Februar Forschung und Entwicklung im Bankensektor

Februar 2010 Forschung und Entwicklung im Bankensektor Impressum Diese Publikation ist in deutscher Sprache verfügbar. Schweizerische Bankierverein...
Author: Norbert Pfaff
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Februar 2010

Forschung und Entwicklung im Bankensektor

Impressum Diese Publikation ist in deutscher Sprache verfügbar. Schweizerische Bankiervereinigung 2009

Revision der Forschungs- und Entwicklungsstatistik In der EU werden die Zahlen zu Forschung und Entwicklung (FuE) im Auftrag von Eurostat erhoben. Die Teilnahme ist für alle Branchen verbindlich, auch wenn dies bis vor einigen Jahren nicht mit letzter Konsequenz durchgesetzt wurde. So liegen Zahlen für den Bankensektor in der EU erst seit 2004 vor. In der Schweiz führt das Bundesamt für Statistik (BFS), im Abstand von vier Jahren, die Erhebung zu den FuE-Aufwendungen der privaten Unternehmen durch. Mit der Revision in 2008 wurde die Erhebung an die EU angepasst und damit auf einen zwei- oder dreijährlichen Rhythmus umgestellt. Die Banken in der Schweiz beteiligten sich bisher jedoch nicht daran. Sie machen beispielsweise einen zu hohen Erfassungsaufwand geltend oder eine mangelnde Adaptierbarkeit der FuE-Definition auf die Bankbranche. Von Seiten des Vororts (heute economiesuisse) wurden bereits 1971 Bestrebungen unternommen, die Banken in die FuE-Erhebung mit einzubeziehen. Konkrete Zahlen wurden jedoch einzig zur Aus- und Weiterbildung der Bankmitarbeiter erfasst. Wenige Jahre später wurden diese Bemühungen wieder eingestellt. 2008 hat das BFS zusammen mit economiesuisse, im Zuge der Revision der FuE-Statistik, diese Anstrengungen erneut aufgenommen. Die Schweizerische Bankiervereinigung hat zu diesem Zweck eine Arbeitsgruppe gegründet, um abzuklären, wo die Schwierigkeiten einer Erhebung von FuE liegen und wie sich diese aus dem Weg räumen lassen. Die in dieser Publikation dargelegten Erkenntnisse stammen unter anderem aus Interviews mit in- und ausländischen Bankenvertretern bzw. mit Experten im Bereich von Forschung und Entwicklung, welche im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit der Universität Zürich durchgeführt wurden.1

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Nützi, Michael (2009), Forschung und Entwicklung bei Banken; Lizentiatsarbeit Universität Zürich

Forschung und Entwicklung im Bankensektor - SBVg, Februar 2010

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Executive Summary Aus verschiedenen Gründen hat Forschung und Entwicklung (FuE) im Bankensektor nicht denselben Stellenwert wie in anderen Branchen. Die vergleichsweise tiefen FuE-Aufwendungen werden in dieser Publikation drei Ursachen zugeordnet. Zum einen lässt sich FuE bei Banken nur schwer messen und wird dadurch unterschätzt. Gleichzeitig gibt es aufgrund spezifischer Charakteristika von Banken per se weniger FuE-Tätigkeiten, als in anderen Branchen. Und schliesslich optimieren viele Banken ihre Wertschöpfungskette insofern, als sie FuE-intensive Spezialgebiete, die nicht zu ihren Kernkompetenzen gehören, an externe Anbieter auslagern. Die tiefen FuE-Aufwendungen müssen aber nicht zwingend bedeuten, dass die Banken deswegen weniger innovativ wären als andere Branchen. Ihre Innovationen basieren jedoch mehr auf praktischem Wissen als auf systematischer FuE-Tätigkeit. Es ist deshalb fraglich, inwieweit die FuE-Definition auf Dienstleistungsbranchen wie den Bankensektor angewandt werden kann und soll. Zudem macht es die unterschiedliche Bedeutung von FuE in verschiedenen Branchen schwierig, die jeweiligen FuEAusgaben miteinander zu vergleichen. FuE ist für die Industrie ein brauchbarer Indikator für Fortschritt und Wachstum. Für den Bankensektor scheint die Aussagekraft diesbezüglich aber eher gering zu sein. Wissen wird aber auch für die Banken ein zunehmend bedeutender Wettbewerbsfaktor. Im Vergleich zu anderen Branchen wird Wissen bei den Banken aber nicht primär durch systematische FuE, sondern hauptsächlich durch Erfahrung und aus Erkenntnissen der Markt- und Kundenanalysen gewonnen. Um das Potential für FuE-Tätigkeiten im Bankensektor auszuschöpfen, können drei mögliche Stossrichtungen eruiert werden. Aufgrund der Branchengegebenheiten ist es sinnvoll, FuE primär in die Systeme, Prozesse und Anwendungen, und nicht in die Produktentwicklung, zu investieren. Zweitens kann bei der Entwicklung von Dienstleistungen ein gewisser systematischer Ansatz hilfreich sein, um eine langfristige Denkweise und Kultur zu schaffen, die sich bewusst an Forschung und Entwicklung orientiert. Zu guter Letzt kann die Verbindung von theoretischem mit praktischem Wissen die Entwicklung von FuE im Bankensektor fördern. Der Grundstein konnte mit der Gründung des Swiss Finance Instituts bereits erfolgreich gelegt werden.

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Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Forschung und Entwicklung Steigende Bedeutung von Wissen mit zunehmender Entwicklung einer Volkswirtschaft

Eine 2003 veröffentlichte Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) weist darauf hin, dass sich die Schweiz immer mehr zu einer wissensbasierten Ökonomie entwickelt. Sie kommt zum Schluss, dass die Produktivitäts- und Wohlstandsentwicklung der letzten Jahre ohne den Wandel in Richtung Wissensökonomie wesentlich ungünstiger ausgefallen wäre. 2 Der Mangel an natürlichen Ressourcen, der Verlust von Standortvorteilen im Zuge der Globalisierung, die Annäherung der Produktivität von weniger entwickelten Ländern an westliche Standards („Catching-up“-Effekt) und die Verschiebung der Bedeutung des sekundären zum tertiären Sektor führen dazu, dass dem Faktor Wissen eine immer grössere Bedeutung zukommt. Die Forschungs- und Entwicklungsaktivität nimmt unter diesen Voraussetzungen eine zentrale Stellung ein. Die Förderung neuen Wissens und die Weiterentwicklung bestehender Erkenntnisse - beides Aufgaben von FuE - sind die Grundpfeiler einer wissensbasierten Ökonomie. Langfristiges Wachstum wäre ohne die gewonnenen Erkenntnisse aus FuE gar nicht denkbar. Durch sie entstehen neue Materialien, neue Verfahren oder Technologien, die schliesslich als Innovationen auf den Markt gelangen. Ohne FuE kann Wachstum nur bis zum Erreichen der technologischen Grenze der bekannten Technologie stattfinden.3 Die Höhe der Mittelverwendung für FuE oder die Anzahl erfolgreich lancierter Innovationen werden daher oft als Indikatoren herangezogen, um die Vitalität und Wettbewerbsfähigkeit einer Unternehmung oder einer Volkswirtschaft zu unterstreichen.

Ehrgeiziges Ziel der EU zur Steigerung der FuE-Ausgaben

Dieser Bedeutung bewusst, haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU im Jahr 2000 zum Ziel gesetzt, ihre nationalen FuE-Ausgaben innerhalb von zehn Jahren auf mindestens 3% des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu erhöhen. Nach Ablauf dieser Frist wird deutlich, dass nur gerade Schweden und Finnland diese ehrgeizige Vorgabe einhalten können. Die Schweiz liegt dabei mit einer Forschungsquote von 2.9% vor den meisten EU-Staaten, aber hinter den beiden nordischen Spitzenreitern und Japan (Abb. 1).

2

Vgl. Seco „Die Schweiz auf dem Weg zu einer wissensbasierten Ökonomie: Eine Bestandesaufnahme“ Strukturberichterstattung 2003 3

Maximale Produktivität auf einer gegebenen Produktionskurve. Danach wird ein Technologiesprung notwendig, um Wachstum zu generieren.

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FuE-Ausgaben in Prozent des BIP 4 3.5

Lissabon-Ziel

3 2.5 2 1.5 1 0.5

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Holland 2006

Abbildung 1: Forschungsquoten ausgewählter Länder (Quelle: Eurostat)

Auch wenn sich die Schweiz keine konkreten Ziele in Bezug auf angestrebte FuE-Quoten gesteckt hat, wird diesem Thema trotzdem die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Denn die Schweiz ist bekanntlich kein rohstoffreiches Land und die Bedeutung von Wissen ist dementsprechend als hoch einzustufen. Das Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF) zeigt in seiner Botschaft „Bildung, Innovation und Forschung 2008-2011“ Leitlinien, Ziele und Fördermittel für eine nachhaltige Sicherung und Steigerung der Qualität sowie eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums in der Schweiz auf. Im Vergleich zur Periode 2004-2007 wurde das Budget um 3.3 Mia. auf neu 20 Mia. Franken aufgestockt. Dank dieser Erhöhung sollte es der Schweiz bis 2010 möglich sein, die von der EU angestrebte 3%Grenze zu übertreffen.4 Schweiz als Innovationsweltmeister und wettbewerbsfähigstes Land

Dass solche Investitionen ihre Wirkung zeigen, bestätigt der Innovationsbarometer 2008 der EU.5 Er bescheinigt der Schweiz einmal mehr sehr gute Noten. Im Bereich der Innovationsperformance ist die Schweiz weltweit führend. Auch in Bezug auf die Anzahl angemeldeter Patente, gemessen an der Einwohnerzahl, ist die Schweiz auf Platz eins. In dieselbe Richtung geht der Bericht der OECD, welcher der Schweiz weltweit die beste Wettbewerbsfähigkeit attestiert. Der Wandel in Richtung Wissensökonomie und die überdurchschnittlichen FuE-Ausgaben der Schweiz sollten sich eigentlich gerade in wissensbasierten Branchen wie dem Bankensektor widerspiegeln. Die einzigen Zahlen, die zu FuE im Schweizer Bankensektor vorliegen, zeigen jedoch ein anderes Bild. Sie stammen aus der Innovationsumfrage der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) für die Jahre 2002, 2005 und 2008. Die FuEAufwendungen der Banken machen den Umfragen zufolge nur einen Anteil zwischen 0.1% und 1.4% des Umsatzes aus. Sie liegen damit deutlich unter

4

Vgl. SBF „Bildung, Forschung und Innovation 2008-2011“, 2007

5

Vgl. Europäische Kommission „European Innovation Scoreboard 2008“, Januar 2009

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dem schweizerischen Durchschnitt von 2.9%.6 Eine plausible Erklärung dieser grossen Bandbreite und der unterdurchschnittlichen FuE-Aufwendungen im Bankensektor liegt darin, dass die Erhebung der KOF freiwillig ist und die grossen Institute, die einen entscheidenden Einfluss auf diese Werte haben, nicht regelmässig teilnehmen (Abb. 2).7 Betrachtet man die Zahlen aus dem Ausland, lässt sich allerdings kein Unterschied feststellen. In der EU liegen die durchschnittlichen FuE-Aufwendungen der Banken bei gerade einmal 0.88% des Umsatzes.8 Auch wenn diese Zahlen ebenfalls auf einer kleinen Datenbasis gründen9, kann dennoch eine gewisse Tendenz erkannt werden. Banken scheinen im Vergleich zu anderen Branchen weniger in FuE zu investieren. Betrachtet man die FuE-Ausgaben des Industriesektors in Höhe von 2.5% gemessen am Umsatz, stellt sich die Frage nach den Gründen für diesen deutlichen Unterschied.10 Teilnehmer der Erhebung und Anteil FuE am Umsatz (Banken und Versicherer) 40

5.00%

35

4.50% 4.00%

30

3.50%

25

3.00%

20

2.50%

15

2.00% 1.50%

10

1.00%

5

0.50%

0

0.00% 1999

2002 Banken und Versicherer (n)

2005

2008

FuE (% des Umsatzes)

Abbildung 2: FuE-Ausgaben im Finanzsektor in % des Umsatzes (Quelle: KOF)

Grössere Bedeutung von FuE aufgrund der Angleichung von Rahmenbedingungen

Die Rolle von FuE im Bankensektor ist nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Entwicklungen und der sich verändernden Rahmenbedingungen interessant zu beurteilen. Denn die Vermutung liegt nahe, dass Wissen und Innovationen die Schlüsselfaktoren sein werden, um auch in Zukunft einen komparativen Vorteil der Konkurrenz gegenüber zu besitzen. Diesem Umstand sollte Rechnung getragen werden, und es könnte entscheidend sein, auf diesen Gebieten zu den Besten zu gehören.

6

Vgl. SBF „Bildung, Forschung und Innovation 2008-2011“, 2007

7

Diese Vergleichbarkeit wird insofern eingeschränkt, als der Umsatz der Banken nicht dem BIP gleichgesetzt werden kann.

8

Vgl. Eurostat

9

Gemäss Eurostat wurden die Daten lediglich bei 16 europäischen Banken erhoben.

10

Vgl. KOF „Innovationsumfrage 2002“, Februar 2004

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Drei Ursachen für tiefe FuE Aufwendungen im Bankensektor Die vergleichsweise tiefen FuE-Aufwendungen im Bankensektor werden in dieser Publikation drei Ursachen zugeordnet. Zum einen lässt sich FuE bei Banken nur schwer messen und wird dadurch unterschätzt. Gleichzeitig gibt es aufgrund spezifischer Charakteristika von Banken per se weniger FuETätigkeiten, als in anderen Branchen. Und schliesslich optimieren viele Banken ihre Wertschöpfungskette insofern, als sie FuE-intensive Spezialgebiete, die nicht zu ihren Kernkompetenzen gehören, an externe Anbieter auslagern.

Box: Was ist FuE im Bankensektor? Gemäss Definition der OECD - adaptiert auf den Bankensektor - stellt Forschung und Entwicklung im Bankensektor die systematische, schöpferische Arbeit, die zu neuen oder substanziell weiter entwickelten Erkenntnissen über Finanzprodukte, Finanzdienstleistungen, Prozesse und Organisationsformen, einschliesslich deren Anwendung, führen kann – aber nicht muss – mit dem Ziel, Kosten oder Risiken zu senken, Marktopportunitäten wahrzunehmen oder Kundenbedürfnisse besser zu befriedigen. FuE im Bankensektor ist eine mehrheitlich zielgerichtete und wissensintensive Tätigkeit. Mit anderen Worten führt FuE im Bankensektor nach aussen gerichtet zu neuen oder bedeutend weiterentwickelten Bankdienstleistungen und Finanzprodukten, nach innen gerichtet hingegen resultieren daraus neue oder erheblich verbesserte Prozesse und organisatorische Abläufe. Beispiele hierfür können die Entwicklung von neuen Vertriebskanälen für Bankdienstleistungen, neue Modelle, die eine bessere Kundensegmentierung zulassen oder Risiken besser abschätzen lassen, darstellen. Die Entwicklung von Kennzahlen im Controlling, die eine bessere Steuerung der Bank ermöglichen oder der Frühwarnung dienen, können ebenso hinzu gezählt werden. Dasselbe gilt für die Entwicklung von neuartigen Pricing-Modellen.

1. Problematik der Messbarkeit oder Sichtbarkeit von FuE Industriespezifische Definition von FuE nicht auf Dienstleistungen ausgelegt

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass die vergleichsweise geringen Forschungsquoten bei Banken nicht bedeuten, sie würden zu wenig Mittel in die eigene Entwicklung investieren. Die Ursache ist viel mehr dem Umstand zuzuschreiben, dass der Begriff FuE aus der Industrie stammt und eine Anwendung auf die Dienstleistungsbranche Schwierigkeiten im Verständnis und der Anwendbarkeit mit sich bringt. Während in Industrieunternehmen eigene Kostenstellen, Budgets oder Abteilungen existieren und gezielt FuE-Projekte verfolgt werden, findet FuE bei den Banken dezentral, kontinuierlich und in kleinen Schritten statt. FuE ist Teil der normalen Geschäftstätigkeit und zeigt sich in Form von meist kleinen, aber dennoch bedeutenden Neuerungen als Reaktion auf veränderte Marktgegebenheiten und Kundenbedürfnisse. Die grösste Herausforderung bei der Erhebung der FuE-Ausgaben besteht deswegen auch darin, eine genaue Abgrenzung der FuE-relevanten Aktivitä-

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ten zu erarbeiten. Banken beanspruchen keine öffentlichen Gelder für FuE, sie melden selten Patente an und führen meist keine expliziten FuE-Projekte durch. Zur Identifizierung, Abgrenzung und Quantifizierung von FuE bieten sich dementsprechend wenige Anhaltspunkte. Die Nähe zu den Kunden und dem Markt ist eine der typischen Eigenschaften von Dienstleistungen. Sie führt dazu, dass Veränderungen der Kundenbedürfnisse und der Marktlage sofort erkannt werden und laufend zu Anpassungen führen. Die Schwierigkeit, FuE bei Banken zu definieren und dadurch sinnvoll zu Grosse Unterschiede in der Anwendung der quantifizieren, zeigt sich auch in der unterschiedlichen Anwendung der Definition in den Erhebungen zu den FuE-Ausgaben. Zahlen aus England des FuE-Definition „R&D Scoreboard 2008“ beinhalten beispielsweise nur die FuE-Ausgaben der Softwareentwicklung.11 Diese sind einfach zu ermitteln und führen in England zu Steuererleichterungen. Ausgaben in der Softwareentwicklung liegen allerdings oft nicht im Bereich der von der OECD definierten FuEAktivitäten. Nicht als FuE zu werten ist beispielsweise die Migration einer Bankenplattform auf eine Neue. Dabei entstehen kein neues Wissen oder neue Erkenntnisse, wie es die Definition verlangt, obwohl sich für die Bank eine erhebliche Veränderung einstellt, die sie selbst als innovativ wahrnehmen mag. Zudem führt das unregelmässige Auftreten grösserer IT-Projekte dazu, dass in einigen Jahren hohe und in anderen Jahren wiederum gar keine FuEAusgaben angegeben werden. Dies könnte eine der Erklärungen für die Schwankungen in den Erhebungen der KOF sein.

2. Branchenspezifische Gegebenheiten als Ursache Nebst den angesprochenen Schwierigkeiten bei der Quantifizierung von FuE sind als zweite Ursache branchenspezifische Gegebenheiten zu nennen. Der offensichtlichste Grund liegt in der Immaterialität der Bankdienstleistung. Die Entwicklung neuer Finanzdienstleistungen und -produkte findet vorwiegend in den Köpfen der Mitarbeiter statt und benötigt weder spezielle Maschinen noch teure Labors oder besondere Fertigungsverfahren. Hohe Komplexität und möglicher Reputationsverlust als Grund für geringe experimentelle Entwicklung

Ein weiterer Grund liegt darin, dass sich neue Finanzdienstleistungen und Finanzprodukte meist nur im Alltag testen lassen. Die direkte Interaktion mit bzw. die Reaktion der Kunden ist eine entscheidende Komponente der Erkenntnisgewinnung, die sich oft nicht unter Laborbedingungen simulieren lässt und eine hohe Komplexität aufweist. Die Banken müssen sich daher präzise überlegen, welche neuen Angebote sie am Markt testen wollen. Scheitert ein Experiment, laufen sie zudem Gefahr, Reputation und somit Kunden zu verlieren. Diese Gegebenheiten führen zu einem eher restriktiveren Umgang mit experimenteller Entwicklung.12

11

Vgl. Department for Business Entreprise and Regulatory Reform (BERR) „The 2008 R&D Scoreboard: Banks - Sector Summary” 12

Vgl. Harvard Business Review „R&D Comes to Services, Bank of America’s Pathbreaking Experiment“, April 2003

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Innovation ohne expliziten Einsatz von FuE

Ebenfalls nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass in Branchen wie beispielsweise der Pharma- oder Elektroindustrie, FuE zur eigentlichen Kernaufgabe gehört, auf der ihr Fortschritt und wirtschaftlicher Erfolg basiert. Banken sind dagegen eher Innovationsanwender. In Bereichen wie der Informationsund Kommunikationstechnologie sind oft sie diejenigen, welche Innovationen in kürzester Zeit für ihre Zwecke und zum Nutzen ihrer Kunden einsetzen. Banken fassen in erster Linie Bestehendes zu neuen Leistungsbündeln zusammen und decken dadurch die Bedürfnisse der Kunden optimal ab. So betrachtet, entstehen viele Innovationen im Bankensektor aufgrund der täglichen Kundennähe, der Wahrnehmung ihrer Bedürfnisse und des Einsatzes von innovativen Technologien, ohne dass explizit in FuE investiert wurde. Ein typisches Beispiel ist die Bündelung von Finanzprodukten und Versicherungen. So gibt es einige Banken, die Kredite inklusive Versicherung anbieten und im Falle von Arbeitslosigkeit die Ratenzahlungen übernehmen. Ein anderes Beispiel sind umgestaltete Bankfilialen, in welchen man sowohl seinen Kaffee geniessen als auch gleichzeitig die Bankgeschäfte erledigen kann. Ein weiteres Beispiel ist die Verknüpfung von Bonuspunkten, die man beim Einkaufen oder Tanken sammelt und gleichzeitig als Vergünstigung bei Bankgeschäften eingesetzt werden können. Alle diese Beispiele bündeln bestehende Bedürfnisse und Dienstleistungen zu neuen und durchaus innovativen Dienstleistungen.

Praktisches Wissen wichtiger als FuE

Das „European Innovation Scoreboard 2007“ bestätigt diese Vermutung und stellt fest, dass gerade im Dienstleistungssektor häufig Innovationsaktivitäten ohne FuE stattfinden. Für den Finanzsektor kommt die Auswertung auf einen Anteil von 57% aller Innovationen, die ohne FuE zustande kommen (Abb. 3). Im Gegensatz zu technologiegetriebenen Branchen sieht man auch hier den vergleichweise deutlich tieferen Anteil von FuE. Es scheint, als ob die Erkenntnisse aus FuE für die Banken nicht so entscheidend sind und bei der Entwicklung von Neuerungen eine untergeordnete Rolle spielen. Daraus lässt sich die Vermutung ableiten, dass das praktische Wissen bei den Banken ein deutlich grösseres Gewicht hat. 100% 80% 60%

Share of non-R&D innovators

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Abbildung 3: Innovationen im Finanzbereich mit und ohne Einsatz von FuE (Quelle: Innova)

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Kurze Produktlebenszyklen als Hindernis für lange FuETätigkeiten

Ein weiterer branchenspezifischer Grund sind die spezifischen Eigenschaften von Finanzprodukten sowie der fehlende Patentschutz. Die Entwicklungszeiten und der langfristige Fokus von FuE sind nur schwer mit dem Nutzen kurzfristiger Trends vereinbar. Marktchancen bieten sich oft unmittelbar und müssen rasch in Produkte umgesetzt werden, was eine lange Entwicklungszeit gar nicht zulassen würde. Es erscheint daher plausibel, dass FuE aufgrund der kurzen Produktlebenszyklen keine zentrale Stellung einnimmt. Des Weiteren unterliegen die Finanzprodukte aufgrund unterschiedlicher Basisprodukte oder Rechtslagen oft sehr individuellen Rahmenbedingungen. Die Entwicklungen können nur selten wiederverwendet werden, was die Amortisation der Investition in FuE verunmöglicht. In dieselbe Richtung geht der fehlende Patentschutz für Finanzprodukte. Erfolgreiche Produkte werden umgehend von der Konkurrenz kopiert, so dass sich Investitionen nicht rentieren.

3. Auslagerung von Prozessen und Konzentration auf das Kerngeschäft Nebst den Schwierigkeiten bei der Messung und den Branchengegebenheiten lässt sich als dritter Faktor eine deutliche Veränderung der Wertschöpfungsketten von Banken erkennen, die einen Einfluss auf die FuE-Tätigkeiten hat. Banken kommen vermehrt davon ab, alle Schritte des Wertschöpfungsprozesses selber zu erbringen und modularisieren ihre Leistungserstellung zunehmend. Anfängliche Skepsis gegenüber Drittanbietern ist dank moderner Sicherheitstechnologie und der Möglichkeit, Daten anonymisiert zu verarbeiten, einer Akzeptanz gewichen. Die Selbstverständlichkeit, wie Bankgeschäfte über das Internet abgewickelt werden können, hat viel zu diesem Vertrauen beigetragen. Nicht zuletzt sind Kosten- und Effizienzüberlegungen bei vielen kleinen und mittleren Banken für dieses Umdenken mitverantwortlich. Auslagerung von FuEintensiven Bereichen da Konzentration aufs Kerngeschäft

Die Konzentration auf das Kerngeschäft ist unter Wettbewerbsaspekten für viele Banken von zentraler Bedeutung. Dies hat dazu geführt, dass in vielen Bereichen des Bankgeschäfts spezialisierte Anbieter entstanden sind oder sich als Spin-Offs von einer Bank abgespaltet haben (bspw. SoftwareUnternehmen). Sie sind typischerweise in Gebieten tätig, die nicht Teil des Kerngeschäftes sind und investieren Zeit und Geld, um sich als Experten auf diesem Gebiet zu etablieren. FuE spielt dabei eine zentrale Rolle, da sie sich nicht durch die Grösse, sondern die Qualität der Dienstleistung von der Konkurrenz abheben. Wie die Zahlen aus der EU zeigen, ist es tatsächlich so, dass Finanzdienstleister wie Hedge-Funds-Manager, Finanzproduktentwickler usw. einen höheren Anteil ihres Umsatzes in FuE investieren als Banken (Abb. 4). Der tiefe FuE-Aufwand der Banken kann daher auch so erklärt werden, dass sie durch die Konzentration auf das Kerngeschäft die Spezialgebiete, und somit auch deren FuE-Aufgaben, ausgelagert haben. Kleine Finanzdienstleister können somit genauso erfolgreich sein wie grosse Banken. Führt man sich vor Augen, dass sie durch ihre geringe Grösse eine höhere Agilität besitzen und über kürzere Entscheidungswege verfügen, ist es sogar möglich, dass diese Finanzdienstleister ihre FuE-Ausgaben effizienter

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nutzen als Banken und eine Auslagerung von FuE-intensiven Gebieten gerade deswegen sinnvoll ist. FuE bei Banken und Finanzdienstleistern in der EU 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% 2002

2003

2004 Finanzdienstl.

2005

Banken

Abbildung 4: FuE bei Banken und Finanzdienstleistern (Quelle: Eurostat)

Bedeutung und Konsequenzen der unterdurchschnittlichen FuEAufwendungen Unterschiedliche Ursachen für unterdurchschnittliche FuEAusgaben

Die Erläuterungen der letzten Abschnitte zeigen, dass die unterdurchschnittlichen FuE-Aufwendungen der Banken auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind. Banken sind nicht weniger bemüht, sich zu entwickeln als andere Branchen. Nur scheint systematische FuE dabei eine weniger gewichtige Rolle zu spielen. Diese Feststellung beantwortet zwar die ursprüngliche Beobachtung der tiefen FuE-Ausgaben, sie wirft gleichzeitig aber die Frage auf, ob allfällige Hindernisse, die FuE im Wege stehen, nicht zu überwinden wären und inwieweit die Banken davon profitieren könnten. Die Angleichung von Rahmenbedingungen oder der oben erwähnte „Catching-up“-Effekt bedeutet auch für die Banken, dass bestehende Wettbewerbsvorteile geringer werden und dem Faktor Wissen eine grösser werdende Bedeutung zukommt. Um aufzudecken, in welchen Bereichen der Bankensektor den Einsatz für FuE sinnvoll steigern könnte, muss an der oben erläuterten dritten Ursache - den spezifischen Branchengegebenheiten - angesetzt werden.

Fokus auf Entwicklungsprozesse anstelle von Produktebene

Die kurzen Produktlebenszyklen und die Kopierbarkeit der einzelnen Produkte sind plausible Gründe, weshalb nicht mehr FuE in die Finanzprodukte investiert wird. Der Fokus von FuE in diesem Bereich kann möglicherweise vermehrt auf die Entwicklungsprozesse der Produkte anstatt auf Ausgestaltung der Produkte gerichtet werden. Denn erstens sind die internen Abläufe einer Bank, wie sie die Produkte von der Idee bis zur Emission entwickelt, nach aussen nicht sichtbar und daher schwierig zu kopieren. Zweitens können durch FuE die Systeme und Anwendungen effizienter gestaltet werden, was bei den kurzen Produktlebenszyklen der Finanzprodukte ein entscheidender Wettbewerbsvorteil ist. Je schneller die Umsetzung von Produktideen

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und je effizienter das gesamte System funktioniert, desto grösser sind die Wettbewerbsvorteile einer Bank. Die individuellen Kundenbedürfnisse stellen die Banken zudem vor eine weitere Herausforderung. Der Trend in Richtung massgeschneiderte Produkte ist wie in anderen Branchen auch bei den Banken zu spüren. Die Kunden wollen vermehrt Finanzprodukte, die auf ihre persönlichen Bedürfnisse abgestimmt sind. Die Prozesse der Produktentwicklung sollten daher so gestaltet werden, dass der Kunde versteht, welche Chancen und Risiken sich ihm bieten. Nur so können seine Präferenzen präzise in einem detaillierten Risikoprofil abgebildet werden. Schliesslich müssen aus diesen Erkenntnissen benutzerfreundliche Anwendungen entwickelt werden, die es dem Kunden oder Kundenberater erlauben, ein dem Risikoprofil entsprechendes Produkt zusammenzustellen. Einige Banken ermöglichen ihren Kundenberatern oder den Kunden bspw. selbständig strukturierte Produkte zusammenzustellen. Je nach Präferenz, Renditezielen und Risikoprofil lassen sich so Finanzprodukte – massgeschneidert auf die eigenen Bedürfnisse – direkt am Bildschirm erstellen. Dies hat zwei entscheidende Vorteile. Einerseits lassen sich durchgängige Prozesse darstellen, die weitgehend automatisiert sind. Und andererseits können die Kunden stärker in den Entstehungsprozess des Finanzproduktes miteinbezogen werden. Die Anwendungen zur Erstellung von strukturierten Produkten erledigen im Hintergrund alle nötigen Abläufe vom Kauf der Basiswerte über das Pricing bis hin zum Hedging. Gleichzeitig ist der Kunde aktiv an der Zusammenstellung des Produktes beteiligt. Gerade bei komplizierten Kontrakten baut er dadurch eher ein Verständnis für das Produkt auf und kann somit Risiken besser abschätzen. Bei den Finanzdienstleistungen ist es vorwiegend die fehlende Laborumgebung die dagegen spricht, mehr Angebote auf experimenteller Basis zu entwickeln. Neue Ideen lassen sich bei Banken oft nur in der Filiale - das heisst in der Realität - testen. Deswegen wird in diesem Bereich eine eher restriktive Politik verfolgt, um die bestehende Kundschaft aufgrund von wenig erfolgreichen Experimenten nicht zu verlieren. FuE könnte aber auch bei den Finanzdienstleistungen zu einem breiteren und qualitativ besseren Angebot führen und Erkenntnisse im Umgang mit den Kunden liefern. Potential für experimentelle Entwicklung vorhanden

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Ein Beispiel aus den USA hat unlängst gezeigt, dass es durchaus möglich ist, selbst für Experimente mit Bankdienstleistungen eine Laborumgebung zu schaffen.13 Ideen für neue Angebote wurden in einer Art „Labor-Filiale“ entwickelt, die ausschliesslich zu Testzwecken diente und keine Kundschaft empfing. Anschliessend wurden diejenigen Ideen, welche erfolgversprechend zu sein schienen, in einigen Testfilialen in der Praxis getestet und entschieden, ob sie für den nationalen Vertrieb geeignet sind. Erstaunlicherweise hat sich gezeigt, dass ca. 90% der Experimente erfolgreich waren und 50% schliesslich umgesetzt werden konnten. Diese hohe Erfolgsquote führte die Bank darauf

Vgl. Harvard Business Review „R&D Comes to Services, Bank of America’s Pathbreakting Experiment“ April 2003

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zurück, dass die einzelnen Prozesse der Entwicklung klar systematisiert wurden und einem strukturierten Ablauf folgten. Dieses Beispiel zeigt, dass sich FuE auch für die Entwicklung von Dienstleistungen instrumentalisieren lässt. Somit könnte ein systematischer Ansatz für einen langfristigen Fokus hilfreich sein und dazu beitragen, dass eine Denkweise und Kultur geschaffen wird, die sich bewusst an Forschung und Entwicklung orientiert. Knowledge Transfer praktisches Wissen ist wichtig

Im Bereich des Wissens-Transfers zwischen Hochschulen und Praxis kann das Potential noch intensiver genutzt werden. Beispielsweise gilt es zu klären, ob die theoretische Forschung als Basis für die Praxis im Bankensektor die falschen Themen verfolgt und daher einen zu geringen Input für die praktische Umsetzung bringt. Gelingt es den Banken und Hochschulen, den konstruktiven Dialog weiter zu entwickeln und ihre Herausforderungen und Lösungsansätze auszutauschen, so profitieren die Hochschulen und Banken gleichermassen. Dadurch steigert sich nicht nur deren eigene Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Attraktivität des Finanzplatzes als Ganzes. Mit diesem Ziel vor Augen wurde 2006 von den Schweizer Banken und den Schweizer Universitäten das Swiss Finance Institute (SFI) gegründet. Es ist zuständig für die Forschung und Ausbildung auf Hochschulniveau in den Bereichen Banking und Finance. Ziel des SFI ist es, die Qualität des Forschungsstandortes Schweiz durch die Bündelung der vorhandenen Ressourcen der einzelnen Universitäten zu erhöhen und somit eine grössere Reputation aufzubauen. Dadurch soll im Forschungs- und Ausbildungsbereich wieder zu Finanzplätzen wie New York oder London aufgeschlossen und ein Anziehungspunkt für führende Forscher werden. Beispielsweise zieht die Besetzung eines Lehrstuhles mit einem renommierten Wissenschafter interessierte Studierende an, was in der Summe zu Forschungsergebnissen führt, die in den Bankensektor fliessen und wichtige Wachstumsimpulse liefern können.

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