Muskelsonographie – Ein wichtiges Tool zur Messung der Katabolie/Steuerung der Proteinzufuhr? Ernährung und Mobilisation
Gunnar Elke DIVI 2016 01. Dezember 2016
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin
Interessenkonflikt
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Reisekosten und Vortragshonorare von Abbott, B.Braun, Fresenius Kabi, Nutricia Mitglied Advisory Board „REDOXS-Studie“ (Fresenius Kabi) und „Gastrointestinal Tolerance“ (Nutricia)
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Abnehmende Sterblichkeit, aber....
1 Mio. Patienten weltweit entwickeln ein erworbenes Schwächesyndrom (2550% der Patienten mit Sepsis), das wiederum beiträgt zum Post intensive care syndrome (PICS) Substanzieller und persistierender Verlust physischer, mentaler und kognitiver Funktion („Lebensqualität“) in bis zu 60% aller Intensivpatienten Fan et al. Am J Respir Crit Care Med. 2014;190:1437-46 ParryKaukonen et al. Critical 2015;19:52 et al.Care JAMA 2014; 311:1308-16
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Syndrom generalisierter Schwäche der Extremitäten und Atemmuskulatur, das sich während einer kritischen Erkrankung entwickelt ohne erkennbar andere Ursache Klinische Risikofaktoren einer „Critical Illness Myopathie“: Weibliches Geschlecht Sepsis Multiorgandysfunktion Immobilität Langzeit-Beatmung
(Stress-)Hyperglykämie Glucokorticoide Muskelrelaxanzien Katabolie Kress and Hall. N Engl J Med 2014;370:1626-35
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Konsequenz des Stressstoffwechsels - Katabolie
Muskuläres Organversagen (“Critical Illness Myopathie”) proportional zur Krankheitsschwere tritt bereits frühzeitig ein
Systemische Inflammation ITS-Liegedauer Puthucheary et al. JAMA 2013;310:1591-1600
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Kritische Erkrankung führt zu persistierender struktureller und funktioneller Muskelschwäche aufgrund erworbenen Verlusts der Muskelregeneration
Dos Santos et al. Am J Respir Crit Care Med. 2016 Apr 8. [Epub ahead of print]
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Skelettmuskulatur – Ein essenzielles Organ für den kritisch Kranken Skelettmuskulatur zentrale inflammatorische und metabolische Rolle Zytokin-Regulation Glukosehomöostase
Weijs et al. Crit Care 2014;18:R12 Moisey et al. Crit Care 2013;17:R206
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Ziele der Proteinzufuhr (und Physiotherapie) Eindämmen der stressbedingten Katabolie Vermeiden einer (weiteren) Verschlechterung des Ernährungszustands, insbesondere der Muskelmasse/-funktion Verbesserung des klinischen (Langzeit)Outcomes?
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Aktuellste Leitlinie – Stellenwert Proteinzufuhr
Kalorien • Indirekte Kalorimetrie zur Messung des Energieumsatzes oder Schätzformel 2530 kcal/kg/d Protein • Wir schlagen vor, eine ausreichende (Hoch-Dosis) Proteinzufuhr zuzuführen. • Der Proteinbedarf liegt erwartungsgemäß im Bereich von 1,2-2,0 g/kg/d, ggf. höher bei Patienten mit Verbrennungen und Polytrauma.
Qualität der Evidenz: niedrig
Taylor BE et al. Crit Care Med 2016; online ahead of print McClave et al. JPEN 2016;40:159–211
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Messinstrumente Muskelmasse/-funktion im Behandlungsverlauf
„International Classification of Functioning(ICF) Framework
3 Kerndomänen: Beeinträchtigung, Aktivitätsminderung, Teilnahmerestriktion
3 Endpunkte/Outcomes: Muskelmasse
Passiver, nicht-willentlich (ICU-AW)
Muskelstärke Grad der Beeinträchtigung Dynamischer Parameter
Parry et al. Intensive Care Med 2015;41:744–762
Muskelfunktion Patienten-zentrierter Endpunkt, Grad der Aktivitätsminderung
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Messinstrumente Muskelmasse/-funktion im Behandlungsverlauf
Parry et al. Intensive Care Med 2015;41:744–762
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Was gibt es für Möglichkeiten des Monitorings Muskelmasse Muskelstärke/-funktion Körperzusammensetzung
Anthropometrie
Trizeptshautfaltendicke Oberarmumfang
Dynamometrie Medical Research Council sum-score (MRC-SS)
Biomarker
Stickstoffbilanz Harnstoff Tracermethoden
Apparative Methoden
Bioelektrische Impedanztomographie (BIA) Dual-Röntgen-Absorptiometrie Computertomographie Ultraschall Nicht-invasiv, strahlenfrei, bettseitigverfügbar, kostengünstig
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Muskelsonographie bei kritisch Kranken „State of the Art“- Messung Limitationen der Messung Korrelation zu Histopathologie & Muskelfunktion
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Muskelsonographie bei kritisch Kranken
Diverse Protokolle in unterschiedlichen „Immobilitätsmodellen“ und Patientengruppen publiziert
Kennmuskel überwiegend Oberschenkelmuskel (M. quadriceps femoris)
Vorteile: einfach zugängliche Landmarke, gut definierbare Fasziengrenzen zur Identifikation trotz Muskelatrophie mit größerer Konsistenz bei Analyse
Tillquist et al. JPEN 2014; 38:886–890
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
„State of the Art“ – Messprotokoll bei kritisch Kranken Muskeldicke, Querschnittsfläche
8,5 MHz Linearschallkopf, B-Mode Rückenlage, passive Beinextension & Neutralrotation 2 Messpunkte permanent markieren idealerweise beide Oberschenkel Schallkopf anterior lotrecht und Bild an Tiefe des Oberschenkelknochens adjustiert Maximale Kompression durch Schallkopf Bild einfrieren Muskeldicke mittels Messpunkttool als größte Distanz zwischen Obergrenze Knochen und Untergrenze der tiefen M. rectus femoris-Faszie unter Einbezug M. rectus femoris (RF) & vastus intermedius (VI)
Tillquist et al. JPEN 2014; 38:886–890
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
„State of the Art“ – Messprotokoll bei kritisch Kranken Echogenität und Fiederungswinkel
Aussage über Muskelqualität Standardisierte Gaineinstellung Analyse einer definierten ROI mittels Graustufenhistogramm des RF und VI (ImageJ Software) oder visuell (Heckmatt-Score) - Werte von 0 = schwarz bis 255 = weiß
Fiederungswinkel in Grad zwischen tiefer Aponeuroseund Muskelfaserfaszikel Fiederung hoch bei kleinem Winkel = bessere Kraftübertragung Parry et al. J Crit Care 2015;30: 1151.e9–1151.e14
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
„State of the Art“ – Messprotokoll bei kritisch Kranken
https://www.youtube.com/watch?v=hPUQmhuzk4
Suchbegriff YouTube: USTrainingVidAVI
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Messprobleme Kompression Abnehmende Muskeldicke bei zunehmender Kompressionsstärke
Schallkopforientierung
Abnahme der Echogenität mit zunehmender kranio-kaudalen Kippbewegung des Schallkopfs
Harris-Love et al. Front Aging Neurosci 2014;6:172
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Methodisches Problem - Muskelödem
Prospektive monozentrische Studie, N = 54 Muskelsonographie prä- und täglich postoperativ nach Herzchirurgie bis ITS-Entlassung 3 Messpunkte (lateral, ventral, medial) in 2 orthogonalen (transversal und sagittal) Ebenen pro Bein von Muskelfaszie bis Femuroberseite (kürzeste Verbindungslinie)
Muskeldicke postoperativ Tag 1 > präoperativ (Ödem) bei ITS-Entlassung > präoperativ (aber Abnahme über ITS-Verlauf) Krankenhaus-Entlassung < präoperativ (Beginn der eigentlichen Katabolie nicht diskriminierbar) Fischer et al. Crit Care 2016;20:30
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Muskelsonographie – Korrelation zu Histopathologie Tag 1 ITS
Tag 10 ITS
Puthucheary et al. Crit Care Med 2015;43:1603-11
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Monozentrische Beobachtungsstudie
N = 28 beatmete Intensivpatienten
Korrelation von Muskelquantität und -qualität (Sonographie) mit Muskelstärke (MRC-SS) und Muskelfunktion (PFIT-s und ICU mobility scale)
Parry et al. J Crit Care 2015;30:1151.e9–1151.e14
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Muskelverlust früh in ersten 10d Korrelation von Echogenität (und Dicke) und schlechterer Muskelfunktion und -stärke Größte Änderungen für VI mit Unterschieden zwischen den einzelnen Muskeln (Fasertyp, uni- vs biartikular) Empfehlung zur Messung RF CSA and VI Dicke und Echogenität in zukünftigen Studien
Parry et al. J Crit Care 2015;30:1151.e9–1151.e14
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Klinische Evidenz – Muskelsonographie als Monitoringtool der Proteinzufuhr
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Doppel-blinde monozentrische RCT
119 Intensivpatienten mit parenteraler Ernährung (PE)
Intervention: PE mit 0,8 vs. 1,2 g/kg/d Aminosäurenzufuhr
Primärer Endpunkt: Handgriff-Stärke bei ITS-Entlassung
Sekundäre Endpunkte: Studientag 7 Handgriff-Stärke Fatigue-Score Sonographie Muskeldicke Oberarm und Oberschenkel Ferrie et al. JPEN 2016; 40(6):795-805
Take Home Messages
UNIVERSITÄTSKLINIKUM Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Sterblichkeit kritisch Kranker abnehmend, aber hohes Risiko für ICU-AW/PICS Critical Illness Myopathie tritt frühzeitig ein und korreliert mit Krankheitsschwere Muskelmasse als Outcomeprädiktor Proteinziel laut aktueller Leitlinien 1,2 – 2 g/kg/d (schwache Evidenz) Bedeutung der Hoch-Proteinzufuhr nach wie vor nicht eindeutig belegt Keine RCT bislang zur „Sonographie-gesteuerten“ Proteinzufuhr Muskelsonographie als vielversprechende Methode zum Monitoring der Katabolie und Effekte eine Proteinzufuhr/Intervention im Fokus Einfache, bettseitige, nicht-invasive Erweiterung des eingeschränkten Monitoringrepertoires Korrelation mit Muskelmasse, -funktion und –pathologie Nach wie vor Limitationen durch Muskelödem & intraindividuelle Muskelunterschiede Weitere Validierungsstudien (Anzahl Landmarken, Stärke der Kompression, bilaterale vs. unilaterale bzw. Einzel- vs. Mehrmuskel-Messung)