Vergleich aus der Sicht des Gerichts

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Leuenberger, LL.M. Kantonsrichter, Präsident des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen, Titularprofessor an der Universi...
Author: Hetty Holtzer
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Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Leuenberger, LL.M. Kantonsrichter, Präsident des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen, Titularprofessor an der Universität St. Gallen

SVRH Schweizer Verband der Richter in Handelssachen Tagung vom 22. April 2009 in St. Gallen

Vergleich aus der Sicht des Gerichts 1.

Was spricht für den Vergleich? Eine gut vorbereitete Vergleichsverhandlung verursacht beim Gericht zwar einen nicht zu unterschätzenden Aufwand: Verglichen mit einem Verfahren bis zum Urteil ist der Aufwand beim Vergleich aber in der Regel kleiner. Das Gericht wird mit anderen Worten durch einen Vergleichsabschluss entlastet. Bei der Belastung, welche die Handelsgerichte gegenwärtig zu bewältigen haben, geht es gar nicht ohne einen substantiellen Anteil an Erledigungen durch Vergleich. Dieser Anteil liegt beim Handelsgericht St. Gallen etwas über 2/3 der Fälle. Der Vergleich dient aber nicht nur der Gerichtsorganisation. Er ist häufig auch sehr im Sinne der Parteien. Dies ist wesentlich, denn wenn man Vergleiche nur zur Entlastung der Gerichte propagieren müsse, wäre dies problematisch. Aus der Sicht der Parteien spricht ebenfalls sehr Vieles für einen Vergleich, nämlich: dass sich die Parteien rascher wieder dem Geschäft zuwenden können, wenn nicht prozessiert wird; dass die personellen Ressourcen geschont werden und weniger Ärger und psychische Belastungen entstehen; dass der Konflikt nicht in einem öffentlichen Prozess abgehandelt wird, sondern in einer partei-öffentlichen Vergleichsverhandlung; dass in einen Vergleich auch weitere, ausserhalb des Prozesses stehende Punkte einbezogen werden können; dass mit einem Vergleich Kosten für den Prozess und manchmal für ein aufwendiges Beweisverfahren z.B. mit einer teuren Expertise eingespart werden können; dass der Kläger vielleicht erwirken kann, dass ein wenig leistungsfähiger Beklagter zwar etwas weniger bezahlt, als er müsste, dafür aber den reduzierten Betrag rasch und ohne langes Rechtsmittel- und Vollstreckungsverfahren begleicht.

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Was spricht gegen den Vergleich? Aus der Sicht der Gerichte spricht gegen eine zu hohe Anzahl von Vergleichen, dass es dadurch zu weniger Präjudizien kommt, welche Orientierungspunkte für künftige Urteilsfindungen abgeben können und dass die Rechtsfortbildung dadurch leidet. Aber auch für die Parteien gibt es Gründe, die im konkreten Fall gegen einen Vergleich und für ein Urteil sprechen, z.B.: dass eine Partei aus verschiedenen Gründen ein Präjudiz erwirken möchte, nach dem sie sich in der künftigen Geschäftstätigkeit richten kann; dass die Parteien bereits aussergerichtlich lange und ohne Erfolg eine Verständigung gesucht haben und nun den Konflikt lieber in angemessener Frist durch Urteil gelöst haben wollen.

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3.

Zeitpunkt der Vergleichsverhandlung Für eine Vergleichsverhandlung nach dem ersten Schriftenwechsel spricht, dass die Klage und die Klageantwort häufig eine genügende Grundlage bilden, um eine vergleichsweise Lösung zu finden. Zudem ist der Prozessaufwand der Parteien in diesem Stadium noch verhältnismässig klein. Am Handelsgereicht St. Gallen wird daher in der Regel die Vergleichsverhandlung in diesem Zeitpunkt angesetzt. Der Vorteil bei einer Vergleichsverhandlung nach dem zweiten Schriftenwechsel besteht allerdings darin, dass die Behauptungen und die Beweisanträge dann feststehen und nichts mehr dazu kommt.

4.

Anfrage an die Parteien, ob Interesse an Vergleichsverhandlung besteht Weil es aus der Sicht der Parteien (wie oben gezeigt) gute Gründe gibt, einen Vergleich abzulehnen und ein Urteil anzustreben, scheint es mir richtig, die Parteien anzufragen, ob sie an einer Vergleichsverhandlung interessiert sind. Wenn eine Partei ein Urteil vorzieht, macht es wenig Sinn, zu einer Vergleichsverhandlung vorzuladen. Das Verfahren ist in diesem Fall bis zur Hauptverhandlung und zum Urteil weiterzuführen. Wenn sich aber beide Parteien für eine Vergleichsverhandlung interessieren, sind die Voraussetzungen für einen Vergleichsabschluss grundsätzlich vorhanden, denn sie haben immerhin ein gewisses Engagement für die Vergleichsverhandlung gezeigt.

5.

Teilnahme und Vorbereitung von Seiten des Handelsgerichts Im Handelsgericht St. Gallen wird die Vergleichsverhandlung in der Regel mit einem (vorläufigen) Referat vorbereitet. Dieses wird von Gerichtsschreibern oder Praktikanten (Auditoren) erarbeitet. Dieses Referat wird in einer Vorbesprechung vom Präsidenten, Gerichtsschreiber und von einem Fachrichter erörtert. Es werden auch mögliche Vergleichsstrategien und vergleichsweise Lösungen gesucht. Manchmal wird die Vergleichsverhandlung auch von Ersatzrichtern mit einem Fachrichter vorbereitet. An der Vergleichsverhandlung auf Seiten des Handelsgerichts nehmen damit teil: Präsident oder Ersatzrichter Fachrichter, ausser bei rein juristischen Fragen Gerichtsschreiber, manchmal ein Praktikant

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Teilnahme auf Seiten der Parteien Wichtig scheint mir, dass neben den Anwälten auch die Parteien selber an der Vergleichsverhandlung teilnehmen. Die Parteien sollen die Ausführungen des Gerichts selber hören können und sie sollen sich auch äussern können. Wenn die Parteien nicht selber kommen können oder wollen, sollte zumindest der Anwalt zum Vergleichabschluss bevollmächtigt sein.

7.

Form und Ambiance Die Vergleichsverhandlung braucht eine gewisse Form. Wenn der Kläger sich entschlossen hat, zu prozessieren und mit einigem Aufwand eine Klage eingereicht und wenn der Beklagte mit einem entsprechenden Aufwand geantwortet hat, darf man in der Regel nicht telefonisch einen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Und dies schon gar nicht im Sinne von "Hören Sie, Ihre Klage ist chancenlos, ziehen Sie zurück". Auch

3 schriftliche Vergleichsvorschläge führen oftmals nicht zum Ziel. Es braucht vielmehr eine Verhandlung, an der Parteien mit der Richterin oder dem Richter am Tisch sitzen und mündlich über einen Vergleich sprechen. In der Regel bildet auch nur ein solches Vorgehen einen angemessen Abschluss eines mit Aufwand eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens. Auch hier gilt der Satz: justice has not only to be done, it has also to be seen to be done. Die Form soll aber nicht diejenige im Gerichtssaal sein. Die Ambiance am Tisch mit weniger strengen Formen in Bezug auf die Erteilung des Worts ist einem Vergleich förderlicher als die etwas strengere im Gerichtssaal.

8.

Vorläufige Beurteilung rechtlicher und beweismässiger Hinsicht Die gerichtliche Delegation legt zu Beginn der Vergleichsverhandlung eine vorläufige Beurteilung der verschiedenen relevanten Punkte der Streitsache dar. Es sind dabei die Prozessrisiken in rechtlicher und beweismässiger Hinsicht abzuschätzen. Die vorläufige Beurteilung muss sich an einem mutmasslichen zukünftigen Urteil orientieren und darf nicht vorschnell eine billige Lösung anvisieren. Die gerichtliche Delegation hat sich dabei mit aller Vorsicht zu äussern, da das Klagefundament noch nicht definitiv feststeht und in der Regel nur die eingereichten Urkunden gewürdigt wurden, aber noch keine weiteren Beweise abgenommen worden sind. Auch ist es eine Beurteilung nur einer Delegation und nicht des ganzen Gerichts. Die Beurteilung des Fachrichters zeigt den Parteien zudem, wie ein Gutachten herauskommen könnte. Die Parteien selber fühlen sich durch den Fachrichter, der aus der gleichen Branche stammt, auch in ihrer Sprache angesprochen, was häufig von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Die gerichtliche Delegation wird dann aufgrund der Prozesschancen einen möglichen Vergleich in einer gewissen Bandbreite skizzieren. Riskant ist es aber, schon in diesem Zeitpunkt eine konkrete Zahl zu nennen. Nach der gerichtlichen vorläufigen Beurteilung kommen die Anwälte zu Wort. In der Regel betonen sie in ihren Stellungnahmen zunächst nochmals ihren Standpunkt und weisen möglicherweise auf weitere Beweise hin, die sie noch einreichen können. Die Parteien sollen sich selber auch äussern können. Manchmal muss eine Frustration noch einmal ausgesprochen werden können. Wenn dies allerdings ein gewisses Mass übersteigt, wird das Gericht die Parteien darauf hinweisen müssen, dass jetzt der Blick voraus auf eine vergleichsweise Lösung sinnvoller wäre. Manchmal kann die Einvernahme eines wichtigen Zeugen oder ein Augenschein nützlich sein, um die Prozesschancen abzuschätzen.

9.

Aushandeln des Vergleichs Nach der vorläufigen Beurteilung durch das Gericht und nach den Stellungnahmen der Parteien geht es konkreter um das Aushandeln des Vergleichs. Die Parteien sollen nun angeben, wie sie sich einen Vergleich vorstellen könnten. Bei einem Forderungsstreit sollen sie angeben, was sie zu bezahlen bereit wären, bzw. mit wie viel sie sich zufrieden geben könnten. Wenn die Parteien nicht allzu weit voneinander entfernt sind, wird sich ein Prozess der Annäherung anschliessen. Manchmal ist dabei ein bazarmässiges Feilschen nicht ganz auszuschliessen. Dabei wird das Gericht versuchen, die Parteien auf den Rahmen, den es angegeben hat, hinzuweisen.

4 Oft ist es sinnvoll, die Verhandlung für 5-10 Minuten zu unterbrechen, damit sich die Anwälte mit Ihren Klienten besprechen können. Manchmal sind solche Unterbrechungen einige Male zu wiederholen. Gespräche des Gerichts mit einer Partei allein (sog. Einzelabriebe) sind heikel und dürfen m. E. nur im Einverständnis der Parteien durchgeführt werden. Je nach Interessenlage werden verschiedene Gesichtspunkte und Lösungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen: Wenn keine weitere gegenseitige Geschäftstätigkeit zwischen den Parteien in Frage kommt, geht es um eine möglichst schmerzlose Liquidation eines noch übrig gebliebenen Problems. Wenn weitere gegenseitige Geschäftstätigkeit möglich scheint, können evtl. Fragen in den Vergleich einbezogen werden, die über den Prozess hinausgehen. Manchmal findet man kreative Lösungen, die zwischen dem „alles oder nichts“ liegen. Zum Beispiel verpflichtet sich eine Beklagte in einem Vergleich ihre Firma zu ändern, welche die Klägerin für verwechselbar hält, obschon dies nach der Rechtsprechung nicht so klar erscheint. Der Beklagte hat dies nach dem Vergleich aber nicht umgehend sondern erst nach einem Jahr zu tun, damit sie genügend Zeit hat, um die Kunden und die Öffentlichkeit zu orientieren und um noch Drucksachen aufbrauchen zu können. Zusätzlich könnte angemacht werden, dass die Klägerin der Beklagten einen gewissen Beitrag an die Umtriebe im Zusammenhang mit der Änderung der Firma leistet. Wenn eine Zahlung der beklagten Partei zur Diskussion steht, können Ratenzahlungen innert festzulegenden Zahlungsfristen den Vergleichsabschluss erleichtern. Eine Möglichkeit ist auch, die Zahlung eines reduzierten Betrags bis zu einem bestimmten Datum abzumachen mit der weiteren Abrede, dass der ganze (höhere) Betrag fällig werde, wenn die Zahlung nicht innert Frist geleistet werde. Wenn eine Partei sich die Sache nochmals überlegen oder andere Personen einbeziehen will, kann ein Widerrufsvorbehalt in den Vergleich aufgenommen werden.

10. Druck Druck sollte bei Vergleichsverhandlung nicht auf die Parteien ausgeübt werden. Es ist zwar legitim, die Parteien auf die Prozesskosten mit und ohne Vergleich aufmerksam zu machen. Häufig geben sich die Parteien selber nicht ganz Rechenschaft über diese Risiken. Auch kann auf die zu erwartende Prozessdauer bei Fortführen des Prozesses hingewiesen werden. Man sollte damit aber nicht eine Drohung verbinden. Etwas unbedarft ist es, wenn das Gericht mit dem zu erwartenden Urteil droht. Wenn die Parteien aber nur noch wenig auseinander liegen und es wirtschaftlich unverantwortlich wäre, ohne Lösung auseinander zu gehen, entsteht aus der Sache selber ein gewisser Druck auf die Parteien, den Vergleich nun noch zu finden. Dies gehört aber zur Dynamik der Vergleichsverhandlung.

11. Prozesskosten Beim Vergleich werden die Gerichtskosten häufig halbiert und die Parteikosten werden wettgeschlagen, d.h. die Parteien tragen ihre Parteikosten selber. Diese Lösung hilft etwas mit, dass die Parteien jedenfalls im Kostenpunkt das Gesicht wahren können. Wenn aber eine Partei mit dem Vergleich weitgehend obsiegt bzw. unterliegt, muss manchmal eine andere Kostenverteilung gesucht werden. Dabei kann der zu zahlende Betrag unter dem Titel Parteikosten erhöht oder vermindert werden.

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12. Ausblick Der Vergleich ist häufig für die Parteien eine zweckmässige Beendigung eines Prozesses. Das Gericht wäre überlastet, wenn es nicht eine substantielle Zahl von Prozessen durch Vergleich beenden könnte. Die Parteien haben aber einen Anspruch auf ein Urteil und die Rechtsprechung lebt von Urteilen. Bei Vergleichsverhandlungen ist wesentlich, dass das Gericht die Prozesschancen und Prozessrisiken nach bestem Wissen und Gewissen abschätzt und die Parteien mit dem Vergleich in eine richtige Richtung lenkt. Dann hat das Gericht einen entscheidenden Beitrag an den Rechtsfrieden geleistet.