Das WICHTIGSTE Jahr meines Lebens! Mein Austausch in Brasilien

Das WICHTIGSTE Jahr meines Lebens! Mein Austausch in Brasilien… Mittlerweile ist der erste Schultag schon vorbei, und wenn ich zurückblicke auf das l...
Author: Katrin Geisler
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Das WICHTIGSTE Jahr meines Lebens! Mein Austausch in Brasilien…

Mittlerweile ist der erste Schultag schon vorbei, und wenn ich zurückblicke auf das letzte Jahr, welches ich im Schüleraustausch mit Rotary in Lauro de Freitas (Brasilien) verbracht habe, bin ich froh und wehmütig zugleich. Froh, weil ein Jahr hinter mir liegt, dass mich sehr geprägt hat und mir unendlich viele Erfahrungen und Erlebnisse beschert hat, die mir keiner mehr wegnehmen kann. Und wehmütig, weil ich manchmal mein zweites Leben im sonnigen und lebensfrohen Brasilien vermisse. Ich hatte eigentlich schon seit langem mit dem Gedanken gespielt, ein Jahr wegzugehen. Die Entscheidung, diesen Gedanken dann auch umzusetzen, sollte ich nie bereuen! Die Vorbereitung durch Rotary und die damit verbundene Bewerbung war sehr intensiv und anstrengend, aber sicherlich notwendig, da ich so für alle Eventualitäten gerüstet war. Einen konkreten Länderwunsch hatte ich eigentlich nicht und ich weiß selbst nicht mehr, warum ich Brasilien als Erstwunsch ankreuzte. Als ich dann aber irgendwann erfuhr, o es hingehen würde, war ich aus dem Häuschen und fühlte mich bestätigt. Ich sollte nach „Lauro de Freitas“ gehen, einer 200.000-Einwohner-Stadt im Nordosten Brasiliens, direkt neben der ehemaligen Hauptstadt Salvador. Das Haus meiner 1.Gastfamilie lag sage und schreibe 500 Meter vom Strand entfernt. Ein Traum! Als ich in den Flieger stieg, hatte ich das Ziel vor Augen, in einem Jahr mit vielen neuen Lebenserfahrungen, als fertig entwickelter Erwachsener zurückzukommen. Ich ging mit dem Anspruch an mich, als „perfekter“ Mensch wieder zurückzukommen… Nachdem ich den Flug dann, zusammen mit einigen anderen Austauschschülern „überstanden“ hatte, war der erste Abend in meiner neuen Gastfamilie sofort ein spannendes Erlebnis. Schon auf der Fahrt vom Flughafen zu meinem neuen Zuhause war ich beeindruckt und hatte fast schon den ersten Kultur-“Schock“ in Brasilien. Alles war so anders als in Deutschland. Die Straßen, oft voller Schlaglöcher, die vielen ärmlichen Viertel, die „Favelas“, und vor allem die hohen, festungsähnlichen Mauern und verschärften Sicherheitsvorkehrungen; allerdings auch die vielen Palmen, der strahlend blaue Himmel und der sehr herzliche Empfang von meiner Gastfamilie am Flughafen.

Zum Abendessen hatte meine Gastmutter zum Glück deutschsprechende Nachbarn eingeladen, die aufgrund meiner bruchstückhaften Portugiesisch-Kenntnisse noch sehr viel zu dolmetschen hatten.

Zu essen gab es auch gleich ein traditionelles Gericht: eine herzhafte „Torte“, deren einzelne Bestandteile ich bis heute nicht kenne, die aber nach Hühnchen schmeckte, und bis heute mein brasilianisches Lieblingsgericht ist. Das brasilianische Essen ist sowieso sehr lecker, und bei den Austauschschülern sehr berüchtigt. Jeden Tag Reis und Bohnen und viel Fleisch lassen viele Austauschschüler notgedrungen in neue Kleidung investieren. Außerdem steht Brasilien noch für die vielen exotischen und immer frischen Früchte und Säfte.

An diesem ersten Abend unterhielt ich mich noch viel mit meinen Gasteltern und lernte sie so schon ein bisschen kennen – ehe ich dann erschöpft, aber begeistert und voller guter Vorsätze ins Bett fiel - nicht ohne vorher auf dem Fußboden eine gigantische Kakerlake zu

bemerken, vor der mich meine Gastmutter dann aber im letzten Moment retten konnte. 

In der ersten Zeit war alles sehr neu und aufregend. Ich war in meiner ersten Gastfamilie Einzelkind, da meine eigentlichen Gastgeschwister in einer anderen Stadt studierten bzw. auch im Austausch waren. Für mich, der ich mit vier Geschwistern aufgewachsen bin, war dies eine neue Erfahrung, aber gleichzeitig

auch schön. Meine Gastmutter kümmerte sich sehr um mich. Sie brachte mich jeden Tag zur Schule und auch sonst überallhin, da ich die öffentlichen Verkehrsmittel am Anfang nicht alleine benutzen durfte. Die dortige Schule unterschied sich völlig von meiner Schule in Deutschland. Rund 50 Leute in einem kleinen Klassenraum, vor denen ein Lehrer steht, dem es nur mit einem Mikrofon bewaffnet möglich ist, sich Gehör zu verschaffen. Als ich dann an meinem ersten Schultag von einer Sekretärin in die Klasse gebracht wurde, war ich ziemlich nervös. Doch die Brasilianer schien das nicht zu stören, denn als die Stunde vorbei war, war ich sofort von der ganzen Klasse umringt, die auf mich einredete und mich, natürlich auf Portugiesisch, tausend Sachen fragte. Am Anfang musste ich mir noch mit Englisch behelfen, aber nach 2-3 Wochen konnte ich schon einfache Unterhaltungen auf Portugiesisch führen. Durch die offene und neugierige Art der Brasilianer bekam ich sofort Kontakte in der Schule und wurde eingeladen, z.B. mit an den Strand zu gehen. Auch durch mein Hobby -

Fußball - fand ich in Brasilien, im Land der Strassenfußballer, leicht Anschluss. Fußball wird dort einfach überall gespielt: in der Schule, am Strand oder einfach auf der Straße. Meistens jedoch traf ich mich ein- bis zweimal in der Woche mit ein paar Freunden in einem „Condominio“, einer Wohnanlage, und wir spielten den ganzen Nachmittag Fußball.

Nach einiger Zeit hatte sich mein Tagesablauf normalisiert und ich begann mich besser zurechtzufinden. Unter der Woche unternehmen die Brasilianer generell nicht viel, sondern bleiben zu Hause, um zu lernen. Deswegen trieb ich sehr viel Sport. Ich ging ins Fitness-Studio, spielte im Fußball-Team der Schule und ging regelmäßig Schwimmen und Laufen.

Im Dezember - mit Beginn der heißen Sommermonate - fingen auch die großen Sommerferien und damit die aufregendste Zeit in meinem Austausch an. Nach einem für mich sehr wenig feierlichen Weihnachtsfest, an dem ich zum ersten Mal meine Familie ein wenig vermisst habe und auch unsere Art, Weihnachten zu feiern, machte ich im Januar eine 30-tägige Reise durch den gesamten Nordosten Brasiliens bis hinunter nach Rio de Janeiro, zusammen mit 100 anderen Austauschschülern. Es war eine wunderbare und ereignisreiche Zeit! Wir sahen die schönsten Strände Brasiliens, viele interessante Städte, von Brasilia bis Rio, und hatten einfach nur ganz viel Spaß. Ich fand noch einmal neue Freunde aus der ganzen Welt, zu denen ich heute noch Kontakt habe und mit denen ich sehr viele Gemeinsamkeiten hatte, nur weil sie ebenso Austauschschüler waren wie ich.

Austauschschüler-Sein verbindet !!! Diese Beziehung, die man zu seinen MitAustauschschülern hat, war für mich eine der schönsten Erfahrungen in meinem Austausch. Man fand einfach immer ein Gesprächsthema, da jeder ähnliche Probleme mit der Gastfamilie oder in der Schule hatte, aber auch, weil wir zusammen unglaublich tolle Sachen erlebt haben und Erfahrungen machten, die uns für immer verbinden werden. Wir 20 Austauschschüler aus meinem Distrikt in Brasilien bezeichnen und fühlen uns bis heute noch als eine Familie, auch wenn wir wieder in unsere Heimatländer zurückgekehrt sind und mittlerweile wieder über den ganzen Globus verstreut sind. Seitdem ich wieder zuhause bin, bin ich viel gereist und habe viele meiner Freunde aus Brasilien hier in Deutschland schon wiedergesehen. Zum Beispiel habe ich meinen besten Freund Thilo in Bremen besucht, mit dem ich zusammen in der Nähe von Salvador gelebt habe. Wir haben uns im Austausch kennengelernt und dort sehr viel Musik miteinander gemacht (Klavier und Schlagzeug). Mittlerweile haben wir eine neue Funk-Band gegründet. So viele Leute zu finden, mit denen man sich gut versteht, war für mich eine besonders schöne Erfahrung, und alleine dafür hat sich der Austausch schon gelohnt!

Nach der Reise stand der Karneval vor der Tür. Brasilianischer Karneval ist das intensivste Volksfest der Welt! Karneval ist nicht nur in Rio de Janeiro, sondern in ganz Brasilien

ein unglaubliches

Spektakel und

wird dementsprechend

überall anders

gefeiert. Dies kann

man meistens

schon an der

traditionellen

Musik und den

verschiedenen

Tänzen erkennen.

Ob Samba in

Rio, Frévo in Recife

oder Axé in

Salvador, es gibt

unzählige

verschiedene

Arten, den

Karneval in

Brasilien zu

erleben…

Der GRÖßTE Karneval jedoch ist der Karneval Salvadors, der sechs Tage und sechs Nächte dauert(!) Im Grunde könnte man den Karneval in Salvador auch einen Karnevalsumzug nennen, nur passt dieses Wort nicht, um die Dimensionen zu beschreiben. In jeder

Nacht ziehen „trios electricos“, riesige Trucks, die nur aus Motor und Ghettoblastern zu bestehen scheinen, eine 6 Kilometer lange „Karnevalsmeile“ entlang, wobei pro Tag etwa eineinhalb Millionen Menschen auf die Straßen gehen und feiern. Der Karneval ist eine riesige, ausgelassene, oft allerdings auch zügellose Party. Deswegen durften wir Austauschschüler nur mit rotarischer Begleitung am Karneval teilnehmen, was wir auch an 3 Tagen taten. Es war einfach ein beeindruckendes Erlebnis und Adrenalin pur! Wir tanzten und sprangen die ganze Nacht die „Karnevalsmeile“ entlang und als wir dann gegen 3 Uhr morgens - nass geschwitzt und die Beine voller Muskelkater - die Meile hinter uns gebracht hatten, wollten wir einfach nur so schnell wie möglich ins Bett, um am nächsten Tag gleich wieder los zu ziehen.

Als nach den langen Sommerferien die Schule wieder los ging, war ich vollends in Brasilien angekommen. Ich hatte Freunde gefunden, die Sprache gelernt und - was das Wichtigste war - mich auf die brasilianische Kultur eingelassen. Viele Kleinigkeiten im Umgang miteinander, die mich in den ersten Monaten noch verunsichert hatten, hatte ich als Teil meines neuen Lebens akzeptiert und mich auf sie eingestellt. Aufgrund dieser gewonnenen Sicherheit konnte ich natürlich jetzt viel befreiter die verbleibende Zeit verbringen und nutzen. Die letzten Monate meines Austauschs vergingen wie im Fluge, und als mir der Gedanke kam: “Du musst jetzt bald wieder nach Hause.“, wurde mir angst und bange. Es gab noch so viele Dinge zu tun: Surfen lernen, an den FußballStadtmeisterschaften teilnehmen, mit meiner Klasse auf Klassenfahrt gehen etc. Kurz bevor mein Flug zurück nach Deutschland ging, besuchten wir Austauschschüler aus Bahia noch die rotarische Distriktkonferenz. Dort stellten wir in einem selbst inszenierten Theaterstück dar, wie wir den Austausch in Brasilien erlebt hatten. Es wurde ein voller Erfolg und machte uns allen viel Spaß. Es sollte das letzte Mal sein, dass wir alle zusammen waren und das war uns leider allen klar. Nach der Konferenz verbrachten wir noch unser Abschlusswochenende zusammen und führten viele Gespräche bevor wir uns dann unter Tränen Lebewohl sagten.

Was ich wohl am intensivsten im ganzen Austausch erlebt habe, war der Rückflug und die Heimkehr nach Deutschland. Am Tag meiner Abreise waren viele Freunde und meine Gastfamilie zum Flughafen gekommen, nur um mich zu verabschieden und als ich das Gate betrat, standen mir Tränen in den Augen, als alle meine Bekannten anfingen zu klatschen, um mich Lebewohl zu sagen. Als ich schließlich in Frankfurt am Flughafen ankam und eine deutsche Durchsage hörte, stutze ich, weil alles so unwirklich wirkte. Lisa, eine Freundin, die mit mir zurückgeflogen war, fragte mich immer wieder: “Max, was machen wir hier? Was haben wir hier zu suchen?“… Ich sah Deutschland mit den Augen eines Brasilianers. Auf der Rückfahrt zu meinem „alten“ Zuhause, streiften meine Augen durch die Landschaft und ich entdeckte so viele Sachen, die mir fremd und vertraut zugleich

vorkamen. Ich genoss es, durch die grüne und saftige Landschaft zu fahren und war froh, dass alles so sauber und organisiert wirkte, ganz im Gegensatz zu Brasilien. Auch das Wiedersehen mit meiner Familie war wunderbar und ich war erleichtert, sie endlich wiederzusehen und zu sehen wie sie sich alle verändert hatten. Mir war während des Jahres in der Ferne auch klar geworden, wie gut es uns hier in Deutschland geht! Das deutsche Schulsystem, der hohe Lebensstandard und vor allem die Sicherheit habe ich sehr zu schätzen gelernt Um auf meine Erwartungen an das Austauschjahr vor meinem Abflug zurückzukommen: Ich hatte damals in etwa die Gedanken: „Nach diesem Jahr, wenn du dich dann entwickelt hast, bist du reif und erwachsen“. Ich hatte viele Erwartungen in dieses Jahr gesetzt. Ich hatte erwartet, dass das Auslandsjahr meine persönlichen Ängste und Probleme, die jeder Mensch ja nun einmal hat, von selbst lösen würde. Allerdings war mir schon in Brasilien klar geworden, dass das viel zu viel erwartet war. Ein Mensch hört nie auf, sich weiter zu entwickeln. Ich hatte in diesem Jahr viel gelernt und war reifer und selbstbewusster geworden. Diese Erkenntnis und die vielen exotischen und unvergesslichen Erfahrungen (gute wie schlechte!) haben mir gezeigt, wie wichtig dieses Austauschjahr für mich gewesen war. Wenn ich heute darüber nachdenke, wie ich vor dem Austauschjahr gedacht und gehandelt habe, kann ich mir nicht vorstellen, diese Erfahrung aus meinem Leben zu streichen, und deswegen würde ich es unter allen Umständen wieder tun. Ich bin den verantwortlichen Rotariern für ihr ehrenamtliches Engagement und meiner Familie sehr dankbar, dass sie alles mitgetragen haben. Denn ohne ihre Unterstützung hätte das alles nicht geklappt. Ich kann einfach nur jedem empfehlen, den Schritt zu wagen und das Jahr auch aktiv dazu zu nutzen, sich persönlich weiter zu entwickeln. Mein Austauschjahr war - ohne Zweifel - das für mich persönlich wichtigste, und nicht zu vergessen, schönste Jahr in meinem bisherigen Leben!

Max Rüger, Rotary Club Hagen