Zusammenfassung und Ausblick

141 Kapitel 8 Zusammenfassung und Ausblick 8.1. Zusammenfassung Die Wärmeleitfähigkeit von martensitisch härtbaren Stählen, insbesondere von Werkzeu...
Author: Kasimir Kappel
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Kapitel 8

Zusammenfassung und Ausblick 8.1. Zusammenfassung Die Wärmeleitfähigkeit von martensitisch härtbaren Stählen, insbesondere von Werkzeugstählen, hat seit Anfang des 21. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen. In vielen technischen Prozessen stellt sie nicht nur eine wichtige Werkstoeigenschaft dar, sondern besitzt als Prozessparameter einen auÿerordentlichen Einuss auf die Qualität, Produktivität und auf die Prozesssicherheit. Daher besteht nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht sondern auch von industrieller Seite Interesse, sich mit der Thematik Wärmeleitfähigkeit zu beschäftigen. Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wärmeleitfähigkeit von Festkörpern erfolgten bereits im 19. Jahrhundert. Die gewonnenen Erkenntnisse und entwickelten Theorien wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Aufkommen der Quantenmechanik erweitert und stellen die Grundlage aller weiteren Forschungen zur Wärmeleitfähigkeit dar. Eine Betrachtung des Wärmebehandlungszustandes und der Mikrostruktur mit Bezug zur Wärmeleitfähigkeit von Stählen fand bisher gar nicht bzw. nur unzureichend statt. Dabei ist im Zusammenhang mit anderen technologischen Eigenschaften bereits bekannt, dass durch eine gezielte Wärmebehandlung bestehend aus dem Härten und Anlassen das Gefüge eines Werkstoes und somit dessen Eigenschaften gravierend beeinusst werden, was sowohl positive als auch negative Auswirkungen zur Folge haben kann. Eine systematische Untersuchung zum qualitativen und quantitativen Beitrag

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der Elektronen zur Wärmeleitfähigkeit der Stähle in Abhängigkeit vom Wärmebehandlungszustand erfolgte bis jetzt nicht. Insbesondere erfolgt nur an wenigen Stellen eine wissenschaftliche Betrachtung der ermittelten Wärmeleitfähigkeiten, obwohl die Theorie der Wärmeleitfähigkeit auf den Grundlagen der Festkörperphysik basiert und somit eine wissenschaftliche Erläuterung der Messergebnisse unumgänglich ist. Weiterhin erfolgten durch die Kommerzialisierung der Laser-Flash-Analyse mit Beginn des 21. Jahrhunderts eine Vielzahl von Veröentlichungen, bei denen die Wärmeleitfähigkeit indirekt über das Produkt der Temperaturleitfähigkeit, der Dichte und der spezischen isobaren Wärmekapazität ermittelt wurde. Dies geschah vornehmlich unter der Annahme, dass die Dichte und die spezische isobare Wärmekapazität weniger stark auf Materialänderungen reagieren als die Temperaturleitfähigkeit, wodurch die Temperaturleitfähigkeit und die Wärmeleitfähigkeit als proportional zueinander betrachtet wurden. Eine Verizierung dieser Aussage erfolgte bisher nicht. Neben den wissenschaftlichen Fragestellungen müssen jedoch auch anwendungsbezogene Aspekte berücksichtigt werden, wobei die Wärmeleitfähigkeit in Bezug zu anderen technologischen Eigenschaften zu setzen ist und evtl. Gegenläugkeiten zu identizieren sind. Das Ziel dieser Arbeit war es, einen Beitrag zur Klärung dieser oenen Fragestellungen zu liefern. Im grundlagenorientierten Teil der Arbeit erfolgten Untersuchungen, welche das Ziel verfolgten, den Einuss des Härtens und des Anlassens auf die Wärmeleitfähigkeit martensitisch härtbarer Stähle zu ermitteln. Die wichtigsten Erkenntnisse können folgendermaÿen zusammengefasst werden:

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Bereits durch die Kaltverfestigung des technisch reinen Eisens kann eine signikante Beeinussung der Wärmeleitfähigkeit festgestellt werden. Durch die Stauchung der Körner senkrecht zur Umformrichtung erfolgt eine Erhöhung der Korngrenzendichte, wodurch eine erhöhte Streuung von Phononen und Elektronen resultiert. Weiterhin steigt durch die Kaltverformung die Versetzungsdichte des Eisen an, wodurch insbesondere der phononische Beitrag zur Wärmeleitfähigkeit gemindert wird.

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Anhand von Modelllegierungen konnte gezeigt werden, dass Stähle im martensitischen Zustand eine höhere Wärmeleitfähigkeit besitzen als im austenitischen Zustand. Dies wurde darauf zurückgeführt, dass das martensitische Gitter eine höhere Konzentration freier Leitungselektronen zur Verfügung stellt und zudem eine geringere Streuung der Leitungselektronen hervorruft als das austenitische Gitter. Weiterhin wurde festgestellt, dass der im Mischkristall gelöste Kohlen-

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sto sowohl im austenitischen als auch im martensitischen Zustand eine erhöhte Streuung der Phononen hervorruft.

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Mit steigendem Legierungsgehalt nimmt die Wärmeleitfähigkeit der Stähle tendenziell ab. Als Ursache ist hier insbesondere die mit steigendem Legierungsgehalt zunehmende Streuung der Leitungselektronen zu sehen. Erfolgt die Streuung der Elektronen in nickelhaltigen Legierungen primär durch die Coulombsche Wechselwirkung und die s-d-Streuung, so wird durch das Legieren mit Chrom zudem die Konzentration freier Elektronen verringert und die spinabhängige Streuung der Leitungselektronen erhöht.

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Nach dem Härten besitzen die Stähle eine geringe Wärmeleitfähigkeit. Während des Anlassens erfolgen diverse mikrostrukturelle Änderungen, die eine Änderung der Wärmeleitfähigkeit provozieren. Triebkraft dieser Gefügeänderungen ist die Übersättigung des Martensits an Legierungselementen. Thermisch aktiviert scheiden sich die Legierungselemente in Form von Karbiden aus, wodurch dem

α-Mischkristall Legierungselemente entzogen werden. Damit verbunden ist

eine Reduktion von Streuzentren für Wärmeträger wie Elektronen und Phononen, wodurch in Summe die Wärmeleitfähigkeit durch eine Anlassbehandlung ansteigt. Dabei erhöht sich sowohl der absolute phononische als auch der absolute elektronische Beitrag. Das relative Verhältnis beider Beiträge zueinander ändert sich jedoch. Tendenziell steigt der relative Beitrag der Phononen durch das Anlassen an, was insbesondere durch den Abbau der tetragonalen Verzerrung sowie der Versetzungsdichte zu erklären ist.

ˆ

Im Bereich tiefer Anlasstemperaturen ist die Wirkung einer Anlassbehandlung jedoch gering. Durch die Ausscheidung metastabiler Übergangskarbide wird primär die tetragonale Verzerrung des Martensits abgebaut. Mit steigender Anlasstemperatur scheiden sich in Abhängigkeit vom Legierungssystem Zementit und/oder Sonderkarbide aus, in welche sich nennenswerte Mengen an Legierungselementen einbauen lassen, wodurch eine ausgeprägte Legierungsverarmung des

α-Mischkristall

eintritt. Dieser Eekt steigt mit zunehmender An-

lasstemperatur und Diusionsgeschwindigkeit der Legierungselemente an, wobei gleichzeitig aus thermodynamischer Sicht weniger Legierungselemente in die Karbide eingebaut werden können. Aus technischer Sicht ergibt sich daraus eine optimale Anlasstemperatur und -dauer, bei der sowohl aus thermodynamischer

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als auch aus kinetischer Sicht ein Maximum von Legierungselementen in Karbiden abgebunden werden kann. Für die chromlegierten Stähle lieÿ sich zeigen, dass ein vollständiger Abbau des Chromgehaltes des

α-Mischkristall

nicht zu

erzielen ist, sodass diese Stähle selbst nach dem Anlassen immer noch geringe Wärmeleitfähigkeiten erzielen.

ˆ

Der unterschiedliche Verlauf der temperaturabhängigen Wärmeleitfähigkeit konnte auf den Verlauf der elektronischen Wärmeleitfähigkeit zurückgeführt werden, wobei der Anstieg der Wärmeleitfähigkeit der hochlegierten chromreichen Stähle auf zwei Aspekte zurückgeführt werden kann. Zum einen wird durch Chrom die Zustandsdichte der Elektronen derart verändert, dass an der Fermigrenze eine starke Reduktion der Elektronenkonzentration erfolgt, oberhalb der Fermigrenze jedoch besetzbare Energieniveaus erzeugt werden, welche durch Elektronen thermisch aktiviert besetzt werden können. Daher ist zu vermuten, dass für chromreiche Stähle im Grundzustand zwar eine erhebliche Streuung der Leitungselektronen gegeben ist, thermisch aktiviert jedoch eine höhere Anzahl von Elektronen zur Verfügung gestellt werden kann, sodass sich mit steigender Temperatur eine Anstieg der elektronischen Wärmeleitfähigkeit ergibt. Zum anderen ist bekannt, dass Chrom im Eisen die magnetischen Eigenschaften beeinusst. Mit steigendem Chromgehalt sinkt die Curie-Temperatur, wodurch schon bei tieferen Temperaturen der magnetische Beitrag zur Wärmekapazität zur Geltung kommt. Da die Wärmekapazität den thermodynamischen Beitrag zur Wärmeleitfähigkeit darstellt, ist zu vermuten, dass der Anstieg der Wärmeleitfähigkeit der chromreichen Stähle auch durch magnetische Einüsse erklärt werden kann.

Im anwendungsbezogenen Teil der Arbeit wurden die im Grundlagenteil erworbenen Erkenntnisse benutzt, um auf der Basis des Kaltarbeitsstahles CP4M der

Edelstahl GmbH

Dörrenberg

eine Legierungsvariante zu entwickeln, die die sehr guten mechani-

schen und tribologischen Eigenschaften des CP4M mit den hohen Wärmeleitfähigkeiten des Warmarbeitsstahls HTCS-130 vereint. Als Resultat erfolgte die Entwicklung von CP2M, an dem sowohl hohe Wärmeleitfähigkeiten einzustellen sind, welcher aber auch eine gute Härtbarkeit sowie einen hohen Verschleiÿwiderstand besitzt. Bei diesen Untersuchungen stellte sich zudem heraus, dass HTCS-130 durch den reduzierten Chrom- und Kohlenstogehalt zwar sehr hohe Wärmeleitfähigkeiten erzielt, jedoch gleichzeitig eine geringe Ansprunghärte und Durchhärtbarkeit besitzt. Weiterhin zeigt

8.2 Ausblick

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HTCS-130 aufgrund des geringeren Karbidgehaltes einen deutlich geringeren Widerstand gegen abrasiven Verschleiÿ auf als CP2M. Somit zeigt sich, dass bei der Auswahl von Werkzeugstählen für technische Anwendungen neben der Wärmeleitfähigkeit eines Stahles auch weitere Eigenschaften berücksichtigt werden müssen, um einen auf die Prozessbedingungen optimalen Kompromiss aller Eigenschaften einzustellen.

8.2. Ausblick Zukünftige Untersuchungen sollten sich unter anderem mit diesem Aspekt beschäftigen. Aktuell wird am Lehrstuhl Werktsotechnik der Ruhr-Universität Bochum ein Versuchsstand installiert und in Betrieb genommen, mit dem im Labormaÿstab der Presshärteprozess nachgestellt werden soll. Das Ziel dieses Vorhabens ist es zum einen, die Abkühlbedingungen während des Pressvorganges mit den an den Werkzeugen eingestellten Wärmeleitfähigkeiten zu korrelieren und auf die Eigenschaften des umgeformten Presshärtestahles zu übertragen. Zum anderen soll der Verschleiÿ der Werkzeuge mit fortschreitender Zyklenzahl charakterisiert werden, um hierüber Aussagen zur Lebensdauer des jeweiligen Werkzeuges zu treen. Letztendlich können konkrete Aussagen zur Tauglichkeit diverser Werkzeugstähle im Presshärteprozess nur durch realitätsnahe Versuche getroen werden. Dementsprechend sollten aus diversen Werkzeugstählen Versuchswerkzeuge gefertigt werden, welche unter gleichen Bedingungen im Betrieb getestet werden. Erste Bemühungen erfolgen zur Zeit durch die

Dörrenberg Edelstahl GmbH

für die Neuentwicklung CP2M.

Aus wissenschaftlicher Sicht hat sich in dieser Arbeit gezeigt, dass das Karbidwachstum während des Anlassens sehr unterschiedlich erfolgen kann. Das Wachstum des Zementits im Stahl C45 wird durch die Diusion des Kohlenstos dominiert, wobei in der ersten Phase eine schnelle Vergröberung der Partikel erfolgt, ohne dass ein nennenswerter Einbau von Legierungselementen in die Karbide stattndet. Für X42Cr13 hingegen wird das Wachstum der M23 C6 -Karbide nach einer anfänglich durch Kohlensto dominierten Phase durch die Diusion des Chroms bestimmt. Das Wachstum dieser Karbide besitzt also eine Zeitabhängigkeit und ist mit der Aufnahme von Legierungselementen verbunden. Es stellt sich somit die Frage, wie sich bei gegebener Anlasstemperatur die Wärmeleitfähigkeit der Stähle in Abhängigkeit von der Anlassdauer verändert. Um diese Frage zu klären, könnten an einem Abschreckdilatometer Kurzzeitwärmebehandlungen durchgeführt werden, bei denen Proben gehärtet und für denierte Zeiten angelassen werden. An diesen Proben kann nachfolgend der

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spezische elektrische Widerstand ermittelt werden, um hierüber qualitative Rückschlüsse auf die Wärmeleitfähigkeit des Probenmaterials zu tätigen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen würden nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht sondern auch aus technischer Sicht Erkenntnisse liefern, welche dabei helfen können, mit Bezug zur Wärmeleitfähigkeit optimale Anlassdauern zu ermitteln. Ein weiterer Aspekt, welcher betrachtet werden sollte, ist der aktive Einuss der Karbide auf die Wärmeleitfähigkeit von Stählen. Wie in dieser Arbeit erwähnt wird, kann für globulare Anlasskarbide gemäÿ der Überlegung von

L. F. Johnson

D. P. H. Hasselman

und

angenommen werden, dass diese wie Poren wirken und die Wärme-

leitfähigkeit des Gesamtverbundes herabsetzen. Diese Theorie ist bislang jedoch nicht belegt. Hierzu bietet es sich an, Metallmatrix-Verbundwerkstoe herzustellen, welche aus einer Reineisenmatrix bestehen, in die ausgesuchte Karbide eingebettet werden. Für die Karbide müssen Form, Gröÿe, Zusammensetzung und Wärmeleitfähigkeit natürlich bekannt sein. Durch den Vergleich der Wärmeleitfähigkeit des Reineisens mit der Wärmeleitfähigkeit der MMC kann damit indirekt eine Aussage zum aktiven Einuss der Anlasskarbide auf die Wärmeleitfähigkeit von Stählen getätigt werden. Abschlieÿend sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass zur Charakterisierung des Leitfähigkeitverhaltens von metallischen Festkörpern die qualitative sowie quantitative Analyse der Elektronenkonzentration von äuÿerster Bedeutung ist. Eine einfache Möglichkeit, diese experimentell zu bestimmen, ist die Ermittlung der HallKonstante

RH

bzw. der Hall-Spannung

UH .

Hierbei wird der Eekt ausgenutzt, dass

sich in einem stromdurchossenen Leiter, welcher sich in einem Magnetfeld det, ein elektrisches Feld

aufbaut, welches senkrecht zu

B

B

ben-

und dem elektrischen

Ex sorgt hierbei für den Stromuss im Leiter. An dem Leiter kann die Hall-Spannung UH abgegrien werden, welche sich gemäÿ der Gleichung 8.1 aus der Probendicke d, der Stromstärke I , dem Magnetfeld B und der Hall-Konstanten RH Feld

Ex

Ey

steht.

zusammensetzt [91, 266].

UH = RH

I ·B d

(8.1)

Durch Umstellen dieser Gleichung kann die Hall-Konstante des Leiters bestimmt werden. Unter der Annahme, dass die elektrische Leitfähigkeit des betrachteten Materials nur durch die Bewegung freier Elektronen zustande kommt, kann über die HallKonstante und die Elementarladung Ladungsträgerkonzentration

n

e

eines Elektrons gemäÿ der Gleichung 8.2 die

bestimmt werden [91, 266].

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RH = −

1 n·e

(8.2)

Derartige Messungen könnten nach erfolgter Erweiterung mit dem Widerstandsmessgerät MR 300 C-A durchgeführt werden. Hierzu muss lediglich eine Vorrichtung konzipiert werden, mit der metallische Proben zwischen den Polen eines Jochmagneten bekannter Magnetussdichte platziert werden können. Damit wäre es dann möglich, Elektronenkonzentrationen metallischer Werkstoe bei Raumtemperatur zu bestimmen.