Jody war eine Frau  FOTOGRAFIE

Dieser Mann wurde im falschen Körper geboren. Er kam als Frau zur Welt und traf schließlich eine radikale Entscheidung – Jody ließ ihr Geschlecht umwandeln. Für viele Transgender ist das eine Befreiung. Und doch ist ihr Leiden nicht vorbei Von Alexandra Kraft; Fotos: Jean-François Bouchard

Jody Rose Helfand

„Ich wurde in einem weiblichen Körper geboren, hatte aber die Seele eines Mannes. Also veränderte ich meinen Körper so, dass er zu meinem Inneren passt“ 7.7.2016

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Isaac Duren

„Meine Hormontherapie begann am 3. Februar 2013. Meine Familie hat mich verstoßen. Aber es gibt kein Zurück. Ich will endlich glücklich sein“

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7.7.2016

FAe Gibson

„Ich glaubte lange, ich könne nie mein wirkliches Ich zeigen. Dafür musste ich erst meine eigenen Ängste überwinden. Heute bin ich dankbar für jeden Atemzug, jede Umarmung und jeden Kuss“

D

Julian Roy

„Das Wichtigste im Leben ist es, in seiner Haut glücklich zu sein. Gelingt das, wird alles andere viel einfacher und entspannter“

Der rothaarige Mann auf der Bank des Cafés „Coffee Culture“ in Toronto wirkt zerbrechlich. Seine Schultern hängen herab. Alle paar Sekunden schaut Shayne Ivany auf sein Handy. Er hatte den Treffpunkt vorgeschlagen, an öffent­lichen Orten wie diesem fühlt er sich s­ icher. Leise Pings kündigen eine SMS nach der nächsten an. „Meine Mutter will immer wissen, wo ich bin“, sagt der 27-Jährige und lächelt. Schnell tippt er: Alles okay, Mum.

Shayne Ivany (0.),

„Ich liebe meinen Körper. Er gehört endlich zu meiner Seele“

Sébastien LeBel

„Es fiel mir schwer, zu akzeptieren, dass ich mich von Männern angezogen fühlte – und selbst einer sein wollte“ 84

7.7.2016

„Sie hat Angst, dass mir etwas passiert, dass mich jemand verprügelt – oder sogar umbringt“, sagt er. ­Tränen steigen ihm in die Augen. Er macht eine kleine Pause, dann sagt er: „Sie weiß genau, wie man mit Typen wie mir umgeht. Ich bin für viele ein Monster.“ Shayne Ivany ist transsexuell. Bei ihm stimmt das ­Geschlecht, mit dem er geboren wurde, nicht mit dem gefühlten überein. 1988 kam er in Toronto als Mädchen zur Welt. „Solange ich denken kann, empfinde ich mich als Junge.“ Wie er damals hieß, will er nicht verraten. „Den Namen zu hören wäre wie ein Stich in mein Herz. Diese Person habe ich beerdigt.“ Als Siebenjährige offenbarte er seiner Mutter, dass er sich zum Geburtstag endlich einen Penis wünsche. Als ihm in der Pubertät ein Busen wuchs, schlug er wütend stundenlang dagegen, später band er die Brüste mit Stoffstreifen fest an den Oberkörper. Mit weiten Pullovern und Hosen versuchte er, jede weibliche Rundung zu verstecken. Wie vielen Menschen es weltweit so ergeht, kann niemand genau sagen. Denn die meisten Transsexuellen verstecken sich aus Furcht, verspottet und attackiert zu werden. Daran konnte auch das spektakuläre Outing von Bruce Jenner nichts ändern. Der amerikanische Zehnkampfheld hatte sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen und ist seitdem als Caitlyn gefeierter Star einer Reality-TV-Serie. Es half auch wenig, dass die Schauspielerin Laverne Cox aus der Serie „Orange is

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Matisse Verheyden

„Ich brauchte lange, bis ich einen Namen für mich gefunden hatte. Vier Monate habe ich Maxim ausprobiert. aber er passte nicht zu mir. Matisse war die Idee einer Freundin“

the New Black“, geboren als Roderick Leverne Cox, zur Ikone wurde. Das Leben der meisten Transsexuellen ist unbarmherzig. Viele sind arbeitslos, werden aus ihren Wohnungen geworfen. 40 Prozent der obdachlosen Jugendlichen in den USA sind trans- oder homosexuell. Die Diskriminierung findet auf allen Ebenen statt. Der Bundesstaat North Carolina etwa schreibt Transsexuellen gesetzlich vor, welche öffentlichen Toiletten sie zu benutzen haben – nämlich ausschließlich solche, die für ihr ursprüngliches Geschlecht bestimmt sind. Transsexuelle, so die Begründung, seien potenzielle Vergewaltiger. Männer, die sich in eine Frau verwandelt haben, sollen deshalb keine Frauentoilette benutzen. Im Kampf ums Überleben prostituieren sich viele Transsexuelle. Rund um den Globus ­werden sie überdurchschnittlich häufig Opfer von Misshandlung und Gewalt. Seit 2008 wurden weltweit 2016 Menschen ermordet. Und mehr als 40 Prozent der Transsexuellen in den USA, so Schätzungen einer Opferorganisation, versuchten schon, sich das Leben zu nehmen.

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„All diesen Verzweifelten wollte ich ein Gesicht geben“, sagt der Fotograf Jean-François Bouchard. Die Suche nach Betroffenen sei schwierig gewesen, das Misstrauen groß, so der Kanadier. Nach zahlreichen E-Mails und langen Telefonaten vereinte Bouchard am Ende 21 Männer, die früher Frauen waren, für Porträts vor seiner Kamera. Ein einmaliges Projekt. „Ich habe darauf geachtet, nicht schockierend oder zu sexuell zu fotografieren“, so Bouchard. „Es ging mir darum, mit den Gesichtern der Männer ihr Leben zu erzählen.“ Im Café in Toronto zeigt Shayne Ivany stolz eines seiner Fotos. „Ich finde, wenn man darauf meine Augen sieht, ist Jean-François das hervorragend gelungen. Ich hoffe, ich kann damit verhindern, dass andere so leiden müssen wie ich.“ Ivany wuchs in einem kleinen Dorf in der Nähe von Toronto in einer streng christlichen Familie auf: „Schon in der Schule wurde ich windelweich geprügelt, mein Bruder und mein Vater machten zu Hause weiter, nur weil ich mich nicht wie ein normales Mädchen benahm und anzog. Sie nannten mich Mannweib.“ Mit 15 Jahren rannte Ivany davon, lieber war er obdachlos, als das ­weiter zu ertragen. Den Schmerz der Zurückweisung ­betäubte er mit Heroin. Ob er sich für seine Sucht prostituiert habe? Ivany schweigt erst und sagt dann: „Es war eine sehr, sehr dunkle Zeit.“ Am Handgelenk trägt der junge schlaksige Mann mit den dünnen Haaren ein Armband aus Kupfer, darin ist die Ziffer 2014 eingeprägt. „Da wurde ich geboren“, ­erklärt er. Es ist das Jahr, in dem er sich die Brüste amputieren ließ und begann, Testosteron zu nehmen. „Eine Befreiung, endlich konnte ich atmen“, sagt Shayne Ivany. Doch er wollte mehr – und so ließ er sich in einer ­elfstündigen Operation aus einem Stück Haut und Fleisch des Unterarms einen Penis formen. Das sei seine Antwort auf Gottes Irrtum. Es ist ein radikaler Weg, den Shayne Ivany nimmt. ­Viele Transgender schrecken vor der kompletten

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James Forester (o.)

„Als ich als Mädchen zum ersten Mal einen Penis sah, fragte ich: ‚Wo ist meiner?‘ Da war ich fünf“

Oliver Burns

„Meine Mitschüler verprügelten und belästigten mich. Für sie war ich kein menschliches Wesen. Erst jetzt sind meine Träume wahr geworden, der Mann in mir wurde zum Menschen“ 7.7.2016

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­ eschlechtsumwandlung zurück. Die Operationen kosG ten mehr als 50 000 Dollar, und längst nicht überall zahlen das die Krankenversicherungen. Zudem fürchten die Männer, trotz aller Qualen am Ende mit dem Ergebnis nicht zufrieden zu sein. „Es ist natürlich nicht wie von Natur gemacht, vor allem wegen der Narben“, sagt Shayne Ivany. Aber als er nach der Operation in einen ­Spiegel schaute, habe er endlich einen kompletten Kerl g­ esehen. Überwältigt von seinen Gefühlen, sei er weinend zusammengebrochen. Heute sagt er: „Ich liebe meinen Körper. Er gehört endlich zu meiner Seele.“

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Obwohl er so sehr unter seinem weiblichen Körper litt, war ihm während seiner Jugend nie der Gedanke gekommen, dass er tatsächlich zum Mann werden könnte. „In meiner Familie war das kein Thema, ich selbst wusste ja gar nicht, was ich bin. Ein Mann, der im­ Körper einer Frau steckt, was ist das?“ Später, auf der Straße, hatte er andere Sorgen. Erst als er wieder Arbeit und eine Wohnung gefunden hatte, traf er auf einer ­Party eine transsexuelle Frau. Nach einem langen Gespräch habe sie plötzlich zu ihm gesagt: „Dann lass dich doch operieren.“ Dieser Satz setzte alles in Bewegung. Als er nach Hause lief, habe er zum ersten Mal seit langer Zeit Hoffnung auf ein neues Leben gehabt. Die g­ anze Nacht durchforstete er das Internet, am Morgen stand für ihn fest: Ich wage es. Lee Penman entschied sich für einen anderen Weg, gegen die radikale Geschlechtsumwandlung. „Ich bin ein Mann mit einer Vagina“, sagt er. Penman sitzt auf einem schwarzen Sofa im Limelight Gym in New York. Ärmelloses T-Shirt, Lederjacke, roter Stoppelbart.­ Seine Haut wirkt papiern, an Hals und Armen zeichnen sich dicke Adern ab. Mehr als 40 Jahre führte er Krieg gegen seinen Körper. Als die Pubertät bei ihm einsetzte, begann er zu hungern. „Ich war doch ein Junge, was sollte dann dieser Quatsch mit den Blutungen und dem Busen?“ Täglich aß er nur einen Joghurt und versuchte so, seinen äußerlichen Wandel zur Frau aufzuhalten. „Mit 15 Jahren steckten mich meine Eltern in meiner Heimat Schottland in die geschlossene Psychiatrie, ich wog etwa 30 Kilo“, so Penman. 88

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Lee Penman

„Mich hielten viele immer für einen Mann. Schon bei meiner Taufe nannte der Priester mich Kieran statt Karen. Mit fast 50 Jahren wurde ich zum Mann mit ­Vagina“

Das junge Mädchen wurde von den Ärzten nur mit Glück gerettet. „Aber von meinen Seelenqualen wollte niemand etwas hören.“ Morgens, mittags, nachts, immer sei ihm nur ein Gedanke durch den Kopf gekreist: Das ist nicht mein Körper. Aber das Internet gab es noch nicht, über Transsexualität redete kein Mensch. Den Gefühlen nachgeben? Undenkbar. So heiratete Penman mit 18 Jahren einen Mann, weil es von ihm erwartet wurde: „Eine absolute Farce, wir hatten nur zweimal Sex, furchtbar. Ich war ja nicht schwul, ich fühlte mich als Mann und wollte mit einer Frau schlafen.“ Nach einem halben Jahr trennten sie sich. Durch Zufall kam er damals zum Bodybuilding. „Als ich mir den Busen wegtrainiert hatte, wurde ich dafür bejubelt“, sagt Penman. Mit hartem Training manipulierte er seinen Körper. Dazu kam die Magersucht, die er nie ganz überwunden hat. „Die besten Tage waren die, an denen mich jemand als ‚junger Mann‘ ansprach.“ Es war ein verzweifeltes Leben, das er führte. Training, hungern, leiden. Heute sagt er: „Ich musste mich selbst zerstören, um mich zu finden.“ Eigentlich hatte Penman sich längst damit abgefunden, dass er „zwischen den Welten hängt“, als er im Internet über einen Artikel zum Thema Transsexualität stolperte. Da war er 46 Jahre alt, lebte seit 13 Jahren in New York und schrieb für Bodybuilding-Magazine. „Meine Erleuchtung“, sagt er. Zwei Jahre sparte er eisern für eine OP. Um die Hormone verschrieben zu bekommen, beantwortete er Psychiatern und Gutachtern jede noch so intime Frage. Wann er seine erste Menstruation gehabt habe, ob er masturbiere, was ihn sexuell errege. Schließlich erhielt er das Testosteron und fand einen Arzt, der ihm zu einem Sonderpreis die Brust abschnitt. Knapp drei Jahre ist das her. „Ich bin gerade in meiner zweiten Pubertät“, sagt Penman. Und er spürt schon einen großen Unterschied: „Testosteron macht die Gedanken klarer. Als Frau hatte ich immer Zweifel, als Mann bin ich viel entschiedener.“ Aus Angst, ausgegrenzt zu werden, offenbart er nur selten seine Geschichte. Sogar seine Familie in Großbritannien weiß nichts von seiner Wandlung. Sein 80-jähriger Vater glaubt, er spreche mit seiner Tochter, wenn er mit Lee telefoniert: „Er wundert sich manchmal über meine tiefe Stimme, aber dann sage ich, es liegt an der Leitung.“ Auch Shayne Ivany aus Toronto verschweigt anderen gegenüber seine Identität. „Sie glauben gar nicht, wie stark der Hass auf uns ist.“ Seine Kollegen im Supermarkt, in dem er arbeitet, wissen nichts, und auch an Beziehungen mit Frauen wagt er sich noch nicht heran. Nur seiner Familie gegenüber traute er sich, die Wahrheit zu sagen. Nach jahrelangem Schweigen nahm er wieder Kontakt auf. „Meine Mutter freute sich, mich zu sehen. Sie hielt kurz inne, schaute, sagte dann: ‚Hauptsache, du bist glücklich‘“, erzählt er. Und das ­erste Treffen mit dem Vater? Shayne Ivany schweigt. Dann räuspert er sich, schüttelt den Kopf und sagt nur: „Nicht der Rede wert.“

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Bevor sie den Interviews zustimmten, drehten die Männer den Spieß um: Sie wollten von Alexandra Kraft genau wissen, was sie über Transsexuelle denkt. Fotograf Jean-François Bouchard arbeitete drei Jahre an dem Projekt. „Es dauerte lange, bis sie mir vertrauten und bereit waren, sich zu präsentieren“, sagt der Kanadier