Caritaswissenschaft im Dienst an der caritativen Diakonie der Kirche

Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg HEINRICH POMPEY Caritaswissenschaft im Dienst an der caritativen Diakonie der Kirche Was is...
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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

HEINRICH POMPEY

Caritaswissenschaft im Dienst an der caritativen Diakonie der Kirche Was ist Caritaswissenschaft?

Originalbeitrag erschienen in: Theologie und Glaube 91 (2001), S. 189-223. – http://www.theol-fakultaet-pb.de/thgl.htm

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Caritaswissenschaft im Dienst an der caritativen Diakonie der Kirche Was ist Caritaswissenschaft? von Heinrich Pompey Kurzinhalt - Summary: Die Caritaswissenschaft erforscht zum einen die Grundlagen caritativer Diakonie, zum anderen bedient sie sich der Methoden der Sozialempirie. Sie fragt: 1. Was bedeutet der Glaube für leidende und suchende Menschen? 2. Was für die helfenden Menschen (Hauptund Ehrenamtliche)? 3. Wie ist die Fachcaritas zu bewerten mit Qualitätsmanagement, Personalentwicklung u. a.? 4. Wie stehen die drei Dienste von Verkündigung, Gottesdienst und Nächstendienst zueinander? 5. Wie läßt sich das caritative Engagement in der Gesellschaft plausibel machen? Es folgt eine Übersicht über die Aufbaustudiengänge Caritaswissenschaft in Freiburg, Paderborn, Passau. Wieweit werden Personen mit diesen Kompetenzen gebraucht? Was sind die derzeitigen Herausforderungen der Caritaswissenschaft? On the one hand the Study of Christian Charity investigates the historical and theological basis of diacony, on the other hand it makes use of the science of practical application and the methods of empirical social research. It asks: 1. What is the meaning of faith for suffering and searching people? 2. For helping people (full-time job or honorary activity)? 3. How can the organized special charity (quality management, staff development etc) be valuated? 4. What kind of relationship does exist among the three services martyria, liturgia and diaconia? 5. How can the plausability of charitable engagement in the society be demonstrated? An overall view of the postgraduate courses in Freiburg, Paderborn and Passau will be given. To what extent people having these competences are needed in church and in charitable institutions?

Wenn es stimmt, was Paulus im Galaterbrief schreibt: „Denn in Christus Jesus kommt es darauf an, … den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist“ (Gal 5,6) 1 , dann ist die Liebe, insbesondere zu leidenden Menschen, zentraler Ausdruck des christlichen Glaubens, der Theorie und Praxis des Glaubens wesentlich kennzeichnet. Das bedeutet, eine Theo-logik bzw. Christo-logik ohne Reflexion und konkrete Beschreibung der Liebe Gottes und der Liebe der Menschen ist eine entkernte Theologie. Die Liebe Gottes und die Liebe der Menschen müssen Kernelemente jeder theologischen Disziplin sein.

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Zum Zusammenhang von Glaube und Liebe vgl. auch 1 Thess 3,6f; 5,8f; 2 Thess 1,3; 1 Tim 2,15; 4,12; 2 Tim 1,13; 3,10 und insbesondere auch Tit 3,15 und 1 Joh 5,1-4.

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Unbestritten ist es sinnvoll, die Diaconia Caritatis Dei im Blick auf leidende und suchende Menschen im Rahmen einer spezifischen Disziplin zu behandeln, wie dies seit 90 Jahren in Paderborn an der Theologischen Fakultät geschieht. Dies ist auch deswegen notwendig, damit es nicht umgekehrt zu einer theologisch entkernten Caritas kommt. 1. Der wissenschaftsgeschichtliche Ausgangspunkt der Caritaswissenschaft Die Caritaswissenschaft als praktische Wissenschaft von der Diaconia Caritatis Dei 2 besitzt wie jede andere theologische Disziplin eine spezifische, historisch bedingte Entstehungsgeschichte. Im Zuge der Aufklärung kam der praktischen Philanthropie und damit dem konkreten sozialen, weltimmanenten Handeln im Rahmen der Theologie-Vermittlung ein größerer Stellenwert zu. Der theologische Fächerkanon wurde im 18. Jahrhundert durch aufgeklärte Fürstbischöfe ergänzt, u.a. durch die Handlungswissenschaften wie Geschichte, die das Handeln der Kirche in der Geschichte untersuchen sollte, die Moraltheologie, die das sittliche Handeln der Menschen zu substituieren hatte und die Pastoraltheologie, die das gegenwärtige Handeln der Kirche erforschen und lehren sollte 3 . Zur letzteren Disziplin gehörte auch die Pastoralmedizin, die sich der psycho-sozialen wie somatisch-materiellen Not der Menschen annahm. Heute werden die pastoralmedizinischen Lehr- und Forschungsinhalte durch die beiden Fachgebiete Pastoralpsychologie und Caritaswissenschaft abgedeckt. Von den 80iger Jahren des 18. Jahrhunderts bis in die 40iger Jahre des 20. Jahrhunderts - also im Zeitraum von 150 Jahren - wurden an vielen Theologischen Fakultäten die beiden Handlungswissenschaften Moraltheologie und Pastoraltheologie durch eine Professur vertreten, so in Würzburg z.B. bis 1950. Aus diesen historischen Fakten erklärt sich, dass in der konkreten Entstehungszeit der Caritaswissenschaft zwischen 1905 und 1930 genau dieser Zusammenhang von Prof. F. Keller, dem ersten Fachvertreter der Caritaswissenschaft in Freiburg, herausgestellt wird: „Die Caritaswissenschaft gehört innerhalb der Theologie zu den Wissenschaften vom menschlichen Handeln, ist also eine praktische Wissenschaft. Da sie das tugendhafte Handeln aus christlicher Nächstenliebe zum Gegenstand hat, wächst sie hervor aus der Moraltheologie, insbesondere aus der christlichen Sozialethik, ja sie ist ein wesentlicher Teil von ihr, insofern die Caritaswissenschaft jene Gemeinschaftsbestrebungen behandelt, die sich aus der Tugend der übernatür-

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Insbesondere im Blick auf die leidenden und suchenden Menschen. Heinrich POMPEY: Die Pastoraltheologie in Würzburg von 1773-1803. In: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter Bd. 37/38. Würzburg: Schöningh, 1975, 355.

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lichen Nächstenliebe, den jeweils herrschenden Notständen gegenüber ergeben.“ 4 Erst in diesem Jahrhundert wurde die systematisch-theologische Orientierung von Moraltheologie und Sozialethik stärker betont, ohne anwendungswissenschaftliche Aspekte auszuklammern. Aber auch bei den Handlungswissenschaften wie Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Caritaswissenschaft optierten seit der Mitte der 80iger Jahre einige Kollegen wie z.B. Josef Müller, Freiburg 5 - inspiriert durch die praktisch-theologischen Optionen Karl Rahners mit seinem sechsbändigen Handbuch der Pastoraltheologie (1964-1972) - für eine klare theologische Grundlegung und Ausrichtung ihrer Disziplin 6 . Begonnen hatte die theologische Ausrichtung der praktischen Theologie bereits mit Johann Michael Sailer, der zum Ende des 18. Jahrhunderts eine biblisch-theologische Orientierung der praktischen Theologie vornahm 7 . Anlässlich der 100-Jahr-Feier der Enzyklika Rerum novarum (1991) wurde auf einer Veranstaltung des Instituts für Caritaswissenschaft und des Deutschen Caritasverbandes die besondere Beziehung zwischen christlicher Soziallehre und christlicher Sozialarbeit ausgiebig diskutiert und im Blick auf verschiedene Handlungsfelder konkretisiert 8 . Der entsprechenden Tagungspublikation von Hinrich Pompey/Norbert Glatzel folgten in den nachfolgenden Jahren eine Reihe weiterer Abhandlungen, so von Konrad Hilpert (1997) 9 , Mario Junglas (1999) 10 , Anton Rauscher (1999) 11 und Reinhard Marx/Helge Wulsdorf (1999) 12 . Ebenfalls wurde das Verhältnis von Caritas und Pastoral neu geprägt 13 . Das Miteinander bzw. Zueinander der Cari-

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Franz KELLER: Caritaswissenschaft. Freiburg: Herder, 1925.- 251S., 51. Josef MÜLLER: Handbuch für Gemeindepastoral. Freiburg, 1990; DERS.: Lebensräume des Glaubens. München: DonBosco-Verlag, 1981.-87 S. Franz Xaver ARNOLD; Karl RAHNER u.a. (Hrsg.): Handbuch der Pastoraltheologie – Praktische Theologie der Kirche in ihrer Gegenwart. 1. – 6. Bd. Freiburg: Herder, 1964ff. Johann Michael SAILER: Vorlesungen aus der Pastoraltheologie. kGEs. Schriften. bD VI-VIII, München 11789, 21794, 31812, 41820. Norbert GLATZEL.; Heinrich POMPEY (Hrsg.): Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit? Zum Spannungsfeld von christlicher Sozialarbeit und christlicher Soziallehre. Freiburg: Lambertus, 1991.-132 S. Konrad HILPERT: Caritas und Sozialethik. Elemente einer theologischen Ethik des Helfens. Paderborn: Schöningh, 1997.-251 S. Mario JUNGLAS: Caritas: Lebensäußerung der Kirche. In: Hans-Jochen JASCHKE (Hrsg.): Christen vor der Zukunft. Köln: Bachem, 1998.-125 S., 97-114; DERS.: Neue Ansätze zur Begründung kirchlicher Caritas. Zum Verhältnis von Diakonie und Christlicher Sozialwissenschaft. In: Anton RAUSCHER (Hrsg.): Christliche Soziallehre heute: Probleme, Aufgaben, und Perspektiven. Köln: Bachem, 1999.-199 S., 149-176. Anton RAUSCHER: Zum Verhältnis von katholischer Soziallehre und Caritas.- Kirche und Gesellschaft Nr. 262, Köln: Bachem, 1999.-16 S. Reinhard MARX; Helge WULSDORF: Kirchliche Soziallehre und Caritas – Eine Verhältnisbestimmung zweier kirchlicher Arbeitsfelder. In: Die Neue Ordnung 53 (1999), 324-343. Heinrich POMPEY: Die Soziale Pastoral der Dritten Welt als Herausforderung für das diakonisch-caritative Engagement einer Gemeinde. In: Günter BIEMER u.a. (Hrsg.): Gemeinsam Kirche sein. Erzbischof Dr. Oskar SAIER (Festschrift für). Freiburg: Herder, 1992.-443 S., 410-443.

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taswissenschaft zu den anderen theologischen Fächern wurde nicht direkt diskutiert, wohl kam es zu Forschungskooperationen mit den biblischen, den historischen und systematischen Disziplinen hinsichtlich der theologischen und historischen Grundlagen der Caritas. 2.

Das

vorgegebene

und

aktuelle

Forschungs-

und

Ausbildungsfeld

der

Caritaswissenschaft 2.1 Die Caritaswissenschaft betreibt eigenständig die wissenschaftliche Erforschung der Grundlagen der Caritas und Diakonie der Kirchen, und zwar die Erforschung der Geschichte der caritas-diakonischen Praxis der Kirchen wie des einzelnen Christen, der biblischen und theologischen Grundlagen von Caritas und Diakonie, insbesondere zum Proprium von Caritas und Diakonie im Blick auf bzw. im Vergleich zur allgemeinen Philanthropie aller Humanisten. Bei der Erarbeitung dieser Grundlagen ihrer Disziplin kooperiert sie mit den historischen, den biblischen und systematischen Disziplinen der Theologie. 2.2 Als Handlungs- und Anwendungswissenschaft fragt die Caritaswissenschaft nach der konkreten „Wirk“-lichkeit von christlicher Caritas/Diakonie und bedient sich dabei der Methoden

der

Erfahrungswissenschaften,

also

qualitativer

wie

quantitativer

Forschungsinstrumente der Psychologie und Sozialwissenschaften. Vereinfacht gesagt untersucht sie fünf Fragekomplexe: a) „Was nützt einem leidenden und suchenden Menschen in seiner Not der Glaube, bzw., dass er Christ ist“? b) „Was nützt einem helfenden Menschen in seinem caritativ-sozialen Engagement der Glaube, bzw., dass er Christ ist“? Bei diesen beiden Forschungsaspekten geht es um die praktischen Fragen: „Erweist sich der Glaube als Lebensquelle für notleidende, kranke, konfliktbeladene und suchende Menschen, und liefert er lebensförderliche Lebens-Wertoptionen bzw. Lebens-Sinnperspektiven? Biblisch gesprochen heißt das: Worin besteht die reale Kraft und die konkrete Weisheit unseres Glaubens, so wie sie gemäß dem Bericht der Apostelgeschichte (Apg 6,3-6) von den ersten Diakonen erwartet wurde. Konkret und spezifiziert geht es um die Bedeutsamkeit der Kraft und Weisheit bei den verschiedenen Werken der geistigen und leiblichen Barmherzigkeit 14 , wie sie bis auf den heutigen Tag in den

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Heinrich POMPEY: Barmherzigkeit - Leitwort christlicher Diakonie. In: Die neue Ordnung 51. (1997), 244 - 258.

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unterschiedlichen Handlungsfeldern von Caritas und Diakonie gelebt werden (Kranken- und Altenhilfe, Familien- und Jugendhilfe, Behinderten- und Gefährdetenhilfe, Auslands- und Eingliederungshilfe sowie sonstige soziale Hilfen). c) Die Caritaswissenschaft forscht nach den christlichen Konsequenzen für die organisierte Fachcaritas

und

Diakonie.

So

fragt

sie:

Worin

besteht

die

spezifische

Unternehmensphilosophie einer Einrichtung oder eines Dienstes der Caritas? Was sind die zentralen Optionen eines Leitbildes der Caritas? Was macht eine christlich geprägte Dienstgemeinschaft aus? Wie lässt sich das Bewusstsein für eine christlich-caritative Unternehmenskultur sensibilisieren? Welche Folgen hat das christliche Leitbild für ein wertorientiertes Qualitätsmanagement? Lassen sich die christlich-humanen Optionen evaluieren? Welche sozial-politischen Optionen haben caritative Dienste und Einrichtungen bei ihren politischen Ansprechpartnern anzumahnen? Wie kann die verbandliche Caritas Anwalt für die Ärmsten in den Lebensräumen der Menschen sein? d) Die Caritaswissenschaft fragt nach der Wechselbeziehung der drei Grunddienste (Verkündigung, Gottesdienst und Nächstendienst) der Kirche bzw. einer Gemeinde und erforscht, wie sich die diakonische Grundfunktion in einer Gemeinde rekultivieren lässt 15 , welche Dienstleistungen das Bistum oder eine Gemeinde für die verbandlich organisierte Fachcaritas wie für private caritative Initiativen zu erbringen hat, damit caritative Diakonie möglich wird. Kann die Grundfunktion caritativer Dienste der Kirche theologisch entkernt geschehen? Warum beschäftigt die katholische Kirche in Deutschland 460 000 Personen gegen Bezahlung in ihren caritativen Einrichtungen und Diensten und nur 125 000 in der Pastoral, im Bildungssektor bzw. in der Verwaltung? Besitzt der Glaube für die in der Verbandscaritas tätigen kirchlichen MitarbeiterInnen keine praxisleitende Bedeutung? Wenn doch, welche Glaubensinhalte sind dies, und wie werden die Glaubensinhalte andragogisch vermittelt? Kann die Kirche verantworten, dass sich das caritativ-diakonische Handlungsfeld theologiefrei entfaltet? Für Kirche und ihre Gemeinden gilt der zuvor genannte programmatische Satz des Paulus: „Denn in Jesus Christus kommt es darauf an, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist (Gal 5,6). Echte Jüngerschaft Jesu wird an den Werken der Liebe sichtbar, wie es der Evangelist Johannes hervorhebt: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35). Wie soll dies heute geschehen? Ist dieses Erken-

15

Peter ABEL: Diakonisches Handeln und ökosoziales Denken. Würzburg, 1995; E. JÜNNEMANN: Gemeinde und Weltverantwortung. Eine historisch-systematische Studie zur Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch die christliche Gemeinde. Würzburg, 1992.

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nungszeichen der Jünger Jesu heute nicht auch ökumenisch lebbar, z.B. seit der Augsburger Erklärung? Unbestritten ist das caritativ-diakonische Engagement der Gemeinden, gemeindlicher Basisgruppen, der Kirche insgesamt durch Experten kritisch-konstruktiv zu begleiten. e) Aber nicht nur Christen oder Vertreter der Amtskirche, sondern vor allem die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen stellen Fragen an das caritative Engagement der Kirchen. Was ist der Grund, warum Christen ihren Mitmenschen sozial-caritativ helfen 16 ? Unterscheiden sich Ursprung, Grundlagen und Ausübung caritativen Helfens von sozial-psychischem Helfen anderer Mitbürger und anderer gesellschaftlicher Gruppen 17 ? Menschen unserer Zeit fragen nach den tieferen Absichten des caritativ-diakonischen Engagements der Kirchen. Was bewegt Christen, was bewegt christliche Gemeinschaften sich sozial-helfend so stark zu engagieren? Warum ist den Kirchen ein sozial-caritatives Engagement in unserer Gesellschaft und in der Welt so wichtig? In Deutschland gehört ein Drittel der Bevölkerung zu keiner christlichen Kirche. Diese Gruppe wie aber auch andere, kirchlich nicht gebundene Gruppierungen fragen nach den politischen Absichten der Kirche; denn das „Sozialimperium“ der Kirche löst bei den genannten gesellschaftlichen Gruppierungen wie bei Anhängern von manchen Parteien Befürchtungen aus 18 und lässt distanzierte Gruppierungen immer wieder nach der Abschaffung der staatlichen Unterstützung der Kirchen, insbesondere der von staatlichen Einrichtungen eingezogenen Kirchensteuern rufen 19 wie jüngst die Jungliberalen. Diese Gruppen fragen, ob sozial-helfendes Engagement unbedingt eng mit den Kirchen und dem Christentum verbunden sein muss und warum der Staat den Christen das Recht der sozialen Betätigung einräumt, bzw. warum dieses sozial-caritative Engagement eine besondere staatliche Förderung erhält. Dass der Staat nicht so sehr theologische Reden, sondern christlich motivierte Taten fürchtet, zeigt sich daran, dass die Nationalsozialisten 1938 nicht die Theologische Fakultät mit ihren einzelnen Fachdisziplinen, wohl aber das Institut für Caritaswissenschaft an der Theologischen Fakultät in Freiburg auflösten.

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17

18

19

Heinrich POMPEY: Der leidende Mensch und die Solidarität der Menschen. In: DERS. (Hrsg.): Caritas - Das menschliche Gesicht des Glaubens: Ökumenische und internationale Anstöße einer Diakonietheologie. Würzburg: Echter, 1997.-399 S., 1961. Heinrich POMPEY: (Hrsg.): Caritas - Das menschliche Gesicht des Glaubens: Ökumenische und internationale Anstöße einer Diakonietheologie. Würzburg: Echter, 1997.-399 S. Heinrich POMPEY: Der leidende Mensch und die Solidarität der Menschen. In: DERS. (Hrsg.): Caritas - Das menschliche Gesicht des Glaubens: Ökumenische und internationale Anstöße einer Diakonietheologie. Würzburg: Echter, 1997.-399 S., 1961. Da es in Österreich und in der Schweiz wie in den anderen Ländern der Welt den staatlichen Einzug von Kirchensteuern nicht gibt, kommt es dort nicht zu diesen heftigen Forderungen gesellschaftlicher Gruppen.

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Diese forschungsleitenden Aspekte bzw. ausbildungsrelevanten Fragestellungen lassen sich noch weiter differenzieren, um das Aufgabenspektrum der Caritaswissenschaft besser zu verstehen. Nicht nur das, was getan wird, also z.B. medizinisches Heilen, psychologisches Beraten, soziale Notlagenhilfe etc., ist handlungsbestimmend, sondern auch die Frage: Wie dieses soziale Handeln, Heilen und Helfen geschieht, ist von Bedeutung. Denn gemäß den Axiomen der Kommunikation und Interaktion von Paul Watzlawick 20 ist nicht nur der Inhaltsaspekt, sondern ebenso der Beziehungsaspekt des kommunikativen und interagierenden Handelns für die Wirkung eines Gesprächs oder Handlung entscheidend. Dabei wird der Inhaltsaspekt durch den Beziehungsaspekt mitbestimmt. Theologen sind diese Aspekte bekannt durch die Unterscheidung von fides quae creditur und fides qua creditur im Blick auf die Glaubensexistenz des Menschen. Ebenso ist das Fragen nach dem Warum, nach den Gründen und Ursprünge des Handelns sowie die Frage nach dem Wozu, nach der Zielperspektive, von großer Wichtigkeit für die Qualität der helfenden Handlung, insbesondere wenn caritatives Handeln - im Sinne der Praxis Jesu - Zeugnis geben soll von der heilvollen Beziehung Gottes zu den leidenden Menschen. Diese Fragen berühren zentral die Kerncharakteristika christlicher Sozialarbeit, christlicher Pflege und christlicher Therapie. Caritaswissenschaft hat dieses Proprium caritativen Handelns in unserer Gesellschaft zu begründen und zu operationalisieren sowie plausibel der Gesellschaft gegenüber zu vertreten. Außerdem ist die Beantwortung dieser W-Fragen und die richtige Vermittlung dieser Antworten entscheidend für caritative Handlungsmotivation. Die in diesem Kapitel angesprochenen fünf Forschungs- und Ausbildungsaspekte machen deutlich, dass die Caritaswissenschaft aus humaner Sicht eine Wissenschaft des Teilens und Schenkens ist, d.h. des konkreten Teils des Lebens, der Leiden, der Liebe, der Hoffnung, des Glaubens wie aber auch der materiellen, sozialen und geistigen Güter. 3. Dringlichkeit und Vielfalt caritaswissenschaftlicher Forschung Die „Halbwertzeit“ des Wissens ist für die einzelnen Fächer der Universitas litterarum sehr unterschiedlich. Philosophisches Wissen hat eine mehr als tausendjährige Konsistenz, technisch-naturwissenschaftliches Wissen hat eine Halbwertzeit von 1 bis 5 Jahren, soziales Wissen hat unterschiedliche Halbwertzeiten, insbesondere bezüglich bestimmter sozialer und medizinischer Fähigkeiten, z.B. zur Pflegepraxis, zu Therapiemethoden, zur pädagogischen Kompetenz etc.; deren Halbwertzeit zwischen 5 und 10 Jahren liegt.

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Paul WATZLAWICK: Menschliche Kommunikation - Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Huber, 31972.

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Die zu diesen Aufgaben erforderliche Beziehungskompetenz basiert auf einem Wissen mit einer Halbwertzeit von 50 bis zu 500 Jahren 21 . Der Bereich der sozialen, psychologischen, pflegerischen und medizinischen Handlungskenntnisse ist dem „Was-getan-wird“ zugeordnet. Der andere Bereich, die Beziehungskompetenz, ist dem „Wie“ des Heilens und Helfens zuzuordnen. Die Diskrepanz zwischen den beiden Halbwertzeiten macht eine ständige Adaptation des grundlegenden Beziehungswissens an das Fähigkeitswissen (Fachkenntnisse) erforderlich. Darum ist es nötig, dass Wissenschaften der Lebensgrundsicherung mit einer relativ hohen Wissenshalbwertzeit über eine breitere Forschungs- und Ausbildungschance verfügen müssen als Wissenschaften mit einer geringeren Wissenshalbwertszeit 22 . Der Sachverhalt der kleinen Halbwertzeiten des sozialen Wissens und Könnens sowie die marktbedingten Veränderungsgeschwindigkeiten 23 machen deutlich, wie sehr einer qualifizierten fachspezifischen Forschung zur sozialen Fachkompetenz, zum Einrichtungsmanagement und zur Personalentwicklung in caritativen Diensten und Einrichtungen und in Verbindung damit dem lebenslangen Lernen ein großer Stellenwert zukommt, die berufsbegleitend zu organisieren sind. Diese Notwendigkeit verstärkt sich, bedenkt man, dass ein quantitativer wie qualitativer Unterschied besteht zwischen technisch-naturwissenschaftlich geprägter Arbeit, die der Produktion von Gütern dient, im Vergleich zur sozialen Arbeit, die der „Produktion“ von helfenden Beziehungen dient. Grundlagenforschungen der Medizin, der Psychologie, der Sozialwissenschaften, der Pflegewissenschaften lassen sich möglicherweise gemäß den Arbeitsund Produktionsstrukturen von Gütern vornehmen, die soziale individuelle Praxis des Helfens dagegen nicht. Eine spezifische handlungsfeldbezogene Forschung ist auch deswegen erforderlich, da die propagierten, flexibleren Modifikationen der Arbeitswelt für caritative Dienste und Einrichtungen nicht ohne weiteres zu übernehmen sind: Es ist nicht möglich, totale Gleitzeit für Pflegeheime, für Kliniken etc. einzuführen. Es ist ebenfalls nicht möglich, diese Arbeiten über Call-Center zu erbringen. Man muss nicht nur verfügbar, sondern auch präsent sein

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In Prozessen der Kommunikation und Interaktion sind der Inhaltsaspekt und der Beziehungsaspekt zu unterscheiden (vgl. Paul Watzlawick, s. Anm. 20), das gilt insbesondere für soziales Handeln, wobei in der je einzelnen Handlung beide Aspekte eine Wirkeinheit darstellen. Verstärkt wird die kontinuierliche Fortbildung außerdem durch die gegenwärtigen ökonomischen Zwänge. Es gibt für den größten Teil der Berufe heute keine Arbeitsplatzsicherung mehr, höchstens eine Beschäftigungssicherheit. Außerdem ändert sich der Markt, auch der Sozialmarkt, von der Angebots- wie von der Nachfrageseite her zunehmend schneller. Die darauf reagierenden Prozesse in Unternehmen, z.B. das Management, verlaufen dagegen langsamer. Die personellen und politischen Instrumente benötigen eine noch längere Anpassungsphase, d.h. die sozialpolitischen Rahmenbedingungen des Gesundheits- wie des Sozialwesens entstehen zu langsam. Auch die fachliche wie kommunikative Förderung der Mitarbeiter ist zu schwerfällig. Wir haben es mit unterschiedlichen Veränderungsgeschwindigkeiten zu tun.

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bei sozialen und pflegerischen Dienstleistungen. Auch die zur Motivierung der Mitarbeiter in anderen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben empfohlene Beteiligung am sogenannten Betriebserfolg ist kaum möglich. Auch wird es schwer sein, soziale und medizinische Arbeit als Projektarbeit zu verstehen. Die reinen Verwaltungsarbeiten einer Einrichtung oder eines Dienstes könnten gemäß den Arbeits- und Produktionsstrukturen der Güteranfertigung dagegen angeglichen werden. 4.

Ausbildungs-

und

Forschungsschwerpunkte

der

Aufbaustudiengänge

Caritaswissenschaft an den Hochschulen in Deutschland In den Satzungen der caritaswissenschaftlichen Abteilungen lesen sich die entsprechenden Ausbildungs- und Forschungsoptionen wie folgt: 4.1 Freiburg Zulassungs- und Prüfungsordnung – Studienplan für den Diplomaufbaustudiengang Caritaswissenschaft der Universität Freiburg § 1Ziel des Aufbaustudiengangs, Diplomgrad (1) Der Aufbaustudiengang „Caritaswissenschaft“ macht mit der Theologie, der Geschichte und dem Selbstverständnis der Caritas der Kirche sowie mit den Methoden und Praxisfeldern gemeindlicher und verbandlicher Caritas vertraut. Insbesondere hat der Aufbaustudiengang folgende Ausbildungsziele: 1. Den Absolvierenden soll eine psycho-sozial helfende und theologisch fundierte Kompetenz zur Begleitung von einzelnen Leidenden wie Suchenden bzw. von Klientengruppen sowie zur Aktivierung sozialer Felder vermittelt werden. Sie sollen insbesondere das im christlichen Glauben gründende Spezifikum des Helfens und Heilens kennen lernen und so befähigt werden, im Bereich gemeindlicher oder institutioneller Caritas Leidenden und Suchenden die Lebensressourcen des Glaubens zu erschließen. 2. Die Studierenden im Aufbaustudium sollen Methoden kritisch-konstruktiver Vermittlung theologischer Hintergründe christlichen Helfens und Heilens kennen lernen, um Mitwirkende des caritativen Dienstes fachlich und spirituell unterstützen zu können. Sie sollen in der Lage sein, Psychologen, Sozialarbeiter, Ärzte, Pfleger, Schwestern und anderen in den gemeindlichen und kirchlichen Einrichtungen der Caritas Tätige über theologische wie kirchliche Aspekte ihrer Arbeit zu informieren, gemeinsam mit den Mitarbeitenden deren caritative Praxis theologisch-kritisch zu hinterfragen und die Mitarbeitenden in ihrem sozialen Engagement glaubensmäßig zu unterstützen.

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3. Die Absolvierenden sollen Caritaswissenschaft kennen- und zu betreiben lernen als eine theologische Disziplin, die das Sozialengagement der Kirche und einzelner Christen kritisch begeleitet. Dieser konstruktiv-kritische Dienst gründet in der humanwissenschaftlichen wie theologischen Reflexion christlicher Sozialarbeit und versucht, Impulse für eine verantwortete Modifikation dieser Praxis wissenschaftlich qualifiziert zu formulieren. 4.2. Passau Studien- und Prüfungsordnung für das Ergänzungsstudium Caritaswissenschaft und Angewandte Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau § 3Ziele des Ergänzungsstudiums (1) Das Ergänzungsstudium „Caritaswissenschaft und Angewandte Theologie“ hat zum Ziel, in interkonfessioneller Ausrichtung mit der Theologie, der Geschichte und dem Selbstverständnis christlicher Diakonie sowie mit den Methoden und den Praxisfeldern gemeindlicher und verbandlicher Caritas vertraut zu machen. (2) Insbesondere sollen die Studierenden: 1. eine praktische Kompetenz erlangen, um Notleidenden und Suchenden in ihrem Lebensfeld helfend beistehen zu können; 2. eine diakonisch-anwaltschaftliches Kompetenz erlangen, um im sozialpolitischen Diskurs für Gerechtigkeit gegenüber Armen, Benachteiligten und Ausgegrenzten eintreten zu können; 3. eine theologisch-mystagogische Kompetenz erlangen, um diakonisches Handeln in Caritas und Gemeinde spirituell unterstützen zu können; 4. eine gemeindliche Beratungskompetenz erlangen, um caritative Organisationen und Institutionen auf ihrem Entwicklungsweg voranzubringen; 5. eine partizipative Leitungskompetenz erlangen, um Mitarbeiter/innen in diakonischen und gemeindlichen Einrichtungen in ihrer fachlichen, persönlichen und religiösen Weiterentwicklung fördern zu können. 4.3.Paderborn Programm des Diplomaufbaustudienganges Caritaswissenschaft der Theologischen Fakultät Paderborn Ausbildungsziele Der Aufbaustudiengang Caritaswissenschaft macht mit der Theologie, der Geschichte und dem Selbstverständnis der Caritas der Kirche sowie mit

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den Methoden und Praxisfeldern gemeindlicher und verbandlicher Caritas vertraut. Er intendiert die Vermittlung von: 1. theologischer und psychosozialer Grundkompetenz zur Begleitung leidender und suchender Menschen; 2. Fachkompetenz zur Unterstützung Haupt- und Ehrenamtlicher im caritativen Dienst sowie zur spirituellen Stärkung ihres Engagements; 3. Leitungskompetenz zu verantwortlicher Personalführung, Organisationsentwicklung, Ressourcenförderung und Identitätsbildung; 4. wissenschaftlicher Kompetenz zur Erforschung und Evaluation sozialer Interventionen und zur Beteiligung am sozialpolitischen Diskurs. Das Aufbaustudium hat an allen drei Forschungs- und Ausbildungsstätten bis heute das Ziel, Absolventen aller Fachrichtungen (Jura, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Medizin, Psychologie, Soziologie, Sozialpädagogik/Sozialarbeit etc.) Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Caritaswissenschaft zu vermitteln, um sie so für eine verantwortliche Mitarbeit in der verbandlichen und gemeindlichen Caritas, in sozial engagierten Gemeinschaften, in ökumenisch-diakonischen Diensten, in öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen u.a. theologisch wie humanwissenschaftlich zu qualifizieren. Die in einem akademischen Grundstudium erworbenen Kompetenzen werden durch das Aufbaustudium Caritaswissenschaft ergänzt, um z.B. die christlichen Aspekte der Corporate Identity, des konkreten Helfens und Heilens, u.s.w. für das Management (Organisationsabläufe und Unternehmenskultur) kennen zu lernen. 1993 wurde das Aufbaustudium staatlich anerkannt. Seitdem verleiht die Theologische Fakultät Freiburg nach erfolgreichem Abschluss des Aufbaustudiums den akademischen Grad des/der Diplom-CaritaswissenschaftlersIn

(Dipl.-Caritaswiss.).

Theologen

ermöglicht

die

1998

überarbeitete Prüfungsordnung ferner ein ergänzendes, freiwilliges Schwerpunktstudium, z.B. in einem Fach der Volkswirtschaft, der Jurisprudenz, der Rechtswissenschaft bzw. der Philosophischen Fakultäten. Nicht-Theologen ist ein Zusatzstudium in Theologie möglich. Ca. 50% der Studierenden sind seit der Gründungszeit des Instituts für Caritaswissenschaft in Freiburg Nicht-Theologen. Seit ca. 5 Jahren kommen zunehmend StudentInnen aus dem Ausland (z.B. aus Finnland, Litauen, Polen, Georgien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Kroatien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Korea, Taiwan, Indonesien, Uganda, Tansania u.a.) zum Studium der Caritaswissenschaft nach Freiburg. Forschung und Lehre werden in Freiburg mitgetragen von Fachvertretern der Volkswirtschaftlichen Fakultät, der Philosophischen Fakultät und der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg, ähnlich ist es an den beiden anderen Ausbildungsstätten. Caritaswissenschaft nimmt - wie die Ziele bereits andeuteten - eine kritische Funktion wahr, nicht nur im Sinne einer horizontal reduzierten Gesell-

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schafts- und Institutionskritik, sondern im Sinne einer theologisch, vertikal orientierten, kritischkonstruktiven Begleitung der kirchlichen Beratungs-, Verbands-, Gemeinde-, Fachverbands- und Ordens-Diakonie zum Wohl suchender und leidender Menschen. Caritaswissenschaftliche Forschung und ihr kritischer Anspruch kann theologisch qualifiziert nur gelingen, wenn sie fachlich mit allen theologischen Grundlagendisziplinen kooperiert. Die theologisch verortete Caritaswissenschaft setzt darum eine kompetente Vernetzung voraus: -

mit

den

systematisch-theologischen

Disziplinen:

Philosophie

(Caritasphilosophie),

Fundamentaltheologie (Kompatibilität und Strukturanalogik der Wissenschaftserkenntnisse, Religionsphilosophie und -geschichte, z.B. i. Blick auf eine multikulturelle Gesellschaft etc.), Dogmatik (Soteriologie, Ekklesiologie), Moral (medizinische Ethik, Eheethik, Tugendethik etc), Christliche Gesellschaftslehre (Sozialethik, Sozialpolitik, sozialstaatliche Optionen, Kirche und Wirtschaftsgesellschaft, Familienethik, Staatsethik, Entwicklungshilfe etc); - mit der historischen Theologie: Kirchengeschichte (Diakoniegeschichte der Kirche und der Gemeinden) und der Exegese (alt- wie neutestamentliche Grundlagen der Caritas und Diakonie) 24 . Es gilt, fächerübergreifend die zentralen caritastheologische Optionen zu reflektieren, wie soteriologisch-pneumatologische Inhalte, ekklesiologische wie pastorale Inhalte (Gemeinde als sozial-diakonische Kirche vor Ort), individual und sozial-ethische Inhalte anwendungsbezogen zu operationalisieren. In Forschung und Lehre greift die Caritaswissenschaft zurück auf wissenschaftliche Daten der biblischen, historischen und systematischen Theologie wie auf Erkenntnisse der verschiedenen Humanwissenschaften (Medizin, Psychologie, Soziologie, Sozialpädagogik u.a.) als Grundlagendisziplin. Ihre struktur-analogen Forschungen 25 geschehen im Grenzbereich zwischen empirischen Human- bzw. Sozialwissenschaften und Theologie (Beziehungstheologie). Da die Caritaswissenschaft heute nicht mehr primär eine historische oder theologischhermeneutische Disziplin ist, muss sie als Handlungswissenschaft die „Wirk“-lichkeiten von Leid, Not, Konflikt u.a. sowie des Helfens, Befreiens, Heilens durch einzelne oder kirchliche Gemeinschaften empirisch untersuchen und dann im Licht des Glaubens gewichten, um entsprechende Handlungsperspektiven zu entwickeln.

24

25

Vgl. z.B. Daniel HÖRNEMANN: Die Figur des Mose als Typus eines Helfers und Begleiters. Das Exodusbuch als Ermutigung für pastorales und diakonisches Handeln. Würzburg: Echter, 1995.-622 S.; Stefan DYBOWSKI: Barmherzigkeit im Neuen Testament – Ein Grundmotiv caritativen Handelns. Freiburg: Hochschul-Verlag, 1992.-246 S. Vgl. Heinrich POMPEY: Beziehungstheologie – Das Zueinander theologischer und psychologischer „Wirk“lichkeiten und die biblisch-theologische Kontextualisierung von Lebens- und Leidenserfahrung. In: DERS. (Hrsg.): Caritas – Das menschliche Gesicht des Glaubens: Ökumenische und internationale Anstöße einer Diakonietheologie. Würzburg: Echter, 1997.-399 S., 92128.

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Die

Caritaswissenschaft

kann

ihrerseits

Animatorin

201 für

caritasrelevante

Forschungsarbeiten anderer theologischer Disziplinen sein (z.B. bei Diplom- und Doktorarbeiten der systematischen, biblischen, historischen und praktischen Theologie). Caritaswissenschaft ist somit auch Ferment caritativ-diakonischer Fragestellungen im theologischen und sonstigen Fächerkanon einer Universität. Ausbildungs- und Forschungsziel der Caritaswissenschaft ist es, dazu beizutragen, dass „die Menschen das Leben haben und es in Fülle (Ganzheit) haben“ (Joh 10,10), trotz Leid, Not, Krankheit und Armut 26 . Caritaswissenschaft geht es christologisch um Lebensdiakonie für suchende und leidende Menschen. Caritaswissenschaft stellt somit nicht eine reduzierte Zusammenfassung der Lehre, Forschung und Praxiseinführung der Fachhochschulen für Sozialpädagogik/Sozialarbeit und Pflegewissenschaft dar, sondern versteht sich als eine spezifisch theologische, jedoch handlungsorientierte Fachkenntnisse.

Disziplin Die

unter

Berücksichtigung

erforderliche

spezifischer

horizontale,

caritasrelevanter

sozialwissenschaftliche,

wirtschaftswissenschaftliche, medizinische, psychologische etc. Praxis- und Institutionskritik bzw. Grundlagenforschung ist und bleibt legitime Aufgabe der Fachhochschulen für Sozialpädagogik

wie

(Krankenhausmanagement,

ebenso

der

universitären

Entwicklungsdienste,

Fächer

Verbändekritik

Volkswirtschaftslehre etc.),

Psychologie

(Organisationspsychologie, Rehabilitationspsychologie, Entwicklungspsychologie) oder Medizin (Gerontologie, Sozialmedizin, Medizingeschichte usw.). 5. Werden Personen mit diesen Kompetenzen in der Kirche und in den kirchlichen Caritaseinrichtungen und -diensten gebraucht? Am besten beantwortet sich diese Frage, wenn man sie umkehrt: 5.1 Kann die Kirche auf das Ferment ihres Glaubens und ihrer Liebe in ihrem Engagement für die Gesundheits- und Wohlfahrtspflege verzichten? Welche Folgen hätte der Verzicht auf das Glaubensferment in der christlichen Sozialarbeit für die Kirche und für die Menschen eines Lebensraumes? Kann das Spezifikum der Humanitas Christiana in einer Gesellschaft für leidende und suchende Menschen schadlos außer Acht gelassen werden? Wenn sich als Antwort auf diese Fragen tatsächlich herausstellt, dass die Kirche dem allgemeinen und dem individuellen Wohl der Menschen – insbeson26

Heinrich POMPEY: Der Stellenwert der Diakonie für die heutige Planung der Seelsorge. In: Sein und Sendung (1973), 250259; DERS.: Die „Soziale Pastoral“ der Dritten Welt als Herausforderung für das diakonisch-caritative Engagement einer Gemeinde. In: Günter BIEMER u.a. (Hrsg.): Gemeinsam Kirche sein. Freiburg: Herder, 1992.-443 S., 410-441.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

202

dere in den Leidenssituationen der Menschen - nichts hinzufügen kann, dann sollte sie, dem „Kaiser geben, was dem Kaiser gehört“ (Mt 22,21 par), d.h. die sozial-caritative Wohlfahrt anderen gesellschaftlichen Gruppen unserer Zivilgesellschaft überlassen. 5.2 Können Verkündigung und Liturgie christo-logisch auf eine Ergänzung durch die Diakonie verzichten? Wenn nicht, wie hat der Wirkzusammenhang auszusehen? Könnten möglicherweise die caritativ-diakonischen Taten der Kirche und ihrer Mitglieder Zeichen des angebrochenen Reiches Gottes sein, so wie Jesus sein Heilen und Helfen verstanden hat? Wird die Kirche nicht auch durch caritative Diakonie als „Zeichen und Werkzeug“ 27 des Heils für die Menschen erfahrbar? Ist sozial-caritative Diakonie nicht not-wendig, damit die Menschen das Leben haben und es erfüllt haben trotz Leid und Not? Lässt sich Lebensdiakonie Jesu allein durch Liturgie und Verkündigung realisieren? Kann die Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes den Notleidenden, Kranken und Verzweifelten glaubhaft kundgetan werden, wenn sie nicht gleichzeitig im caritativ-diakonischen Handeln gelebt wird? Lässt sich diese caritative Diakonie ohne entsprechend qualifizierte Personen erbringen? Viele Fragen dieser Art ließen sich stellen. Die Antworten darauf dürften jene Frage, ob Personen mit einer entsprechenden geistlichen und praktischen Kompetenz in der Caritas der Kirche notwendig gebraucht werden, beantworten. Die Ausbildung solcher Personen für konkretes Helfen und Heilen, für Management, für die spirituelle Personalentwicklung setzt die Formulierung

glaubensbezogener

Caritasaspekte

wie

die

Entwicklung

konkreter

Vermittlungsweisen zwingend voraus 28 . Um eine qualifizierte sozialdiakonische Praxis ausüben zu können, ist eine humanwissenschaftlich fundierte Kompetenz erforderlich, so für das körperliche Heilen eine medizinische oder pflegerische Ausbildung, für die psychische Therapie und Beratung die Ausbildung als Psychologe, für die lebensweltbezogene sozial-materielle Hilfe die Ausbildung zum Sozialarbeiter und Sozialpädagogen u.ä.. Ein Handeln aus dem Glauben sowie aus der christlichen Caritas - durchaus verstanden als Auswirkung der Caritas Gottes und seiner Charis, d.h. Gnade - setzt natürliche Bedingungen, d.h. in diesem Fall humanes Fachwissen, voraus. Diese soziale, pflegerische, psychische, medizinische Fachlichkeit wird durch Studiengänge bei den

Fachhochschulen

und

Universitäten

vermittelt.

Angemerkt

sei

noch:

Eine

fachwissenschaftlich qualifizierte Praxis steht nie im Widerspruch zur caritativen Praxis, die aus dem Glauben kommt. Im Sinne des I. Vatikanischen Konzils darf davon ausgegangen wer-

27 28

Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche, Nr. 1. Keine Frage ist dagegen, dass sozial-pädagogische, pflegerische, psychologische und medizinische Fachkompetenzen gegeben sein müssen.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

den,

dass

es

keinen

Widerspruch

zwischen

den

praxisleitenden

203 Grundlangen

der

Humanwissenschaften und dem Glauben bzw. der Liebe gibt 29 . Angesichts der eindrucksvoll organisierten kirchlichen Caritas ist nicht zu vergessen, dass die Praxis christlicher Caritas bereits im Nahraum eines jeden Menschen beginnt (vgl. Mt 18,20) und hier ihren genuinen Ort hat. Die unmittelbare caritative Zweierbegegnung ist Basiselement gemeindlicher Caritas. Jedes helfende Wort und jedes praktische Zur-Hand-Gehen eines Gliedes der Gemeinde zugunsten eines Mitmenschen ist Caritas der Gemeinde. Das unmittelbare Miteinander-Leiden und Einander-Helfen ist Hauptaufgabe volkskirchlicher Gemeindecaritas (Gemeindecaritas). Die erste Vernetzung und basale Optimierung dieser Caritas geschieht in der natürlichsten Kleingruppe der Familie, der sog. Hauskirche. Je nach Mentalität und Siedlungsweise kann sodann die Nachbarschaft eine sich gegenseitig helfende Gruppe darstellen (Kinderbetreuung, Fahrgemeinschaft, Hilfe im Krankheitsfall, Beistehen in Not und bei Verlust eines Angehörigen usw.) 30 . Auch die gemeindliche Caritas mit ihrer ehrenamtlichen Ausprägung gilt es humanwissenschaftlich wie theologisch zu begleiten und zu entwickeln. 6. Die historische Antwort auf die sozial-caritative Herausforderung der neuesten Zeit Der Theologischen Fakultät Paderborn gebührt die Ehre, als erste Fakultät in Deutschland möglicherweise der Weltkirche - bereits 1910, also genau vor 90 Jahren, sich diesen Fragen wissenschaftlich gestellt zu haben 31 . Hier wurde der Begründer der Caritaswissenschaft Wilhelm Liese (1876-1956) am 26. Mai 1910 zum Dozenten für soziale Fragen ernannt, nachdem er bereits privat seit 1904 Vorlesungen über Caritas und Caritasarbeit im Priesterseminar gehalten hatte. Noch heute ist seine zweibändige Caritasgeschichte von 1920 32 als fachwissenschaftlich hochqualifiziertes

Nachschlagewerk

gefragt.

Ebenfalls

sind

seine

sozialempirischen

Untersuchungen zur

29 30

31

32

I. Vatikanisches Konzil, Dei filius, Kap. IV. Norbert GLATZEL; Heinrich POMPEY (Hrsg.): Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit? Zum Spannungsfeld von christlicher Sozialarbeit und christlicher Soziallehre. Freiburg: Lambertus, 1991.-132 S.; Wilhelm LIESE: Geschichte der Caritas. Freiburg: Caritasverlag, 1922; Heinrich POMPEY: Der Stellenwert der Diakonie für die heutige Planung der Seelsorge. In: Sein und Sendung (1973), 250-259; DERS.: Die 'soziale Pastoral' der Dritten Welt als Herausforderung für das diakonischcaritative Engagement einer Gemeinde. In: Vgl. Biemer u.a. (s. Anm. 13); DERS. (Hrsg.): Helfen aus der Kraft des Glaubens - Ökumenische und internationale Beiträge zur theologischen Grundlegung der Caritas. Würzburg: Echter 1993.-399 S.; Richard VÖLKL: Kirche und Caritas nach den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils. In: Caritas 67 (1966), 73-96; 123-145. Vgl. Paul NORDHUES: Theologische Begründung der Caritas. In: Henryk SKOROWSKI (Hrsg.): Caritas – zawod czy powolanie. Warszawa: Societas Wydaw, 1996.-93 S., 11-24. Vgl. Wilhelm LIESE: Geschichte der Caritas. Bd. I und Bd. II. Freiburg, 1922; DERS.: Aus meinem Leben und Streben. In: Karl HENGST (Hrsg.): Geliebte Kirche - gelebte Caritas. Festgabe für Dr. theol. Paul Heinrich Nordhues. Paderborn: Schöningh, 1995.-301 S., 191-259.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

204

Ausbildung in Caritaswissenschaft von 1922 noch allgemein bekannt 33 . Liese war zugleich Schriftleiter der caritaswissenschaftlichen Fachzeitschrift CARITAS 34 des DCV und fertigte das erste Generalregister für diese Fachpublikationen an, das heute auf CD-Rom erhältlich ist. In Freiburg wurden die ersten caritaswissenschaftlichen Vorlesungen 1918 durch Priv. Doz. Dr. Franz Keller gehalten. Es folgten entsprechende Vorlesungen durch Prof. Dr. Franz Hitze und Prof. Heinrich Weber in Münster, die letzterer in Breslau fortsetzte. Weber legte in den 20er Jahren die sozial- und wirtschaftsethischen Grundlagen der verbandlichen Caritas, z.B. durch Arbeiten zur Vereinbarkeit der Ökonomie mit dem spezifischen Profil der caritativen Dienste und Einrichtungen. Caritastheologische und caritaspraktische Fragen im Blick auf die gemeindliche wie die verbandliche Caritas waren zu dieser Zeit Arbeitsschwerpunkte von Prof. Franz Keller in Freiburg 35 . 1925, d.h. genau vor 75 Jahren, wurde das Fach Caritaswissenschaft an der Theologischen Fakultät Freiburg offiziell eingeführt und ein Aufbaustudium für Leitungskräfte der Caritas (Theologen, Juristen, Volkswirte, Humanwissenschaftler etc.) eingerichtet 36 . Dem Deutschen Caritasverband, insbesondere den Präsidenten L. Werthmann und B. Kreutz - unterstützt von den genannten Theologieprofessoren - war die theologisch-praktische wie kirchlich-historische Profilierung von Leitungskräften der deutschen Caritas ein großes Anliegen. Wie die soziale Lehrverkündigung seit Rerum Novarum und ebenso die Entstehungsgeschichte der verbandlichen Caritas in Deutschland zeigt, entstand die Caritaswissenschaft als eine handlungswissenschaftliche Teildisziplin der christlichen Soziallehre. Im

Kontext

der

christlichen

Sozialwissenschaft

werden

caritaswissenschaftliche

Lehrveranstaltungen an verschiedenen theologischen Fakultäten in Deutschland angeboten. Seit 1973 bezieht auch die Pastoraltheologie caritaswissenschaftliche Fragestellungen (insbesondere im Blick auf die Caritas der Gemeinde) in ihre Theoriereflexionen mit ein. In Freiburg wurde 1925 ein Aufbaustudium in Caritaswissenschaft und christliche Sozialarbeit eingerichtet, und in Münster ein Aufbaustudium für christliche Sozialwissenschaft und christliche Sozialökonomie. Die Paderborner Tradition der Caritaswissenschaft setzte sich ununterbrochen fort, entweder durch eigene Professuren oder durch Lehraufträge. War in Paderborn das vorrangige Interesse, künftige Priester für ihre Mitwirkung in der

33

34 35

36

Vgl. Wilhelm LIESE: Die Vorbildung der Theologen für die großen Caritas-Aufgaben der Gegenwart. In: Caritas - Zeitschrift für die Werke der Nächstenliebe im katholischen Deutschland, 25 (1920), 97-104. Caritas - Zeitschrift für Caritasarbeit und Caritaswissenschaft [DCV (Hrsg.)], 1895ff. Franz KELLER: Caritaswissenschaft. Freiburg: Herder 1925.-251 S.; DERS. (Hrsg.): Jahrbuch der Caritaswissenschaft. Freiburg: Lambertus, 1927ff. Bereits 1918 hatte Privatdozent Keller erste Lehrveranstaltungen zur Caritaswissenschaft an der Theologischen Fakultät in Freiburg durchgeführt.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

205

Caritas auszubilden, so wurde durch das Zusatz- bzw. Aufbaustudium der Caritaswissenschaft in Freiburg auch Nicht-Theologen, Juristen, Volkswirten und Medizinern, die später leitende Funktionen der Caritas wahrnehmen wollten, geöffnet. Durch den Rückgang der Priester- und Ordensberufe übernahmen in den letzten Jahren Nicht-Theologen und Nicht-Religiöse zunehmend Leitungsfunktion in der Caritas. Noch in den 50er Jahren waren über 60% der MitarbeiterInnen im caritativen Bereich Ordensangehörige und Priester. Heute sind es nur noch 3%. Dieser Sachverhalt macht deutlich, dass zumindest eine caritas-theologische Zusatzausbildung für die neuen Mitarbeiter aus dem Laienstand sinnvoll ist, zumal sie in der Regel oftmals kein Theologiestudium absolviert haben. Da eine zweijährige Freistellung zum Aufbaustudium für Laien-Mitarbeiter nicht möglich ist, so wie es früher für Priester und Ordensleute der Fall war, mussten neue Wege gefunden werden, d.h. es waren ortsnahe und arbeitsplatzverträgliche Ausbildungsangebote in Caritaswissenschaft zu konzipieren. Dies wurde mit dem Week-End-Studium für Bayern in Passau und für Westdeutschland in Paderborn als Angebot aufgegriffen. Der gute Zuspruch zu diesen beiden neuen Ausbildungsstätten bestätigt die Richtigkeit dieser Entscheidung. In Freiburg kann Caritaswissenschaft in 15 Möglichkeiten studiert werden: - als Gasthörer - als Freisemesterstudent - als Absolvent des Theologiestudiums mit bischöflichem Examen mit Fakultätsdiplom - als Absolvent des Schwerpunktstudiums Caritaswissenschaft im Rahmen des Theologischen Diploms - als Absolvent des Lehramtsstudiums im Rahmen der Zulassungsarbeit - als Zusatzfach im Rahmen des Psychologischen Diploms der Universität - als Prüfungsfach im Rahmen der Magisterstudien der Philosophischen Fakultät - als Prüfungsfach im Rahmen der Promotionsstudien der Philosophischen Fakultät - als Prüfungsfach im Rahmen der Lizentiatsprüfungen der Theologischen Fakultät - als Prüfungsfach im Rahmen der Promotionsstudien der Theologischen Fakultät - als theologisches Lizentiatsstudium im Hauptfach Caritaswissenschaft - als theologisches Promotionsstudium im Hauptfach Caritaswissenschaft - als Aufbaustudium mit dem Diplom in Caritaswissenschaft - als Aufbaustudium mit kirchlichem Zertifikat

206

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

7. Wo sind Caritaswissenschaftler heute praktisch zu finden? Interdisziplinarität ist seit der Etablierung der Caritaswissenschaft 1925 eines der Charakteristika des Diplom-Aufbaustudiengangs Caritaswissenschaft. Da das Studium Hochschulabsolventen/innen aller Studienrichtungen offen steht, bringt es Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen in einen fachübergreifenden Dialog. Außerdem basiert Caritaswissenschaft als Handlungswissenschaft auf Grundlagen der Humanwissenschaften und der verschiedenen theologischen Disziplinen und ist von daher bereits interdisziplinär. Um einen Eindruck von der Interdisziplinarität und der Vielfalt der Einsatzfelder zu geben, sollen im folgenden einige Absolventen der Caritaswissenschaft, die unterschiedliche Grundstudiengänge abgeschlossen haben, von ihren Motivationen und späteren Schwerpunktsetzungen und Erfahrungen berichten. 7.1 Zunächst sei an einige bekannte Caritaspersönlichkeiten speziell aus Paderborn erinnert, die das Aufbaustudium der Caritaswissenschaft in Freiburg absolvierten, so der spätere Bischof von Essen, Kardinal F. Hengsbach oder der Vorsitzende des Diözesancaritasverbandes Paderborn, Dr. J. Becker und der Bischof von Würzburg, Prof. Dr. P. W. Scheele. Nicht allen Absolventen des caritaswissenschaftlichen Studiums war und ist es zeitlich möglich, das ganze viersemestrige Aufbaustudium zu absolvieren. Insbesondere wenn sie bereits für die Übernahme einer höheren Leitungsfunktion vorgesehen sind und waren. So waren allein ab 1987 37 z.B. zum begrenzten Studium der Caritaswissenschaft für einige Monate Studiengäste bzw. Vollstudenten der derzeitige Präsident der Caritas Österreich Herr Küberl, die Diözesancaritasdirektoren Herr Dr. Nabbelfeld von Mainz, z.Zt. Militärgeneralvikar, Herr Diözesancaritasgeschäftsführer Stephan, DiCV Würzburg, Herr Diözesancaritasgeschäftsführer Jorgol, DiCV Magdeburg, Herr Diözesancaritasvorsitzender, Pfarrer Heine, Hildesheim, Herr Diözesancaritasspiritual

Dr.

Dybowski,

Berlin,

Herr

Diözesancaritasvorsitzender

von

Mostar/Bosnien-Herzegowina, Herr Puljic, Herr Diözesancaritasdirektor von Köslin/Polen, Herr Brostrowicz u.a. Auch finden sich Studierende der Theologie, die die Caritaswissenschaft im Rahmen ihres Theologiestudiums absolvierten, in vielen Referaten des DCV oder der DiCVs und der caritativen Fachverbände. 7.2 Erfreulich war von Anfang an, dass mit dem Aufbaustudium Caritaswissenschaft schon vor dem II. Weltkrieg Frauen der Zugang zum Theologiestudium ermöglicht wurde.

37

Während meiner Zeit als Direktor des Instituts für Caritaswissenschaft.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

207

Eine bekannte Vertreterin sei hier genannt, Dr. Gertrud Luckner, die wegen ihres caritativen Engagements für Ausländer und Juden von 1943 bis zum Kriegsende im KZ Ravensbrück inhaftiert war. 1930 nahm sie als Quäkerin das Studium der Caritaswissenschaft in Freiburg auf. Während der Studienzeit konvertierte sie zum katholischen Glauben. Von 19311938 war die Dipl.-Volkswirtin Gertrud Luckner am Institut für Caritaswissenschaft tätig. Sie promovierte 1938 zum caritaswissenschaftlichen Thema über „Die Selbsthilfe der Arbeitslosen in England und Wales - auf Grund der englischen Wirtschafts- und Ideengeschichte“ an der Volkswirtschaftlichen Fakultät, da eine Laienpromotion an der Theologischen Fakultät noch nicht möglich war. Während des Krieges war Luckner Mitarbeiterin des Caritasverbandes in der Abteilung „Kirchliche Kriegshilfe“. Als Privatperson organisierte sie in dieser Zeit auf vielfältigste Weise Hilfe für Juden und andere vom Nazi-Regime Verfolgte. Das von ihr geschaffene

Hilfsnetz

in

ganz

Deutschland

und

im

Ausland

übersteigt

jegliches

Vorstellungsvermögen. Nach dem Krieg engagierte sich Gertrud Luckner in besonderer Weise für den jüdisch-christlichen Dialog. Sie starb fast 95-jährig im August 1995 in Freiburg. Lassen wir eine andere Studentin dieser Zeit direkt sprechen, die ebenfalls vor dem II. Weltkrieg in Freiburg das Caritasaufbaustudium absolvierte und inzwischen auf ein engagiertes Caritasleben zurückblicken kann: Dr. Orpha Fahl, Absolventin des Aufbaustudiums Caritaswissenschaft von 1929-1931: 38 Wie schätzen Sie aus der Sicht Ihrer langjährigen Praxis heraus die Bedeutung dieses Studiums ein? Das Studium der Caritaswissenschaft war für mich eine sehr wichtige Zeit. Insbesondere der Einblick in die Vielfalt von Caritas war für mich sehr wertvoll und anregend. Die konkreten „pädagogischen“ Kurse waren dabei für mich nicht so wichtig, da ich mich von Anfang an für die Landwirtschaftshilfen und später vor allem für den Flüchtlingsbereich interessierte. Für diesen spezifischen Interessenschwerpunkt gab es allerdings damals keine speziellen Angebote. Aber auch die allgemeinen Veranstaltungen boten wichtige Grundlagen; dabei waren insbesondere auch die theologi-

38

Eine Mitarbeiterin hat sie befragt: Welches sind Ihre eindrucksvollsten Studienerinnerungen an das caritaswissenschaftliche Aufbaustudium vor ca. 70 Jahren? Besonders intensive Erinnerungen habe ich an die verschiedenen, meist mehrtägigen Exkursionen während meines caritas-wissenschaftlichen Studiums. Durch diese Exkursionen, die uns zum Teil auch ins Ausland führten (nach Holland, in die Schweiz u.a.), haben wir Studenten einen Einblick in die Vielfalt von „Caritas“ gewonnen, der uns ganz neue Perspektiven eröffnete; und durch die direkten Kontakte mit den Mitarbeitern und Menschen in den caritativen Einrichtungen vor Ort konnten wir konkretere Vorstellungen gewinnen, wodurch viele neue Ideen und Initiativen angeregt wurden. Diese Exkursionen stärkten außerdem das Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl unter uns Studenten, was positive Einflüsse auf unser Studium und die Projekte hatte.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

208

schen Veranstaltungen wie moraltheologische Vorlesungen und exegetische Kurse für uns Studenten der Caritaswissenschaft sehr interessant. Wo müssten Ihrer Meinung nach im Bereich der verbandlichen Caritas Personen mit einem solchen

Studium

eingesetzt

werden? 39

Christliche

Grundhaltungen

sind

in

allen

Aufgabenbereichen der Caritas wichtig. Wenn diese jedoch, wie ich es in letzter Zeit immer öfter erfahren habe, von nicht-christlichem Personal anderer Organisationen eher praktiziert werden denn von Mitarbeitern kirchlich-caritativer Organisationen, dann heißt das, dass die Caritas sich wieder auf ihre Kernbereiche konzentrieren muss. Denn sie sollte nur die Arbeit leisten, die sie mit dem gegebenen christlichen Personal in christlicher Verantwortung noch zu leisten vermag 40 . 7.3 Jüngere Absolventen des Aufbaustudiums Caritaswissenschaft berichten Ein Priester in der Gemeindearbeit: „Als Priester habe ich in meiner täglichen Arbeit mit haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern/ innen der Caritas zu tun. Dieser Grunddienst der Kirche zum Heil der Menschen setzt eine differenzierte Kenntnis von Methoden und Praxisfeldern christlicher Sozialarbeit voraus. Für mich war daher der Aufbaustudiengang Caritaswissenschaft eine notwendige und sinnvolle Ergänzung zu meinem Theologiestudium. Neben theoretischem Wissen in Psychologie, Theologie und Geschichte kirchlicher Caritas konnte ich vor allem in den Praxisfeldern der gemeindlichen und verbandlichen Caritas neue Handlungskompetenzen erlangen.“ Eine Gemeindereferentin: „Motivation“ und „Durchhaltevermögen“ sind in der Sozialarbeit entscheidende Themen, die für mich persönlich nach Abschluss meines Sozialpädagogikstudiums besonders akut wurden. Meiner Entscheidung für das Aufbaustudium Caritaswissenschaft und Christliche Sozialarbeit liegen diese Fragen zugrunde. Ich möchte für mich zu klären versuchen, ob und inwiefern mein christlicher Glaube und das christliche Menschenbild eine positive

39

40

Die Verbandscaritas müsste sich vordringlich wieder auf ihre Kernaufgaben besinnen und konzentrieren. Das bedeutet auch, dass man nicht mehr alle bisher versorgten Bereiche abdecken kann. Mit der abnehmenden Zahl von überzeugten Christen, die caritativen Einrichtungen als Mitarbeiter heute noch zur Verfügung stehen, ist die flächendeckende Versorgung aller Bereiche heute einfach nicht mehr zu leisten. Besonders im Altenbereich ist ein Umdenken seitens der caritativen Einrichtungen insofern nötig, als dass sie nicht mehr über die Köpfe der alten Menschen hinweg, sondern für diese und mit ihnen planen und entscheiden muss. Eine rein organisatorische Verwaltung reicht dazu nicht aus. Dadurch laufen viele Entscheidungen an den Wünschen und Bedürfnissen der alten Menschen vorbei. Es ist vielmehr wichtig, die alten Menschen in ihren Anliegen zu unterstützen und ihre Eigeninitiative zu fördern.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

209

Basis für meine Berufsausübung darstellen können. Es geht mir dabei nicht um die Motivation der sich aufopfernden Nächstenliebe, sondern um die Suche nach einer Kraftquelle und stabilen Wurzel für meine Persönlichkeit. Denn wesentliche Ressource von Sozialarbeit ist oft weniger die fachliche, als vielmehr die persönliche und soziale Kompetenz.“ Ein Jurist im wissenschaftlichen Dienst der Universität: „Mitmenschlichkeit und soziale Verantwortung lassen sich nicht oder nur sehr begrenzt gesetzlich normieren. Der Staat hat seine Grenzen und damit auch der Beruf des Juristen. Die allseits beklagte, einseitige „Verrechtlichung“ der Lebensbereiche fordert den Juristen heraus, sich auch dem anderen zu stellen: der nicht bloß Rollenträger oder Positionsbetroffener ist, sondern Person. Der hieraus resultierenden Aufforderung, sich dem Konkreten zu nähern, kann die Caritaswissenschaft - als Forum - dienen, indem hier verschiedene Fachrichtungen voneinander lernen, sich jeweils den anderen Sichtweisen zu öffnen. Darin liegt die Chance. Wenn der Entwurf zur Totalrevision der schweizerischen Bundesverfassung davon spricht, dass die Stärke eines Volkes sich am Wohl der Schwachen messe, liegt darin Anspruch und Aufgabe, der sich alle Fachrichtungen der Caritas verpflichtet fühlen dürfen und die zum Dialog auf- und herausfordern.“ Ein Dr. theol., Direktor eines Alten- und Pflegeheims: „Bereits während meines Studiums der Katholischen Theologie und der Pädagogik in Münster interessierten mich vor allem theologisch-psychologische Fragestellungen. Bestimmend war für mich die Überzeugung, dass neben einer fundierten wissenschaftlich-theologischen Ausbildung auch Wissen über den Menschen und damit verbunden andere Zugänge zum Menschen für die spätere berufliche Praxis von fundamentaler Relevanz sind. Hinzuweisen ist hier nur auf Elemente des Aufbaustudiums wie z.B. das Kennenlernen verschiedener Beratungsmethoden oder auch die Auseinandersetzung mit sich selbst in verschiedenen Kursen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung. Auch das „Hineinschnuppern“ in die verschiedensten Handlungsfelder kirchlicher Sozialarbeit, das Vertrautwerden mit den strukturellen und rechtlichen Bedingungen der Caritas sind für mich wichtige Entscheidungshilfen bei der Fragestellung, eventuell in einer kirchlichen Einrichtung tätig zu werden.“ Eine Juristin, Mitarbeiterin des Arbeitskreises für Menschen im Strafvollzug 41 :

41

„Nach einer juristischen Ausbildung und einer anschließenden Familienphase studierte ich an der Universität Freiburg Caritaswissenschaft. Anfang des Jahres fragte mich Herr N.N. von der ,,Arbeitsgemeinschaft für Gefährdetenhilfe und Jugendschutz in der Erzdiözese Freiburg“ (AGJ), ob ich nicht mit ihm und Herrn N.N. in der Paulusgruppe mitarbeiten könnte.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

210

Am Anfang hatte ich sicherlich ein bisschen Angst vor dieser Aufgabe. Hilfreich war für mich, dass ich im Rahmen der Caritaswissenschaft eine Einführung in Gesprächsführung bekam und von Herrn N.N. einiges über die Probleme des Gefängnisalltags wusste. Trotzdem war es ein Sprung ins kalte Wasser. Aber die Gruppe hat mich sehr offen aufgenommen, und ich fühle mich wohl. Mir ist wichtig, in den Gefangenen den Menschen zu sehen, nicht den Täter.“ Ein Pastoralreferent: „In meiner Arbeit als Pastoralreferent in P. und den mittlerweile drei dazugehörigen Gemeinden habe ich in vielfältiger Weise mit unterschiedlichsten Menschen zu tun. Schwerpunkte meiner Arbeit bilden die Tauf- und Eucharistiekatechese sowie die Ehe- und Familienarbeit. Alle Aufgabenbereiche haben für mich nicht zuletzt einen diakonischen Charakter. Da begegne ich in einer Zeit, in der die Scheidungsrate überhand nimmt, beim Ehevorbereitungskurs anderen jungen Paaren, die sich trotz allem auf das Wagnis der Ehe einlassen wollen. Beim Taufgespräch erzählen mir die Taufeltern von ihren Sorgen und Nöten, aber auch von ihrem Glück bei der Geburt ihres Kindes. Da werde ich im Rahmen der Erstkommunionvorbereitung unvermittelt mit großer sozialer und finanzieller Not in einer Familie konfrontiert. Da starten wir in unseren Gemeinden den Versuch einer Familienfreizeit, die Familien zusammenführen will, in der aber auch Alleinerziehende herzlich willkommen sind. Oder da treffe ich zufällig in der Stadt die Frau des Pfarrgemeinderatsvorsitzenden, die mir erzählt, dass ihr Mann unheilbar an Krebs leidet und in Kürze wird sterben müssen. All dies fordert mich in meiner Arbeit als Mensch und Seelsorger heraus. Wichtig geworden ist mir hier durch das Studium der Caritaswissenschaft, eine diakonische Sensibilität in meiner Arbeit und in unseren Gemeinden wach zu halten. Wie eine Art Leitgedanke steht hier für mich das Wort des Paulus: „Einer trage des anderen Last“. Hier hat eine Pfarrgemeinde als Lebensraum auch ganz eigene Möglichkeiten des Mit-Leidens und Mit-Fühlens. Als besonders hilfreiches „Handwerkszeug“ in meiner seelsorglichen Arbeit empfinde ich im nachhinein die Kurse zur diakonischen Begleitung des Aufbaustudiums. Besonders auch die Bedeutung der drei Grundhaltungen nach Carl Rogers (Echtheit, einfühlendes Verstehen, bedingungslose Wertschätzung) und ihre theologische Verwurzelung im Handeln Jesu möchte ich hier nennen. Die Kurse bieten gute Gelegenheiten, diese jesuanischen Grundhaltungen für gelingende menschliche Begegnungen, besonders auch mit Menschen in Not, bewusst zu machen und sie auch ein Stück einzuüben. Das eigene Leben und die pastorale Arbeit in der Gemeinde erlebe ich in dieser Hinsicht immer wieder neu als Übungs- und Bewährungsfeld. So kann vielleicht in den vielen Begegnungen etwas erfahrbar werden von dem Gott Jesu, dem mitgehenden, mitfühlenden und mitleidenden Gott.“

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

211

Ein Diözesancaritasdirektor: „Bedanken möchte ich mich für alle Erkenntnisse, die mir in den vier Semestern des Aufbaustudiums vermittelt wurden, für den hohen persönlichen Einsatz der Lehrenden, für alle Ermutigung und für das stets anregende Engagement bezüglich der Aufgaben und Anliegen aller Christen und insbesondere der Caritas in unserer Gesellschaft. Es wurde ein hohes Maß an grundlegender als auch caritaspraktischer Bildung geboten. Die Tür zu den relevanten Wissenschaften wurde geöffnet und mir zusätzlich eine Art „Generalschlüssel“ mitgegeben, der mir ein weiteres Eindringen in die Tiefen der Caritasarbeit ermöglichen wird. Als ein Student, der fünf Jahre Caritaspraxis und reichlich Lebenserfahrung mit in dieses Studium bringen konnte, waren für mich der Studieninhalt und das -ziel besonders interessant. Meine Erwartungen wurden insgesamt erfüllt bzw. übertroffen. Als absoluter Quereinsteiger haben mich besonders die wissenschaftlichen Grundlagen und neuen Erkenntnisse auf den Gebieten der Theologie, Anthropologie, Sozialethik, Psychologie, Sozial- und Kirchenrecht und die wissenschaftliche Beurteilung vieler Fragen zum aktuellen Zeitgeschehen interessiert. Sehr wichtig sind für potentielle MitarbeiterInnen des Caritasverbandes Kenntnisse über die gemeindliche und verbandliche Caritasarbeit. Hervorheben möchte ich hier das besondere Engagement von Herrn N.N., zwischen der mehr äußeren Forderung nach Wirtschaftlichkeit und dem mehr inneren Bemühen um (christliche) Menschlichkeit in unseren Diensten keinen Dissens aufkommen zu lassen. Durch das Studium habe ich die enorme Bedeutung der empirischen Forschung für unser helfendes Handeln kennen gelernt. Durch die Anwendung dieser Wissenschaft erfahren wir am ehesten die Lebenswirklichkeit der Menschen, denen unsere Aufmerksamkeit gilt. Die genaue Kenntnis der Notlagen, Probleme und Fragen der hilfsbedürftigen Menschen sind m.E. Voraussetzung für eine hohe Effizienz unseres Helfens. Diese lebensnahe Seite des Studienganges und die Erlangung helfender Kompetenz wirken zudem für jeden Studierenden persönlichkeitsbildend.

Ich

halte

das

für

einen

hervorragenden

Nebeneffekt.

Die

Interdisziplinarität und Internationalität der Caritaswissenschaft habe ich als sehr positiv empfunden. Für Führungskräfte innerhalb des Verbandes ist es in jedem Fall wünschenswert, und ich denke prinzipiell erforderlich, dass sie in all den angebotenen Sachgebieten über angemessene Kenntnisse verfügen. Zu dieser Feststellung, die ich schon unmittelbar nach dem Studium getroffen habe, stehe ich auch heute noch uneingeschränkt. Ausgestattet mit neuen Fähigkeiten und einem breiteren, tieferen Wissen lässt sich der Alltag mit seinen vielen konkreten Sorgen und Zwängen aber auch mit seinen Chancen und Möglichkeiten besser bewältigen. Das hilft unseren Diensten und damit den Menschen, denen wir durch unser berufliches Handeln auf der Grundlage unseres Glaubens Bruder und Schwester sein wollen.“

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

212

Ein Diakon und Flughafenseelsorgers: „Den 50-jährigen Diakon trieb es gleich nach dem Abitur auf die hohe See. Aber das unstete Leben ließ sich nicht mit der Familie vereinbaren und deshalb sattelte der Thüringer um und wurde Diplom-Agraringenieur. Als Diakonatshelfer in der ehemaligen DDR erlernte er die praktische Seelsorge. Nach der Übersiedelung in den Westen studierte der Vater von drei Kindern in Freiburg Caritaswissenschaft, bevor er 1993 zum Diakon geweiht wurde. Den Flugplatz erlebt der Diakon N.N. als Ort, an dem sich Leben konzentriert abspielt. Da werden Lebensweichen gestellt, Abschiede vollzogen und Sinnfragen gestellt. Mittlerweile ist der Diakon N.N. für das Personal und die Passagiere gleichermaßen zuständig. „Und gerade vom Personal kommen immer mehr und wollen ein Gespräch“, sagt der Diakon. An einem Flughafen arbeiten viele mobile Leute, die sich im privaten Bereich kaum von festen Wurzeln gehalten wissen. Auch die Gottesdienste haben immer mehr Zulauf. Ein besonderer Ort ist die „Abschiebung“, wo täglich 15 bis 20 Leute vom Bundesgrenzschutz ausgewiesen werden. Dort ist der Zuspruch des Diakons am meisten gefragt, manche „Abschüblinge“ reagieren aggressiv. Der Diakon muss dann de-eskalierend einwirken.“ Ein Jurist, Regierungsrat für Jugendsozialarbeit: „Ich

bin

nach

wie

vor

ein

leidenschaftlicher

Anhänger

Ihrer

faszinierenden

caritaswissenschaftlichen Studieninhalte. Die Kommunikationskompetenz, die ich bei Ihnen erworben und im Rahmen der Fortbildungsveranstaltungen mit Herrn N.N. sowie vielfältiger Literatur vertieft habe, haben mir im privaten wie im beruflichen Bereich sehr schöne Erlebnisse ermöglicht, wofür ich sehr dankbar bin. Das Leben gestaltet sich mit den Sensibilitäten, die Sie vermitteln, nach meiner Erfahrung in jeder Beziehung wesentlich reicher und intensiver. Nicht nur für mich, sondern ich denke auch für die Menschen, mit denen ich umgehen darf. Sicher werde ich diese Kompetenzen auch bei neuen beruflichen Herausforderungen gut nutzen können, ... meine Begegnung mit Ihnen war tatsächlich eine der wichtigsten Ereignisse in meinem Leben und prägt anhaltend mein Denken und Fühlen.“ 8. Neue fachwissenschaftliche Herausforderungen der Caritaswissenschaft Insgesamt ging es während der vergangenen 75 Jahre in den wissenschaftlichen Arbeiten der Fachvertreter in Freiburg (ab 1918 Franz Keller 42 , ab 1934

42

Franz KELLER: Caritaswissenschaft. Freiburg: Herder 1925.-251 S.; Franz KELLER (Hrsg.): Johann Michael SAILER: Christliche Briefe eines Ungenannten: von den Jahren 1783-1803. Freiburg: Herder, 1919.-274 S.; Franz KELLER (Hrsg.): Johann Michael SAILER: Übungen des Geistes zur Gründung und Förderung eines heiligen Sinnes und

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

213

Josef Beeking 43 , ab 1955 Karl Deuringer 44 , ab 1964 Richard Völkl, ab 1988 Heinrich Pompey) und an anderen Theologischen Fakultäten um die konkrete theologische Inspiration der einzelnen Handlungsfelder der Caritas 45 . Behandelt wurden Fragekomplexe der Sozialpolitik und des Einrichtung-Managements. Themen wie Unternehmensphilosophie, Unternehmensprofil, Corporate Identity, Unternehmenskultur, Unternehmensökonomie etc. finden sich bereits in den damaligen Diskussionen wieder 46 . Sie scheinen an Aktualität nichts verloren zu haben. Caritaswissenschaftliches

Forschen

und

Lehren

umfasst

neben

den

Fragen

des

47

Einrichtungsmanagements damals wie heute die Vielfalt helfender und heilender Beziehungen 48 sowie die caritative Diakonie der Gemeinden 49 .

43

44

45 46

47

48

49

Lebens. Freiburg, 1919; Franz KELLER: Das neue Leben; der Epheserbrief des heiligen Paulus in Homilien für denkende Christen dargelegt.. Freiburg, 1911; Franz KELLER: Die caritative Elementarbildung. In: caritas 38 (1933), 53-57; Franz KELLER: Hilfe in der großen Stadt. In: caritas 38 (1933), 81-83; Franz KELLER: Caritasfürsorge gegen Rüstungsfieber. In: caritas 37 (1932), 49-52. Josef BEEKING: Die Ethik der christlichen Jugendführung., Solothurn: St. Antonius-Verlag, 1939.-52 S.; Josef BEEKING: Die Nächstenliebe nach der Lehre der heiligen Schrift. Düsseldorf, 1930.-84 S.; Josef BEEKING: Grundriß der Kinder- und Jugendfürsorge: mit einem Anhang der wichtigsten einschlägigen Gesetzestexte. Freiburg, 1929.-335 S.; Josef BEEKING: Katholische Kinder- und Jugendfürsorge. Festschrift zum Ersten Gesamtkongress der katholischen Kinder- und Jugendfürsorge Deutschlands. München: Hans Eder, 1927.-136 S. Karl DEURINGER: Lorenzo de Villavicencio als Anwalt der kirchlichen Armenpflege im Zeitalter der Tridentinischen Reform. Münster: Aschendorff, 1963.-S. 327-339; Karl DEURINGER: Probleme der Caritas in der Schule von Salamanca. Freiburg: Herder, 1959.-226 S.; Karl DEURINGER: Die Lehre vom Glauben beim jungen Suarez. Freiburg: Waibel, 1941.-89 S.; Karl DEURINGER: Das Christentum als Quellgrund der Caritas. In: caritas 60 (1959), 249-262; Karl DEURINGER: Bücherbesprechungen. In: caritas 60 (1959), 371-380; Karl DEURINGER: Der heilige Cyprian als Caritasbischof´. In: caritas 59 (1958), 245-265 u. 315-332. Vgl. ebd. Matthias HERMANNS: Heinrich Weber: Sozial- und Caritaswissenschaftler in einer Zeit des Umbruchs. Leben und Werk. Würzburg: Echter, 1998.-234 S. Vgl. Heribert W. GÄRTNER: Zwischen Management und Nächstenliebe – Zur Identität des kirchlichen Krankenhauses. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1994.-251 S.; Gerhard TEPE: Qualitätssicherung in der stationären Altenhilfe. Frankfurt a.M.: Lang, 1997.-310 S.; M. Christophora ECKL: Unterwegs als Dienstgemeinschaft. Das Pastorale Führungsmodell der Schwestern vom Guten Hirten - ein integrierender Führungsansatz für soziale Organisationen. Würzburg: Echter, 1999.-237 S. Vgl. z.B. Dieter FUCHS: Lebensweltorientierte Praxisforschung. Würzburg: Echter, 1995.-268 S.; DERS.: Beziehungsmuster in Lebensgeschichten. Konzeption und Beispiele sozialarbeitswissenschaftlicher Biographieforschung unter Aspekten von Ko-Präsens und Ko-Konstruktionen. Würzburg: Echter, 1999.-279 S.; Stephan E. MÜLLER: Krisen-Ethik der Ehe. Versöhnung in der Lebensmitte. Würzburg: Echter, 1997.-606 S.; Jürgen AACH: Brustkrebs: Die Not einer Krankheit als Herausforderung an Glaube und Krankenhausseelsorge. Eine empirische Untersuchung auf der Grundlage einer Patientinnenbefragung während der stationären Primärtherapie. Würzburg: Echter, 1999.-337 S.; Heinrich POMPEY: Sterbende nicht allein lassen. Erfahrung christlicher Sterbebegleitung. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1996.-188 S.; Albert WOHLFARTH: Landwirtschaftliche Familienberatung zwischen Hoffnungen und Realitäten. Würzburg: Echter, 1999.-102 S. Vgl. Peter ABEL: Miteinander Leben und Hoffnung teilen – diakonische Pastoral mit Gruppen. Würzburg: Echter, 1994.446 S.; E. JÜNNEMANN: Gemeinde und Weltverantwortung. Würzburg, 1992; Heinrich POMPEY: Die Soziale Pastoral der Dritten Welt als Herausforderung für das diakonisch-caritative Engagement einer Gemeinde. In: Vgl. Biemer u.a. (s. Anm. 13); DERS.: Die sozial-caritative Chance von großgemeindlichen Seelsorgeeinheiten. In: Hubert WINDISCH. (Hrsg.): Seelsorgeeinheiten und kooperative Pastoral. Fragen und Impulse. Freiburg: Erzbischöfliches Ordinariat, 1999.-100 S., 7796; DERS.: Christliche Gemeinden als Ferment einer neuen Solidaritäts- und Hilfekultur in Europa. Plädoyer für eine bürgerschaftlich verstandene caritative Diakonie. In: Ursula. NOTHELLE-WILDFEUER; Norbert GLATZEL (Hrsg.): Christliche Sozialethik im Dialog. Zur Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft, Politik und Gesellschaf. Grafschaft, 2000, 213-237; Heinrich POMPEY; Paul-Stefan ROß: Kirche für andere. Handbuch für eine diakonische Praxis. Mainz: MatthiasGrünewald-Verlag, 1998.-365 S.; Johannes DIERKES: Auf dem Weg zu Heilung und Heil? Eine qualitative Untersuchung zur Wallfahrt nach Lourdes. Hamburg: Kovac, 1999.-297 S.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

214

Das letzte Jahrzehnt ist inhaltlich geprägt durch die in den 80er Jahren angestoßene Frage nach dem besonderen Profil kirchlicher Dienste 50 , insbesondere der Beratungs- und Caritaseinrichtungen, wie z.B. auf Caritastagungen im Erzbistum Paderborn (Dortmund 1990)51 . Die Diskussionen beginnen im Blick auf das besondere Profil kirchlicher Beratungsdienste (BAG-Beratung) bereits Anfang der 80er Jahre. Ihren offiziellen Niederschlag finden sie 1986 in den Diskussionen der Deutschen Bischofskonferenz und ihrer Arbeitshilfe Kirchliche

Beratungsdienste 52 .

Während

die

Verantwortlichen

der

Diözesan-

und

Ortscaritasverbände die Notwendigkeit der Herausstellung des besonderen Profils der Caritas angesichts der auf sie zukommenden sozial-staatlichen Veränderungen früh erkennen, fällt es den handlungswissenschaftlich ausgerichteten Praktischen Theologen schwer, biblisch-theologische Leitperspektiven für die Mitwirkung in caritativen Diensten zu akzeptieren und zu operationalisieren 53 . Die zur Sensibilisierung einer praxisrelevanten caritativen Theologie und kirchlichen Spiritualität im Kontext der BAG-Beratung Ende der 80er Jahre

50

51

52

53

So z.B. vom Verfasser auf den Tagungen der BAG Beratung und als Mitglied in der Fachkommission Telefonseelsorge und Offene Tür Ende der 70iger und Anfang der 80iger Jahre, vgl. Heinrich POMPEY: Hauptberufliche Mitarbeit von Laien in Pastoral und Caritas. Zwischen Selbstverständnis der Kirche und Arbeitnehmer-„wirk“lichkeit., In: Bernhard FRALING; Rudolf HASENSTAB (Hrsg.): Die Wahrheit tun: Zur Umsetzung eth. Einsicht. Georg Teichtweier zum 70. Geburtstag. Würzburg: Echter, 1983.-289 S., 269-283; DERS.: Glaube und Beratung Vermittlung theologisch-seelsorglicher Kompetenzen für die Mitarbeit in der Telefonseelsorge - TS-Fortbildungskursprojekt. In: VERBAND KATHOLISCHER EHE-, FAMILIEN- UND LEBENSBERATER E.V. (Hrsg.): Informationen Nr. 22 (1986), 27-46; DERS.: Leben und Handeln des Beraters aus dem Evangelium. In: KATHOLISCHE BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR BERATUNG (Hrsg.): Rat in ratloser Zeit - kirchliche Beratung - Dienst am Menschen, 2. Beraterkongreß 1985, Freiburg: Lambertus, 1986.-270 S., 119-131; DERS.: Der Mensch ist der Weg der Kirche - die Kirche ist der Weg des Menschen. In: Karl HILLENBRAND; Rudolf WEIGAND (Hrsg.): Mit der Kirche auf dem Weg. Würzburg: Echter, 1989.-490 S. (Festschrift 400 Jahre Priesterseminar Würzburg), 421-451. Durch ein Referat des Verfassers, vgl. Heinrich POMPEY: Dienstgemeinschaft und Entfremdung von der Kirche. In: Caritas in Nordrhein-Westfalen, H. 4/90, 289-296. Vgl. DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ: Arbeitshilfe Nr. 51, Kirchliche Beratungsdienste - Studientag 1986 der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn, 1987. Vgl. DEUTSCHER CARITASVERBAND (Hrsg.): Zeit für ein Leitbild. Freiburg: Lambertus, 1994.-184 S.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

215

entwickelten Kurse: Helfen und Glauben sowie Helfen und Kirche 54 werden auf Wunsch vieler Beratungs- und Caritasdienste in verschiedenen Teilen Deutschlands durchgeführt. Sie können empirisch belegen, wie sehr Mitwirkende dieser Einrichtungen und Dienste die mit ihrer Arbeit verbundene spirituelle Bestärkung begrüßen 55 . Hindergrund dieser öffentlichen Auseinandersetzung bildet das Arbeitsvertragsrecht der katholischen Kirche 56 von 1980. Es sieht eine personale Sicherung des christlichen Profils kirchlicher Dienste und Einrichtungen durch Identifikation der Mitarbeiter mit dem Sendungsauftrag der katholischen Kirche vor 57 . Die sich daraus ergebenden Konsequenzen führen zu einer heftigen Auseinandersetzung. Eine besondere caritas-theologische und ekklesiologische Prägung der Beratungs-, der Sozial- und Gesundheitsdienste wird von vielen Praktischen Theologen in Frage gestellt. Vertreter der systematischen und biblischen Theologie beteiligen sich an dieser Diskussion leider nicht. 1993 wird die von der deutschen katholischen Kirche vertretene personale Sicherung durch die institutionelle Sicherung des christlichen Profils caritativer Einrichtungen mit der neuen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse 58 ersetzt 59 . Der enorme ökonomische Druck, der seit Mitte der 90er Jahre auf den Einrichtungen und Diensten der Caritas lastet 60 , wie auch die wohlfahrts-

54

55 56

57

58

59

60

Heinrich POMPEY: Caritatives Engagement - Lernort des Glaubens und der Gemeinschaft. Effizienzuntersuchung eines Grund- und eines Aufbaukurses zum Kennenlernen theologischer Aspekte des Leitbildes sozial-diakonischer Hilfe und zur Sensibilisierung der Mitwirkenden für den communialen, dienstgemeinschaftlichen Charakter kirchlicher Sozialdienste. Würzburg: Echter, 1994.-304 S. Vgl. ebd. Vgl. Arbeitsvertragsrecht in der Kirche. Regional-Koda in Nordrhein-Westfalen. Vom 1.5.1980. In: SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (Hrsg.): Arbeitshilfen 16A. Bonn, 1980. „Der kirchliche Dienst wird geprägt durch den Auftrag Christi, den sie u.a. in ihrem pastoralen, karitativen und erzieherischen Dienst erfüllt. Alle an diesem Dienst Beteiligten, ob als Mitarbeiter oder als Dienstgeber, bilden eine Dienstgemeinschaft mit gemeinsam getragener Verantwortung. Damit ist das Miteinander ein Gebot für die Ordnung. Damit ist aber die Beteiligung auch begrenzt auf Mitarbeiter und Gruppen, die sich mit dem kirchlichen Auftrag identifizieren und diese Identifikation arbeitsvertraglich anerkennen.“ ebd 15. Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, Art. 1. In: Die deutschen Bischöfe Nr. 51, Bonn, 1993. "Träger und Leitung tragen die Verantwortung für den kirchlichen Charakter der Einrichtung. Sie haben auch dafür zu sorgen, dass in der Einrichtung geeignete Personen tätig sind, die bereit und in der Lage sind, den kirchlichen Charakter der Einrichtung zu pflegen und zu fördern.“ ebd. 9. Vgl. Gilbert. SCHMID: Ambulante und stationäre Krankenbehandlung im Konflikt zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit- eine medizinisch-ethische und therapeutische Herausforderung. In: Heinrich POMPEY (Hrsg.): Caritas im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, Reihe „Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral“. Würzburg: Echter, 1997.-414 S., 225-236; Josef KREIML: Die gegenwärtige Ökonomisierungstendenz im Sozialstaat und der caritative Auftrag der Kirchen. In: Lebendiges Zeugnis 55. (2000), 171-178.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

216

staatlichen Veränderungen bestätigen die Notwendigkeit des in den 80er Jahren angestoßenen caritastheologischen Diskurses zum besonderen Profil der caritativen Dienste und Einrichtungen. Der Deutsche Caritasverband veranlasst eine repräsentative Umfrage unter den MitarbeiterInnen wie bei seinen KlientenInnen 61 und leitet unter Trägern und Mitarbeitern einen engagierten, durch Kontroversen gekennzeichneten Leitbildprozess ein. Die Befragung bestätigt die Akzeptanz eines besonderen christlich geprägten Profils bei vielen MitarbeiterInnen der caritativen Einrichtungen und Dienste 62 . Mit dem nach einem langen Prozess entwickelten Leitbild wird das Profil der Caritas durch die Vertreterversammlung des DCV in Schwäbisch Gmünd (15. – 16. 10. 1996) auf verschiedenen Ebenen caritas-theologisch gestärkt. Mit der Erklärung der deutschen Bischöfe „Caritas als Lebensvollzug der Kirchen als verbandliches Engagement in Kirche und Gesellschaft“ (1999) findet der caritas-theologische Diskurs in Kirche und Caritas einen eindrucksvollen Abschluss. Inzwischen wird an unterschiedlichen Orten zur christlichen Profilierung des Managements kirchlicher Einrichtungen und Dienste sowie zur christlichen Kultivierung der Dienstgemeinschaft dieser Einrichtungen und Dienste wissenschaftlich geforscht, in über 50% aller Bistümer ist das Institut für Caritaswissenschaft an Projekten des wertorientierten Managements beteiligt. Caritastheologie

erfährt

als

Ferment

der

Kultivierung

des

christlich-sozialen

Hilfeverhaltens der Kirchen in diesem Jahrzehnt eine Erweiterung und eine Verstärkung durch die Einführung des Faches Caritaswissenschaft und entsprechender Aufbaustudiengänge an den Theologischen Fakultäten in Passau (1997) und Paderborn (1999) sowie an der Katholischen Universität in Warschau (1995) 63 . Mit großer Freude durfte die Freiburger Caritaswissenschaft bei allen Neugründungen unterstützend mitwirken. Diese Bestätigung des Faches findet ebenfalls seinen Niederschlag in den gegenwärtigen Bemühungen um die Gründung eines caritaswissenschaftlichen Instituts in Korea, die für 2001 geplant ist. Inzwischen liegen von Orthodoxen Kirchen Osteuropas Anfragen um Mithilfe beim Aufbau

entsprechender

Aus-

und

Forschungsinstitutionen

zur

orthodoxen

Barmherzigkeitsdiakonie vor, und zwar aus Rußland von der Geistlichen Akademie und der Universität Nischnij Nowgorod wie aus Rumänien von der Orthodoxen Theologischen Fakultät der Universität 61

62

63

Vgl. Renate KÖCHER: Die Caritas im Spiegel der öffentlichen Meinung. In: caritas 97 (1996), 248-255. Kritischer war dagegen die Umfrage: Institut für Demoskopie Allensbach, Kirchenaustritte - Eine Untersuchung zur Entwicklung und zu den Motiven der Kirchenaustritte, Allensbach 1992/1993, IfD-Umfrage 5065, 43. Vgl. Eugen BALDAS: Mitarbeiterbefragung im Kontext des Leitbild-Prozesses der verbandlichen Caritas in Deutschland. In: caritas 97 (1996), 255-260. Darüber hinaus gibt es caritaswissenschaftliche Forschungs- und Ausbildungsstätten an den Hochschulen in Linz/Österreich und Luzern/Schweiz.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

217

Temesvar. Wie in den vergangenen 75 Jahren die Caritaswissenschaft ihren Beitrag zum sozialen Aufbau unseres Landes leistete, so stellt sie sich heute den Herausforderung der Gestaltung der sozialen Landschaft Europas, insbesondere in den ehemals kommunistischen Ländern Mittelund Osteuropas. Ebenso erfreulich ist die Mitgestaltung der ersten Internationalen Kongresse zur Theologie und Praxis der Caritas und Diakonie durch die Freiburger Caritaswissenschaft, so bei den ökumenischen Kongressen zu Diakonie und Caritas in Lahti/Finnland 1996 und 1998, beim Weltkongress zur Caritastheologie und Caritaskatechese in Rom 1999 64 und dem caritaswissenschaftlichen Europakongress in Warschau 1999 sowie bei der für 2001 in Gerona/Spanien geplanten Tagung zum Thema Solidarität in Europa - Die soziale Dimension des Glaubens in den christlichen Gemeinden. Seit ca. 5 Jahren kommen zunehmend StudentInnen aus dem Ausland zum Studium der Caritaswissenschaft nach Freiburg (z.B. aus Finnland, Litauen, Polen, Georgien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Kroatien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Korea, Taiwan, Indonesien, Uganda, Tansania, Süd- und Nordamerika u.a.). Die Internationalisierung der Caritaswissenschaft - sei es durch Tagungen, durch interuniversitäre Kooperationen, durch internationale Forschungen 65 oder durch die große Zahl ausländischer Studenten der Caritaswissenschaft und der christlichen Sozialarbeit in Freiburg - ist ein weiteres Merkmal der Caritaswissenschaft dieses Jahrzehnts. Ferner trägt die Caritaswissenschaft in Freiburg aktuell dazu bei, dass Führungskräfte in der Lage sind, die Corporate Culture, die Unternehmenskultur, d.h. den Charakter einer Dienstgemeinschaft zu kultivieren 66 . Die Qualität einer helfenden-pflegerischen Dienstleistung 67 , z.B. im Altenheim, im Krankenhaus, in der Sozialstation etc. hängt vom Unternehmensklima einer Dienstgemeinschaft ab. Ist das Betriebs- und Arbeitsklima

64 65

66

67

Vgl. PONTIFICAL COUNCIL COR UNUM (Hrsg.): Acts of the World Congress on Charity. Rom, 1999. Vgl. z.B. Johannes FALTERBAUM: Entwicklungshilfe im nationalen und internationalen Recht. Eine Darstellung ausgehend von christlichen Einrichtungen der Entwicklungsförderung. Würzburg: Echter, 1995.-221 S.; Paul Chuks DIMUDE: Communio et Communitas. Liebe und Ehe in Nigeria. Würzburg: Echter, 1999.-404 S. Diesem Ziel dienen auch eine Reihe von Forschungsarbeiten wie: Burkhard FLOSDORF: Berufliche Belastung, Religiosität und Bewältigungsformen. Würzburg: Echter, 1998.-237 S.; M. Christophora ECKL, M. C.: Unterwegs als Dienstgemeinschaft. Das Pastorale Führungsmodell der Schwestern vom Guten Hirten - ein integrierender Führungsansatz für soziale Organisationen. Würzburg: Echter, 1999.-237 S. Vgl. z.B. G. SCHMID: Seelische Gesundheit –Kraft zum Menschsein. In: Josef ERNST; Stephan LEIMGRUBER (Hrsg.): Surrexit Dominus vere. Erzbischof Johannes Joachim DEGENHARDT (Festschrift für). Paderborn: Bonifatius, 1995.-576 S., 543-558; Thomas LEYENER: Konkrete Kontingenz – Zur Theorie einer wachstumsorientierten seelsorglichen Begleitung der Kontingenzerfahrung in Grenzsituationen. Frankfurt: Lang, 1988.-448 S.; Ulrich MOSER: Identität, Spiritualität und Lebenssinn – Grundlagen seelsorglicher Begleitung im Altenheim. Würzburg: Echter, 2000.-383 S.

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verroht, lieblos, rücksichtslos etc., dann wird auch die helfende Zuwendung entsprechend ausfallen. Entscheidend für die Qualität einer Einrichtung bzw. eines Dienstes ist darum die spirituelle Begleitung einer caritativen Dienstgemeinschaft. Dazu ist es erforderlich, die zentralen christlichen Aspekte einer Dienstgemeinschaft-Spiritualität zu kennen, wie Wahrhaftigkeit, Offenheit, gegenseitiges Verständnis, Wertschätzung, Subsidiarität im Kooperieren etc. 68 Der für die Unternehmenskultur einer Dienstgemeinschaft verantwortliche Personalchef sollte über Kompetenzen der Organisationsentwicklung und der Personalführung verfügen. Er sollte in der Lage sein, induktiv und integrativ Einführungskurse in die christliche Unternehmenskultur von Dienstgemeinschaften anzubieten, sei es für eine ganze Einrichtung oder für die Neueingestellten,

ferner

psychologische

und

christlich-spirituelle

Fallsupervisionen

durchzuführen, Angebote zur spirituellen Unterstützung, Begleitung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterschaft bereitzuhalten 69 , ein Controlling der dienstgemeinschaftlichen Unternehmenskultur 70 vorzunehmen, um feststellen zu können, ob ein Katharsis- bzw. Metanoiaprozess durchgeführt werden muss. Sein und Nicht-Sein eines sozial-caritativen Dienstleistungsangebotes wird ganz entscheidend von der inneren Qualität der Dienstgemeinschaft abhängen 71 . Dies ist für soziale Dienstleistungen („Produktion“ von Beziehungen) wesentlich bedeutsamer als für die Produktion von Waren. Caritaswissenschaftlich kompetente Mitarbeiter werden gebraucht, angesichts des OutSourcens von Aufgabengebieten einer Einrichtung, z.B. Putz- und Reinigungsdienste, Essensservice etc. Sie müssen in der Lage sein, christlich-soziale und individual-ethische Kriterien bei den sogenannten Qualitätsvereinbarungen bezüglich einzukaufender Dienstleistungen und Waren zu definieren. Es geht nicht an, dass Putz- und Reinigungsfirmen in einer kirchlichen Einrichtung arbeiten, die ihre MitarbeiterInnen materiell ausbeuten. Ein solcher Reinigungsdienst verrichtet wegen des hohen Arbeitsdrucks seine Arbeit unfreundlich und unordentlich und beeinträchtigt so die Qualität eines Hauses. Diözesancaritasverbände sollten über Mitarbeiter verfügen, die den Einrichtungen und Diensten Vertragspartner empfeh-

68

69 70 71

Vgl. Heinrich POMPEY: Vorgaben für ein christliches Leitbild einer Dienstgemeinschaft. Hrsg. v. d. ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR GEFÄHRDETENHILFE UND JUGENDSCHUTZ. Freiburg: AGJ, 2000.-26 S. Vgl. Albert WOHLFAHRT: Ehrenamtliches Engagement heute. Würzburg, 1995/19972. Erstellen von sogenannten „Fieber-kurven“, vgl. Heinrich Pompey, a.a.O., 1994. Vier Kriterien sind bei der spirituellen Substituierung der Dienstgemeinschaft im Blick auf die MitarbeiterInnen zu berücksichtigen: 1) Die Freiheit (mit Zwang lässt sich keine Unternehmensspiritualität inkulturieren), 2) Die Gradualität (alle Personen haben einen unterschiedlichen Zugang und eine unterschiedliche Nähe zu den spirituellen Optionen einer Einrichtung), 3) Die Verfehlung (alle Menschen haben ihre Schwächen und können sich verfehlen gegenüber Gemeinschaftsidealen einer Dienstgemeinschaft, so dass eine Kultur des Umgangs mit solchen Verfehlungen erforderlich ist) und 4) Die Kontrolle einer sich destabilisierenden, dienstgemeinschaftlichen Unternehmenskultur.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

219

len können, die über ein sogenanntes „caritativ-soziales Gütesiegel“ verfügen. Ebenso wie es in der frühen Kirche verboten war, unrechtmäßig Geld anzunehmen, so können wir auch heute nicht unrechtmäßige, unethische Arbeit in unseren Einrichtungen tolerieren. Auch verschiedene Rechtsfragen der Caritas stehen beispielsweise heute neu zur Diskussion: Staatskirchenrechtlich hat die freie, sozial-caritative Arbeit der Kirche ihre Legitimation in Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Auf dieser Basis hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung mehrfach hervorgehoben, dass die diakonisch-caritative Tätigkeit der Kirchen Teil ihrer Religionsausübung ist. Dieser Freiraum steht nicht nur der organisierten Kirche selbst, sondern auch den der Kirche zugeordneten Einrichtungen zu, wenn sie institutionell mit der Kirche verbunden sind. Durch diese Rechtslage und der damit verbundenen größeren Unabhängigkeit vom Staat unterscheiden sich Caritas und Diakonie von den übrigen Trägern der Freien Wohlfahrt. Rechtlich wird das Verhältnis von Staat und

Kirche

bzw.

anderen

Trägern

der

Freien

Wohlfahrt

seit

1961

durch

das

Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sowie das Gesetz für die Jugendwohlfahrt (JWG) subsidiär bestimmt. Zugunsten der freien Verbände wird ein „Vorrang“ gegenüber der öffentlichen Wohlfahrtspflege begründet und finanziell abgesichert. Die Rechtsprechung (BVerfG) räumt den Kirchen für das Gebiet des Arbeitsrechts seit 1977 eine kirchenspezifische Selbstbestimmung ein, sei es im Individualarbeitsrecht (Kündigungsschutz), Organisationen,

sei

Verbot

es

im des

Koalitionsrecht Streikrechts,

(z.B. eigenes

eigene

gewerkschaftsähnliche

Betriebsverfassungs-

und

Personalvertretungsrecht u.a.). Individualrechtlich dürfen die Kirchen den Arbeitsverhältnissen das besondere Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft sowie die Identifikation mit dem kirchlichen Auftrag zugrundelegen. Dies bedeutet arbeitsrechtlich eine Lebensführung der Mitarbeiter/innen, die den Grundsätzen der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre entspricht. Verschiedene Zielkonflikte liegen damit auf der Hand, sei es die freie religiöse Selbstbestimmung jedes Mitarbeiters gegenüber dem kirchlichen Selbstverständnis der Caritasarbeit, oder seien es die wohlfahrtsstaatlichen Interessen des Staates (z.B. gleichmäßige, flächendeckende Wohlfahrtsversorgung der Bevölkerung, Gleichbehandlung aller Bürger/ innen, Qualitätssicherung der einzelnen medizinischen und sozialen Dienste, Mittelbegrenzungen u.ä.) in Spannung zum Selbstverständnis christlicher Diakonie (z.B. bedingungslos schenkende Liebe, die nicht alles finanziell aufrechnet; ganzheitliche Hilfe, die nicht nur nach Vorschrift handeln möchte). Die Kirche ihrerseits muss darauf achten, sich nicht zu sehr den Zwängen des Staates anzupassen, damit sie nicht zu einem Leistungsanbieter wird, der sich durch nichts von anderen sozialen Unternehmen unterscheidet, und so eine Einrichtung der Gesellschaft wird, die sich lediglich in kirchlicher Treuhand befindet.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

220

Ferner ist die Stellung der Caritas, insbesondere der Verbandscaritas, gemäß dem Verfassungsrecht der Kirche noch nicht geklärt 72 . Da weder der DCV noch die meisten DiCVs durch die kirchliche Autorität errichtet, sondern lediglich von dieser anerkannt bzw. belobigt wurden, sind sie gemäß CIC 321-326 als private kanonische Vereine anzusehen. Es stellt sich die Frage, ob diese Rechtsstellung - falls die Verbandscaritas einer Diözese den sozial-diakonischen Auftrag der Bistumskirche gänzlich übernimmt - dem theologischen Selbstverständnis der kirchlichen Diakonie gerecht wird. Andere Fragestellungen erheben sich heute neu angesichts des ökonomischen Drucks und der z.T. nicht wettbewerbsfähigen Tarifsysteme der Kirche auf dem Gesundheits- und Sozialmarkt:

Kann

christliche

Diakonie

auch

im

Vorraum

einer

kirchlich-

institutionalisierten Caritas geschehen? Dazu stellen sich folgende Teilfragen: 1. Ist es möglich, sich außerhalb der AVR und der KKV im christlichen Geist ärztlich bzw. pflegerisch durch Gründung und Übernahme von Diensten und Einrichtungen zu engagieren? 2. Welche Probleme und Perspektiven sind dabei zu beachten? Z.B.: theologisch-ekklesiologische Perspektiven, kirchlich-rechtliche Perspektiven, kirchlich-politische Perspektiven (Staat-Kirche in Deutschland), organisations-psychologische Widerstände und Motivationen. Situation: So wird z.B. von Trägervertretern der Ordenscaritas vorgebracht:

Die

engen,

historisch

gewachsenen

Vorgaben

in

der

Sozial-

und

Gesundheitsdiakonie der deutschen Kirche erschweren neue Marktstrategien von sozialen und medizinischen Versorgungseinrichtungen und -diensten. Die Säkularisierung, d.h. die Entchristlichung der Bevölkerung und damit auch potentieller Mitarbeiter läuft weiter. So vermindert sich für Einrichtungen des Caritasverbandes die kirchlich oder christlich geprägte Mitarbeiterschaft. Muss unter diesen Bedingungen das aus der Ordenscaritas entwickelte Dienstgemeinschaftsverständnis organisationsbestimmend bleiben? Fragen: Wie ist es möglich, die Lebensdiakonie für leidende und suchende Menschen aus christlichem Geist - ohne kirchlichinstitutionelle Anbindung aber auch ohne der Kirche zu schaden - in der deutschen Gesellschaft zu realisieren? Ist es möglich, im Vorfeld der amtlichen Kirche gemäß den in Deutschland allgemein geltenden arbeitsrechtlichen wie vereinsrechtlichen Vorgaben, den Kranken- und Altersversorgungsvorgaben etc. sozial-caritativ tätig zu sein? 1. Fallbeispiel: Fachliche und organisatorische Unterstützung von privaten Pflegediensten von Christen und Nichtchristen

72

Vgl. Winfried SCHULZ: Der neue Kodex und die kirchlichen Vereine. Paderborn: Verl. Bonifatius, 1986.-1116 S.. Im neuen kirchlichen Gesetzbuch ist die caritative Diakonie im Gegensatz zu Verkündigung und Liturgie weder in einem Hauptteil noch in einem eigenen Canon beschrieben. Caritas erscheint lediglich im Kontext der Pflichten aller Gläubigen, im Vereinsrecht sowie im Blick auf die Vermögensverwaltung.

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

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Ist es möglich, Trägern von privaten Pflegediensten sowie ihren Pflegern einen Service zu bieten, z.B. a) zur spirituelle Unterstützung ihrer Pflegekultur, b) zur Optimierung ihrer Betriebskultur, c) zur Organisation der Dienste, d) für juristische Fragen, e) für Fortbildung, f) zur politische Artikulation, ganz im Sinne des Frendchaising. Kann ein solcher Dienst durch Orden analog der katholischen Ärztearbeit (Lukasgilden) zur Unterstützung freiberuflich praktizierender Ärzte ebenso wie für freiberuflich praktizierende Pflegedienste organisiert werden? Es geht hierbei um eine Diakonie an den nicht kirchenamtlichen Solidaritäts- und Hilfediensten bzw. Praxen unseres Landes. Einrichtungen die dieses Diakonieangebot in Anspruch nehmen, könnte man ein Gütesiegel verleihen, vgl. Qualitätsplaketten für Hotels und Gaststätten. Gilt hier nicht das Prinzip: Kirchlich nicht organisierte Sozial- und Hilfsdienste sind nicht auszugrenzen bzw. zu bekämpfen, sondern eher diakonisch zu unterstützen. 2. Fallbeispiel: Übernahme staatlicher bzw. kommunaler Krankenhäuser unter Beibehaltung der Vergütungsvorgaben der BAT etc. Diese Frage stellt sich z.B. in den neuen Bundesländern, wo kein christliches Personal zu rekrutieren ist, und darum auch keine christliche Einrichtung entstehen kann. 3. Fallbeispiel: Errichtung von Betriebsgesellschaften für Pflegedienste ohne AVR etc. Ist es möglich, Betriebsgesellschaften für Pflegedienste zu gründen, die außerhalb der Amtskirche betrieben werden, ähnlich wie es Dienstleistungsunternehmen gibt, die von christlichen Unternehmen geführt werden und die ihr Management nach dem christlichen Menschenbild ausrichten? Folgende sozialethische Kriterien müssten dabei jedoch praxisleitend sein: So z.B. die von den BKU-Unternehmern vertretenen sozialethischen Selbstverpflichtungen als Mindeststandard für die geleistete Pflege- und Beratungsarbeit wie für das Miteinander der Belegschaft und der Firmenleitung. Ein solches christliches Unternehmern muss einem Vater mit 7 Kindern Arbeit geben, obwohl das Unternehmen für den gleichen Lohnaufwand 2 Personen einstellen könnte. Es stellt sich die Frage, ob nicht von solchen Dienstleistungsunternehmen und einrichtungen die Betriebsformen der gGmbH gewählt werden kann. Die unbestritten bedenkliche Praxis von Herrn Doerfert der CTT (Caritas Trägergesellschaft Trier) hat gezeigt, das sich auch mit dieser Unternehmensform betriebswirtschaftlich effizient arbeiten lässt und Gewinne erwirtschaften lassen, die sich im Gegensatz zu Herrn Doerfert zum Wohl der Leidenden wieder einsetzen ließen. Warum ist es in einer solchen gemeinnützigen Pflegedienstleistungsfirma nicht möglich, dass leidende Mitarbeiter eine leistungsbezogene Entlohnung erhalten? Gilt nicht auch hier das Prinzip: Jede

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Arbeit ist ihres Lohnes wert. Oder bedeutet diese Praxis ein Akt der Unsolidarität, d.h. gewinnträgliche Einrichtungen und Dienste werden privatisiert und uneffektive Einrichtungen bleiben bei der Caritas. 4. Fallbeispiel: Gewinnorientierte Unternehmensführung von Wohnstiften für Reiche zur Unterstützung von armen Alten Die Sicherung einer qualitativen Pflege ist im Blick auf Pflegekosten und Hotel-Kosten in Zukunft nicht für alle Menschen gesichert. Darum stellt sich die Frage: Besteht die Möglichkeit, ein Altenheim mit betriebswirtschaftlicher Gewinnmaximierung zu führen, so dass mittels der erbrachten Gewinne z.B. bei 100 HeimbewohnerInnen 10 weitere HeimbewohnerInnen, die nicht in der Lage sind, die Hotelkosten zu zahlen, eine hochqualifizierte Unterkunft zu bieten im Sinne des sozialethischen Prinzips: Solidarität der reicheren Alten mit ärmeren Alten. Der hohe Leistungsstandard einer solchen Senioren-Wohnanlage ist eine Voraussetzung für die höhere Gewinnerwirtschaftung. Dies dürfte vermutlich mit Verzicht auf staatlich-kommunale Zuschüssen für ein solches Haus verbunden sein. 5. Fallbeispiel: Familienpflegeheim einer Gemeinde Ein Familienpflegeheim kann ebenfalls zur Sicherung einer qualitativen Pflege in Zukunft eine weitere Möglichkeit darstellen. Angehörige, die möglicherweise eine zu kleine Wohnung besitzen, nehmen gemeinsam ihre Pflegeaufgabe für ihre Angehörigen wahr. Eine Pfarrgemeinde stellt für pflegende Angehörige ein größeres Gebäude zur Verfügung, das für die Familienpflege hergerichtet ist. Die Angehörigen leisten die sogenannte Hotelversorgung, wie sie sonst zu Hause üblich wäre und übernehmen sogenannte einfache häusliche Pflegedienstleistungen. Dabei unterstützen sie sich gegenseitig und übernehmen auch Aufgaben für andere pflegende Angehörige, so dass diese ihrerseits Hilfsdienste bei Bedarf zurückgeben können. Alles wird mit dem PC und mit Hilfe eines Stechkartensystems registriert, so dass Dienstleistungspunkte erworben werden können. Eine mit dem kirchlichen Familienpflegeheim verbundene Sozialstation, z.B. des Stadtcaritasverbandes übernimmt gemäß den Pflegesatzverordnungen und -bezahlungen die Pflege in diesem Haus. Das praxisleitende sozialethische Prinzip: Unterstützung der Solidarität pflegender Angehörigen, ist dabei praxisleitend. Ein weiterer sozialethisch positiver Effekt kann sich möglicherweise dadurch einstellen, dass nach dem Sterbefall des Angehörigen die pflegenden Angehörigen weiterhin ehemalige Familienpflegeheimbewohner betreuen möchten, die sie im Rahmen der gegenseitigen Hilfe kennen gelernt haben und mit denen sie verbunden fühlen. Jede Zeit bringt ihre Probleme, stellt ihre Fragen und fordert verantwortbare Reaktionen und Antworten für die Praxis der Caritas der Kirche. Ein

Heinrich Pompey, Caritaswissenscahft im Dienst der Kirche

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entscheidender Gesprächspartner kann dabei die Caritaswissenschaft sein, wie die genannten Problemfälle veranschaulichen. Sehr gut lässt sich der Dienst der Caritaswissenschaft an der caritativen Diakonie der Kirche mit den Worten von Johannes Paul II. im Blick auf die erforderliche Absicherung des „Christlichen Profils der Einrichtungen, die im Namen der Kirche wirken“ verdeutlichen 73 : „Der Wahrheit im Glauben muss die Wahrhaftigkeit im Leben entsprechen. Durch den mannigfaltigen Einsatz ist die Kirche ohne Zweifel in vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft Eures Landes präsent, was selbst von Kreisen anerkannt wird, die ihr fernstehen. Damit dieses Engagement jedoch nicht ihrer eigentlichen Sendung schadet, bitte ich Euch, das christliche Profil der Einrichtungen, die im Namen der Kirche wirken, zu prüfen und gegebenenfalls zu schärfen. Denn eine rein horizontale Nächstenliebe muss immer wieder von der Vertikalen der Gottesliebe durchkreuzt werden. Das Kreuz ist ja nicht nur ein Erkennungszeichen, das wir Bischöfe auf der Brust tragen. Es ist das große Plus, das unser christliches Profil ausmacht. Deshalb soll in den katholischen Häusern das Kreuz mehr sein als ein Schmuckstück oder ein Einrichtungsgegenstand. Es sei das Markenzeichen, unter dem der unermüdliche Einsatz der zahllosen kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im sozialen, schulischen und kulturellen Bereich steht. Unter den Armen des Kreuzes gedeiht die „Kultur des Lebens“, wo gerade die Menschen geborgen sind, die sonst allzu schnell hinausgedrängt werden: vor allem die Ungeborenen und Todgeweihten. Deshalb muss man die geistliche und moralische Formung des Personals in den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Einrichtungen in jeglicher Hinsicht fördern! Denn echte Solidarität mit den Menschen braucht feste Solidarität in Gott. Durch die Sendung seines Sohnes in die Welt hat Gott gezeigt, dass er ein leidenschaftlicher „Freund des Lebens“ (Weish 11,26) ist.“ So

steht

die

Caritaswissenschaft

im

Dienst

an

der

Glaubwürdigkeit

und

Zukunftssicherung der Sendungsaufgabe der Kirche.

73

„Das christliche Profil der Einrichtungen, die im Namen der Kirche wirken“, Ansprache des Papstes an die deutschen Bischöfe beim Ad-Limina-Besuch, 8.-20. November 1999.