E n t s c h e i d e r b r i e f

E n t s c h e i d e r b r i e f 10/2012 Informations-Schnelldienst 19. Jahrgang Medizinische Versorgung in Montenegro Grundlagen Das öffentliche Ge...
Author: Ernst Roth
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E n t s c h e i d e r b r i e f 10/2012

Informations-Schnelldienst

19. Jahrgang

Medizinische Versorgung in Montenegro Grundlagen Das öffentliche Gesundheitssystem ist unterteilt in primäre, sekundäre und tertiäre Versorgungseinrich­ tungen.1 Auf der primären Ebene gibt es in Podgorica zwei und in den übrigen 20 Gemeinden je ein Ge­ sundheitszentrum (Primary Health Care Center). Hier wird meist ambulant behandelt. In sechs der Zentren (Mojkovac, Plav, Pluzine, Rozaje, Savnik, Ulcinj) gibt es auch stationäre Einheiten. Die primäre Gesundheits­ versorgung umfasst die Vorsorge und Behandlung der gängigsten Krankheiten bzw. Verletzungen, die Versor­ gung von Müttern und ihren Kindern, Krebsvorsor­ ge- und Kontrolluntersuchungen, Zahnkrankheiten, geistige Gesundheitsvorsorge, Impfungen, Behandlung und Rehabilitation zu Hause, Notfallhilfe, Laborun­ tersuchungen, Ultraschall- und Röntgenkontrollen, Physiotherapie, fachärztliche Behandlung bei Lun­ genkrankheiten sowie in bestimmten Fällen die Be­ handlung durch Radiologen, Psychiater, Psychologen, Pädagogen und Kinderärzte. Auf der sekundären Ebene bilden sieben allgemeine Krankenhäuser das Rückgrat des Gesundheitssystems. 1

Die primäre medizinische Versorgung wird von den Haus­ ärzten/Allgemeinärzten geleistet. Diese entscheiden, ob der Patient an sekundäre Einrichtungen verwiesen wird. Die sekundäre Versorgung umfasst alle Fachärzte und Einrich­ tungen, in denen Fachärzte arbeiten. Im fachärztlichen Be­ reich gibt es dann noch spezialisierte Einrichtungen, die sog. tertiäre Versorgung.

Inhalt Verfahren Medizinische Versorgung in Montenegro Dublinverfahren 2011 Meldewesen in Pakistan Ausnahme von der Passpflicht _ Umfang einer Verpflichtungserklärung Syrien: Abschiebungsstopp verlängert MedCOI erweitert

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Aktuelle Rechtsfragen Aus der HKL-Rechtsprechung

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Was sonst?/Literatur Forum Außenpolitik: Verhindert wirtschaftliche Entwicklung Migration? IZ Asyl und Migration weist hin auf

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Zwei davon befinden sich an der Küste (in Bar, Kotor), drei in Zentralmontenegro (Cetinje, Niksic, Berane) und zwei im Norden (Bijelo Polje, Plevlja). Das mit Abstand größte Krankenhaus, das „Klinikzentrum von Montenegro“ (Podgorica, Hauptstadt) ist sowohl auf sekundärer als auch auf tertiärer Ebene einzugliedern. Des Weiteren gibt es Spezialkliniken für Orthopädie (in Risan, Küste), für Lungenkrankheiten (bei Niksic), für Psychiatrie (Dobrota, Kotor) sowie ein Rehabilitati­

Entscheiderbrief 10/2012

onszentrum in Herceg Novi (Küste).2 In Anbetracht der geringen Größe des Landes und der Einwohnerzahl3 ist damit eine flächendeckende Versorgung gewähr­ leistet. Soweit regionale Unterschiede bestehen, wird dies insbesondere durch das Klinikzentrum in Podgo­ rica ausgeglichen. Angesichts der geringen Größe des Landes ist Podgorica von überall grundsätzlich schnell erreichbar.4 Jeder Patient hat heute i.d.R. einen Allge­ meinarzt seiner Wahl als ersten Ansprechpartner. Bei Bedarf wird an einen Facharzt überwiesen; allerdings kann es zu längeren Wartezeiten kommen. Wer es sich leisten kann, wendet sich deshalb an eine der meist gut ausgestatteten Privatkliniken. Auch entsprechen in den öffentlichen Einrichtungen die technischen und hygienischen Standards nicht unbedingt westlichem Niveau. Die Versorgung hat sich in den letzten Jahren jedoch spürbar verbessert. Lediglich Herz- und Nie­ rentransplantationen, Gehirn- und Herzoperationen sind i. d. R. nicht durchführbar. Fälle, die in Monte­ negro nicht behandelt werden können, werden einer Kommission vorgelegt, die über die Kostenübernahme einer Auslandsbehandlung (meist in Belgrad) entschei­ det.

Psychiatrische Versorgung Die Behandlung von Personen mit psychischen Er­ krankungen oder posttraumatischer Belastungsstö­ rung (PTBS) erfolgt vor allem in den psychiatrischen Abteilungen der Krankenhäuser. In kleineren Orten ist das Behandlungsangebot auf die Gesundheitszent­ ren begrenzt. Die Behandlungen sind vor allem medi­ kamentenorientiert.5 Im Einzelfall bieten Fachärzte für 2 Vgl. IOM, Länderinformationsblatt Montenegro, Novem­ ber 2011; Country of Return Information Project, Country Sheet Montenegro, November 2008; European Commission, Social Protection and Social Inclusion in Montenegro, June 2008, http://ec.europa.eu/employment_social/spsi . 3 Montenegro ist mit rd. 13.800 km² kleiner als SchleswigHolstein (rd. 15.800 km²) und hat ca. 651.000 Einwohner. In den großen Städten lebt ein erheblicher Teil der Bevölke­ rung: Podgorica rd.152.000 Einwohner, Niksic rd.75.000, Bi­ jelo Polje rd. 56.000, Pljevlja rd. 40.000 (vgl. Munzinger Archiv online, Grunddaten Montenegro bzw. Statistische Ämter des Bundes und der Länder, www.statistik-portal.de/statistikportal/de_jb01_jahrtab1.asp . 4 So braucht es selbst von der serbischen Grenze im Norden nur etwa zwei Stunden bis Podgorica. 5 Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Montenegro: Psychiat­ rische Versorgung von Roma, Auskunft v. 28.05.2009.

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Psychiatrie auch psychotherapeutische Behandlung an. Medikamente sind verschreibungspflichtig und zuverlässig kostenlos verfügbar.6

Medikamentenversorgung Die Versorgung mit Medikamenten ist flächende­ ckend gesichert. Das Bundesamt konnte bei seinen einzelfallbezogenen Sachaufklärungen feststellen, dass grundsätzlich alle angefragten Wirkstoffe in Montene­ gro erhältlich waren.7 Die positive Medikamentenliste – eine sehr breite Liste mit allen Medikamenten, die die Patienten rezeptpflichtig gratis in der Apotheke bekommen – umfasst alle Generika und viele Origina­ le.8 Für einige Präparate ist eine geringe Beteiligungs­ gebühr zu entrichten.9

Krankenversicherung Es gibt eine staatliche Krankenversicherung, die für alle Montenegriner zugänglich ist. Die Mitgliedschaft knüpft an eine versicherungspflichtige Berufstätigkeit an. Arbeitslose oder mittellose Rückkehrer müssen sich beim Arbeitsamt anmelden und als arbeitslos eintragen lassen.10 Probleme gibt es nur für Personen, die notwendige Antragsunterlagen nicht beibringen. Ist beispielsweise bei einem Kind die Geburt nicht standesamtlich registriert, der Antrag auf Eintragung in das Staatsangehörigkeitsregister nicht gestellt oder eine Ehe nicht standesamtlich geschlossen, können die „Ehefrau“ und „eheliche Kinder“ nicht über den Mann/ Vater versichert werden.11 Nach Angaben des Health Insurance Fund of Montenegro12 waren 2011 insge­ samt 640.000 Personen, davon 18.000 Flüchtlinge und Binnenvertriebene krankenversichert.13 Martina Todt-Arnold

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Vgl. AA v. 12.06.2012 an Bundesamt. S. AA (Fn. 6). Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (Fn. 5). Vgl. IOM (Fn. 2). Vgl. Art. 8 des Gesetzes über die Gesundheitsversicherung. Vgl. AA (Fn. 6). Vgl. Health Insurance Fund of Montenegro, Integrated

Health information System, Lubljana 17.02.2011, www. cegd.eu/public/files/2SEE_eHealth_Rekovic.pdf spsi . 13 UNHCR beziffert die „Population of Concern” (Refugees, stateless persons etc.) auf 21.162 Personen (www.unhcr.org/ pages/49e48d986.html ).

Entscheiderbrief 10/2012

Dublinverfahren 2011 Übernahmeersuchen (ÜE) Deutschlands (DE) an die Mitgliedstaaten (MS) Jahr

aufgrund Zustimmungen Überstellungen ÜE EURODACDE an MS MS an DE DE in MS Treffer

2011

9.075

6.578

72,5 %

6.526

71,9 %

2.902

44,5 %

2010

9.432

6.362

67,5 %

7.308

77,5 %

2.847

39,0 %

2009

9.129

5.990

65,6 %

6.321

69,2 %

3.027

47,1 %

Die Anzahl deutscher Ersuchen an andere Mitglied­ staaten nahm 2011 um 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr ab. Dabei stellte Deutschland mit 9.075 Er­ suchen erneut etwa dreimal so viele Übernahmeersuchen an andere Mitgliedstaaten, wie es von diesen erhielt (2.995). Der Rückgang der Anzahl der Über­ nahmeersuchen an andere Mitgliedstaaten ist darauf zurückzuführen, dass an Griechenland keine Übernah­ meersuchen mehr gestellt werden. Ein wesentlicher Grund für das anhaltend hohe Niveau war die große Anzahl von Übernahmeersuchen gegenüber Italien (2.279), gefolgt von Schweden (1.083) und Polen (1.012). Hauptherkunftsländer der zu überstellenden Personen waren Afghanistan (1.043), die Russische Föderation (937), Serbien (801) und Somalia (706).

nach Deutschland waren sowohl der Zahl nach als auch im Verhältnis zu den gegebenen Zustimmungen fast unverändert. Das Verhältnis von Überstellungen nach Deutschland aus anderen Mitgliedstaaten zu den entsprechenden Übernahmeersuchen war nach wie vor deutlich höher als das Verhältnis von erfolgten Überstellungen aus Deutschland in andere Mitglied­ staaten zu den entsprechenden Übernahmeersuchen. Verhältnis der vom Bundesamt gestellten Übernahmeersuchen (ÜE) zu den Asylerstverfahren in Deutschland Jahr

Asylerstanträge

ÜE DE an MS

2011

45.741

9.075

19,8 %

2010

41.332

9.432

22,8 %

2009

27.649

9.129

33,0 %

Der Rückgang des prozentualen Anteils an Übernah­ meersuchen im Verhältnis zu gestellten Asylanträgen liegt neben dem Griechenlandeffekt (vgl. o.) - wie schon im Jahr zuvor - darin, dass für Asylanträge der Asylbewerber aus Serbien, Montenegro und Mazedoni­ en gemäß Art. 11 II Dublin-Verordnung (Einreise ohne Visumzwang) stets der Mitgliedstaat zuständig ist, in dem sie ihren ersten Asylantrag gestellt haben. Von den 45.741 Asylerstanträgen im Jahr 2011 stammten 8.870 Anträge von Personen aus Serbien, Montenegro und Mazedonien.

Übernahmeersuchen der Mitgliedstaaten an Deutschland Jahr

Prozentualer Anteil

Anja Kuntscher, 430

aufgrund ÜE Zustimmungen Überstellungen EURODACMS an DE DE an MS MS nach DE Treffer

2011

2.995

1.817

60,7 %

2.169

72,4 %

1.303

60,1 %

2010

2.885

1.716

59,5 %

2.129

73,8 %

1.306

61,3 %

2009

3.165

1.946

61,5 %

2.359

74,5 %

1.514

64,2 %

Die Zahl der Übernahmeersuchen von anderen Mit­ gliedstaaten an Deutschland stieg gegenüber dem Vor­ jahr um 3,8 Prozent, während die Zustimmungsquote Deutschlands in etwa gleich blieb. Die Überstellungen

Meldewesen in Pakistan Pakistan verfügt über ein modernes Melderegister (National Database Registration Authority). Die Identi­ fizierung eigener Staatsangehöriger dürfte für pakista­ nische Behörden deshalb regelmäßig unproblematisch sein. Ab einem Alter von 18 Jahren kann sich jeder Pakistaner einen Personalausweis (ID-Card) ausstellen

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Entscheiderbrief 10/2012

lassen, der folgende Daten enthält: Fingerabdrücke, digitales Foto, Name, Elternname, Adresse, Registrier­ nummer (sie wird nach Heirat zur Familiennummer) und die Familiennummer der Eltern. Die ID-Cards werden in Pakistan in verschiedenen Bereichen des zivilen Lebens benötigt, z. B. bei der Eröffnung eines Bankkontos, bei der Aufnahme einer Arbeit, beim Studium, bei der Ausstellung eines Reisepasses, beim Kauf von Eigentum, bei der Aufnahme in das Wähler­ verzeichnis. Bislang gab die Melderegisterbehörde 91 Mio. ID-Karten für 96 Prozent der erwachsenen Bevöl­ kerung aus. Pakistan hat diese Datenbank bereits sehr erfolgreich zur Identifizierung und Unterstützung von Opfern von Gewalttaten und solchen von Naturge­ walten genutzt. Grundsätzlich müsste daher auch eine Identifizierung pakistanischer Staatsangehöriger, die sich im Ausland aufhalten, möglich sein. Die Redaktion*1

* Unter Verwendung von Informationen des Referates 433.

Ausnahme von der Passpflicht – Umfang einer Verpflichtungserklärung Anträge von Ausländern auf Zulassung einer Ausnah­ me von der Passpflicht (§ 3 I 1 Hs. 2 AufenthG)1 müssen als allgemeine Erteilungsvoraussetzung Nachweise der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich ausrei­ chenden Krankenversicherungsschutzes für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts enthalten. Hat ein An­ tragsteller keine ausreichenden Mittel, kann sich ein Dritter durch Abgabe einer Verpflichtungserklärung auf bundeseinheitlichem Vordruck2 verpflichten, für die Kosten aus dem Aufenthalt in Deutschland aufzu­ kommen (§ 68 AufenthG). Die Zulassung einer Ausnah­ me setzt als allgemeine Erteilungsvoraussetzung wei­ ter grundsätzlich voraus, dass die Verpflichtung auch etwaige Aufwendungen für eine Rückführung in das 1 Grundsätzlich hierzu s. Entscheiderbrief 7/2012, S. 3 f. 2 In besonderen Einzelfällen (z.B. eines im Teil B des Handels­ registers eingetragen Einladers) kann eine Verpflichtungs­ erklärung auf einem nichtamtlichen Vordruck abgegeben werden.

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Heimatland umfasst (s. §§ 66 II, 67 AufenthG). Daran fehlt es beispielsweise, wenn jemand lediglich erklärt, der Antragsteller erhalte ein Stipendium und man habe für ihn eine Krankenversicherung abgeschlossen. Solange Zweifel an der Bereitschaft eines Verpflich­ tungsgebers bestehen, für die Rückführungskosten mit aufzukommen, ist keine Ausnahme möglich. Zuständig für die Entgegennahme der Erklärung sind im Inland die Ausländerbehörden am Wohnort des Verpflich­ tungsgebers, im Ausland die Auslandsvertretungen.3 Michael Kalis, BMI

3 Vgl. Ziff. 68.2.1.2 VwV-AufenthG.

Syrien: Abschiebungsstopp verlängert Wegen der anhaltenden kriegsähnlichen Lage in Syri­ en haben die Bundesländer den Abschiebungsstopp im Einvernehmen mit BMI bis zum 31.03.2013 verlängert (§ 60a I 1 i.V.m. § 23 I 3 AufenthG).1 Ausnahmen gelten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, etwa bei in Deutschland begangenen Straftaten. Geldstrafen bis zu 50 Tagessätzen können außer Betracht bleiben. Die Redaktion

1 Zur Entscheidungspraxis des Bundesamtes vgl. Entscheider­ brief 3/2012, S. 5.

MedCOI erweitert Das Bundesamt beteiligt sich seit Längerem am eu­ ropäischen Projekt „Medical Country of Origin Infor­ mation“ (MedCOI),1 um medizinische Herkunftslän­ derinformationen noch zügiger und effektiver bereit­ zustellen sowie auszutauschen. Das Projekt bewährte 1 Vgl. Entscheiderbrief 8/2011, S. 1 f.

Entscheiderbrief 10/2012

sich und wurde mehrfach verlängert,2 derzeit bis 2014. Bislang lieferte MedCOI Erkenntnisse über die grund­ sätzliche Verfügbarkeit medizinischer Behandlungen einschließlich erforderlicher Medikamente. Angesichts der positiven Ergebnisse wurde die Abfragemöglich­ keit zum 01.09.2012 erweitert.3 Seit dem 01.09.2012 ist es möglich, auch Informationen über die indivi­ duelle (ökonomische, geographische und politische) Zugänglichkeit medizinischer Behandlung inklusive Medikamentenversorgung zu gewinnen und auszu­ tauschen. MedCOI erlaubt dem Bundesamt nur An­ fragen für seine Verfahren. Detaillierte Informationen, auch zu Inhalt und Verfahrensweise, vor allem für die Entscheider, stehen aktuell im Infoport bereit. Zur Be­ wertung des Projekts sind die Erfahrungen der Anfra­ genden ein zentrales Kriterium. Bitte diese einfach und formlos an die Informationsvermittlungsstelle senden: [email protected] Nicola Schöberl, 411

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Vgl. Entscheiderbrief 4/2012, S. 3. Mit dem Folgeprojekt „MedCOI 2“.

Aus der HKL-Rechtsprechung Aserbaidschan Ausbürgerung/armenische Volkszugehörige OVG NI: Für den Erwerb der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit durch das Gesetz vom 26.06.1990 bedurfte es nicht des tatsächlichen Aufenthalts auf dem Gebiet Aserbaidschans im Zeitpunkt des Inkraft­ tretens des Staaatsangehörigkeitsgesetzes. Es genügte der dort registrierte Wohnsitz.1 Die gegenteilige Be­ wertung teilt der Senat nicht. Eine Interpretation des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 26.06.1990 im Licht des späteren Gesetzes über die Staatsangehörigkeit 1 Anderer Ansicht: OVG MV, U.v. 01.03.2012 - 3 L 56/05 u. 3 L 93/04 sowie v. 15.02.2012 - 3 L 98/04 ; VGH BY, U.v. 14.04.2011 - 2 B 06.30538; OVG SH, B.v. 29.01.2008 - 1 LA 33/06 sowie U.v. 30.11.2006 - 1 LB 66/03 oder v. 08.12.2005 1 LB 202/01 ; VG Bremen, U.v. 23.04.2008 - 4 K 2226/03.A .

vom 30.09.1998 und einer dabei geänderten Rechtspra­ xis ist nicht zulässig. Durch die Neufassung des Staats­ angehörigkeitsrechts durch das Gesetz vom 30.09.1998 wurden armenische Volkszugehörige, die die aserbai­ dschanische Staatsangehörigkeit de jure besaßen, in flüchtlingsrechtlich erheblicher Weise ausgebürgert (U.v. 20.06.2012 - 7 LB 140/06 ).

Äthiopien exilpolitisches Engagement (EPPF) VG Ansbach: Verfolgung wegen exilpolitischen En­ gagements droht nicht deshalb, weil jemand Vorsit­ zender oder Vorstandsmitglied einer großstädtischen Gruppierung der EPPF2 (hier: Nürnberg) ist. Gerade im Hinblick auf die intensive Überwachung der äthi­ opischen Szene in der Bundesrepublik durch das Herkunftsland ist „auch den äthiopischen Behörden klar, dass solch inflationär entstehende, wie Pilze aus dem Boden schießende Vorstandsfunktionen, insbesondere wenn sie einen örtlich begrenzten Wir­ kungskreis aufweisen, für sich alleine betrachtet den jeweiligen Asylbewerber, wenn er sich ansonsten im Heimatland als weitgehend unpolitisch erwiesen hat, nicht zu einem aus dem Kreis der bloßen Mitläufer herausragenden, ernsthaften und damit aus Sicht des äthiopischen Staates zu verfolgenden Oppositionellen machen.“ Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der jewei­ lige Funktionsträger nicht allein durch das Innehaben eines Amtes, sondern durch sein davon unabhängiges politisches Engagement im Heimatland und in der Bundesrepublik sich auch als eine von der Masse der äthiopischen Asylbewerber abhebende, nach außen erkennbar politisch interessierte und aktive Person darstellt (U.v. 27.08.2012 - AN 3 K 12.30258 ).

Iran Alkoholismus VG Trier: Einem Alkoholiker, der sich nicht an das Ab­ stinenzverbot hält und bei dem eine dahin führende weitere therapeutische Einflussnahme nicht möglich 2 Ethiopian People‘s Patriotic Front (EPPF) - Äthiopische Pa­ triotische Volksfront. Sie wurde zu Beginn der 1990er Jahre gegründet und ist in Äthiopien illegal (vgl. AA v. 08.06.2010 an VG Kassel u. Jane‘s Information Group, EPPF, http://ar­ ticles.janes.com/articles/Janes-World-Insurgency-and-Ter­ rorism/Ethiopian-People-s-Patriotic-Front-EPPF-Ethiopia. html ).

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Entscheiderbrief 10/2012

erscheint, droht bei Rückkehr ein ernsthaftes Risiko der Todesstrafe, zumindest aber unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Auspeitschen. Auch wenn bei der hohen Anzahl von Alkoholkonsumenten nicht davon ausgegangen werden kann, dass zwangs­ läufig jeder bestraft wird, so besteht die dauernde Ge­ fahr ausgewählt zu werden, um ein Exempel zu statu­ ieren. Dieser ist ein solcher Alkoholiker in besonderem Maße ausgesetzt, der aufgrund seiner Sucht bereit ist, sich den Alkohol illegal zu verschaffen und die Vor­ sicht außer Acht lässt, mit der ein Nichtsüchtiger vor­ geht (U.v. 09.08.2012 - 2 K 206/12.TR ).

Mazedonien Roma/Existenzminimum/Mutter eines Kleinkindes VG Hannover: Eine junge Roma mit einem in Deutsch­ land geborenen Kleinkind ist grundsätzlich in der Lage, ihre Existenz im Heimatland zu sichern. Sofern eine selbständige Sicherung des gemeinsamen Lebens­ unterhalts z.B. aufgrund des Kindesalters ausscheidet, kann in Mazedonien staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Dort gibt es ein öffentliches Sozi­ alleistungs- und Gesundheitssystem, das allen Rück­ kehrern, auch Roma, nach Registrierung zugänglich ist. Von einer vorhandenen Registrierung ist auszugehen bei Personen mit einem Reisepass oder bei Bezug öf­ fentlicher Leistungen bereits vor der Ausreise. Erfor­ derlichenfalls muss eine Mutter ihr Kind registrieren lassen. Darüber hinaus ist es zumutbar, familiäre Hilfe von Angehörigen im In- und Ausland in Anspruch zu nehmen sowie Unterhalt vom Kindsvater zu verlangen (U.v. 27.07.2012 - 12 A 2654/12 ).

Russische Föderation Tschetschenien/Ausschlussgrund Kriegsverbrechen OVG ST: Ob ein Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegt, bestimmt sich nach den Tatbeständen im römischen Statut des Internatio­ nalen Strafgerichtshofs vom 17.07.1998 (IStGH-Statut). Wegen Tötung russischer Soldaten und Entführung eines Offiziers droht zwar Verfolgung. Bei Heimtücke ist jedoch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Kriegsverbrechen und schwerer nichtpoliti­ scher Straftat ausgeschlossen (§ 3 II 1 Nr. 1 u. 2, S. 2

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AsylVfG i.V.m. § 60 VIII 2 AufenthG). Auch eine Zivil­ person kann Täter sein. Es besteht allerdings ein Ab­ schiebungsverbot nach § 60 II AufenthG. Bei Rückkehr droht bei Verhaftung Folter oder erniedrigende Be­ handlung wegen Verwundung oder Tötung russischer Soldaten sowie wegen Geiselnahme eines Offiziers (U. v. 26.07.2012 – 2 L 68/10 , nach Zurückver­ weisung durch BVerwG, U.v. 16.02.2010 – 10 C 7.09).

Weißrussland HIV/AIDS VG Regensburg: Die antiretrovirale Therapie eines AIDS-Kranken (Helferzellenanteil 17 %) mit den Wirkstoffen Efavirenz, Emtricitabin und Tenofovir einschließlich notwendiger Kontrollen ist in Weiß­ russland auch bei Mittellosigkeit verfügbar. Zumindest bis 2014 gilt dies bereits aufgrund eines Projekts des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen zur Vorbeugung und Behandlung von HIV/AIDS in der Republik Belarus. Unabhängig davon ist die medizini­ sche Behandlung und Versorgung mit Medikamenten für diese Patientenkategorie kostenlos (U.v. 23.07.2012 - RO 9 K 11.30520 ). Dr. Roland Bell/Carla Weimar, 411

Verhindert wirtschaftliche Entwick­ lung Migration? Forum Außenpolitik: Eine Einschätzung populärer Rezepte zum Umgang mit Migration aus Drittstaaten: Entwicklungszusammenhänge und Repression (Diskus­ sionspapier Nr. 12), Zürich Juli 2012, 64 S., über www. foraus.ch/de/ Die Autoren konstatieren: Die Idee, vor allem die Hungrigen und Verzweifelten wanderten auf der Su­ che nach Arbeit aus, sei weitverbreitet, aber falsch. Ein positiver Zusammenhang zwischen einer wirtschaftli­ chen Entwicklung mit Erhöhung des verfügbaren Pro­ Kopf-Einkommens und abnehmender Auswanderung lasse sich nicht feststellen. Studien sprächen für das Gegenteil: Einkommenswachstum ermögliche erst die Finanzierung der Migration und könne so Auswande­

Entscheiderbrief 10/2012

rung anregen. In den neuen und entstehenden Mittel­ klassen in Entwicklungs-/Schwellenländern liege ein enormes Migrationspotenzial. Das größte Potenzial hätten wohl Staaten mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1.500 bis 8.000 USD pro Jahr. 74 so unterschiedli­ che Staaten wie Indien, Marokko, die Ukraine und die Philippinen zählten dazu. Die Auswanderung aus den ärmsten Ländern (Pro-Kopf-Einkommen bis 1.500 USD) sei hingegen sehr gering. Sie bestehe fast nur aus Personen, die vor Konflikten flöhen, meist in benach­ barte Regionen. Wer zur allmählichen Überwindung der Migration auf repressive Maßnahmen setze, über­ schätze deren Möglichkeiten. Hilfreicher sei, Migration möglichst problemfrei und gewinnbringend zu gestal­ ten. Dr. Roland Bell

weitere Ausarbeitungen ƒ Klimamigration Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion (Working Paper 45) Stand: Juni 2012 Hrsg.: Bundesamt, 220 ƒ Politische Einstellungen und politische Partizipation von Migranten in Deutschland (Working Paper 46) Stand: September 2012 Hrsg.: Bundesamt, 220 ƒ Willkommen in Deutschland Informationen für Zuwanderer Stand: Februar 2012 Red.: Bundesamt ƒ Zuwanderung von internationalen Studierenden aus Drittstaaten (Working Paper 47) Stand: August 2012 Hrsg.: Bundesamt, 220

Veröffentlichungen anderer weist hin auf

BReg

Veröffentlichungen des Bundesamtes

Informationen des Bundesamtes ƒ Blickpunkt Ägypten Die Koptisch-Orthodoxe Kirche Stand: September 2012 Hrsg.: Bundesamt, 412 ƒ Blickpunkt Syrien Syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern (Update 10.10.2012) Stand: Oktober 2012 Hrsg.: Bundesamt, 412 ƒ Das deutsche Asylverfahren - ausführlich erklärt. Zuständigkeiten, Verfahren, Statistiken, Rechtsfolgen Stand: August 2012 Hrsg.: Bundesamt, Abteilung 4

ƒ Aufnahme und Unterstützung syrischer Flüchtlinge, BT-Drs. 17/10624 ƒ Ausweisungen im Jahr 2011, BT-Drs. 17/10459 ƒ Erkenntnisse zur Weiterreise von irregulär in die EU eingereisten Migrantinnen und Migranten innerhalb des Schengenraums, BT-Drs. 17/10623 ƒ Situation in deutschen Abschiebungshaftanstalten, BT-Drs. 17/10596 ƒ Umsetzung der Abschiebungsrichtlinie der Europä­ ischen Union und die Praxis der Abschiebungshaft, BT-Drs. 17/10597 ƒ Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbe­ werberleistungsgesetz, BT-Drs. 17/10664 Hermann-M. Bröcker, Exterritorial Processing and Reception Centers for Migrants in North Africa – De­ velopments in European Asylum and Refugee Law, AWR-Bulletin Heft 2/2012, S. 99 ff.

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Entscheiderbrief 10/2012

Bundesasylamt Wien ƒ Bosnien und Herzegowina: Lage der Roma, 17.08.2012 ƒ Mazedonien: Aktuelle Sicherheitslage, 30.03.2012 Commissioner General for Refugees and Stateless Persons /Bundesamt für Migration Brüssel/Bern, Fact Finding Mission Report. The Tibetan Community in India and Nepal from 6th of March till 16th of March 2012, 29th of August 2012 Iris Gachowetz, EASO – The European Asylum Sup­ port Office – a new facilitator for the establishment of a Common European Asylum System?, AWR-Bulletin Heft 2/2012, S. 88 ff. Ralph Göbel-Zimmermann/Liisa Marquardt, Dis­ kriminierung aus Gründen der ‚Rasse’ und wegen der ethnischen Herkunft im Spiegel der Rechtsprechung zum AGG, ZAR Heft 10/2012, S. 369 ff. Nora Markard, Gerechte Verteilung von Schutzsu­ chenden in Europa? Fragen an die Dublin II-Verord­ nung – 12. Berliner Symposium zum Flüchtlings­ schutz, 18.-19.06.2012, ZAR Heft 10/2012, S. 380 ff. Reinhard Marx, Verfolgung aus Gründen der Religi­ on aus menschenrechtlicher Sicht, Asylmagazin Heft 10/2012, S. 327 ff. Ralf Roßkopf, Dublin III beyond M.S.S. and N.S., AWRBulletin Heft 2/2012, S. 60 ff. Ralf Rothkegel, Das Gericht wird‘s richten – das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Ausstrahlungswirkungen, ZAR Heft 10/2012, S. 357 ff. Schweizerische Flüchtlingshilfe Bern ƒ Afghanistan: Update. Die aktuelle Sicherheitslage, 03.09.2012 ƒ Elfenbeinküste: Medizinische Versorgung, 07.09.2012 ƒ Eritrea: Situation eritreischer Flüchtlinge in Israel, 13.08.2012 ƒ Kenia: Situation somalischer Flüchtlinge, 16.08.2012 ƒ Mazedonien: Medizinische Pflege und Krankenversi­ cherung für körperlich Behinderte, 23.08.2012

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UNHCR Genf ƒ Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minder­ heiten aus Pakistan, 10.10.2012 ƒ Note on Dublin transfers to Hungary of people who have transited through Serbia, October 2012

Informationen hierzu über IVS-Telefon: 0911/943-7188 IVS-Fax: 0911/943-7198 E-Mail: [email protected]

Demnächst lesen Sie: ƒ Das Dublin-Verfahren im Überblilck ƒ Aktuelles aus Europa ƒ Aus der Rechtsprechung

Impressum Entscheiderbrief Ausgabe: 10/2012 - 15.10.2012 Herausgeber: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ISSN 1869-1803 Anschrift: Redaktion Entscheiderbrief 90343 Nürnberg Tel.: 0911/943-7100 Fax: 0911/943-7198 E-Mail: [email protected] Internet: www.BAMF.de Redaktion: Dr. Roland Bell, RL 411 (verantw. Leiter) Bernd Emtmann, 420 Wolfgang Heindel, 421 Maria Schäfer, 412 Martina Todt-Arnold, 413 Josef Wiesend, 424 Turnus: monatlich; Redaktionsschluss jeweils der 15. eines Monats (Änderungen nach Bedarf) Vertrieb: Doris Tanadi, 410 Layout: Petra Schiller, 410 Druck: Bonifatius GmbH Druck-Buch-Verlag Auflage: 1250 Exemplare Besondere Hinweise: Nachdruck und Nutzung nur nach Zustimmung des Herausgebers mit Quellenangabe und Belegexemplar. Kein Anspruch auf Veröffentli­ chung oder Manuskriptrückgabe.