Warum muss eigentlich immer alles gelingen? Lukas 9,18-22

Warum muss eigentlich immer alles gelingen? – Lukas 9,18-22 Es war ein grandioser Samstagmorgen. Blauer Himmel. Nicht mehr diese eisige Kälte. Ein Ha...
1 downloads 2 Views 32KB Size
Warum muss eigentlich immer alles gelingen? – Lukas 9,18-22

Es war ein grandioser Samstagmorgen. Blauer Himmel. Nicht mehr diese eisige Kälte. Ein Hauch von Frühling, und der ganze lange Samstag lag vor mir. Es war ein grandioser Samstagmorgen, und ich wollte eine grandiose Predigt schreiben. Als krönender Abschluss der Predigtreihe „Kostbares Leben“. Nach „Leben ist loben“, „Du bist gewollt“ und „Gesund. Krank. Mensch!“ nun eine Antwort auf die Frage: „Warum muss eigentlich immer alles gelingen?“

Liebe Gemeinde, wie kann eine Predigt gelingen, wenn ihr Thema lautet: „Warum muss eigentlich immer alles gelingen?“, und man doch eigentlich sagen möchte: „Genau, es muss nicht immer alles gelingen!“ Wenn ich eigentlich in dieser Predigt nichts anderes sagen möchte, als die frohe, entlastende Botschaft: „Lasst ab vom ständigen Gelingen! Denn wenn wir wollen, dass uns immer alles gelingt, dann überfordern wir uns hoffnungslos, und heraus kommt eine Quälerei, die niemanden aufbaut und niemandem dient.“ Wie also kann eine Predigt gelingen, wenn man doch eigentlich die Ideologie des Gelingens von ihrem Thron stürzen möchte?

Glaubt mir, es ist eine Qual, an einem so grandiosen Samstag wie dem, den wir gestern hatten, mit so einem widersprüchlichen Wunsch hinter dem Schreibtisch festzusitzen. Draussen das erste richtig schöne Wetter seit Wochen, Menschen, die am Fenster vorbeiflanieren, Kinder und Hunde, mit denen man spazieren gehen könnte, und man weiss, erst einmal muss die Predigt gelingen, und das sollte doch auch gar nicht so schwer sein, denn die wichtigsten Gedanken sind alle schon zugeflogen oder eben erarbeitet.

Zum Beispiel mit Hilfe eines Buches, das ich Euch nun am Ende der Predigtreihe wärmstens empfehlen möchte: Gunda Schneider-Flume „Leben ist kostbar. Wider die Tyrannei des gelingendes Lebens“. Ich habe mich von der Autorin überzeugen lassen, dass Gott nicht der Garant eines gelingenden Lebens ist. Bei allen Segensverheissungen, die wir in der Bibel finden, es geht nicht darum, dass wir unser Leben wie ein Projekt behandeln, das doch bitte gelingen soll. Als würde schon alles rund laufen, wenn wir alles richtig machen. Gunda Schneider-Flume deckt dagegen auf, wie gnadenlos der Massstab vom gelingenden Leben sein kann. Und dass das Leben ein „Phänomen der Fülle, des Überflusses … der Gnade ist, gut von Anfang an, nicht unter der Bedingung ‚wenn – dann’, sondern kostbares Gut, das 1

Freude provoziert.“ Solche Sätze zu lesen machte mir Freude. Sie klangen kämpferisch in einem guten, christlichen Sinne. Da schreibt Frau Schneider-Flume zum Beispiel, und ich lasse es mir auf der Zunge zergehen:

„Weil Leben bedingungslos kostbar ist, unendlich kostbar, vermögen Menschen aus der Fülle des Lebens und ihrer eigenen Kräfte heraus etliches zu gestalten und zu verwirklichen, was sie mitunter als gelungen beurteilen. Das Leben selbst aber, das Leben eines jeden Menschen ist dem Totalurteil von Gelingen und Misslingen entzogen.“

„Das Leben eines jeden Menschen ist dem Totalurteil von Gelingen und Misslingen entzogen.“ Das ist ein Kampfruf, der unter dem Kreuz entstanden ist. Und diesen Kampfruf würde ich nur allzu gerne aufnehmen und hier von dieser Kanzel aus weitergeben, damit möglichst alle in ihn einstimmen können. Denn es braucht viele Stimmen, um die Tyrannei des gelingenden Lebens zu brechen.

Es braucht viele Stimmen, und, wie ich gestern noch dachte, eine grandiose Predigt. Futter hatte ich genug. Das Büchlein von Gunda Schneider-Flume, und das Buch, auf das sie sich bezieht: die Bibel mit ihren Psalmen, mit ihren prophetischen Worten, mit der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu, mit dem Evangelium von einer neuen Zeit für Gottes neue Welt. Und obwohl ich das alles hatte, wollte es mir schier nicht gelingen! Und ich glaube nicht, dass es bloss das verlockende Wetter war, das mich am Ende doch bewegte, für ein paar Stunden, die Schreibtischfalle zu verlassen und eine schöpferische Pause am Rande des Eschenbergs einzulegen.

Nicht eine grandiose Predigt wird euch überzeugen, dass die Idee vom gelingenden Leben eine sehr tyrannische und lebensfeindliche Idee ist. Es ist Jesus allein, der die Massstäbe des Gelingens zerbrechen kann.

Folgen wir ihm an den Ort, an den er sich zurückgezogen hat. Jesus betet. Nur die Jünger sind bei ihm. Er fragt sie: „Für wen halten mich eigentlich die Leute?“ Und die Jünger tragen zusammen, was die Leute so über Jesus reden: „Einige sagen, du seiest Johannes der Täufer, den Herodes töten liess und der von den Toten auferstand. Andere sehen in dir den Propheten Elia, und wieder andere halten dich für einen anderen alten Propheten, der wieder zum Leben erweckt wurde.“ Da fragt Jesus seine Jünger: „Und ihr, was glaubt ihr denn, wer ich bin?“ 2

Daraufhin Petrus: „Du bist der Messias, der von Gott versprochene Retter!“ Aber Jesus verbietet ihnen, so etwas laut zu sagen. Stattdessen klärt er sie darüber auf, wozu er gekommen ist: „Der Menschensohn muss leiden, er muss verworfen werden, er muss getötet werden, und am dritten Tage wird er auferweckt.“

Sehen wir uns die Szene noch einmal genauer an. Jesus hat sich also zum Gebet zurückgezogen. In der Einsamkeit des Gebets werden Fragen geboren. „Wer bin ich eigentlich? Was soll mein Leben?“ Einsames Fragen hilft nicht weiter. Menschen brauchen andere Menschen, um sich selbst zu finden. „Wofür halten mich meine Freunde? Meine Lehrer? Meine Kinder? Meine Arbeitskollegen? Meine Lebenspartnerin? Wer bin ich in den Augen derer, mit denen ich zu tun habe? Was habe ich, was hat mein Leben zu bedeuten?“ Es ist menschlich, so zu fragen. Wir alle vergewissern uns manchmal, indem wir versuchen, uns mit den Augen anderer Menschen zu sehen.

Auch Jesus fragte seine Jünger: „Was sagen denn die Leute, wer ich bin? Was spiegeln sie mir zurück, was mein Leben für eine Bewandtnis hat?“ Die Jünger geben ihm Antwort. Was die Leute so denken und reden, zeigt, wie sehr sie bemüht sind, das Aussergewöhnliche an Jesus mit den ihnen vertrauten Mitteln zu fassen. Johannes der Täufer, den hatten einige von ihnen noch persönlich gekannt. Oder ein Prophet, nach Jahrhunderten wieder zum Leben erweckt. Die Leute wissen: Jesus ist ein besonderer Mensch. Sie denken an den Täufer, der viele von ihnen in seinen Bann gezogen hatte. Sie sehen die glorreiche Vergangenheit Israels lebendig werden in diesem Mann aus Nazareth. Aber was auch immer sie sehen – sie sehen Jesus so, wie auch andere gewesen sind: Propheten, Menschen mit einem besonderen Ohr für Gott, mit einem sechsten Sinn für die Zukunft. Solche Menschen sind zwar rar gesät. Aber es hat sie immer gegeben. Für die Leute gehört Jesus in diese Schublade: in die Prophetenschublade.

„Und ihr?“ fragt Jesus weiter. „Wie ist es mit euch? Sagt doch auch einmal was! Wer bin ich für euch?“ Diesmal fällt die Antwort anders aus. Petrus ruft aus. „Du bist der Messias, der von Gott versprochene Retter!“

Das tönt anders als das, was die Leute so sagen. Für Petrus gehört Jesus nicht in die Prophetenschublade. Jesus lässt sich nicht einfach eingliedern in die Reihe der Menschen mit einem besonderen Ohr für Gott, mit einem sechsten Sinn für die Zukunft. Jesus ist nicht die 3

Fortsetzung einer glorreichen Vergangenheit. Jesus ist der versprochene Retter. Die verheissene Zukunft. Er ist der noch nie da Gewesene. Jesus ist der, der da kommen soll. Der Kommende passt in keine Schublade. Welche Ansprüche des Gelingens soll man aber an jemanden stellen, der in keine Schublade passt?

Ich weiss nicht, in welchem Masse Jesus wirklich schon wusste, was es mit seinem Leben auf sich hatte. Ich weiss nicht, in welchem Masse Jesus noch auf der Suche war, wie eben jeder Mensch auf der Suche ist. Ich will mir nicht anmassen zu beurteilen, ob Jesus bereits über sich und seine Sendung vollumfänglich Bescheid wusste und also über jeden Zweifel erhaben war. Oder ob er damals seine Jünger ganz aufrichtig und echt fragte: „Wer bin ich denn eigentlich? Was soll mein Leben? Worauf wird es hinauslaufen?“ Aber ich glaube, in dem Augenblick, wo Petrus ihm sagte: „Du bist der Messias! Du bist der von Gott versprochene Retter!“ – in diesem Augenblick wusste Jesus, dass er eines richtig stellen musste: „Der Menschensohn muss vieles leiden, er muss verworfen werden, er muss getötet und am dritten Tage auferweckt werden.“

Jesus mag sich ehrlich und aufrichtig gefragt haben: „Wofür halten mich die Leute?“ Und Jesus mag sich ebenso hoffnungsvoll an seine Jünger gewandt haben: „Und ihr, was meint ihr denn, wer ich bin?“ Aber letztlich können ihm weder die Leute noch die Jünger eine Antwort geben. Denn sie haben ihre Schubladen, und in ihren Schubladen ist das Scheitern nicht vorgesehen. „Leiden – Verworfen werden – getötet Werden“ – darauf wird das Leben des Menschensohnes hinauslaufen. Zu seinem Lebensweg werden die Stationen des Scheiterns dazugehören. Und alle, die an ihn glauben, werden sich damit auseinandersetzen müssen. Alle, die an diesen Christus glauben, werden sich von der Idee verabschieden müssen, ihr Leben könne und müsse gelingen.

Was, um alles in der Welt, heisst denn eigentlich „Gelingen“ und warum ist diese Idee so grossspurig, so lebensfeindlich? Etwas gelingt, wenn ich das, was ich mir vorgenommen habe, auch erreiche. Ein Plan gelingt. Ein Vorhaben gelingt. Aber nehmen wir zum Beispiel bloss einmal etwas so Banales wie eine Urlaubsreise. Da ist es schwierig, von Gelingen oder vom Misslingen zu sprechen. Eine Urlaubsreise hat so viele verschiedene Aspekte. Ich kann zum Beispiel eine Reise nach Ägypten buchen. Ist sie dann schon gelungen, wenn Ruhe und Sicherheit im Land herrscht, und ich die Reise überhaupt antreten kann und wie geplant auch wieder zurückkomme? Oder braucht es noch mehr, damit die Reise gelingt? Nehmen wir an, 4

das Hotel war gut, die Betten bequem, das Essen vorzüglich, und ich bin auch die ganze Zeit gesund geblieben. Ist dann die Reise gelungen? Oder wollte ich noch mehr oder etwas anderes mit dieser Reise erreichen? Etwa den Familienfrieden wiederherstellen, der in den letzten Monaten allzu sehr gelitten hat. Oder erhoffte ich mir vor einer exotischen Kulisse romantische Augenblicke, von denen ich dann noch lange zehren würde? Oder habe ich mir Begegnungen mit einheimischer Bevölkerung vorgestellt, Begegnungen, die leicht sind und doch Tiefgang haben und die mir das Gefühl vermittelten, wirklich da gewesen zu sein? Wann eine Reise gelungen ist, das hängt von den vielen, sehr verschiedenen Erwartungen ab, die Menschen an eine Reise haben. Und es hängt von der Art und Weise ab, wie unsere Erwartungen auf die Wirklichkeit treffen und welche Überraschungen uns da vielleicht ausserplanmässig geschenkt werden. Es ist jedenfalls noch nicht damit getan, am vereinbarten Tag am Flughafen einchecken zu können und all die Dienste zu bekommen, für die man bezahlt hat. Und ist das Leben nicht viel mehr, als bloss eine Reise? Und wenn wir uns schon manche Urlaubsreise vermiesen mit überhöhten oder falschen Erwartungen, wie viel mehr vermiesen wir unser Leben, wenn wir es der Tyrannei des Gelingens unterwerfen?

Liebe Gemeinde, ich sehe das so: An Christus zu glauben heisst, der Tyrannei des Gelingens entrissen zu sein. Wir stehen im Horizont der Geschichte Gottes. Diese Geschichte hat da, wo wir das Gelingen von Absichten und Plänen ermessen möchten, ein Kreuz. Unter diesem Kreuz darf alles Scheitern sein, ohne dass unser Leben dadurch weniger kostbar wäre. An Gottes Geschichte teilzuhaben, lässt nicht alles gelingen. Auch eine Sonntagspredigt kann immer wieder einmal .. weniger gelungen sein, als die Predigerin das gerne hätte. An Gottes Geschichte teilzuhaben, lässt nicht alles gelingen. Nicht nur der Predigerin, auch der Gemeinde tut es gut, wenn ihr einmal etwas misslingt und sie diese Erfahrung fröhlich trägt. An Gottes Geschichte teilzuhaben, lässt nämlich nicht alles gelingen. Aber es ermutigt, viele kleine Schritte des Scheiterns und Gelingens zu üben – ohne ein letztes Wort sagen zu wollen über unser Leben als Ganzes. Das nämlich wird anderswo gesprochen.

Amen.

5

Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen, so heisst es in einem Kirchenlied. Und so stehen wir vor dir, Gott, glaubend, dass alles an deinem Segen liegt und hängt, und dass wir für alles deine Gnade brauchen wie die Luft zum Atmen.

Wir sind Menschen die vieles anfangen und auf vieles ihre Hoffnung setzen: die sich immer wieder fragen müssen, wie viel sie selbst beitragen können und wie viel sie in andere, in deine Hände loslassen müssen.

Wir sind Menschen die sich nicht an Schuld und Scheitern freuen, sondern an Versöhntheit und am Gelingen. Und doch müssen wir immer wiedererfahren, dass Schuld und Scheitern auch uns selbst betreffen und dass mancher Weg, der voller Hoffnung begann, in Leid und Elend endete.

Gott, es scheint zu unserem Leben zu gehören, dass wir unser Leben nur in kleinen Schritten gehen können, nie können wir das Ganze überblicken, und wenn wir einmal sagen „Ende gut, alles gut“, dann ist nach dem Spiel gleich wieder vor dem Spiel.

So geht es uns. So geht es Menschen in aller Welt. Im Kleinen und im Grossen. Sag, Gott, hat das wohl mit der Tiefe zu tun, die du unserem Leben geben willst, dass du uns über alle Oberflächlichkeit hinausführen möchtest und uns in den Horizont deiner Geschichte stellst? 6

Lehre uns, den Horizont deiner Geschichte auszuhalten, Scheitern und Gelingen in deine Hände zu geben, um deinen Segen zu bitten für alle Menschen, die guten Willens sind, und auch für die, denen jeder gute Wille noch fehlt.

Wir bitten dich für das, was in Ägypten und in der arabischen Welt in diesen Tagen stattfindet, für die Menschen, die auf die Strassen gehen und Erneuerung fordern, für die Regierungen, die sich dazu verhalten müssen, für die Armen, die zu arm sind, um sich an all dem zu beteiligen, und für uns selbst, die wir staunend darauf schauen durch das Brennglas der Medien und uns fragen, worauf das alles hinauslaufen wird.

Gott, überall da, wo sich die Dinge zum besseren verändern wollen, gib deinen Segen und lass es gelingen.

7