie zu § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar ist und durch das Abschleppen im Wege der Ersatzvornahme ohne vorherige Androhung gemäß § 53 Abs. 1 Satz 4 HSOG durchgesetzt wird. Teilweise wird diese Konstruktion dann nicht für anwendbar gehalten, wenn das Halteverbotsschild nach einem zunächst erlaubten Abstellen des Kfz nachträglich aufgestellt wird, der Fahrer es also deshalb nicht wahrnehmen konnte und ihm gegenüber kein Wegfahrgebot ergangen sei. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG (vgl. Urteil vom 11.12.1996 – 11 C 15/95 – BVerwGE 102 S. 316 ff.) wird ein Verkehrszeichen gemäß § 41 Abs. 3 (H)VwVfG und § 45 Abs. 4 StVO aber durch Aufstellen oder Anbringen öffentlich bekanntgemacht und dadurch unabhängig von der subjektiven Kenntnisnahme gegenüber allen Verkehrsteilnehmern wirksam, zu denen auch der Halter eines am Straßenrand geparkten Fahrzeugs gehört, solange er Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Fahrzeug ist. Nach dieser Rechtsprechung stellt der Abschleppvorgang auch gegenüber dem Halter eine Ersatzvornahme zur Durchsetzung des in dem später aufgestellten Verkehrszeichen verkörperten Wegfahrgebots dar. Die Anfechtungsfrist, die mangels schriftlicher Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr beträgt, beginnt aber im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG erst zu laufen, wenn er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft; sie wird allerdings nicht erneut ausgelöst, wenn er sich dem Verkehrszeichen später ein weiteres Mal gegenübersieht. Kaum überwindbare Schwierigkeiten für die sog. Verkehrszeichenrechtsprechung bestehen aber dann, wenn nicht die für das Aufstellen der Verkehrszeichen als Straßenverkehrsbehörde zuständige Ordnungsbehörde, sondern die (Vollzugs-) Polizeibehörde das verkehrswidrig abgestellte Kfz abschleppt bzw. abschleppen lässt, denn nach § 47 Abs. 3 HSOG ist nur die Behörde für die Anwendung von Zwangsmitteln zuständig, die den ordnungsbehördlichen oder polizeilichen Verwaltungsakt

24 erlassen hat. Mangels Identität von Ausgangs- und Vollstreckungsbehörde wäre das polizeiliche Abschleppen keine rechtmäßige Ersatzvornahme. Teilweise wird zur Entkräftung des Einwands der polizeilichen Unzuständigkeit auf ihre Eilzuständigkeit gemäß § 2 Satz 1 HSOG und teilweise darauf verwiesen, das Verkehrszeichen sei auch der Polizei zuzurechnen, weil es der Anordnung eines Polizeivollzugsbeamten gleichgestellt sei. In der Rechtsprechung des Hess.VGH wird in diesen Fällen eine unmittelbare Ausführung durch die Polizei gemäß § 8 Abs. 1 HSOG angenommen. Dasselbe gilt nach allgemeiner Auffassung, wenn sich das Halte- und Parkverbot nicht aus einem Verkehrszeichen, sondern unmittelbar aus der StVO ergibt, wie etwa auf Gehwegen, vor Kreuzungen und Einmündungen oder in Kurven. Dann lässt sich bei Abwesenheit von Fahrer bzw. Halter keine vollstreckbare Beseitigungsanordnung konstruieren, so dass eine unmittelbare Ausführung gemäß § 8 Abs. 1 HSOG vorliegt. Unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes bzw. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes werden zu den Abschleppfällen u.a. folgende Fallgruppen und Fragen diskutiert: Dazu, ob allein der straßenverkehrsrechtliche Verstoß zur Rechtfertigung des Abschleppens ausreicht oder ob zusätzlich eine konkrete Verkehrsbehinderung erforderlich ist, hat sich die Rechtsprechung auch unter Einbeziehung spezial- und generalpräventiver Überlegungen (negative Vorbildwirkung) mehr zu einer „abschleppfreundlichen“ Einstellung entwickelt. Zunehmend wird die bloße Möglichkeit einer Behinderung durch die eingetretene Funktionsbeeinträchtigung für ausreichend erachtet, so für verbotswidriges Parken im absoluten Halteverbot, an einer abgelaufenen Parkuhr, auf einem Behinderten-, Bus- oder Anwohnerparkplatz, in Fußgänger- und Sicherheitszonen oder in einer Feuerwehreinfahrt. Beim Halten an unübersichtlichen Straßenstellen, in scharfen Kurven, in Einmündungs- und Kreuzungsbereichen oder vor bzw. gegenüber Grundstücksein- und -ausfahrten ist bei Bejahung eines verkehrsrechtlichen Verstoßes i.d.R. wegen der dadurch indizierten Gefährdung bzw. Behinderung des Straßenverkehrs ein sofortiges Abschleppen erforderlich.

25 Neben einer „Wartefrist“ etwa vor einer abgelaufenen Parkuhr stellt sich weiter die Frage, ob vor dem Abschleppen bei abwesendem Fahrer bzw. Halter eine Nachforschungspflicht nach deren Verbleib besteht. Das wird wegen der geringen Erfolgsaussicht und der zusätzlichen Verzögerung grundsätzlich verneint, es sei denn, wegen der besonderen Umstände des konkreten Falles wäre mit einem schnellen und sicheren Erfolg zu rechnen. Eine Halteranfrage wird generell nicht gefordert. Auch eine Anwohnerparkberechtigung soll nicht zu einer erhöhten Schutzwürdigkeit führen. Eine im Kfz sichtbare Erreichbarkeits- und Bereitschaftserklärung muss eine kurzfristige und zuverlässige Störungsbeseitigung ohne unzumutbaren Behördenaufwand gewährleisten; die Angabe des nahe gelegenen Aufenthaltsortes des Fahrers oder das bloße Hinterlassen einer Tel.- oder handy-Nr. ohne konkret nachvollziehbaren Situationsbezug wird wegen des spezial- und generalpräventiven Zwecks der Abschlepppraxis als nicht ausreichend angesehen. Besonders problematisch sind die Fälle der mobilen Halteverbotsschilder, die etwa zur Einrichtung einer Baustelle, für einen Wohnungsumzug, für ein privates Straßenfest oder für Faschingsumzüge an Stellen aufgestellt werden, an denen bereits Fahrzeuge erlaubtermaßen parken. Das Abschleppen einschließlich der Kostenbelastung soll nach der Rechtsprechung zulässig sein, wenn seit dem Aufstellen der Verkehrszeichen eine Vorlaufzeit von zwei bis vier Tagen vergangen ist. Dies wird mit einer Art Obliegenheit des Fahrers bzw. Halters begründet, bei einem Dauerparken spätestens alle vier Tage „nach dem Rechten“ zu sehen. Auf der „Sekundärebene“ sollten für die Auferlegung der Abschleppkosten im Sinne einer angemessenen Risikoverteilung folgende Gesichtspunkte einbezogen werden: Vorhersehbarkeit der Verkehrsregelung, Bekanntmachung der auslösenden Veranstaltung, Information an die Fahrzeughalter und eine erhöhte behördliche Nachforschungspflicht. Schließlich kann auch allein ein geringfügiges Umsetzen eines verbotswidrig abgestellten Kfz auf eine Fläche in der Nähe angemessen sein, wenn die Gefahrenlage dadurch beseitigt wird, das Fahrzeug dort nicht gefährdet und für den Fahrer leicht auffindbar ist.

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D. Entschädigung und Kosten

I. Entschädigungsansprüche Die Frage, ob dem Bürger aufgrund von Beeinträchtigungen durch behördliche Gefahrenabwehrmaßnahmen Entschädigungsansprüche zustehen, betrifft im weitesten Sinne den Bereich der „Staatshaftung“, also Amtshaftung, enteignungsgleicher bzw. enteignender Eingriff oder Aufopferung; daneben enthält das Gefahrenabwehrrecht eigene Ausgleichsregelungen in den §§ 64 ff. HSOG. Dabei ist zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Maßnahmen zu unterscheiden.

1. Rechtmäßige Maßnahmen Den rechtmäßig nach den §§ 6 oder 7 HSOG in Anspruch genommenen Verantwortlichen stehen grundsätzlich keine Entschädigungs- oder Ersatzansprüche zu; teilweise anders gesehen wird dies etwa für Grundstückseigentümer, die z. B. wegen eines Tankwagenunfalls „selbst Opfer“ sind.

a) Dagegen gewährt § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG dem im Rahmen eines polizeilichen Notstands rechtmäßig gemäß § 9 HSOG in Anspruch genommenen Nichtstörer, etwa dem Vermieter bei einer Obdachloseneinweisung, einen Ausgleichsanspruch, der eine gesetzliche Ausgestaltung des allgemeinen Aufopferungsgedankens wegen eines Sonderopfers darstellt. Diese Regelung bezieht sich aber nur auf eine gezielte hoheitliche Inanspruchnahme.

b) Einem unbeabsichtigt geschädigten unbeteiligten Dritten, etwa einem durch eine verirrte Polizeikugel Getroffenen, steht in Hessen mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ein Entschädigungsanspruch allenfalls in entsprechender Anwendung des § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG oder aus dem allgemeinen Aufopferungsanspruch zu.

27 c) Demgegenüber besteht für den sog. freiwilligen Nothelfer ein Ausgleichsanspruch gemäß § 64 Abs. 3 HSOG; ohne diese gesetzliche Regelung hätte er keinen Anspruch, weil er sich nicht in einer „Sonderopfer-Situation“ befindet.

d) Noch umstritten ist die Entschädigung aufgrund der Inanspruchnahme eines sog. Anscheinsstörers oder nach einem Gefahrenerforschungseingriff wegen eines Gefahrenverdachtes. Im Wesen der Anscheinsgefahr liegt es, dass nach einer ex-postBetrachtung objektiv keine Gefahr vorlag und auch der Gefahrenverdacht kann sich als unbegründet erweisen, obwohl beide Eingriffe in der dafür erforderlichen ex-anteSicht gerechtfertigt waren. In diesen Fällen wird von der inzwischen wohl h. M. den Betroffenen in entsprechender Anwendung des § 64 Abs. 1 Satz 1 HSOG ein Ausgleichsanspruch zugebilligt, wenn sie die Anscheinsgefahr bzw. den Gefahrenverdacht nach der ex-post-Beurteilung nicht in zurechenbarer Art und Weise gesetzt und deshalb nicht zu verantworten haben. Die Differenzierung zwischen der Primärebene der Gefahrenabwehr und der Sekundärebene der gerechten Lastenverteilung erscheint auch sachgerecht; diese Auffassung hat in § 24 Abs. 1 BBodSchG ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden.

2. Rechtswidrige Maßnahmen

a) Bei rechtswidrigen Maßnahmen zur konkreten Gefahrenabwehr durch Gefahrabwehr- oder Polizeibehörden gewährt § 64 Abs. 1 Satz 2 HSOG einen verschuldensunabhängigen Schadensausgleichsanspruch. Der Begriff „Maßnahmen“ erfasst sowohl Verwaltungsakte als auch Realakte; es spricht einiges dafür, dass entgegen der wohl h. M. darunter auch pflichtwidriges behördliches Unterlassen im Falle einer bestehenden Garantenpflicht fällt. Für die haftungsbegründende Rechtswidrigkeit der Maßnahme dürfte wohl nur auf das sog. Handlungsunrecht, nicht aber auf ein etwa zufällig eingetretenes sog. Erfolgsunrecht abzustellen sein (z. B. verirrte Polizeikugel nach rechtmäßigem Schusswaffengebrauch).

28 b) Bei schuldhaft rechtswidrigem Verwaltungshandeln kommen Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht, die gemäß § 64 Abs. 4 HSOG in Anspruchskonkurrenz zur Haftung aus Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift stehen.

3. Art und Umfang Inhalt, Art und Umfang des Ausgleichsanspruchs gemäß § 64 HSOG sind in den §§ 65 ff. HSOG geregelt. Neben dem unmittelbaren Vermögensschaden können unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbare Schäden, wie etwa entgangener Gewinn und Nutzungsausfall berücksichtigt und kann bei Körper- oder Gesundheitsverletzungen oder Freiheitsentziehung Schmerzensgeld gewährt werden. Der Anspruch ist nach § 64 Abs. 2 ausgeschlossen, soweit die – dazu objektiv geeignete und rechtmäßige – Maßnahme zum Schutz der Person oder des Vermögens des Geschädigten getroffen wurde. Der Ausgleichsanspruch richtet sich gemäß § 68 Abs. 1 HSOG grundsätzlich gegen die Anstellungskörperschaft, also bei Handlungen der Polizeibehörden gegen das Land Hessen und bei Handlungen der Gefahrenabwehrbehörden gegen die jeweilige Kommune. Bei Vollzugshilfe gemäß § 44 HSOG ist die Körperschaft der ersuchenden Behörde ausgleichspflichtig; sie hat gemäß § 68 Abs. 3 HSOG ggf. einen Erstattungsanspruch gegen das Land als Anstellungskörperschaft, wie auch generell gemäß § 69 HSOG ein – ggf. gesamtschuldnerischer – Ersatzanspruch der ausgleichspflichtigen Körperschaft gegen die Verantwortlichen nach § 6 oder 7 HSOG besteht. Der Schadensausgleichsanspruch gemäß §§ 64 bis 68 Abs. 1 und 2 HSOG ist gemäß § 70 HSOG im ordentlichen Rechtsweg vor den Zivilgerichten geltend zu machen, der Erstattungs- oder Rückgriffsanspruch gemäß § 68 Abs. 3 bzw. § 69 HSOG gehört dagegen vor die Verwaltungsgerichte.

29 II. Gefahrenabwehrkosten

1. öffentliche Kostentragung Die allgemeinen Kosten für die dem Land Hessen gemäß § 81 HSOG obliegende staatliche Aufgabe der Gefahrenabwehr tragen gemäß §§ 104 ff. HSOG grundsätzlich die öffentlich-rechtlichen Aufgabenträger (Land und Kommunen), denen gemäß § 109 HSOG – unabhängig vom Finanzausgleich – auch die mit der Tätigkeit der Polizeibehörden verbundenen Einnahmen zufließen. Die öffentliche Kostentragung entspricht dem Umstand, dass die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit den aus den Freiheitsgrundrechten folgenden verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates und seiner rechtsstaatlichen Verpflichtung aus Art. 20 Abs. 3 GG entspringt, das staatliche Gewaltmonopol legitimiert und im Kernbereich der Maßnahmen mit Sicherheitsfunktion und Sanktionscharakter zu den nach Art. 33 Abs. 4 GG unverzichtbaren Staatsaufgaben gehört. Diese sind nach dem finanzverfassungsrechtlichen Steuerstaatsprinzip grundsätzlich durch allgemeine Steuern zu finanzieren. Wenn aber ein Verantwortlicher gemäß §§ 6 oder 7 HSOG eine Gefahr mit eigenen Mitteln beseitigt hat, bleibt die Kostenlast trotzdem bei ihm, weil sie die Konsequenz aus seiner Verantwortlichkeit ist.

2. Kostenerstattung In gewissem Umfang können aber die dem Staat für Gefahrenabwehrmaßnahmen entstandenen Kosten einfachgesetzlich einzelnen Betroffenen auferlegt werden, wenn ihnen eine solche behördliche Tätigkeit individuell zurechenbar ist. Dabei muss unterschieden werden zwischen der „Primärebene“ des polizeilichen Eingriffs mit dem öffentlichen Interesse an einer schnellen und effektiven Gefahrenabwehr bzw. Störungsbeseitigung einerseits und der „Sekundärebene“ der Kostenhaftung mit dem Gebot einer gerechten Lastenverteilung andererseits. Nach diesen Grundsätzen kann die Kostenpflicht bei einer Anscheinsstörung oder bei Gefahrenverdacht davon abhängig gemacht werden, dass bei einer ex-postBetrachtung eine individuell zurechenbare Verursachung anzunehmen ist. Bei Großveranstaltungen, wie etwa Bundesliga-Fußballspielen, Pop-Konzerten,

30 politischen Kundgebungen, Castor-Transporten, könnte eine Zurechnung über die Figur des sog. Zweckveranlassers erfolgen, weil die zu erwartenden Störungen billigend in Kauf genommen werden. Zweifelhaft ist aber, ob der Veranstalter zu den konkreten Schutzmaßnahmen, die die Polizei durchführt, selbst hätte verpflichtet werden können; nur dann könnten er auch zur Erstattung der der Polizei dafür entstandenen Kosten herangezogen werden. Es käme deshalb nur eine gesetzliche Kostenhaftung des Veranstalters nach Gebührenrecht in Frage, die aber für politische, gewerkschaftliche oder religiöse Veranstaltungen verfassungsrechtlich ausgeschlossen und allenfalls für kommerzielle Veranstaltungen zu erwägen sein dürfte. Ähnliches gilt für den Anmelder oder Veranstalter von Demonstrationen. Wenn diese verboten oder aufgelöst werden, kommt eine Kostenhaftung von Teilnehmern in Betracht, die einen Polizeieinsatz verursachen. Beim polizeilichen Einschreiten im Zusammenhang mit Hausbesetzungen zum Schutz privater Rechte des Hauseigentümers kann dieser bei entsprechenden landesrechtlichen Regelungen erstattungs- bzw. gebühren- und auslagenpflichtig sein. Wird ein Einschreiten im öffentlichen Interesse zur Gefahrenabwehr erforderlich, sind die Hausbesetzer als Störer kostenpflichtig. Die gebührenrechtliche Auferlegung von Polizeikosten aufgrund von Fehlalarmen privater Alarmanlagen ist unter den Gesichtspunkten der Privatnützigkeit und der Zuordnung des Fehlfunktionsrisikos in die Sphäre des Betreibers gerechtfertigt. Da in Hessen das HSOG für die Erhebung allgemeiner Verwaltungskosten in Form von Gebühren und Auslagen keine Grundlage bietet, können die öffentlichen Kostenträger der Gefahrenabwehr diese nur insoweit geltend machen, als in dem auch für Amtshandlungen von Landes- und kommunalen Gefahrenabwehrbehörden geltenden Hessichen Verwaltungskostengesetz gebührenpflichtige Tatbestände enthalten sind. Grundlage bietet die für Gefahrenabwehrbehörden entsprechend anwendbare Verwaltungskostenordnung für Amtshandlungen im Geschäftsbereich des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport mit einem Verwaltungskostenverzeichnis. Für die Durchführung bestimmter Maßnahmen finden sich dagegen Kostenregelungen im HSOG, nämlich für die unmittelbare Ausführung in § 8 Abs. 2 HSOG, der gemäß § 52 Abs. 1 Satz 3 HSOG auch für die Kosten unmittelbaren Zwangs entsprechend anwendbar ist, für die Ersatzvornahme in § 49 HSOG und für die Sicherstellung einschließlich Verwahrung und Verwertung in § 43 Abs. 3 HSOG.

31 Die gesetzlichen Kostenregelungen sind abschließend, so dass danach nicht erstattungsfähige Kosten nicht auf einer anderen Grundlage, etwa nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag, geltend gemacht werden können.

3. Beispiel: Kfz-Abschleppkosten

Die Anwendung der im HSOG besonders geregelten Kostenerstattungsvorschriften wird insbesondere im Fall der Kfz-Abschleppkosten praxisrelevant. Nach allen Vorschriften ist die Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme Voraussetzung des Kostenerstattungsanspruchs. Bei einer unmittelbaren Ausführung sind dabei neben den Dringlichkeitsgründen gemäß § 8 Abs. 1 HSOG auch die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für einen fiktiven Grundverwaltungsakt in Form einer Beseitigungsanordnung gegen den abwesenden Betroffenen zu prüfen. Bei einer Ersatzvornahme zur Vollstreckung eines Grundverwaltungsaktes in Form einer Beseitigungsanordnung gegenüber dem anwesenden Fahrer bzw. Halter oder eines Wegfahrgebotes aufgrund eines Verkehrszeichens stellt sich auch hier die Frage, ob über die Vollstreckbarkeit des vollzogenen Verwaltungsaktes hinaus auch dessen Rechtmäßigkeit Prüfungsgegenstand im Kostenverfahren ist. Soweit eine Erledigung eines vor seiner Bestandskraft vollzogenen Verwaltungsaktes angenommen wird, wird dies in der Literatur bejaht. Da aber das BVerwG die Erledigung eines auch irreversibel durch Ersatzvornahme vollzogenen Verwaltungsaktes wegen der fortdauernden Rechtswirkungen für das Vollstreckungsverfahren verneint, kann der Betroffene dessen Rechtmäßigkeitskontrolle nur durch einen Rechtsbehelf gegen den vollzogenen Verwaltungsakt selbst erreichen, den er aber vor Eintritt der Bestandskraft einlegen muss, um mit diesen Einwänden nicht im Kostenverfahren ausgeschlossen zu sein.

Zu den unmittelbar durch die Maßnahme verursachten Kosten gehören die an den beauftragten Unternehmer zu zahlenden Abschleppkosten, die auch die gemäß § 53 Abs. 4 bzw. § 49 Abs. 2 HSOG vorläufig veranschlagten Kosten der Ersatzvornahme übersteigen können.

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Zu den Erstattungskosten gehört auch ein besonderer, über den allgemeinen Verwaltungsaufwand hinausgehender behördlicher Personal- und Sachaufwand, etwa durch Überstunden oder Gutachterkosten. Durch die Verweisungen in § 49 Abs. 1 und § 8 Abs. 2 HSOG auf § 43 Abs. 3 HSOG ist klargestellt, dass auch Verwahrungs- und ggfs. Verwertungskosten verlangt werden können. Aufgrund dieser Verweisungen kann unabhängig von der rechtlichen Einordnung der Abschleppmaßnahme die Herausgabe eines abgeschleppten und verwahrten Fahrzeugs von der Zahlung der Abschleppkosten abhängig gemacht werden. Ob danach Dritten nicht nur die Verwahrung und die Einziehung der Kosten, sondern auch das behördliche Zurückbehaltungsrecht übertragen werden kann, erscheint allerdings zweifelhaft, weil dessen Ausübung im behördlichen Ermessen liegt; es ist deshalb jedenfalls sicherzustellen, dass ein beauftragtes Abschleppunternehmen jederzeit – ggfs. telefonisch – eine Behördenentscheidung über die Herausgabe des abgeschleppten Fahrzeugs einholen kann. Der Erstattungsanspruch kann gemäß § 8 Abs. 2, § 43 Abs. 3 und § 49 Abs. 2 HSOG gegenüber den nach §§ 6 oder 7 HSOG Verantwortlichen „ im Verwaltungsvollstreckungsverfahren (gemäß §§ 15 ff. HVwVG) beigetrieben“, also durch Leistungsbescheid in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geltend gemacht werden. Zuständig für die „Erhebung der Kosten von Maßnahmen der Polizeibehörden“ ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 HSOG-DVO das Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung. Der Kostenerstattungsbescheid stellt nach herrschender – aber bestrittener – Auffassung keine gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbare „Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten“ dar, weil er nicht der Deckung des (haushaltsmäßig erfassten) allgemeinen staatlichen Finanzbedarfs dient. Soweit der Abschleppvorgang vollstreckungsrechtlich eingeordnet wird, ist der Erstattungsbescheid in Hessen nach der 2008 erfolgten Neufassung des § 16 Satz 1 HAGVwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO als „’Anforderung von Kosten oder voraussichtlichen Kosten der Verwaltungsvollstreckung einschließlich Zinsen“ sofort vollziehbar. Damit sollte nach der Gesetzesbegründung (LT/Ds 17/368 S. 31) der Streit in der Rechtsprechung hinsichtlich der Ersatzvornahmekosten für die Vollstreckungspraxis im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geklärt wer-

33 den, weil vor dem Hintergrund knapper Haushaltsmittel auf eine sofortige Vollziehbarkeit der Kostenbescheide nicht verzichtet werden könne.

Kostenschuldner des Erstattungsanspruchs ist in erster Linie der gemäß § 6 HSOG verantwortliche Fahrer des verbotswidrig abgestellten Kfz. Die Kosten können aber in Ausübung des Auswahlermessens unter Berücksichtigung einer gerechten Lastenverteilung ggfs. auch gemäß § 7 HSOG dem Halter und Eigentümer auferlegt werden. Dessen Haftung endet allerdings mit Veräußerung und Besitz- und Eigentumsübertragung. Letzteres gilt nach der – bestrittenen – Rechtsprechung des Hess.VGH auch dann, wenn der Veräußerer unter Verstoß gegen § 27 Abs. 3 StVZO Name und Anschrift des Erwerbers nicht (richtig) an die Zulassungsstelle gemeldet hat und deshalb die Kosten für das Abschleppen des später „wild“ abgelagerten Autowracks vom Erwerber nicht erhoben werden können; es besteht nämlich kein polizeirechtlicher Verursachungszusammenhang zwischen diesem Pflichtverstoß des Veräußerers und der beseitigten Störung.

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