Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassung und Ausblick VI. Zusammenfassung und Ausblick Als Barbara Engl, BDKJ-Diözesanvorsitzende aus München, im Jahr 1980 ihre kritischen F...
Author: Anna Hertz
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Zusammenfassung und Ausblick

VI.

Zusammenfassung und Ausblick Als Barbara Engl, BDKJ-Diözesanvorsitzende aus München, im Jahr 1980 ihre kritischen Fragen an Papst Johannes Paul II. richtete, stockte wohl nicht nur den Organisatoren der Veranstaltung kurzzeitig der Atem. Auch den übrigen Anwesenden, der BDKJ-Bundesführung sowie der vor Ort vertretenen Presse dürfte sich recht bald – vor allem nach dem schnellen Rückzug des Heiligen Vaters – die Frage nach möglichen Konsequenzen dieses als heikel und provokant wahrgenommenen Zwischenspiels der päpstlichen Deutschlandreise gestellt haben. Ihre Stellungnahme, so wurde recht bald klar, hatte Engl aufgrund einer organisatorischen Panne auf kommunikativer Ebene zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Leiter der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge Walter Böcker, beziehungsweise seinem Vertreter in München, Jugendpfarrer Josef Obermaier abgeben können. Zwar war der Text bereits im Vorfeld durch Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz mit „einigen Veränderungen versehen“ und in dieser gekürzten Version nach Rom übermittelt worden, gleichzeitig aber hatte Kardinal Josef Ratzinger ohne Kenntnis der bereits erfolgten Zensur seine Zustimmung zur ungekürzten, ersten Fassung gegeben und diese an Engl und den BDKJ zurückgeleitet.528 Engl hatte ihre Stellungnahme demnach keinesfalls als provokante Störung oder überraschenden Affront gegen den Heiligen Vater geplant, sondern in dem Glauben vorgetragen, ihre Fragen seien den zuständigen Organisatoren im Vorfeld bekannt gewesen. Wohl auch aus diesem Grund blieb ihre Ansprache, abgesehen vom kurzweiligen Interesse deutscher Medien und einer gewissen Unruhe in der Deutschen Bischofskonferenz und dem BDKJ während der folgenden Tage ohne weitere Konsequenzen, zumindest was Engl und den BDKJ anbelangte. Nichtsdestotrotz

kann

die

kritische

Stellungnahme

der

BDKJ-

Diözesanvorsitzenden in München keineswegs als einmalige, lediglich auf einen ungünstigen Zufall zurückzuführende Angelegenheit verbucht werden. 528

„Wie kam es zu den Reden der Jugendvertreter?“ In: ID vom 30.11.1980. Nr. 23. S. 263f.

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Schließlich hatten junge Katholikinnen und Katholiken bereits 1968 sowohl auf dem Katholikentag in Essen als auch auf dem Deutschlandtreffen der KJG in Münster – und damit bereits ein gutes Jahrzehnt vor Engls Begegnung mit dem Papst – ganz ähnliche Fragen an die dort anwesenden Bischöfe gerichtet und lautstark innerkirchliche Reformen, vor allem in Bezug auf die als zu rigide wahrgenommenen, amtskirchlichen Moralvorgaben in punkto Sexualität und Partnerschaft eingefordert. Für die vorliegende Studie ergab sich daher die spannende Frage nach der Phase zwischen 1968 und 1980, da gerade vor dem Hintergrund des allgemeinen,

gesellschaftlichen

Wandels

sowie

der

innerkirchlichen

Reformbestrebungen seit dem Zweiten Vatikanum ein Diskursstillstand vor allem zu den in Essen, Münster und München angesprochenen Themen höchst unwahrscheinlich erschien. Die Studie richtete ihren Blick auf den BDKJ, der als Dachverband die Belange der katholischen Jugendarbeit sowohl inner- als auch außerkirchlich vertrat und einerseits zwar Teil des konservativen Systems katholische Kirche war, andererseits aber genau das Klientel ansprechen sollte, das den gesellschaftlichen Wandel am nachhaltigsten mittrug. Um darlegen zu können, wie sich die ab Mitte der 1960er Jahre immer deutlicher

zutage

tretenden

gesellschaftlichen

Veränderungen

auf

die

katholische Jugendarbeit, ihr Selbstverständnis sowie ihr Verhältnis zur Amtskirche, besonders in Bezug auf geschlechterspezifische Themen auswirkten, zeichnete die Studie für einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren zum einen die Organisationsgeschichte des BDKJ nach, richtete ihren Fokus darüber hinaus aber vor allem auf die Genese geschlechterrelevanter Diskurse. Dabei stand im Besonderen die Frage im Vordergrund, wie der BDKJ als Dachverband

der

katholischen

Jugendorganisationen

mit

den,

oftmals

gegensätzlichen Werte- und Normenvorstellungen umging. Darüberhinaus sollte die Studie aber auch Antworten auf die Frage geben, wie viel 'Platz' die Amtskirche der 'Welt' seit dem Zweiten Vatikanum im Laien-Raum der katholischen Kirche zugestand, beziehungsweise wie viel Platz sich die 'Welt' im Zuge dieser Entwicklungen einfach selbst nahm und wie die Amtskirche auf diese Herausforderung reagierte. 206

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Bereits bei seiner Gründung im Jahr 1947 war der BDKJ als Kompromisslösung gestartet: Einerseits sollte er dem Bedürfnis einzelner Verbände und Bünde nach Autonomie und Eigenverantwortlichkeit gerecht werden, andererseits die Einheit katholischer Jugend gewähren und nach außen demonstrieren. Von Anfang an bestand für ihn daher das Problem seiner Profilierung – vor allem in Bezug auf seine Mitgliedsverbände –, das bereits in den 1950er Jahren immer deutlicher vernehmbar wurde und schließlich ab Mitte der 1960er Jahre die Zukunft des BDKJ gänzlich in Frage stellte. Als Reaktion auf die Ablehnung durch die eigenen Mitgliedsverbände sowie aufgrund stetig sinkender Mitgliederzahlen setzte die Hauptversammlung 1966 eine Strukturkommission ein, die, neben zahlreichen Veränderungen die Organisation und den Aufbau des BDKJ betreffend, vor allem eine umfangreiche Neuorientierung im Bereich der Bildungsarbeit einläutete. Bereits die Nachzeichnung der Organisationsgeschichte im Rahmen der vorliegenden

Studie

ließ

die

unmittelbaren

Konsequenzen

des

gesellschaftlichen Wandels und damit die steigende Bedeutung 'der Welt' für die katholische Jugendarbeit erkennen: Das 'Katholischsein' verlor unverkennbar mehr und mehr von seiner einstigen Bindekraft. Für den BDKJ bereits in den 1950er Jahren spürbar, beschleunigte sich dieser Prozess während der 1960er Jahre nochmals deutlich und geriet dem Bund so endgültig zur existentiellen Frage. Als Antwort auf diese Entwicklungen sollte der BDKJ, so der

Vorschlag

der

Strukturkommission,

auf

organisatorischer

und

pädagogischer Ebene 'moderner' und damit sowohl für seine Mitgliedsverbände als auch vor allem für die durch das expandierende Freizeit- und Konsumangebot anspruchsvoller gewordenen Jugendlichen attraktiver werden. Der Trend der zunehmenden 'Verweltlichung' des BDKJ zeigte sich deutlich auch im Kontext der im BDKJ geführten Diskurse zu den sich verändernden Rollen- und Geschlechterbildern von Männern und Frauen sowie den damit eng verknüpften Themengebieten Sexualität, Partnerschaft und Koedukation. Besonders die Langzeitperspektive lieferte in diesem Zusammenhang Aufschluss

darüber,

wie

nachhaltig

die

weitreichenden

gesellschaftlichen

Veränderungen – vor allem im Bereich der Geschlechterbeziehungen – auf die 207

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pädagogische Ausrichtung aber auch das Selbstverständnis des BDKJ wirkten. Gleichzeitig verdeutlichte diese Forschungsperspektive aber auch, wie schwer sich insbesondere die Amtskirche mit einigen dieser Veränderungen tat, welchen Einfluss dies wiederum auf die Entwicklung der innerverbandlichen wie innerkirchlichen Diskurse nahm und welche Konsequenzen sich daraus für die Ausrichtung der Bildungsarbeit ergaben. Für alle Themenbereiche ließen sich drei verschiedene Phasen der Diskursentwicklung ausmachen: 1. Phase: Ab 1947 bis in die frühen 1960er Jahre griff der BDKJ zunächst insbesondere hinsichtlich

der

Geschlechterfrage

auf

altbekannte

Organisations-

und

Deutungsmuster zurück und hielt sowohl an der bereits vor dem Krieg propagierten strikten Geschlechtertrennung als auch an der naturrechtlichen Begründung der Geschlechterdifferenz und somit am Konzept der vermeintlich ‚natürlichen‘ und durch das Alte wie das Neue Testament präjudizierten Polarität der Geschlechter fest. Der Bund propagierte in diesem Zusammenhang ein Frauenbild, das von katholischer Seite bereits seit über einem halben Jahrhundert immer wieder als Symptom für (symbolhaft personalisiert in 'Eva'), sowie Mittel gegen (symbolhaft personalisiert

in

'Maria')

den

Zerfall

von

Familie

und

Gesellschaft

heraufbeschworen worden war und orientierte sich auch in Bezug auf seine männliche Klientel an Vorstellungen von Männlichkeit, die bereits während der 1920er Jahre als Ideal des „guten, katholischen Jungmanns“ Einzug in die katholische Jugendbewegung genommen hatten. Es waren in dieser Hinsicht vor allem die BDKJ-eigenen Jugendzeitschriften, die als pädagogisches Mittel auf die Gegenüberstellung positiver und negativer Geschlechterbilder setzten und vor allem vor den vermeintlich falschen Idealen der „Schaumgöttinnen und Schaumgötter“ der Kinoleinwände und Zeitschriften warnten. Einer ähnlichen Herangehensweise bediente sich der BDKJ auch im Rahmen seiner Sexualerziehung, die bis in die 1960er Jahre hinein primär auf 208

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der Vermittlung von Prinzipien wie Zucht und Selbstbeherrschung gründete und vor allem die Bedeutung der Tugenden „Keuschheit“ und „Jungfräulichkeit“ hervorhob. Dabei verzichtete man weitgehend auf Gespräche mit den Jugendlichen. Stattdessen beschränkte man sich vorwiegend auf Mahnung und Belehrung. Auch in diesem Zusammenhang, die zunehmende „Sexualisierung der Gesellschaft“ als dunkles Szenario vor Augen, galten den Verantwortlichen vor allem die aus ihrer Sicht durch und durch negativen Einflüsse der 'modernen Welt' als Gefahr für Anstand und Sitte und damit als Verlockungen, vor denen katholische Jugendliche durch eigene, kircheninterne und damit moralisch einwandfreie Angebote geschützt werden sollten. Zwar wurde bereits ab Mitte der 1950er Jahre immer deutlicher, das diese protektionistischen Maßnahmen die jungen Katholikinnen und Katholiken nicht in den katholischen Jugendorganisation zu halten vermochten, sondern vielmehr einen gegenteiligen Effekt auslösten, dennoch liefen die Überlegungen zu möglichen 'Modernisierungsmaßnahmen' zunächst nur schleppend an. Noch schien man sich gegen die Erkenntnis des zunehmenden Einflusses 'der Welt' auf die Ausrichtung katholischer Jugendarbeit weitestgehend zu sträuben und glich das pädagogische Angebot nur widerstrebend den Wünschen und Vorstellungen Jugendlicher an. 2. Phase: Erst ab Mitte der 1960er Jahre nahmen die Diskussionen schließlich an Fahrt auf. In diese Phase der ersten Hälfte des „Wertewandelschubs“529 fielen nicht nur die gravierendsten Veränderungen, die der BDKJ bezüglich seiner Einstellungen

zu

den

untersuchten

Diskursschwerpunkten

durchlief,

zweifelsohne erfuhr auch der Prozess des 'Diskutierens' und Auslotens etwaiger Probleme in diesen Jahren die höchste Intensität und Beschleunigung. Diese Entwicklung beschränkte sich dabei keineswegs auf den BDKJ, sondern stellte ein gesamtgesellschaftliches Phänomen des gesellschaftlichen Wandels dar. Flankiert wurden die Diskurse des BDKJ um Geschlechterrollen, 529

Klages: Werte und Wertewandel. In: Schäfers/Zapf (Hrsg.): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. S. 726-738. S. 730f.

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neue Partnerschaftsmodelle, Sexualität und Koedukation daher von zum Teil intensiven, öffentlichen Auseinandersetzungen zu 'neuen Frauen und Männern', von Argumenten Für und Wider alternativer Lebensformen oder von Debatten über die Vor- und Nachteile koedukativen Unterrichts. Diese deutlichen Themenüberschneidungen zeigen, dass im BDKJ die Grenze zwischen 'weltlichen' und 'kirchlichen' Belangen kaum noch auszumachen war: Was öffentlich diskutiert wurde, war auch Thema im BDKJ und umgekehrt. So gaben beispielsweise auch (zunächst) kircheninterne Debatten über die ‚richtige‘ Partnerschafts- und Sexualmoral Anlass zu Diskussionen in der Öffentlichkeit. Weiterhin verwiesen die stetig sinkenden Mitgliederzahlen des BDKJ sowie die Ereignisse des Jahres 1968 in Münster und Essen darauf, dass die katholische Kirche als Sozialisationsinstanz nach wie vor rasant an Deutungsmacht und Einfluss verlor. Im Zeichen von „Individualisierung“ und „Pluralisierung“, im Zuge

der

Umorientierung

der

Gesellschaft

weg

von

„Pflicht-

und

Akzeptanzwerten“ hin zu „Freiheits- und Selbstentfaltungswerten“530 ließ sich immer deutlicher erkennen, dass viele Katholikinnen und Katholiken längst nicht mehr die uneingeschränkte Bereitschaft zeigten, sich von „der Wiege bis zur Bahre“ im Vertrauen auf die Leitkompetenz der kirchlichen Amtsträger durch das Leben führen zu lassen. Zwar hatte auch die Amtskirche die 'Zeichen der Zeit' erkannt und mit dem Motto des Zweiten Vatikanums, sich der „Welt öffnen zu wollen“, ihre Bereitschaft signalisiert, fortan vermehrt auch Fremdperspektiven im kirchlichen Binnenraum zulassen zu wollen und damit auch den Laien verstärkt Gehör und Mitspracherecht einzuräumen. Die Ausmaße dieser Zugeständnisse stellten allerdings noch eine offene Frage dar und sorgten in der Folgezeit ebenfalls für intensive Diskussionen, vermehrt auch für Konflikte. Hierbei geriet auch der BDKJ ab Mitte der 1960er Jahre immer deutlicher in das Spannungsfeld zwischen kirchlicher Autorität und den veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen junger Menschen, die dem Leit- und Führungsanspruch der katholischen Kleriker sowie den amtskirchlichen 530

Vgl.: Rödder: Werte und Wertewandel: In: Rödder/Elz: Alte Werte – Neue Werte. S. 9-25. S. 22.!

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Vorstellungen über Geschlechterrollen, Sexualität und Partnerschaft zunehmend

skeptischer

gegenüberstanden

und

auch

nicht

mehr

davor

zurückscheuten, diesbezüglich ihre Kritik zu formulieren. Dies spiegelte sich auch in der Entwicklung der Diskurse ab Mitte der 1960er Jahre wider: Auf der einen Seite sah sich der BDKJ im Zugzwang, stärker als bislang auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen und gerade auch die im Zuge des gesellschaftlichen Wandels diskutierten Schlagwörter wie „Emanzipation“ und „Partizipation“ sowie die veränderten Vorstellungen über Sexualität und Partnerschaft in seine pädagogische Arbeit einbeziehen zu müssen, auf der anderen Seite war der Bund als katholische Organisation den sittlichen und moralischen Vorgaben der Amtskirche verpflichtet. Für alle drei Diskursbereiche konnten bezüglich ihrer Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit des BDKJ – wenn auch nur langsame, dennoch aber stetige - 'Kurskorrekturen' festgestellt werden, die die Grenzen amtskirchlicher Vorgaben zwar mehr und mehr ausreizten, nie aber gänzlich überschritten. So erfuhren die Geschlechterbilder des BDKJ trotz der kontrovers geführten

öffentlichen

Diskussionen

zunächst

keineswegs

gravierende

Umdeutungen. Noch bis in die späten 1960er Jahre beriefen sich die Verantwortlichen auf das Postulat der Gleichwertig- statt Gleichartigkeit und stellten,

etwa

im

Kontext

der

Ehevorbereitung,

nach

wie

vor

das

gesellschaftliche Interesse an funktionierenden Familienstrukturen in den Vordergrund. Erst Ende der 1960er Jahre schlug der BDKJ einen neuen Weg ein: Er gab die Idee von dichotomen Geschlechterbildern auf und formulierte den Anspruch, seine Bildungsarbeit fortan anhand konstruktivistischer Inhalte der Gendertheorie

neu

überdenken

überraschende

Kehrtwende,

die

zu der

wollen.

Zurückzuführen

amtskirchlichen

ist

Lehrmeinung

diese von

divergierenden Geschlechterbildern eigentlich aufs deutlichste widersprach, dabei vor allem auf die seit Mitte der 1960er Jahre stetig zunehmende personelle 'Öffnung und Akademisierung' des BDKJ. So setzte sich das Gros der Beschäftigten gegen Ende der 1960er Jahre vornehmlich aus Sozial- und Diplompädagoginnen und -pädagogen zusammen, was nicht nur eine deutliche Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der pädagogischen und 211

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bildungspolitischen Arbeit – zumindest auf der Theorieebene – mit sich brachte, sondern teilweise eben auch die vermehrte Berücksichtigung säkularer Einstellungen und Weltanschauungen. Konnte sich der BDKJ gegen Ende der 1960er Jahre in Bezug auf die gesellschaftlichen Veränderungen der Geschlechterbeziehungen in einigen Punkten seiner pädagogischen Arbeit, wie etwa hinsichtlich der Neuausrichtung seiner

Mädchenbildung

unter

feministischen

Vorzeichen,

überraschend

'modern' und 'weltoffen' zeigen, so stieß er im Kontext seiner Sexualerziehung recht bald und nachhaltig an amtskirchliche Grenzen. Zwar hatte der Bund auch in diesem Bereich leichte Kurskorrekturen vornehmen können, diese gingen aber vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht weit genug, während aus Sicht der Amtskirche bereits die Grenze jeglicher Diskussions- und Reformbereitschaft erreicht war. Es war in diesem Kontext vor allem die Problematik des strikten, amtskirchlichen Nein zum „vorehelichen Sexualverkehr“, die den Verantwortlichen im BDKJ immer deutlicher zur Krux geriet. Neben den Entwicklungen der Diskurse auf der inhaltlichen Ebene, brachte die zweite Hälfte der 1960er Jahre vor allem deutliche Veränderungen in Bezug auf die kommunikative Praxis zwischen den Akteuren mit sich: So ließ sich zum einen gerade für den Themenbereich Sexualität und Partnerschaft eine schrittweise,

aber

signifikante

Enttabuisierung

einzelner

Gesichtspunkte

des

Diskurses ausmachen, zum anderen eine deutlich veränderte Gesprächskultur. Besonders anschaulich zeigte sich diese Entwicklung von Seiten der Jugendlichen in Bezug auf den katholischen Klerus. Nicht nur rückten sie das bis dato als Tabu gehandelte Thema Sexualität und Partnerschaft immer wieder in den Fokus der Diskussionen und äußerten in diesem Zusammenhang ihren Unmut über die ihrer Meinung nach zu strengen Moralvorgaben der katholischen Kirche. Sie stellten immer offensiver auch die Forderung nach einer

diesbezüglichen

Modernisierung

der

katholischen

Kirche,

beziehungsweise machten deutlich, dass sie ihr Sexualleben schlicht als nicht relevant für ihr Dasein als Christen und Katholiken werteten, sondern als Bereich des privaten Lebens, das nach ihrem Empfinden keiner Bewertung oder Anleitung durch katholische Kleriker bedurfte. 212

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Die Diskussionen, in deren Kontext vermehrt auch der Begriff der „Autorität“ nun eine zunehmend wichtige Rolle spielte, spiegelten folglich nicht nur das veränderte Selbstbewusstsein der Jugendlichen wider, sondern lassen darüberhinaus

eine

deutliche

Grenzverschiebung

in

Bezug

auf

das

hierarchische System der katholischen Kirche erkennen. Zwar hatten sowohl die „linken Frommen“531 auf dem Katholikentag als auch die „vitalen, kaum zu bändigende[n] Typen“ 532 der KJG durch ihre Proteste und zunehmende Einmischung das hierarchische System der katholischen Kirche nicht wesentlich verändern können, zumindest aber innerhalb weniger Jahre und auf eindrucksvolle Art und Weise demonstriert, dass die Amtskirche längst nicht mehr uneingeschränkt darüber verfügen konnte, wie viel Raum sie der 'Welt' im kirchlichen Binnenraum zukünftig zugestehen würde. 3. Phase: Zwar zogen sich die Diskussionen und Debatten zu allen drei Diskursbereichen unvermindert intensiv bis weit in die 1970er Jahre hinein, in Bezug auf weitere Ergebnisse und Entwicklungen drehten sie sich aber weitgehend im Kreis. Letztlich blieb es bei den bereits erfolgten Kurskorrekturen, auch wenn man von Seiten des BDKJ beteuerte, weiterhin an möglichen Modernisierungen und der Weiterentwicklung der pädagogischen und bildungspolitischen Ausrichtung arbeiten zu wollen. Die Gründe für die zwar anhaltende Diskussionsbereitschaft bei

gleichzeitiger

Entschleunigung,

zumindest

was

den

Prozess

der

fortschreitenden Modernisierung anging, lagen nicht zuletzt in der Furcht des BDKJ, seine Existenzberechtigung als katholische Organisation zu verlieren. Nicht nur hatten die Konflikte der Deutschen Bischofskonferenz mit der KJG deutlich gezeigt, dass diese nicht davor zurückscheute, die von ihr als Machtinstrument verfügbare Frage nach der „Kirchlichkeit“ katholischer Organisationen durchaus mit einem „Nein“ zu beantworten. Auch schienen die

531

Mit dem Slogan „Hengsbach wir kommen, wir sind die linken Frommen“ hatten sich junge, Katholikinnen und Katholiken beim gastgebenden Bischof von Essen, Franz Hengsbach angekündigt. 532 „Kommentar und Meinung: Pfingsttreffen katholischer Jugend von Bischof Dr. Josef Stangl, Jugendreferent der Deutschen Bischofskonferenz“. In: ID vom 30.8.1968. Nr. 15/16. S. 143.!

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seit Jahren gebetsmühlenartig vorgebrachten Appelle des BDKJ an die Amtskirche, verstärkt auf die Bedürfnisse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen eingehen zu müssen, um weitere Verluste zu vermeiden, nach wie vor weitgehend ungehört zu verhallen, was eine deutlich spürbare Resignation bei der BDKJ-Führungsspitze erkennen ließ. Der BDKJ schien aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre nunmehr folgende

Strategie

in

Bezug

auf

die

gegensätzlichen

Normen-

und

Wertevorstellungen seiner Klientel auf der einen Seite, seines Geldgebers auf der anderen Seite entwickelt zu haben: So viel 'Welt' wie möglich, so viel amtskirchliche Grenzziehung wie nötig. Und obwohl sich die Amtskirche damit letztlich sowohl normativ in Bezug auf den Bereich Sexualität und Partnerschaft als auch organisatorisch und strukturell im Hinblick auf die Autonomie der Verbände hatte durchsetzen können, greift es dennoch zu kurz, sie als eindeutige Siegerin der im Kontext des Wertewandels geführten Auseinandersetzungen zu begreifen. Schließlich hatte sich im Verlauf der Konflikte immer deutlicher herausgestellt, dass der auf Autorität beruhende, wegweisende und führende Einfluss des Klerus in Bezug auf die jüngeren 'Herdenmitglieder' der katholischen Kirche deutlich stagnierte, ab den späten 1960er Jahren sogar bereits teils gänzlich verloren war. Wie die Amtskirche im Einzelnen aber über diese Entwicklungen dachte, stellt derzeit noch eine weitgehend offene Frage dar. Denn ebenso wie sich die Geschichte des

BDKJ

im

Wertewandel

nicht

als

eindeutige

'Verlust-

oder

Gewinngeschichte' erzählen lässt, kann auch in Bezug auf die Amtskirche keine solche Beurteilung vorgenommen werden. Gerade in diesem Zusammenhang besteht noch ein umfangreiches Desiderat, das in der nächsten Zeit unbedingt weiter in den Fokus der Katholizismusforschung rücken sollte. Denn ebenso wenig, wie es d i e katholische Jugendliche, beziehungsweise d e n katholischen Jugendlichen gab, kann von d e n

deutschen Bischöfen und ihrer Einstellung zu

verschiedenen Komponenten des Wertewandels die Rede sein. Ähnlich wie in der vorliegenden Studie zum BDKJ, verspricht daher ein Blick auf die Genese verschiedener Diskurse des Wertewandels beispielsweise innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz – wenn diese Bestände erschlossen und 214

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zugänglich sind – nicht nur differenzierte Einblicke hinsichtlich des dortigen Meinungsspektrums in Bezug auf als kritisch geltende Themenbereiche, sondern könnte darüberhinaus wichtige Erkenntnisse bezüglich möglicher Strategien von Seiten der Amtskirche im Umgang mit den gesellschaftlichen Transformationsprozessen liefern.

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