Vertiefung Marktdefinition und Marktanalyse

Vertiefung Marktdefinition und Marktanalyse Vorlesung TK-Recht TU Dresden Sommersemester 2016 Ernst-Ferdinand Wilmsmann Vorsitzender der Beschlusskamm...
Author: Klaus Maier
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Vertiefung Marktdefinition und Marktanalyse Vorlesung TK-Recht TU Dresden Sommersemester 2016 Ernst-Ferdinand Wilmsmann Vorsitzender der Beschlusskammer 3 der Bundesnetzagentur

Marktabgrenzung Die Bundesnetzagentur grenzt unter weitestgehender Berücksichtigung der Empfehlung und der Leitlinien die sachlich und räumlich relevanten Märkte entsprechend den nationalen Gegebenheiten im Einklang mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts ab, § 10 Abs. 1 u. Abs. 2 S. 3 TKG i. V. m. Art. 15 Abs. 3 Rahmenrichtlinie (RRL). Als eine Empfehlung im Sinne von Art. 249 Abs. 5 EG besitzt die Märkte-Empfehlung zwar keine originäre Rechtsverbindlichkeit. Doch entspricht es schon generell der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass Empfehlungen der Kommission einer gesteigerten Berücksichtigungspflicht durch nationale Behörden und Gerichte unterliegen, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zur Durchführung von Gemeinschaftsrecht erlassender innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen.

Dies gilt erst recht, da in Umsetzung von Art. 15 Abs. 3 RRL das nationale Recht gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG ausdrücklich die „weitestgehende“ Berücksichtigung der MärkteEmpfehlung vorsieht.

Nach summarischer Prüfung der EU-Kommission kommen die in der Märkte-Empfehlung aufgeführten Märkte in der Regel für eine Regulierung in Betracht und begründen eine Art „Anfangsverdacht“ für ein regulatorisches Einschreiten. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig festgestellt, dass Art. 15 Abs. 1, 3 RRL i. V. m. § 10 Abs. 2 S. 3 TKG eine gesetzliche Vermutung dafür begründet, dass diese Märkte ebenso in Deutschland potenziell (d. h. vorbehaltlich der noch durchzuführenden Marktanalyse) regulierungsbedürftig seien. Die weitestgehende Berücksichtigung erfordert daher, dass Ausgangspunkt und wichtigster Maßstab der Marktabgrenzung zunächst die Märkte-Empfehlung ist, weil ihr eine Vermutungswirkung für die Regulierungsbedürftigkeit der darin enthaltenen Märkte zukommt. Liegen jedoch ausnahmsweise etwaige vom europäischen Standard abweichende spezifische nationale Besonderheiten vor, kann dies ein Abweichen von der Märkte-Empfehlung rechtfertigen.

In Bezug auf die Festlegung des sachlich und räumlich relevanten Marktes steht der Bundesnetzagentur gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG ein Beurteilungsspielraum zu. Dies trägt u. a. dem Umstand Rechnung, dass den im Rahmen von §§ 10 f. TKG zu treffenden Entscheidungen in hohem Maße wertende Elemente anhaften. Auch die Kommission ist der Auffassung, dass den nationalen Regulierungsbehörden bei der Ausübung ihrer (sämtlichen) Befugnisse gemäß Art. 15 und 16 RRL „aufgrund der komplizierten ineinandergreifenden Faktoren (wirtschaftlicher, sachlicher und rechtlicher Art), die bei der Definition relevanter Märkte und bei der Ermittlung von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht gewürdigt werden müssen“, ein weit reichender „Ermessensspielraum“ zuzubilligen sei. Dies bestätigend stellte das BVerfG mit Nichtannahmebeschluss vom 08.12.2011, 1 BvR 1932/08, Rn. 36, zwischenzeitlich fest, dass es unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik, des Normzwecks und des unionsrechtlichen Hintergrunds der Bestimmungen vertretbar sei, diesen Regelungen die Einräumung eines weitreichenden Beurteilungsspielraums der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde bei der Marktdefinition und der Marktanalyse beizumessen. Dabei handelt es sich nach deutscher Rechtsterminologie um einen Beurteilungsspielraum, vgl. BVerwG, Urteil vom 02.04.2008, Rs. 6 C 14.07, S. 10.

Sachliche Marktabgrenzung

Nach den Grundsätzen des europäischen Wettbewerbsrechts, die gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 RRL für die Abgrenzung der Telekommunikationsmärkte maßgeblich und in den – dabei weitestgehend zu berücksichtigenden – MarktanalyseLeitlinien der Kommission vom 11. Juli 2002 (ABI EG Nr. C 165 S. 6, Rn. 38 ff.) zusammenfassend dargestellt sind, gehören zu dem sachlich relevanten Markt diejenigen Produkte, die wegen ihrer objektiven Merkmale, der Wettbewerbsbedingungen und der Struktur von Angebot und Nachfrage hinreichend austauschbar bzw. substituierbar sind (siehe auch Urteile vom 2. April 2008 a. a. O., Rn. 26 und vom 28. Januar 2009 a. a. O., Rn. 18). Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.01.2010, Rs. 6 B 50.09, S. 6.

Exkurs: Lokales virtuelles Zugangsprodukt als Teil des relevanten Marktes Nr. 3a ? Gemäß der Märkte-Empfehlung 2014 zu prüfen, ob lokale virtuelle Zugangsprodukte unter bestimmten Voraussetzungen in den relevanten Markt für den an festen Standorten lokal bereitgestellten Zugang miteinzubeziehen sind (Markt 3a).+  Gehören die TAL und VULA also in einen Markt? Ein lokales virtuelles Zugangsprodukt ist – wie der physische Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung auch – über verschiedene Infrastrukturen des Zugangsnetzes realisierbar, nämlich FTTC, FTTB beziehungsweise FTTH (PON). Denkbare lokale Zugangspunkte sind hierbei der Kabelverzweiger und der HVt.

Zuordnung derartiger Produkte zum Markt Nr. 3a davon abhängig, ob bestimmte Kriterien eingehalten werden oder nicht. 1. Der Zugang erfolgt lokal. Das bedeutet, dass der Verkehr auf einer Ebene übergeben wird, die viel näher am Standort des Kunden ist als die beim herkömmlichen Bitstrom-zugang übliche nationale oder regionale Ebene.

2. Der Zugang ist allgemeiner Art und versorgt die Zugangsnachfrager diensteunabhängig mit Übertragungskapazität, die in der betrieblichen Anwendung nicht überbucht ist. Für die jeweiligen Zugangsnachfrager gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d. h. es werden garantierte, dem Bedarf der Zugangsnachfrager entsprechende Bandbreiten bereitgestellt. Das setzt normalerweise nicht voraus, dass der Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht neue physische Infrastruktur errichtet. Für einen garantierten Zugang ist es im Prinzip notwendig, dass eine dedizierte logische Verbindung zwischen den Kundeneinrichtungen und dem Übergabepunkt errichtet wird. 3. Die Zugangsnachfrager müssen so viel Kontrolle über das Übertragungsnetz haben, dass sie das Zugangsprodukt als funktionalen Ersatz für den entbündelten Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung betrachten können, und das Produkt muss in ähnlichem Maße Produktdifferenzierung und Innovation ermöglichen wie der entbündelte Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung.

Wesentlich ist, dass der Zugang zu derartigen Produkten auf lokaler Ebene an einen netztechnisch tatsächlichen vorhandenen Zugangspunkt anknüpft und eine garantierte Bandbreite bereitgestellt wird.

Räumlich relevanter Markt Im Anschluss an die Definition des sachlich relevanten Markts ist der räumlich relevante Markt abzugrenzen. Im Allgemeinen werden kleinere Märkte, die nur einen Teil des Bundesgebietes umfassen, immer dann anzunehmen sein, wenn aus Sicht des Nachfragers objektive Hemmnisse bestehen, welche die Bedarfsdeckung außerhalb eines bestimmten regionalen Gebietes nicht sinnvoll erscheinen lassen. So ist aus Sicht eines TAL-Nachfragers der TAL-Zugang in einer Region nicht durch den TALZugang in einer anderen Region austauschbar, da es darum geht, damit einen bestimmten Endkunden zu erreichen. Insofern ist der Standort des jeweiligen lokal bereitgestellten Zugangs, zu welcher das jeweilige Unternehmen diesen nachfragt, aus seiner Sicht keineswegs beliebig austauschbar. Der räumlich relevante Markt könnte also jeweils deckungsgleich sein mit jedem einzelnen an festen Standorten lokal bereitgestellten Zugang, zu welchem ein Unternehmen diesen nachfragt oder auch nur nachfragen könnte.

Es handelt sich allerdings hierbei um eine Situation, die sich aus den Besonderheiten des netzgebundenen Telekommunikationssektors ergibt und die insofern die nicht nur von der Bundesnetzagentur, sondern auch seitens des Bundeskartellamts immer wieder betonte Gefahr einer verfälschten Wiedergabe der Wettbewerbsbedingungen infolge einer Abgrenzung zu kleiner Teilmärkte in sich birgt.

Bei homogenen Marktverhältnissen kann daher die an sich durch das Kriterium der Austauschbarkeit aus Nachfragersicht vorgegebene Marktabgrenzung nicht nur in sachlicher, sondern auch in räumlicher Hinsicht relativiert werden. So können einzelne, zu demselben relevanten Markt gehörige Dienstleistungen dann zu einem auch in geografischer Hinsicht einheitlichen relevanten Markt zusammengefasst werden, wenn im Bundesgebiet weitgehend einheitliche Wettbewerbsbedingungen herrschen .

Dazu ist nicht erforderlich, dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen Anbietern und Händlern vollkommen homogen sind. Es reicht aus, dass diese Bedingungen einander gleichen oder hinreichend homogen sind. Somit können nur Gebiete, in denen die objektiven Wettbewerbsbedingungen „heterogen“ sind, nicht als einheitlicher Markt angesehen werden. Zu prüfen ist daher, ob sich die Wettbewerbsbedingungen für den an festen Standorten lokal bereitgestellten Zugang in verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland signifikant unterscheiden.

Ziele und Grundsätze der Regulierung In § 10 Abs. 1 TKG wird gemäß dem Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Regelungen vom 10.05.2012 nunmehr klargestellt, dass im Rahmen der Marktdefinition die Ziele und Grundsätze des § 2 Abs. 2 und 3 TKG zu berücksichtigen sind. Der Verweis auf § 2 TKG insgesamt unter ausdrücklicher Nennung nur der Ziele entspricht der Vorgehensweise in den Richtlinienvorgaben. Da bei der Verfolgung der Regulierungsziele des § 2 Abs. 2 TKG die Regulierungsgrundsätze des § 2 Abs. 3 TKG anzuwenden sind, hat die Bundesnetzagentur aber immer sowohl die Regulierungsziele als auch die Regulierungsgrundsätze zu berücksichtigen.

Drei-Kriterien-Test Im Anschluss an die Abgrenzung der sachlich und räumlich relevanten Märkte hat die Bundesnetzagentur diejenigen Märkte festzulegen, die für eine Regulierung nach dem zweiten Teil des TKG in Betracht kommen, § 10 Abs. 1 TKG. Für eine Regulierung nach dem zweiten Teil des TKG kommen gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 TKG Märkte in Betracht, die (1) durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, (2) längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und (3) auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken. Bei der Bestimmung der entsprechenden Märkte, welche sie im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums vornimmt , hat die Bundesnetzagentur weitestgehend die Märkte-Empfehlung der Kommission in ihrer jeweils geltenden Fassung zu berücksichtigen, § 10 Abs. 2 S. 2 und 3 TKG. Hinsichtlich der in dieser Empfehlung enthaltenen Märkte ist die Kommission zu dem Ergebnis gelangt, dass diese die drei oben genannten Kriterien erfüllen und damit für eine Vorabregulierung in Betracht kommen.

Der Märkte-Empfehlung kommt zunächst eine gesetzliche Vermutungswirkung für die Regulierungsbedürftigkeit der darin enthaltenen Märkte zu.

 Die Märkte-Empfehlung bestimmt daher weder unwiderlegbar, dass die dort festgelegten Märkte tatsächlich für eine Regulierung in Betracht kommen, noch regelt sie abschließend, dass ausschließlich die dort genannten Märkte und nicht zusätzlich weitere Märkte regulierungsbedürftig sind.  In D wird bspw. noch der alte Markt 18 der ersten Märkte-Empfehlung reguliert

Marktzutrittsschranken Als erstes Kriterium ist das Vorliegen beträchtlicher, anhaltender und struktureller oder rechtlich bedingter Marktzutrittsschranken zu prüfen. Dabei ist zwischen strukturellen und rechtlichen Hindernissen zu unterscheiden. Strukturelle Zugangshindernisse ergeben sich aus der anfänglichen Kosten- und Nachfragesituation, die zu einem Ungleichgewicht zwischen etablierten Betreibern und Einsteigern führt, deren Marktzugang so behindert oder verhindert wird. Rechtlich oder regulatorisch bedingte Hindernisse sind hingegen nicht auf Wirtschaftsbedingungen zurückzuführen, sondern ergeben sich aus legislativen, administrativen oder sonstigen staatlichen Maßnahmen, die sich unmittelbar auf die Zugangsbedingungen und/oder die Stellung von Betreibern auf dem betreffenden Markt auswirken. Können Hindernisse im relevanten Prüfungszeitraum beseitigt werden, ist dies in der Untersuchung entsprechend zu berücksichtigen.

Tendenz zu wirksamem Wettbewerb Im Rahmen des zweiten Kriteriums sind vorwiegend Marktanteile, Marktpreise, Ausmaß und Verbreitung konkurrierender Netze und Infrastrukturen zu bewerten. Werden beispielsweise konstant sehr hohe Marktanteile festgestellt, so ist dies als Indiz für das Fehlen einer Tendenz zu wirksamem Wettbewerb zu werten. Auf weitere individuelle Besonderheiten des Marktes ist bei der Anwendung des Drei-Kriterien-Tests nicht notwendigerweise einzugehen. In der Märkte-Empfehlung wird ausgeführt, dass in den allermeisten Mitgliedstaaten nur eine einzige Infrastruktur existiert, die flächendeckend auf nationaler Ebene lokale Zugangsprodukte ermöglicht.

Angesichts der hohen Kosten für den Aufbau einer eigenen flächendeckenden Infrastruktur und der gleichzeitig geringen Anzahl an alternativen Anbietern, die noch dazu oftmals nur regional tätig sind, wird der Markt auch längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren.

Anwendung allgemeinen Wettbewerbsrechts Bei der Entscheidung, ob ein Markt für eine Vorabregulierung in Betracht kommt, ist abschließend zu prüfen, ob das Marktversagen allein durch Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts behoben werden kann. In den Erwägungsgründen zur Empfehlung 2014/710/EU führt die Kommission aus, dass wettbewerbsrechtliche Eingriffe gewöhnlich dann nicht ausreichen, wenn umfassende Durchsetzungsmaßnahmen zur Behebung eines Marktversagens erforderlich sind oder wenn häufig oder schnell eingegriffen werden muss. Im Gegensatz zum sektorspezifischen Regulierungsrecht geht das allgemeine Wettbewerbsrecht (GWB) davon aus, dass der Marktbeherrschung mit der Offenhaltung der Märkte begegnet werden kann, die durch lediglich punktuelles Einschreiten gegen temporär missbräuchliches Verhalten erfolgen kann. Sektorspezifische Regulierung ist darauf ausgerichtet, eine strukturell vorhandene Gefährdung anzugehen, Wettbewerb in Netzindustrien zu schaffen und zielt vornehmlich auf eine Verhinderung von zukünftigen wettbewerblichen Fehlentwicklungen hin.

Anwendung allgemeinen Wettbewerbsrechts Ziel des allgemeinen Wettbewerbsrechts (im Sinne des GWB) hingegen ist es, bestehenden Wettbewerb als Garant für Leistungsfähigkeit und allgemeine Wohlstandsförderung vor Beschränkungen der an ihm teilnehmenden Unternehmen zu bewahren (Verhaltenskontrolle) und strukturell zu sichern (Strukturkontrolle). Demgegenüber dient die sektorspezifische Regulierung dem Ziel, in Netzwirtschaften zunächst überhaupt Wettbewerbsverhältnisse zu schaffen und zukünftiges Marktversagen zu verhindern. Dementsprechend ist das Verwaltungshandeln des Bundeskartellamts im Rahmen der Verhaltenskontrolle darauf gerichtet, von Unternehmen ausgehende einzelne Wettbewerbsbeschränkungen zu beseitigen, um die Steuerungsfunktion des Wettbewerbs wiederherzustellen. Das Verwaltungshandeln der Bundesnetzagentur ist hingegen durch eine strukturelle und langfristig angelegte Herangehensweise geprägt. An dieser Struktur orientiert sich konsequenterweise auch die Ausgestaltung des jeweiligen Instrumentariums. Sowohl die Zugangsals auch die Entgeltregulierung ist daher durch eine unterschiedliche Eingriffstiefe gekennzeichnet. Insofern ist es insbesondere im Rahmen des dritten Kriteriums notwendig, eine Risikoabwägung zu treffen zwischen der Schwere des Eingriffs in Unternehmenseigentum und -freiheit einerseits und der Ermöglichung bzw. Sicherstellung wirksamen Wettbewerbs durch Regulierung andererseits.

Prüfung der beträchtlichen Marktmacht Wirksamer Wettbewerb besteht nach § 11 Abs. 1 S. 2 TKG nicht, wenn ein oder mehrere Unternehmen auf diesem Markt über beträchtliche Marktmacht verfügen. Die Würdigung, inwiefern beträchtliche Marktmacht besteht, beruht auf einer vorausschauenden Marktanalyse, die sich auf die bestehenden Marktverhältnisse stützt. Beträchtliche Marktmacht kann anhand einer Reihe von Kriterien festgestellt werden, die in einer Gesamtschau zu bewerten sind. Dabei steht der Bundesnetzagentur ein Beurteilungsspielraum zu.

Die einzelnen relevanten Faktoren können thematisch als Ausdruck der Marktstruktur, der Unternehmensstruktur oder des Marktverhaltens einsortiert werden.

Marktanteile Ein wichtiges Kriterium der Prüfung der beträchtlichen Marktmacht sind die Marktanteile der auf dem jeweils untersuchten Markt tätigen Unternehmen. Marktanteile werden oftmals als Marktmachtindikator verwendet, da sie am deutlichsten Erfolg und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens ausweisen; in ihnen schlägt sich der Erfolg oder Misserfolg in den wettbewerblichen Auseinandersetzungen signifikant nieder. Ein hoher Marktanteil allein bedeutet aber einerseits noch nicht, dass das betreffende Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügt. Andererseits ist auch nicht zwingend auszuschließen, dass ein Unternehmen ohne hohen Marktanteil eine beherrschende Stellung einnimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) liefern besonders hohe Marktanteile (über 50 %) ohne weiteres, von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, den Beweis für das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung. Nach der Rechtsprechung des EuGH befindet sich nämlich ein Unternehmen, das während einer längeren Zeit einen besonders hohen Marktanteil innehat, allein durch den Umfang seiner Produktion und seines Angebots in einer Position der Stärke, „die es zu einem nicht zu übergehenden Geschäftspartner macht und ihm bereits deswegen, jedenfalls während relativ langer Zeit, die Unabhängigkeit des Verhaltens sichert, die für eine beherrschende Stellung kennzeichnend ist; die Inhaber von erheblich geringeren Anteilen wären nicht in der Lage, kurzfristig die Nachfrager zu befriedigen, die sich vom Marktführer abwenden wollten“.

Marktanteile Wie auch die EU-Kommission betont, ist bei der Berechnung der Marktgröße und der Marktanteile sowohl der mengen- als auch der wertmäßig berechnete Umsatz eine nützliche Information. Bei Massenprodukten sind Mengenangaben zu bevorzugen, bei differenzierten Produkten sollte der wertmäßige Umsatz und der damit verbundene Marktanteil herangezogen werden, da er die relative Marktstellung und –macht der einzelnen Anbieter besser widerspiegelt. Dieses deckt sich außerdem mit der Rechtsprechung zu § 19 GWB. Die Berechnung nach der Menge ist dann geboten, wenn keine großen Preisunterschiede bestehen, so dass Mengen- und Wertanteil nicht weit auseinanderfallen. Die Berechnung nach den Umsatzerlösen ist vor allem dann notwendig, wenn in dem relevanten Markt gleichartige Erzeugnisse mit sehr unterschiedlichen Abmessungen, gleichartige Waren unterschiedlicher Qualität oder unterschiedlicher Nutzungsdauer einbezogen werden.

Kontrolle über Infrastruktur/Vertikale Integration Ferner ist die Kontrolle über eine nicht leicht zu duplizierende Infrastruktur als ein für das Vorliegen von Marktmacht sprechender Faktor anzusehen. Es handelt sich hierbei um eine – im Bereich der Netzwirtschaft besonders häufig anzutreffende – Marktzutrittsschranke. Der Ausbau einer derartigen Infrastruktur beinhaltet nämlich die – für Wettbewerber vielfach trotz der Angewiesenheit auf die Nutzung der Infrastruktur nicht lohnenswerte – Notwendigkeit umfangreicher Investitionen.

Ebenfalls für Marktmacht spricht das Merkmal der vertikalen Integration, jedenfalls wenn diese das Unternehmen in die Lage versetzt, bevorzugt an Beschaffungs- und Absatzmärkte zu gelangen. Die Verhaltensspielräume eines Unternehmens können sich nämlich dadurch erweitern, dass dieses einen im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überlegenen Zugang zu seinen Absatz- und Beschaffungsmärkten besitzt. Im Falle vertikaler Integration ist ein Unternehmen auf einander vor- bzw. nachgelagerten Marktstufen tätig. Mit einer solchen Integration kann ein Unternehmen etwa das Ziel verfolgen, Transaktionskosten zu sparen, ein ineffizientes Unternehmensmanagement zu eliminieren oder auch Konkurrenten bei dem Zugang zu Bezugs- oder Absatzwegen zu behindern.

Zugang zu Kapitalmärkten/Finanzielle Ressourcen Zu den im Rahmen der Marktmachtprüfung relevanten Kriterien zählt auch die Frage, des – im Vergleich zu anderen Wettbewerbern – leichten oder privilegierten Zugangs zu Kapitalmärkten und die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen. Ein im Verhältnis zu anderen Wettbewerbern leichter oder privilegierter Zugang zu Kapitalmärkten und das Vorhandensein finanzieller Ressourcen ist ein weiteres relevantes Kriterium bei der Untersuchung von beträchtlicher Marktmacht eines Unternehmens. Die Ermittlung der Finanzkraft eines Unternehmens sollte auch Verbindungen und Verflechtungen mit anderen Unternehmen, insbesondere die Zugehörigkeit zu einem multinationalen Konzern, berücksichtigen. Dies kann tendenziell die Marktposition eines Marktführers noch verstärken, weil dieser auf die gesamten Ressourcen des Unternehmens zurückgreifen kann.

Tatsächlicher und potenzieller Wettbewerb Die Marktmacht eines Unternehmens kann zudem durch das Vorhandensein potenzieller Wettbewerber eingeschränkt werden. Dies ist insbesondere durch alternative Technologien grundsätzlich möglich. Potenzielle Wettbewerber können Unternehmen sein, die auf angrenzenden Produkt- oder Dienstleistungsmärkten tätig und zum Beispiel durch eine einfache Umstellung der Produktionsanlagen in der Lage sind, in den Markt einzutreten. Der Einfluss potenziellen Wettbewerbs auf ein möglicherweise marktmächtiges Unternehmen ist umso höher, je leichter ein Unternehmen in den relevanten Markt eintreten kann und je näher der Eintritt bevorsteht. Insbesondere auf elektronischen Kommunikationsmärkten kann Wettbewerbsdruck durch die Innovationskraft potenzieller Mitbewerber entstehen, die auf den Markt drängen.

Ausgleichende Nachfragemacht Liegt eine ausgleichende Nachfragemacht vor, so spricht dies gegen das Vorliegen einer marktmächtigen Stellung, da eine starke Verhandlungsposition auf der Nachfrageseite die Marktmacht eines Anbieters ausgleichen kann. Eine solche Nachfragemacht kann dabei sowohl im Vorleistungsbereich als auch im Endkundenbereich im Einzelfall gegeben sein. Nachfragemacht kann beispielsweise aus der Fähigkeit zu diskriminierendem Verhalten der Nachfrager entspringen (zum Beispiel Boykott), aus einer Bindung der Anbieter an die Nachfrager aufgrund spezifischer Investitionen oder auch aus der glaubhaften Drohung der Nachfrager, die nachgefragten Güter selbst herzustellen bzw. durch alternative Entwicklungen überflüssig werden zu lassen.

Produktdifferenzierung Ein breites Produktsortiment kann ebenfalls Wettbewerbsvorteile mit sich bringen. Es erlaubt dem Anbieter etwa die Einrichtung eines „One-Stop-Shops“, d. h. der Nachfrager kann seine Wünsche bei einem Anbieter umfassend befriedigen, sowie darüber hinaus die Bündelung von Produkten beispielsweise zur Stimulanz der Nachfrage.

Technologischer Fortschritt und technologische Überlegenheit Unternehmen, welche beispielsweise aufgrund erheblicher Ausgaben für Forschung und Entwicklung über ein besonderes technisches Know-how verfügen, können ebenfalls Wettbewerbsvorteile genießen.

Größen- und Verbundvorteile Als weiteres Merkmal nennt die Europäische Kommission in Rn. 78 der Marktanalyseleitlinien die Gesamtgröße des Unternehmens. Die beispielsweise mit der Unternehmensgröße verbundenen finanziellen Ressourcen oder Größen- und Verbundvorteile können einem Unternehmen Wettbewerbsvorteile auf einem Markt verschaffen. So können etwa Abschreckungseffekte gegenüber anderen Unternehmen auftreten. Von Größenvorteilen spricht man, wenn der Zusammenhang zwischen zunehmender geplanter Betriebsgröße (Kapazität), gemessen in der möglichen Ausbringung eines Produkts bzw. einer Produktpalette pro Zeiteinheit, und den zu erwartenden gesamten Herstellstückkosten durch abnehmende Herstellstückkosten gekennzeichnet ist. Ein Unternehmen kann danach also durch eine Vergrößerung Kosten sparen. Größenvorteile können ihren Grund etwa in Spezialisierungsvorteilen durch Arbeitsteilung, Erfahrungsvorteile, Losgrößenersparnissen oder Vorteilen aus zentralisierter Reservehaltung haben. Verbundvorteile sind Kostenvorteile, die sich für ein Unternehmen aus der Produktion von mehr als nur einem Produkt ergeben. Sie beruhen auf der gemeinsamen, jedoch nicht konkurrierenden Nutzung von Produktionsfaktoren wie etwa Technologie-, Management- und Marketing-Know-How, spezialisierten und unteilbaren Betriebsmitteln oder Distribution und Kommunikation.

Marktdefinition und Marktanalyse •

BVerfG – Beschluss 1 BvR 1932/08 - v. 8.12.2011 u.a., Verfassungsbeschwerden der vier Mobilfunknetzbetreiber wurden nicht zur Entscheidung angenommen  Keine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz  Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Bundesnetzagentur bei der Marktdefinition und Marktanalyse ein umfassender Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.  Tatbestandsmerkmale des § 10 Abs. 1 TKG und des § 11 Abs. 1 TKG enthalten wertende, prognostische und von ökonomischen Einschätzungen abhängige Elemente  Kriterien zur Überprüfung des behördlichen Beurteilungs-spielraums (Einhaltung der gültigen Verfahrensbestimmungen, richtiges Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs, vollständige und zutreffende Ermittlung des Sachverhalts, keine Verletzung des Willkürverbotes) lässt

den Fachgerichten genügend Möglichkeiten zu einer substanziellen Kontrolle behördlichen (Regulierungs-)Handelns.

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Marktdefinition und Marktanalyse Urteil BVerwG v. 28.01.2009 (6C 39/07) Die Abgrenzung eines Vorleistungsmarktes ....... setzt nicht stets das Bestehen realer Marktverhältnisse voraus. Der auf die Herstellung wettbewerblicher Verhältnisse gerichtete Normzweck kann die Abgrenzung eines "fiktiven" Marktes rechtfertigen, auf dem bisher noch kein tatsächliches Marktgeschehen stattfand.

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Marktdefinition und Marktanalyse BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2013 – 6 C 11/12 – Frage war: Ist für die Auferlegung einer Resale-Verpflichtung die Abgrenzung eines gesonderten Resale-Vorleistungsmarktes erforderlich? Für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung ist keine auf sie bezogene spezifische Marktdefinition und -analyse erforderlich, sondern lediglich ein enger funktionaler Zusammenhang zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, und dem Markt, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Besteht der in der Marktanalyse festgestellte Regulierungsbedarf für einen Markt für Endkundenleistungen, ist von einem derartigen Zusammenhang auszugehen, wenn die Einrichtung, zu der auf der Vorleistungsebene Zugang zu gewähren ist, unmittelbar Bestandteil des regulierungsbedürftigen Marktes ist . (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil vom 27. Januar 2010 - BVerwG 6 C 22.08 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1 Rn. 30).

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Marktdefinition und Marktanalyse BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2013 – 6 C 11/12 – Von einem engen funktionalen Zusammenhang ist dann auszugehen, wenn die Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, unmittelbar Bestandteil desjenigen Marktes ist, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Denn in diesem Fall ist die im Rahmen der Marktabgrenzung des regulierungsbedürftigen Marktes grundsätzlich bereits erfolgte Prüfung der Austauschbarkeit der maßgeblichen Produkte oder Dienstleistungen auf den entsprechenden - realen oder fiktiven - Vorleistungsmarkt übertragbar. Bsp.: Die für Zwecke des Resales begehrten Anschlüsse sind in technischer Hinsicht identisch mit den auf dem Endkundenmarkt angebotenen AGB-Anschlüssen der Telekom. Sie werden deshalb von der Marktdefinition für den Markt 1 für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten sowie der Feststellung der beträchtlichen Marktmacht der Beigeladenen auf diesem Markt mit umfasst.

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BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 6 C 36/10 –, juris Nach § 14 Abs. 2 TKG legt die Bundesnetzagentur außer in den Fällen des Absatzes 1 alle drei Jahre (Anmerkung: früher zwei Jahre !) die Ergebnisse einer Überprüfung der Marktdefinition und der Marktanalyse vor. Aus diesem zeitlich bestimmten Überprüfungsauftrag folgt nicht, dass eine einmal durchgeführte Marktanalyse ohne Rücksicht auf die Marktgegebenheiten nach zwei Jahren gewissermaßen automatisch außer Kraft tritt, sodass sie bis zum Abschluss einer neuen Marktanalyse auch nicht mehr Grundlage ergänzender Regulierungsmaßnahmen sein könnte. Eine derartige Automatik liegt weder dem Gemeinschaftsrecht noch dem nationalen Recht zugrunde. Sie ließe außer Acht, dass Marktdefinition und Marktanalyse komplexe Verfahren (Art. 7, 15 f. RRL, § 12 Abs. 2 TKG) und für Verzögerungen anfällig sind und wäre mit der Systematik und dem Zweck des Regulierungsrechts unvereinbar. Ernst-Ferdinand Wilmsmann - Vorlesung TK-Recht

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