Mein freiwilliges soziales Jahr in Costa Rica

Mein freiwilliges soziales Jahr in Costa Rica Mit EIRENE in Nacientes Palmichal Dienstbeginn: 30.01.2012 Zweiter Rundbrief Christian Frank 25.07.201...
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Mein freiwilliges soziales Jahr in Costa Rica

Mit EIRENE in Nacientes Palmichal Dienstbeginn: 30.01.2012

Zweiter Rundbrief Christian Frank 25.07.2012

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Ich möchte betonen, dass die geschilderten Beschreibungen von Land, Kultur und den Menschen Costa Ricas lediglich meine eigenen subjektiven Erfahrungen sind und dass diese nicht für Costa Rica verallgemeinert werden können.

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¡Hola amigos! Ein halbes Jahr Costa Rica, ein ganzer zweiter Rundbrief! Die große anfängliche Aufregung - nun in den so fernen Tropen Mittelamerikas zu leben - ist mittlerweile verflogen, denn ich habe meinen Platz hier gefunden und fühle mich sehr wohl! Aus den vergangenen drei Monaten gibt es natürlich einiges über meine Arbeit und meine Erfahrungen mit Land und Leuten zu berichten. Ich wünsche euch ganz viel Spaß beim Lesen!

Weiterhin alles im Lot! Sechs Monate fern von Heimat, Familie und Freunden und es geht mir trotzdem gut! ;-) Das Projekt läuft rund und es gibt viel für mich zu tun, in meinem Haus fühle ich mich immer noch sehr wohl und auch mit den Nachbarn läuft alles gut! Für mich ist es immer wieder ein schöner und motivierender Start in den Tag, wenn ich morgens durch das Dorf spaziere, von den Nachbarn freundlich beim Namen gegrüßt werde und man sich kurz unterhält. Eine etwa 80 Jahre alte Dame hat schon richtig Gefallen daran gefunden, mir immer aus Spaß anrüchig „Adíos mi amor!“ (Hallo mein Lieber!) hinterherzurufen… Außerdem werde ich von den Nachbarn zum Essen, Wandern oder Besichtigen der eigenen kleinen Kaffee-Plantage eingeladen. Mitte Juni habe ich meinen Geburtstag hier gefeiert. Es sind einige Nachbarn gekommen und wir haben erst schön gegessen, dann viel zu süße Torte verspeist (Foto oben) und am Ende auch getanzt! Momentan macht sich hier der kleine Sommer von San Juan breit. Das heißt es regnet weniger, es gibt mehr Sonnenstunden und somit auch wieder Gelegenheit für Fußball spielen mit den Nachbarn, im Fluss baden und viel Wandern. Eine Nachbarshündin hat sich dazu entschlossen bei mir zu wohnen und folgt mir nun auf Schritt und Tritt und bewacht das Haus. Die Nachbarn sagen scherzeshalber der Hund hätte mich adoptiert, nicht anders herum. Besonders mit den drei Mädels Vivian, Fernanda und Fabiola, die in Nacientes Palmichal arbeiten, verstehe ich mich sehr gut. Neben viel Rumalbern sind es aber auch vertrauensvolle Gespräche über Probleme zu Hause bei den Mädels oder Vermissen von Freundin und Familie bei mir, die die Arbeit sehr bereichern. Vivian meinte sogar mal, ich wäre für sie mittlerweile wie ein zweiter Sohn geworden! Auf dem Foto ist außerdem die Doro zu sehen, die hier kurzzeitig ebenfalls Freiwillige war.

Natur satt! Wohin ich hier auch schaue, sehe ich eines: Grün! Die Natur ist einfach beeindruckend und es macht mir immer Spaß zu wandern, da es bei einem tollen Ausblick in das Tal jedes Mal ganz andere Tiere und Pflanzen zu sehen gibt! Besonders wenn Regen fällt wächst alles mit einer unglaublichen Kraft und Geschwindigkeit! Hier ein paar Eindrücke aus der Umgebung…

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Um die Bewusstheit über die Wichtigkeit des Schutzes genau dieser Wälder und Gewässer des Tales zu festigen, haben wir im Juni die „Wanderung für Wasser und Umwelt“ veranstaltet, auf der etwa 150 Bewohner Palmichals teilnahmen. Diese führte über 3km von Palmichal Zentrum bis hoch nach Nacientes Palmichal und wurde mit Ehrungen, Ansprachen, Spielen, Speis und Trank gefeiert!

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San Pablo pur! In den letzten Monaten konnte ich einen tieferen Einblick in das Landleben Costa Ricas hier in San Pablo erlangen. Diesen möchte ich hier mit euch teilen. Die kleine Gemeinde, die sich entlang dem Río Tabarcia das Tal hinab erstreckt hat vor allem eines: Herz! Doch neben viel Herz existiert leider auch viel Schmerz! Herz - Die meisten meiner Nachbarn sind in San Pablo geboren und haben auch ihre Familie hier. Die Eltern und Geschwister meiner Vermieterin beispielsweise verteilen sich über fünf Häuser, die fast alle in Rufweite voneinander liegen. Dieses enge Beziehungsnetz schafft einen sehr liebevollen Umgang miteinander und bietet einen starken familiären Rückhalt. Die meisten meiner Nachbarn würde ich als naturverbundene, ehrliche und lebensfrohe Menschen bezeichnen, die mit erstaunlicher Energie auch im hohen Alter noch auf dem Feld arbeiten und eigene Ideen umsetzen. Schmerz - In diesem auf den ersten Blick so friedlich scheinenden Dorf gibt es einen oft ausgesprochenen Satz, den ich langsam auch nachvollziehen kann: „Pueblo pequeño, infierno grande!“ (Kleines Dorf, große Hölle!). Gemeint sind Neid, familiäre Gewalt und Alkohol, von denen man als Tourist vorerst gar nichts mitbekommt. Ein noch sehr verbreiteter Alltag sieht etwa so aus: Der Mann geht tagsüber auf dem Feld arbeiten, während die Frau zu Hause bleibt und sich um die Kinder und den Haushalt kümmert. Frauen, die sich diesem Muster nicht beugen und ehrlich arbeiten, um sich einen höheren Lebensstandard zu verdienen, sind häufig Neid anderer Frauen ausgesetzt. Eines der Mädels, die in der Lodge arbeiten, kam neulich weinend zur Arbeit, da ihr nachgesagt wurde, sie s würde sich das gerade gekaufte Auto mit ihrem Körper verdient haben. Eine hier auf dem Land noch sehr verbreitete Erziehungsmethode ist die Hand. Dazu kommt, dass ich ab und an höre, dass Familienväter meist unter Einfluss von Alkohol die Frau oder auch die Kinder schlagen. Auch die Polizei ist deshalb manchmal im Einsatz. Das offensichtlichste Problem ist jedoch der Alkoholkonsum! Eine für mich erschreckend hohe Zahl an Männern hat ein deutliches Alkoholproblem. Der fahrende Gemüsehändler bringt nämlich wöchentlich nicht nur Früchte und Obst, sondern auch illegal gebrannten Schnaps, der gerne pur getrunken wird. So gibt es Männer, die über mehrere Tage betrunken sind, davon bei der Arbeit in Ohnmacht fallen und der Familie nichts als Probleme bereiten (Gewalt, Schulden, Autounfälle…). Mit der Bewusstheit über diese Probleme, hat sich mein Denken als Freiwilliger geändert. Ich sehe nun, dass auch dies Teil meines Dienstes sein muss, auch wenn mir bewusst ist, dass diese Probleme nicht von heute auf morgen aus der Welt geschaffen werden können. Anfang Juli haben wir in Nacientes einen Kindertag veranstaltet, bei dem die Kinder des Dorfes durch lustige Spiele an der frischen Luft die Probleme zu Hause zumindest für einen Moment vergessen konnten. Die Eltern wurden in der Zeit eingeladen einen Film zum Thema „gewaltfreie Erziehung“ mit anschließender Diskussion zu schauen. Neben solchen Aktionen ist es meiner Meinung nach auch schon alleine das Zuhören und Sprechen mit den von den Problemen betroffenen, was beim Umgang mit der Problematik helfen kann.

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Meine Arbeit in Nacientes Palmichal Die Arbeit, die ich im Rahmen meines Freiwilligendienstes hier verrichte, ist sehr abwechslungsreich und einen Alltag gibt es schlichtweg nicht. Ein Bereich um den ich mich für Nacientes kümmere ist das Marketing. Hierzu gehört bei den unterschiedlichen Aktivitäten mit dem Design von Info-Material zu helfen, die Homepage zu überarbeiten, Fotos und Videos (z.B. von der Wanderung oder dem Kindertag) zu erstellen und diese auf Facebook (facebook.com/nacientespalmichal) zu veröffentlichen. In diesem Rahmen ist auch viel Abstimmung mit der Agentur ACTUAR in San José nötig, in die ich stark eingebunden bin. Im Mai waren mein Chef und ich auf der größten TourismusMesse Mittelamerikas namens EXPOTUR in San José. Dort haben wir über drei Tage Nacientes Palmichal ausgestellt und konnten einige wertvolle Kontakte knüpfen. Bei dieser Messe habe ich sehr viel in der Vor- und Nachbereitung gearbeitet. Auch das interne Marketing der Lodge ist mein Thema. So habe ich nun eine längst benötigte Übersicht über alle Touren der Lodge erstellt, die im Essensraum hängt und nun die Gäste über das Angebot an Touren informiert, wodurch auch deutlich mehr Touren gebucht werden. Mein Chef hat mir letzte Woche einen Internet Stick besorgt, über den ich nun auch schnelles Internet auf meinem PC zu Hause habe. Dies erleichtert mir die Arbeit für Nacientes und den Kontakt nach Deutschland erheblich, da ich nun nicht mehr die 3km Wanderung bergab zum Internet Café und danach zurück bergauf als Hürde habe. Eine meiner Aufgaben ist weiterhin die Betreuung und Organisation der Gruppen, die in der Lodge zu Besuch sind. Im Juni und Juli hatten wir neben einigen Familien auch sieben Jugendgruppen von bis zu 40 Personen, die für mehrere Tage in der Lodge beherbergt wurden und auch im Projekt mitarbeiteten. Mit diesen konnten wir in der Lodge wieder einige größere Arbeiten verrichten, wie das Anlegen eines neuen Gartens und mehrerer Wege, das Vergrößern des Schmetterlingszelts meines Nachbarn, das Säubern und Neu-Bepflanzen des Gewächshauses und so weiter. Seit Mai biete ich nun auch einen kostenlosen Englischunterricht im Dorf an. Dieser findet einmal wöchentlich statt und teilt sich in eine Stunde für Schulkinder und eineinhalb Stunden für Erwachsene auf. Der Unterricht scheint mir von großem Nutzen, da die Kinder teilweise falsches Englisch in der Schule beigebracht bekommen und die Erwachsenen die Sprache in ihrem Alltag, besonders im Umgang mit Touristen, sehr gut gebrauchen können. Im Schnitt nehmen derzeit 10 Kinder und 10 Erwachsene teil. Auf dem Foto ist nur ein Teil der Gruppe. Außerdem helfe ich gerade einem Nachbarn ein Schmetterlingszelt zu bauen, das er als Tour anbieten möchte, und eine Tour zur Besichtigung seiner eigenen kleinen Bienenzucht aufzuziehen. Auch dem Nachbarn mit der Forellenzucht greife ich gerade unter die Arme, in dem ich mit ihm zusammen seine Homepage neu gestalte. In diesem – laut meinem Chef – erfolgreichsten Jahr der Lodge ist wirklich viel zu tun. Die Arbeit macht mir aber wirklich Spaß und es ist schön die großen Veränderungen und glücklichen Nachbarn zu sehen, die sich über jede kleine Hilfe freuen.

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Kulturelle Spezialitäten Costa Rica – Pura Vida! Der typisch originale Ausspruch Costa Ricas ist „Pura Vida!“ (Pures Leben!). Dieser ist in Touristenläden auf Bleistifte, Schmuck, Hängematten und T-Shirts gedruckt, die sich der Kurzurlauber kauft und dann sagt, er kenne Costa Rica, wo ja alles so „Pura Vida!“ sei. Da mir der Ausspruch dadurch immer ziemlich missbraucht vorkam, habe ich mich selbst vorerst davon distanziert ihn zu benutzen. Erst jetzt nach 6 Monaten hier, habe ich die Distanz zu dem Wort verloren, da ich nun wirklich weiß, was es für die Ticos bedeutet. „Pura Vida!“ gilt sowohl als Begrüßung, als Gemütsausdruck, als „Bitteschön“, als „Kein Problem!“ und als Ausdruck von Freude und Dank. Es ist quasi das „muy bien“ (sehr gut) für Costa Rica, drückt jedoch zusätzlich noch das Lebensgefühl der Ticos und Nationalstolz aus. Bin ich im Dorf unterwegs, höre ich den Ausdruck an jeder Ecke: - “Guten Tag!” - “Pura Vida!" - “Wie geht’s dir?” - „Pura Vida!“ - „Vielen Dank für das Essen!“ - „Pura Vida!“ Mittlerweile benutze ich diese lebensfrohe Floskel auch selbst sehr gerne.

Spontan und unverbindlich Eine Sache, die mich immer noch häufig herausfordert, ist die Art und Weise wie viele Ticos im Privaten als auch im Geschäftlichen anderen gegenüber handeln. Allgemein geht es oft kurzfristig und unverbindlich zu. Wird einem das Wort gegeben, heißt es noch lange nicht, dass es auch gehalten wird. Dies ist vor allem eine Frage des höflichen Umgangs. Hat man selbst ein Anliegen, möchte der Gegenüber ungern sagen „Nein, das geht nicht!“ und sagt somit lieber „Ja, das geht bestimmt!“, um dem anderen keine direkte Abfuhr zu erteilen. Auch Termine werden häufig nicht verlässlich eingehalten. Dadurch kann es zu Überraschungen kommen, die viel Spontanität fordern und zu unnötigem Stress und Konflikten führen. Für mich ist es teilweise noch schwer damit umzugehen und zu unterscheiden wann ein „Ja“ eigentlich ein „Nein“ bedeutet. Dies gilt natürlich nicht für alle Ticos! Da ich in meiner Arbeit jedoch teilweise mit Musterbeispielen dieser Art in Kontakt komme, bekomme ich die Konsequenzen häufig mit und auch selbst zu spüren. Mein eigenes Wort hat dadurch für mich an Wert gewonnen und ich bin mir bewusster geworden, wenn ich einem Mitmenschen ein Versprechen gebe.

Dank sei Gott! Das Thema Glaube spielt im Alltagsleben in Costa Rica eine große Rolle. Seit der spanischen Kolonisation ist das Land vom römisch-katholischen Glauben geprägt. Durch die lange demokratische Tradition Costa Ricas, ist der Glaube sehr frei und tolerant. Oft höre ich: „Das Wichtigste ist, dass man überhaupt glaubt und nicht welcher Kirche man sich zuzählt.“

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Besonders auf dem Land hat der Glaube an Jesus Christus eine große Bedeutung und wird vor allem in der Sprache oft erkennbar. Eine häufige Antwort auf „Wie geht es dir?“ ist „Gut, dank sei Gott!“. Verabschiedet man sich geschieht dies häufig mit den Worten „Gott beschütze dich“ oder „Gott segne dich“. Im Bus kann ich beim Einsteigen oft beobachten, dass sich Leute vor dem Antritt der Fahrt bekreuzigen. Dazu kommt, dass in fast jedem Bus an der Decke ein Bild von Jesus mit einem Schriftzug wie „Gott erleuchtet deinen Weg“ hängt. An Straßen und Autobahnen sind große Banner aufgestellt, die einem mit den Worten „Jesus Christus ist der Herr! Suche ihn!“ den Weg zu Jesus Christus weisen.

Hier im ländlichen Costa Rica sehe ich wie der Glaube den Menschen sehr viel Hoffnung und Kraft gibt, mit ihren Problemen umzugehen und ich respektiere ihn voll und ganz. In Gesprächen mit Ticos versuche ich das Thema jedoch mittlerweile meist zu umgehen. Da einige Menschen sehr stark überzeugte Gläubiger sind, kann es nämlich sein, dass ich mich ohne Vorwarnung in einem eher unangenehmen, nicht enden wollenden Monolog meines Gegenübers über die eigene Beziehung zu Jesus und dem Glauben wiederfinde.

Und da ihr euch nicht in einem nicht enden wollenden Rundbrief wiederfinden sollt, setze ich hier einen Punkt. Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen und konntet so auch aus der Ferne ein wenig Costa Rica mitbekommen und einen wenn auch zumindest kleinen Eindruck von meinem Leben hier gewinnen.

MUCHAS GRACIAS! Ich kann euch gar nicht genug dafür danken, dass ihr mir diese wertvolle Erfahrung ermöglicht und mich darin so sehr unterstützt! Ich wünsche euch alles Liebe und freue mich schon euch alle Anfang nächsten Jahres wiederzusehen! Dem Rundbrief habe ich eine große Portion Sonnenstrahlen beigefügt, damit der Sommer auch in Deutschland endlich mal in die Puschen kommt! :-) Ganz liebe Grüße nach Deutschland! Euer

Christian

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