Das Groupage-Problem kooperierender Verkehrstrager Prof. Dr. Herbert Kapfer, Universitat Bremen Dipl.-Kfm. Giselher Pankratz, FernUniversitat Hagen Zusammenfassung: Infrastrukturelle Engpasse und verscharfter Wettbewerb im Transportsektor zwingen die Transportunternehmen zur Effizienzsteigerung bei der Erstellung von Verkehrsleistungen. Nicht allein eine Optimierung der individuellen Auftragsdisposition, sondern erst ein unternehmensiibergreifender Abgleich zwischen den verfiigbaren und benotigten Kapazitaten kooperierender Transportunternehmen (Groupage) laBt eine deutliche Auslastungssteigerung der Produktionsfaktoren erwarten. Der Beitrag stellt das Groupage-Problem vor, das darin besteht, die sukzessive und unregelmaBig eintreffenden Transportauftrage moglichst giinstig den freien Kapazitaten der Kooperationsteilnehmer zuzuordnen. Ais einzelwirtschaftlicher Ausgangspunkt wird das speditionelle Dispositionsproblem identifiziert und auf Varianten des Pickup-and-Delivery-Problems (PDP) und des Frachtoptimierungsproblems (FOP) zuriickgefiihrt. Bei Erweiterung dieser isolierten Betrachtung urn die Beriicksichtigung zwischenbetrieblicher Kooperation ergibt sich das Groupage-Problem als offenes, kombiniertes Zuordnungs-, Reihenfolge-, FluB- und Schedulingproblem. Eine Diskussion dezentraler Ansatze zur Losung verwandter Problemstellungen schlieBt den Beitrag abo

1. 'Iransportwirtschaftliche Ausgangssituation Die Transportwirtschaft befindet sich seit einigen Jahren im Umbruch.

1m okonomischen Um-

feld der Giiterverkehrsunternehmen fiihrte insbesondere das Zusammenwirken von Logistik- und Giiterstruktureffekt zu einem Anstieg des gesamten Verkehrsaufkommens und gleichzeitig zu erhohten qualitativen Anforderungen an die Giiterverkehrsleistungen. Aufgrund seiner Systemvorteile im Hinblick auf die neuen Anforderungen ist ein GroBteil des erhohten Aufkommens vom StraBengiiterverkehr zu tragen.

Allerdings hat die Belastung des StraBenverkehrsnetzes mittlerweile die Ka-

pazitatsgrenze der bestehenden Infrastruktur erreicht. Da mit einem Ausbau des Verkehrsnetzes zur Kapazitatserweiterung (Expansionsstrategie) aus okologie- und finanzpolitischen Griinden derzeit nicht zu rechnen ist, erscheint allein eine Besserauslastung der vorhandenen Kapazitaten erfolgversprechend (Intensivierungsstrategie). Der Zwang zu einer solchen Effizienzsteigerung bei der Erstellung von Verkehrsdienstleistungen, insbesondere im StraBengiiterverkehr, wird verstarkt durch die Liberalisierung der Verkehrsmarkte im Zuge der Europaischen Integration, die eine Zunahme der Wettbewerbsintensitat auf den nationalen Verkehrsmarkten zur Foige hat (Deregulierungseffekt). Hier ist insbesondere die Aufhebung der Preisregulierung durch Wegfall der Tarifbindung zum l.l.1994 sowie die Freigabe der Kabotage Mitte 1998 zu nennen.

2. Grundlagen der speditionellen 'Iransportdisposition Zur Losung der auBerbetrieblichen Transportaufgaben, die eine Spedition fiir ihre Verladerkunden wahrnimmt, sind durch den Aufbau geeigneter Transportketten fiir jeden eintreffenden Transportauftrag das giinstigste Transportmittel und der giinstigste TransportprozeB zu bestimmen [8]. Das Problem der Transportkettenplanung wird im folgenden als das speditionelle Dispositionsproblem bezeichnet, wobei sich die vorliegende Darstellung auf eingliedrige, unimodale Transportketten konzentriert, bei denen die gesamte Transportkette ohne Transportmittel-Wechsel abgewickelt wird (ungebrocheP. Kall et al. (eds.), Operations Research Proceedings 1998 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1999

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a) Auflragslage mit vier Transportautmigen

b) Beispiel fOr elne Routenplanung bei DurchfOhrung aller Auflrige im SelbsteinIriH

c) Beispiel fOr eine Sendungsgesteltung bel Fremdvergebe aller Auftrige

Abb. 1: Fahrzeugdisposition bei Selbsteintritt bzw. Fremdvergabe ner Verkehr) und als Transportmittel ausschlieBlich Fahrzeuge des StraBengiiterverkehrs zum Einsatz kommen. Die Ausgangsobjekte des speditionellen Dispositionsproblems sind • die Transportauftriige, die sukzessive und unregelmaBig eintreffen und durch Be- und Entladeort, entsprechende Be- und Entladezeitfenster sowie Art und Kapazitatsbedarf der zu befordernden Giiter charakterisiert sind; • eine Anzahl betriebseigener Fahrzeuge fiir den Selbsteintritt, im wesentlichen gekennzeichnet durch die fahrzeugspezifische Kapazitat (Gewicht und Volumen) sowie eine fahrzeugspezifische Kostenfunktion zur Bestimmung der variablen Selbstkosten; sowie • eine Anzahl selbstandiger Prachtfti.hrer flir die Fremdvergabe, deren spezifische Tariffunktion zur Berechnung der sendungsbezogenen Transportentgeite dient. 1m Rahmen der Transportmittelwahl hat eine Kraftwagen-Spedition zu entscheiden, ob ein Auftrag nach §412 HGB im Selbsteintritt, also mit speditionseigenen Fahrzeugen, oder als fremdvergebener Auftrag durch einen externen Frachtfiihrer nach §425 HGB ausgefiihrt werden soli (Make or Buy). 1m Selbsteintritt durchgefiihrte Auftrage werden den Touren einzelner Fahrzeuge zugeordnet. Fiir jede Tour eines Fahrzeugs ist eine Route (Rundreise) zu bestimmen (TransportprozeB, Abb. Ib). Die Planungssituation im Selbsteintritt laBt sich als erweitertes dynamisches Pick-Up-and-DeliveryProblem mit Zeitfensterrestriktionen (DPDPTW) beschreiben [12]. Fiir jedes eigene Fahrzeug gibt

eine fahrzeugspezifische Kostenfunktion Auskunft iiber die Hohe der variablen Selbstkosten in Abhangigkeit von der zuriickgelegten Strecke und der Einsatzdauer einer Tour. Die Bewertung eines Tourenplans ergibt sich durch die Summe der variablen Selbstkosten aller Touren der eigenen Fahrzeuge. Fremdvergebene Auftrage werden einzelnen Frachtflihrern zugewiesen. Dadurch geht mit der Trans-

portprozeBplanung auch die Kostenverantwortung an den Frachtfiihrer iiber. Entscheidungsrelevant ist aus Sicht der Spedition das an den Frachtflihrer zu zahlende Beforderungsentgelt, die sogenannte Fracht, die sich nach dem frachtfiihrerspezifischen Tarif berechnet. Typisch fiir Transporttarife ist der degressiv ansteigende Verlauf des Frachtbetrags beziiglich der entgeltbestimmenden

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GroBen (z.B. Transportentfernung und Transportgewicht) aufgrund einer Fixkostendegression. Durch eine geschickte Sendungsgestaltung, d.h. durch eine geeignete Aggregation der einzelnen Transportauftrage zu neuen Sendungen, lassen sich unter Ausnutzung der Tarifdegression haufig erhebliche Ersparnisse gegeniiber einer Einzelabrechnung derselben Auftrage erzielen (Abb. Ic). Der tatsachliche Ablauf des physischen Transports ist nicht von der Sendungsgestaltung abhangig. Die zu minimierenden Gesamtkosten einer Sendungsgestaltung ergeben sich aus der Summe der Transportkosten aller Sendungen, aus denen sich die Sendungsgestaltung zusammensetzt. Das Problem der frachtoptimalen Sendungsgestaltung stellt ein FluBproblem dar und unterscheidet sich damit strukturell von der Planungssituation bei Selbsteintritt, in der ein kombiniertes Zuordnungs- und Reihenfolgeproblem zu losen ist. In der Literatur des Operations Research ist dieses Problem als statisches Problem fiir den Ein-Fahrzeug-Fall formuliert worden und wird dort als das Frachtoptimierungsproblem (FOP) bezeichnet [6]. Unter den Gegebenheiten der Groupage bedarf das Fracht-

optimierungsproblem noch einiger Erweiterungen, die sich insbesondere auf die Dynamik der Problemstellung und die Beriicksichtigung mehrerer Fahrzeuge unterschiedlicher Frachtfiihrer beziehen. MuB im Fall einzelner Frachtfiihrer die Durchfiihrbarkeit einer Sendungsgestaltung iiberpriift werden (z.B. auf die Einhaltung von Zeit- und Kapazitatsrestriktionen), wird gleichzeitig eine abschatzende Routenplanung erforderlich, die aber fiir die Kostenermittlung unerheblich ist. Aufgrund ihrer Interdependenz sind die genannten Teilprobleme des speditionellen Dispositionsproblems simultan zu betrachten (Abb. 2). Da zu keinem Zeitpunkt der Planung alle Informationen vorliegen, die zur Ermittlung eines ex-post-Optimums erforderlich waren, spricht man von einer offenen Problemstellung. Die Bewertung eines Zustandes in der Gesamtplanung erfolgt anhand der Summe aus den im Selbsteintritt entstandenen variablen Selbstkosten einerseits und den bei Fremdvergabe zu zahlenden Transportentgeiten andererseits. Unter der Voraussetzung, daB jeder Auftrag auszufiihren ist und die Planung keinen EinfluB auf die Rohe der Transporterlose hat, kann das Ziel der Disposition grundsatzlich darin gesehen werden, diese Kostensumme zu minimieren. Bei einer dynamischen Problemstellung wie der vorliegenden bereitet das Kriterium der Transportkostenminimierung Schwierigkeiten, weil kein abgeschlossener Planungszustand ermittelt und somit auch dessen Kosten nicht angegeben werden konnen [9]. Urn unter diesen Voraussetzungen verschiede Planungsvarianten bewerten zu konnen, eignet sich das Marginalkostenprinzip, dem zufolge ein eintreffender Auftrag dort in den Plan einzufiigen ist, wo er gegeniiber der Situation ohne diesen Auftrag die geringsten zusatzlichen Kosten verursacht. Die Einplanung eines Auftrages nach diesem Kriterium behalt bis zur endgiiltigen Auftragsausfiihrung vorlaufigen Charakter; gegebenenfalls ist sie im Verlauf der Suche mehrfach der geanderten Auftragssituation anzupassen. Die meisten Systeme zur Unterstiitzung der Transportdisposition zielen auf eine verbesserte Tourenplanung ab und beschranken sich somit auf den Fall des Selbsteintritts, ohne die Make-Or-BuyEntscheidung zu beriicksichtigen. Aufgrund des fortgesetzten Trends zum Outsourcing des physischen Transports an Frachtfiihrer-Unternehmen gewinnt die Fremdvergabe jedoch zunehmend an Bedeutung.

Es ist zu erwarten, daB die Entwicklung von Verfahren zur Unterstiitzung bei der

Losung des speditionellen Dispositionsproblems zu einer effizienteren Transportabwicklung in den Speditionsunternehmen fiihren wird.

Allerdings ist das durch eine bloBe Verbesserung des Pla-

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