Wie kann in unseren Orden heute Gemeinschaft werden?

Der Ordensberuf heute 129 lischer Vollkommenheit fordern kann"11. Am realen Zeugniswert des Ordenslebens wird sich entscheiden, ob es noch eine Zuku...
Author: Irma Kästner
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Der Ordensberuf heute

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lischer Vollkommenheit fordern kann"11. Am realen Zeugniswert des Ordenslebens wird sich entscheiden, ob es noch eine Zukunft hat. •Wenn das gemeinsame Leben sich auflädt mit der ihm eigenen Kraft, wenn es sich füllt mit dem frischen Geist brüderlichen Lebens, der es auszeichnet, dann ist es - heute wie nie zuvor - Hefe im Teig. Es birgt explosive Kraft. Es kann Berge von Gleichgültigkeit versetzen und den Menschen auf unersetzbare Weise die Gegenwart Christi vermitteln" (Roger Schutz)12.

Wie kann in unseren Orden heute Gemeinschaft werden? Corona Bamberg OSB, Herstelle*

Wenn Ordensleben seit den Anfängen und vom Evangelium her bedeutet: in Gemeinschaft leben - erst in der Neuzeit ist Möglichkeit bzw. Versuch eines nicht-gemeinschaftlichen Lebens nach dem Evangelium in den Blick gekommen -, so stellt sich diese Aufgabe heute ganz anders als noch vor zwanzig Jahren. Das hat viele Gründe. Nennen wir nur die plurale Welt, in der auch für die Orden Gemeinschaft wie bisher nicht mehr möglich ist; dazu die totale Gesellschaft mit ihren mannigfaltigen Auswirkungen, von denen die Angst (anxiete collective) vielleicht am spürbarsten ist; ihr gegenüber Gruppe als Überlebenschance für den Einzelnen, der sonst verkommt in Anonymität und Isolation; aber Gruppe auch als geschehende Gemeinschaft, als Netzwerk verschiedenster Bezugnahmen, gefordert und angestrebt in dem Maße, in dem Menschen personal leben wollen, was eben immer auch heißt: in Beziehung leben. Nicht zu vergessen der neubegriffene Anruf des Evangeliums, der zum Gemeinsamsein drängt auf menschliche, nicht nur •geistliche" Weise: im sozialen Engagement glaubt man die christliche Botschaft wieder oder sogar erst jetzt zu entdecken. Innerhalb der 11

Cl. Geffre, Die Zukunft des Ordenslebens in der Stunde der Säkularisation, in: Concilium, 1969, 687-692. 12 R. Schutz, a. a. 0. 54. * Der vorliegende Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, den die Vf. am 4. 1. 1972 bei einer Zusammenkunft von Ordensoberinnen in der Akademie Stuttgart-Hohenheim gehalten hat.

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sich überall bildenden Kommunen und Basisgruppen verschiedenster Prägung kennzeichnet dieses biblische Motiv die •Gruppen mit längerem Atem"1. Auch die Orden? Wenn sie überhaupt noch mit einbezogen werden, dann allenfalls so, daß der Anspruch ihnen gegenüber noch gesteigert wird, sich nicht selten zu utopistischen Forderungen ver-steigt. Wenn Orden, dann glaubwürdiges Gemeinschaftsleben; worunter man versteht: nicht •kasernierte Einsiedler" (K. Rahner), auch nicht bloß zweckdienliche, gemeinnützige Organisation, noch die auf sich selbst bezogene, fromm-introvertierte Schar. Sondern gelebte Brüderlichkeit, wechselseitig sich bereichernd und zugleich ausstrahlend, Gemeinsamkeit, die spontan so genannt wird, weil sie diesen Namen verdient - und: die anderswo so nicht zu finden ist. Wo solchen und ähnlich klingenden Ansprüchen - oder auch Parolen - nicht genügt wird, zögert man nicht lange, den Orden Sinn und Daseinsberechtigung abzusprechen. Allerdings wird man, gerade wo solche Anfragen nicht überhört werden, ein Zweifaches beachten müssen: zum einen, daß auch die Orden (wie alles, was Gruppe oder Gesellung, Gemeinschaft und überhaupt Sozietät heißt) in einem an die Wurzel gehenden Wandlungsprozeß stehen; zum andern, daß nicht nur Geduld vonnöten ist, um diesen Prozeß durchzutragen, sondern dazu noch eine ganze Reihe von Faktoren, auf die im zweiten Teil dieses Beitrags näher eingegangen werden soll. Zunächst versuchen wir den Prozeß selbst ins Auge zu fassen, ihn nicht nur als Faktum zu bejahen, sondern auf seinen Inhalt hin zu prüfen und zu verstehen.

Will man, was sich tut (und damit die sich stellende Aufgabe für unsere Orden), kurz kennzeichnen, so läßt sich das Wesentliche vielleicht in drei Stichworten kurz anreißen: Wandel von der nur vorgegebenen zur aufgegebenen Gemeinschaft; Wandel von der gesdilossenen zur geöffneten Gruppe; Wandel von der ideell fixierten, ideologisierten Kommunität zur Gefährtenschaft auf dem Weg. (Die soziologische Frage nach Art und Weise der Gemeinschaft: Großkommunität, Gruppe, Interkommunikation kann ausgeklammert werden.) Was heißt das im einzelnen?

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Vgl. L. Alting von Geusau, Kommunen und Basisgruppen - ein W'eltphänomen, in: Orientierung 36 (1972) 3, S. 34-37.

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Von der nur vorgegebenen zur aufgegebenen Gemeinschaft Vor nicht allzu langer Zeit wäre man erstaunt gewesen über die Frage: Wie kann heute Gemeinschaft werden? Gemeinschaft war, und sie war das erste. Wer in einen Orden eintrat, nahm sie so hin, wie er sie vorfand. (Den Einzelmenschen gab es lange Jahrhunderte nicht, jedenfalls nicht im Sinn des neuzeitlichen Individualisten; nur wenige waren sich ihrer Besonderheit, ihres je Einmaligen bewußt.) Analog zur Kirche, in die der Glaubende durch seine Taufe eingefügt wurde, die vor ihm und ohne ihn existierte (sogar um ihren Glauben bat er nach dem alten Ritus!), war auch Ordensgemeinschaft die unbefragte und unbefragbare Vorgegebenheit, eine societas perfecta auch sie. Zunächst schien es dann unglaublich, wenn einem eines Tages dämmerte, daß die Übereignung an Gott in der Profeß nicht ohne weiteres identisch ist mit der Bindung an eine konkrete Gemeinschaft oder Kommunität (wenn sie auch durch deren Medium geschieht); daß Berufung im Sinn der evangelischen Nachfolge, der neutestamentlichen Jüngerschaft tiefer liegt als Berufung in diesen und keinen anderen Konvent; daß somit die Formen, in denen sich hier gemeinsames Leben ausgestaltet hat, nicht die einzig möglichen und also um jeden Preis beizubehaltenden sind. Wem diese wichtige Unterscheidung nie in den Blick gekommen ist, der kann auch nie wirklich beurteilen, was heute zum Teil so bestürzend in Erscheinung tritt und um sich greift. So etwa der Zweifel daran, ob Gemeinschaft im Orden auf jeden Fall, in jeder Gestalt und Phase entsprechende Hilfe zur Mensch-Werdung (Personwerdung) jedes einzelnen bietet. Dieser Zweifel war so lange nicht möglich, als die Kommunität eine fast sichere, eine quasi-sakramentale Garantie dafür zu bieten schien, daß man zum gottgewollten Ziel kommen würde, sofern man sich nur an ihre Vorgegebenheit, ihre Ordnung hielt. Daß dann der Gehorsam im Sinn absoluter Regeltreue, bis hin zur Ausschaltung des selbständigen Denkens und Planens (nicht nur des Eigenwillens) als wichtigste Tugend zumal den Obern gegenüber galt, war im Grunde nur konsequent. Entsprechend wurde Gemeinschaftsfähigkeit gemessen an der Fähigkeit, sich einzuordnen und unterzuordnen. Initiative, Phantasie, Verantwortlichkeit waren weniger geschätzt, Gewissenhaftigkeit wurde als Treue im Kleinen verstanden, nicht vor allem im Hinhören auf das eigene Gewissen praktiziert. So mag es immerhin den Verhaltensweisen auch außerhalb der Orden lange entsprochen haben; es wird auch dem Evangelium nicht widersprochen haben, wie man es eben auslegte; zumal die Bruderliebe stets betont wurde, wenn auch mehr •geistlich"-allgemein, im Sinn der •forma caritatis", nicht so sehr in der Leib- und Ernsthaftigkeit des gewöhnlichen Miteinanderauskommens und auch nicht so sehr im Herzen der Gottsuche.

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Zweierlei ist ja interessant: daß in dieser selbstverständlichen Vorgegebenheit, Gemeinschaft genannt, der Einzelne seine Gottbeziehung einseitig vertikal, sozusagen ungestört leben konnte; auf der anderen Seite: daß Gemeinschaft mehr oder weniger als Familienersatz galt oder doch praktisch auf das hinauslief, was die Soziologen instinkthafte Gemeinsamkeit nennen (Stamm, Sippe, Dorfgemeinschaft udgl.). Wenn überhaupt, war die bewußte Entscheidung lange gefallen. Nun gehörte man dazu, mochte sein, was da mochte. War das Treue? Oder eher Gewohnheit? Auf jeden Fall machte man für etwaige Spannungen oder Krisen nicht zuerst die Gemeinschaft verantwortlich, sondern suchte die Schuld bei sich, in der eigenen Lauheit und Verkehrtheit (womit man übrigens nicht immer auf dem Holzweg gewesen sein dürfte). Überhaupt soll das alles nicht einseitig negativ klingen. Gemeinschaft als Vorgegebenheit bleibt eine fundamentale christliche Realität, die heute oft zu klein geschrieben wird. Ohne sie wäre Kirche nicht zu denken und auch nicht das, was man kirchliche Gruppen und Gemeinden nennt. Gemeinschaft in diesem Sinn ist Geschenk, bevor sie aufgegeben sein kann, ist Vorgabe, die nicht von Menschen zu machen noch zu erzwingen ist. Wird allerdings die Vorgabe zur absolutgesetzten Vorgegebenheit, an die in keinem Fall und in keiner Hinsicht zu rühren ist, lebt man leicht an ihrer Realität vorbei. Dann verlagert sich das Gewicht entweder auf das rein Übernatürliche (Gemeinschaft •stört" nicht) oder auf das bloß Naturhafte (Gemeinschaft dringt nicht ins Bewußtsein, spielt sich nicht dort ab, wo eigentlich gelebt wird). So oder so gelingt nicht Gemeinsamkeit, in die hinein die Einzelnen sich überschreiten und damit instandgesetzt werden, sich mitzuteilen, sich als Person, in Freiheit, in wechselseitigem Austausch und Ausgleich von Geben und Nehmen. Gemeinschaft, die ausschließlich als Vorgegebenheit verstanden wird, holt den Einzelnen nicht heraus aus seinem Schnekkenhaus, läßt ihn unverändert, weil in der Tiefe unbeansprucht, bleibt statisch und unpersönlich, was im Grunde so unmenschlich wie ungeistlich ist. Allerdings bedeutet der Wandel von der nur vorgegebenen zur aufgegebenen Gemeinschaft eine Anforderung hohen Grades, die nicht immer richtig abgeschätzt wird. Es kommt viel stärker zum Vorschein, was am Einzelnen ist, wer er ist; und jeder, der diesen Wandel mitgemacht hat oder noch miterlebt, weiß zugleich, daß damit der Anspruch, ja der Druck von seiten der Gruppe bis an die Grenze des Tragbaren zunehmen kann. Es geht ja nicht um Auflösung des einen Pols (Vorgegebenheit) zugunsten des anderen (Aufgegebenheit), sondern die Spannung zwischen beiden muß durchgetragen werden; hier nicht anders als sonst. Das Aufgegebene, nie ganz zu bewältigen, nie abzuschließen, umschreibt Martin Buber einmal mit dem Wort von der •werdenden" Gemeinschaft. •Gemeinschaft ist immer wer-

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dende Gemeinschaft, ist das Nicht-mehr-Nebeneinander, sondern Beieinandersein einer Vielheit von Personen, die, ob sie auch mitsammen sich auf ein Ziel zu bewegen, überall ein Aufeinanderzu, ein dynamisches Gegenüber, ein Fluten von Ich zu Du erfährt: Gemeinschaft ist, wo Gemeinschaft geschieht"2. Was Buber umschreibt, ist Gemeinschaft als personales, genauer: dialogisches Ereignis. Wie hoch der damit gestellte Anspruch ist, wie neu und unabgestimmt auf Kommunitäten herkömmlichen Stils, mag der folgende Ausspruch eines Benediktinerpriors zeigen. Noch vor wenigen Jahren konnte er die Feststellung machen, daß •gerade in monastischen Gemeinschaften des .kontemplativen Typs' die Gruppe häufig eher ein Hindernis ist (für den Einzelnen): wie viele Mönche verstummen automatisch, sobald sie sich der Gemeinschaft als solcher gegenübersehen. In wie vielen Fällen wird eine Begegnung auf der Ebene der Gemeinschaft zu einer hoffnungslosen Meinungsschlacht zwischen Gruppen. Alt und jung, rechts und links stehen sich hoffnungslos versteift gegenüber. Eine wirkliche Begegnung kommt nicht zustande"3. Gewiß ist seitdem einiges geschehen, auch in den Klöstern des •kontemplativen Typs". Aber auch heute dürfte der Abstand beträchtlich sein zwischen der von Buber gegebenen Umschreibung und den realen Erfahrungen, die man in und durch solche Gemeinschaften machen kann. Was kein Grund ist, das Aufgegebene vom Vorgegebenen abzulösen, in unüberlegten Experimenten die Aufgabe absolutzusetzen, indem man alles Heil in der •geschehenden Gemeinschaft", im dialogischen Ereignis sucht. Grund ist allerdings gegeben zur Nüchternheit, dieser so zeitgemäßen Weise der Geduld, und also das Aufgegebene wahrzunehmen und im Vorgegebenen zwar immer nur bruchstückhaft, mit kleinen Schritten, aber unablässig zu verwirklichen. Von der geschlossenen zur geöffneten Gruppe Wahrnehmen und verwirklichen kann man aber nicht dort, wo die Realitäten durch den Filter eines Regelsystems gepreßt oder überhaupt nicht herangelassen werden, wo es somit zu keiner Auseinandersetzung und keinem Austausch kommen kann, weil die Fenster größtenteils geschlossen und die Tore verrammelt sind. Natürlich wird man einwenden und auch einwenden können, daß eine solche Abgeriegeltheit doch wohl weitgehend der Vergangenheit angehört. Dennoch kann man fragen, ob der damit angesprochene Wandel von der geschlossenen zur geöffneten Gruppe tatsäch8

Dialogisches Leben, 1948. S. 175 ff. D. Winzen, Leben aus dem Geist. Gedanken bei der Erinnerung an P. Theodor Bogler, in: Mönchtum - Ärgernis oder Botschaft? Laacher Hefte 43 (1968), S. 36.

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lieh in den Kommunitäten schon überall in Gang gekommen ist, und zwar nicht oberflächlich (was u. U. zu einer unkontrollierten Konsumhallung, zur Aufsplitterung und sogar Auflösung führt), sondern in der Tiefe. Auch hier geht es ja nicht einfach um das Hinüberschwingen des Pendels ins andere Extrem, sondern um das schwierige Gleichgewicht, hier zwischen Sammlung und Sich-Auftun, um ein Versammeltbleiben bei offenen Toren, und das verlangt erheblich mehr als den routinierten Gebrauch von Parolen wie •Mündigkeit", •Fortschritt", •Gesprächsfähigkeit", mehr an Reife im Geistlichen wie im Menschlichen, als viele Hinausdrängende es sich klarmachen. Immerhin läßt sich nicht leugnen (und man fällt kein Werturteil, wenn man es zugibt), daß Ordensgemeinschaft lange Zeit so etwas war wie der Prototyp einer geschlossenen Gruppe. Konvent, eingehegter Bereich, autonome Abtei nicht anders als die sich tragende, zentralistische Körperschaft der neuzeitlichen tätigen Genossenschaften waren Varianten der Gesellungsform, die in der Soziologie •geschlossenes System" heißt4. Was hielt dieses System zusammen? Fester Mitgliedstamm, Autorität (Regel, Riten, Normen), straffe Durchorganisierung und Uniformität, Konzentration auf gemeinsame Werke; nicht zuletzt Bewahrung durch Reduzierung der Außenkontakte auf das unumgänglich Notwendige. Buchstäblich galt das Letztere für ein Frauenkloster mit großer päpstlicher Klausur ohne Außentätigkeit, mit Briefzensur und minimaler Information (wie lange gab es nicht einmal eine Zeitung für alle!), mit knapp und oft schematisch bemessener Sprechzeit (hinter Gitter und mit Berichtauflage). Darin und damit prägte sich eine geistige Haltung aus, die auch in tätigen Gemeinschaften, deren Noviziatsausbildung und Grundbüchern den Ton angab. Diese Haltung ist noch nicht damit überwunden, daß man Heimaturlaub gewährt oder Krankenbesuche in der Familie zur Selbstverständlichkeit erklärt. Ein Prüfstein ist die Art und Weise, wie etwa Ordensfrauen mit Menschen umzugehen wissen, für die sie - im Pflegedienst, in der Schule, in der Sozialarbeit, in der Erwachsenenbildung oder Altenpflege - zu sorgen haben. Man reagiert äußerst empfindlich auf eine bestimmte Betreuungsmentalität oder auch Exklusivität, die den anderen fühlen läßt: Du gehörst nicht zu uns, du bist ein Außenstehender. Noch heute beeinflußt solche Ausschließlichkeit, die fehlende Unmittelbarkeit von Mensch zu Mensch, in der Vorstellung vieler das Image namentlich der Ordensfrau ungünstig. Im geschlossenen System bilden sich derartige Verhaltensweisen fast zwangsläufig heraus. Da geht Regularität auf Kosten einer Reifung, die 4

0. du Roy, Das monastische Leben heute, in: Geist und Leben 43 (1970), S. 200 ff. - Vgl. vom gleichen Verfasser: Questions posees ä la communaute chretienne aujourd'hui, in: Collectanea Cisterciensia 33 (1971) 4, S. 297-315.

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flexibles Eingehen auf das Unberechenbar-Reale voraussetzt; da entwickelt sich eine undifferenzierte Weltdistanz, die ihren Schwerpunkt nicht in der persönlichen Unterscheidung und Entscheidung hat, sondern in der Gruppenzugehörigkeit als solcher. Und so kommt man leicht in Gefahr, sich bis zur Selbstgenügsamkeit abzuschirmen, geistliche Sicherheit zu suchen, fromme Versorgtheit und Verbürgerlichung mit Ruhe in Gott zu verwechseln. Vor allem geht in der geschlossenen Gruppe oft das rechte Augenmaß verloren. Man dramatisiert normale Schwierigkeiten, zensuriert Wirklichkeit, schneidet sie zu nach der eigenen absolutgesetzten und doch kleinen Welt. Das ist modellhaft skizziert und, wie gesagt, in vielem bereits überholt. Dennoch hat es u. E. immer noch Sinn, ja es ist dringend, demgegenüber auf die geöffnete Gruppe hinzuweisen. Sie ist heute gefordert, aus vielen Gründen. Zunächst, weil der auch menschliche Wert des gemeinschaftlichen Lebens wieder entdeckt worden ist, nicht nur in den Orden, da aber besonders intensiv, mit Nachholhunger sozusagen. Man sucht das Aufeinanderzu innerhalb der Kommunität, man sucht zugleich die Welt als Mitwelt, nicht nur Umwelt. Daß mit der Änderung der Größenordnung, mit Kleingruppen verschiedenster Art nicht schon alles getan ist, daß damit sich das Problem eigentlich erst stellt, wird inzwischen immer deutlicher gesehen. Kenntnis der gruppendynamischen Gesetzmäßigkeiten (wir kommen noch darauf) kann hilfreich sein; aber wie man miteinander umgeht, in gegenseitiger Beziehung leben kann, das ist nicht ohne ganz gewöhnliche Mühe herauszufinden, das verlangt wie eh und je das Sich-Übersteigen und SichUberschreiten in der schweren Kunst, die man Selbstlosigkeit nennt. Ihr Ubungs-Feld bleibt der gemeinsame Alltag. Und die Mühe wird nicht geringer, je genauer man durch Soziopsychologie und Anthropologie Bescheid weiß über den faktischen Anspruch von seiten der Person wie von seiten der (personalen) Gemeinschaft. Wo innerhalb der Kommunität Gemeinsamkeit in menschlicher Wahrhaftigkeit zu entstehen beginnt, da ergibt sich die Öffnung über die Gruppengrenze hinaus wie von selbst. Es ist ein einziger Vorgang des Durchlässigwerdens. Der innerkommunitären Selbstlosigkeit entspricht und entspringt die Kollektiv-Selbstlosigkeit. Öffnung über die Gruppengrenze hinaus ergibt sich aber auch aus dem Lebensgefühl der Menschen, mit denen die Orden zu tun haben, die in ihre Kirchen und Sprechzimmer, in ihre Heime und Schulen kommen, sich ihnen anschließen oder sie befragen wollen, für die sie dazusein haben. Diese Menschen kommen aus einer pluralistischen Stadtgesellschaft, in der es ganz normal ist, einer Vielfalt von Gruppen zuzugehören (Familie, Berufsgruppe, Partei, Sportklub, Alters- und Freundeskreis usw.). Der einzelne hat damit die Mög-

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lidikeit, •dem ausschließlichen Druck eines einzigen Milieus auszuweichen"5 und doch wiederum nicht wie Flugsand verweht zu werden. Kommt hinzu, daß diese meist jungen Menschen einen sozialen Horizont mitbringen, der (nicht immer realistisch) sozusagen die ganze Welt umfassen will. Mit beidem aber stellen sie ein in sich geschlossenes System in Frage, und falls es sich nicht um verängstigte, neurotisierte und lebensscheue Menschen handelt, die sich aus dem Straßengewühl auf die Verkehrsinsel einer Ordens- • Familie" flüchten wollen, werden sie eine Gemeinschaft nicht akzeptieren und schon gar nicht als christlich bejahen, die über die eigenen Mauern buchstäblich oder geistig nicht hinauskommt. Was sie positiv suchen, ist eine christliche Möglichkeit, Mensch zu sein; das aber heißt vom Wesen her immer zugleich: mit anderen zusammen sich engagieren für Not und Zukunft der Kirche, der Gesellschaft, der Menschen. Wo das ernstgenommen (nicht nur zur Kenntnis genommen) wird, führt es zu erheblichen Konsequenzen für das Leben einer Kommunität. Ein •unitäres Einheitsmodell'' jedenfalls könnte diesen vielfältigen Anrufen nicht entsprechen. Wie immer für die einzelnen Klöster und Orden die geforderte Öffnung konkret werden mag: es bietet sich hier die Chance, eine ganz ursprüngliche Kraft zurückzugewinnen, wenn die Wandlung gelingt. Es wäre die Kraft der Anziehung und Durchdringung, wie sie dem Evangelium eigen ist und sich allen mitteilt, die den Rahmen und Radius ihres Lebens immer wieder am Evangelium messen und zurechtbringen. Daß sie es aus diesem Grund und in dieser Rückbeziehung nicht fertigbringen, für sich zu leben, ist wohl das Geheimnis der Mönche von Taize und ihrer Strahlkraft namentlich für junge Leute. •Nicht blind, nicht taub, nicht stumm", so haben sie ihren Kalender für 1972 überschrieben. Und man findet zu jedem Monat ein Bild und Wort, das den sozialen Nerv des Heutigen trifft, aber: durchmeditiert, angeleuchtet vom Evangelium. Darauf käme es an: Sich gemeinsam aufschließen im vielschichtigen Geflecht des MenschlichGesellschaftlichen der jeweiligen Mitwelt (was anfängt mit. dem Ernstnehmen des Menschen neben mir: auch das rühmt man Taize nach, daß man sich dort persönlich aufgenommen, willkommen weiß); jedoch verankert im Geistlichen. Nur so läßt sich wohl das reife Gleichgewicht herausfinden zwischen Öffnung und Konzentration, gruppenpsychologisch gesprochen: zwischen Fremdbezogenheit und Selbstbezogenheit. Von der ideell fixierten Kommunität zur Gefährtenschaft auf dem Weg Wer nach dem zweiten Weltkrieg oder noch etliches darnach in einen Orden eintrat, hatte ein festes Berufsbild, ein Leitbild, sogar ein Ideal. Man 5

Du Roy, Geist und Leben 43 (1970), S. 202.

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trat in einen Stand ein, also in ein Milieu, das von anderen abgegrenzt war, eben aufgrund eines Ideals oder auch eines Programms, auf das man sich verpflichtete. Im Falle der Orden galt dieser Stand als objektiv höher, als Stand der Gottgeweihtheit. Das Erbe von Jahrhunderten lag darauf und mit der Last noch mehr die Würde. Der Weg, auf den man sich einließ, war der institutionell (auch kirchenrechtlich) vorgespurte Weg der evangelischen Räte, ein sichererer (eigentlich nahezu ganz sicherer) Weg zur Vollkommenheit. Weiter gehörte dazu, daß man in besonderer, auch offizieller Weise Kirche darzustellen suchte (dem diente der gesamte sakralisierte Lebensstil, nicht nur das Chorgebet oder die Rolle der Autorität). Man wußte sich für ein Leben der Entsagung, der Verborgenheit und der Arbeit entschädigt, nicht zuletzt in einer (auch die männlichen Ordensmitglieder) umfassenden Brautmystik. Das Risiko, das Abenteuerliche eines Lebens in der Nachfolge war sozusagen domestiziert. Für alles gab es mehr oder weniger eine Sofortantwort. Wirkliche Krisen (Berufs- und Glaubenskrisen, menschliche Krisen) waren sie eigentlich denkbar? Beruhten sie nicht von vornherein auf dem Versagen des einzelnen, der die ihm gebotenen Hilfen nicht annahm oder eben keinen •Beruf hatte? Wahrscheinlich zu oft begnügte man sich mit dem Hinweis auf den Gehorsam, auf die Profeß, auf das, wozu man doch ins Kloster, in den Orden gekommen sei (•mit Christus gekreuzigt werden", •die Ganzhingabe leben" u. dgl.). Ziel, Weg, Preis, alles lag fest, war ausgemacht. Der einzelne war damit ebenfalls festgelegt. Wer Probleme hatte, konnte zu hören bekommen: •Sie passen nicht zu uns." Heute geht das nicht mehr. Sind wir weniger gläubig, weniger opferund einsatzbereit? Das würde nicht völlig erklären, weshalb viele so unsicher geworden sind, so angestrengt nach ihrem Standort, ihrer persönlichen wie gemeinsamen Identität suchen. Sie können sich nicht mehr so fraglos, wie man es früher wohl konnte und getan hat, mit dem Vorgegebenen: dem überlieferten Verständnis des Ordensideals und seiner Verwirklichung in den vielen Kleinigkeiten des Alltags identifizieren, in jener •seligen Naivität" (K. Rahner), die ein Gesicht so friedvoll machen kann. Ideologiekritik im Sinn der Aufdeckung eines falschen Standes- oder Gruppenbewußtseins ist allenthalben aufgebrochen. Aber die neuen theologischen Ansätze (im Sinn des notwendigen Selbstverständnisses, der legitimen Selbstauslegung, gemeinschaftlich wie individuell) tragen noch nicht genug. Der anthropologische und soziologische Untergrund für die Verwirklichung eines spirituellen Ideals, das seinen Ausdruck in so hohen Vokabeln wie Jüngerkreis, Anteilnahme an der Sendung Christi u. dgl. findet, ist noch nicht genügend neu bedacht. Und gerade hier drängen neue Erkenntnisse, denen es sich zu stellen gilt. Ehelosigkeit, Armut und

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Gehorsam führen nicht so ohne weiteres zur Vollkommenheit, wie man bisher geglaubt hat, auch wenn sie sehr ernstgenommen werden. Es müssen erst die Voraussetzungen dafür bewußt gemacht und geschaffen werden. Und ganz allgemein: Wir kommen nicht daran vorbei, daß Glauben auch für Ordensleute ein Abenteuer, ein Weg ins Ungewisse, Dunkle ist; daß unser Verfügbarseinwollen je länger je mehr gepaart sein kann mit Ohnmacht, Aufbegehren, mit Zweifel bis an den Rand der Verzweiflung; daß keiner weiß, ob er in der Gnade ist, ob er beten kann, speziell: ob er ein Leben unter den Gelübden bis zum Ende wird durchhalten können; ob ihn - mit einem Wort - das Leben in Gemeinschaft wirklich zur Reife, zur Sinngestalt seines Lebens führen oder nicht sie gerade vereiteln wird. Die Bodenlosigkeit aller wachen Menschen und Christen heute, ja die Bodenlosigkeit des Menschen überhaupt, die vielleicht lange Zeit (wenn auch nicht für jeden in gleichem Maße) überdeckt war durch das objektiv Unbefragbare und subjektiv Unbefragte, sie ist nun auch das Los der Orden geworden. Man darf gar nicht zu viele Worte darüber machen, so normal ist das, aufs Ganze gesehen. Denn der eine Weg der Nachfolge bedeutet für alle, nicht nur für die Orden: immer weniger Bescheid wissen, immer tiefer ins Ungewisse hineingeraten und nur eine Weisung haben: die durchzuhaltende Entscheidung für den Herrn, der eben so dem Geheimnis seines Lebens: Gott, entgegenging. Wird damit Gemeinsamkeit verneint? Ebenso wenig, wie die Möglichkeit einer pluralen Gesellschaft verneint werden kann. Aber wie diese wird auch Ordensgemeinschaft herausgeholt aus aller unwirklichen Perfektion und unerlaubten, ja gespenstischen Programmatik. Eher trifft der Titel zu: •Gefährtenschaft auf dem Weg." Mit Recht meint der Prior von Taize, unsere hiesige (nicht nur heutige) Situation sei gekennzeichnet durch die •Dynamik des Vorläufigen". Auch in katholischen Ordenskreisen versteht man das inzwischen besser. Weiß man doch auch da jeden Tag besser, daß der Weg nicht voll zu überschauen, nicht ein für allemal festzulegen ist, sondern beschritten, im Gehen er-fahren werden muß. Um so größere Bedeutung kommt der Gemeinsamkeit zu. Wenn es eine Konstante gibt, dann nicht ein von allen anerkanntes reflexes Selbstverständnis, sondern das er-fahrene Miteinander aufgrund der gleichen Berufung, der gleichen Verheißung und der Bindung zur gleichen Verfügbarkeit. •Gefährtenschaft", weil Jüngerschaft, Gemeinschaft in der Antwort auf den Ruf des Evangeliums, der aber immer neu ergeht und nur im gemeinsamen Erwarten und Hinhören zu verwirklichen ist. Gemeinschaft besteht im immer neuen Ertasten des nächsten Schrittes auf den Ruf hin. War es nicht im Anfang auch so? •Wo wohnst du, Meister?" fragten die Ersten (vgl. Jo 1,38). •Kommt und seht", hieß die Antwort. Sie ließ alles offen. Die Jün-

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ger kamen - und sahen ein Leben lang eigentlich nicht: er hatte ja keine Bleibe hier auf Erden. So blieben sie unterwegs, aber eben das machte sie gemeinsam, und eben so fanden sie den Weg als Jünger ihres Herrn, solidarisch mit den Suchenden aller Zeiten, als Mitgefährten unserer Berufung. II Wenn der Veränderungsprozeß, in dem mit der ganzen menschlichen Gesellschaft heute unsere Orden stehen, nicht zur Auflösung, sondern zu einem neuen Aufbau der Gemeinschaften führen soll, genügt es nicht, ihn empirisch zu umschreiben; es müssen eine ganze Reihe aktivierender Faktoren ins Spiel kommen, die bei aller Gruppenbezogenheit unabschiebbar Sache der Einzelnen sind. Wir weisen auf einige von ihnen kurz hin. Abgesehen von der Geduld, dieser vielleicht wichtigsten Voraussetzung dafür, daß die augenblicklichen Wandlungen zum Guten hin durchgetragen werden und in eine Zukunft führen, nennen wir die Lernbereitschaft, die Information, die Rommunikation und die menschlich-geistliche Reife. a) Lernbereitschaft (Lernfähigkeit, Lernwille und -Willigkeit) besagt hier eine Grundhaltung, die ansetzt im allgemeinen Umbruch unserer Zeit. Die Tatsache, daß in Gesellschaft, Kirche und Welt fast nichts mehr ungebrochen und unbefragt dasteht, daß schier alles sich ständig, und zwar rasant verändert, hat zur Folge, daß die Grundsätze lebenslangen Lernens für jeden zur Selbstverständlichkeit werden. Diese Forderung gilt also keineswegs isoliert für die Orden. Nur tun sie sich offensichtlich schwerer als andere Gruppen und Menschen. Wenn als eine Faustregel der Gruppendynamik gilt, daß das Tempo einer Gruppe sich nach ihrem langsamsten Mitglied richtet, wird man von daher leichter verstehen, weshalb selbst Kommunitäten, die sich grundsätzlich dem Veränderungsprozeß positiv stellen, in nicht wenigen Dingen den Eindruck zäher Beharrung machen. Sie müssen eben Rücksicht nehmen auf die Lernunwilligen in ihrer Mitte, die aus Mangel an Einsicht unbedingt am Herkömmlichen festhalten wollen, das zudem länger als anderswo nicht im Fluß war und sich vielfach abseits der normalen Lebensbedingungen abgespielt hat. Aus Angst vor dem scheinbaren Chaos möglicher Vielfalt, aus Gewöhnung, auch aus Phantasielosigkeit klammern sie sich am Überlieferten fest, das ihnen ein Gefühl der Sicherheit und des Schutzes gibt. Und sie identifizieren sich um so entschiedener damit, je ungewohnter es für sie ist, daß der Boden unter den Füßen wankt und schwindet. Wie man weiß, sind das nicht nur alte Menschen; auch in den mittleren Jahrgängen, auch bei den ganz Jun-

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gen gibt es das. Veränderung (sei es auch nur am Ordenskleid oder an der Tagesordnung) hat für sie mit Untreue zu tun; Systemveränderung gar gilt als lebensgefährlich. Wo nur solche Typen in einer Kommunität wären, käme es nie zu einem Wandel, würde alles stagnieren; wo sie ganz fehlten, würde allerdings die heilsame Bremse fehlen, fiele die Nötigung fort, das Gute und weniger Gute am Neuen zu unterscheiden. Das Ende wäre in diesem Fall die Selbstauflösung. Denn das Bedürfnis einer Gruppe nach ablesbarer und erkennbarer Identität, das hinter jeder Art von Fixierung steht, ist legitim. Man muß wissen, wer man ist und was man soll, wenn man auf die Dauer zusammenbleiben will. Freilich wird dieses Bedürfnis nur dann zum Ziel führen und nicht in die Illusion, wenn es Hand in Hand geht mit der Willigkeit, sich dem realen Leben und seinem Gang auszusetzen. Eben diese Willigkeit (die Voraussetzung für den Wandel von der geschlossenen zur geöffneten Gruppe) nennen wir Lernfähigkeit, Veränderungsbereitschaft, im Gegensatz zu ihr steht Fixierung auf Überkommenes, genauso aber auch Fixierung auf den Fortschritt. Auch das gibt es. Parolen wie •Mitbestimmung", •Freiheit und Mündigkeit", •Dialog", •es muß etwas geschehen" (wobei das Was nicht immer klar ist) sind der sprachliche Ausdruck für eine Haltung, die nur scheinbar ideologiekritisch ist, in Wirklichkeit aber neue Mythen schafft und genauso einem übersteigerten Bedürfnis nach Identität entstammen kann wie Verfallensein an Konvention und Establishment. Der Realitätsbezug fehlt hier wie dort. Gerade er macht Lernbereitschaft aber erst fruchtbar für den Aufbau unserer Gemeinschaften, wie wir es heute brauchen. Ja, man kann sagen, daß Sachbezogenheit und (Hand in Hand damit) Verzicht auf Bescheidwissen den Lernprozeß überhaupt erst in Gang kommen lassen. Man muß also anknüpfen an objektiven Faktoren und sich beziehen auf objektive Gegebenheiten (Strukturen, Autoritätswaltung, Art und Weise des Miteinander-Umgehens, Rolle des Einzelnen im Ganzen usw.). Womit zugleich auch schon gesagt ist, daß das Feld dieses Lernprozesses theoretisch gar nicht abzustecken ist. Auch und gerade im Orden gilt es das ganze Leben zu •lernen" und seinen ursprünglichen Sinn zu entdecken: für und mit anderen dazusein. Allzu ängstliches Fragen, wo das hinaus soll und wie es paßt zu dem, was man sein soll und angeblich schon immer gewußt hat, verträgt sich nicht damit; allerdings auch nicht die oft erstaunliche •Sicherheit" der Reformer. Zu einem neuen Selbstverständnis wird man auf die Dauer nur dann kommen, wenn die persönliche und gemeinsame Öffnung zur Wirklichkeit nicht bloß Sache des guten Willens oder gar der Emotionen bleibt, sondern die Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung und Wiedergabe von Information miteinbezieht.

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b)lnformation ist die Voraussetzung dafür, daß eine Gemeinschaft Kontakte mit der Wirklichkeit haben kann, innerkommunitär wie zur Umwelt und Mitwelt hin. Information gilt heute auch darum als unerläßlich, weil mit der Zahl der Möglichkeiten ganz allgemein die Ungewißheit zunimmt; Information soll Gewißheit verschaffen. Der Informationsfluß in unserer Gesellschaft ist daher ungeheuer. Weitgehend beschränkt er sich allerdings auf Faktenmitteilung, darin dem empirischen Menschen entgegenkommend, der wissen will, was ist. Die so vermittelte Gewißheit bleibt dann an der Oberfläche. Facts sind wichtiger als Inhalte, Statistiken (also Quantitäten) überrunden die Frage nach den Qualitäten. So gibt es zweifellos die Gefahr einer Überbewertung z. B. der Erfahrungswissenschaften, namentlich dort, wo allzu lang an ihren Einsichten und Hilfestellungen vorbeigegangen wurde - wie in vielen Ordenskommunitäten. Eine Art gruppendynamischer Inflation hat damit zu tun. Aber Information muß sein. Lernbereitschaft bliebe sonst ein Postulat ohne Inhalt; und Öffnung zur Wirklichkeit hätte, wie gesagt, alle Chancen heilloser und gruppensprengender Verwirrung. Ganz allgemein muß also gefragt werden: Gibt es genügend Information innerhalb unserer Kommunitäten und für sie? Können sie überhaupt wissen, wie das Leben heute ist, in dem sie ja ihren Dienst tun, ihr Zeugnis geben sollen; sind sie im Bild darüber, wie speziell Vergesellschaftung sich abspielt in Welt und Kirche, auch in anderen kirchlichen Gruppen und Orden? Ist genügend bekannt, wie eine Gruppe wird, wie sie Krisensituationen begegnet, Korrekturen liefert, welche Bedeutung Substrukturen (Untergruppen) haben für die Gesamtgruppe und ihre Durchlässigkeit, angefangen bei der Paarbeziehung und ihren Möglichkeiten der Identifikation, die so in der Großgruppe nicht gegeben sind? Weiß man umzugehen mit Konflikt und Konfrontation (bis zur Opposition)? Kennt man die wichtigsten Gesetze der Gruppendynamik, der Interaktionen, der psychischen (Abwehr- und Aggressions-) Mechanismen, der Rolle des einzelnen im Gruppenprozeß? Wer sich solche und ähnliche Fragen noch nie gestellt hätte, wer sie für überflüssig hielte oder auch für zu riskant, der würde damit anzeigen, daß für ihn Ordensgemeinschaft noch immer etwas sui generis wäre, das mit dem allgemein Menschlichen und also auch mit menschlicher Vergemeinschaftung wenig zu tun hat, jedenfalls irgendwie von selbst läuft und sich schließlich auch wieder zurechtbringt. Daß dem nicht immer so ist, daß auch in der Ordenskommunität dieses vitale Kräftespiel von Mensch zu Mensch täglich stattfindet, nicht bis ins letzte steuerbar, aber beobachtbar und auszurichten auf das gemeinsame Ziel hin, das haben inzwischen gute und weniger gute Erfahrungen bewußt gemacht. Man kann viel versäumen, man kann manche Krise zur Ausweglosigkeit entarten lassen, wenn man

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diese Einsichten übergeht. Allerdings müssen sie übersetzt werden auf die je eigene Situation und immer verbunden sein mit Selbsterfahrung, die nicht in Buch- oder Kursform, sondern im Alltag des Zusammenlebens erworben wird. Wo das nicht geschieht, und das heißt normalerweise: wo der Gruppenprozeß nicht ganz praktisch, • auf dem Rücken obj ektiver Gegebenheiten" ins gemeinsame Bewußtsein dringt, wo er also unverbindlich und theoretisch bleibt, angelesenes und gewöhnlich nur halbverstandenes Wissen, da allerdings kann Information zur Gefahr werden. Selbsterfahrung wird dann von Fremderfahrung überwuchert, nicht aufgeweckt, und man weiß, was das für Folgen hat. c) Mit dem Ubersetzungsprozeß ist auch dessen Instrumentarium angesprochen: Kommunikation. Davon redet heute jedermann. Kommunikationsmuster werden überprüft (an die Stelle des vertikalen • Sternverkehrs" muß der zwischenmenschliche •Kreisverkehr" treten), Kommunikationsschichtungen untersucht. Kirche wird psychologisch beschrieben als Kommunikationsprozeß, der •ausnahmslos durch das Medium zwischenmenschlicher Interaktion und Gruppendynamik sich vollzieht"6; analog dazu sucht man allenthalben auch Ordensgemeinschaft zu umschreiben. Das ist natürlich einseitig und reicht nicht aus, es betont aber doch einen ganz wesentlichen Faktor für das Werden von Gemeinschaft im heutigen Veränderungsprozeß. Kommunikation ist wechselseitige Teilnahme und Teilgabe an Erfahrung, Einsicht und Erleben; wobei für die Orden besonders wichtig ist, daß dieser hin- und herflutende Austausch nicht nur innerhalb der Kommunität, sondern über die Gruppengrenzen hinweg sich vollzieht. Kommunikation ist der zwischenmenschliche, zwischenpersonale Vorgang, durch den Information zur verändernden Mitteilung wird. Indem ein Mensch, indem eine Gruppe kommuniziert, wird er (sie) anders, nämlich kommunikativ; ebenso kommt es auch zum Ausgleich zwischen Fremderfahrung und Selbsterfahrung, ohne den weder persönliches noch gemeinsames Leben sich finden und gesund bleiben kann. Man weiß, daß Kommunikation nicht von selbst läuft, daß sie der Einübung bedarf. Einübung hat es immer mit tieferen als den nur rationalen Schichten zu tun, aus denen etwa intellektueller Austausch, informatives Sachgespräch kommt. Auch schon zum Zweck störungsfreier Zusammenarbeit oder der menschlichen Entfaltung der Gruppenmitglieder (im Hinblick auf ihre Leistungsquote) oder auch zur Abstimmung thematischer und verborgener Ziele aufeinander muß kommunikativer Austausch diese größeren Tiefen erreichen und daraus hervorgehen. Für eine geistliche Gemeinschaft genügt das aber noch nicht. Sie muß kommunikativ werden mit • D. Stollberg, Seelsorge durdi die Gruppe, 1971, S. 17.

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einer ganz bestimmten Zielvorstellung, die das Zweckhafte und Leistungsverpflichtete übersteigt. Ob Kommunikation eingeübt wird im religiösen Gespräch, im Sachgespräch, in der Teamarbeit, immer muß es hier auf das Ziel hin geschehen, daß Gemeinschaft wird von der je eigenen Berufung her, in dieser Zeit, in dieser Situation. Das ist noch eine andere Frage als die nach der ernsthaft arbeitenden Gruppe mit möglichst hoher Effizienz. Es geht auch hinaus über bloß schöne Mitmenschlichkeit, Kameradschaft oder die heute wieder vielbeschworene Freundschaft (was man so darunter versteht). Sondern: Was sind wir und was wollen wir? Diese Frage muß richtungweisend sein in allem. Auf sie hin geschieht Überwindung der eigenen Begrenztheit und Selbstangewiesenheit, Befreiung aus der Isolation, verstärkte Selbstwahrnehmung und -Verwirklichung, Veränderungen also, die jeder Kommunikationsprozeß irgendwie zur Folge hat. Hier werden sie in den Dienst so drängender Anliegen gestellt wie: Gestalt und Ausgestaltung der gemeinsamen Berufung, der Ordnung und Leitung, des Gebetes oder der Armut einer Gemeinschaft, ihrer Verfügbarkeit heute, ihrer Arbeiten und Werke; radikale Offenheit zum Hören und Helfen ohne Verausgabung im Wesentlichen (Ausgleich zwischen Kommunikation und Konzentration); Schaffung der bildungsmäßigen, institutionellen, wirtschaftlichen, humanen Voraussetzungen, um das zu sein, was man sein soll usw. Im kommunikativen Austausch (Miteinandersprechen, -planen, -streiten und -lernen) kommt man der Lösung näher, und das nicht nur, indem man die anstehenden Sachfragen reflektiert, sondern indem man sich dabei und dadurch gemeinsam macht. Man tut bereits, was man bedenkt; und indem man sich auf das gemeinsame Ziel hin austauscht, vom Eigenen einander gibt, geschieht etwas von dem, was Buber dialogische, •werdende" Gemeinschaft nennt. d) Mit allem Gesagten ist schon der vierte der Faktoren, ohne die u. E. Gemeinschaft heute nicht werden kann, angesprochen und aufgerufen: menschlich-geistliche Reife. Wie man zur Reife führt, wie man miteinander zur Reife kommt, diese dringliche Frage ist dort zum Teil schon beantwortet, wo Lernwilligkeit, Information und Kommunikation ihren Raum und ihre Ordnung gefunden haben. Denn reif wird ein Mensch, der sich veränderungsbereit dem realen Leben aussetzt, der Schutz- und Trennmauern niederreißt, der in eine freie und realitätsgerechte Auseinandersetzung mit der Innen- und Außenwelt einzutreten wagt und durch das Finden des andern sich selbst zu finden beginnt. Selbstfindung durch Finden des Nächsten, darin besteht doch wohl im Kern der Reifungsprozeß, dieser lange und langsame Weg des Erwachsenwerdens, des Menschwerdens. Wo das nicht zustande kommt, gibt es auch keine Gemeinsam-

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keit, die diesen Namen verdient. Nur wer in sich gerundet ist, kann über sich hinausleben, und nur wer sich dem •Schock" des andern nicht entzieht, wird er selbst. Man muß sich dazu oft und im Grund des Herzens für das Abenteuer entschließen, das menschliche Begegnung heißt - Begegnung mit dem gleichgeschlechtlichen und dem verschiedengeschlechtlichen Anderen -, nicht um des Abenteuers willen, aber weil nur so die Glaswand der Ichwelt durchstoßen wird, in der so viele, auch •geistliche" Menschen beiderlei Geschlechts dahinleben. Das Wagnis der Intimität setzt nicht nur Reife voraus, es macht auch reif. Freilich nur dann, wenn wiederum nicht die Begegnung in sich schon Ziel ist, sondern die Ausrichtung klar bleibt auf das, was geistliche Gemeinschaft ist und soll. Es gibt auch hier ein unzulässiges, ja unverantwortliches Experimentieren, ein Dahinterkommenwollen, und das hat ebenso wenig mit Reife zu tun wie ängstliche Bewahrsucht mit Devisen wie: •Im Ordensleben muß man allein fertig werden", und: •Wir brauchen das nicht." Man sollte aber auch beachten, daß Begegnung nicht immer sofort die tiefsten Schichten in Bewegung setzen muß. Auch im alltäglichen Miteinander gibt es echte Begegnung, im Anerkennen des anderen als anderen, in der gegenseitigen Toleranz wie im redlichen Durchtragen der Konflikte, die notwendig und in Scharen auftreten, wo Veränderungen heutigen Ausmaßes bewältigt werden müssen. Wer menschliche Begegnung sucht und dabei die gewöhnlichen Kontaktnahmen, das schlichte Einüben der Gesprächsbeziehung auch im Fall des weniger Sympathischen, des Ungeschickten oder Aggressiven vernachlässigt, muß sich wohl fragen, ob er nicht sich selber mehr sucht als den anderen. Außerdem ist es ein Kennmal der reifen Kontaktnahme, daß sie zu reicherer, nicht kargerer Selbstmitteilung befähigt, daß sie aus der Intimsphäre in das Ganze ausstrahlt und also die Gruppe nicht sprengt, sondern intensiviert. Glücklich die Kommunität, die wenigstens ein paar begegnungsfähige Menschen hat. Sie können besser als lange Abhandlungen und Lehrgänge eine Vorstellung davon geben, was Reife ist; sie können einfach dadurch, daß sie so sind, ein Klima schaffen, das Reifung begünstigt. Einerseits geht etwas Bergendes und Verläßliches von ihnen aus, weil sie Distanz von sich gewonnen haben und das Geistliche im Menschlichen verankern; anderseits eröffnen sie jene größeren Horizonte, in denen man das Leben selbst mithelfen läßt, daß vieles zurechtgerückt wird und rechte Maßstäbe gesetzt werden. Natürlich wäre es wichtig, daß solche wirklich erwachsenen Ordensfrauen und -manner ihren Spielraum bekommen, auch wenn das nicht immer bequem sein mag. Zuviel hängt davon ab; nicht zuletzt, ob Verantwortung gemeinsam getragen werden kann oder doch immer nur von wenigen einzelnen. Vor allem können nur so die vielen ein-

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zelnen im echten Hören auf die konkrete Situation und das, was Gott in ihr sagen will, zu jener tiefen, nicht von Menschen zu •machenden" Gemeinsamkeit zusammenwachsen, die in den vielen Krisen kollektiver wie persönlicher Art die eigentliche und bald vielleicht einzige Gewißheit gewähren kann. Wie also kann heute Gemeinschaft in unseren Orden werden? Vielleicht läßt sich zum Schluß ein Dreifaches darauf sagen. Zunächst und vor allem: Gemeinschaft wird im Vollzug. Man muß sich gemeinsam machen. Nicht Diskussionen, Reflexionen oder auch Konstitutionen allein schaffen es, wenn nicht das Tun hinzukommt, praktisch, konkret, nie perfekt, jeden Tag neu versucht; das Tun gerade der unauffälligen Dinge: der Arbeit, die keiner sonst macht, der Rücksichtnahme, der Anerkennung und Anteilnahme in kleinen Aufmerksamkeiten - jeder weiß, was gemeint ist. Das Zweite: Gemeinschaft und ihr Werdeprozeß sollte nicht schon wieder zum Programm gemacht werden. Das heißt nicht, man solle ins Blaue hinein leben, sich das Nachdenken darüber sparen, was Gemeinschaft ist und heute sein soll und wie man dazu kommt. Nur wird Gemeinschaft, die bloß sich reflektiert, nur auf den eigenen Aufbau und das eigene Funktionieren aus ist, genauso wenig gelingen wie das Leben des einzelnen, der aus seiner Profilneurose nicht herauskommt und daher nur sich umkreist. Gemeinschaft und zumal Ordensgemeinschaft muß sich fortgeben, wie Gott es durch die Gegebenheiten fügt. Es gibt eine Kollektiv-Selbstlosigkeit, die bis dahin geht, daß die Frage sekundär wird, ob es meinen Orden in zehn Jahren noch gibt oder nicht. Und das Dritte: Gemeinschaft ist Aufgabe, aber sie kann nur gelingen, wenn sie als Gabe angenommen wird: voneinander und miteinander vom Geist Jesu Christi. Gemeinschaft, das lehrt jeder Tag, ist etwas unendlich Schweres, immer nur ansatzweise zu verwirklichen. Aber andererseits ist sie schon verwirklicht: durch Jesus Christus. Es kommt alles darauf an, daß wir das Angebot der so schon vorgegebenen Gemeinschaft ergreifen. In jeder Eucharistiefeier, in jedem gemeinsamen Gebet ist Gemeinschaft vorgestiftet, und so kann sie immer neu auch im Alltag geschehen. Christus hat die Trennwände niedergerissen: die Wände der Bildungsunterschiede, der Rassen und Ideologien, die Wände zwischen Mann und Frau, die Mauern zwischen Mensch und Gott. Ob es Gemeinschaft in unseren Orden geben kann, ob sie heute werden kann, das hängt zuletzt davon ab, daß dem Geist Raum gelassen wird, dem Geist Jesu, der heute wie vielleicht noch nie dieses Zeugnis seiner Anwesenheit will, in einer Zeit und Menschheit, die nichts nötiger hat als Modelle des Miteinander, die so dringend fragt nach gelebter, geschehender Gemeinschaft.