Lohngleichheit zwischen Frau und Mann: eine

User-ID: [email protected], 27.11.2015 08:37:30 Dokument AJP 2015 S. 1551 Autor Claudio Marti Whitebread Titel Lohngleichheit zwisc...
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User-ID: [email protected], 27.11.2015 08:37:30

Dokument

AJP 2015 S. 1551

Autor

Claudio Marti Whitebread

Titel

Lohngleichheit zwischen Frau und Mann: eine Auslegeordnung

Publikation

Aktuelle Juristische Praxis

Herausgeber

Ivo Schwander

Frühere Herausgeber ISSN

1660-3362

Verlag

Dike Verlag AG

AJP 2015 S. 1551

Lohngleichheit zwischen Frau und Mann: eine Auslegeordnung

Claudio Marti Whitebread *

*

Claudio Marti Whitebread, MLaw, Advokat, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachbereich Recht Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG). Der Autor gibt im vorliegenden Artikel ausschliesslich seine persönliche Meinung wieder. Der Autor bedankt sich bei Dr. phil. Sylvie Durrer, Direktorin EBG, Dr. iur. Andrea Binder, LL.M., Leiterin Fachbereich Recht EBG, Dr. iur. Karine Lempen, Professorin für Arbeitsrecht

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Die Lohngleichheit zwischen Frau und Mann ist aktuell ein juristisch und politisch stark diskutiertes Thema. Gegenstand dieser Diskussion sind vor allem der Begriff der Lohndiskriminierung sowie die Frage, welche Faktoren für die Rechtfertigung von geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden berücksichtigt werden sollten. Dabei werden die verschiedenen Ebenen, auf denen Lohnanalysen vorgenommen werden, oft vermischt. Dieser Beitrag soll den Begriff der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung juristisch erläutern und aufzeigen, dass auf den verschiedenen Ebenen nicht die gleichen Faktoren zur Begründung von geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden einbezogen werden können, da die Vergleichsbasis und der juristische Kontext jeweils unterschiedlich sind. L’égalité salariale entre femmes et hommes est aujourd’hui un sujet largement débattu sur le plan juridique et politique. L’objet de cette discussion porte essentiellement sur la notion de discrimination salariale et sur les facteurs à prendre en compte pour justifier des écarts de rémunération entre les sexes. Les différents niveaux faisant l’objet d’analyses des salaires sont souvent mélangés. Cette contribution entend expliquer la notion de discrimination salariale entre les sexes sur le plan juridique et démontrer que les facteurs servant à justifier des écarts de salaire ne sont pas les mêmes suivant les niveaux, la base de comparaison et le contexte juridique étant à chaque fois différents.

I. Einleitung Die Einhaltung der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann bzw. die Messung von geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung war in den vergangenen Monaten und Jahren Gegenstand von mehreren politischen Interventionen1 und Stellungnahmen2. Der direkte Anspruch von Frauen und Männern auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit ist seit 34 Jahren in der Bundesverfassung verankert (Art. 8 Abs. 3 Satz 3 BV). Geschlechtsspezifische Lohnungleichheiten werden gegenwärtig von AJP 2015 S. 1551, 1552 staatlicher Seite auf verschiedenen Ebenen überprüft und gemessen. Dieser Aufsatz legt diese verschiedenen Ebenen (II.) dar, erläutert den Begriff der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung juristisch (III.), und analysiert die dabei einbezogenen Faktoren (IV).

Universität Genf sowie Dr. Oliver Schröter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachbereich Arbeit EBG, für ihre wertvolle Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrages. 1

Interpellation Nationalrätin Cesla Amarelle (12.3296) vom 16.3.2012: Öffentliches Beschaffungswesen. Wie steht es tatsächlich mit der Lohngleichheit?, http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20123296; Postulat Nationalrat Ruedi Noser (14.3388) vom 2.6.2014: Erhebung zur Lohngleichheit. Verbesserung der Aussagekraft, http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20143388; Beschluss des Bundesrates vom 22.10.2014: Zusätzliche staatliche Massnahmen zur Durchsetzung der Lohngleichheit, https://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=54905; Motion Natio nalrätin Isabelle Moret (14.4307) vom 12.12.2014: Anbieter im öffentlichen Beschaffungswesen. Einhaltung der Lohngleichheit nachweisen, http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20144307.

2

Schweizerischer Arbeitgeberverband, Positionspapier Lohngleichheit, 5.3.2015, http://www.arbeitgeber.ch/wp-content/uploads/2015/03/20150305_SAV-PositionspapierLohngleichheit.pdf; Christian Maduz, Lohndiskriminierung zwischen Frau und Mann: kritische Würdigung der Regressionsanalyse, AJP/PJA 2015, 437ff.; SP Schweiz, Massnahmenpapier Lohngleichheit, 20.4.2015, http://www.spps.ch/de/publikationen/medienmitteilungen/lohngleichheit-endlich-umsetzen-34-jahreverfassungsbruch-sind.

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II. Die verschiedenen Ebenen der Kontrolle der Lohngleichheit und Messung von geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede werden von staatlicher Seite gegenwärtig auf den drei folgenden Ebenen analysiert: Analyse

Individuelle Ebene (Gerichtsverfahren)

Betriebliche Ebene (Lohnkontrollen im Beschaffungswesen)

Nationale Ebene (LSE, Spezialauswertung Lohngleichheit)

Rechtliche Grundlagen

Gleichstellungsgesetz (GlG)

Bundesgesetz über das öffentliche Verordnung über die Durchführung Beschaffungswesen (BöB) von statistischen Erhebungen des Bundes

Zuständige Behörde

Gerichte

EBG

Bundesamt für Statistik (BFS)

Vergleichsgruppe

Einzelne oder Gruppen von Arbeitnehmenden eines Unternehmens

Alle Arbeitnehmenden eines Unternehmens

1,7 Mio Arbeitnehmende aus ca. 35’000 Unternehmen (branchenüber greifend)

Verwendete Methode(n)

Arbeitsbewertung oder statistische Statistische Regressionsanalyse Regressionsanalyse

Berücksichtigte Faktoren

Alle für den Einzelfall relevanten, Eine begrenzte Anzahl auf ein Umfassende, auf die gesamte objektiven, nichtdiskriminierenden gesamtes Unternehmen bezogene, schweizerische Volkswirtschaft Faktoren objektive, nichtdiskrimibezogene, objektive Faktoren nierende Faktoren

Toleranzschwelle

Keine

5% und statistisch signifikant

Rechtliche Folgen für die Unternehmen

Pflicht zur Zahlung des diskriminierenden Anteils des Lohnunterschieds zwischen den Kläger/innen und den Vergleichsperson(en) rückwirkend auf 5 Jahre

Verschiedene mögliche Keine Sanktionen: Konventionalstrafe; Ausschluss aus dem Beschaffungsverfahren; Widerruf des Zuschlags oder Kündigung des Vertrags

Statistische Regressionsanalyse

Keine

Die Analysen auf diesen drei Ebenen unterscheiden sich jeweils hinsichtlich ihrer Zielsetzung, des Gegenstands der Untersuchungen sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen. Für ein besseres Verständnis der aktuellen Diskussion über die bei der Messung der geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede einbezogenen Faktoren sind diese drei Ebenen sauber voneinander zu unterscheiden.3 Relevanz erlangt die Messung der Lohnunterschiede auch mit Blick auf den Entscheid des Bundesrates vom 22. Oktober 2014, eine Gesetzesvorlage ausarbeiten zu lassen, welche sämtliche Unternehmen ab einer gewissen Anzahl Mitarbeitenden auch ausserhalb des Beschaffungswesens zu einer regelmässigen Analyse ihrer Löhne auf Geschlechterdiskriminierung verpflichten würde.4 Schliesslich lassen einige Unternehmen freiwillig ihre Lohnpraxis von Beratungsunternehmen überprüfen oder nehmen eine solche Überprüfung selbst vor.

A. Individuelle Lohndiskriminierungsklagen gestützt auf das Gleichstellungsgesetz (GlG) Gestützt auf Art. 3 Abs. 2 des Gleichstellungsgesetzes (GlG)5 können Arbeitnehmer/innen (oder Gewerkschaften- oder Frauenorganisationen im Sinne von Art. 7 GlG) wegen geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung gegen ihre Arbeitgebenden bei der zuständigen SchlichAJP 2015 S. 1551, 1553 tungsstelle oder direkt vor Gericht klagen. Prozessthema ist dabei, ob eine individuelle oder gruppenbezogene geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung vorliegt. Dies ist der Fall, wenn innerhalb des gleichen Arbeitgebenden eine Person des einen

3

Vgl. auch Antwort Bundesrat Frage Nationalrat Peter Schilliger (15.5270) vom 8.6.2015: Lohnunterschiede. «Nicht erklärbar» darf nicht mit «Diskriminierung» gleichgesetzt werden, http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20155270.

4

Siehe https://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=54905.

5

Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann vom 24. März 1995, SR 151.1.

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Geschlechts für gleichwertige Arbeit einen tieferen Lohn erhält als eine Vergleichsperson des anderen Geschlechts, ohne dass dafür zulässige Rechtfertigungsgründe vorliegen.6 Der Kläger bzw. die Klägerin muss dabei gestützt auf Art. 6 GlG eine geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung glaubhaft machen. An dieses Beweismass sind eher tiefe Anforderungen zu stellen. Gemäss Bundesgericht genügt es, wenn diejenige Partei, die sich auf das GlG beruft, Indizien einbringt, die das Vorliegen einer Lohndiskriminierung als wahrscheinlich erscheinen lassen.7 In der Lehre wird dementsprechend als untere Schwelle für das Glaubhaftmachen nach Art. 6 GlG ein Wahrscheinlichkeitsgrad von 25% vorgeschlagen.8 Gelingt dem/der Lohnkläger/in die Glaubhaftmachung, so muss der Arbeitgebende den vollen Beweis antreten, dass keine geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung vorliegt.9 Dabei muss er beweisen, dass die gerügten Lohnunterschiede gerechtfertigt sind, d.h. auf objektiven, nichtdiskriminierenden Gründen beruhen.10 Gemäss Bundesgericht sind dies Gründe, die geschlechtsunabhängig sind und den Wert der Arbeit erheblich beeinflussen (siehe dazu ausführlich Ziffer IV/A).11 In einem solchen Gerichtsverfahren werden diese Gründe bezogen auf die konkreten Löhne der miteinander verglichenen Arbeitnehmer/innen beurteilt (individuelle Ebene als Vergleichsgrösse).12 Misslingt dem Arbeitgebenden dieser Gegenbeweis, so ist die Klage gutzuheissen und er schuldet dem/der Lohnkläger/in die geschlechterdiskriminierende Lohndifferenz (gestützt auf Art. 128 Ziff. 3 OR rückwirkend auf fünf Jahre13).14

B. Kontrolle der Einhaltung der Lohngleichheit im Beschaffungswesen des Bundes gestützt auf das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) Die Einhaltung der Lohngleichheit ist eine Voraussetzung, um am Beschaffungsverfahren des Bundes15 teilnehmen zu können (Art. 8 Abs. 1 lit. c Beschaffungsgesetz [BöB]).16 Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung zwischen Frau und Mann (EBG) führt hierzu im Auftrag der Beschaffungskonferenz

6

Vgl. BGE 125 III 368, E. 3.

7

BGE 130 III 145, E. 4.2.

8

Sabine Steiger-Sackmann, in Claudia Kaufmann/Sabine Steiger-Sackmann (Hrsg.), Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, 2. A., Basel 2009, Rz. 132f. zu Art. 6 GlG; Rémy Wyler, in Gabriel Aubert/Karine Lempen (Hrsg.), Commentaire de la loi sur l’égalité entre femmes et hommes, Genf 2011, Rz. 8 zu Art. 6 GlG; vgl. auch BGE 125 III 368, E. 4; BGE 130 III 145, E. 4.2.

9

Steiger-Sackmann (FN 8), Rz. 144 zu Art. 6 GlG.

10

Steiger-Sackmann (FN 8), Rz. 83 zu Art. 6 GlG.

11

BGE 127 III 207, E. 5.

12

Vgl. BGer 4A_261/2011, 24.11.2011, E. 3.3.; vgl. auch Maduz (FN 2), 445.

13

BGE 124 II 436, E. 10.k.

14

Elisabeth Freivogel, in Claudia Kaufmann/Sabine Steiger-Sackmann (Hrsg.), Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, 2. A., Basel 2009, Rz. 153 zu Art. 3 GlG.

15

Die Kantone kennen vergleichbare Bestimmungen: Art. 11 lit. f der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) vom 15. März 2001, siehe nur § 3 Abs. 1 lit. b. des Submissionsdekrets des Kantons Aargau (SubmD) vom 26. November 1996; § 5 Abs. 2 lit. b. des Gesetzes über öffentliche Beschaffungen (Beschaffungsgesetz) des Kantons Basel-Stadt vom 20. Mai 1999; § 5 Abs. 2 lit. b des Gesetzes über öffentliche Beschaffungen des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999; Art. 24 lit. f der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (ÖBV) 16. Oktober 2002; Art. 21 des «Règlement sur la passation des marchés publics (RMP)» des Kantons Genf vom 17. Dezember 2007.

16

Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen vom 16. Dezember 1994, SR 172.056.1.

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des Bundes Kontrollen durch.17 Gegenstand dieser Kontrollen ist das (Nicht-)Vorliegen einer systematischen Lohndiskriminierung auf Ebene eines gesamten Unternehmens, d.h. zwischen der Gesamtheit der beschäftigten Frauen und der Gesamtheit der beschäftigten Männer desjenigen Unternehmens, das am Beschaffungsverfahren teilnimmt (betriebliche Ebene als Vergleichsgrösse). 18 Die Messung der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung erfolgt für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden einheitlich anhand eines standardisierten ökonometrisch-statischen Verfahrens. Dieses Standard-Analysemodell des Bundes19 besteht aus drei Komponenten: a) einer Methode, b) einem Modell und c) einer Toleranzschwelle. AJP 2015 S. 1551, 1554 Mit dem Instrument Logib wurde das Standard-Analysemodell des Bundes technisch in Excel umgesetzt.20 a) Methodisch wird auf das Verfahren der Regressionsanalyse zurückgegriffen.21 Anhand der Regressionsanalyse kann die Beziehung zwischen dem zu erklärenden Faktor (hier: Lohn) und mehreren erklärenden Faktoren (hier z.B. Ausbildung oder Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit) bestimmt werden. Diese Methode erlaubt es, den Einfluss einer bestimmten erklärenden Variable (hier: Geschlecht) auf den zu erklärenden Faktor (Lohn) zu ermitteln, während gleichzeitig die anderen erklärenden Faktoren kontrolliert werden. Auf diese Weise kann statistisch gemessen werden, welcher Anteil des Lohnunterschieds auf das Geschlecht und nicht auf andere Faktoren zurück zu führen ist. Ein ausschlaggebendes Kriterium, das der Wahl dieser Methode zugrunde lag, war die vorangegangene Zulassung der Regressionsanalyse bei der Behandlung von Lohngleichheitsfragen durch das Bundesgericht22. b) Das zugrundeliegende Modell stützt sich auf eine doppelte theoretische Basis: die Humankapitaltheorie, welche die individuelle Produktivität mit Kompetenzen in Verbindung setzt, sowie auf den Ansatz der arbeitswissenschaftlichen Arbeitsbewertung, welcher der Analyse und dem Vergleich von Tätigkeiten im Sinne von Stellenprofilen und Funktionen dient. Im Einzelnen sind im StandardAnalysemodell die folgenden erklärenden Faktoren enthalten: Ausbildungsjahre, potentielle Berufserfahrung, Dienstjahre, Anforderungsniveau, berufliche Stellung und Geschlecht. Neben der wissenschaftlichen Fundiertheit und Erklärungsmacht des Modells sowie der Objektivität der Faktoren ist auch die Praktikabilität ein wichtiges Kriterium, welchem das Standard-Analysemodell des Bundes genügen muss. Daher sind die in diesem Modell verwendeten Faktoren denjenigen sehr ähnlich, die alle zwei Jahre vom BFS im Rahmen der Lohnstrukturerhebung (LSE) abgefragt werden.23 Hinzu kommt das Gebot der Gleichbehandlung der Anbieter/innen im Beschaffungswesen. Aus

17

Siehe Art. 8 Abs. 2 BöB, Art. 6 Abs. 4 Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB) vom 11. Dezember 1995, SR 172.056.11 sowie Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB), Leitlinien «Kontrolle der Einhaltung der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann im Beschaffungswesen des Bundes», 2014, Ziff. 3, https://www.bkb.admin.ch/bkb/de/home/oeffentlichesbeschaffungswesen/arbeitsschutzbestimmungen-und--bedingungen--lohngleichheit.html.

18

Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), StandardAnalysemodell zur Überprüfung der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann im Beschaffungswesen des Bundes (Methodenbeschrieb), 2015, Ziff. 2.1, http://www.ebg.admin.ch/themen/00008/00072/00079/index.html?lang=de.

19

EBG (FN 18), Ziff. 1.

20

Das Instrument Logib steht im Internet kostenlos und unverbindlich zur Verfügung, www.logib.ch.

21

Konkret handelt es sich um eine semi-logarithmische OLS-Regression.

22

BGE 130 III 145.

23

Gemäss Artikel 6 der Verordnung über die Durchführung von statistischen Erhebungen des Bundes (Statistikerhebungsverordnung) vom 30. Juni 1993, SR 431.012.1 können Unternehmen zur Teilnahme an einer Befragung eingeladen werden. Im Anhang (Ziffer 21) ist festgehalten, dass bei der Lohnstrukturerhebung eine obligatorische Auskunftspflicht besteht.

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diesem Grund handelt es sich um ein standardisiertes Modell und Verfahren mit fest programmierten erklärenden Faktoren. c) Schliesslich besteht eine Toleranzschwelle. Es ist grundsätzlich möglich, dass in einzelnen Unternehmen auch noch weitere unternehmensspezifische, objektive Faktoren Lohnunterschiede erklären und rechtfertigen könnten, die jedoch im Standard-Analysemodell aufgrund der vorne genannten Überlegungen nicht enthalten sind. Aus diesem Grund wurde eine Toleranzschwelle von 5% definiert.24 Dies bedeutet, dass die Voraussetzung der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann für den Zuschlag eines öffentlichen Auftrags des Bundes erst dann als nicht erfüllt gilt, wenn die ermittelte geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung statistisch signifikant über 5% liegt. Der statistische Signifikanztest stellt hierbei sicher, dass die statistisch ermittelten Werte verlässlich sind.25 Wird diese Toleranzschwelle statistisch signifikant überschritten, so muss das kontrollierte Unternehmen innerhalb einer Frist von sechs bis zwölf Monaten Korrekturmassnahmen ergreifen und einen qualifizierten Nachweis erbringen, dass die Lohngleichheit im Unternehmen gewährleistet ist.26 Liegt dieser Nachweis nicht fristgerecht vor, so kann die zuständige Beschaffungsstelle des Bundes die vereinbarte Konventionalstrafe einfordern27, das Unternehmen vom Beschaffungsverfahren ausschliessen bzw. den Zuschlag widerrufen28 und/oder den Vertrag kündigen29. Gegen einen solchen Entscheid kann das kontrollierte Unternehmen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erheben.30 Weist das kontrollierte Unternehmen hingegen einen geschlechtsspezifischen Lohnunterschied unterhalb der Toleranzschwelle von 5% aus oder liegt der Wert nicht statistisch signifikant über 5%, so sind die Voraussetzungen des Beschaffungswesens des Bundes in Bezug auf die Lohngleichheit zwischen Frau und Mann erfüllt. AJP 2015 S. 1551, 1555 Da bei den Lohnkontrollen im Beschaffungswesen nur nach systematischen Diskriminierungen gesucht wird, können gruppenbezogene oder individuelle Lohndiskriminierungen gemäss GlG nicht ausgeschlossen werden. Folglich kann ein solches Ergebnis vom kontrollierten Unternehmen nicht als Nachweis dafür verwendet werden, dass generell keinerlei geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung gemäss GlG vorliegt.31

C. Lohnstrukturerhebung (LSE) Die Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik (BFS) erlaubt eine makro-ökonomische Beschreibung der Lohnstruktur von Unternehmen sämtlicher Branchen. Vergleichsbasis sind hier rund 1,7 Millionen Arbeitnehmende aus rund 35’000 Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen. Die Ergebnisse basieren auf mittels schriftlichen Strichprobenerhebungen gemachten Angaben der Unternehmen. 32

24

Diese Toleranzschwelle ist in den Leitlinien der Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB) «Kontrolle der Einhaltung der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann im Beschaffungswesen des Bundes», Ziff. 5, Abs. 2 festgehalten.

25

Statistisch signifikant werden Beobachtungen dann, wenn diese «überzufällig» häufig auftreten. Beim Standard-Analysemodell des Bundes und im Instrument Logib ist hierfür ein Vertrauensniveau von 95 % definiert.

26

BKB (FN 17), Ziff. 6 Abs. 4, Ziff. 8.

27

Vgl. Art. 6 Abs. 5 VöB, siehe auch Allgemeine Geschäftsbedingungen des Bundes, Ziff. 9.2. (Güter), Ziff. 11.2. (Dienstleistungen), Ziff. 4.3. (Forschungsverträge), https://www.bkb.admin.ch/bkb/de/home/hilfsmittel/agb.html.

28

Art. 11 lit. d BöB.

29

BKB (FN 17), Ziff. 7 Abs. 2.

30

Art. 27 Abs. 1 BöB.

31

Vgl. BKB (FN 17), Ziff. 5 Abs. 5.

32

BFS, Erhebungen, Quellen – Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE), Steckbrief, 2014, http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/infothek/erhebungen__quellen/blank/blank/sle/01.ht ml.

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Die LSE hat u.a. zum Ziel, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede sowie deren Entwicklung im Zeitablauf auf einer gesamtwirtschaftlichen Ebene aufzuzeigen. Im Unterschied zu den individuellen Lohndiskriminierungsklagen gestützt auf das GlG und den Lohngleichheitskontrollen im Beschaffungswesen haben die Spezialauswertungen der LSE zur Lohngleichheit keine direkten rechtlichen Folgen.

III. Der Begriff der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung Die Beurteilung der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung wird aktuell kritisch diskutiert.33 Hierbei sind zwei wesentliche Begriffe voneinander zu unterscheiden: Bei der geschlechtsspezifischen Lohnungleichheit handelt es sich um die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern, die sowohl auf nicht-diskriminierende, objektive Gründe, wie auch auf diskriminierende Gründe zurückgeführt werden können.34 Die geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung hingegen stellt den Anteil an der geschlechtsspezifischen Lohnungleichheit dar, der nicht durch nicht-diskriminierende, objektive Faktoren erklärt werden kann und folglich auf eine Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts zurückzuführen ist.35 Bei der Beurteilung der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung gilt es wiederum die drei Ebenen der individuellen Lohnklagen, der Lohnkontrollen im Beschaffungswesen und der Lohnstrukturerhebung (siehe Ziffer II) zu unterscheiden: Bei individuellen Lohndiskriminierungsklagen gestützt auf das GlG hält das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung klar fest, dass die Arbeitgeberin die Inexistenz einer geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung beweisen muss, indem sie aufzeigt, dass die geschlechtsspezifische Lohnungleichheit auf objektive, nicht-diskriminierende Gründe zurückzuführen ist.36 Daraus ist zu schliessen, dass der Anteil am geschlechtsspezifischen Lohnunterschied, der nicht durch objektive, nichtdiskriminierende Gründe gerechtfertigt werden kann, eine geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung ist. Vergleichbar ist die Herangehensweise beim Standardanalysemodell des Bundes zur Einhaltung der Lohngleichheit im Beschaffungswesen des Bundes: Derjenige Anteil am geschlechtsspezifischen Lohnunterschied in einem Unternehmen, der nicht durch objektive, nichtdiskriminierende Faktoren erklärt werden kann, ist folglich auf das Geschlecht zurückzuführen und führt zur begründeten Vermutung einer Lohndiskriminierung.37 Im Unterschied zu individuellen Lohndiskriminierungsklagen können bei dieser systematischen, standardisierten Analyse nicht alle lohnrelevante Faktoren einbezogen werden: Einerseits dürfen keine Faktoren berücksichtigt werden, die potenziell geschlechterdiskriminierend sind (siehe Ziffer IV/B), andererseits ergibt sich dies aus Gründen der Praktikabilität (Sicherstellung der Gleichbehandlung aller kontrollierten Unternehmen, Verfügbarkeit der Informationen in den Unternehmen, Verhältnismässigkeit des administrativen Aufwands der Unternehmen für die Erhebung dieser Daten). Deshalb wird möglichen weiteren unternehmensspezifischen objektiven, lohnrelevanten Faktoren durch die Toleranzschwelle von 5% Rechnung getragen (siehe Ziffer II/B/a). Im Unterschied zu den individuellen Lohnklagen und Kontrollen im Beschaffungswesen auf Ebene eines Unternehmens geht es bei der Spezialauswertung der Lohnstrukturerhebung (LSE) nicht darum, geschlechtsspezifische

33

Siehe nur Maduz (FN 2), 446; Schweizerischer Arbeitgeberverband, «Lohndiskriminierung»: bessere Erhebungsmethoden statt Lohnpolizei, 21.4.2015, http://www.arbeitgeber.ch/arbeitsmarkt/lohndiskriminierung-bessere-erhebungsmethoden-stattlohnpolizei/.

34

Vgl. BGE 124 II 409, E. 9c.

35

Vgl. BGer 4A_449/2008, E. 3.1.

36

BGer 4A_449/2008, 25.2.2009, E. 3.1

37

EBG (FN 18), Ziff. 2.1.

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Lohnunterschiede juristisch rechtfertigen zu müssen, sondern wissenschaftlich zu erklären. Somit können dabei AJP 2015 S. 1551, 1556 auch Faktoren einbezogen werden, die im Einzelfall geschlechterdiskriminierend angewendet werden könnten. Ähnlich wie bei den individuellen Lohnklagen und den Lohnkontrollen von Unternehmen im Beschaffungswesen wird auch bei der LSE der Anteil an der geschlechtsspezifischen Lohnungleichheit gemessen, der nicht durch objektive Faktoren erklärt werden kann.38 Aus statistischer Sicht handelt es sich dabei um die sogenannte «unerklärte Differenz».39 Aus juristischer Sicht kann diese Differenz zumindest teilweise auch als Ergebnis von geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung interpretiert werden. Entsprechend spricht die International Labour Organization (ILO) bei der sogenannt «unerklärten Differenz» auch von «Diskriminierung und weiteren unerklärten Faktoren».40

IV. Juristische Beurteilung der Rechtfertigungsgründe für geschlechtsspezifische Lohnunterschiede A. Analyse der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei individuellen Lohndiskriminierungsklagen nach GlG 1. Einleitung Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind in der Regel geschlechtsspezifische Lohnunterschiede nicht diskriminierend, wenn sie auf «objektiven Gründe[n]» beruhen. Dazu gehören primär Gründe, die Einfluss auf den Wert der Arbeit haben können.41 Dazu zählen insbesondere Ausbildung, Alter, Dienstalter, Qualifikation, Erfahrung, Aufgabenbereich oder Leistung.42 Die nachfolgende Analyse fokussiert auf solche potentiellen Rechtfertigungsgründe für geschlechtsspezifische Lohnunterschiede bei individuellen Lohndiskriminierungsklagen, die auch in der öffentlichen Diskussion über die Messbarkeit geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung erwähnt werden.43

2. Effektive Berufserfahrung Für das Bundesgericht ist es zulässig, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede bei individuellen Lohndiskriminierungsklagen mit unterschiedlicher Berufserfahrung der Vergleichspersonen zu rechtfertigen, da der Faktor Berufserfahrung grundsätzlich den Wert der erbrachten Arbeit beeinflussen kann.44 Allerdings ist es an den Arbeitgebenden, bezogen auf den vorliegenden Einzelfall zu beweisen, welche konkrete Rolle die vorliegende Berufserfahrung für die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit spielt und welcher Wert sie dieser Berufserfahrung beimisst.45 Zudem müssen die mit einer höheren Berufserfahrung begründeten geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede

38

Laurent Donzé, Analyse des salaires des femmes et des hommes sur la base des enquêtes sur la structure des salaires 2008 et 2010, 2013, 2 ff.; Silvia Strub/Désirée Stocker, Analyse der Löhne von Frauen und Männern anhand der Lohnstrukturerhebung 2008, 2010, I.

39

BFS, Löhne, Erwerbseinkommen – Indikatoren Lohnniveau – nach Geschlecht, 2015, http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/04/blank/key/lohnstruktur/nach_geschlec ht.html.

40

ILO, Global Wage Report 2014/15, http://www.ilo.org/global/research/global-reports/globalwage-report/2014/lang--en/index.htm, 45.

41

BGE 125 III 368, E. 5.

42

BGE 124 II 409, E. 9c.

43

Noser (FN 1); Maduz (FN 2), 440, 443; Frage Nationalrat Peter Schilliger (15.5271) vom 3.6.2015: Verhältnismässigkeit zwischen statistischer Lohndifferenz und gesetzlichem Handlungsbedarf, http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20155271.

44

BGer 4A_449/2008, 25.2.2009, E. 3.2.1.

45

BGE 127 III 207, E. 5.a.

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auch verhältnismässig sein. So erachtete es das Bundesgericht als unverhältnismässig, einen Lohnunterschied von durchschnittlich 16% zwischen einer Sozialarbeiterin und ihrem männlichen Berufskollegen mit einer um 7½ Jahren längeren Berufserfahrung des Berufskollegen (sowie höherem Dienstalter und Zweisprachigkeit) zu rechtfertigen. Die Wichtigkeit dieser längeren Berufserfahrung müsse relativiert werden, insbesondere weil die betroffene Sozialarbeiterin zum Vergleichszeitpunkt schon sieben Jahre bei der eingeklagten Arbeitgeberin angestellt war. 46

3. Leistung Auch die tatsächlich erbrachte Leistung der Arbeitnehmenden kommt für das Bundesgericht als Rechtfertigungsgrund für geschlechtsspezifische Lohnunterschiede in Frage, soweit diese Leistung sich im Arbeitsergebnis niederschlägt.47 Eine solche qualitative oder quantitative Arbeitsleistung müsse jedoch tatsächlich belegt sein. Eine höhere individuelle Leistungsfähigkeit bleibe für eine bessere Arbeitsleistung solange bedeutungslos, als sie sich nicht in besseren Arbeitsergebnissen niederschlagen würde. So entschied das Bundesgericht in einer Lohndiskriminierungsklage einer Regionaljournalistin, dass die allgemeine Feststellung, die höhere Leistungsfähigkeit AJP 2015 S. 1551, 1557 eines männlichen Berufskollegen habe sich irgendwie auf die Arbeit ausgewirkt, nicht ausreicht, um einen Lohnunterschied gegenüber der Klägerin zu rechtfertigen.48 Auch in der Literatur wird auf das Diskriminierungspotenzial bei der Berücksichtigung der Leistungskomponente hingewiesen. Es könne nicht pauschal behauptet werden, dass Frauen per se weniger leistungsfähig seien als Männer.49 Nichtsdestotrotz bestehe insbesondere bei einer subjektiven Leistungsbeurteilung durch die Vorgesetzten das Risiko, dass Frauen dabei systematisch benachteiligt werden.50 Weiter bestehe die Gefahr, dass in typischen Frauentätigkeitsgebieten die zu erfüllenden Leistungsvorgaben schwieriger zu erbringen seien51 und bei der Beurteilung von Mitarbeitenden Merkmale, die in typischen Männertätigkeiten häufiger vorkommen, vergleichsweise stärker berücksichtigt werden52.

4. Arbeitspensum/Beschäftigungsgrad Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist es klarerweise nicht zulässig, Teilzeitangestellte für gleichwertige Arbeit anteilsmässig tiefer zu entlöhnen als Vollzeitangestellte. Das Bundesgericht verweist dabei darauf, dass eine solche anteilsmässige geringere Entlöhnung in der Literatur geradezu als Paradebeispiel für eine geschlechtsspezifische Diskriminierung gelte, da davon mehrheitlich Frauen betroffen seien.53 In einem weiteren Entscheid urteilte das Bundesgericht, dass die Tatsache, dass die Lohnklägerin während mehrerer Jahre nur in einem 70%Arbeitspensum bei der beklagten Arbeitgeberin gearbeitet hat, bei der Bemessung des Dienstalters der Lohnklägerin (im Vergleich zum männlichen Berufskollegen) nicht zu berücksichtigen ist.54

46

BGer 4A_449/2008, 25.02.2009, E. 3.2.1.

47

BGE 136 II 393, E. 11.3.

48

BGE 125 III 368, E. 5.b.

49

Ben Jann, Erwerbsarbeit, Einkommen und Geschlecht, Zürich 2008, 70 f.

50

Simon Janssen/Simone N. Tuor Sartore/Uschi Backes-Gellner, Discriminatory Social Attitudes and Varying Gender Pay Gaps within Firms, Zürich 2014, 20.

51

Marianne Schär Moser/Jürg Baillod, Instrumente zur Analyse von Lohndiskriminierung, Bern 2006, 25.

52

Schär Moser/Baillod (FN 51), 26.

53

BGE 124 II 436, E. 8.d)aa, siehe auch Maduz (FN 2), 443.

54

BGer 4A_449/2008, 25.2.2009, E. 3.2.1.

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B. Verhältnis zur Beurteilung möglicher Faktoren im Rahmen von Lohnkontrollen auf betrieblicher Ebene Vorweg ist festzuhalten, dass im Unterschied zu den individuellen Lohndiskriminierungsklagen nach Gleichstellungsgesetz zu Kontrollen der Einhaltung der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann im Beschaffungswesen soweit bekannt keinerlei Rechtsprechung existiert. Bei der Frage, welche objektiven Faktoren, die das Bundesgericht in Lohndiskriminierungsklagen als Rechtfertigungsgründe von geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden zulässt, auch als objektive Faktoren zur Rechtfertigung von geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden bei Lohnkontrollen auf Ebene eines gesamten Unternehmens angewendet werden können, ist folgendes zu beachten: Im Unterschied zu individuellen Lohndiskriminierungsklagen bilden bei der systematischen Lohnanalyse auf Ebene eines gesamten Unternehmens nicht die Löhne von (regelmässig) zwei Arbeitnehmenden unterschiedlichen Geschlechts die Vergleichsgrösse, sondern die Gesamtheit der Löhne aller Frauen und Männer eines Unternehmens. Deshalb ist es hier nicht möglich, die konkrete Festsetzung der Löhne der Arbeitnehmenden individuell zu beurteilen. Dies hat zur Folge, dass bei einer gesamtbetrieblichen Analyse – anders als bei einer individuellen Lohnklage – somit nicht überprüft werden kann, ob die Faktoren zur Festsetzung der Löhne diskriminierungsfrei angewendet werden. Folglich dürfen Faktoren, die potentiell geschlechterdiskriminierend angewendet werden können, bei einer solchen systematischen Lohnanalyse auf Ebene eines gesamten Unternehmens nicht einbezogen werden. Das Risiko einer geschlechterdiskriminierenden bzw. -stereotypen Anwendung ist insbesondere bei solchen Faktoren gegeben, die sich nicht oder nur unter grossem Aufwand objektiv messen lassen und die umgekehrt bei einer subjektiven Evaluation durch Arbeitgebende anfällig für geschlechterdiskriminierende Bewertungen sind. Beispiel für einen solchen Faktor ist die Leistungskomponente: So kann ein Gericht bei zwei Vergleichspersonen unterschiedlichen Geschlechts im Einzelfall durchaus prüfen, ob die Berücksichtigung der tatsächlich erbrachten Leistung einen bestehenden Lohnunterschied rechtfertigt und somit nicht geschlechterdiskriminierend ist (siehe dazu Ziffer IV/A/2). Werden hingegen bei einer systematischen Lohnkontrolle sämtliche Löhne eines Unternehmens zusammen analysiert, so ist eine solche Überprüfung nicht möglich. Folglich kann dabei nicht ausgeschlossen werden, dass die Leistungskomponente bei der Lohnfestsetzung in unzulässiger Weise geschlechtsspezifisch unterschiedlich beurteilt wird (vgl. Ziffer IV/A/2). Würde ein solcher Faktor in eine betriebliche Lohnanalyse aufgenommen, so könnte dies zu einer indirekten Geschlechterdiskriminierung führen. Eine solche liegt gemäss Bundesgericht vor, «wenn eine formal geschlechtsneutrale Regelung im Ergebnis wesentlich mehr bzw. überwiegend Angehörige des einen Geschlechts ohne sachliche Begründung gegenüber AJP 2015 S. 1551, 1558 jenen des anderen Geschlechts erheblich benachteiligt».55 Im konkreten Beispiel würde eine solche indirekte Diskriminierung vorliegen, wenn durch eine geschlechterdiskriminierende Anwendung des Faktors Leistung bei einer systematischen Lohnanalyse die Frauen erheblich benachteiligt würden. Ob und inwiefern zusätzliche Faktoren bei betriebsinternen Lohnanalysen mittels dem Standard-Analysemodell des Bundes (Instrument Logib) einbezogen werden könnten, ist Gegenstand einer unabhängigen Expert/innenstudie, die das EBG in der Folge des Postulats von NR Ruedi Noser, «Erhebung zur Lohngleichheit. Verbesserung der Aussagekraft»56 in Auftrag gegeben hat.

55

BGE 125 II 385, E. 3.b.

56

Noser (FN 1).

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V. Fazit In der aktuellen Diskussion über die Messung geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung werden die verschiedenen Ebenen der individuellen Lohnklagen, der Analyse der Lohnpraxis eines gesamten Unternehmens im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens sowie die Analyse der Löhne auf gesamtwirtschaftlicher Ebenen mittels der Lohnstrukturerhebung bedauerlicherweise oft vermischt. Als Folge davon wird teilweise verkannt, dass auf den verschiedenen Ebenen nicht die gleichen Faktoren zur Begründung von geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden einbezogen werden können, da die Vergleichsbasis und der juristische Kontext jeweils unterschiedlich sind. Schliesslich darf festgestellt werden, dass das Standard-Analysemodell des Bundes im Rahmen des Beschaffungswesens wissenschaftlich anerkannt ist und nationalen und internationalen Standards entspricht. So basieren Lohngleichheitsanalysen in anderen europäischen Ländern (z.B. Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Grossbritannien, Luxemburg, Niederlande, Polen und Portugal) ebenfalls auf dem Standard-Analysemodell des Bundes.57

57

Vgl. Projekt «equal pacE», siehe http://www.equal-pace.eu/.

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