Wenn es um die Preise von Hilfsmitteln

T H E M E N D E R Z E I T Hilfsmittel Petra Bühring Unübersichtlichkeit treibt Preise Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung für Hilfsm...
Author: Martina Beutel
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Hilfsmittel Petra Bühring

Unübersichtlichkeit treibt Preise Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung für Hilfsmittel sind in den letzten zehn Jahren um knapp die Hälfte gestiegen. Der Markt ist intransparent.

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enn es um die Preise von Hilfsmitteln geht, kann man verblüffende Erfahrungen machen. So pflegte ein Experte einer namhaften Krankenkasse die eigentlich simple Frage zu stellen: Was dürfen vier Kompressionssocken und vier Pelotten kosten? Die Befragten schätzten die Preise der kleinorthopädischen Hilfsmittel mit gesundem Menschenverstand auf 11 bis 250 DM. Tatsächlich belief sich der vom Leistungserbringer an die Krankenkasse ausgestellte Kostenvoranschlag auf 1 700 DM. Ein anderes Beispiel: Für eine Peronäus-Orthese, bestehend aus einer Kunststoff-Schuheinlage, einem daran befestigten Kunststoffteil und einem Klettband, um das Ganze am Bein hoch zu fixieren, werden 1 200 DM gefordert. Der gerechtfertigte Preis wäre vielleicht 100 DM.

großer Sektor, aber einer mit hohen Steigerungsraten. Die Ausgaben der GKV für Hilfsmittel sind innerhalb des vergangenen Jahrzehnts von 5,75 (1991) auf 9,38 Milliarden DM (2000) gestiegen (siehe Tabelle) – eine Entwicklung mit hoher Dynamik, die nicht nur mit einem gestiegenen Bedarf der Patienten oder demographischen Veränderungen erklärt werden kann. Die Vielzahl der Produkte und Leistungserbringer sowie die gesetzliche Vorgabe, dass die Krankenkassen auf Landesebene Verträge mit den Lei-

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Tabelle

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Ausgaben der GKV für Hilfsmittel in Milliarden DM

Kampf um Marktanteile Der Hilfsmittelmarkt wird vielfach als „Dschungel“ bezeichnet. Mehr als 50 000 verschiedene Produkte sind im Angebot: Hörgeräte, Brillengläser, Inkontinenzhilfen, Rollstühle, Prothesen, Bandagen, Schuhe und vieles andere. Die heterogene Gruppe der Erbringer dieser Leistungen – Orthopädietechniker, Sanitätshäuser, Optiker oder Hörgeräteakustiker – kämpft um ihre Marktanteile. Seit einigen Jahren drängen auch die Apotheken auf diesen Markt. Der Anteil der Ausgaben für Hilfsmittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) belief sich im Jahr 2000 auf 3,51 Prozent (GKV gesamt: 261,1 Milliarden DM) – kein

ligung der Betriebskrankenkassen Düsseldorf und Jagenberg-Rheinmetall, einer Rehabilitationsklinik und des Abrechnungszentrums VPS in Düsseldorf für Schlagzeilen. Der Schaden belief sich auf mehrere Millionen DM. Im Hilfsmittelmarkt gebe es diverse Möglichkeiten, mit unlauteren Mitteln das Einkommen aufzubessern, verlautete aus informierten Kreisen. Die Beweislage ist schwierig. Ob es sich um Einzelfälle oder organisierte Methode handelt – für alle gilt: Je größer die Unübersichtlichkeit und das Maß der Ver-

Jahr

absolut

je Versicherten

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

5,752 6,895 6,906 7,735 8,434 9,359 8,797 8,675 9,017 9,380

81,17 96,05 95,86 108,08 117,63 129,98 122,69 121,64 126,38 –

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

stungserbringern abschließen können (§ 127 SGB V), macht den Hilfsmittelbereich sehr unübersichtlich. Diese Intransparenz sichert hohe Preise und macht den Marktteilnehmer (Hersteller, Händler und Handwerker) weniger angreifbar als beispielsweise die kompakte Arzneimittelindustrie – zum Nachteil der Beitragszahler. Die Intransparenz begünstigt auch schwarze Schafe unter den Leistungserbringern, Ärzten und Krankenkassen. So sorgte der im März aufgedeckte Korruptionsskandal unter Betei-

flechtungen, desto eher ist Korruption möglich. Ein paar typische Szenarien: ❃ Bei der Ausstellung einer Verordnung handeln Arzt und Leistungserbringer eine Prämie aus. ❃ Zwischen Krankenkassenmitarbeiter und Leistungserbringer fließt Geld für Verträge. ❃ Sanitätsfachhändler haben ihr Depot beim Arzt, der seine Patienten direkt damit versorgt. Besonders in der Klein- und Großorthopädie sind die Preise zum Teil völDeutsches Ärzteblatt½ Jg. 98½ Heft 24½ 15. Juni 2001

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lig überhöht („Mondpreise“). Dass die turen und Intransparenz. Das macht Krankenkassen die Kostenvoranschläge überhöhte Preise und Unwirtschaftlichdennoch absegnen, liegt an einem un- keit möglich“, beklagt Susanne Eschübersichtlichen veralteten Abrechnungs- mann, Hilfsmittelexpertin beim Ververfahren. Es beruht auf der Bundes- band der Angestellten-Krankenkassen, prothesenliste, die noch aus den Zei- Siegburg. Gleichzeitig seien den Kranten der Kriegsopferversorgung stammt. kenkassen keine adäquaten InstrumenLängst amortisierte Produkte wurden te übertragen worden, um eine wirtimmer wieder mit Preisaufschlägen ver- schaftliche Versorgung zu steuern. Die sehen; hinzu kommt die teure handwerk- Vielzahl der Produkte erschwere transliche Leistung der Orthopädietechniker. parente Vergütungsvereinbarungen und Die Klein- und Großorthopädie dient den Qualitätsvergleich. Erschwerend vielen Leistungserbringern zur Quer- für Vergütungsregelungen sei auch, dass subventionierung von Produkten, mit die Einkaufspreise kaum offen gelegt denen nicht mehr so viel zu verdienen werden. Einsparungen durch weltweiist: Rollstühle zum Beispiel, für die die te Beschaffungsmärkte oder RationaKrankenkasse „nur“ eine Versorgungs- lisierung aufgrund technischen Fortpauschale von rund 650 DM im Monat bezahlt. Derartige Versorgungspauschalen gibt es seit 1996 – ein allgemein gelobÜbersicht der Produktgruppen tes, weil wirtschaftliches Kon1. Absauggeräte zept. Das Versorgungspau2. Adaptionshilfen schalenmodell löste bei den 3. Applikationshilfen meisten Kassen das Wieder4. Badehilfen einsatzverfahren ab, bei dem 5. Bandagen die Kasse Eigentümer des Hilfs6. Bestrahlungsgeräte mittels ist. Reparaturen oder 7. Blindenhilfsmittel Zurüstung stellte der Leistungs8. Einlagen 9. Elektrostimulationsgeräte erbringer der Kasse in Rech10. Gehhilfen nung, und die teure Lagerhal11. Hilfsmittel gegen Dekubitus tung lag ebenfalls in der Verant12. Hilfsmittel bei Tracheostoma wortung der Krankenkasse. Bei 13. Hörhilfen dem neuen Verfahren liegt das 14. Inhalations- und Atemtherapiegeräte Risiko für Reparaturen, Zurü15. Inkontinenzhilfen 16. Kommunikationshilfen stung und Service beim Lei17. Hilfsmittel zur Kompressionstherapie stungserbringer; für diese Lei18. Krankenfahrzeuge stungen erhält er eine Fallpau19. Krankenpflegeartikel schale. Dadurch verengte sich 20. Lagerungshilfen der Markt, denn die Gewinn21. Messgeräte für Körperzustände/-funktionen möglichkeiten in der Rehatech22. Mobilitätshilfen nik sanken – Quersubventionie23. Orthesen 24. Prothesen rungen waren die Folge. 25. Sehhilfen In der Klein- und Groß26. Sitzhilfen orthopädie sind die überzoge27. Sprechhilfen nen Preise am augenfälligsten. 28. Stehhilfen Doch auch bei der Versorgung 29. Stomaartikel von Kindern mit Hilfsmitteln 30. Schienen 31. Schuhe wird ordentlich zugelangt: Sind 32. Therapeutische Bewegungsgeräte 3 700 DM für ein Dreirad, mit 33. Toilettenhilfen dem ein drei- bis fünfjähriges 99. Verschiedenes behindertes Kind sich ange50. bis 54. und 98. Pflegehilfsmittelverzeichnis schoben fortbewegen kann, anDas Hilfsmittelverzeichnis informiert über die Art und gemessen? Qualität der Produkte sowie über die jeweiligen IndiDen Krankenkassen ist das kationen. Der IKK-Bundesverband bietet das VerzeichProblem bekannt: „Der Hilfsnis im Internet zum Downloaden an (www.ikk.de). mittelmarkt ist geprägt durch monopolistische Anbieterstruk-

Hilfsmittelverzeichnis

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schritts kommen den Kassen nicht zugute. Vergütungsvereinbarungen zu tatsächlichen Marktpreisen werden erschwert.

Transparenz scheint nicht erwünscht Um für mehr Transparenz zu sorgen, wurde mit dem Gesundheits-Reformgesetz (GRG) 1989 ein Hilfsmittelverzeichnis eingeführt. Dieses wird von den Spitzenverbänden der Krankenkassen unter Federführung des IKKBundesverbandes erstellt. Rund 15 000 Produkte mit Herstellerangaben sind dort bisher unter 34 Produktgruppen zusammengefasst (siehe Kasten). Auffallend ist, dass die Produktgruppen 23 (Orthesen) und 24 (Prothesen) des Hilfsmittelverzeichnisses noch nicht fertig gestellt sind. Hier soll das Verzeichnis die intransparente Bundesprothesenliste ersetzen. Die Spitzenverbände sind dabei auf Informationen der Leistungserbringer angewiesen, deren Verbände angehört werden. Doch die verschleppen und verzögern offensichtlich notwendige Informationen für die Fertigstellung der Produktübersicht. Vertreter des Sanitätsfachhandels bezeichnen dies als „Sabotageaktionen der Lobby des Handwerks“. An einer Transparenz ihrer Produkte sei ihnen nicht gelegen. Ein Nachteil des Hilfsmittelverzeichnisses ist, dass die Leistungserbringer sich nicht danach richten müssen. „Das Hilfsmittelverzeichnis ist keine Positivliste“, betont Carla Grienberger, Referentin für Hilfsmittel beim Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK), Bergisch Gladbach. Die Leistungserbringer können dem Patienten auch andere Produkte anbieten, die nicht dort aufgelistet sind. Warum die Kosten durch die Kassen übernommen werden sollen, muss zwar dann begründet werden, ist aber möglich. Der Einfluss der Krankenkassen auf die Versorgung der Patienten mit Hilfsmitteln, und damit auf die Preise, ist gering. Die Versorgung liegt in den Händen der Leistungserbringer, die eine Zulassung bei den Krankenkassen nach § 126 SGB V haben. Der behandelnde Arzt schreibt nur die Produktart auf das Rezept, beispielsweise Rollstuhl wegen Bewegungseinschränkung, mit dem der Pa-

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Hörgeräteversorgung

Der „Goldrausch“ ist vorbei Zwei große Krankenkassenverbände setzen sich dafür ein, dass die Informationsarbeit über alternative Versorgungsund Bezugsmöglichkeiten für Hörgeräte intensiviert wird.

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rankenkassen stehen selten im Hörgeräteakustiker eine durchschnittVerdacht, Ärzte zu bevorzugen. liche Zuzahlung in Höhe von 1 015 DM Da überrascht es schon, wenn der je Hörgerät und beim HNO-Arzt in Bundesverband der Betriebskranken- Höhe von 591 DM. Vor dem Hinterkassen (BKK) und das Wissenschaftli- grund, dass in Deutschland jährlich che Institut der AOK (WIdO) in ge- mehr als 500 000 Hörgeräte verkauft trennten Studien zu dem Ergebnis kom- und angepasst werden, ergäbe sich bei men, dass die durch Empfehlung des einer weiteren Verbreitung des verHNO-Arztes ausgelöste Direktversor- kürzten Versorgungswegs eine erhebgung mit Hörgeräten keine Qualitäts- liche finanzielle Entlastung für die einbußen, eine hohe Verbraucherzufrie- Versicherten, aber auch für die Gedenheit und geringere Zuzahlungen mit setzliche Krankenversicherung (GKV). sich bringt als die traditionelle Versor- Das derzeitige GKV-Ausgabevolumen gung über den Hörgeräteakustiker. Die für die Hörgeräteversorgung beläuft Hörgeräteversorgung über den Arzt sich auf mehr als 700 Millionen DM biete ein besseres Preis-Leistungs-Ver- jährlich. hältnis als die traditionelle Versorgung Die Hörgeräteakustiker sehen ihre über den Akustiker und sei somit die Felle davonschwimmen. Jahrzehnteüberlegene Alternative. Trotzdem wird lang waren sie die einzigen, die derzeit erst jedes zehnte Hörgerät di- Schwerhörige mit Hörgeräten versorrekt über den HNO-Arzt vertrieben. Die InformatiTabelle onsarbeit über alternative Hörgeräte: Zuzahlung unterschiedlich hoch* Versorgungs- und BezugsAnpassdauer Festbetrag private Zuzahlung möglichkeiten für Hörgeräin Stunden in DM in DM te müsse unbedingt intenHamburg 4 727 692 siviert werden, fordern die Westfalen-Lippe 2 760 756 beiden Kassenverbände. Westfalen-Lippe 1 760 826 Die 400 in der WIdOUntersuchung befragten Niedersachsen 5 760 1 030 Versicherten bezahlten Hessen 1 760 1 076 beim Hörgeräteakustiker Hessen 5 760 1 165 durchschnittlich rund 1 200 DM je Hörgerät aus der Hessen 1 760 1 180 eigenen Tasche hinzu; beim Niedersachsen 1,5 760 1 215 HNO-Arzt waren es nur * Festbetraggruppe 2: 727 bis 760 DM (je nach Bundesland unterschiedlich) rund 360 DM. Die Studie des BKK-Bundesverbandes – die in Zusammenarbeit mit gen durften. Ein lukratives Geschäft: dem Bundesverband der Verbrau- Ein Preisvergleich für das Hörgerät cherzentralen und Verbraucherver- VIVA 703 der Firma Siemens (siehe bände erstellt wurde – basiert auf Tabelle) belegt die enormen Preisder Befragung von 3 825 Versicher- unterschiede zwischen verschiedenen ten und kommt zu ähnlichen Ergeb- Hörgeräteakustikern – ein deutlicher nissen: Die Versicherten leisteten beim Beleg dafür, dass diese aufgrund des ´

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fehlenden Wettbewerbs ihre Preise nahezu willkürlich festlegen können. Es sei kein Wunder, „dass der Hörgeräteakustiker in der Regel ein größeres Auto fährt als der HNOArzt“, kommentiert ein Insider die Einkommensverhältnisse, die sich offenbar herumgesprochen haben: Nach AOK-Recherchen stieg die Zahl der Hörgeräteakustiker zwischen 1994 und 1998 von 556 auf 1 600 – ein Anstieg um 188 Prozent!

Die verkürzte Versorgung ist rechtens Als Reaktion auf die neue Konkurrenz durch die Direktanbieter beschritten zahlreiche Hörgeräteakustiker – unterstützt durch ihre Bundesinnung in Mainz – den Klageweg: Die verkürzte Versorgung verGesamtkosten stoße gegen die ärztliche in DM Berufsordnung, gegen das 1 419 Wettbewerbsrecht und ge1 516 gen die Handwerksord1 586 nung. Die Klagen wurden allesamt abgelehnt. 1 790 Im Juni 2000 bestätigte 1 836 auch der Bundesgerichts1 925 hofes (BGH) in Karlsruhe, dass es HNO-Ärzten 1 940 nicht verboten ist, Hör1 975 geräte über den verkürzQuelle: AOK ten Versorgungsweg an ihre Patienten abzugeben. Die zusätzliche Geldquelle für die HNO-Ärzte – die ärztlichen Leistungen bei der Abnahme des Ohrabdrucks und der Anpassung des Hörgeräts können außerhalb des gedeckelten GKV-Budgets abgerechnet werden – sei rechtens:

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Die Versorgungswege Hörgeräte werden auf verschiedenen Wegen vertrieben: Bei der traditionellen Versorgung verordnet der HNO-Arzt dem Patienten ein Hörgerät. Der Hörgeräteakustiker nimmt einen Ohrabdruck, wertet das Resthörvermögen aus, schlägt Geräte vor und passt diese an. Bei der verkürzten Versorgung nimmt der HNO-Arzt ergänzend zu den Hörkenndaten einen Ohrabdruck und besorgt ein passendes Hörgerät bei einem Direktanbieter. Zwei Firmen bieten als Direktanbieter Hörgeräte per Versandhandel (Sanomed Medizintechnik, Hamburg) beziehungsweise mit ergänzender Online-Feineinstellung (auric Hörsysteme, Rheine) an. Diese Direktanbieter fertigen das Hörgerät individuell nach den ärztlichen Angaben und schicken es dann an den Arzt, der es dem Patienten einsetzt. Bei der OnlineVersorgung wird abschließend in der Arztpraxis eine Datenverbindung zwischen dem im Ohr des Patienten befindlichen Hörgerät und der Akustikfirma aufgebaut, um das Gerät entsprechend den Angaben des Kunden nachzuregeln. Den zusätzlichen Arbeitsaufwand des Facharztes bei der Geräteabgabe (etwa eine Stunde) vergüten die Direktlieferanten mit 150 DM bis 250 DM je Hörgerät.

❃ HNO-Ärzte übten nicht das Handwerk eines Hörgeräteakustikers aus. Die von ihnen erbrachten Leistungen gehörten zum beruflichen Bereich des Arztes. ❃ Die Zusammenarbeit mit den Direktanbietern bedeute kein berufsordnungswidriges Verhalten, weil die Vergütung nicht als Provision für die Verordnung des Hörgerätes zu werten sei, sondern als Pauschalbetrag für alle zusätzlichen Leistungen, die der Arzt bei der Zusammenarbeit mit der Firma erbringt. ❃ Der Umstand, dass der Arzt bei einer Entscheidung des Patienten für den verkürzten Versorgungsweg eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit erhalte und deswegen dazu neigen könnte, dem Patienten eine Versorgung auf diesem Weg nahe zu legen, rechtfertige nicht, ihm die Zusammenarbeit mit einem Direktanbieter allgemein zu verbieten. Ein Wettbewerbsverstoß liege nicht vor. Als abzusehen war, dass die Gerichte nicht in ihrem Sinne urteilen würden, wendeten sich Lobbyisten

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der Hörgeräteakustiker an die Politik. So hatte der Bundesrat im November 2000 über einen Antrag des Landes Baden-Württemberg zu entscheiden, in dem gefordert wurde, die Tätigkeit von Ärzten und Gesundheitshandwerkern stärker voneinander abzugrenzen. Die vom Antragsteller beklagte zunehmende Praxis der Hilfsmittelabgabe durch Ärzte sollte durch eine Ergänzung des § 126 SGB V unterbunden werden. Initiator des Antrags war der baden-württembergische Sozialminister Dr. rer. nat. Friedhelm Repnik (CDU). Der Bundesrat lehnte den Antrag ab. Im März 2001 war ein ähnlicher Antrag Anlass für eine Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Initiator diesmal: der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Lohmann aus Lüdenscheid/Westfalen. Der Gesundheitsausschuss lehnte den Antrag ab. Warum sich CDU-Politiker so sehr für die Hörgeräteakustiker einsetzten, lässt sich nur mutmaßen. Tatsache ist, dass der Mitinhaber der Hörgerätekette Geers in Dortmund ein einflussreicher Parteifreund ist. Immerhin war Dr. jur. Volker Geers 1999 CDU-Kandidat in der Stichwahl zum Oberbürgermeister in Dortmund. Zudem hat er über sein Rechtsanwaltsbüro für die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker Prozesse zur Bekämpfung des verkürzten Versorgungswegs geführt.

Preise korrigieren Unter Berücksichtigung des BGH-Urteils, der Entscheidungen auf politischer Ebene sowie des Rückenwindes von den Kassen ist damit zu rechnen, dass künftig weitere Firmen Hörgeräte auf dem verkürzten Versorgungsweg anbieten und der Anteil der Direktversorgung steigt. Die Hörgeräteakustiker werden sich (endlich) der Konkurrenz stellen und ihre Preise nach unten korrigieren müssen. Die Versicherten dürfen sich auf niedrigere Zuzahlungen freuen, den Ärzten bietet sich die Möglichkeit, eine neue Dienstleistung Jens Flintrop zu offerieren.

tient den Leistungserbringer seiner Wahl aufsucht. Dieser hat die Aufgabe, angemessen zu versorgen. „Die Krankenkassen haben somit keine Möglichkeit der Bedarfssteuerung, auch nicht hin zu kostengünstigen Anbietern“, kritisiert Susanne Eschenbach diesen Umstand.

Kein Einfluss auf Standard und Preis Aber auch der Arzt hat keinen Einfluss auf Standard und Preis der Hilfsmittel, die er verordnet. Karl Wittow, Allgemeinarzt aus Hürth bei Köln, beklagt: „Wir sind gezwungen, Dinge zu verordnen, deren Preise und Produktbesonderheiten wir im Einzelnen nicht kennen.“ In seiner Praxis stellt er täglich mindestens zehn Rezepte für Kompressionsstrümpfe, Gehhilfen oder Rollstühle aus. Zwar muss er sich bei der Verordnung von Hilfsmitteln keine Sorgen um Budgetüberschreitungen machen, denn anders als Arzneimittel werden Hilfsmittel außerhalb der sektoralen Budgets bezahlt. Doch ärgerlich sei, dass „ich mit meiner Unterschrift verantwortlich bin für etwas, worauf ich keinen Einfluss habe“. „Ungenaue Verordnungen eröffnen den Leistungserbringern Tür und Tor für Angebote, die nicht immer dem notwendigen Bedarf, sondern Gewinninteressen entsprechen“, erklärt Holger Schlicht, Leiter der Hilfsmittel-Kompetenzzentren der DAK, Hamburg. Andererseits werde dem Arzt abverlangt, dass er sich technisch auskennt, doch bei der Vielzahl an Produktarten und -varianten sei das „sehr schwierig“. Die hohe Ausgabensteigerung im Hilfsmittelbereich war für die DAK im vergangenen Jahr der Grund, bundesweit fünf Hilfsmittel-Kompetenzzentren einzurichten, die die Bearbeitung in den Bezirksgeschäftsstellen ersetzen. Neu ist, dass dort auch Orthopädietechniker, Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Krankenpfleger und andere tätig sind, die die Kostenvoranschläge mit Sachverstand überprüfen können. Ein Sozialversicherungsfachangestellter ist damit oft überfordert. Bereits in der Aufbauphase des Jahres 2000 sei eine Kosteneinsparung von 18 Prozent erzielt worden, berichtet Schlicht. Jeder vierte

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Hilfsmitteln ein: 18 000 von 22 500 öffentlichen Apotheken haben im vergangenen Jahr mit der DAK abgerechnet. „Die Apotheken kaufen möglichst teuer ein, um Gewinn zu machen.“ Sie rechnen einen Betrag ab, der sich aus dem Einkaufspreis zuzüglich eines Aufschlags von 20 Prozent zusammensetzt. Im Hilfsmittellager des Sanitätshauses Stortz warten unter anderem gebrauchte Rollstühle auf ihren Wiedereinsatz. In der wirt- Man brauche eine mögschaftlichen Variante gehören sie dem Sanitätshaus, das für die lichst einfache AbrechVersorgung eine Fallpauschale erhält. Foto: Eberhard Hahne nungsregelung, da der Hilfsmittelmarkt so inder 120 000 Kostenvoranschläge habe transparent ist, so die Begründung. Mit korrigiert werden müssen, weil mehr wenig Erfolg wurden mit dem Gesundbeantragt wurde, als „den Versorgungs- heits-Reformgesetz zur Kostendämpfung grundsätzen und dem tatsächlichen Be- – neben dem Hilfsmittelverzeichnis – darf entsprach“. So fragen sich die Ex- auch Festbeträge eingeführt. Nach Schätperten der Krankenkassen beispielswei- zungen des IKK-Bundesverbandes sind se, ob eine Mikroprozessor-gesteuerte derzeit rund 40 Prozent der Hilfsmittel Beinprothese, die in der Maximalaus- über Festbeträge abgedeckt: Seh- und führung rund 50 000 DM kostet (einfa- Hörhilfen, Inkontinenzhilfen, Stomaarche Ausführungen sind ab etwa 6 000 tikel, Einlagen, Hilfsmittel gegen DekuDM zu haben) tatsächlich notwendig ist. bitus und zur Kompressionstherapie. Anhängige Gerichtsverfahren aufgrund Aber auch hier fehlt die Übersichtlichvon Patientenklagen setzen sich mit die- keit, da die Festbeträge landesweit festser Frage auseinander. gesetzt werden. In Insider-Kreisen ist Schlicht klagt auch über die Apothe- längst bekannt, wie man die Festbeträge ken, die er für kostentreibend hält. Die möglichst hoch werden lassen kann: Die dringen verstärkt in den Handel mit Leistungserbringer finden heraus, wann

und wo die Kassen die materielle Preisfestlegung machen, und schreiben entsprechend hohe Rechnungen. Eine bundesweite Festbetragsregelung würden die Spitzenverbände der Krankenkassen begrüßen, betont Carla Grienberger. Das Bundesministerium für Gesundheit verfolgt den Prozess der Ausgabensteigerung. Pressesprecher Florian Lanz bezeichnet ihn als „problematisch“. Wirtschaftlichkeitsreserven müssten konsequent genutzt werden. So sollten mehr Kassen systematisches Hilfsmittelmanagement betreiben und innovative Versorgungswege, zum Beispiel Direktvertrieb, nutzen. Deutliche Effizienzsteigerungen könnten erreicht werden, wenn mehr Krankenkassen Einzelverträge mit den Leistungserbringern vereinbaren würden, statt Verträge auf Landesverbandsebene zu schließen. Der IKK-Bundesverband fordert unmissverständliche Begrifflichkeiten im Gesetz und flexiblere Vertragssysteme. Die Anbietergruppen müssten nach ihren Kompetenzen ausgewählt und eingegrenzt werden sowie die Versicherten mehr Verantwortung tragen.

❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 2001; 98: A 1598–1602 [Heft 24] Anschrift der Verfasserin: Petra Bühring Ottostraße 12, 50859 Köln

DÄ: Die Krankenkassen beklagen, ihnen seien keine adäquaten Instrumente übertragen worden, um eine wirtschaftliche Versorgung mit Hilfsmitteln zu steuern. Sehen Sie das auch so? Aubke: Nein, die Krankenkassen haben nach § 127 SGB V das Recht zur selektiven Vertragsgestaltung mit den Leistungserbringern. Außerdem liegt hier der Sicherstellungsauftrag bei den Kassen. Es ist ihnen jedoch nicht gelungen, über eigene Verträge eine qualitative und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten. Trotzdem wollen sie auch im vertragsärztlichen Bereich selektives Vertragsgestaltungsrecht erhalten. Das lehnen wir ab, denn Krankenkassen allein sind offensichtlich nicht in der Lage, die Gestaltungsverantwortung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit zu übernehmen. DÄ: Die Kassenärzte sind mit der Vielzahl der Produkte und technischen Varianten über-

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Dr. med. Wolfgang Aubke, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

fordert, sodass die Verordnungen eher allgemein gehalten sind und die darauf folgende Versorgungskette im Dunkeln bleibt. Was kann man ändern? Aubke: Es ist äußerst unbefriedigend aus der Sicht des für die ambulante Versorgung verantwortlichen Arztes, dass ihm von den Krankenkassen keine ausreichende Trans-

Foto: Bernhard Eifrig

Nachgefragt

parenz über die Hilfsmittelversorgung gegeben wird. Bei Arzneimitteln ist der Druck sehr groß, so kostengünstig wie möglich zu verordnen – bei Hilfsmitteln scheint die Wirtschaftlichkeit keine Rolle zu spielen. Der Arzt müsste, entsprechend seiner Verantwortung für den Patienten, viel mehr in den Versorgungsprozess mit Hilfsmitteln eingebunden werden.

DÄ: Es gibt auch Vorwürfe gegen Ärzte, dass sie sich finanziellen Anreizen, beispielsweise eine gezielte Verordnung auf Leistungserbringer XY auszustellen, nicht entziehen. Aubke: Das sind Einzelfälle, was aber das individuelle ärztliche Fehlverhalten nicht entschuldigen soll. Wäre der Hilfsmittelmarkt nicht so unübersichtlich, gäbe es gar keine Möglichkeit, sich in diesem zwielichtigen Anreizsystem zu bewegen. Hier müssen wir ansetzen. ✮

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