SWR2 Glauben MEIN KAMPF WIE ADOLF HITLER SICH ZUM DEUTSCHEN MESSIAS SCHRIEB VON MAX KNIERIEMEN

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Author: Victoria Albert
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 Glauben „MEIN KAMPF“ WIE ADOLF HITLER SICH ZUM „DEUTSCHEN MESSIAS“ SCHRIEB VON MAX KNIERIEMEN SENDUNG 17.01.2016 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft

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01 ATMO Einstiegscollage The Fuhrers Face, Der Untergang, Jan Böhmermann, Guido Knopp, Louis de Funés – Herr Müller, KIZ 02 SPR Punkt, Punkt, Komma, Strich - Schnurrbart und Scheitel, jeder weiß wer gemeint ist. Siebzig Jahre nach seinem Tod ist Adolf Hitler immer noch omnipräsent. Ob als Erzbösewicht für Hollywood oder ZDF-Historiker Guido Knopp, als Karikatur oder als Titelbild politischer Zeitschriften vom Spiegel bis zum Satire-Magazin Titanic. Wohl kaum eine Figur der Zeitgeschichte hat es zu einer solchen ikonografischen Größe gebracht wie Adolf Hitler. Und das, obwohl zu Beginn seiner politischen Karriere nichts darauf hingedeutet hat. 03 OT LH 21_16sek Naja der Mann hatte ja gar nichts zu bieten, was sollte er machen. Im Grunde ist er das einzige Beispiel eines Clochards, der in die Politik aufsteigt. 04 SPR Ludolf Herbst, pensionierter Geschichtsprofessor der Humboldt-Universität Berlin und ehemals stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, der Institution, die diesen Monat eine kritische Edition von „Mein Kampf“ vorgelegt hat. Herbst hat sich in seinem Berufsleben eingehend mit Hitlers „Mein Kampf“, seinem Leben und insbesondere seiner – charismatischen Herrschaft – befasst. 05 OT LH26(Z1)_30sek Schlechter konnte man eigentlich nicht vorbereitet sein als Adolf Hitler: Gar nichts gelernt, kein Beruf, aber ich denke man darf ihn nicht unterschätzen er ist zwar in vielerlei Hinsicht furchtbar ungebildet aus bürgerlicher Perspektive, aber das muss nicht heißen, dass er dumm war, er hat auch obwohl er ja schlechte Schulvoraussetzungen hatte relativ gut Deutsch gelernt. 06 SPR Das musste Adolf Hitler. Denn in seiner Zeit gab es noch keine Armadas von Polit- und PR-Beratern, Schwärme von Twitter und Facebook-Nutzern oder nicht zuletzt ein ausgefeiltes Netz an Rundfunk- und Fernsehanstalten, die den deutschen politischen Diskurs gestalteten. Das gesprochene Wort von Angesicht zu Angesicht hatte politisch noch ein ganz anderes Gewicht. Und natürlich: Das Buch, in Hitlers Fall „Mein Kampf“. Zunächst als Kampfschrift zu gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen geplant, mutierte mein Kampf zur Autobiographie und Heldengeschichte, zur politischen Programmschrift der nationalsozialistischen Partei und ihres Anführers. Und zur 2

Stilisierung als selbsternannter Retter Deutschlands. Die Belange der Nation will Hitler schon als Schüler für sich entdeckt haben. In „mein Kampf“, hier gelesen von dem österreichischen Kabarettisten Helmut Qualtinger, schreibt er: 07 QK_01_47sek Auch ich hatte so einst die Möglichkeit schon in verhältnismäßig früher Jugend am Nationalitätenkampf des alten Österreichs teilzunehmen. Dass ich damals schon nicht zu den Lauen gehört habe, versteht sich von selbst. In kurzer Zeit war ich zum fanatischen Deutschnationalen geworden. Wobei dies allerdings nicht identisch ist, mit unserem heutigen Parteibegriff. Wenn ich nun nach so vielen Jahren mir das Ergebnis dieser Zeit prüfend vor Augen halte, so sehe ich zwei hervorstehende Tatsachen als besonders bedeutungsvoll an: Erstens: Ich wurde Nationalist! Zweitens: Ich lerne Geschichte ihrem Sinne nach verstehen und begreifen. 08 SPR Einer, der nach radikalnationalistischem Verständnis die Geschichte begriffen hatte und die richtigen Schlussfolgerungen zog. Nach genauso einem hatte die radikale Rechte zu Beginn der zwanziger Jahre gesucht. Der Krieg war verloren, Deutschland erlebte nach rechter Lesart seine dunkelste Stunde. Ein Vertreter der damaligen radikalen Nationalisten war Dietrich Eckart. Um selbst in der ersten Reihe zu stehen war Eckart schon zu alt, noch dazu stark beeinträchtigt von zu viel Alkohol und Morphium. Ähnlich wie Hitler war er ein gescheiterter Künstler. Außer einer mäßig erfolgreichen Nachdichtung von Ibsens Peer Gynt hatte er als Schriftsteller keine Erfolge vorzuweisen. Aber Eckart war gut vernetzt in der rechten Bohème. Als er im März 1920 in Berlin im Umfeld des rechten Kapp-Putschs auf Hitler traf, hatte er einen gelehrigen Schüler gefunden. Einen, der erfüllte, was er sich ein Jahr zuvor für einen kommenden Tribun erträumt hatte: 09 MUSIKAKZENT HART (WAGNER GÖTTERDÄMMERUNG) 10 SPR DIETRICH ECKART Ein Kerl der ein Maschinengewehr hören kann. Das Pack muss Angst in die Hosen kriegen. Einen Offizier kann ich nicht brauchen, vor denen hat das Volk keinen Respekt mehr. Am besten wäre ein Arbeiter, der das Maul auf dem rechten Fleck hat. Verstand braucht er nicht viel. Politik ist das dümmste Geschäft der Welt. Einer der immer eine saftige Antwort für die Roten bereit hat, ist mir lieber als ein Dutzend gelehrte Professoren, die zitternd auf dem feuchten Hosenboden der Tatsachen sitzen. Es muss ein Junggeselle sein! Dann kriegen wir die Weiber.1 11 ATMO SALON KLAVIERMUSIK … 1

Fest, S. 196, unvollständiges Zitat

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12 SPR Eckart führte Hitler in die bessere Gesellschaft ein, brachte ihm Manieren bei, lieh ihm Bücher aus. Der junge Volksredner, der seinen Wein mit Zucker süßte und gerade gegenüber Menschen mit Reputation gehemmt und unterwürfig auftrat, stieß in der Münchner Gesellschaft auf ein befremdliches Interesse. Besonders ältere Damen aus gutem Haus nahmen sich dem schlecht gekleideten, linkischen Mann an. Hitler gewann gesellschaftliches Ansehen und er bekam Zugang zu besseren Kreisen, die seine politische Arbeit finanziell unterstützen konnten, In der Zeit mauserte sich seine deutsche Arbeiterpartei zur politischen Größe im München der Zwischenkriegszeit. Schon im März 1920 erkannte die Gräfin Marie Gabrielle d’Allemont, Frau eines radikalnationalistischen deutschen Grafen, in Hitler einen angeblich gottbegnadeten Mann,In Hitler sei der künftige Messias erkennbar, meinte sie. Aber Hitler selbst verglich sich in der Frühzeit eher mit Johannes dem Täufer. Der wirkte um 28 nach Christus als Prediger im Jordantal. Johannes versammelte eine breite Schar von Anhängern um sich, und taufte unter anderem Jesus Christus. Als Erlöser selbst sah er sich aber nicht, viel eher als Prophet eines kommenden Messias. Noch 1923 bezeichnete sich Hitler selbst als Johannes-Natur. In Anlehnung an Johannes den Täufer, selbst als Prophet tätig, aber immer noch auf der Suche nach dem Christus, also dem eigentlichen Erlöser. Bis Adolf Hitler beschloss, sein politisches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, selbst zum vermeintlichen Erlöser zu werden. Am Abend des 8. November 1923 stürmte Hitler mit Gefolgsleuten eine politische Versammlung im Münchner Bürgerbräukeller. Er erklärte die bayerische Regierung für abgesetzt und zwang den anwesenden bayerischen Generalstaatskommissar Gustav von Kahr mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Augenzeuge Günther Grassmann erinnert sich in einem Fernsehinterview 13 OT GG (https://www.youtube.com/watch?v=2PAdKc6ypBg)_6sek Die Stimmung in dem Saal war also keineswegs begeistert, sie war eher erschreckt. 14 SPR Aber von Kahr und die bayerische Landespolizei stellten sich gegen die Putschisten. Hitlers Marsch durch die Münchner Innenstadt am Folgetag wurde gewaltsam gestoppt. 15 ATMO SCHÜSSE, (KURZE PAUSE) 16 SPR 4

Hitler überlebte nur, weil sein Leibwächter sich in die Kugeln auf ihn stürzte. Der Putsch war gescheitert. Seinem Nimbus als unablässiger Kämpfer für die deutsche Sache, sollte das allerdings nicht abträglich sein. Im Gegenteil: Hitler war nun eine Berühmtheit. Der Gefängniswärter Otto Lurker beschreibt den Moment, als Hitler in die Haftanstalt in Landsberg am Lech gebracht wird. 17 SPR Lurker An der hohen Gestalt und an der Uniform erkenne ich den Anstaltsdirektor. Ihm zur Seite zwischen zwei Polizeibeamten in zivil, von denen der eine einen kräftigen Hund führt, schreitet stolz und aufrecht der Mann, dessen ganzes Leben ein Kampf und Ringen um Deutschlands Freiheit und Größe ist: Adolf Hitler. Seine Brust schmückt das Eiserne Kreuz 1. Klasse. Über den Schultern hängt der braune Gummimantel, dem er beim Zug zur Feldherrenhalle trug. Noch ruht der linke Arm in der Schlinge, der beim Fallen auf das Pflaster verletzt wurde, als die Kugeln der Landespolizisten über die Köpfe der Zugsteilnehmer hinwegpfiffen. Barhaupt, mit bleichem abgehetzten Gesicht, in das eine wirre Haarsträhne fällt, schreitet der Verhaftete, jeder Zoll ein Führer, nun als Gefangener schweigend inmitten seiner Begleiter schweigend durch den matterleuchteten, weiten, in tiefem Schlafe ruhenden Zellenbau. 18 SPR Den nun gegen ihn laufenden Gerichtsprozess nutzte Hitler, um sich an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung zu setzen. Er redete den Einfluss seines Mitverschwörers General Ludendorff klein und profilierte sich als einziger Anführer der deutschen Rechten. Zurück in der Haftanstalt begann er seinem Zellennachbarn Rudolf Heß ein Buch zu diktieren: Zunächst begonnen als politische Programmschrift unter dem Titel „Viereinhalb Jahre des Kampfes gegen Lüge, Dummheit und Feigheit“, wurde das Manuskript immer länger. Statt einfach nur mit seinen politischen Gegnern abzurechnen, begann Hitler ein umfassenderes Projekt. Mein Kampf ist auf knapp eintausend Seiten Autobiografie, Programmschrift und die Selbstdarstellung eines Mannes, der sich ernsthaft als Messias eines auserwählten Volkes sah. Hitler stilisierte sich selbst: Ein einfacher Mann aus dem Volk wollte er sein, malte seine Herkunft in düsteren Farben. Aufgewachsen in Braunau und Linz, zog er achtzehnjährig nach Wien. Wieder der Kabarettist Qualtinger als Adolf Hitler. 19 QK_02_59sek Fünf Jahre Elend und Jammer sind im Namen dieser Phäakenstadt für mich enthalten. Fünf Jahre in denen ich erst als Hilfsarbeiter, dann als kleiner Maler mir mein Brot verdienen musste. Ein wahrhaft kärgliches Brot, das doch nie 5

langte um auch nur den gewöhnlichen Hunger zu stillen. Und doch habe ich in dieser Zeit gelernt wie nie zuvor. Außer meiner Baukunst, dem seltenen vom Munde abgesparten Besuch der Oper, hatte ich als einzige Freude nunmehr Bücher. Ich las damals unendlich viel. Und zwar gründlich. Was mir so an freier Zeit von meiner Arbeit übrig blieb ging restlos in mein Studium auf. In wenigen Jahren schuf ich mir so die Grundlagen eines Wissens, von denen ich auch heute noch zehre. 20 SPR Aus unterschiedlichen Quellen bastelte sich Hitler seine Ideologie zusammen. Historiker Ludolf Herbst: 21 OT LH17_37sek Hitler wird vermutlich das Konzept der charismatischen Herrschaft aus germanischen Heldensagen entnommen haben. Der hat immer die Übersetzung der Heldensagen von Weber mit sich rumgeschleppt, das kann man bei Kubizcek 22 SPR August Kubizek. Einem Jugendfreund Hitlers 23 WEITER OT LH17 das kann man bei Kubizcek auch lesen: das hat er offenbar gemocht, so König Rothaar und so weiter. Da geht es immer um dasselbe: Frauen werden befreit aus den Händen der Heiden und all so nen Kram. Und da kommt im Grunde das Prinzip des charismatischen Führers und seiner Gefolgschaft eigentlich als Grundmodell zum Tragen. 24 SPR In der Selbstdarstellung war Hitlers Leben eine Messiasgeschichte. Davon gibt es einige, die sich aber durchaus in vielen Punkten ähneln. Jesus musste in die Wüste, Buddha musste in den Wald, um Prüfungen zu bestehen. Während Mohammed in seiner Höhle die Eingebung zum Koran fand, saß Hitler in der Haftanstalt in Landsberg am Lech und schrieb sich mit „Mein Kampf“ selbst zum Erlöser. Das Buch sollte vor allem Hitlers künftige Macht sichern. 25 OT LH09Z_27sek Aber ich denke schon er hat in Landsberg natürlich schon den Einfluss auf diese verstrittene völkische Bewegung verloren und hat sich gesagt, man muss eine Klammer schaffen und das Buch dient nicht zuletzt auch diesem Zweck: Seinen Führungsanspruch zu wahren. und Mein Kampf zeigt ja dieses 6

Selbstverständnis eines Messias, der dazu auserkoren sei Deutschland vor der jüdischen Weltverschwörung zu retten. 26 SPR Helmut Qualtinger als Adolf Hitler: 27 QK_07_50 Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude. Bei kaum einem anderen Volk der Welt ist der Selbsterhaltungstrieb stärker entwickelt als beim sogenannten Auswerwählten. Als bester Beweis dafür die einfache Tatsache des Bestehens dieser Rasse allein schon gelten. Wo ist das Volk, das in den letzten zweitausend Jahren so wenigen Veränderungen der inneren Veranlagungen, des Charakters usw. ausgesetzt wer als das jüdische? Welches Volk endlich halt größere Umwälzungen mitgemacht als dieses und ist dennoch immer als dasselbe aus den gewaltigsten Katastrophen der Menschheit hervorgegangen. 28 SPR Der Arier stellt für Hitler das genaue Gegenstück zum von ihm beschriebenen Juden dar. Ihm schreibt er alle denkbaren positiven Eigenschaften zu, den Juden alle schlechten. Aber: In Mein Kampf hat Hitler den Antisemitismus nicht erfunden. Einer, der sich ausführlich mit Hitlers Mein Kampf und Hitlers Judenhass auseinander gesetzt hat, ist der Kabarettist und Schriftsteller Serdar Somuncu. Jahrelang ist er durch Deutschland gezogen und hat ausgewählte Textstellen aus „Mein Kampf“ unter dem Titel „Nachlass eines Massenmörders“ vor Publikum gelesen. Er betont die Vorgeschichte des Antisemitismus. 29 OT SSZ1_38sek Und diese Vorgeschichte ist ganz wichtig, die Vorgeschichte des Antisemitismus, beginnt nicht bei Hitler und sie endet nicht bei Hitler, sondern sie hat bestimmte Zuläufer, die zu Hitler führen. Ob das bei Heinrich Heines Rabbi von Bacharach war, um die was weiß ich irgendwann geschrieben, ob das Shakespeare gewesen ist, der Kaufmann von Venedig, weitaus früher.[…] Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit, die nicht ausschließlich erklärt woher Hitlers Antisemitimus kommt, aber die mit den Wegen, die dazu geführt haben, dass Hitler dort gelandet ist wo er war erklären wie Nationalsozialismus funktioniert. Und ein fester Bestandteil des Nationalsozialismus ist auch Antisemitismus. Fanatischer Antisemitismus. 30 SPR Mein Kampf ist nicht nur eine Hetzschrift gegen Juden. Serdar Somuncu: 7

31 SS02_35sek Es geht in Hitlers mein Kampf um ganz viele unterschiedliche Dinge. Es ist für Wissenschaftler noch nicht mal zu fassen: Ist das eine Autobiografie? Ist das eine Hetzschrift? Ist das ein Parteiprogramm oder ist es ne festgehaltene Rede und wenn man jetzt daraus nur ein Element nimmt: Hitlers Judenhass und fragt: Warum hatte er das eigentlich? Dann wäre das sehr sehr ungerecht und der Komplexität dieser Frage auch nicht angemessen zu sagen und darum und darum und darum… 32 SPR Mein Kampf ist das Selbstzeugnis eines Außenseiters, der an die Macht wollte. Und sich dafür anders darstellte, als er wirklich war. Ludolf Herbst: 33 OT LH22_47sek Das ist doch auch alles Legende, der ist doch gar kein Arbeiter. Aus dem Volk sind wir irgendwie alle, das ist nichts Besonderes. Aber das ist alles aufgesetzt und Klischee. Die Topoi hat er bedient, das hat er gekonnt, das eine der zentralen Errungenschaften in Anführungsstrichen aus Mein Kampf, das er die Topoi alle drin hat: Der Mann aus dem Volke, die Vorsehung, die ihn erzieht und das Leben, denn einen Lehrmeister kann man als Führer nicht haben. Hat er gemeint jedenfalls. Die Vorsehung hat ihn erzogen und die Not. Das ist doch alles Blödsinn, weil er hat nie Not gelitten. Vieles von dem ist einfach nur gelogen, geschickt gelogen. 34 SPR Und Hitlers Lügen stießen in der damaligen Gesellschaft auf offene Ohren. 35 OT LH10_33sek Ich finde nichts Positives über die darin enthaltenen analytischen und sonstigen Ansätze, aber es ist wenn man von der Funktion her denkt, ihm ja gelungen mit diesem Buch einen Kristallisationskern für die völkische Bewegung zu schaffen und das ist ja an sich schon eine erstaunliche Leistung. Und es gibt einige ganz kluge Auslassungen über Propaganda, all dies und da hat er eine gewisse Begabung gehabt, würde ich schon sagen. 36 SPR Nicht zuletzt deshalb legte Hitler nachdem sein Buch einmal fertig war, eine beispiellose Karriere hin. In nur wenigen Jahren wurde er vom Vorsitzenden der NSDAP, einer obskuren Partei am äußersten rechten Rand, zum deutschen Reichskanzler, sogenannten Führer und Feldherren. Der Historiker Ludolf Herbst

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37 OT LH4_44sek (kürzbar) Wie Brecht sagt, „das ist allemal gutes Theater“, er hat Theater gespielt. Er hat Politik als Theater inszeniert: Straßenumzüge, Fahnen und auch in den Versammlungsräumen haben doch immer welche auf dem Podium gesessen. Das war auch für die Augen wie auf der Bühne, das ist eine ganz interessante Sache und das war das Anliegen herauszustellen, dass man nicht auf solche Urkräfte wie Magie und Rhetorik setzen kann, sondern dass das eine relativ genaue Planung ist, man hat sich genau überlegt: was kann man dem Idioten zumuten, was kann man ihm nicht zumuten. 38 SPR Dem Idioten, dem gemeinen Volk war vieles zuzumuten. Eine abgewandelte Version des christlichen Erlösungskultes allemal. Vieles spricht dafür, dass sich Hitlers Ansicht - die Vorsehung habe ihn an seinen Platz gerückt – beim Abfassen seines Buches „Mein Kampf“ bildete. Aus dem Johannes wurde Christus. Sein Elixier, sein goldenes Fließ oder seine Botschaft: Der Rassenhass. Symbolisiert in seinem Buch, der nationalsozialistischen Bibel: Mein Kampf. Personenkult mit quasireligiösen Zügen. Ein Schulbuchdiktat aus der Nazizeit zeigt das sehr genau: 39 SPRECHERIN// 39b MUSIK WAGNER RIENZI OUVERTÜRE Wie Jesus die Menschen von Sünde und Hölle befreite, so rettete Adolf Hitler das deutsche Volk vor dem Verderben. Jesus und Hitler wurden verfolgt, aber während Jesu gekreuzigt wurde, wurde Hitler zum Kanzler erhoben. Während die Jünger Jesu ihren Meister verleugneten und ihn im Stich ließen, fielen die 16 Kameraden für ihren Führer. Die Apostel vollendeten das Werk ihres Herrn. Wir hoffen, dass Hitler sein Werk selbst zu Ende führen darf. Jesus baute für den Himmel, Hitler für die deutsche Erde.2 40 SPR Offenbar glaubte Hitler selbst daran der Erlöser zu sein. Der Soziologe Norbert Elias berichtete 1989 im Nachrichtenmagazin „der Spiegel“: 41 MUSIK WAGNER RIENZI OUVERTÜRE 42 SPR Norbert Elias Ich selbst habe erlebt, wie er nach seinem Vortrag die Kinder zu sich rief und ihnen gleichsam segnend die Hand auf den Kopf legte. Sie standen nun unter seinem Schutz. Und das gleiche Gefühl erweckte er in seinen Anhängern. Er war, wie er selbst es einmal ausdrückte, der lebende Gott. Ihm konnte man 2

Zitiert nach: Lesebuch zur deutschen Geschichte. Bd. 3: Vom Deutschen Reich bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Bernhard Pollmann, Dortmund 1984, S. 149

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sich anvertrauen. Er traf immer die richtigen Entscheidungen, im Guten wie im Bösen. 43 SPR Serdar Somuncu: 44 OT SS05_29sek Anmaßend, größenwahnsinnig, ich glaube das ist Teil der Entwicklung die ein Politiker macht, wenn er zu lange und zu viel an der Macht ist, dass er irgendwann auch sich einbildet wichtiger zu sein als er ist. Und gerade bei Diktatoren ist es ja so, dass sie sämtliche Instanzen außer Kraft setzen, die ihm noch Paroli bieten könnten. Das ist nicht großkotzig, das ist dann schon Größenwahn, das ist krankhafter Größenwahn. 45 SPR Gerade die Orientierungslosigkeit der Zwischenkriegszeit ließ in Deutschland die Sehnsucht nach einer Erlöserfigur wachsen. Hitler selbst hatte die Idee einer charismatischen Führerfigur in seiner Jugendzeit in sich aufgesogen. Sei es durch germanische Sagen, in den häufig ein allwissender König auftritt. Oder Wagner-Opern wie Rienzi, der idealisierten Darstellung eines Volkstribuns. Der Bezug zum Anführer ist in beiden Fällen nicht funktional sondern emotional und spirituell. Serdar Somuncu: 46 OT SS06_33sek Ja die nationalsozialistische Ideologie ist in gewissen Teilen auch eine Religion gewesen und die Nationalsozialisten haben auch in ihrer Symbolsprache nicht umsonst auf religiöse Aspekte zugegriffen. Und haben das ganz bewusst eingesetzt. Der Führer war ja eine gottgleiche Figur und diese Allmacht, die er verkörpert hat auch in Symbolen dazustellen war ein ganz wichtiger Teil der nationalsozialistischen Selbstauffassung. 47 SPR Einer mörderischen Selbstauffassung. Die allerdings so geschickt inszeniert war, dass sie Millionen in ihren Bann schlug. So gekonnt sich Hitler selbst als Führer inszenierte, so fanatisch folgten ihm das deutsche Volk. 48 OT SS07_44 In diesem Wahn in den die Nationalsozialisten die Deutschen getrieben haben waren sie ja letztendlich bis zum Schluss, bis zum Untergang, bis zum 8. Mai 1945 als Dönitz dann erklärt hat, dass Deutschland kapituliert, und es für viele wie das Erwachen aus einem ganz langen Albtraum war. Deswegen, ich glaube schon, dass die Komponenten die in einer Religion eine wichtige Rolle 10

spielen, die Abgabe von Verantwortung an eine höhere religiöse Instanz, aber auch der feste Glaube, aus meiner Sich der Irrglaube daran, dass diese Instanz sich gegen jede Form des Widerstandes durchsetzen kann, sowohl im Nationalsozialismus als auch in vielen anderen fanatischen Formen und Ausläufern von Religion wiederzufinden sind. 49 SPR Wie ein derartiger Irrglaube entsteht, lässt sich an der Entstehungsgeschichte des Buchs „Mein Kampf“ geradezu exemplarisch studieren. Nach dem gescheiterten Putsch im Bürgerbräukeller und dem Tod seines Mentors Dietrich Eckart war Hitler eigentlich geschlagen. Aber in seiner größten Krise vor dem Untergang entwickelte Hitler erst den fanatischen Glauben an seine fatale historische Mission. Ein Glaube, der ihn zu einem der größten Massenmörder der Geschichte machte.

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