Die Kunst, anderen zu verzeihen

Die Kunst, anderen zu verzeihen Von Tania Konnerth "Das werde ich dir nie verzeihen!" ist einer der bittersten Sätze überhaupt. Bitter nicht nur für d...
Author: Timo Bauer
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Die Kunst, anderen zu verzeihen Von Tania Konnerth "Das werde ich dir nie verzeihen!" ist einer der bittersten Sätze überhaupt. Bitter nicht nur für den anderen, sondern vor allem auch für sich selbst. Denn: Wer anderen nicht vergeben kann, schadet damit vor allem einer Person: sich. In diesem Artikel möchten wir Ihnen einige Anregungen zum Thema "Verzeihen" geben, damit es Ihnen vielleicht in Zukunft leichter fällt, loszulassen. Wir schaden uns selbst, wenn wir nicht mit Verletzungen abschließen. Vor allem, wenn wir zu verzeihen vorgeben (oder auch selbst daran glauben), innerlich aber nicht vergessen, nicht loslassen können. Genau das ist es, was uns regelrecht auffressen kann. Nehmen Sie sich einmal die Zeit, um ganz in Ruhe für sich herauszufinden, welche Verletzungen Sie bis zum heutigen Tag nicht vergessen können. Schreiben Sie diese auf! Und fragen Sie sich dann Folgendes: •

Warum kann ich nicht vergessen, nicht loslassen?



Was ist es, das mich festhalten lässt?



Was könnte der Nutzen sein, dass ich nicht wirklich loslassen will?



Was erhoffe ich mir?



Ist der (tatsächliche oder auch nur erhoffte) Nutzen tatsächlich den Schmerz wert, den das Nicht-Vergessen-Können auslöst?

Sie können mit diesen Fragen sehr tief kommen, tief an den Schmerz. Das macht oft Angst. Aber wenn Sie einmal erkennen, was es genau ist, das Sie nicht vergessen lässt, bekommen Sie neue Möglichkeiten, damit umzugehen. Sie befassen sich dann mit der Wurzel des Ganzen. Und nur an der Wurzel sitzt auch die Möglichkeit der Heilung. Unser Bedürfnis, zu bestrafen... Wir glauben unbewusst, den anderen damit zu bestrafen, dass wir ihm oder ihr nicht vergeben. Wir möchten uns gleichsam für die erlittenen Schmerzen, die Scham oder die gefühlte Demütigung rächen. Ein Bedürfnis, das zwar menschlich und nachvollziehbar, aber leider nicht nützlich oder Erfolg versprechend ist. Natürlich kann es eine Strafe für den anderen sein, wenn wir nicht bereit sind, ihm oder ihr zu vergeben. Aber wir übersehen dabei, dass wir am

meisten uns selbst bestrafen, wenn wir nicht verzeihen können. Wir verurteilen uns nämlich dadurch dazu, nicht vergessen zu können. Wir halten die Gedanken an das, was uns angetan wurde, wach und somit auch den Schmerz. Es ist fast so, als würden wir selbst das Messer, das in der Wunde steckt, immer wieder umdrehen... "Wer an seinem Schmerz festhält, bestraft sich letzen Endes selbst." Leo. F. Buscaglia

Was Verzeihen bringt Die Fähigkeit, verzeihen zu können hingegen ermöglicht es, dass die Wunden heilen können. Es geht darum, endlich loszulassen und uns somit von dem, was uns angetan wurde, zu befreien. Das bringt Erleichterung für die Seele und auch für den Körper, der ebenfalls unter dem Dauerschmerz leidet (und auch konkrete Symptome ausbilden kann). Verzeihen ist ein Akt der aktiven Lebensgestaltung, denn wir übernehmen damit Eigenverantwortung. Wer verzeiht, lässt nicht zu, dass andere Menschen oder Ereignisse das eigene Leben dauerhaft beeinflussen können. Wer vergeben kann, öffnet sich für Neues. Viele Menschen glauben, dass Verzeihen ein Zeichen von Schwäche ist. Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall. Es erfordert eine ganze Menge Kraft und Stärke, bereit zu sein, abzuschließen mit erlittenem Unrecht – aber: es kostet uns mindestens genauso viel Kraft und Energie, dauerhaft in der Opferposition zu bleiben, zu grollen, zu hadern und auf Genugtuung zu hoffen. Wichtig: Verzeihen heißt nicht "gut heißen" Eines ist im Zusammenhang mit dem Thema "Vergeben" ganz wichtig: Wenn wir verzeihen, heißen wir damit das, was der andere getan hat, nicht automatisch gut. Wir können es nach wie vor "falsch" finden, "niederträchtig", "unangemessen", "kriminell" oder was auch immer. Wir entscheiden uns damit lediglich dazu, nicht länger zuzulassen, dass die Tat unser Leben dauerhaft negativ beeinflusst. Die Tat selbst aber wird dadurch nicht besser. Schrittweise vorgehen Würde es mit dem Verzeihen im Hauruck-Verfahren gehen, wäre die Sache deutlich leichter. Es erfordert aber meist ein sehr behutsames, schrittweises Vorgehen, damit wir Erlittenes loslassen können.

Gestehen Sie sich also ganz bewusst zu, dass das mit dem Verzeihen nicht immer gleich auf Anhieb klappt. Je tiefer die Wunden sind, desto länger brauchen wir oft, um vergeben zu können. Nehmen Sie sich diese Zeit und schimpfen Sie nicht mit sich selbst, wenn Sie merken, doch noch Groll zu empfinden. Das ist vollkommen menschlich. Indem Sie diese Regungen liebevoll annehmen, aber unbeirrt weiter daran arbeiten, Schritt für Schritt loszulassen, wird es Ihnen leichter gelingen, als wenn Sie von sich erwarten, die Sache mit einem sauberen Schnitt endlich zu beenden. Dass Sie sich das wünschen, ist natürlich verständlich, denn mit so einem Schnitt erhoffen wir uns, dass auch der Schmerz verschwindet. Aber der Begriff "Schnitt" ist hier bewusst gewählt, denn wenn Sie versuchen, etwas aus sich herauszuschneiden oder zu reißen, entstehen auch dadurch große Wunden... Aus dem Schmerz erwachsen Dieses Bild mag etwas pathetisch wirken, aber uns scheint es sehr kraftvoll und zutreffend: Nutzen Sie das, was man Ihnen angetan hat, um darüber hinauszuwachsen. Blumen haben die wundervolle Gabe, auch unter Geröll und Schutt hervorzuwachsen. Sie siegen letztlich, in dem sie das Hässliche durch ihre Blüten verschönern.

5 Tipps zum Verzeihen Verzeihen ist schwierig. Aber möglich. Wir haben Ihnen hier eine Reihe von konkreten Tipps dafür zusammengestellt. Tipp 1: Finden Sie heraus, was es zu verzeihen gibt Einige Verletzungen, die wir erlitten haben, sind offensichtlich. Jemand, der z.B. von seinem Partner betrogen wurde, wird diese Wunde lange mit sich tragen. Anderes liegt tiefer, manches haben wir auch verdrängt. Nehmen Sie sich einmal etwas Zeit und Ruhe und überlegen Sie, was und wem Sie ganz persönlich alles zu verzeihen haben. Erstellen Sie eine Liste von Dingen, •

für die Sie heute noch auf jemanden wütend sind,



die Sie verletzt haben und die heute noch schmerzen,



die Sie einfach nicht vergessen können und die noch immer an Ihnen nagen,



für die Sie am liebsten Rache nehmen möchten



und ähnliches.

Manches kann sich schon erledigen, wenn Sie es auf der Liste stehen sehen – denn es kommt auch vor, dass wir innerlich schon längst abgeschlossen haben, aber vom Kopf her immer noch denken, nicht verzeihen zu können. Vielleicht können Sie über manche Punkte inzwischen auch lachen. Solche Dinge streichen Sie dann einfach durch. Anderes wird schmerzen, wenn Sie an daran denken und das auf der Liste sehen. Mit diesen Punkten arbeiten Sie weiter. Tipp 2: Raus damit! Auch wenn wir Verletzungen oft jahrelang mit uns herumtragen und selbst wenn wir auch schon x-mal darüber geredet haben, ist es empfehlenswert, sich die ganze Sache einmal gezielt von der Seele zu schreiben. Unterschätzen Sie hier nicht die Wirkung des geschriebenen Wortes. Das Niederschreiben hat eine andere Wirkung als das Sprechen. Wenn wir schreiben, schöpfen wir oft aus tieferen Schichten in uns und so kommt auch das leichter hoch, was wir sonst eher unterdrücken. Nehmen Sie sich Zeit und Ruhe und gehen Sie zurück in die Situation, die für Sie auch heute noch so schmerzlich ist. Beschreiben Sie, was genau geschah. Schreiben Sie auf, was in Ihnen vorging. Was das Schlimme war, was Ihnen angetan wurde. Sie können das Ganze auch als Brief verfassen – adressiert an die Person, der Sie noch nicht verzeihen können. Drücken Sie ruhig alle Ihre Vorwürfe deutlich aus – Papier ist geduldig. Sie brauchen, nein, Sie sollten möglichst nichts zensieren, denn alles was in Ihnen ist, darf jetzt einmal raus. Und dann: Werfen Sie diesen Zettel fort. Dieses symbolische Vernichten des Geschriebenen kann eine sehr befreiende Wirkung haben. Sie können den Zettel auch rituell verbrennen, womit wir schon beim nächsten Punkt sind. Tipp 3: Entwickeln Sie Rituale Rituale helfen vielen Menschen beim Loslassen. Hier einige Anregungen dazu: •

Symbolische Verabschiedungen: Wenn Sie über das Erlebnis geschrieben haben, können Sie mit diesem Blatt die Macht der Symbole nutzen, um kraftvoll loszulassen. Verbrennen und zerreißen – das tut den meisten Menschen sehr gut. Erlauben Sie sich dabei zu weinen und packen Sie ihre angestauten Gefühle mit ins Feuer oder in die Lust, das

Geschriebene zu zerfetzen. Sie können sich auch ein Symbol für die Tat aussuchen und dieses z.B. mit einem Luftballon in den Himmel schicken. Wichtig ist, dass Sie etwas wählen, was für Sie "Loslassen" und "Abschied nehmen" so plastisch wie möglich symbolisiert. •

Eine weitere Möglichkeit ist, ein Foto von der Person (oder eine Zeichnung oder auch nur den Namen) vor sich hinzulegen und dann laut zu ihr zu sprechen. Sie dürfen hier ruhig noch einmal ihrer Wut oder Enttäuschung Ausdruck verleihen. Gehen Sie dann aber dazu über so etwas zu sagen, wie: "Ich bin heute bereit loszulassen, denn ich will nicht mehr, dass diese Sache mein Leben beeinflusst. Ich verzeihe dir heute." Wählen Sie etwas, was Sie mit innerer Überzeugung sagen können und sprechen Sie es laut aus.



Vielen Menschen helfen auch die so genannten Affirmationen. Suchen Sie sich dazu zwei oder drei besonders kraftvolle Sätze aus und sagen Sie sich diese mehrmals am Tag selbst laut vor oder schreiben Sie sie auf. Beispiele könnten sein: "Ich übernehme Verantwortung für mein Leben und lasse nicht länger zu, unter dem, was andere getan haben, zu leiden. Ich entscheide mich zum Loslassen. Ich befreie mich von dem Schmerz, indem ich verzeihe." Auch hier ist wichtig, dass die Sätze für Sie passen.



Nutzen Sie besondere Daten: Die meisten Menschen, die ein Unrecht nicht verzeihen können, wissen sehr genau, wann es ihnen angetan wurde. Jahrestage sind wegen ihres Symbolgehalts für solche Verzeihensübungen deshalb ein besonders gutes Datum.

Überlegen Sie auch, ob Ihnen selbst weitere Rituale einfallen, mit denen es Ihnen möglich wird, das Erlittene loszulassen. Nutzen Sie alles, was Ihnen dabei hilft. Tipp 4: Manchmal hilft die andere Sicht Wenn wir verletzt worden sind oder uns ein Unrecht angetan wurde, nehmen wir verständlicherweise zunächst nur uns selbst und unseren Schmerz wahr. Wenn wir aber nach der ersten akuten Enttäuschung aus einem gewissen Abstand auf das Ereignis schauen, können wir auch unser Gegenüber wahrnehmen, also den Menschen, der uns verletzt hat. Das kann uns ermöglichen, zu verstehen, warum er oder sie das getan hat. Vielleicht können wir erkennen, welche Gründe es gab. Gründe, die das Verhalten nicht unbedingt rechtfertigen, aber doch verständlich machen. Vielleicht erkennen wir auch unseren eigenen Anteil an der Situation. Und vielleicht hilft uns das dabei, unsere Gefühle zu relativieren und die Sache bereinigen oder loslassen zu können. Tipp 5: Nicht immer schafft man es allein

Nicht bei allen Sachen ist es möglich, aus eigener Kraft loszulassen und zu verzeihen. Missbrauchopfer, Opfer von Kriminal- und Gewalttaten, aber auch Menschen, die betrogen wurden oder deren Vertrauen zutiefst verletzt wurden, schaffen es oft nicht, sich allein davon zu befreien. Wenn Sie das bei sich feststellen, sollten Sie über therapeutische Hilfe nachdenken. Das hat nichts mit Schwäche oder Kranksein zu tun, sondern einfach damit, dass Sie es sich selbst Wert sein sollten, die Hilfe anzunehmen, die Sie bekommen können, um freier und glücklicher zu leben.

Denn: es ist Ihr Leben.

Literatur zum Thema •

Oliver Bantl: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens



Fred Luskin: Die Kunst zu verzeihen



Doris Wolf: Ab heute kränkt mich niemand mehr



Jean Monbourquette: Vergeben lernen in zwölf Schritten



Dalai Lama/Viktor Chan: Die Weisheit des Verzeihens