Aus dem 1. Brief des Johannes, aus dem 2. Kapitel :

1: 12. 01. 14 Aus dem 1. Brief des Johannes, aus dem 2. Kapitel : „ Meine Kinder, es ist die letzte Stunde. Ihr habt gehört, dass der Antichrist komm...
Author: Anke Abel
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Aus dem 1. Brief des Johannes, aus dem 2. Kapitel : „ Meine Kinder, es ist die letzte Stunde. Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt, und jetzt sind viele Antichristen gekommen. Daran erkennen wir, dass es die letzte Stunde ist.“

Meine Kinder, - es ist die letzte Stunde! , - soweit die Anrede des Johannes, über den wir biographisch nichts wissen – vielleicht ist er identisch mit dem Verfasser des gleichnamigen Evangeliums – Anrede an eine Gemeinde, von der wir gleichfalls nichts wissen, außer, dass sie wohl in Kleinasien gelegen hat. Was wir aber nicht nur ahnen, sondern begründet vermuten dürfen, ist, dass Johannes mit diesem ersten kurzen Satz, dass denn nun die letzte Stunde gekommen sei, direkt - um es in der Sprache der Psychoanalyse zu sagen.- das Urtrauma der ersten christlichen Gemeinden im Auge gehabt hat: Die ausbleibende und letztlich ausgebliebene Wiederkunft Christi. . So einen ganz schwachen Nachklang dieses traumatischen Erschütterung haben wir eben alle noch mehr oder minder unbewusst anklingen lassen, als wir bekannten: Von dort wird Er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten! Doch ein solcher Bekenntnis Satz heute Morgen gemeinsam gesprochen, ist nichts gegen den Enthusiasmus eines Paulus oder Johannes, die fest davon überzeugt waren, diese Wiederkunft Christi auf dieser Erde noch zu erleben und damit , und das ist das Entscheidende-, ihren eigenen Tod zu überleben, Aus dem irdische Leben direkt in das ewige Leben – das hieß für sie und viele andere: Warten, ja festes Rechnen mit der Wiederkunft Christi.

Nun ist die letzte Stunde für diese Welt bis heute nicht gekommen , die erste Christenheit hat es voller Enttäuschung hingenommen, zum Teil wirklich traumatisch erschüttert, Gemeinden sind daran kaputt gegangen, doch seitdem wartet die Christenheit eben weiter auf das Ende dieser Schöpfung und den Anbruch einer neuen, ewigen göttlichen Welt unter der Herrschaft Jesu Christi. Realistischer gesagt, wartet sie, die Kirche, darauf In der theologischen Theorie - im alltäglichen Gemeindeleben ist für diese Überzeugung ganz wenig Platz und im sonntäglichen Umgang mit dieser dogmatisch korrekten Grundüberzeugung haben sich allenfalls versteckte Wege eröffnet, damit umzugehen, aber am besten ist, es gar nicht anzusprechen, diese erwartete Wiederkunft. Kirche ist eben das Volk Gottes auf der Wanderschaft durch die Zeiten, dem Herrn entgegen, aber dass ER uns unvermutet entgegenkommt, und dass das vielleicht im

2: nächsten Moment geschehen könne, das ist eine Hoffnung , die auch bei den Hirten und Hirtinnen der Gemeinde in der Regel nicht vorkommt und bei der überwiegenden Mehrzahl der Schafe längst eingeschlafen ist. Das aber muss kein bleibender Schaden für den Glauben sein. Zum einen ist die Relevanz eine solche Hoffnung immer auch zeitabhängig: Zur Zeit des Johannes steht die christliche Kirche bereits massiv unter Druck, die Lebensumstände sind miserabel, und die Lebenserwartung liegt unter 40. Da steigt schon die Erwartung, ja die verzweifelte Hoffnung, es möge jetzt ganz schnelle vorbei sein, soll ER doch bitte bald kommen, m damit alles möglichst schnell vorbei sei.– Wir heute, denen zum Teil ja schon die Gelassenheit des Alters geschenkt wurde und die wir zum großen Teil ja auch ganz gut in dieser Welt leben, können das wahrscheinlich nur schwer noch nachempfinden. zum anderen ist prinzipiell alles, was wir als Kirche an Dogmen, katechetischen Lehrsätzen etc. haben, so eine Art Ausrüstung für verschiedene Notfälle und Stufen des Lebens. Es kann sein, dass in meinem Leben auch der Satz von der Wiederkunft Christi wichtig wird, dass mir persönlich die Vorstellung, nicht nur ich gehe Gott entgegen, sondern er kommt mir auch entgegen, ganz wichtig werden wird. Gut, wenn ich dann weiß, worum es letztlich geht. Aber zurzeit treibt mich religiös eben anderes um Von daher bin ich vorsichtig mit der Aussage: Das kann ich nicht glauben. Besser ist es, zu sagen: Das kann ich zurzeit noch nicht glauben ! Aber, ich weiß nicht, was auf mich zukommen wird. Die letzte Stunde ist also noch nicht gekommen, Die Kirche wartet weiter, bewusst oder unbewusst, auf die Ankunft ihres Herrn, schweigt weitgehend zur ersten großen Enttäuschung, wobei manche Christen dann einen zweiten Weg damit umzugehen, gewählt haben, Und das ist die ängstliche Beobachtung der Zeit. Das NT geht davon aus, dass die Endzeit dieser Welt von riesigen Katastrophen vom Krieg bis hin zu Erdbeben unvorstellbaren Ausmaßes eingeleitet werden wird, dass, modern gesagt, eine kollektive Katastrophe die Menschheit erfassen und mit Vernichtung bedrohen wird, und dann wird ER wiederkommen. Uns allen vermutlich etwas fremd diese Vorstellung aber neutestamentlich legitim und menschlich sehr verständlich. Und natürlich gibt es die dritte radikale Lösung.- die Hoffnung auf Wiederkunft und Verwandlung der Welt wird gestrichen. Endgültig. Vergessen wir nicht, dass die großen ideologischen Entwürfe aus dem 19. und 20. Jahrhundert von

3: Kommunismus, Sozialismus bis hin zum Faschismus letztlich nichts anders sind als säkularisierte Jenseitshoffnungen – da hat die christliche Kirche das Urheberrecht. Von Marx bis Engels, sie waren alle bibelfest, wussten von christlicher Hoffnung, aber warten wollten sie dann nicht mehr! Wir schaffen das Paradies selbst, hier und jetzt. Und an dieser Stelle ist nun eine kleine Hommage an einen der bedeutendsten aber auch hochgradig exzentrischen Studenten dieser unserer Universität fällig, an Friedrich Nietzsche. Altphilologie und Theologie hat er hier getrieben und 1888 ein kleines Büchlein geschrieben mit dem Titel „ Der Antichrist. Fluch auf das Christentum.“ Es ist die Generalabrechnung des Pfarrersohnes Friedrich Nietzsche mit dem Christentum, die Verfluchung dieses Glaubens und die Aufforderung an seine Zeit, diesen Gott, ja die ganzen Jenseitshoffnungen endgültig hinter sich zu lassen, nur noch auf den Fortschritt und die die Entwicklung des Menschen zu setzen, der zum Übermenschen werden könne, wenn er erst sich von diesem Christengott und seiner Sklavenmoral löse. Nietzsche ist nicht dafür verantwortlich, dass die NS – Ideologie seine Gedanken verfälscht, missbrauchte, aber dem Begriff des Antichristen hat er schon an dieser Stelle zur zweifelhaften Popularität verholfen. Diesem Begriff, den unser Johannes hier in die Literatur eingeführt hat. . „ Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt. Und jetzt sind viele Antichriste gekommen.“ Hätte es übrigens damals, so um 100 nach ein Copyright gegeben, Johannes hätte es beanspruchen können, denn nur hier, an dieser Stelle kommt in der ganzen Bibel dieser Begriff, der es durch Nietzsche zur philosophischen Weltkarriere gebracht hat, vor. Doch nun, hoffentlich nicht zu spät, die entscheidende philologische Vorbemerkung, damit wir nicht auf antichristliche Abwege geraten, und die Bemerkung wird sie vielleicht überraschen: ANTÌ heißt nicht in unserem Sinne „anti“ also dagegen, sondern korrekt aus dem Griechischen übersetzt: „an statt von“, an Stelle für – Also ist Antichrist die Person oder auch die Macht, die an Stelle Christi tritt, die vorgibt, Christus zu sein und in Wirklichkeit jemand anders ist, und es sind auch die Menschen, die vorgeben, an Jesus Christus, wie das NT ihn bezeugt, die aber in Wirklichkeit einen ganz andere Christusfigur an seine Stelle setzen, auch die gehören zu Gruppe der Lügner und Antichristen. Und hier noch eine faire Anmerkung zu Nietzsche, verstehen sie ihn bitte unter dieser philologischen Voraussetzung. Wenn er in seiner Schrift sagt: Ich Friedrich Nietzsche bin der Antichrist, dann versteht er sich nicht als größenwahnsinnigen Weltherrscher, sondern als stellvertretenden Menschen, der alle Menschen auffordert, nicht auf eine wiederkommenden Christus zu warten, sondern die Sache der Weltrettung selbst in die Hand zu nehmen, eben Anti – Christen zu werden.

4: . Doch zurück zu Johannes, der sie vor Augen hat, die Antichristen seiner Zeit. Und wenn wir das Wort Antichrist eben korrekt wieder geben, dann haben wir , detektivisch gesagt, auch eine ganz heiße Spur, zu ergründen, wen Johannes hier eigentlich als Gegner, eben als Antichristen vor Augen hat. Und jetzt, ich bitte um Nachsicht, das geht nicht ganz ohne Geschichte. Als ob es denn mit der ausbleibenden Wiederkunft Jesu schon nicht genug Schwierigkeiten gegeben hätte, deutet sich um die Zeit schon ein weiteres Problem an: Jesus von Nazareth, der Mensch, der gelitten hat und gestorben ist als Mensch – und Jesus Gottes Sohn, oder wie es im Bekenntnis heißt: aus Gott geboren und damit Teil Gottes –wie hat der einfache Gläubige sich das in einer Person vorzustellen Gott und / oder Mensch? Und die einfachen Gläubigen haben sehr früh damit angefangen, darüber nachzudenken, und dann war eben auch der Gemeindeleiter Johannes gefordert. Johannes hat es wahrscheinlich noch mit relativ einfachen Positionen an der Stelle zu tun gehabt: eine wohl sehr starke Fraktion in seinem Umkreis, sog. Gnostiker hat den realen Menschen Jesus abgelehnt. Jesus Christus war und ist Gott, und sein Körper, sein Leib, das ist nur eine äußere Hülle, Verkleidung für die Göttlichkeit, darum hat er auch nicht wirklich gelitten oder ist gar gestorben. Das schien nur so, die Zeichen des Leidens und des Todes waren nur an der äußeren Hülle sichtbar, aber sie betrafen nicht ihn selbst. Gott leidet nicht und er stirbt nicht. Vermutlich war das das eine Extrem, das andere war dann Extrem wohl die radikale Gegenposition: Jesus war Mensch, voll und ganz, nichts anderes und wenn schon Auferstehung, dann so, dass Gott den Menschen Jesus aus dem Tod rausgeholt, zu sich geholt hat, als den ersten, den Anfänger im Glauben, dem wir als Christen nachfolgen werden. Darum trägt er mit Recht den Titel Christus! Geworden ist aus diesem Streit sehr bald nach dem Tod des Johannes eine heftige Auseinandersetzung, die über Jahrhunderte gedauert hat, zu politischen Frage und damit zur Machtfrage wurde und bis heute die Christenheit spaltet. Dazu nur eine kleine Illustration. Sie haben mitbekommen, dass die Christen in den Ostkirchen Weihnachten später feiern, und aus Ägypten haben sie etwas von den koptischen Christen gehört, und wenn sie eine gute Reportage mitbekommen haben, dann war da auch die Rede davon, dass die Kopten Monophysiten sind. D.h. Jesus war zwar der äußeren Gestalt nach als Mensch, der aber in sich nur eine Natur hatte, nämlich die göttliche, physis im griechischen, auf Deutsch Natur. Die Westkirchen reden in Bekenntnisschriften reden da eher von zwei Naturen, menschlich und göttlich, die in Christus nebeneinander existieren.

5: Doch Theologen sind sich ausnahmsweise darüber mal einig, dass man solche Vorstellungen einfach mal so stehen lassen soll. Wir haben eine solche Vorstellungswelt nicht mehr. Und sicher auch nicht mehr die Sucht, etwas möglichst genau beschreiben zu wollen, was nicht zu beschreiben ist. Geheimnis des Glaubens heißt es nicht umsonst . Und grundsätzlich gilt für diesen Streit – die sog. christologische Auseinandersetzung, die sich über viele Jahrhunderte erstreckte: sie war etwas, was am einfachen gläubigen Volk völlig vorbeiging und um endlich aus der Historie wieder aufzutauchen, bis heute vorbeigeht. Wenn wir Glauben ernst nehmen, dann treibt uns anderes um! Was brauchen und wollen und haben wir den letztlich? Einen Gott, der nicht fern ist, sondern im Menschen Jesus Christus gezeigt hat, dass die Liebe zu uns Menschen sein Handeln in diese Welt bestimmt, und sei diese Liebe manchmal auch noch so verborgen. Wir brauchen, wollen und haben mit Jesus einen Menschen im vollsten Sinne des Wortes, lebend, leidend und sterbend , der als erster den Weg gegangen, den wir alle gehen werden, in den Tod und durch den Tod hindurch zu Gott, den wahrhaft exemplarischen, vorbildlichen Menschen, der als erster das Ziel erreicht hat. Und wir brauchen, wollen und haben einen Gott, der diesen Menschen Jesu in seine die ewige Sphäre aufnimmt , ihm Raum in sich gibt, den wir darum mit vollem Recht auch Gottes Sohn als Teil Gottes nennen und anbeten dürfen.

Bleiben wir im Bild des wandernden Volkes Gottes, das Johannes auch kennt. Das Volk, also wir, ist unterwegs, Gott entgegen, und um den Abgrund zwischen Zeit und Ewigkeit zu überwinden, bedarf es einer Brücke. Und diese Brücke ist für uns Jesus Christus, geboren in Bethlehem. Und damit sie uns wirklich über den Abgrund trägt, muss sie auf beiden Seiten verankert sein und beides untrennbar verbinden, und an beiden Seiten des Ufers, diesseitig und jenseitig steht Jesus, Gott und Mensch - in ihm ist die Brücke verankert! Sie merken, liebe Gemeinde, Christologie heute, reden über Jesus Christus, geht nur über Bilder, die uns erreichen, uns unmittelbar berühren. . Und da wir am Beginn eines neuen Jahres stehen, wo es auch um Orientierung und Planung geht, lassen Sie mich da eine etwas unfreundliche Bemerkung anschließen. Wir werden in beiden Konfessionen mit einer Fülle von Rundschreiben und Denkschriften manchmal überschüttet. In der Regel betreffen sie Fragen der Ethik und Moral. Alles ganz gut. Nur: wer sagt uns mal wieder – und zwar verständlich und

6: umsetzbar fürs Leben - etwas von den Grundlagen, davon, wie Jesus Christus heute zu fassen, zu glauben ist, als Mensch und Gott. Da hab ich wenig gefunden, und glauben sie mir, in Bibliotheken kenne ich mich aus. Es fehlt leider, auch wenn es pauschal klingt, in vielen Gemeinden an handfester Arbeit und Information über die Grundlagen unsers Glaubens, und da steht nun mal die Person Jesu im absoluten Mittelpunkt. Und jetzt, liebe Gemeinde, verstehen Sie vielleicht auch, warum unser Johannes hier so hart einsteigt, von Antichristen und Lügnern redet, die diesen Jesus, von dem das NT redet, durch eine andern ersetzen wollen. Warum er Gott und Mensch in Jesus zusammenhalten will und muss. : Nicht aus dogmatischer Rechthaberei heraus , sondern in einem Aufschrei existentieller Betroffenheit. Nur wenn diese Jesus, auf dessen Namen wir getauft sind, nach dem wir Christen heißen, beides in sich trägt, das menschliche und das göttliche, dann werden auch wir Anteil an beidem haben, am menschlichen Leben, das wir haben und am göttlichen Leben, auf das wir warten. Amen.

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