U stav germanskych studii

U niverzita Karlova v Praze Filozoficka fakulta Ustav germanskych studii Pavel Pohik Camill Hoffmann. Eine Biographie Diplomova prace Praha2006 ...
Author: Irmela Wetzel
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U niverzita Karlova v Praze Filozoficka fakulta

Ustav germanskych studii

Pavel Pohik

Camill Hoffmann. Eine Biographie Diplomova prace

Praha2006

Camill Hoffmann (* 1878 KoHn t 1944 Auschwitz)

"Gib zu, daß wir in einer höchst interessanten Zeit leben." C.H. 2

"Er geht einsam durch das Leben. Das Du weigert sich ihm, selbst dem geliebten Menschen kann er sich nicht ganz erschließen. " Ruediger Engerth

"Er wollte ein Mittler zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei sein. Während die deutsche Literatur und die deutsche Musik in Prag hinreichend bekannt und verehrt wurde, wollte er in Berlin mit der tschechischen Musik und Dichtung bekannt machen. " Elias Hurwicz

"Es gibt zwei Seiten bei meinem Vater. Die eine ist der Dichter und die andere ist dann der spätere politische Diplomat. Und die zwei Seiten sind ganz getrennt. Die literarische Seite war meinem Vater in Wirklichkeit immer näher als die spätere politische Arbeit, die er gemacht hat. " Edith Yapou

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Danksagung

Den Entschluss, diese Arbeit zu schreiben, fasste ich vor drei Jahren. Auf der Grundlage einer Unmenge von Briefen und Dokumenten, die auf viele Archive in mehreren Ländern verstreut sind, habe ich die Lebensgeschichte Camill Hoffmanns rekonstruiert. Dass ich diese Absicht verwirklichen konnte, verdanke ich den folgenden Institutionen: dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, dem Archiv des tschechischen Außenministeriums in Prag, dem Schweizerischen Literaturarchiv in Bern, dem MasarykInstitut in Prag und dessen Archiv, dem Pamatnik mirodnfho pisemnictvi in Prag, dem Landesarchiv in KoHn, dem Staatsarchiv in Prag, der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, dem Arnold Schönberg-Archiv in Wien, der Staatsbibliothek in Berlin, dem Albert Einstein-Archiv in Jerusalem, der Jewish National and University Library in Jerusalem und dem Yad Vashem-Archiv in Jerusalem. Diese Arbeit verlangte wiederholte Studienreisen, die ohne finanzielle Unterstützung der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in Prag und des Österreichischen Austauschdienstes in Wien nicht denkbar gewesen wären. Mein Dank gehört des Weiteren vielen Einzelpersonen - allen voran Edith Yapou, der Tochter Camill Hoffmanns, mit der ich im Frühling 2005 in Jerusalem mehrere Abende im Gespräch verbrachte und die mir einen Einblick in das persönliche Leben ihres Vaters ermöglichte. Ohne sie wäre diese Arbeit nie entstanden. Zu großem Dank bin ich auch Doz. Dieter Sudhoff verpflichtet, der mir den Kontakt zu Frau Yapou vermittelte und dessen Studie über Camill Hoffmann mir öfters als Inspiration diente. Weiter danke ich Herrn Prof. Jifi Stromsik, dem Betreuer meiner Diplomarbeit, für die große Hilfsbereitschaft bei den Beratungen und für die noch größere Geduld im Laufe der Ausarbeitung dieser Arbeit. Meinem Studienkollegen Maurice Keller danke ich für die zahlreichen sprachlichen Konsultationen. Ich danke auch Camill Hoffmann, dass er ein außergewöhnliches Zeugnis über seine Zeit hinterlassen hat.

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Inhaltsverzeichnis 1. 2.

Ein vergessenes Leben ......................................................................................................... 6 Kolln (1873 - 1889) .............................................................................................................. 7 Die Glocken der Heimat .............................................................................................................. 7 Eindrucksvolle böhmische Landschaft ........................................................................................ 9 3. Prag (1889 - 1899) .............................................................................................................. 11 Camill Hoffmanns Prager Lehrjahre .......................................................................................... 11 Die junge Künstlergeneration um Paul Leppin .......................................................................... 13 Deutsche Kultur, böhmische Heimat ......................................................................................... 15 4. Wien (1900 - 1912) ............................................................................................................. 17 Fin de siecle an der Donau ......................................................................................................... 17 Mehr Journalist als Dichter ........................................................................................................ 18 Kritischer Übersetzer der tschechischen Literatur .............. ,...................................................... 22 "Ein liebes Mädchen ... " ............................................................................................................ 24 5. Dresden (1912 -1919) ..........................................................................................•............. 27 Redakteur der sächsischen Zeitung ............................................................................................ 27 U ni.lll~ in dte IZÜnsGerkolonie ................................................................................................... 28 Sympathien für den Expressionismus ........................................................................................ 29 Gegen Krieg, gegen Nationalismus, für Revolution .................................................................. 31 Wieder nach Prag ....................................................................................................................... 33 6. Berlin (1920 - 1938) ........................................................................................................... 35 Presseattach6 der tschechoslowakischen Gesandtschaft ............................................................ 35 Im Kampf um den guten Ruf der Tschechoslowakei ................................................................. 36 Hofübersetzter des Präsidenten .................................................................................................. 37 Vermittler der tschechischen Kunst ........................................................................................... 41 Berliner Künstler bei den Hoffmanns zu Gast.. ........................................................................ .45 "Alles ist Liebe, wenn du es sagst." ........................................................................................... 47 Hitler ante portas ........................................................................................................................ 48 Tschechoslowakischer Nachrichtendienst ................................................................................. 52 Rückkehr nach Prag ................................................................................................................... 54 7. Prag (1938 -1942) .............................................................................................................. 56 Geschlagene Hauptstadt ............................................................................................................. 56 Freiwilliger Berichterstatter ....................................................................................................... 57 Als Jude in Prag ......................................................................................................................... 58 "der Verkehr mit Büchern ist angenehmer als mit den Menschen" ........................................... 61 8. Nach Theresienstadt und Auschwitz (1942 _ 1944) ........................................................ 64 Allmächtige Gestapo .................................................................................................................. 64 Ghetto an der Eger ..................................................................................................................... 65 "Durch Träume kommst Du auf meines Herzens Ruf" ............................................................. 67 Theresienstädter Prominent ....................................................................................................... 68 Der letzte Transport in den Osten .............................................................................................. 70 9. Die Welt von gestern .......................................................................................................... 72 10. Anhang ................................................................................................................................ 74 Camill Hoffmanns Bibliographie ............................................................................................... 74 Sein Werk .............................................................................................................................. 74 Übersetzungen ....................................................................................................................... 75 Anthologien, in denen Hoffmanns Gedichte und Prosa veröffentlicht wurden ..................... 76 Erinnerungen an Camill Hoffmann ............................................................................................ 78 Resüllie .......•..•....•..................•........•.•....•..•.•.......•...........•.....•...•..•..•.....•...•.•...................••........... 109 Resümee ...................................................................................................................................... 111 Literaturverzeichnis ................................................................................................................... 113

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1.

Ein vergessenes Leben

Ich habe mir vorgenommen, ein in Vergessenheit geratenes Leben nachzuerzählen, das im ausgehenden 19. Jahrhundert begann und in Auschwitz endete. Camill Hoffmann war ein Böhme, sprach Deutsch und Tschechisch, war Dichter, Journalist, Übersetzer und tschechoslowakischer Diplomat. Berühmt wurde er nie, geschätzt freilich immer. Sein Lebensweg führte ihn durch die wichtigsten mitteleuropäischen Kulturzentren seiner Zeit - durch Prag, Wien, Dresden und Berlin. Und leider auch durch die traurigen und das 20. Jahrhundert prägenden Stätten des Grauens: Theresienstadt und Auschwitz. Nachdem ich Stoff für meine Arbeit gesammelt hatte, brachte ich alle mir bekannten Tatsachen zusammen und suchte nach Verbindungen. Sehr vorsichtig, da ich nicht in das Reich der Spekulation und Phantasie vordringen wollte.

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2.

Kolin

y

(187f~ 1889)

v

Die Glocken der Heimat Jak zvhiStne zvonf, vazne z hloubi v dal ty stare zvony v rodnem meste mem! I

Es sind die Glocken der St. Bartholomäus Kirche, die auf einer Anhöhe auf dem linken Ufer der EIbe mit drei Türmen herausragt. Sie ist die Dominante der alten königlichen Stadt KoHn, die in Mittelböhmen östlich von Prag liegt. Hier wurde Camill Hoffmann am 31. Oktober 1878 als .iüngster Sohn in eine jüdische Familie geboren. Er hatte zehn Geschwister, von denen nur zwei Schwestern waren. Seine Mutter Rosi 2 war gebürtige KoHnerin, aufgewachsen war sie noch im hiesigen jüdischen Ghetto, welches erst 1848 aufgelöst wurde. Camills Vater Isak3 stammte dagegen aus dem kleinen, unweit von KoHn gelegenen Dorf Vrbcany. Am Rande der Stadt besaßen seine Eltern ein Wirtshaus mit einem großen Garten, das sich ähnlich wie die Kirche auch auf einer Anhöhe befand, jedoch jenseits des Flusses, so dass man auf die Kirche einen schönen Blick hatte. Zu den häufigen Gästen in der Schenke gehörten die meist tschechischen Fuhrleute, die auf dem Handelsweg zwischen KoHn und Veltruby regelmäßig bei Hoffmanns einkehrten und Rast machten. 4 In der Familie wurde sowohl Deutsch als auch Tschechisch gesprochen. Dies lässt

sich einerseits als eine Notwendigkeit erklären, da die Gäste vorwiegend tschechischer Abstammung waren. Auf der anderen Seite ist es als Folge der weiteren gesellschaftlichen Zusammenhänge zu betrachten. Die jüdische Bevölkerung in der Habsburger Monarchie durfte seit 1724 aufgrund der restriktiven Bestimmungen ihren Wohnort nicht wechseln. Nach deren Aufhebung im Jahre 1848 kam es vermehrt zu Übersiedlungen und damit auch zu einer Assimilation. Die meisten Juden zogen allmählich in die Großstädte, wo sie größere Perspektiven für sich sahen und wo sie sich ausschließlich der deutschen Einwohnerschaft anpassten. Auf dem Lande kam es

I Camill Hoffmann: Zvony. Modern! lyrika nemecka. Vyd. E. Lesehrad ; A. Breska. Pestni knihovna : Praha, 1913. 2 Geb. Doctor, Eltern Ignatz Doctor und Ludmilla. In: Matrika narozenych zidovske obce v KoHne sv. 18611878. str. 70 - c. f. 22. 3 Eltern Zacharias Hoffmann und Rosalia. In: Ebenda. 4 Yapou, Edith: Erinnerungen an Camill Hoffmann.

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umgekehrt zu einer Assimilation an die tschechische Ethnie. Am stärksten vollzog sich dieser Wandel bereits am Ende des 19. Jahrhunderts in Süd- und Ostböhmen. 5 Die jüdische Gemeinde in KoHn war eine der größten in Böhmen. 6 Im Allgemeinen gilt für die böhmischen Juden, dass sie größtenteils säkularisiert waren. Auf die Lebensweise der tschechischen Mehrheit reagierten sie mit einer wenig strengen Haltung gegenüber der Religion. Unter den böhmischen Juden kannte man keinen religiösen Fanatismus. Die Migrationwellen der orthodoxen Juden aus dem Osten im 19. Jahrhundert mieden die böhmischen Länder und Städte, die als provinziell angesehen wurden, vollkommen. 7 Infolgedessen blieb der Charakter der hiesigen jüdischen Bevölkerung bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Auch die volle Gleichberechtigung der Juden im Jahre 1867 und ihre fortschreitende Assimilation wirkten ihren traditionellen Werten entgegen. 8 Diesem allgemeinen Bild entsprach auch die Familie Hoffmann, die ein formelles Judentum lebte. Sie beachteten zwar die jüdischen Feiertage und hielten an den eingelebten Gebräuchen fest,9 doch sie gehörten gewissermaßen zu den "viertägigen Juden", wie man sie in Habsburger Monarchie nannte, die nur an den drei Hohen Festtagen und auch am Geburtstag Kaiser Franz Josefs in die Synagoge gingen. 10 Die Familie Hoffmann lebte sich in die KoHner tschechisch-deutsche Gesellschaft ein, indem sie sich auch die tschechische Sprache aneignete. Camill Hoffmanns Muttersprache war zwar eindeutig Deutsch, doch zweisprachig erzogen verfügte er auch über gute Tschechischkenntnisse. Die deutsche Literatur lag ihm selbstverständlich näher, auch deswegen, weil sie ihm durch seine strenge und belesene Mutter vermittelt wurde. Hoffmann wuchs in keinem einschränkenden Ghetto oder in einer einsprachigen Gesellschaft auf, sondern im Gegenteil in einem multinationalen und an Anregungen reichen Umfeld. Als Kind hörte er beispielsweise viele tschechische Lieder. Später würde man schreiben, wie zum BeispielOtto Pick, dass für viele deutsche Dichter aus Böhmen "jene wundersame Umformung des an dem umgebenden Volkstum Erkannten zur Poesie

Capkova, Katei'ina: Cdi, Nemci, Zide? Narodnfidentita Zidit v Cechach 1918 -1938. Paseka: Praha, 2005. 6 Westlich vom Stadtzentrum befindet sich der zweitälteste und zweitgrößte jüdische Friedhof in Böhmen (der älteste Grabstein aus dem Jahre 1418, insgesamt 2600 Grabsteine). In: Sbomfk z historie Zidit na Kolfnsku. Nakladatelstvf a vydavatelstvf lng. Jaroslava Drahovzala: KoHn, 1992. 7 Capkova, Katei'ina: Ce.fi, Nemd, Zide? Narodnf identita Zidit v Cechach 1918 -1938. Paseka: Praha, 2005. 8 Anstoß zu einer Rückkehr zum traditionellen Judentum wurde erst Ende des 19. Jh. vom stärker werdenden europäischen Nationalismus und Antisemitismus gegeben. 9 So wurde Camill Hoffmann eine Woche nach seiner Geburt am 7. 11. 1878 beschnitten. 10 Capkova, Katei'ina: Cesi, Nemci, Zide? Narodnf identita Zidit v Cechach 1918 -1938. Paseka: Praha, 2005. 5

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kennzeichnend ist".11 Zur böhmischen Prägung bekennt sich Hoffmann selbst in einem Aufsatz über Rilke, in dessen Poesie er die "betörende Melodik" spürte, "jene sangvolle, weiche, süße, melancholische Musik, die wir aus der böhmischen Landschaft, aus den tschechischen Volksliedern, aus hundert örtlichen Stimmungen kannten" .12 Eindrucksvolle böhmische Landschaft

Man pflegt zu behaupten, dass sich die Landschaft, in der man aufwächst, in die Seele eines Menschen einprägt, und dass sie dann in ihm unauslöschlich und andauernd erhalten bleibt. Wenn man die Gegend später verlässt, vermisst man sie und kehrt gern zurück. Ob dies für alle Menschen gilt, ist wohl umstritten. Doch für Hoffmann, der seine Heimat aucll zum G~gcl1stand der eigenen Dichtung machte, bleibt diese Behauptung auf jeden Fall gültig. "Ich habe immer gehört," erinnert sich seine Tochter Edith Yapou, "dass mein Vater als Junge viel in der Landschaft herumgelaufen war und dass er die Landschaft so geliebt hat, dass sie ihn so beeinflusst hat.,,13 Gleich hinter dem Elternhause lagen die Wiesen und weiter nördlich Wälder, die zu zahlreichen Streifzügen verlocken. Die Elblandschaft um KoHn ist in ihrem Charakter hügelig, friedlich und beschaulich. Wer sie besingt, schreibt Verse, die von einer ähnlichen Ruhe geprägt sind. So wird die Gegend von Camill Hoffmann besungen:

Ja, Wälder, die gibt es, und Wiesen voll Blumen, und Äcker, lauter schwerfruchtbare Krumen; und in der weiten blühenden Pracht halten die zahllosen Türme Wacht in Dörfern und Städtchen, mit Hahn und Knauf; die EIbe lenkt mitten durch ihren Lauf. Und in den Auen und auf den Wegen ist überall Leben und überall Segen.

KüHn und seine Umgebung sind der Schauplatz von Hoffmanns Kindheit. Dass dieser Ort von ihm geliebt und zugleich zu seiner Inspirationsquelle wurde, scheint unbestreitbar -

11 Deutsche Lyrik aus der Cechoslowakei. Auswahl und Einleitung von Otto Pick. Statnf nakladatelstvf v Praze : Praha, 1931. 12 Hoffmann, Camill: Der Dichter der slavischen Melodie. Prager Presse. Jg. 5, Nr. 334 (6. 12. 1925), S. 6. 13 Yapou, Edith: Erinnerungen an Camill Hoffmann.

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doch es wäre verfehlt, zu viel in diesen Umstand hineinzuinterpretieren, da Camill seine Heimatstadt bereits im Alter von zehn Jahren verließ. Was aber dieses Jahrzehnt bewirkte und entstehen ließ, ist sein Zugehörigkeits gefühl mit dem böhmischen Lande, nicht mit dem Land der Tschechen oder demjenigen der Deutschen, sondern mit dem Land, in dem Tschechen und Deutsche nebeneinander leben. Während seiner Aufenthalte in Österreich oder Deutschland fühlte er stets, dass sich seine Wurzeln in Böhmen befanden, und er kehrt regelmäßig nach KoHn zurück. "Solange seine Mutter gelebt hat", so Edith Yapou, "sind wir einmal im Jahr hingefahren. Da hat er mich mitgenommen, als ich ein, zwei, drei Jahre war. Wir blieben zwei Wochen da, um die Mutter zu besuchen. Als seine Mutter nicht mehr gelebt hat, hat es aufgehört. Dann sind wir nie mehr nach KoHn gefahren." Nach dem Tod seiner Mutter erbte die jüngere Tochter die Schenke. Möchte man heute sein Elterhaus auffinden, wird man vergeblich suchen. Man findet Reste vom Ziegelzaun und dahinter, wo einst ein Haus stand, nur wildes Gebüsch. Was erhalten blieb, ist der Blick auf die St. Bartholomäus Kirche und das Geläut von deren Glocken, das wie damals über die EIbe herüberklingt.

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3.

Prag (1889 - 1899)

Camill Hoffmanns Prager Lehrjahre

Das Prag des ausgehenden 19. Jahrhunderts als eine von ethnischen Spannungen geprägte Stadt zu bezeichnen scheint angemessen. Die tschechische Bewegung, die nach dem Revolutionsjahr 1848 innerhalb der Habsburger Monarchie an Kraft und Bedeutung gewonnen hatte, konnte in den achtziger Jahren sichtbare, wenn auch kleine Erfolge aufweisen, wie zum Beispiel die Teilung der Prager Alma Mater in eine Deutsche und Tschechische Universität im Jahre 1882 oder Stremayrs Sprachverordnung von 1880. 14 Zu dem stetig wachsenden tschechischen Selbstbewusstsein in Prag trug zu einem großen Teil auch die Migration der Tschechen - meist Arbeiter und Handwerker - in die böhmische Hauptstadt bei, wodurch die Prager Deutschen, deren Bevölkerungszahl nicht zunahm, langsam zu einer kleinen, freilich weiterhin dominanten Minderheit wurden. I 5 Dementsprechend bildete und vergrößerte sich auf der anderen Seite die Angst der Deutschen, ihre Führungsposition zu verlieren. Bereits in den Achtzigern befand sich eine bedeutende Zahl wichtiger Ämter in tschechischen Händen. In diese ethnisch geteilte Stadt zog Camill Hoffmann im September 1889 im

Alter von zehn Jahren, als ihn seine Eltern zu seiner um zwanzig Jahre älteren Schwester Jenny Oplatka schickten. "Später habe ich mir zurechtgelegt, warum er bei der ältesten Schwester war. Ich glaube, die alte Frau war schon erschöpft von den vielen Kindern und da hat sie irgendwie nicht mehr gekonnt. Sie hat es ihrer Tochter überlassen," erinnert sich Hoffmanns Tochter Edith Yapou. Dies war für Camill Hoffmann ein ausschlaggebender und glücklicher Umstand. Alle seine Brüder wurden zu Handelsleuten und erhielten daher keine ordentliche Ausbildung. Es wurde beschlossen, Camill auf das Gymnasium zu schicken, und zwar ins neustädtische k. k. Staats-Obergymnasium in der Stephansgasse, das 1880 gegründet worden war I6 und das auch sein Cousin Emil Oplatka, eine Klasse höher, besuchte. Man nannte die Institution das deutsche Gymnasium, doch ein Viertel der ungefähr

14 Nach der Verordnung mussten die Verwaltungsbehörden und Gerichte in Böhmen und Mähren die eingereichten Gesuche in der Sprache beantworten, in der sie geschrieben wurden. 15 Ende des 19. Jahrhunderts meldete sich nicht einmal ein Zehntel von den 400 000 Pragern zur deutschen Verkehrsprache. In: Kosatfk, Pavel: Mensz knzzka 0 nemeckjch spisovatelfch z Cech a Moravy. Nakladatelstvf Franze Kafky : Praha, 2001. 16 Bem.: als Obergymnasium seit 1880.

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vierhundert Schüler waren tschechische Muttersprachler. 17 Überdies wurde außer Deutsch, Lateinisch und Griechisch auch die "böhmische Sprache" unterrichtet, jedoch nur fakultativ. Der Umzug war für Hoffmann auch im anderen Sinne glücklich. In der Prima lernte er seinen engsten Jugendfreund und späteren Schriftsteller Paul Leppin kennen. Gemeinsam war ihnen ihre Vorliebe für Literatur, Poesie vor allem, und auch ihre ersten dichterischen Versuche. Eine gemeinsame und diskutierte Vorliebe wird umso stärker, vielleicht auch leidenschaftlicher. "Unvergessen sind mir die Stunden jungenhafter Begeisterung, die wir miteinander teilten," schreibt Paul Leppin viele Jahre später rückblickend. "Jugend und Simplizissimus, die eben erst gegründet worden waren und noch mit der Vehemenz eines kleinen Revolutiönchens wirkten, wurden gierig unter der Schulbank verschlungen und im Bücherranzen, zwischen historischem Atlas und lateinischer Grammatik verstaut, trugen wir die Dramen Strindbergs und Knut Hamsuns

Mysterien nach Hause. Die Verse, die wir einander vorlasen, pendelten von Lenau und Heine zu den Meistern hin, die gerade im Begriffe waren, die Mode zu erobern. Selbst in den Ferien, die Freund Hoffmann in seiner Vaterstadt KoHn zu verbringen pflegte, versuchten wir unermüdlich, im lebhaften Briefwechsel verstrickt, die neue Kunst zu enträtseln. ,,18 Als Zögling des Gymnasiums durfte Hoffmann mit seinen ersten Gedichten nicht an die Öffentlichkeit treten, weil die Disziplinarvorschriften dies strengstens verboten. Dieses Verbot ließ also einen jungen Dichter mit dem aus seinem bürgerlichen Namen zusammengesetzten Pseudonym Namin Alcoffi entstehen, der "in der dritten Bank an der Ecke saß und hauptsächlich während der Griechisch-Stunde dichtete". 19 Die Literatur schien für Camill Hoffmann in der Tat von größerer Bedeutung zu sein als die gymnasiale Ausbildung. Hoffmann kann auf keinen Fall zu den Vorzugsschülern gezählt werden - im Gegenteil. Im Schuljahr 1895/96 musste der Sextaner Hoffmann sogar repetieren. Und ein Jahr später, nach der siebten Klasse, gab er das Studium auf dem

17 Im Schuljahr 1890/91 besuchten das Gymnasium 418 Schüler, von denen 317 Deutsch, 96 Cechoslavisch, I Polnisch, 1 Magyarisch, 2 Italienisch und 1 Französisch als Muttersprache angeführt haben. Dieses Verhältnis zwischen der deutschen und tschechischen Sprache blieb auch in den folgenden Jahren konstant. So im Schuljahr 1896/97 führten von den insgesamt 395 Schülern 297 Deutsch, 96 Cechoslavisch, 1 Polnisch und 1 Italienisch als Muttersprache an. (In: Jahresberichte des k. k. StaatsObergymnasiurns in Prag-Neustadt (Stephansgasse), Jg. 1890/91, 1891192, 1894/95, 1895/96, 1896/97, 1897/98. Selbstverlag des k. k. Staats-Obergymnasiums. Druck von RohIfcek & Sievers in Prag). 18 Leppin, Paul: Prager Literatur vor drei Jahrzehnten. Prager Presse. Jg. 4, Nr. 261 (21. 9. 1924). 19 Ebenda.

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Gymnasium endgültig auf,2o um zur Handelsakademie am Fleischmarkt in der Altstadt zu wechseln, die "um die Jahrhundertswende internationalen Ruf,21 besaß. Dort bestand er am 8. Juli 1899 die Matura. 22 Die Ironie des Schicksals wollte es, dass sein Dichterfreund Leppin, der bis zur Oktava auf dem Gymnasium blieb und mehrere Stipendien erhalten hatte, schließlich nicht approbiert wurde. Obwohl Hoffmann durch seine Ausbildung auf eine Handelskarriere vorbereitet war, ging er, wie Franz Werfel einige Jahre später in gleicher Situation auch, einen anderen Weg, der seinen persönlichen Neigungen mehr entsprach. Sein lebenslanges Interesse war die Literatur.

Die junge Künstlergeneration um Paul Leppin Die junge dcut::;ch schreibende Prager Schriftstellergeneration, die sich in den neunziger Jahren allmählich aus Schülern rekrutierte, beobachtete die literarische Welt des Landes mit großer Aufmerksamkeit, teils bewundernd, vor allen Dingen aber sehr kritisch. Ihre Bewunderung erwarben ausschließlich Dichter, Persönlichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes, die in Prag eindeutig über den Durchschnitt hinausragten und in der deutschsprachigen Welt bereits Anerkennung erhalten hatten. Einer von denen war der Frauenarzt Hugo Salus, dessen Gedichte in den renommierten deutschen Zeitschriften

Jugend und Simplizissimus laufend abgedruckt wurden. Paul Leppin schreibt, wie "sein Gymnasiastengemüt in Wallungen kam, wenn [ ... ] Hugo Salus auf der Promenade erschien und seine Verehrer mit zierlicher Hutschwenkung begrüßte".23 Ein weiterer Dichter, der nur um ein wenig Jahre älter als die Gymnasiasten war, und daher zur Nachahmung verlockte, war Rainer Maria Rilke, der von Hoffmann und Leppin besonders verehrt und geliebt wurde. Hoffmann erinnerte sich später an die erste Begegnung mit ihm: "Ein schlanker junger Mann, der durch schwarzen Filzhut, kühne Krawatte und ungewöhnliche Haartracht den Künstler sichtlich betonte, aber für unsern Geschmack [ ... ] um einen Grad zu elegant und weltlich war; er trug sogar Gamaschen und schaute durch ein Lorgnon. ,,24 Das Anziehende an Rilke war für Hoffmann nicht das Äußere, sondern der künstlerische Klang, der die beiden Dichter verband. In Rilkes ersten Gedichten hörte er die slawische Melodie, "auf deutsche Worte gesetzt,

eR.

K valifikacnf spis KalTrila Hoffmanna. In: Archiv ~\'1inisterstva zal"'uanicnfch vecf Roth, Hans: Anläßlich eines Maturajubiläums. Prager Nachrichten. Jg. 15, Nr. 8 (August 1964), S. 1-5. 22 Sudhoff, Dieter: Wanderer zwischen den Welten. In: Brennpunkt Berlin. Hrsg. von Hartrnut Binder. Bonn: Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen, 1995. 23 Leppin, Paul: Schriftstellerkolonien VIII. Prag. Das Literarische Echo. (1918/19), 21. Jg., Heft 5 (1. 12. 1918). 20 21

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gemeinsame Musik unserer Kindheit, unauslöschliche Erlebnisse der Jugend auf dem Lande oder in Prag. Rilke war der Erste, der ihren vollen Zauber gefaßt hatte; er hatte ihrem wohllautenden Gesetz die deutsche Sprache unterworfen. ,,25 Abgesehen von den eben genannten Dichtern blieb das literarische Leben vor der Jahrhundertswende für den dichterischen Nachwuchs wenig interessant. Die literarische Geschmacksbildung in Prag wurde von dem 1871 gegründeten Künstlerverein Concordia bestimmt, der im Deutschen Hause am Graben in der Neustadt residierte. Dieser Verein, dessen Aufgabe es war, Kontakte zum deutschen Kulturleben zu pflegen und damit die Isolation der deutschen Künstler in Prag zu beseitigen, schien für die junge Generation ein Hindernis zu sein. Es wurden Leseabende gehalten, "an denen Literaturprofessoren das letzte Wort in die Wagschale legten,,?6 Bis 1899 hatte den Vorsitz der Schriftsteller und Theatertheoretiker Alfred Klaar, der später durch die Dichter Friedrich Adler und Hugo Salus abgelöst wurde. Danach strömte "ein liberales Lüftchen" - so Paul Leppin in das Vereinleben, auch das Zeremoniell wurde nach Leppins Meinung fühlbar lockerer. Doch die Jungen hielten von der Concordia weiterhin Abstand. Die erste Reaktion auf ihr literarisches Monopol trat im Jahre 1895 ein, als der "Verein deutscher bildender Künstler in Böhmen" gegründet wurde. Drei Jahre später schlossen sich die jungen Literaten und Künstler unter der Bezeichnung "Jung-Prag" zusammen. 27 Diese Gruppe erzielte in Wirklichkeit keine nachhaltige Wirkung, erhielt weder den Applaus des Publikums noch der Presse. Ihr größter Erfolg, den auch die Presse zu schätzen wusste, war der Besuch von Detlev von Liliencron, den sie 1898 nach Prag einluden. Die Schulfreunde Hoffmann und Leppin betraten die literarische Szene um 1899. v

Wie ihre Vorgänger bildeten sie eine Künstlergruppe, zu der außerdem Otokar Winicky, I

Oskar Wiener, J ohannes Schwarz und Margarete Beutler gehörten. Ihnen schloss sich ein "freundschaftlich verbrüderter Trupp von Malern,28 Bildhauern und Komödianten" an. Die Gruppe entstand auf der Grundlage von reiner Begeisterung für die Kunst und ihre Mitglieder, wenig oder gar nicht bekannte Schriftsteller, waren um den großen Durchbruch bemüht. So sehr sie sich voneinander auch unterscheiden mochten,

Hoffmann, Carrüll: Der Dichter der slavischen Melodie. Prager Presse. Jg. 5. Nr. 334 (6. 12. 1925); S. 6, Ebenda. 26 Leppin, Paul: Prager Literatur vor drei Jahrzehnten. Prager Presse. Jg. 4, Nr. 261 (21. 9. 1924). 27 Zu den Jung-Pragern gehörten Oskar Wiener, Margarete Beutler, Ottokar Winicky, Paul Porges, Walter Schulhof, Eugen Trager, Bildhauer Karl Wilfert und der Graphiker Hugo Steiner. Sie trafen sich im Cafe "Renaissance" zusammen. 28 Hugo Steiner, Ferdinand Krombholz. 24 25

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erschienen sie gemeinsam auf den Seiten der von Paul Leppin herausgegebenen lyrischen Flugblätter Frühling, nach welchen die Dichtergruppe nachträglich benannt worden ist - die "Frühlingsgeneration". Deren Herstellung stellte eine schwierige Aufgabe dar: "Der technische Apparat," so Paul Leppin, "war ein wenig komplizierter. Wir hatten irgendwo in der Vorstadt eine kleine Druckerei ausfindig gemacht, die uns die geringfügigen Kosten vertrauensselig stundete. Die gelieferten Blätter trug ich dann selbst zu Buchhändlern, vereinbarte Preis und Provision [ ... ] Es ist klar, daß unter diesen Umständen das kleine Unternehmen völlig passiv bleiben mußte und zur aufrichtigen Betrübnis der Hinterblieben in seiner Blüte einging. ,,29 Obwohl die Lebensdauer der lyrischen Flugblätter bescheiden war (sie erschienen von 1900 bis 1901), handelt es sich um Dokumente, die Aufmerksamkeit verdienen. Im Frühling hatte zum Beispiel auch Stefan Zweig, den Camill Hoffmann für die Mitarbeit gewonnen hatte, Texte veröffentlicht.

Deutsche Kultur, böhmische Heimat Die Stadt Prag stand vor der Jahrhundertwende, wie bereits angesprochen, im Zeichen zunehmender nationaler Polarisierung. Dass selbiges auch auf das literarische Leben ,

zutraf, illustriert ein Blick auf einen Stadtplan von Prag: Unten auf dem Wenzel platz

.

gingen zwei Promenaden voneinander - auf der einen Seite die deutsche Promenade Am f

Graben mit dem Cafe Continental, wo :sich die deutschen Literaten zusammentrafen, und auf der anderen die tschechische Ferdinandstraße30 mit dem Cafe Union, wo sich llTYl