Warum weibliche Dinge immer sitzen

Warum weibliche Dinge immer sitzen Positionalverben und Genus im Khoekhoegowab So¨ren E. Worbs [email protected] 11. Mai 2015 1 Grundbegriff...
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Warum weibliche Dinge immer sitzen Positionalverben und Genus im Khoekhoegowab

So¨ren E. Worbs [email protected] 11. Mai 2015

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Grundbegriffe

Deutsch & Englisch (1)

a. b.

Die Flasche steht (/ist) auf dem Stein. The bottle is (/*stands) on the rock.

Definitionen Positionsverb Ein Verb, das f¨ ur eine pr¨adikative Ortsangabe genutzt wird. Sprachen unterscheiden sich darin, wie viele Positionsverben sie kontrastieren. Figur Die Entit¨at, die sich an einem bestimmten Ort befindet. Im Folgenden werden nur unbelebte Figuren betrachtet. Grund Die Entit¨at, zu der die Figur in Beziehung gesetzt wird.

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Theoretischer Hintergrund

Tabelle 1: Grundtypen der pr¨adikativen Lokativkonstruktionen nach Ameka & Levinson (2007) # Name Erkl¨arung 0 Verbloser Typ keine PV I SLV-Typ einzelnes PV II Posturaltyp 3-5 PV III Dispositionaltyp 9-200 PV

Anmerkung Beispiel alterniert oft mit I Saliba sehr selten Englisch abgeleitet von menschl. PV Niederl¨andisch sprachspezifische Kriterien Tzeltal, Deutsch

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Basic Locative Construction In den meisten Sprachen mehrere Konstruktionen: ⇒ Deshalb definieren Ameka & Levinson (2007) eine einfache Lokativkonstruktion (im Original BLC oder Basic Locative Construction) Definition BLC Konstruktion die genutzt wird, wenn: • Antwort auf Frage: “Wo ist. . . ?” • bewegliche unbelebte Figur • begrenzte Fl¨ache als Grund N-BLC jede andere Lokativkonstruktion

Beispiel I: Papua-Indonesisch (Austronesisch, Indonesien) Struktur: (2)

NPFigur (Kopula) Pr¨aposition Lokativnomen NPGrund

optionale Kopula ⇒ Typ 0 oder Typ 1 Nicht einfache Lokativkonstruktionen: • Passivkonstruktionen • Menschliche Posturalverben • Akzidentell-Konstruktionen (unbeabsichtigte oder versehentlichte Handlung) • Aktives Vollverb Beispiel: (eigene Daten) (3)

Bola ada di atas batu. ball cop loc top stone ‘The ball is on the rocks.’ (PSPV50)

Beispiel II: Mandarin-Chinesisch (Sinotibetisch, China) Struktur: (4)

NPFigur Koverb NPGrund Lokativpartikel

Koverb=Pr¨aposition∨Lokativ-Kopula ⇒ Typ 0 oder Typ 1

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Nicht einfache Lokativkonstruktionen: • Konstruktionen mit getilgtem Agens • Menschliche Posturalverben • Aktives Vollverb Beispiel: (eigene Daten) (5)

zh`e=g`e qi´ u z`ai sh´ıtou sh`angmi`an dem=clf ball loc stone surface ‘The ball is on the rocks.’ (PSPV50)

Posturaltyp: Kriterien Kriterien f¨ ur die Wahl des Positionalverbs beim Posturaltyp nach Ameka & Levinson (2007): • Axiale Ausrichtung der Figur • geometrische Eigenschaften der Figur Hypothese Claim Die Wahl des Posturalverbs h¨angt bei unbelebten Figuren nur von der axialen Ausrichtung der Figur ab, d.h. sie klassifiziert weder den Grund noch die Figur nach inh¨arenten Eigenschaften.

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Elizitation & Datenanalyse

Elizitation • Verwendung der Picture Series for Positional Verbs (Ameka et al. 1999) – 68 Bildstimuli – 9 verschiedene Figuren, 7 verschiedene Gr¨ unde • drei untersuchte Sprachen: – Papua-Indonesisch – Mandarin-Chinesisch – Khoekhoegowab • je ein Informant • Pr¨asentation der Stimuli per Laptop • Frage “Wo ist . . . ?” in Kontaktsprache • Audioaufnahme, sp¨atere Auswertung 3

Khoekhoegowab I: Allgemeines • Khoe-Sprache mit u ¨ber 200.000 Sprecher vor allem in Namibia (Vossen 2013). Struktur: (6)

NPFigur (Dem) Mod NPGrund Postposition Lokationsverb • mehrere Posturalverben zur Auswahl • geringe Anzahl

⇒ Typ II (Posturaltyp) Khoekhoegowab II: NBLCs Zwei verschiedene nicht einfache Lokativkonstruktionen • adjz-Konstruktionen • pass pfv-Konstruktionen ,→ alle auch abgeleitet von den Posturalverben ,→ besonders oft abgeleitet von mˆa ‘stehen’ Khoekhoegowab III: Genus & Posturalverben • Hagman (1977) beschreibt drei Positionalverben und eine Lokativkopula. • Laut Rust (1965) wird Genus unter anderem der Form nach zugewiesen – lang und d¨ unn 7→ maskulin – rundlich, flach 7→ feminin • Feminine Nomina nur mit }ˆoa ‘sitzen’ Beispiel: (eigene Daten) (7)

n¯e !gai-s n¯e-s ge |ui-di |gapiga }ˆoa dem ball-sg.f dem-sg.f ind rock-pl.f on.top sit ‘The ball is on the rocks.’(PSPV50)

Evidenz fu arente Kriterien? ¨ r inh¨ • Genuszuweisung nach inh¨arenten Eigenschaften • Wahl des Posturalverbs nach Genus ⇒ Wahl des Posturalverbs nach inh¨arenten Eigenschaften?



Nein! Wir suchen eine andere, komplexere L¨osung 4

Fu ¨ r Genus unterspezifizierte Nomina Manche Nomen f¨ ur Genus unterspezifiziert ⇒ Tauchen mit beiden Genera auf Beispiele: (eigene Daten) (8)

a.

b.

n¯e !noma-gu ge {n¯a {ha-sa hai-s |gapiga {oe dem root-pl.m ind dem chop-adjz tree-sg.f top lie ‘The roots are on the tree stump.’(PSPV47) n¯e !noma-di ge !h¯ u-b ai }ˆoa dem root-pl.f ind ground-sg.f on sit ‘The roots are on the ground. ’(PSPV51)

⇒Posturalverb und Genus abh¨angig von Form? Uneinheitliche Pluralnomina • Pluralnomina mit gleich ausgerichteten Bestandteilen benutzen Posturalverben • Uneinheitliche Pluralnomina benutzen Kopula Beispiel: (eigene Daten) (9)

a.

b.

n¯e-gu ge t¯a-b [e] t¯a-b |gapiga hˆa dem-pl.m ind table-sg.m [e] table-sg.m top cop ‘The bottles are on the table.’ (PSPV46) n¯e !gai-di n¯e-di ge !h¯ u-bi }nˆoa dem ball-pl.f dem-pl.f ind ground-sg.m.abl sit ‘The balls are on the ground.’ (PSPV39)

⇒ Ausweichstrategie, weil keine einheitliche axiale Ausrichtung? Maskuline Nomina • Maskuline Nomina tauchen mit zwei verschiedenen Positionalverben auf. Beispiele: (eigene Daten) (10)

a.

b.

n¯e hai-b n¯e-b ge hai-s x¯o|kh¯a mˆa dem tree-sg.m dem-sg.m ind tree-sg.f alongside stand ‘The stick is beneath the tree stump.’(PSPV01) n¯e hai-b n¯e-b t¯a-b |gapiga {oe dem tree-sg.m dem-sg.m table-sg.m on.top lie ‘The stick is on the table. ’(PSPV17)

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Flexible Figuren Flexible Figuren sowohl mit sowohl mit Positionalverben, als auch mit der Lokativkopula Beispiele: (eigene Daten) (11)

n¯e {awa-b n¯e-b ge xaba-s |gapiga {goe dem rope-sg.m dem-sg.m ind basket-sg.f top lie ‘The rope is on the basket.’ (PSPV19)

(12)

n¯e sara-b n¯e-b ge !nui {gˆapa xaba-sa tsi dem cloth-sg.m dem-sg.m ind dem.loc dem.loc basket-sg.f.abl and |kh¯a-ba !auka hˆa side-sg.f.obl outside cop ‘The cloth is in the basket and outside of its side.’ (PSPV02)

(13)

ai [e] ai x¯os-i }nˆoa n¯e-s ge !noma-s x¯o|khas u ¯ dem-sg.f ind root-sg.f alongside next to on [e] on side-sg.c sit ‘It is on the side of the tree stump.’ (PSPV68)

L¨ osung: Posturalverb nur nach axialer Ausrichtung ⇒ Bei maskulinen Nomina Posturalverbwahl nach axialer Ausrichtung ,→ Feminina keine axiale Ausrichtung m¨oglich, da keine erkennbare Hauptachse ⇒ Default-Posturalverb }ˆoa ‘sitzen’ ,→ bei uneinheitlicher Ausirichtung Kopula hˆa Tabelle 2: Kriterien f¨ ur die Wahl des Posturalverbs im Khoekhoegowab Genus maskulin

Ausrichtung

(=erkennbare Hauptachse)

vertikale HA: mˆa horizontale HA: {oe uneinheitlich hˆa einheitlich

4

feminin (=keine erkennbare Hauptachse) }ˆoa n.a.

Diskussion • Kriterien von Ameka & Levinson (2007) eigentlich auch kanonische Ausrichtung ¨ ,→ Nicht genug Daten zur Uberpr¨ ufung, zu wenig maskuline Nomina ,→ Warum so viele N-BLCs anstatt mˆa ‘stehen’ ? 6

• genauerer Rolle der Kopula – Posturaltyp trotz Kopula? ,→ Vgl. Kutscher & Schultze-Berndt (2007) zum Deutschen – Kopula und }ˆoa als Ausweichstrategie ⇒ Kopula nur bei widerspr¨ uchlicher Ausrichtung? • Beh¨altnis als Grund – unbekannte Ausrichtung? – Kopula oder }ˆoa? • Flexible Figuren – Widerspr¨ uchliche Ausrichtung m¨oglich? Ausblick • Untersuchung in Fragen, bei Negation, bei unbekannter Ausrichtung • Untersuchung anderer Sprachen, z.B. Niederl¨andisch • Untersuchung von ‘put’-Verben – gleiche Kriterien bei der Verbwahl?

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Zusammenfassung • kein direkter Zusammenhang zwischen Genus und Wahl des Posturalverbs • Posturalverb direkt ableitbar aus der axialen Aurichtung

Abbildung 1: Graphische Darstellung der Interaktion von geometrischen Eigenschaften, axialer Ausrichtung und der Wahl des Posturalverbs nach Ameka & Levinson (2007)

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Abbildung 2: Graphische Darstellung der Beziehung von axialer Ausrichtung und der Wahl des Positionalverbs im Khoekhoegowab

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Appendix

Papua-Indonesische Kopula- und Pr¨ apositionstilgung • Tilgung der Kopula und des Lokativnomens bei pr¨adikativen Ortsangaben erlaubt. • in anderen Kontexten auch Tilgung der Pr¨aposition erlaubt. Beispiel (Kluge 2014:422)

(14)

a.

a, omong kosong, ko masuk tidur ∅ sana suda! ah! talking be.empty 2sg enter sleep ∅ there already ‘ah, nonsense, you just go inside (and) sleep over there.’

• P¨apositionstilgung bei pr¨adikativen Ortsangaben nicht m¨oglich Beispiel: (eigene Daten) (15)

a. *botol ada meja bottle cop table ‘The bottle is on the table.’(PSPV37) b. *bola atas batu ball top stone ‘The ball is on the rock.’(PSPV50)

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Unterschied zwischen den n¨achsten beiden Beispielen? Beispiel: (eigene Daten) (16)

a.

b.

botol di atas meja bottle loc top table ‘The bottle is on the table’(PSPV37) botol ada di atas meja bottle cop loc top table ‘The bottle is on the table’(PSPV37)

• Verblose und Kopulakonstruktion waren f¨ ur den Informanten immer beide akzeptabel • Ameka & Levinson (2007): – notwendige Alternation bei Typ 0 – Stereotypische Situation ⇒ verblose Konstruktion ,→ in meinen Daten kein Zusammenhang ⇒ Typ 0 oder Typ I? Mandarin-Chinesische Koverben • Koverb vereint Eigenschaften von Adposition und Verb (Libert 2013) • Unklar ob Typ 0 oder Typ I • zwei m¨ogliche Strukturen (17)

a. b.

NPFigur Pr¨aposition NPGrund Lokativpartikel NPFigur Kopula NPGrund Lokativpartikel

Erstere Struktur widerspricht Vorhersage von Ameka & Levinson (2007): Verblose und verbale Strategien alternieren immer • Verbale Elemente, auch stative Verben, kombinierbar mit Aspektpartikeln. • Koverb z`ai nicht: Beispiele: Eigene Daten (18)

a. *zh`e=g`e p´ıngzi z`ai zhe d`ımi`an sh`ang dem=clf bottle loc dur ground surface ‘The bottles are on the ground.’ b. *zh`e=xi¯e qi´ u z`ai le zhu¯ozi sh`angmi`an. dem=pl ball loc pfv table surface ‘The balls were on the table.’ 9

,→ Aber oft eingeschr¨ankte Kombinierbarkeit bei Kopula (Pusset 2003) • Ansatz von Dryer (1991): Jedes Koverb einzeln genau untersuchen • Pr¨aposition oder Kopula ⇒ Typ I oder Typ 0

Literatur Ameka, Felix & Stephen Levinson. 2007. The typology and semantics of locative predicates: posturals, positionals, and other beasts. Linguistics 45(5). 847–872. [Special issue]. Ameka, Felix, Carlien de Witte & David Wilkins. 1999. Picture series for positional verbs: Eliciting the verbal component in locative descriptions. In David Wilkins (ed.), Manual for the 1999 field season, 48–54. Nijmengen: Max Planck Institute for Psycholinguistics. http://fieldmanuals.mpi. nl/volumes/1999/picture-series-positional-verbs-locative-descriptions/. Dryer, Matthew. 1991. SVO languages and the OV:VO typology. Journal of Linguistics 27(2). 443–482. Hagman, Roy. 1977. Nama Hottentot grammar. Bloomington: Indiana University. Kluge, Angela. 2014. A grammar of Papuan Malay. Leiden, Niederlande: Universit¨at Leiden dissertation. Kutscher, Silvia & Eva Schultze-Berndt. 2007. Why a folder lies in the basket although it is not lying: the semantics and use of German positional verbs with inanimate figures. Linguistics 45(5). 983–1028. Libert, Alan Reed. 2013. Adpositions and other parts of speech. Frankfurt am Main: Peter Lang. Pusset, Regina. 2003. Copulas: Universals in the categorization of the lexicon. Oxford: University Press. Rust, Friederich. 1965. Praktische Namagrammatik. Cape Town: Balkema. Vossen, Rainer. 2013. Introduction. In Rainer Vossen (ed.), The Khoesan languages, 1–8. Abingdon: Routledge.

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