Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe. Ein Positionspapier zur Diskussion

Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe Ein Positionspapier zur Diskussion Impressum Herausgeber Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und...
Author: Felix Fertig
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Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe Ein Positionspapier zur Diskussion

Impressum Herausgeber Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Beuthstraße 6 - 8, 10117 Berlin-Mitte www.senbjs.berlin.de Redaktion Volker Brünjes und Olaf Donner Referat Recht und Planung, Gesamtjugendhilfeplanung Telefon 9026 5506 eMail [email protected]

2. ergänzte Auflage, November 2002

1. Zum Hintergrund Bereits die Debatte über die Reform des Kinder- und Jugendhilferechts im Vorfeld der Verabschiedung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) hat den Reformbedarf in diesem Politikfeld vor dem Hintergrund tiefgreifender Umwälzungen in der Gesellschaft deutlich gemacht. Die (vorläufigen) Ergebnisse dieser Debatte sind zum Teil in das seit 1990/91 geltende KJHG eingeflossen. Als eine Bündelung dieser Ergebnisse können darüber hinaus die im Achten Jugendbericht der Bundesregierung 1990 veröffentlichten Strukturmaximen der Jugendhilfe (Prävention, Dezentralisierung sowie Regionalisierung, Alltagsorientierung, Integration, Partizipation und Lebensweltorientierung) angesehen werden. Sie prägen die fachliche Ausrichtung der Jugendhilfe bis heute. Auch wenn der Gedanke der Einheit der Jugendhilfe durch das SGB VIII und den Achten Jugendbericht theoretisch gestärkt werden konnte, indem der allgemeinen Förderung von jungen Menschen und der Prävention eine herausragende strukturelle Bedeutung zugemessen wurde, hat sich diese in der Praxis der Jugendhilfe weder fachlich noch organisatorisch konsequent durchgesetzt. Vielmehr ist zu beobachten, dass beispielsweise die Jugendämter in ihrer Binnenstruktur nach den Leistungsbereichen der Jugendhilfe organisiert blieben und weiter spezialisiert wurden. Damit wurden einerseits Zuständigkeiten und Gestaltungsräume klar zugeordnet aber andererseits auch „Unzuständigkeiten“ unter einem Dach festgelegt. Die Kinder- und Jugendhilfe, theoretisch ein komplexes, ineinander verzahntes Aufgaben- und Handlungsfeld, blieb segmentiert - die einzelnen Leistungsbereiche blieben separiert. Die Schwäche dieses Systems wurde insbesondere vor dem Hintergrund der knapper werdenden Ressourcen sichtbar. Unter dem Druck der Haushaltkonsolidierung droht die Jugendhilfe ihre präventive Ausrichtung zu verlieren. Das Jugendamt als sozialpädagogische Fachbehörde läuft Gefahr auf die Aufgaben einer soziale Problemlagen kompensierenden Behörde beschränkt zu werden, wenn eine Umorientierung ausbleiben sollte. Auf der Suche nach neuen Handlungsansätzen tauchte in den letzten Jahren immer häufiger der Begriff der „Sozialraumorientierung“ in der Diskussion um die Weiterentwicklung der Jugendhilfe in Deutschland auf. Hinter diesem Begriff steht mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlich weit entwickelter konzeptioneller Ansätze, die sich auf fachliche, strukturelle und organisatorische Veränderungen der Jugendhilfe in einzelnen Kommunen beziehen. Auch in Berlin hat die Suche nach zeitgemäßeren Handlungsansätzen unter dem Stichwort „Sozialraumorientierung“ begonnen. Sie wird begleitet von einer Auseinandersetzung über die Reform der Aufgaben, Strukturen und Organisation der öffentlichen Jugendhilfe. Das vorliegende Papier formuliert eine Position, die in der Berliner Jugendhilfe zur Diskussion gestellt wird. Sozialraumorientierung - Eine kurze Skizze zur Begriffsklärung Theoretische und praktische Konzepte der Sozialraumorientierung werden im Wesentlichen aus den bereits bestehende Handlungsansätzen Gemeinwesenarbeit und Lebensweltorientierung gespeist. Einige Wurzeln reichen zurück bis zur sozialökologischen Sozialisationstheorie. Als neuerer Ansatz fließen darüber hinaus die Dienstleistungsorientierung und damit verbunden Konzepte der Dezentralisierung in die Überlegungen zur Sozialraumorientierung ein. Sozialraumorientierung ist folglich kein völlig neues Konzept in der Jugendhilfe, sondern verknüpft Bekanntes und Bewährtes und eröffnet damit eine neue Handlungsperspektive.

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Der Begriff macht bereits deutlich, dass Sozialraumorientierung einen räumlichen (geografischen) Bezug hat. Bei den konzeptionellen Überlegungen zur sozialräumlichen Orientierung wird davon ausgegangen, dass die Analyse von sozialer Realität und der Wirksamkeit von vorhandener Infrastruktur sowie die Entwicklung von Handlungsperspektiven in einem eingegrenzten Raum präzise und wirkungsvoll erfolgen können. Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe stellt die Adressaten der Jugendhilfe als Konsumenten und gleichzeitig (Mit-) Produzenten von sozialer Dienstleistung in den Mittelpunkt. Ausgangspunkt einer sozialraumorientierten Jugendhilfe ist der Blick auf die vorhandene formelle und informelle Infrastruktur, die im Interesse der Adressaten zu nutzen ist. Dabei muss Vorhandenes bewertet und ggf. verändert, angepasst oder auch verworfen werden und Fehlendes entwickelt und eingerichtet werden. Von den Akteuren der Jugendhilfe erfordert sozialraumorientiertes Handeln eine hohe Fachlichkeit und Professionalität, die sich insbesondere durch eine ganzheitliche Sichtweise und Wahrnehmung, prozesshaftes und konzeptionelles Denken und ein hohes Maß an Kooperationsfähigkeit auszeichnen. Sie müssen dabei durch Rahmenbedingungen unterstützt werden, die dieses Handeln ermöglichen. Konzepte der Sozialraumorientierung berücksichtigen im Wesentlichen folgende Ebenen: Methoden (Sozialräumlich orientierte Sozialarbeit und Sozialpädagogik berücksichtigt in ihrem sozialpädagogisch-methodischem Instrumentarium Ansätze der Aktivierung und Beteiligung von Menschen sowie die Mobilisierung von Ressourcen.) Planung und Steuerung (Der Sozialraum ist als räumlich eingegrenzte geografische Einheit die Basis von Jugendhilfeplanung. Er ist die Bezugsgröße für den Einsatz der personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen.) Organisation (In der Organisation der Jugendhilfe spiegelt sich der „kleinräumliche“ Bezug wider. In der Organisationsstruktur drücken sich leistungsbereichsübergreifendes Denken und Handeln sowie dezentralisierte Formen der Verantwortungsverlagerung und Wahrnehmung aus.) Finanzen (Die Ausstattung eines Sozialraums mit einem Finanzbudget ist eine wesentliche Grundlage für bedarfsgerechtes und flexibles Handeln.) Weitere Ressourcen (Die Mobilisierung von Ressourcen im Rahmen des sozialpädagogischen Handelns von Einzelnen und Stadtteilteams bedarf einer strukturellen Absicherung von Ansätzen der Gemeinwesenarbeit, die über die Jugendhilfe hinausgehen.)

2. Ebenen der Sozialraumorientierung Die o. g. Ebenen, die bei der Entwicklung und Umsetzung sozialräumlicher Konzeptionen berücksichtigt werden müssen, sollen im Folgenden weiter konkretisiert werden.

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2.1. Sozialraumorientierung als sozialpädagogische Arbeitsmethode Sozialraumorientiertes Handeln vollzieht sich kleinräumlich in den Berliner Bezirken. Auf der Landesebene werden die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass eine sozialräumliche Ausrichtung der Berliner Jugendhilfe optimal entfaltet werden kann. Die wesentlichen methodischen Prinzipien sozialräumlich orientierter Arbeit sind (nach Hinte1): konsequentes Ansetzen am Willen und an den Interessen der Wohnbevölkerung die aktivierende Arbeit und Förderung von Selbsthilfe die Konzentration auf die Ressourcen der im Quartier lebenden Menschen die Konzentration auf die Ressourcen der materiellen Struktur des Quartiers ein zielgruppen- und bereichsübergreifender Ansatz die Kooperation und Abstimmung der professionellen Ressourcen. Bei der Betrachtung von Sozialraumorientierung als sozialpädagogischer Arbeitsmethode geht es im Wesentlichen um die fachliche Weiterentwicklung der Sozialarbeit zu mehr Einbindung der sozialen Infrastruktur in das eigene Leistungsgefüge und größerer Berücksichtung der Lebenswelten der Adressaten der Jugendhilfe. Es ist plausibel und im Grundprinzip unbestritten, dass einzelfallbezogene Problemlagen und Krisen durch eine präventive Orientierung und allgemeine Förderungen im sozialen Umfeld, im Stadtteil, in der Sozialregion im Vorfeld von weitergehenden Maßnahmen entschärft werden können und dass auf diese Weise bei individuellen Lösungen auch über den Zeitraum von konkreten Hilfen hinaus für mehr Unterstützung gesorgt werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass hier Zusammenhänge bestehen, sind auch in Berlin festgestellt worden. So ergaben sich z. B. im Bezirk Schöneberg in den Gebieten mit einem niedrigen Niveau von Angeboten der Jugendarbeit hohe Quoten bei den erzieherischen Hilfen. Aus Untersuchungen im süddeutschen Raum sind entsprechende Zusammenhänge zwischen Tagesbetreuung und Hilfen zur Erziehung bekannt. Durch den Ausbau und die Nutzung einer entsprechenden sozialen Infrastruktur können individuelle Hilfen zeitlich kürzer gestaltet und u. U. auch sogenannte Drehtüreffekte (z. B. wiederholte Unterbringungen) vermindert werden. In der Vielfalt möglicher Ressourcen - die auch über die Jugendhilfe hinaus in der Nachbarschaft vorzufinden sind - werden einschließlich der Selbsthilfepotentiale die aktivierenden Momente vor Ort für die einzelnen Familien in Gang gebracht und in dieser Dynamik gleichzeitig stadtteilgestaltende Akzente gesetzt. Da dies alles orts- und zeitnah zum Problemhintergrund verlaufen kann, werden auch die administrativen Strukturen verbessert, die Kooperationsbezüge zwischen den beteiligten Instanzen schneller, direkter, transparenter und verbindlicher gestaltet und die Belastbarkeit der Familien und des sozialen Umfeldes insofern gestärkt, dass realistische Bilanzen und Perspektiven gefunden werden können. Die individuellen Hilfebedarfe werden gemeinschaftlich vor Ort festgestellt; Hilfen werden zielgenauer konzipiert und es werden Grenzen der Hilfepotenziale festgestellt, deren Überschreitung für einzelne Beteiligte oder auch den Stadtteil eine Überforderung wäre. Sozialräume sind in diesem Sinne mehr als feste, geografisch abgrenzbare Planungsgebiete für die Entwicklung der sozialen Infrastruktur. Sie sind primär gruppenbezogene professionelle Handlungs- und Erlebnisfelder, die in Form gewachsener Beziehungen im Stadtteil (und darüber hinaus) als mehrdimensionales Interaktionsnetz vorstellbar sind. Im Mittelpunkt der Diskussion und bei den ersten Handlungsansätzen zur Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe steht bundesweit der Bereich Hilfe zur Erziehung. Dabei ist der fortschreitenden Kostenentwicklung der individuellen Hilfen, der Entspezialisierung und Dezentralisierung der Verwaltung und der innerstädtischen Segregation in bezug auf die örtlichen Problembelastungen eine beschleunigende Wirkung zuzuschreiben. Konzeptionelle Ansätze, die nicht 1

Hinte, W.: Grundlagen sozialräumlicher Orientierung der Jugendhilfe, Vortrag auf der Veranstaltung Sozialraumorientierung im Bezirk Tempelhof-Schöneberg im Haus am Rupenhorn am 04.07.2002

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die Jugendhilfe insgesamt, sondern nur einen Leistungsbereich betreffen, greifen zu kurz und stehen in letzter Konsequenz einer tatsächlichen Sozialraumorientierung im Wege. − Unabhängig von den Konsequenzen für die Ausgabenverteilung, die Reorganisierung der Jugendämter, die Einheit der Jugendhilfe und die Erfordernisse für eine neue kommunale Arbeitsmarkt-, Wohnungs-, Gesundheits- und Bildungspolitik sollen im Folgenden beispielhaft konkrete Möglichkeiten angedeutet werden, wie eine Praxis, die quer zum Leistungskatalog des KJHG orientiert ist, nach den Leitgedanken einer Sozialraumorientierung aussehen könnten. Werfen wir in unserem ersten Beispiel zunächst einen Blick auf die Schnittstelle zwischen Tagesbetreuung und Kinder- und Jugendarbeit: Dass Kinder in eine „Betreuungs- und Versorgungslücke“ fallen, ist mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht vereinbar. Aber diese Kinder gibt es nach Auskunft von Grundschullehrer/-innen und Erzieher/-innen aus Tages- und Kinderfreizeiteinrichtungen immer noch in unserer Stadt. Sie sind in der Regel zwischen 9 und 12 Jahre alt, kommen ohne gefrühstückt zu haben und ohne Pausenbrot in die Schule, kaufen sich vom Taschengeld bestenfalls Süßigkeiten, was weder gesund ist noch lange sättigt, und verlassen die Schule wieder oder immer noch hungrig. Sie haben nicht das Glück, jetzt in einem Hort oder zuhause ein Mittagessen einzunehmen, in Ruhe Schularbeiten zu machen und dann spielen zu können, wie viele ihrer Schulkamerad/-innen. Sie überbrücken die Zeit zwischen Schule und Abendbrot entweder zuhause vor dem Fernseher, mit Videospielen, ... und - endlich etwas essen - einer Tüte Kartoffelchips oder sie suchen das Abenteuer auf Straßen, Plätzen oder in Kaufhäusern. Eine „richtige“ Mahlzeit wartet gegen Abend auf sie, wenn die Eltern von der Arbeit gekommen sind. Beim Thema Schulaufgaben wird es dann stressig. Vereinzelt haben Grundschulen, Kindertagesstätten und Kinderfreizeiteinrichtungen auf die Misere reagiert. In den wenigen Grundschulen, in denen Schülercafés und Schülerclubs eingerichtet wurden, werden Mahlzeiten zum Selbstkostenpreis verkauft, die manchmal gemeinsam mit den Schüler/-innen und/oder mit Unterstützung von Eltern zubereitet wurden. Einige Kindertagesstätten versorgen eine kleine Zahl ehemaliger Hortkinder - Gastkinder genannt - mit einem Mittagessen. Eher selten und am Rande der Legalität (z. B. Verstöße gegen Hygienevorschriften) wird auf dem Herd in der Teeküche einer Kinderfreizeitstätte ein warmes Mittagessen für eine kleine Zahl hungriger Kinder gekocht. Auch das gibt es in Berlin. Hier drängt sich die Frage auf, wie die „Betreuungs- und Versorgungslücke“ geschlossen werden kann. Es liegt auf der Hand, sich die vorhandene Infrastruktur anzuschauen und zu überprüfen, ob hier Potenziale vorhanden sind, die zu nutzen wären. Die Ausstattung mit Kinder- und Jugendfreizeitstätten ist in Berlin nach wie vor defizitär. Abgesehen davon, verfügen diese Einrichtungen in der Regel nicht über die technischen Voraussetzungen, warme Mahlzeiten zuzubereiten bzw. auszugeben. Letzteres gilt auch für die Mehrheit der Grundschulen im Westteil der Stadt. Ein Blick auf die vorhandenen größeren Kindertagesstätten zeigt demgegenüber, dass hier i. d. R. die technischen Voraussetzungen besser sind. Also ist zu fragen, warum Kindertagesstätten, deren räumliche Kapazitäten und technische Ausstattung (Küche) dieses zulassen, ihr Angebot in Richtung Kinderfreizeitarbeit nicht für die älteren Kinder im Grundschulalter erweitern können. Aus einer Kita könnte eine Kindertages- und Kinderfreizeitstätte werden. Die Angebote der Tagesbetreuung (Krippe, Kindergarten, Vorschulgruppe und Hort) finden nach wie vor auf der Basis von abgeschlossenen Betreuungsverträgen statt. Für das Freizeitangebot werden keine Verträge abgeschlossen. Für die Mahlzeit wird ein Kostenbeitrag erhoben. Während für die Angebote der Tagesbetreuung die personelle Ausstattung nach der Kita-Personalverordnung (KitaPersVO) ermittelt wird, wird für das Freizeitangebot eine Personalausstattung kalkuliert, die der für Kinderfreizeitstätten vergleichbar ist. Eine so entstandene Kindertages- und Kinderfreizeitstätte wäre eine Einrichtung, die über die Grenze der Leistungsbereiche Tagesbetreuung und Kinder- und Jugendfreizeitarbeit hinweg arbeitet. Die Angebotserweiterung könnte helfen, einen dringenden Bedarf zu decken 4

und die beschriebene „Betreuungs- und Versorgungslücke“ zu schließen. Die Infrastruktur im Bereich Kinderfreizeitarbeit könnte in den Stadtteilen, wo solche Einrichtungen entstehen, erheblich verbessert werden, ohne dass hierzu riesige Investitionen erforderlich wären. Und es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die bauliche Ressource Kita mit ihrer technischen Ausstattung intensiver genutzt bzw. optimaler ausgelastet würde. Die mit der Schaffung verlässlicher Betreuungsformen im Schulbereich (Verlässliche Halbtagsgrundschule; Ganztagsschule) bestehenden Zielsetzungen und Wirkungen sind bei der Umsetzung entsprechender Vorhaben zu berücksichtigen. Unser zweites Beispiel zielt auf eine Verknüpfung der Hilfe zur Erziehung, verschiedener präventiver und fördernder Leistungen der Jugendhilfe, Sozialleistungen anderer Ressorts und einem nachbarschaftlichen Selbsthilfeengagement. Der Illustration dient ein authentischer Fall, der zugegebenermaßen ungewöhnlich erscheint und besondere Maßnahmen erfordert. Die Lebenswirklichkeit ist allerdings fast immer so vielfältig ‚ungewöhnlich‘, dass schnell einsichtig wird, warum spezifische erzieherische Hilfen aus einem standardisierten Leistungskatalog nicht immer dem realen Bedarf entsprechen können. Vor sechzehn Jahren fällt Herr R., damals 36 Jahre alt, bei einer Schwarzarbeit vom Dach. Er ist Aussiedler, in Polen als Fernsehmechaniker ausgebildet und in Berlin arbeitslos geworden. So verdient er beim Antennenbau etwas dazu. Der Sturz macht ihn nach monatelangem Krankenhausaufenthalt zum Schwerbeschädigten. Er und seine Familie, seine Ehefrau, 34 Jahre alt, zwei Mädchen, damals 1 und 3 Jahre alt, und ein Junge, damals 4 Jahre alt, werden eine „Sozialhilfe-Familie“. Sie ziehen in eine Vorderhaus-Parterre-Wohnung in einem Innenstadtbezirk. In der Wohnung sammeln sich viele von den Nachbarn gebrachte kaputte Fernseher, die Herr R. noch reparieren will. Mit den Läden nebenan trödelt auch Herr R. ein bisschen mit. Die Familie nimmt auch herrenlose Tiere auf. Allmählich entstehen hygienische Probleme. Frau R. grämt sich sehr über die Gesamtsituation und zieht sich innerlich zurück. Sie verwahrt im Keller kleine Flaschen mit Schnaps und Schachteln mit Tabletten. Immer häufiger geht sie in den Keller, um von den Vorräten etwas einzunehmen. Die Familie ist in der Straße bekannt, auffällig aber nicht unbeliebt. Die beiden älteren Kinder holen beim Bäcker alten Kuchen und beim Fleischer Wurstabschnitte. Mit dem Eintritt der Kinder ins Schulalter sinkt die Selbstachtung und das Verantwortungsgefühl von Frau R. auf einen Nullpunkt. Sie nimmt sich das Leben. Herr R. hatte bis dahin 6 Jahre mit Hut und Mantel auf seiner Couch gesessen und das Leben um sich herum dirigiert. Er hatte immer viel vor und hat sich viel beklagt. Die Kinder sind eng an ihn gebunden. In dieser Not ist er zwar zärtlich, aber unfähig zu einer geordneten Erziehung. Drei Monate nach dem Selbstmord von Frau R. wird nach der Einschulung der jüngsten Tochter, die noch sehr kleinkindlich spricht, durch die Klassenlehrerin das Jugendamt auf die Familie aufmerksam gemacht. Es vergehen weitere drei Monate und es wird nach einem Hausbesuch, der im Amt großes Erschrecken auslöst, sofort eine Heimunterbringung der Kinder in Angriff genommen. Weil Herr R. nicht einverstanden ist und mit Suizid droht, wird einstweilen ein Familienhelfer bestellt. Die Familienhilfe hat eher den Charakter, die dringlichsten Dinge der Familie zu regeln und festzustellen, was weiter zu tun ist. Während der Hilfe, die über ein Jahr andauert, wird deutlich, dass die Familie in der Nachbarschaft in ein festes Netz von Kontakten eingebunden ist. Mit diesen Beziehungen erfolgte die ganzen Jahre eine relative Stützung und Tolerierung der Zustände. Die für diese Gegend zuständigen sozialen Instanzen hingegen haben die Familie erst spät wahrgenommen. Der Familienhelfer stellt zudem fest, dass diese Instanzen - einschließlich Jugend- und Sozialamt - wenig Kontakt zueinander haben. Während der Hilfe besteht seine Tätigkeit fast ausschließlich in der Organisation von weiteren Hilfen (Hortplätze, Schularbeitszirkel, kirchliche Kindergruppenarbeit, Einsatz der Sozialstation, freiwillige Renovierungshilfen, gesundheitliche Hilfen, Zahnspangen, orthopädische Schuhe, neues Mobiliar für die Wohnung usw.). Der Familienhelfer stellt fest, dass im näheren Umkreis weitere Familien wohnen, in denen erzieherische und weitere soziale und gesundheitliche Hilfen seit Jahren notwendig wären. Die Familienhilfe wird beendet, als Herr R. akut krank wird und ins Krankenhaus muss. Versuche, eine vorübergehende Vollzeitpflege mit zusätzlicher Hilfe einer Nachbarin im Haushalt der Familie R. zu organisieren, scheitert aus formellen Gründen. Die Kinder kommen in ein Heim am Stadtrand. Der Kontakt zum Vater wird nicht aufrechterhalten, weil es niemand gibt, der dies praktisch durchführt. Nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus gewährt Herr R. eine dauernde Unterbringung der Kinder. Heute - zehn Jahre später - wird der Sohn aus dem betreuten Wohnen entlassen. Seine Schwestern werden bald folgen. Herr R. wohnt inzwischen nicht mehr in der Wohnung. Er ist als Schwerbehinderter selbst in eine Einrichtung gezogen und hat kaum Kontakt zu seinen Kindern.

Dieser Fall ist mit seinem tragischen Beginn nicht positiv gewendet worden. Er zeigt die 5

Grenzen standardisierter Leistungen, wenn sie isoliert von anderen unterstützenden Potenzialen und Ressourcen eingesetzt werden. Der Beitrag der Jugendhilfe an dieser Entwicklung besteht in ihrer zu späten Wahrnehmung des Problems, der großen Entfernung vom sozialen Ort des Geschehens, ihrer mangelnden Vernetzung mit anderen sozialen Hilfen und der eigenen fehlenden Durchlässigkeit der Hilfearten trotz oder gerade wegen ihrer hohen Professionalisierung. Schätzungsweise sind nach heutigen Sätzen für diese Erziehungshilfen etwa. 1,25 Mio. € Kosten aufgelaufen. Es kann angenommen werden, dass fast alle Mitarbeiter der Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienste Fälle mit ähnlichen Hilfekarrieren kennen. Auch mehr als zehn Jahre nach Inkrafttreten des KJHG und einer Entwicklung mit starker Ausdifferenzierung der Hilfelandschaft ist das Leitprinzip „Aktivierung statt Fürsorge“ in der Praxis der Jugendämter selten umgesetzt und eher umdefiniert worden. Auf Grund nicht ausreichender Kapazitäten und in Folge von Qualifizierungsdefiziten kann ein großer Teil der potentiellen Hilfefälle - wenn überhaupt bekannt - nur von Zeit zu Zeit beobachtet werden. Es wird auf die „Selbstheilungskräfte“ gehofft. Weil im Vorfeld einer Hilfe kein bedarfsgerechtes Angebot gemacht werden kann, findet eine „bewusste Aktivierung“, deren Ergebnisse überprüfbar wären, häufig nicht statt. Von diesen Familien müssen einige dann - u. U. Jahre später - sehr intensiv betreut werden. Ein kleiner Teil der Hilfefälle erfordert wegen vielfältiger Gefährdungslagen für die Minderjährigen sofortige Maßnahmen. Die Sozialpädagogen finden als Jugendamtsvertreter kaum Zugang zu diesen Familien. Die Philosophie der partnerschaftlich ausgehandelten Hilfe für die Familie funktioniert hier nicht. Es wird - soweit verantwortbar - auch beobachtet und im Zweifelsfall eine Intervention in Gang gesetzt, mit der zwar den Kindern Hilfe zukommt, aber eine reale erzieherische Hilfe für die Eltern nicht ankommen kann. Sicher sind nicht alle Eventualitäten, die das Leben parat hält, sozialpädagogisch aufzufangen; Sozialraumorientierung als sozialpädagogische Methode soll keine besonders intensive Form von formeller und informeller Kontrolle und Fürsorge im sozialen Nahraum sein. Die Grenzen der Sozialpädagogik sind bekannt und schon vielfältig diskutiert worden. Es stellt sich aber die Frage, ob unter den Vorzeichen einer innovativen Wendung der Sozialarbeit im sozialen Raum und den fast überall in den Kommunen diskutierten Öffnungen der Erziehungshilfen in die Gemeinwesenarbeit bei gleichzeitiger größerer Angemessenheit der Hilfe die oben angedeuteten Dysfunktionen hätten vermindert werden können und z. B. auch für die Familie R. in bestimmten Entwicklungssituationen wirksamere Hilfen möglich gewesen wären. Die nachfolgenden, lange bekannten Handlungsaspekte werden seit einigen Jahren in der Fachöffentlichkeit im Rahmen von Modellen der Sozialraumorientierung diskutiert. Sie sollen hier - als Alternativszenario für die Familie R. - idealtypische Lösungsmöglichkeiten darstellen.

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rechtzeitige Hilfe im Sozialraum, schnellere Wahrnehmung von Krisensituationen, Vermeidung von Wartezeiten Nach dem Unfall von Herrn R. wird spätestens mit der Beantragung von Sozialhilfe für die Familie der(die) in der Sozialregion niedergelassene Sozialpädagoge(in) des Jugendamtes auf den Fall aufmerksam und bietet von sich aus seine (ihre) Hilfe an.

Plausibel ist, dass die Präsenz eines sozialen Teams im Wohngebiet dessen Bekanntheit vergrößert, das Vertrauen in die Wirksamkeit von Jugendhilfe verstärken und die Aufmerksamkeitsschwelle gegenüber kritischen Situationen senken kann. Es muss gefragt werden, in welchem Maße ortsnahe, adressatenfreundliche und vereinfachte Zugänge zu den Hilfen und die wohnortnahe Kooperation der Hilfeträger eine präventive Qualität entfalten können und welche weiteren Regionalisierungen in Berlin notwendig werden. bereichsübergreifende Hilfeplanung, kooperative Bedarfsfeststellung Die sozialpädagogische Fachkraft leitet für die Familie R. einen umfassenden Hilfeplanungsprozess ein. Bereits in der Falleingangsphase wird geprüft, welche Hilfen und Unterstützungsangebote auch anstelle von Hilfen zur Erziehung geeignet erscheinen. Dabei bezieht sie die örtlichen sozialen Instanzen (einschl. Sozialstation für Reha-Maßnahmen) mit ein. Es werden mit der Familie gemeinsam mittelfristig erreichbare Ziele festgelegt. Wenn die Erziehungsfähigkeit von Eltern in sogenannten „Multiproblemfamilien“ gestärkt werden soll, sind zwangsläufig über die Jugendhilfe hinaus auch andere Hilfeinstanzen (z. B. Sozialhilfe-, Arbeitsförderungs-, Gesundheitsförderungs- und Bildungsträger) in einen „Sanierungsplan“ aufzunehmen. Wohnortnähe der Angebote, Eltern- und Familienarbeit im Stadtteil, lebensweltliche Kooperationsbezüge, integrierte Hilfen, gemeinsame „Fallbearbeitung“, ressortübergreifende Zusammenarbeit im Quartier Der Mitarbeiter des Jugendamts steuert nun einen Prozess von integrierten Hilfeleistungen. Dazu gehört zunächst ein wohnortnaher Tagesbetreuungsplatz für die Kinder R. und ein ambulantes Familienberatungsangebot im Kindergarten. Die Kita ist zusätzlich für besondere Einzelfallprobleme gerüstet und kann über den Träger im Sozialraum jederzeit sozialpädagogische Verstärkung außerhalb der Öffnungszeiten anfordern. In den Ferien werden Erholungsreisen vermittelt. Bildungsmaßnahmen mit integrativem Ziel ergänzen die Fallarbeit. Für Frau R., die einmal durch eigene Berufstätigkeit zum Familienunterhalt beitragen soll, werden Qualifikations- und Berufsförderungsmaßnahmen möglichst in der Nähe gesucht und gegebenenfalls dem spezifischen Bedarf angepasst.

Den Hilfeplanungsprozess in eine funktionierende Gemeinwesenarbeit, die auch materielle Ressourcen (Kitaplätze, lokale Arbeit, Qualifizierungsmaßnahmen) zu verteilen hat, einzubinden, ist sicher dann sehr nützlich, wenn sich Probleme im Sozialraum „brennpunktmäßig“ verdichtet haben und bei vielen Familien in ähnlicher Form vorkommen. Ansatzpunkte dafür bieten die bereits in einigen Stadtteilen existierenden Nachbarschafts- und Familienzentren, deren Netz evtl. durch Teilung verdichtet werden kann. In welcher Form fachspezifische Verstärkung (z. B. Familienbildung/beratung in der Kita, Suicid- oder Suchtprophylaxe) mit hoher Mobilität überall schnell herangezogen werden kann, bleibt eine offene Frage. Mobilisierung des Potenzials im Sozialraum, Mitwirkung bei der Gestaltung des Stadtteils, Einbezug in die Entwicklung lokaler Arbeitsprojekte, gemeinwesenbezogene Arbeit mit fallbezogenen Zielen (Verbindung von fallunspezifischer und fallspezifischer Arbeit) Über zusätzliche Unterstützungsleistungen durch Nachbarschaftshilfe, Initiativen im Stadtteil, Vereine, Kirchen, kommerzielle Angebote u. a., die gezielt eingebaut werden, wird eine tragfähige und nachhaltige Stabilisierung der Familie ohne dauerhafte professionelle Hilfeabhängigkeit anvisiert. Eine wesentliche Rolle kommt dabei Herrn R. zu, der seine Fernsehmechanikerkenntnisse in einen Senioren-Elektro-Reparaturdienst eines Sozialträgers einbringen kann. Herr R. wird erfahren, dass in den lokalen Projekten andere Menschen tätig sind bzw. Hilfe erhalten. Die auf seinen Fall bezogenen Hilfeziele integrieren sich in die prakti7

sche Gemeinwesenarbeit, sodass er seinen Wert für die Arbeit erkennt und in seinem Selbstbewusstsein gestärkt wird. Es ist unstrittig, dass die kleinen unprofessionellen Hilfeleistungen, die Zuwendung der Umgebung für eine dauerhafte Stabilisierung viel bewirken können. Gerade dann, wenn Sozialpädagogen zwar beraten, dann aber niemand da ist, der „mal anpacken kann“, entstehen Hilfelücken. Wie der jeweilige individuelle Bedarf finanzierbar ist, wie ein Spannungsverhältnis zwischen bezahlten und unbezahlten Leistungen bewältigt wird, wie die jeweiligen Bedarfe und Wirkungen festgestellt werden, sind schwierige, aber sicher beantwortbare Fragen. Ob durch zusätzliche Unterstützungsleistungen auch Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit für die hilfebedürftigen Familien gegeben wird, ist weiterhin auch eine Frage der Organisation von nachbarschaftlichen Hilfen. Flexibilisierung der erzieherischen Hilfen Es wird nicht ausbleiben, dass Familie R., bis die Kinder erwachsen sind, in besonderen Situationen erzieherische Hilfe benötigt. Der Weg zu den oben anvisierten Zielen für die Eltern beinhaltet Rückschläge. Es gibt Krankheiten und schulische Probleme. In solchen Zeiten ist der Sozialpädagogische Dienst im Sozialraum schnell zur Stelle und bietet je nach Bedarf eine Familienpflege, eine Familienhilfe, eine Krisenübernachtung, eine spezifische Therapie, eine schulische Fördermaßnahme oder eine Kurzzeitpflege an, die möglichst von einem am Ort tätigen Träger übernommen wird und nach vorher festgelegten Teilzielen im Hilfeplan in Bezug auf die Ausgestaltung frei ist. Möglichst sollen die Hilfen im Haushalt der Familie, in der Kita, der Schule, in wohnortnahen Jugendeinrichtungen durchgeführt werden und nach Bedarf miteinander verknüpft werden. Hilfen, die von Nicht-JugendhilfeBereichen nötig werden (z. B. Suchttherapie), sind unter Beachtung des Vorrangprinzips in die Kombination aufzunehmen. Die Anforderungen an den Hilfeträger im ortsnahen Verbund mit anderen sind sehr hoch, weil er sehr flexibel reagieren, die Relationen des Einsatzes von Fachkräften, Zeitaufwand und ggf. Gruppengröße dem Einzelfall anpassen muss und nach der Zielorientierung gemessen und honoriert wird.

Grundprinzip ist dabei: Nicht der Bedarf wird einem vorgehaltenen Angebotangepasst, sondern das Angebot wird dem Bedarf angepasst. Der Lebensweg der Familie R. wäre unter diesen Voraussetzungen bis heute auch unter Einbezug von organisatorischen Widrigkeiten und persönlichkeits- und gesundheitsbedingten Schwierigkeiten der Eltern mit Sicherheit glücklicher verlaufen. Die Arbeit der Soziapädagogen und anderen Beteiligten wäre zufriedenstellender. Die Kinder R., die heute das Jugendamt nur als eine Institution kennen, „das Kinder abholt“, hätten eine andere Erfahrung von Jugendhilfe und Nachbarschaft gemacht, die sie als grundsätzliche Offenheit ihren Kindern vermitteln könnten. Soziales Lernen an der eigenen Betroffenheit könnte in der nächsten Generation positiv gewendet werden. Die Kinder der R. werden einmal bereit sein, eine Nachbarschaft aktiv mitzugestalten. Es wäre auch ökonomisch sinnvoll, zunächst größere Summen in präventive Maßnahmen zu investieren, die in unserem Fall wahrscheinlich die abgelaufenen und zukünftig zu erwartenden Unterbringungskosten nicht überstiegen hätten. Auch zukünftig wird es eine Anzahl von Lösungen geben müssen, bei denen Eltern und Kinder dauerhaft (auch weit voneinander entfernt) getrennt leben. Ebenfalls ist denkbar, dass der Sozialraum selbst eine so gefährdende Wirkung für junge Menschen entfaltet, dass ein Umzug mit der Familie stattfinden oder eben eine anderweitige Wohnmöglichkeit gefunden werden muss. Auch lassen sich spezielle Therapien - sollten sie notwendig sein nicht immer vor Ort als Angebot finden. Diese Fälle sollen in Zukunft aber die begründete Ausnahme sein. Diese Erkenntnis wird erst gewonnen, nachdem die zur Verfügung stehende Infrastruktur auf die Lösung des Problems hin geprüft und bewertet wurde. Die Verknüpfung des Prinzips der flexiblen Hilfe, die Einbeziehung fallunabhängiger Leistungen in die Hilfen und die Sozialraumorientierung sind ein Entwicklungsziel, das - für den Fall der Familie R. idealtypisch vorweggenommen - große strukturverändernde Anstrengungen erfordert. Das normative Verständnis davon, was in der Fachöffentlichkeit flexible Hilfe genannt wird, 8

ist in den Kommentaren zum SGB VIII niedergelegt. Danach ist eine radikale Subjektivität vorgeschrieben; das heißt in diesem Zusammenhang: Hilfen sind für jeden Einzelfall nach Dauer, Intensität und Qualität in einer gewissen Variationsbreite zusammenzustellen. Dabei sind Kombinationen aus dem Leistungskatalog der Hilfen zur Erziehung und die Ergänzung durch andere z. T. auch nicht professionelle Leistungen denkbar. Entscheidend für die geforderte Flexibilität ist, dass auch die Organisation der Hilfen diesen Anforderungen des Zusammenwirkens von unverwechselbarer Subjektivität und differentieller, realitätsgerechter Fachlichkeit nachkommt. Für die Weiterentwicklung der Jugendhilfe in Berlin bleibt die Frage offen, in welchem Ausmaß diesem Ansatz gefolgt werden kann. Es wird davon ausgegangen, dass es einen „erzieherischer Bedarf“ für sich wahrscheinlich nur sehr selten gibt, sondern dieser fast immer mit anderen sozialen und gesundheitlichen Problemen zusammenhängt. Er kann dementsprechend nur unzureichend „isoliert“ durch spezifische Maßnahmen der Erziehungshilfen angegangen werden, deren Leistungskatalog nach Einzelleistungen der Hilfen zur Erziehung aufgebaut ist. Insbesondere wird ein nachhaltiger Erfolg wesentlich durch eine Stärkung der Familien in ihrer sozialen Umgebung in Verbindung mit einer allgemeinen Förderung für diese Umgebung erreicht. Eine Umstellung der Berliner Jugendhilfe auf eine grundsätzliche Verknüpfung von fallabhängigen und fallunabhängigen Leistungen, die im sozialen Raum durchgeführt werden, erfordert auch in der Zusammenarbeit von örtlichen freien Trägern und Jugendamt erhebliche organisatorische Veränderungen. In der Praxis sind Wünsche in diese Richtung vorhanden. Teilweise wird schon danach verfahren. Es kommt nun darauf an, diese Erwartungen in einem Rahmen abzusichern. Dazu gehören als dezentrale (im Sozialraum angelegte) Steuerungsinstrumente: ein fachliches Controlling und Hilfeplanverfahren Die Qualitätskontrolle erfolgt auf Basis genauer Kenntnisse des Sozialraums. Die dazu erforderliche Leistungsdokumentation beinhaltet eine Erhebung und Erfassung von Merkmalen nach den bereits begonnenen Verfahren der Hilfeplanauswertung, von Merkmalen fallübergreifender Arbeit, von Hilfe-Anlass-Verlaufs-Ergebnisvariablen sowie von Kosten- und Hilfestrukturmerkmalen.

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eine Personalentwicklung im örtlichen Trägerverbund Die Schulung der Fachkräfte wird unter Einbezug der örtlichen Gegebenheiten nach dem Kriterium „Sozialraumorientierung als sozialpädagogische Methode“ betrieben. Fortbildungen zu infrastrukturellen, einzelfallbezogenen und eltern- und familienarbeitsbezogenen Methoden sollen die universelle Einsatzkraft stärken (ständige Qualifizierung). Digitale Fachberatungsprogramme (Elternbriefe; Schuldenberatungsinfos, Rechts-, Bildungs- und Gesundheitstipps) und Informationssysteme sollen via Internet nutzbar sein. Dokumentation zur sozialen Lage und sozialen Infrastruktur durch die Jugendhilfeplanung des Jugendamts Beschreibung des Sozialraums durch Sozialraumindikatoren mit Belastungs- und Ressourcenmerkmalen, Erfassung der fallunabhängigen Kooperationen im Sozialraum durch die jeweiligen Einrichtungen, Daten zu Kosten, Leistungen und Einzelhilfeergebnissen sollten in den Bezirken vorhanden sein. Sozialraumorientierung als sozialpädagogische Methode stellt das erworbene Fachwissen, die gewachsenen Erfahrungen und die bisherige Fachpraxis aller Akteure in der Jugendhilfe in einen neuen, dynamischen konzeptionellen Zusammenhang. Dieses erfordert von allen Beteiligten die Bereitschaft, die fachliche Kompetenz in diesen Zusammenhang einzubringen und in neuen Wirkungsgefügen zu denken und zu handeln. Eine Voraussetzung dafür ist, das Feld der Jugendhilfe in seiner Komplexität fassbar und damit nutzbar zu machen. Das bedeutet, dass sich die Akteure im Dschungel von Leistungen, Angeboten, Einrichtungen und Trägern auskennen. Die bezirklichen Jugendhilfeplanungen haben dazu in den vergangenen Jahren auf der Ebene der Planungsräume entsprechende Übersichten erstellt, sodass jeder Träger und jede Einrichtung wissen kann, welche Infrastruktur in deren Einzugsbereich vorhanden ist. Im Rahmen von Stadtteilkonferenzen, Regionalen Arbeitsgemeinschaften (nach § 78 SGB VIII) oder ähnlichen Strukturen finden mittlerweile seit Jahren regelmäßig Treffen der Akteure in den Planungsräumen statt. Hier beraten sie u.a. über die vor Ort bestehenden Bedarfslagen, entwickeln Ideen zur Bedarfsdeckung und lernen sich dabei gegenseitig kennen. Dieser Ansatz einer auf Beteiligung setzenden kommunikativen Jugendhilfeplanung konnte nur auf der Ebene kleinräumlicher Schnitte verwirklicht werden. Bei der konzeptionellen Entwicklung und Umsetzung sozialräumlicher Ansätze kann auf diesen bereits vorhandenen Strukturen sehr gut aufgebaut werden. 2.2. Sozialraumorientierung als Planungskategorie Das Handeln der Sozialpädagogen/innen im Jugendamt und bei den freien Trägern nach den oben dargestellten Methoden soll durch das Instrument Jugendhilfeplanung unterstützt werden. Die Reflexion ortsbezogener Wissensbestände, die aus der Praxis und aus einer Datenaufbereitung im Planungsprozess gewonnen werden, bietet den dort Handelnden eine sozialwissenschaftlich konstruierte „Radarhilfe“ zur Problemwahrnehmung und deren Bewältigung im Sozialraum. Die Angebote und Leistungen der Jugendhilfe sind so zu planen, dass Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt und junge Menschen und Familien in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders gefördert werden können. (§ 80 Abs.4 SGB VIII). So soll u. a. das Zusammenwirken der öffentlichen und freien Jugendhilfe bei der Ausgestaltung der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen auch unter Einbeziehung von Nachbarschaftshilfe gefördert werden (§ 4, Abs. 3, Satz 4 AGKJHG). Bei der Bedarfsfeststellung der Jugendhilfeplanung sind die Lebenssituationen und Entwicklungschancen von jungen Menschen und ihren Familien in Abhängigkeit von den teilweise sehr unterschiedlichen sozialen Bedingungen (Lebenslagen), den jeweiligen räumlichen Umwelten (Lebensraum) und der sozialen Infrastruktur der Kommune zu berücksichtigen. Dies gilt, soweit junge Menschen betroffen sind, im Rahmen einer Einmischungsstrategie auch für Leistungen außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe. Im Prozess der Jugendhilfeplanung in Berlin soll die soziale Lage in den Bezirken (auch nach 10

einzelnen Zielgruppen) kleinräumlich so differenziert (über quantitative und qualitative Daten) beschrieben werden, dass daraus mögliche Handlungsstrategien abgeleitet werden können. Durch die Erfassung von Daten zu sozialen Situationen können Problemkonstellationen und -entwicklungen in den Bezirken insgesamt und für Teilgebiete beobachtet und prognostiziert werden, die dann als Entscheidungsgrundlage für die örtliche Verteilung der Ressourcen in quantitativer und qualitativer Hinsicht dienen. Diese Teilgebiete werden in Berlin einheitlich PLANUNGSRÄUME genannt. Im Verlauf eines mehrjährigen Diskussionsprozesses sind 398 fest abgegrenzte Gebiete festgelegt worden, die sich dadurch auszeichnen, dass sie einerseits die vorhandene soziale Infrastruktur und die Lebensgewohnheiten der Bewohner in den Stadtteilen berücksichtigen und gleichzeitig innerhalb des Regionalen Bezugssystems über die Reduktion auf den statistischen Block (kleinste durch Straßen umgebene Stadtfläche) als größte gemeinsame Einheit mit anderen räumlichen Gliederungen der Stadt kompatibel sind. Die Räume wurden nach dieser Formel und weiteren - je nach den örtlichen Voraussetzungen zu favorisierenden - Schneidungskriterien gebildet. Diese sind: - markante Trennlinien sowie unbebaute Flächen - Abgrenzungen historischer Ortskerne - Flächennutzungs- und Siedlungsstrukturen - natürliche bzw. eindeutig strukturell vorgegebene Grenzen - Einwohnerstruktur und -anzahl - Wegebeziehungen, verkehrstechnische Kriterien (z. B. Verkehrsadern) - Wohnbebauung/Wohnstruktur - Gebietsbindung von Jugendlichen/„Streifräume” - subjektive Definitionen durch die Bewohner - Einschätzungen zur sozialen Lage durch Praktiker vor Ort als Experten - vorliegende Gebietsgliederung des Bezirksamtes oder anderer Instanzen. Die Größe der Planungsräume variiert i. d. R. zwischen 3.000 - 15.000 Einwohnern. Sie sollen einen dauerhaften Bestand haben, um Veränderungen über die Zeit feststellbar zu machen. Die Planungsräume sollen nicht nur der bezirklichen Jugendhilfeplanung, Sozialberichterstattung und Entwicklungsplanung dienen, sondern auch stadtweit zu einer kleinräumlich orientierten Sozialberichterstattung genutzt werden. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, dass auch nach diesen Planungsräumen aufbereitete Informationen (z. B. Daten über Sozialleistungstransfers und Indikatoren, die auf kleinräumlich beobachtbare Differenzen oder Defizite hinweisen) Vergleiche zwischen den Bezirken ermöglichen und bezirksübergreifend (nach Clustern) gebietstypische Entwicklungen verfolgt werden können, um entsprechende Handlungsschwerpunkte zu setzen. Die Tatsache, dass die Jugendhilfeplanung keinen Planungsprimat hat, sondern als Teil der Sozialplanung zunächst die Kooperation mit benachbarten Arbeitsgebieten suchen soll, macht es ebenfalls notwendig, dass diese Planungsräume sich für die gemeinsamen Zwecke einer „sozialen Stadtbeobachtung“ nutzen lassen. In der Fachdiskussion sind die Anforderungen an die Planungskategorie Sozialraum von verschiedenen Unvereinbarkeiten geprägt, die sich kurz folgendermaßen (einschl. der Situation in Berlin) skizzieren lassen: Sozialräume sollen häufig in Größe und Gestalt mit Verwaltungs- und Ressourcenbewirtschaftungsräumen identisch sein. Gleichzeitig sollen möglichst viele unterschiedliche Daten als Indikatoren für diese Flächen vorhanden bzw. erhebbar sein. Sie sollen Versorgungsbereiche und Einzugsgebiete verschiedener Zielgruppen darstellen. Weiterhin sollen sie in ihrer Reichweite auch die „gefühlten“ Lebensräume der Mehrheit der Bewohner darstellen können. Sie sollen sekundärer Beziehungsraum, erweiterte Nachbarschaft oder eine Art Kiez sein. Schließlich sollen sie den örtlichen Rahmen für soziometrische Analysen bieten, um ggf. für die sozialpädagogische Fallarbeit nutzbare Interaktionsmuster zu konstruieren. In der Berliner Jugendhilfeplanung ist in dieser Hinsicht der Schwerpunkt auf den Sozialraum 11

als Datenraum gelegt worden. Bei der Abgrenzung ist es möglich, über eine vorher geleistete Sozialraumanalyse (mit adressen-, block- oder planquadratbezogenen Daten) Gebiete nach sozialen Kohärenzgraden zu differenzieren. Da die Bestimmung und Erhebung geeigneter Indikatoren zur Messung der Homogenität schwierig ist und ebenfalls Probleme bei der Gewichtung der Indikatoren und der Bestimmung von Schwellenwerten zur Aggregierung der ortsbezogenen Untersuchungseinheiten bestehen, unterbleibt dies oft, und das Wissen aus der Praxis, gewissermaßen der „Alltagsverstand“ wird zur Abgrenzung eingesetzt. So ist auch in Berlin die Festlegung vorgenommen worden. Gleichwohl gebietet eine geordnete Planung eine solche Sozialraumanalyse (mit internen und externen Kohärenzbestimmungen) nachträglich. Dies gilt vor allem, wenn die Planungsräume qualitativ mehr Aussagekraft haben sollen als rein stadtgeografisch gebildete Gebiete und für unterschiedliche Forschungs- und Planungszwecke flexible Abgrenzungen gewählt werden sollten. Es können nicht alle für die Belange von jungen Menschen wichtigen Aspekte in einem Gebiet mit der gleichen Form abgegrenzt und abgebildet werden, da die Lebensverhältnisse in einem Stadtgebiet sehr vielschichtig sind. So gibt es eine Wohn-, Schlaf-, Arbeits-, Durchgangs- und eine Konsumbevölkerung. Selbstverständlich lassen sich alle Lebensaspekte beliebig fein differenzieren und der Einfluss auf die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen wird alters-, geschlechts- und nationalitätenspezifisch variieren. Die Wahrnehmung der Strukturen differiert in der ansässigen Bevölkerung, bei der Bevölkerung der Stadt insgesamt, aber auch zwischen den Professionen der sozialpädagogischen Praxis und der Planung. Kurz gesagt, die Räume haben sehr unterschiedliche interne und externe Statusdefinitionen und Bewertungen über Images und reale Erfahrungen. Dieser „situative Aspekt“ muss im empirisch geleiteten Teil von Planung in einer Großstadt wie Berlin teilweise durch eine quantitative Sozialindikatoren- und Indexbildung reduziert werden. Zusätzlich sind zur Berücksichtigung von Besonderheiten exemplarisch qualitative Beschreibungen der Quartiere sinnvoll und notwendig. Die subjektive Wahrnehmung und die Messwirklichkeit durch Sozialindikatoren von einem Gebiet unterscheiden sich oft erheblich, sodass bei einer Konfrontation beider Aspekte Irritationen und Konflikte entstehen können. Dies gilt vor allem dann, wenn den Indikatoren politische Entscheidungen zur Verteilung von Ressourcen folgen sollen. Der Vorwurf kann lauten, die Daten seien nicht valide, reliabel oder praxisrelevant; die Wahrnehmung der Bevölkerung bzw. der Praktiker sei einseitig oder selektiv wiedergegeben. So werden insbesondere affektiv besetzte Themen, wie örtliche Gefährdungslagen, aber auch Fragen der Segregation und Desintegration in einem städtischen Gebiet kontrovers aufgenommen. Eine Erkenntnisverbesserung und eine realitätsgerechtere Planung sind hier erst über einen länger währenden Kommunikationsprozess dieser beiden gleichermaßen ernst zu nehmenden Facetten möglich. Erste Ansätze dazu in der Planungslandschaft der Berliner Bezirke sollten weitergeführt werden. Die oben beschriebenen Aspekte können in den Planungsräumen (ggf. durch Teilung oder Zusammenlegung) erfüllt werden. Zusammenfassend sind für die Planungsräume der Berliner Jugendhilfeplanung folgende Funktionen zu nennen: räumliche Organisations-/Personalentwicklung, Jugendhilfe-/ Sozialberichterstattung, soziale Infrastrukturplanung, Kooperation mit Stadtplanung Trägervernetzung/Bürgerbeteiligung Jugendhilfebedarf (fachlich, fachübergreifend, in Kooperation mit anderen Ressorts), Feststellung von Versorgungsindikatoren/Kennzahlen Weglängen-, Erreichbarkeits- und Mobilitätsaspekte Einbeziehung von Lebensfeldressourcen, Organisation von Selbsthilfe raumbezogene Budgetierung/Steuerung. Diese Aspekte von Planung sind allerdings so vielfältig, dass ein einzelner Zuschnitt nach 12

Größe und Form nicht ausreichend ist. In der Reihenfolge dieser Aspekte sind auch die Größenverhältnisse in Bezug auf Einwohnerzahl und Stadtfläche zu klären. Während die mehr ökonomischen und sozialplanerischen Aspekte eine Größe benötigen, die ausreichend Dispositionsspielraum für die interne Verteilung und Ausgestaltung der Hilfen bietet, sind für die mehr kommunikativ orientierten und sozialpädagogisch praktischen „lebensweltlichen“ Aspekte kleinere Gebiete sinnvoll. Vernetzungs- und Beteiligungsverfahren im öffentlichen politischen Raum sind sicher - je nach Leistungsbereich - in mittlerer Größe einzuordnen. Fest steht, dass viele Einzelaspekte und auch Einzelinteressen in der Jugendhilfe und anderen Ressorts das Planungsgebiet nicht direkt mitstrukturieren können und die Gebietsaufteilung nach Verhandlungen mit den Beteiligten in der Kompetenz der Jugendhilfeplanung liegt. Es bleibt noch die Aufgabe, einen großen Teil der Funktionen in Gang zu setzen. Dies gilt für die planerischen Voraussetzungen und dabei zunächst für die Sozialindikatorenbildung. Hierzu wäre es wünschenswert und realistisch, wenn bis 2003 ein reduziertes, aber für die soziale Lage repräsentatives Datengerüst zur Verfügung stehen würde, in dem die demografische Situation (Anzahl der Einwohner insg., Anzahl der Jugendeinwohner) die sozialökonomische Lage (Arbeitslosenquote; Anzahl der minderjährigen Sozialhilfeempfänger); − der Wohngebietsstatus (durchschnittl. Wohndichte Einw./ha , Bodenpreis, Miethöhe) den Rahmen bilden (siehe Anhang). Die bestehenden Planungsräume sind in Bezug auf ihre Größe für die verschiedenen Funktionen breit gefächert geeignet. In der Regel wohnen in den Gebieten ca. 500 - 2.500 junge Menschen unter 18 Jahren. Für ein Gesamtbudget Jugendhilfe müssen zur besseren Disponibilität ggf. zwei oder mehrere Planungsräume zusammengefasst werden. Die meisten Gebiete sind für eine Regionalisierung der Dienste geeignet, sodass eine ausreichende Anzahl von Jugendamtsmitarbeiter/innen - soweit dafür qualifiziert - für steuernde Aufgaben herangezogen werden kann. Angesichts der großen Trägervielfalt in Berlin insgesamt, würde auch kleinräumlich keine Monokultur entstehen. Die Räume gestatten Partizipation und Ressort übergreifendes Handeln (in vielen Bezirken zumindest mit dem Sozialamt, dem Grünflächenamt und dem Gesundheitsamt möglich). Fast überall geben eine oder mehrere allgemeinbildende Schulen Kooperationsmöglichkeiten. Es wäre eine überschaubare Anzahl von Fällen der Hilfen zur Erziehung zu managen, von denen ein noch zu bestimmender Teil durch nahräumliche Potenziale aufgefangen wird. Insofern sind die Planungsräume der Jugendhilfeplanung gut geeignet, um als Sozialräume zu fungieren, in denen in einem Zusammenwirken aller Felder der Jugendhilfe kinder- und jugendgerechte Lebensbedingungen geschaffen werden können.

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2.3 Organisation des Jugendamts Die Orientierung am Sozialraum entspricht dem in dem Papier über die „Neustrukturierung der öffentlichen Jugendhilfe“ dargestellten Leitbild von einem neuen Jugendamt2. Danach hat das Jugendamt insbesondere die Aufgabe, planend, steuernd und beratend in Kooperation mit den freien Trägern die Erbringung von Dienstleistungen der Jugendhilfe sicherzustellen und dabei auch ressortübergreifend Einfluss zu nehmen auf die Lebensverhältnisse im sozialen Raum, d.h. insbesondere die Potenziale bürgerschaftlichen Engagements und der Selbsthilfe zu aktivieren und zu stärken. Die verschiedenen Aufgabenfelder der Jugendhilfe sollen als Einheit betrachtet und zusammengeführt werden, die Angebote in Kenntnis des betroffenen Sozialraumes flexibel und bedarfsgerecht entwickelt werden. Diesem Leitbild entsprechend muss sich die Sozialraumorientierung in der Organisation des Jugendamts abbilden. Das bedeutet, dass die Arbeit weitgehend entspezialisiert organisiert wird, dass z. B. statt des Buchstabenprinzips das Stadteilprinzip gilt und dezentralisierte sowie regionalisierte Strukturen etabliert werden. In den Berliner bezirklichen Jugendämtern lassen sich bereits jetzt - mehr oder minder intensiv verfolgt und mit unterschiedlichen Schwerpunkten - folgende Entwicklungen nachzeichnen: Initiativen zur Entwicklung und Umsetzung sozialraumorientierter Konzepte in Berlin

Pilotprojekt „Qualitätsentwicklung der Entscheidungsprozesse im Jugendamt“ (Leitprojekt der Verwaltungsreform) Im Rahmen eines Pilotprojekts „Qualitätsentwicklung der Entscheidungsprozesse im Jugendamt“ der Bezirke Spandau, Neukölln und Reinickendorf - „Weiterentwicklung und Umsetzung des Leitbildes für den Bereich der Hilfen zur Erziehung“ - unter Koordination des LJA - werden in fünf Arbeitsgruppen (Qualität, Steuerung, Sozialräume, Rollenverständnis, Arbeitsprozesse) u.a. Kriterien zur Beschreibung von Sozialräumen entwickelt sowie die ungesteuerte Verteilung und die Steuerungsmöglichkeiten sozialraumbezogener Ressourcenflüsse (incl. Budgetierung) eruiert. Im Besonderen hatte die Arbeitsgruppe Sozialräume den Auftrag, zu klären, welche Kriterien für die kleinräumlich orientierte Datensammlung in bezug auf Sozialindikatoren angelegt werden können und welche praktikablen Lösungen sich für eine Schneidung von Sozialräumen anbieten, für die eine befriedigende Datenlage mit lebensweltlichen Raumorientierungen der Jugendhilfepraxis und der Bevölkerung in Einklang gebracht werden kann. Die Zwischenberichte der Arbeitsgruppen liegen inzwischen vor. Neben dem Pilotprojekt „Qualitätsentwicklung der Entscheidungsprozesse im Jugendamt“ finden in den Berliner Bezirken weitere, zum Teil sehr unterschiedliche Initiativen statt, Sozialraumorientierung in Bezug auf verschiedene Leistungsbereiche, Methoden und Funktionen zu etablieren. Zusammengefasst werden in den Bezirken folgende Ansätze sichtbar: In allen Bezirke werden auf der Basis der Planungsräume der Jugendhilfeplanung planungsrelevante Daten gesammelt, ausgewertet und für die Entwicklung sozialraumorientierten Handelns zur Verfügung gestellt. In einigen Bezirken sind Analysen gemacht worden, in denen z. B. die Fallzahlen der Hilfen zur Erziehung, die Belegung von KitaPlätzen und die Besucher von Einrichtungen der Jugendarbeit kleinräumlich vergleichbar wurden und mit Hilfe von Sozialindikatoren Disparitäten festgestellt werden konnten. 2 Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport: Strukturveränderungen in der öffentlichen Jugendhilfe Berlins, Berlin, März 2002

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Die Planungsräume der Jugendhilfeplanung sind fast überall mit den Fachbereichen des Jugendamts und in vielen Fällen mit anderen Abteilungen des Bezirksamts abgestimmt, sodass danach auch ressortübergreifend geplant und gearbeitet werden kann. Hierzu gibt es in einzelnen Bezirken bereits Bezirksamtsbeschlüsse bzw. Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlungen. Ebenfalls sind überall Bestrebungen im Gang, die Regionalisierung der Dienste des Jugendamts - zum Teil auch unter dem Aspekt einer Entspezialisierung - voranzutreiben. Dies betrifft teilweise alle Fachbereiche und soll dort, wo dieses bereits geplant wird, zu einer weitreichenden Reorganisierung (Matrixorganisation) führen. Die begrenzten Personalkapazitäten und spezifischen Aufgabenstellungen scheinen ein modulares Vorgehen der Regionalisierung mit unterschiedlichen Reichweiten in einem Jugendamt zu begünstigen. Fast alle Bezirke haben Kooperations- und Kommunikationsstrukturen mit den Trägern unter sozialräumlichen Bezügen gebildet. Hervorzuheben sind die Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII. Zum Teil werden im Rahmen dieser Aktivitäten Angebote miteinander vernetzt, sodass den jungen Menschen und Familien einfacher, schneller und wohnortnäher Verbundleistungen zukommen können. Einige wenige Bezirke betreiben bereits die Verteilung ihrer Mittel für die Förderung freier Träger nach sozialräumlichen Gesichtspunkten, wobei sowohl quantitative als auch qualitative Bewertungsmaßstäbe zu diesem internen Finanzausgleich herangezogen werden. In einem Bezirk wird die Förderung u.a. von der Mitarbeit in einer Stadtteilkonferenz abhängig gemacht. In einer Modellregion eines Bezirks wird die Stelle eines Sozialraummanagers aus dem Haushalt mehrerer Fachbereiche des Jugendamtes finanziert. Die verschieden weit gediehenen Ansätze stehen bisher im Wesentlichen nicht im Widerspruch zu den bereits auf der Ebene der Hauptverwaltung gemeinsam mit den Jugendämtern erarbeiteten Vorgaben. Es besteht allerdings zunehmend die Notwendigkeit, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Bezirken ein weitgehend einheitliches Vorgehen ermöglichen (siehe hierzu unter 3). Im Einzelnen ist der Stand der Entwicklung (August 2002) in den Bezirken nach einer Kurzabfrage wie folgt zu skizzieren: Mitte: Sozialraumorientierung hat im Zusammenhang mit dem neuen regionalen Zuschnitt für den Großbezirk Mitte noch stärker an Bedeutung gewonnen. Allein schon die sehr unterschiedlichen sozialstrukturellen Gegebenheiten in den jeweiligen Planungsräumen erzwingen eine differenzierte Betrachtungsweise. Alle Fachbereiche des Jugendamtes sind auf Regionen bezogen organisiert. Eine weiter gehende Differenzierung auf die Ebenen Planungsgebiete, Planungsräume wird je nach Aufgabengebiet und Stellenumfang im unterschiedlichen Maße realisiert. Hinsichtlich der Förderung freier Träger im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit wurde eine Förderformel entwickelt und im Jugendhilfeausschuss Mitte abgestimmt, die die Mittelvergabe für 2003 in die Regionen bzw. Planungsgebiete auf der Grundlage demografischer und sozialer Faktoren steuert. Außerdem wurden für die jeweiligen Regionen sogenannte Regionaldienst-Experten-Gruppen gebildet, bestehend aus JHA-Vertretern, Jugendamt, Vertretern der AG’n nach § 78 KJHG, die eine Situations- und Bedarfsbeschreibung für einzelne Planungsgebiete erstellten und Empfehlungen formulierten. 15

Für den Bereich familienunterstützende Hilfen sind flexible, integrierte und sozialräumlich angelegte Erziehungshilfen ein wesentliches Ziel. Im Zusammenhang mit den Umsteuerungsprozessen im Bereich Hilfen zur Erziehung erfolgte im April/Mai 2002 eine Fallrevision der laufenden Hilfen. Somit steht aktuell eine Übersicht aller Hilfeformen in den Planungsräumen des Bezirks zur Verfügung. Diese bildet mit die Grundlage für weitere strukturelle Überlegungen und Veränderungen hinsichtlich Bedarfslagen und Auswahl von Schwerpunktträgern für ambulante Hilfen. Bei der Auswahl von Schwerpunktträgern als auch in der weiteren Zusammenarbeit ist die regionale bzw. Planungsraum orientierte Sichtweise ein wesentliches Kriterium. Vor dem Hintergrund der immer wieder geforderten stärkeren Flexibilisierung der Hilfen und Hilfeformen über die einzelnen Leistungsbereiche des KJHG hinweg gewinnt der planungsraumorientierte Ansatz an Bedeutung. Hierbei übernehmen u. a. die im Bezirk Mitte existierenden neun regionalen Arbeitsgemeinschaften nach § 78 KJHG eine wichtige Aufgabe. Im Rahmen der bezirklichen Kooperation mit den Quartiersmanagern der fünf QM-Gebiete wird der ressortübergreifende und sozialraumorientierte Ansatz realisiert. Friedrichshain-Kreuzberg: Die Jugendhilfeplanung Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Bezirksamtsvorlage „Gliederung des Bezirks in 8 Sozialräume zur Schaffung abteilungsübergreifend einheitlicher Grundlagen kleinräumlicher Datenerhebung und Informationssicherung im Rahmen bezirklicher Planung“ initiiert, die im November 2001 beschlossen worden ist. Die damit verbundene sozialräumliche Untergliederung ermöglicht allen Ressorts des Bezirksamtes und einzelnen Fachbereichen jeweiliger Abteilungen - so auch dem Jugendamt - die Erfassung und Fortschreibung der für Planungszwecke relevanten Daten auf einheitlicher Grundlage und sichert so vielfältige Möglichkeiten der Zusammenführung von Daten durch die bezirkliche Sozial - und Jugendhilfeplanung. Auf o. g. Grundlage wurde ein bezirkliches Indikatorenmodell zur sozialräumlichen Verteilung der Zuwendungen an jene freien Träger entwickelt, die im Rahmen von § 11 Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit machen. Dieses Modell wichtet den Anteil der 6- bis Fallzahlen, Dauer, Intensität, Kosten von Leistungen sowie Sicherung von Kontrolle und eines fachlichen Controllings ...) stützen sich bereits auf o. g. sozialräumlichen Bezug. Der erste gemeinsame Jugendhilfebericht nach der Bezirksfusion wird dies ebenfalls leisten. Es existieren in den Sozialräumen 8 arbeitsfähige Sozialraum-AGs gemäß § 78, deren Koordination Sozialarbeiter/innen des FB 1 obliegt - diese handeln in der Rolle von Sozialraum- Manager/innen bzw. Sozialraum-Koordinator/innen, hier in enger Vernetzung mit den im Sozialraum verorteten Trägern und Organisationen. Eng ist die Zusammenarbeit zu den Quartiersmanager/innen in den 3 bezirklichen QM-Gebieten.

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Für die 8 Sozialraum-AGs haben alle 4 Fachbereiche des Jugendamtes, die Jugendhilfeplanung sowie das in die Abteilung Jugend und Familie integrierte Sportamt ihre Vertreter/innen namentlich benannt. Die territorialen Grenzen der drei RSDs des ASD des Jugendamtes sind mit denen der 8 Sozialräume natürlich nicht kompatibel, finden aber ihre Gemeinsamkeit im Rahmen der jeweiligen Zusammensetzung aus statistischen Gebieten. Auf Grundlage der regionalen Zuständigkeiten der drei RSDs sind derzeit Interessenbekundungsverfahren in Vorbereitung, die den jeweiligen Bedarfen der drei RSD-Bezirke besonders Rechnung tragen und zu einer höheren Qualität in der Zusammenarbeit mit den freien Trägern der Jugendhilfe (HzE - Leistungsanbieter) führen sollen. Es existieren allgemeine Bemühungen um Aufhebung der Versäulung des Jugendamtes mit sozialräumlicher Ausrichtung; auf Grundlage der Neuorganisation des Jugendamtes sollen sich schließlich auch die zahlreichen freien Träger in der Rolle von Leistungsanbietern neu organisieren können. Seit kurzem existiert im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine abteilungsübergreifende AG der Planer/innen aller Ressorts mit der Zielstellung, die konkreten Konditionen einer bezirklichen Sozialplanung zu umreißen und notwendige Schritte in Richtung Realisierung einzuleiten. Pankow: In allen drei ehemaligen Bezirken war die Sozialraumorientierung eine der Grundprämissen der Planung und Arbeit des Jugendamtes. Bereits vor der Bezirksfusion wurde durch die drei Jugendhilfeplanerinnen ein Planungsraummodell erarbeitet. Nach umfassender Diskussion mit den Fachämtern wurde es als Grundlage für die sozialräumliche Planung und Arbeit im Jugendamt Pankow festgelegt. Die drei ehemaligen Bezirke werden als „Regionen“ bezeichnet und es wurden 16 „Planungsräume“ definiert. Diese fassen die 43 Sozial- und Planungsräume der ehemaligen Bezirke zusammen, ohne deren Grenzen zu schneiden. Damit ist ein unmittelbares Anknüpfen an die Datenaufbereitung vor der Fusion und die Bildung von Zeitreihen zu unterschiedlichen Fragestellungen möglich. Alle 4 Fachämter orientieren sich in ihrer Arbeit sehr stark an den Planungsräumen. Alle Geschäftsstatistiken werden danach aufgebaut und jegliche regionalbezogene Arbeit erfolgt auf der Basis der Planungsräume (Regionalsachbearbeiter Jug 1, PädSach Jug 2, Sozialarbeiter Jug 4 etc.). Die Planungsräume sind ebenfalls Grundlage für die Arbeit von demokratischen Gremien des Jugendamtes. Für 5 der 16 Planungsräume gibt es bereits intensiv arbeitende Ortsteilkonferenzen, in denen sich die Akteure der Jugendhilfe untereinander und mit anderen Bereichen vernetzen (Schule, Soziales, Wohnungsamt, Polizei etc.). Die Initiierung weiterer Ortsteilkonferenzen für andere Planungsräume ist geplant. Im Frühjahr 2002 legten die Jugendhilfeplanerinnen für jeden Planungsraum ein Portrait vor, das sowohl qualitative Aussagen zur Geschichte, Bebauung etc. jedes Raumes als auch statistische Aussagen aus den Ämtern Jug und einen Überblick über die Infrastruktureinrichtungen des Jugendamtes und anderer Bereiche (Schule, Kultur, Soziales, Gesundheit etc.) beinhaltet. Diese Planungsraumportraits sind im Bezirksamt und an der Basis der bezirklichen Jugendhilfe auf großes Interesse gestoßen und werden derzeit ergänzt und korrigiert. Das Ziel dieser Papiere besteht einerseits darin, das Prinzip der Sozialraumorientierung in allen Geschäftsbereichen des Bezirksamtes bekannt zu machen und die Vorteile zu demonstrieren und andererseits, ein umfassendes, turnusmäßig zu aktualisierendes Datenset für jeden Planungsraum für alle politischen und fachlichen Verantwortungsträger des Bezirksamtes Pankow zur Verfügung zu stellen. Das Interesse und die Bereitschaft der Geschäftsbereiche des Bezirksamtes Pankow, die eigene Planung nach den Planungsräumen des Jugendamtes auszurichten, ist unterschiedlich ausge17

prägt. Die kontinuierliche Ausbreitung dieser Idee ist jedoch deutlich spürbar und anhand vieler einzelner Zeichen zu erkennen. Mit Unterstützung der Stadträtin für Jugend und Schule wird intensiv daran gearbeitet, die Chancen und Vorteile der Sozialraumorientierung in Politik, Verwaltung und sozialer Arbeit im Bezirk Pankow weiter zu propagieren. Charlottenburg-Wilmersdorf: Eine Regionalisierung in allen Fachbereichen wird angestrebt. Im sozialpädagogischen Dienst gibt es schon lange 7 Außenstellen; die Personalbemessung wird nach planungsraumbezogenen Sozialindikatoren vorgenommen. Die AG’n des JHAs sind z. T. regionalisiert. Mittelfristiges Ziel ist ein regionaler Ausgleich der Versorgungsstrukturen, evtl. in Form von Sozialraumbudgets. Spandau: Es gibt zur Zeit 10 Planungsregionen und 39 Quartiere der Jugendhilfeplanung. Die Planungsregionen sind maßgebliche Gebiete für die Stadtteilkonferenzen. Weiterhin gibt es 3 Regionalgruppen der Sozialpädagogischen Dienste und 5 Regionalgruppen für die Kindertagesstätten. Die Gebiete erfüllen unterschiedliche Funktionen; u. a. ist die Trägerförderung an die Teilnahme an den Stadtteilkonferenzen gebunden. Die Konzepte und Arbeitsansätze „Regionalisierung“ und „Lebensweltorientierung“ sollen durch Ressourcen- und Potenzialanalysen der Sozialräume weiter konkretisiert werden; es wird eine zunehmende Flexibilisierung der Hilfen angestrebt; die Integration von fall- und feldbezogener Arbeit soll verbessert werden Steglitz-Zehlendorf: Im Vorfeld der Fusion der Bezirke Steglitz und Zehlendorf wurde ein regionales Strukturmodell festgelegt, das 4 etwa gleich große Regionen von ca. 70.000 Einwohnern beinhaltet. Diese Größenordnung ist notwendig, um die personellen Ressourcen sinnvoll aufzugliedern. Die organisatorische Struktur des Jugendamtes wurde konsequent an diesem Strukturmodell ausgerichtet, sodass unterhalb der Fachbereichsleitungen jeweils regionale Zuständigkeiten (Fachdienstleitungen) eingerichtet wurden. Soweit möglich, wurden auch dezentrale Standorte (z. B. im Regionalen Sozialdienst = ASD + Wirtschaftliche Jugendhilfe) eingerichtet. Sozialräumliche Bedingungen und Handlungsfelder sind dabei als Teilaufgaben und Schwerpunktsetzungen in den Regionen aufzufassen. Ein entsprechendes Monitoring zur Beschreibung von „Bedarfsfaktoren“ auf kleinteiliger räumlicher Ebene ist im Ansatz vorhanden und wird weiterentwickelt. In mehreren internen Fachtagen ist dieser Prozess parallel zur organisatorischen Fusion umfangreich rückgekoppelt worden. Noch in 2002 wird begonnen, die bestehende Fachbereichsgliederung sukzessive zugunsten einer regionalen Organisationsstruktur umzugliedern. Begleitend dazu wird im September ein weiterer Fachtag mit allen Beteiligten und der Ev. Fachhochschule stattfinden. Für 4 Regionen werden Verwaltungsdienststellen eingerichtet. In einer Matrix-Organisation werden die Fachbereiche 1 (Jugendförderung) und 4 (Familienunterstützende Hilfen) unter einer Regionalleitung zusammengefasst, wobei die Fachverantwortung bei den Fachbereichsleitungen verbleibt. Die fachspezifischen Aufgaben werden von den regionalen Fachdienstleitungen (Regionaler Sozialer Dienst und Fachdienstleitung Jugendförderung) wahrgenommen. Der Fachdienst Amtsvormundschaft und kindschaftsrechtliche Beratung wird als solcher aufgelöst und als Fachstellen regionalisiert zugeordnet. Aus dem Fachdienst für ambulante und stationäre Hilfen und Pflegekinderdienst werden die Aufgaben Pflegekinderdienst „Modul Hilfeplanung“ in die Regionalen Sozialen Dienste integriert, die „Module Beratung und Betreuung von Pflegeeltern“, „Akquise von Pflegestellen“, 18

„Aus- und Weiterbildung von Pflegeeltern“ bis 31.3.2003 an Träger der freien Jugendhilfe übertragen und der Aufgabenbereich „ambulante und stationäre Hilfen“ mit dem Aufgabenbereich „Zuwendungen und Betreuung der Träger der freien Jugendhilfe im Bereich der Jugendförderung“ in die Koordinierungsstelle Qualitätsmanagement integriert. Der Fachdienst Sozialhilfeangelegenheiten sowie die Fachstelle Unterhaltsvorschuss befinden sich derzeit in einer Werkstattphase mit dem Ziel der Zusammenführung. Da beabsichtigt ist, auch den Fachdienst Sozialhilfeangelegenheiten als Fachstellen in die Regionalstellen zu integrieren, findet in einer Regionalstelle bereits seit 3 Monaten ein entsprechender Modellversuch statt. Nach Beendigung der Werkstattphase „Sozialhilfeangelegenheiten und Unterhaltsvorschuss“ soll der Modellversuch entsprechend erweitert werden. Die Fachstellen Bundeserziehungsgeld und Kosteneinziehung, das Beratungs- und Leistungszentrum für junge Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen sowie die Jugendberatenden Dienste (Jugendgerichtshilfe/Jugendberatung) werden als zentrale Organisationseinheiten an jeweils unterschiedlichen Standorten im Bezirk vorerst unverändert bestehen bleiben. Vorerst ausgenommen von Änderungen bleiben der Fachbereich 2 (Tagesbetreuung) wegen der vorgegebenen Ausgliederung der Kitas in andere Trägerschaften, der Fachbereich 3 (Psychosoziale Dienste) und das Jugendausbildungszentrum (Fachbereich 5). Die jeweiligen Aktivitäten in der Region müssen somit auf der Grundlage verschiedener und ineinander greifender Lebenslagen und Bedürfnisse und örtlichen Strukturen aufeinander abgestimmt und in Gesamtverantwortung wahrgenommen werden. Die erhofften Effekte liegen in einer optimalen Nutzung vorhandener Ressourcen, Reduzierung von Kosten durch Nutzung fachlicher Synergien, Verstärkung der präventiven Arbeit, Koppelung von Handlungsmöglichkeiten, einer besseren Informationsstruktur und einer größeren Nähe zu lokalen Bedarfen. Tempelhof-Schöneberg: Mit der Fusion der Bezirke Tempelhof und Schöneberg wurde eine weitestgehende Regionalisierung der Dienstleistungen des Jugendamtes beschlossen und schrittweise umgesetzt. Inzwischen hat die Leitung des Jugendamtes entschieden, die Jugendhilfe im Bezirk nach Prinzipien der „Sozialraumorientierung“ weiterzuentwickeln. Der Leitgedanke ist dabei, die Jugendhilfe an den Interessen und Bedürfnissen ihrer Adressaten auszurichten. Das Konzept der „Regionalisierung“ ordnet sich dem Konzept der „Sozialraumorientierung“ unter. Als Handlungsmaximen gelten: Integration, Vernetzung, Partizipation, Prävention und Alltagsorientierung. Als eine wesentliche Voraussetzung für sozialraumorientiertes Handeln wird die Aufhebung der „Versäulung“ der Jugendhilfe gesehen. Die traditionelle paragraphenorientierte Arbeitsstruktur des Jugendamtes, die bislang einer flexiblen Jugendhilfe mehr als hinderlich im Weg steht, wird durch eine Matrixorganisationsform ersetzt, die die hierarchische Struktur (zumindest in Teilen) und die Unterteilung in einzelne Fachbereiche aufhebt. Ein weiterer Schritt zur sozialraumorientierten Praxis ist die Implementierung von Sozialraumteams (Allgemeiner Sozialpädagogischer Dienst und freie Träger ambulanter Hilfen zur Erziehung). In einer späteren Phase soll ein sozialräumliches Finanzierungsmodell erarbeitet werden, das die sozialräumliche Orientierung nachhaltig unterstützt.

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Folgende Ziele werden handlungsleitend sein: Aktivierung statt Betreuung und Förderung von Selbsthilfe! (Was will der/die Klient/-in? Was ist er/sie bereit, dafür zu tun?) Konsequenter Ansatz am Willen und den Interessen der Klient/innen - Unterscheiden zwischen Wunsch und Willen der Klient/innen! (Wunsch impliziert keine Eigeninitiative - Gefahr der Konsumhaltung. Der Wille ist Garant für Engagement.) Konzentration auf die Ressourcen der im Sozialraum lebenden Menschen Konzentration auf die materiellen Strukturen des Sozialraums zielgruppen- und bereichsübergreifender Ansatz Kooperation und Abstimmung der professionellen Ressourcen. Der Prozess der Konzeptentwicklung und Umsetzung wird begleitet von Prof. Dr. Wolfgang Hinte (Universität Essen, Institut für stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung). Neukölln: Es ist bekannt, dass es einerseits seit langem 4 Verwaltungsbereiche für die Arbeit der Sozialpädagogischen Dienste gibt und andererseits seit 1996 36 Sozialräume der Jugendhilfeplanung gebildet sind, die teilweise im Rahmen des Quartiersmanagement genutzt werden. Im Frühjahr 2001 hat der Jugendhilfeausschuss Neukölln das Jugendamt beauftragt, ein Konzept zur „Sozialraumbudgetierung“ - zunächst modellhaft - für das Gebiet Köllnische Heide zu erarbeiten. Das Ziel war, vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage, Wege zu finden, insbesondere die finanziellen Ressourcen effektiver und effizienter einzusetzen. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass lebensweltbezogene Hilfen und Leistungen angeboten werden, flexibel und gezielt auf erkennbare Bedarfe reagiert, präventiv gearbeitet und fachbereichsübergreifend und kooperativ gearbeitet wird. Bei den Vorarbeiten zur Konzeptentwicklung wurde deutlich, dass ein Konzept allein zur sozialräumlichen Budgetierung zu kurz greifen würde. Der Arbeitsauftrag an das Jugendamt wurde erweitert. Das Projekt läuft heute unter dem Titel „Aufwachsen in der Köllnischen Heide“. Damit wird eine ganzheitliche Sichtweise deutlich, die das Jugendamt bei den Bemühungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern, Jugendlichen und Familien in dieser Region einnimmt. Die Leitung des Jugendamtes hat sich mit den Fachbereichsleitungen einvernehmlich darauf verständigt, Sozialraumorientierung als fachlichen Standard in allen Fachbereichen einzuführen. Damit ist vorrangig gemeint: Die Interessen der Bevölkerung werden als Ausgangspunkt des Handelns genommen. So weit möglich werden die von den Menschen der Region definierten sozialen Räume als Bezugspunkt angesehen. Die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und Familien werden unmittelbar erfragt und Konsequenzen daraus gezogen. Die Fachdienste des Jugendamtes und die freien Träger arbeiten kooperativ und vernetzt zusammen. Im Modellgebiet Köllnische Heide wird zur Koordination eine Stelle für das Sozialraummanagement eingerichtet, die von den Fachbereichen 1 und 4 gemeinsam finanziert wird. In dem Prozess sieht sich das Jugendamt als Motor der angestrebten Veränderung. Interessierte freie Träger der Jugendhilfe und Institutionen sind zum Mitmachen eingeladen. 20

Treptow-Köpenick: Sozialraumorientierung ist ein Prinzip der Arbeit des Jugendamtes Treptow-Köpenick, welches die fachlich-inhaltliche Arbeit in den Fachbereichen strukturiert. Das Jugendamt arbeitet auf der inhaltlichen und auf der Verwaltungsebene nach dem Regionalisierungsprinzip; damit wurden Möglichkeiten der effektiven Zusammenarbeit der Fachbereiche geschaffen. Im Bereich Jugendarbeit liegt der Schwerpunkt in der besseren Nutzung der vorhandenen Ressourcen, in einer Vertiefung der sozialräumlichen Kooperationen von öffentlicher und freier Trägerschaft im Rahmen der AG 78 und in der Beteiligung an fach- und sozialraumbezogenen Konferenzen. Im Bereich der Hilfen zur Erziehung wird die Flexibilisierung und Sozialraumorientierung der Angebotsstrukturen in Form einer Vernetzung von offenen und individuellen Hilfeangeboten weiterentwickelt. Dies dient auch der Steuerung des T-Teils im Bezirkshaushalt. Marzahn-Hellersdorf: In allen Fachbereichen des Jugendamtes ist die Sozialraumorientierung Handlungsprinzip. Dem entsprechend wurden in allen Fachbereichen regionale Organisationsstrukturen geschaffen bzw. wird ihre Einrichtung geprüft. Die Jugendarbeit ist vorrangig von der Sozialraumorientierung geprägt. Durch die Zuständigkeit von Mitarbeitern für 5 Regionen im Bezirk wird dies bereits in der Struktur des Fachbereiches deutlich. Diese realisieren auch die Vernetzung der einzelnen Projekte der Jugendarbeit sowie anderer relevanter Institutionen in monatlichen Sozialraumvernetzungsrunden. Drei von fünf geplanten Stadtteilbüros wurden bereits eingerichtet, um die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Stadtteil besser zu befördern. Die sozialraumorientierte mobile Jugendarbeit (Teams der Streetworker/Mitarbeiter von Jugendeinrichtungen) ist ein weiterer Stützpfeiler der regionalen Aufgabenwahrnehmung. Im Fachbereich Tagesbetreuung von Kindern betreuen die pädagogischen Sachbearbeiterinnen jeweils mehrere Sozialräume. Die Kita-Entwicklungsplanung ist stadtteilbezogen aufgebaut. Der Fachbereich Psychosoziale Dienste ist mit seinen zwei Beratungsstellen regional organisiert. Im Fachbereich Familienunterstützende Hilfen wurden 6 Regionalteams für den Sozialpädagogischen Dienst auf Stadtteilebene gebildet. Die Verlagerung des ASPD in die Stadtteile wird gegenwärtig geprüft. Die Realisierung ist abhängig von der Bereitstellung räumlicher und finanzieller Ressourcen. Weitere Maßnahmen zur Regionalisierung im Fachbereich sind in Vorbereitung. Mit dem Ziel, in voraussichtlich zwei Stadtteilen als Pilotprojekt die Vernetzung der verschiedenen Jugendhilfeangebote weiter zu entwickeln und die Praktikabilität von Stadtteilbudgets für die einzelnen Leistungsbereiche der Jugendhilfe, v. a. im Hinblick auf erreichbare Synergieeffekte zu prüfen, wurde im Jugendamt eine fachbereichsübergreifenden Arbeitsgruppe gebildet. Auf ressortübergreifender Ebene im Bezirk wurden für das Haushaltsjahr 2003 ressortübergreifende Stadtteilbudgets für die präventive Arbeit gebildet (für die Jugendhilfe bislang die Kinder- und Jugendarbeit, Erweiterung ist angestrebt). Zur Umsetzung dieser Stadtteilbudgets werden gegenwärtig für jeden Stadtteil ressortübergreifende Budgetkonferenzen durchgeführt. Lichtenberg: Im April 2002 ist ein Sozialraumreport vom Jugendamt erschienen. Die Regionalisierung des Jugendamts ist seit längerem fast durchgängiges Organisationsprinzip. Eine Erweiterung der Sozialraumorientierung auf andere Ressorts im Bezirk ist geplant. Schulen sollen als soziokulturelle Zentren fungieren. Im Bereich Jugendarbeit arbeiten die AG’n nach § 78 SGB VIII nach Sozialräumen. An der Konzipierung von Sozialraumbudgets wird gearbeitet. 21

Reinickendorf: Die Jugendhilfe im Bezirk Reinickendorf arbeitet, plant und vernetzt ein Angebots- und Leistungsspektrum in 4 durch JHA-Beschluss festgelegten Regionen. Diese Regionen setzen auf den schon länger existierenden Zuständigkeitsbereichen der regionalen sozialpädagogischen Dienste auf und wurden in einem intensiven Abstimmungsprozess der Fachbereiche vereinheitlicht. Für die Erhebung und Auswertung sozio-demografischer Daten wurden die Regionen in derzeit insgesamt 12 Planungsräume unterteilt. Sie entsprechen im Wesentlichen den Ortsteilen; abweichende Zuordnungen wurden vollzogen, wenn die Lebenszusammenhänge der Bewohner von den Ortsteilabgrenzungen abweichen. Eine weitere Unterteilung der Planungsräume ist vorgesehen mit dem Ziel, die Lebenszusammenhänge der Bevölkerung kleinräumlich sozialstatistisch darstellen zu können. Die Untergrenze hierbei ergibt sich aus den Anforderungen des Datenschutzes und der Definition, welche räumlichen Zusammenhänge einen Sozialraum begründen. Kernpunkte dieses Regionalisierungskonzeptes sind die fachbereichsübergreifende Steuerung und Planung der Jugendhilfe sowie eine die Jugendhilfe übergreifende Vernetzung und Kooperation der Dienste, Einrichtungen und Institutionen in diesen Regionen, die für die Gestaltung der Lebensbedingungen von jungen Menschen und ihren Familien Bedeutung haben. So haben sich aus den regionalisierten Arbeitszusammenhängen der Jugendhilfe heraus Ansätze von Stadtteilmanagement entwickelt. Hinderlich ist, dass im Bezirk kein ressortübergreifendes (Sozial)Planungskonzept besteht und das Regionalisierungskonzept der Jugendhilfe neben anders ausgerichteten Planungs- und Steuerungskonzepten wie der Schulentwicklungsplanung oder der Stadtplanung steht.

2.4 Finanzen im Sozialraum Die bisherigen Bewältigungsstrategien der gegenwärtigen Finanzkrise des Landes Berlin wirken sich kontraproduktiv auf die Leistungsfähigkeit des Systems der Jugendhilfe aus. Eine Steigerung der Wirksamkeit von Leistungen und der Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Ressourcen wird durch pauschale Konsolidierungsvorgaben verhindert. An einen bedarfsgerechten Ausbau von Angeboten und Dienstleistungen insbesondere der Kinder-, Jugend- und Familienförderung war in den letzten Jahren nicht mehr zu denken. In einigen Bereichen wurde die Infrastruktur sogar reduziert. Unter Fachleuten ist unumstritten, dass eine leistungsfähige, präventiv wirkende Infrastruktur der Jugendhilfe in vielen Fällen eine Eskalation von Problemlagen verhindern, zumindest aber abschwächen kann. Zur Veranschaulichung: Einen Hinweis auf diesen Zusammenhang finden wir in der „Berichterstattung über den Stand der Jugendhilfe in Schöneberg 1999“3. Hier wurde untersucht, wie sich die Anzahl der Fälle von Hilfe zur Erziehung (ohne soziale Gruppenarbeit) über einen Zeitraum von 14 Monaten auf die einzelnen Sozialräume im Bezirk verteilt. Dabei wurde deutlich, dass im Sozialraum Schöneberg-Ost der Anteil der Minderjährigen, der auf Hilfe zur Erziehung angewiesen ist, mit 26,9 ‰ signifikant über dem Schöneberger Durchschnitt (11,6 ‰) lag. In einem vergleichbaren, sozial hoch belasteten Gebiet, nämlich dem Sozialraum Schöneberg-Nord, lag dieser Anteil mit 9,8 ‰ deutlich unterhalb des Durchschnitts. Ein Blick auf die infrastrukturelle Ausstattung in den beiden Sozialräumen zeigt, dass im Schöneberger Osten keinerlei Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen vorhanden waren. Im Schöneberger Norden hingegen existierte eine entwickelte Infrastruktur von Einrichtungen und Angeboten zur Freizeitgestaltung von Kindern und 3

BA Schöneberg von Berlin, Abt. Jugend, Schule und Sport: Berichterstattung über den Stand der Jugendhilfe in Schöneberg 1999, Berlin, Februar 2000 S. 104 und 166

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Jugendlichen. Um den Beweis antreten zu können, dass es den in diesem Beispiel vermuteten Wirkungszusammenhang zwischen präventiver und kompensatorischer Infrastruktur tatsächlich gegeben hat bzw. gibt, hätte eine qualitative Untersuchung durchgeführt werden müssen. Ein weiterer Aspekt, der unter dem Stichwort finanzielle Ausstattung von Sozialräumen berücksichtigt werden muss, ist die bestehende Finanzierungssystematik in der Jugendhilfe - hier insbesondere bei der Einzelfallfinanzierung. Träger, die im Bereich Hilfe zur Erziehung Angebote machen, sind aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, eine möglichst vollständige und dauerhafte Auslastung zu erzielen. Über kurz oder lang muss diese Perspektive in Widerspruch zu den Interessen der Adressaten der Jugendhilfe, die i. d. R. eine schnelle und wirksame Hilfe erwarten, und zu den Interessen des Leistungsträgers führen, der neben einer schnellen und wirksamen auch eine kostengünstige Hilfe erwartet. Eine andere Finanzierungssystematik, die Ressourcenorientierung belohnt, muss entwickelt werden. Zum Sozialraumbudget Jugendhilfe Die Diskussion über die Sozialraumorientierung der Jugendhilfe wird häufig verkürzt auf eine sozialräumliche Budgetierung. Das Sozialraumbudget der Jugendhilfe ist aber nur ein - sicherlich bedeutendes - Instrument zur Unterstützung sozialräumlichen Handelns. Voraussetzung dafür, dass die in einem Sozialraum eingesetzten finanziellen Mittel der Jugendhilfe optimaler als bisher wirksam werden können, ist - wie bereits erwähnt -, dass die Leistungsbereiche der Jugendhilfe eng miteinander verzahnt werden. Das heute noch weit verbreitete Zuständigkeitsdenken in den Grenzen der Leistungsbereiche - den „Säulen“ - der Jugendhilfe muss verändert werden. Zur praktischen Verwirklichung des Prinzips der Einheit der Jugendhilfe muss die Jugendhilfe „entsäult“ werden. Erst wenn dieses fachlich und organisatorisch gewährleistet ist, ist es sinnvoll, sozialraumbezogene Budgets der Jugendhilfe zu bilden. So ist es z. B. vorstellbar, für die Kinder unter sechs Jahren ein Budget nach wohnortspezifischen Bedarfen zu bilden, aus dem Kitaplätze, Tagespflegeplätze, aber auch Angebote der Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16 -18; 20 SGB VIII) finanziert werden. Dadurch wäre es möglich, statt teurer Krippenplätze sonstige Angebote für Eltern / Mütter oder Väter wie Spielkreise, Mutter-Kindgruppen mit Bildungsanteil zu bezahlen, d.h. neue kostengünstige Angebote zu schaffen, die jetzt wegen fehlender Mittel nicht zu realisieren möglich sind, sodass nur auf die finanziell gut abgesicherten Krippenplätze zurückgegriffen wird. Zusätzlich könnte der zweite sozialstrukturelle Zuschlag, dessen Berechnung sehr aufwendig ist (z. Zt. nach KitaPersVO gewährt für Kinder, deren Eltern nur über ein Einkommen unter 15.000 € verfügen und in Quartiersmanagementgebieten leben), aus der KitaPersVO herausgenommen werden und den Bezirken für den Sozialraum in gleicher Höhe als Zuschlag gegeben werden. Die Kriterien zur Verteilung müssten sich aus der bezirklichen Jugendhilfeplanung ergeben. Die koordinierte Finanzierung von Kitaplätzen und Tagespflegeplätzen sowie Familienbildung könnte organisatorisch zu einer besseren Vernetzung der drei Angebotsbereiche genutzt werden. Kitas kooperieren mit benachbarten Tagespflegemüttern, bieten Familienbildung an und entwickeln sich so zu „Early-Excellence-Centern“ bzw. Familienzentren. Das Sozialraumbudget Jugendhilfe ist vergleichbar mit einer „Globalsumme der Jugendhilfe“ auf kleinräumlicher Ebene und unterscheidet sich damit grundsätzlich von Mittelzuweisungen für einzelne Leistungsbereiche der Jugendhilfe oder Zuwendungen für einzelne Träger. Zur Feststellung des vor Ort bestehenden Bedarfs sowie zur Planung und Abstimmung der Maßnahmen und zur Entscheidung über den Einsatz der finanziellen Ressourcen im Sozialraum müssen Planungs- und Entscheidungsstrukturen gebildet werden, die Fachlichkeit, Objektivität, Transparenz und Fairness gewährleisten. 23

In diesen zu schaffenden Strukturen wird der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seine Gesamtverantwortung für die Jugendhilfe uneingeschränkt wahrnehmen. Gleichzeitig wird innerhalb dieser Strukturen partnerschaftlich mit den Trägern der freien Jugendhilfe zusammengearbeitet. Das Sozialraumbudget kann kein Trägerbudget sein! Die Ausstattung einzelner Träger (oder gar nur eines Trägers) mit einem Sozialraumbudget widerspricht den Grundsätzen der Wertevielfalt und Trägerpluralität in der Jugendhilfe. Die Bildung von Trägermonopolen würde zu einer nicht gewünschten Vereinseitigung des Angebotsspektrums und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Stillstand in der Qualitätsentwicklung führen. Darüber hinaus würde das Wunsch- und Wahlrecht in unzulässiger Weise eingeschränkt werden. Sozialraumorientierung ist keine Aufforderung zum Rechtsbruch! Bei den Entscheidungen über den Einsatz der finanziellen Ressourcen dürfen individuelle Rechtsansprüche nicht ausgehöhlt werden. Prinzipien, wie beispielsweise die Wahrung bzw. Herstellung der Trägervielfalt oder das Wunsch- und Wahlrecht, müssen beachtet werden. Anreizsysteme für den effektiven und effizienten Einsatz der finanziellen Ressourcen sind zu schaffen. Die Gesamtverantwortung für eine sozialräumlich orientierte Jugendhilfe liegt beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Das Jugendamt nimmt diese Gesamtverantwortung durch Planung und Steuerung wahr. Diese Funktionen darf das Jugendamt nicht abgeben. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass durch die Bildung von Trägerbudgets die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch den öffentlichen Träger jedoch erheblich eingeschränkt werden können. Die Festsetzung eines Sozialraumbudgets liegt allein in der Zuständigkeit des Jugendamtes. Die Zweigliedrigkeit des Jugendamtes ist in diesem Zusammenhang zu beachten (Verwaltung und Jugendhilfeausschuss). Der Jugendhilfeausschuss legt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und der Beschlüsse der BVV die strategischen Ziele für den Einsatz des Sozialraumbudgets Jugendhilfe fest. Zur Qualifizierung der Entscheidungen über die strategischen Ziele, die in einem Sozialraum verfolgt werden sollen, und die Höhe des jeweiligen Sozialraumbudgets Jugendhilfe ist eine regelmäßige Sozialberichterstattung erforderlich. Diese Berichterstattung muss u. a. Sozialraumanalysen sowie eine Überprüfung und Bewertung der bisherigen Zielerreichung in den Sozialräumen enthalten. Alle Mittel der Jugendhilfe, die in ein Sozialraumbudget einfließen, müssen untereinander deckungsfähig sein. Erst dieses ermöglicht den Akteuren vor Ort, die Leistungen der Jugendhilfe flexibel und bedarfsgerecht zu gestalten und einzusetzen. Um die Mittel des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, aus denen die Sozialraumbudgets gebildet werden, weitestgehend (bedarfs-) gerecht auf die Sozialräume verteilen zu können, sollten die Budgets nach einem (sozial-) indikatorengestützten Berechnungsverfahren ermittelt werden (z. B. Jugendeinwohnerwert). Ein Gesamtbudget Jugendhilfe für jeden Bezirk, bei dem die zugewiesenen Mittel untereinander deckungsfähig sind, wird die Gestaltungsmöglichkeiten des Jugendamtes erhöhen. Im Sinne der Weiterentwicklung der Jugendhilfe und nicht des Abbaus darf die Politik der Haushaltskonsolidierung den unter dem Stichwort „Sozialraumorientierung“ beginnenden Reformprozess nicht behindern. Auf dieser Grundlage ist auch die Bildung von (auskömmlichen) Sozialraumbudgets möglich.

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2.5. Weitere Ressourcen im Sozialraum Werden die eingangs beschriebenen methodischen Prinzipien konsequent an sozialräumliches Agieren angelegt, hat dieses zur Konsequenz, dass neben der Jugendhilfe auch alle anderen, für die Förderung und Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und deren Familien im Quartier und stadtweit (z. B. ESF;SGB III) relevanten, institutionellen und nicht institutionengebundenen Ressourcen hinsichtlich der finanziellen und sächlichen Ausstattung eines Sozialraums aktiviert werden müssen. Eine sozialräumlich orientierte Handlungsweise bietet beste Voraussetzungen, bürgerschaftliches Engagement zu wecken und zu fördern. Schulen und Kindertagesstätten sind die Institutionen, die am besten geeignet sind, als Kristallisationspunkte für bürgerschaftliches Engagement zu fungieren. Das Interesse der meisten Eltern an der Entwicklung ihrer Kinder verbindet sich leicht mit dem Interesse am Funktionieren der Institutionen, denen sie ihre Kinder anvertrauen. Die Öffnung von Kindertagesstätten und Schulen in den Sozialraum und für mehr Beteiligung der Eltern ist somit die Voraussetzung für eine sozialräumliche Strategie, die mehr ist als der Wechsel der Zuständigkeitsverteilung. Die Aktivierung der Ressourcen des Sozialraums, somit auch des bürgerschaftlichen Engagements, ist wesentliches Ziel und Inhalt sozialräumlicher Arbeit. Ebenso wie die Wirksamkeit des Ressourceneinsatzes in der Jugendhilfe durch die engere Verzahnung der Leistungsbereiche und Öffnung der Institutionen gesteigert werden kann, führt eine engere Kooperation von Trägern, Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe mit Institutionen außerhalb der Jugendhilfe und nichtinstitutionellen Strukturen und Akteuren zu einer Mobilisierung von Ressourcen und Aktivitäten. Die Jugendhilfe ist im Interesse ihrer Adressaten auf Partner angewiesen. Ein entwickeltes Netz von Kooperationsbezügen im Sozialraum mobilisiert mehr finanzielle Ressourcen, um die Lebenssituation von jungen Menschen und deren Familien positiv zu beeinflussen, als die Jugendhilfe allein beitragen könnte. Die Voraussetzung ist, dass Politik und Verwaltung gleichermaßen enges Ressortdenken überwinden und ein erweitertes kooperatives Handeln praktizieren. In der Vergangenheit hat es immer wieder einzelne Fälle einer gelungenen ressortübergreifenden Kooperation gegeben. Die Regel ist dieses aber noch nicht. Um diese Vernetzung über die Grenzen der Jugendhilfe hinaus praktisch werden lassen zu können, wäre erforderlich, dass Bezirksämter und Bezirksverordnetenversammlungen Beschlüsse fassen, die bezirkliche Jugend-, Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik sozialräumlich zu orientieren (Strategiebeschluss). Eine weitreichende Kooperation und Vernetzung wird den Ressourceneinsatz in jeder Hinsicht optimieren. Auch wenn die finanziellen und personellen Ressourcen der verschiedenen Abteilungen eines Bezirksamts (soweit möglich und erforderlich) an der Strategie „Sozialraumorientierung“ ausgerichtet werden, darf das nicht bedeuten, dass Fachlichkeiten und Zuständigkeiten verwässert und Haushaltsmittel zu einem Sozialraumbudget zusammengeführt werden. Die abteilungsübergreifende Kooperation zeichnet sich vielmehr durch eine hohe Fachlichkeit und Professionalität der einzelnen Disziplinen in einem erweiterten Verantwortungsrahmen aus. Die Verantwortung für den Einsatz der finanziellen (und personellen) Mittel bleibt in den bestehenden Zuständigkeiten. Das Prinzip muss hier lauten: Schuster bleib’ bei Deinem Leisten, aber richte Deinen Blick (auch) über den Tellerrand hinaus!

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Institutionelle Kooperationspartner sind insbesondere (könnten sein): das Jugendamt (als Leistungsträger mit allen Diensten) die (anerkannten) Träger der freien Jugendhilfe (mit den erforderlichen Angeboten und Veranstaltungen) die (allgemeinbildenden) Schulen (z. B. Förderung und Unterstützung von Kindern über den Unterricht hinaus; Bereitstellung räumlicher Ressourcen für außerschulische (Freizeit-) Aktivitäten) die Volkshochschule (z. B. Sprachkurse für Migrant/-innen) das Sozialamt (z. B. bei der Umsetzung des Programms „Integration durch Arbeit“ für junge Sozialhilfeempfänger/-innen) das Gesundheitsamt (z. B. gezielte Angebote zur Gesundheitsförderung) das Natur- und Grünflächenamt (z. B. bei der Anlage und Ausstattung von Kinderspielplätzen) das Stadtplanungsamt (z. B. bei der Entwicklung und Gestaltung von öffentlichem Raum, bei der planerischen Verantwortung und Umsetzung baurechtlicher Erfordernisse zur Sicherung der sozialen Infrastruktur) das Arbeitsamt (z. B. gezielte Programme zur Berufsorientierung und -förderung) die Polizei (z. B. Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung von Strategien und Maßnahmen gegen Gewalt im Stadtteil).

Institutionsunabhängige Kooperationspartner sind insbesondere (könnten sein): die Bürger/-innen des Quartiers Bürgerinitiativen Vereine Wohnungsbaugesellschaften und Hauseigentümer Betriebe im Einzugsbereich. Diese Auflistung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollte an den bezirklichen Gegebenheiten orientiert weiter ergänzt werden.

3. Zusammenfassung und Handlungsschritte Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport sieht eine dringende Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit der Berliner Jugendhilfe zu stärken und ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Hierfür benötigt die Jugendhilfe in erster Linie eine umfassende fachliche Innovation, die mit dem Begriff der „Sozialraumorientierung“ verbunden ist. Natürlich braucht sie auch Rahmenbedingungen, die die erforderlichen Erneuerungsprozesse fördern und stützen. Im vorliegenden Positionspapier wurde der Versuch unternommen, einige wesentliche Aspekte zu beleuchten, die für die konzeptionelle Entwicklung und praktische Umsetzung einer Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe bedeutsam sind. Die Verwirklichung einer sozialräumlich orientierten Jugendhilfe in Berlin ist ein tiefgreifender Reformprozess. In den meisten Berliner Bezirken wurden in den letzten Jahren Initiativen zur Sozialraumorientierung der bezirklichen Jugendhilfe gestartet. Erste Schritte wurden gemacht. 26

Dieser Prozess muss qualifiziert vorangetrieben und begleitet werden. Dabei kommt der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport hinsichtlich einer einheitlichen Entwicklung im Land Berlin eine besondere Verantwortung zu. Im gesamtstädtischen Interesse ist es, den notwendigen Reformprozess in der Berliner Jugendhilfe abgestimmt fortzusetzen. Auf Landesebene ist darauf hinzuwirken, dass die Reformbestrebungen in der Berliner Jugendhilfe trotz notwendiger Haushaltskonsolidierung unterstützt werden. Dieses beinhaltet u. a., dass Konzepte zur Einrichtung eines Gesamtbudgets Jugendhilfe sowie von Sozialraumbudgets zwischen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport und der Senatsverwaltung für Finanzen abgestimmt werden. Auf der Basis der oben ausgeführten Darstellung müssen weitere konzeptionelle Konkretionen vorgenommen werden. Die bereits begonnenen unterschiedlichen Initiativen, mit teilweise experimentellem Charakter, sollten darin aufgenommen werden. Sollte sich im Laufe des Prozesses zeigen, dass der Sach- und Fachverstand von (externen) Expert/-innen erforderlich ist, müssen diese hinzugezogen werden. Weil Sozialraumorientierung die Erweiterung der fachlichen Kompetenz aller Akteure in der Jugendhilfe benötigt, muss ein umfassender Qualifizierungsprozess begonnen werden. Die Rahmenbedingungen der Jugendhilfe in Berlin (Gesetze, Verwaltungsvorschriften u. a. m.) müssen daraufhin überprüft werden, ob sie eine konsequente Sozialraumorientierung befördern oder ihr eher im Wege stehen. Es muss also zunächst festgestellt werden, welche der heute gültigen Regelungen bestehen bleiben können bzw. an das Reformziel angepasst oder aufgehoben werden müssen. Abhängig von der konzeptionellen Entwicklung ist darüber hinaus erforderlich, ggf. neue Regelungen zu schaffen. Auf der Grundlage bestehender Regelungen bzw. mit nur geringem Änderungsaufwand lassen sich bereits heute konkrete Schritte hin zur Sozialraumorientierung ergreifen. Beispielhaft sollen an dieser Stelle einige Vorschläge gemacht werden:

1. In der Nachfolgevereinbarung zur Kostensatzrahmenvereinbarung im Bereich Hilfe zur Erziehung könnten heute oder zu einem späteren Zeitraum die wesentlichen Grundsätze eines sozialräumlichen Ansatzes direkt im Finanzierungsrahmen verankert werden. Ansatzpunkte hierzu sind die zugelassenen und auch fachlich gewünschten Kooperationsvereinbarungen der Bezirke mit den Anbietern, in denen besondere Belegungsoptionen oder Zusatzleistungen vereinbart werden können (soweit dies nicht gegen die Vorgaben der Rahmenvereinbarung verstößt) und die genauere Vorgaben bzw. Zielbeschreibungen enthalten könnten. Es ist zu prüfen, ob die Standardbeschreibungen einen flexibleren Rahmen erhalten und Kombinationen von Leistungen untereinander oder mit allgemeinen Angeboten verfahrensmäßig abgesichert werden können. Darüber hinaus sollen Leistungen im Verbund mit konkreten sozialräumlichen Ansätzen vereinbart werden können. Dies würde eine Weiterführung der bereits in den Leistungsbeschreibungen enthaltenen unspezifischen, fallunabhängigen Vernetzungsleistungen darstellen. 2. Flankierend dazu sollten die Ausführungsvorschriften zur Hilfeplanung hinsichtlich sozialräumlicher Handlungsansätze weiterentwickelt werden. Schwerpunkt könnte hier eine Absicherung des Verfahrens dahingehend sein, dass bereits in der Falleingangsphase (d.h. in der Phase der ersten Kontaktaufnahme bis zur Entscheidung über das weitere Verfahren) auch der Einsatz allgemeiner Angebote im Bereich Kita, Jugendarbeit, Schule etc. im Sozialraum geprüft wird. 3. Im Bereich der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen bieten sich verschiedene Ansätze an. So könnten mittelbar sozialräumliche Ansätze insbesondere bei der Bedarfs27

feststellung aus pädagogischen Gründen berücksichtigt werden, d.h. soweit der Allgemeine Sozialpädagogische Dienst (ASD) eine Kita-Förderung aus pädagogischen Gründen zur Vermeidung bzw. Unterstützung oder Beendigung von Hilfe zu Erziehung für erforderlich hält, wäre der Bedarf zu befürworten. 4. Wird durch die Jugendhilfeplanung ein entsprechender Bedarf festgestellt, dann könnten sich Kindertagesstätten in Form von Angebotserweiterungen auch im Bereich der Jugendarbeit (Kinderfreizeitarbeit) ihrem Umfeld öffnen. Dies ist auch im bestehenden Regelwerk zulässig. Allerdings wäre die Finanzierung des Leistungsspektrums gesondert zu regeln. Entsprechend müssen die Vorgaben zur Erteilung einer Betriebserlaubnis für Kindertagesstätten auf eine Doppelnutzung der Einrichtungen hin überarbeitet werden. Zusätzlicher Effekt: Bei einem Belegungsrückgang könnte eine (teilweise) Absicherung für das Personal erreicht werden. 5. In jedem Sozialraum ist zu prüfen, ob die insbesondere in den Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen aber auch in der Vielzahl von Projekten der Jugend- und Jugendsozialarbeit geleisteten Arbeiten die im Sozialraum bestehenden Bedarfslagen adäquat aufnehmen und ob diese Arbeiten auch den Mitarbeiter/-innen der anderen Dienste des Jugendamtes bekannt sind. Sollte die Prüfung Mängel aufdecken, ist die Arbeit der Einrichtungen und Angebote umzuorientieren bzw. der Kenntnisstand über die Leistungen der Kinder- und Jugendarbeit im Sozialraum zu verbessern. 6. Sozialräumliche Ansätze mit den Schulen werden z. Zt. nur in Teilen verfolgt. Der Entwurf des neuen Schulgesetzes sieht u. a. Regelungen vor, die dieses ändern könnten (z. B. größere Eigenverantwortung der Schulen, Abstimmung von Jugendhilfeplanung und Schulentwicklungsplanung). Entscheidend aber ist, dass sich Jugendhilfe und Schule vor Ort über Kooperationen verständigen, die ihren gemeinsamen Adressat/-innen nützen (z. B. Nutzung von Schulräumen durch Träger der Jugendhilfe, Öffnung der Schulhöfe und Schulsportanlagen für Freizeitaktivitäten). Es kann dann erforderlich sein, dass entsprechende Vorschriften erlassen werden, um sinnvolle Kooperationsvorhaben abzusichern. 7. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt für eine Verankerung und Umsetzung sozialräumlich orientierten Handelns wäre eine entsprechende Änderung der Ausführungsvorschriften zur Organisation der Jugendämter (AV-Org Jugendamt). Die fachübergreifende Zusammenarbeit wäre unter Berücksichtigung des sozialräumlichen Ansatzes im Verfahren vorzuschreiben und abzusichern.

4. Schlussbemerkung Das vorliegende Papier soll die Diskussion über eine sozialräumliche Orientierung der Berliner Jugendhilfe anregen und vereinheitlichen. Es wird Mitte Oktober 2002 der interessierten Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Im Dezember 2002 werden sich die Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen einer Klausurtagung mit der Thematik „Sozialraumorientierung“ auseinandersetzen. Anfang März 2003 wird die Debatte um die Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe im Rahmen des 2. Fachpolitischen Diskurses zwischen den Führungskräften der öffentlichen und freien Jugendhilfe sowie mit den Vertreter/-innen der Fachpolitik sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene geführt. Ziel ist es, einen weitestgehenden Konsens über die Perspektiven zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe zu erlangen, eine größtmögliche Akzeptanz in Fachwelt und Fachpolitik für ein tiefgreifendes Reformvorhaben herzustellen und sich landesweit über die Arbeitsschritte zur Zielerreichung zu verständigen.

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Anhang: Indikatorenmodell Index: Demografische Situation Die Einwohner nach Art und Anzahl geben den maximalen Umfang der möglichen Zielgruppe wieder. Der Index setzt sich zusammen aus den Variablen Einwohnerwert und Jugendeinwohnerwert. Die Zielgruppe leitet sich über die Anzahl der 0- unter 21jährigen ab. Beide Einwohnerwerte eignen sich zum Aufzeigen der Bevölkerungsentwicklung. Indikator Anzahl der Einwohner

Datenquelle Statisches Landesamt Einwohnerregister Regionales Bezugssystem (RBS)

Jugendeinwohnerwert (0 - u. 18 J.)

Statistisches Landesamt Einwohnerregister (RBS)

Eignung liegen kleinräumig, zeitnah und regelmäßig (halbjährlich) vor, geringer Aufwand für die Bezirke Liegen kleinräumig, zeitnah und regelmäßig vor,

Genauigkeit Kleinere Ungenauigkeiten, da Meldeverhalten z. B. abhängig von Alter, Nationalität ist bedingt s. o.

Index: Sozioökonomische Lage Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen einzelfallbezogenen Jugendhilfemaßnahmen und Sozialhilfebedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen nachweisen. Gleiches gilt für Arbeitslosigkeit eines Elternteils oder der Eltern. Darüber hinaus lassen Sozialhilfebezug und Arbeitslosigkeit Aussagen über die soziale Belastung in einem Gebiet zu. Indikator „Unechte“ Arbeitslosen-quote/-rel. Anteil der Arbeits-losen an den Einw. (15 - u. 65 J.) Quote der minderjährigen Sozialhilfeempfänger

Datenquelle Landesarbeitsamt; Stichproben sind durch das Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) möglich im Bezirk über das Verfahren ProSoz (Sonderauswertung der Datenbank)

Eignung gut, Daten zeitnah und regelmäßig beim Landesarbeitsamt zusätzl. Auswertung durch das IAB gegen Gebühr möglich Daten kleinräumig, regelmäßig und zeitnah

Genauigkeit bedingt, nicht alle Arbeitslosen sind gemeldet (Dunkelziffer der Nicht-gemeldeten und sog. Scheinarbeitslosigkeit) gut

Index: Wohngebietsstatus Die Wohnstandortwahl und damit der objektive Status eines Gebietes hängen im Wesentlichen von der durchschnittlichen Wohndichte, den Mietpreisen und den Grundstückspreisen ab. Es handelt sich hierbei um international anerkannte Werte für die Typisierung von Gebieten, aus denen sich Kontextanalysen für individuelles soziales Verhalten und Verhaltensmuster im Wohn- und Nachbarschaftsbereich ableiten lassen. Man geht davon aus, dass zwischen dem Wohnwertstatus eines Gebietes ein direkter Zusammenhang zur sozioökonomischen Verteilung der Bevölkerung besteht. Das heißt, in einem Gebiet mit einem niedrigen Wohnwertstatus leben eher Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, aus dem sich vermutlich ein höherer Jugendhilfebedarf ergeben kann. Indikator Wohndichte Einwohner/ha Wohnfläche

Datenquelle SenStadt: Allgemeines Liegenschaftskataster (ALK) i. V. mit dem StaLa oder Bezirke/Abt. Bauwesen i. V. mit dem RBS

Durchschnittliche Miethöhe

Mietspiegel SenStadt

Verkehrswerte (Grund- und Bodenpreis)

Bodenrichtwerteatlas SenStadt

Eignung bedingt, Flächendaten des ALK nicht zeitnah, aufwendige Datenaufbereitung, ggf. Auswertung im mehrjährigen Abstand bedingt kleinräumlich, aber jährlich erhältlich; Aufbereitung der Flächendaten ist sehr aufwendig, da z.Zt. kein automatisiertes Verfahren vorhanden Siehe Miethöhe

Genauigkeit bedingt, da wo hoher Wohnungsleerstand vorkommt; ungeklärte Gewichtung nach Geschosszahl, z. B. bei Hochhäusern bedingt; unterschiedliche Mietspiegelniveaus in einem Planungsraum; Gewichtung ggf. über Einwohner pro Mietspiegelgebiet bedingt, wenn in Gebieten mit hohem Bodenwert Bewohner mit niedrigem sozioökonom. Status leben

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Keiner der Indikatoren aus dem Index Wohngebietsstatus sollte allein verwendet werden, da sich der Aussagewert erst aus einer Zusammenschau von allen drei Indikatoren ergibt. Auf diese Weise lassen sich mögliche Ungenauigkeiten und Interpretationsschwierigkeiten verringern. Beispielsweise gibt es in Berlin Gebiete mit einem hohen Grund- und Bodenwert, in denen Bewohner mit niedrigem sozialen Status leben. Diese Unstimmigkeit lässt sich über den Mietpreis aufklären etc.

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